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Wladimir I. Lenin 19210221 Über den einheitlichen Wirtschaftsplan

Wladimir I. Lenin: Über den einheitlichen Wirtschaftsplan1

[Prawda“ Nr. 39, 22. Februar 1921. Gezeichnet: N. Lenin. Nach Sämtliche Werke, Band 26, Moskau 1940, S. 206-215]

Einen beängstigenden Eindruck machen die Aufsätze und Diskussionen über dieses Thema. Man sehe sich die Artikel L. Kritsmans in der „Ekonomitscheskaja Schisn“ an (I – 14. Dezember 1920; II – 23. Dezember; III – 9. Februar; IV – 16. Februar; V – 20. Februar). Leeres Gerede. Literatengeschwätz. Nirgends der Wunsch, das Sachliche, was auf diesem Gebiet geschaffen ist, zu berücksichtigen und es zu studieren. Anstatt die Daten und Tatsachen zu studieren, werden – in fünf langen Artikeln! – Betrachtungen darüber angestellt, wie man an das Studium herantreten soll. *

Man nehme die Thesen Miljutins („Ekonomitscheskaja Schisn“ vom 19. Februar) und Larins („Ekonomitscheskaja Schisn“ vom 20. Februar), man verfolge aufmerksam die Reden der „verantwortlichen“ Genossen. Dieselben grundsätzlichen Mängel wie bei Kritsman. ödeste Scholastik bis hinab zum Geschwätz über das Gesetz der Kettenverbindung usw., bald eine Literaten-, bald eine Bürokratenscholastik, aber nichts von lebendiger Arbeit.

Ja, noch Schlimmeres. Eine überheblich-bürokratische Missachtung gegenüber der lebendigen Arbeit, die schon getan ist und fortgesetzt werden muss. Immer und immer wieder werden hohlste „Thesen fabriziert“ oder Losungen und Projekte aus den Fingern gesogen, anstatt dass man unsere eigenen praktischen Erfahrungen aufmerksam und sorgfältig studiert.

Die einzige ernste Arbeit über das Problem des einheitlichen Wirtschaftsplans ist der „Plan der Elektrifizierung der Russischen Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik“, der Bericht der „Staatlichen Kommission für die Elektrifizierung Russlands“ (GOELRO) an den VIII. Sowjetkongress, der im Dezember 1920 herausgegeben und an die Kongressdelegierten verteilt wurde. In diesem Buch wird der im Auftrag der obersten Organe unserer Republik von den besten wissenschaftlichen Kräften – selbstverständlich erst in den allgemeinsten Zügen – ausgearbeitete einheitliche Wirtschaftsplan dargelegt. Den Kampf gegen den Ignorantendünkel der Würdenträger, gegen den Intellektuellendünkel kommunistischer Literaten muss man mit der bescheidensten Arbeit, mit der einfachen Schilderung der Geschichte dieses Buches, seines Inhaltes, seiner Bedeutung beginnen.

Vom 2. bis zum 7. Februar 1920, d.h. vor mehr als einem Jahr, tagte das Allrussische Zentralexekutivkomitee, das eine Resolution über die Elektrifizierung annahm. In dieser Resolution lesen wir:

„ … Neben den nächsten wichtigsten, unaufschiebbaren und dringendsten Aufgaben des Aufbaus des Verkehrswesens, der Beseitigung der Brennstoff- und Lebensmittelkrise, der Bekämpfung der Epidemien, der Organisierung disziplinierter Arbeitsarmeen hat Sowjetrussland zum ersten Male die Möglichkeit, einen planmäßigeren Wirtschaftsaufbau, die wissenschaftliche Ausarbeitung und konsequente Durchführung eines staatlichen Plans für die gesamte Volkswirtschaft in Angriff zu nehmen. In Anbetracht der überragenden Bedeutung der Elektrifizierung… in richtiger Einschätzung der Bedeutung der Elektrifizierung für Industrie, Landwirtschaft, Verkehrswesen … usw. usw…. beschließt das Allrussische Zentralexekutivkomitee, den Obersten Volkswirtschaftsrat zu beauftragen, gemeinsam mit dem Volkskommissariat für Landwirtschaft das Projekt des Baus eines Netzes von elektrischen Kraftwerken auszuarbeiten…“

Das dürfte doch klar sein? „Wissenschaftliche Ausarbeitung eines staatlichen Plans für die gesamte Volkswirtschaft“ – kann man denn diese Worte, diesen Beschluss unseres höchsten Staatsorgans missverstehen? Wenn Literaten und Würdenträger, die sich vor den „Fachleuten“ mit ihrem Kommunismus brüsten, diesen Beschluss nicht kennen, so muss man sie eben erinnern, dass Unkenntnis (unserer eigenen Gesetze) kein Argument ist.

In Ausführung des Beschlusses des Allrussischen Zentralexekutivkomitees bestätigte das Präsidium des Obersten Volkswirtschaftsrats am 21. Februar 1920 die bei der Elektroabteilung gebildete Elektrifizierungskommission, dann bestätigte der Rat für Arbeit und Landesverteidigung die Verordnung über die „Staatliche Kommission für Elektrifizierung“, deren Zusammensetzung zu bestimmen und zu bestätigen dem Obersten Volkswirtschaftsrat, im Einvernehmen mit dem Volkskommissariat für Landwirtschaft, übertragen wurde. Schon am 24. April 1920 brachte die Elektrifizierungskommission das erste Heft ihres „Bulletins“ mit einem ganz detaillierten Arbeitsprogramm und einer Liste der verantwortlichen Personen heraus: der Gelehrten, Ingenieure, Agronomen, Statistiker, die den verschiedenen Unterkommissionen angehören, die die Arbeit in den einzelnen Bezirken leiten und verschiedene, genau festgelegte Aufgaben übernommen haben. Die Aufzählung dieser Arbeiten und der mit ihrer Durchführung Betrauten umfasst allein zehn Druckseiten der Nr. 1 des „Bulletins“. Alle besten Kräfte, die der Oberste Volkswirtschaftsrat, das Volkskommissariat für Landwirtschaft sowie das Volkskommissariat für das Verkehrswesen nur ermitteln konnten, wurden zur Arbeit herangezogen.

Das Ergebnis der Arbeit der Elektrifizierungskommission ist das obenerwähnte umfangreiche – und vorzügliche – wissenschaftliche Werk. Mehr als 180 Fachleute haben an ihm mitgearbeitet. Mehr als 200 Beiträge werden aufgezählt, die von ihnen der Elektrifizierungskommission überreicht wurden. Wir haben da vor allem eine Zusammenstellung dieser Arbeiten (der erste Teil des genannten Bandes, über 200 Seiten stark): a) Elektrifizierung und Plan der staatlichen Wirtschaft; ferner b) Brennstoffversorgung (mit einem genau ausgearbeiteten „Brennstoffbudget“ der RSFSR für das nächste Jahrzehnt unter Berücksichtigung der erforderlichen Arbeiterzahl); c) Wasserkraft; d) Landwirtschaft; e) Verkehrswesen und f) Industrie.

Der Plan ist auf ungefähr zehn Jahre berechnet, unter Angabe der Arbeiterzahl und Kapazität (in 1000 PS). Natürlich ist der Plan nur ein annähernder, ein Anfangsplan, ein Rohentwurf, mit Fehlern, ein Plan „der ersten Annäherung“, aber es ist ein wirklich wissenschaftlicher Plan. Wir haben da über alle Hauptfragen genaue Berechnungen von Fachleuten. Wir haben ihre Berechnungen für sämtliche Industriezweige. Wir haben – um ein kleines Beispiel herauszugreifen – die Berechnung des Umfangs der Lederproduktion, zwei Paar Schuhe pro Kopf der Bevölkerung (300 Millionen Paar) usw. Und das Ergebnis ist eine Bilanz sowohl der Materialien als auch der Geldmittel (in Goldrubeln) für die Elektrifizierung (etwa 370 Millionen Arbeitstage, soundso viel Fass Zement, soundso viel Ziegelsteine, soundso viel Pud Eisen, Kupfer usw., die und die Kapazität der Turbogeneratoren usw.). Die Bilanz ist auf eine Vergrößerung („nach sehr grober Schätzung“) der verarbeitenden Industrie in zehn Jahren um 80 Prozent und der Rohstoffindustrie um 80 bis 100 Prozent berechnet. Das Defizit der Goldbilanz (+11 Milliarden, – 17 Milliarden, also ein Defizit von etwa 6 Milliarden) „kann durch Erteilung von Konzessionen und durch Kreditoperationen gedeckt werden“.

Angegeben wird auch der Standort der 20 Dampf- und 10 hydroelektrischen Bezirkskraftwerke der ersten Baufolge mit genauer Beschreibung der wirtschaftlichen Bedeutung jedes Kraftwerks.

Nach der allgemeinen Übersicht enthält derselbe Band, besonders paginiert, noch Arbeiten über jedes einzelne Gebiet: den Norden, das Zentrale Industriegebiet (diese beiden sind besonders gut, genau, ausführlich, auf überaus reichhaltigem wissenschaftlichem Material begründet), den Süden, das Wolgagebiet, den Ural, den Kaukasus (dieser wird in Voraussetzung einer wirtschaftlichen Verständigung zwischen den verschiedenen Republiken als ein Ganzes behandelt), Westsibirien und Turkestan. Für jeden Bezirk haben wir Berechnungen für die elektrischen Kraftwerke nicht allein der ersten Baufolge. Ferner haben wir das sogenannte „Programm A der Staatlichen Kommission für die Elektrifizierung Russlands“, d.h. einen Plan zur rationellsten und sparsamsten Ausnutzung der vorhandenen Kraftwerke. Noch ein kleines Beispiel: für das Nordgebiet (Petrograd) ist errechnet, dass die Zusammenfassung der Petrograder Kraftwerke eine Ersparnis ergeben könnte, die folgendermaßen bestimmt wird: annähernd die Hälfte des Stromes könnte (S. 69 des Berichts über das Nordgebiet) an die Holzflößplätze im Norden – an Murmansk, Archangelsk usw. – abgegeben werden. Eine gesteigerte Holzbeschaffung und -ausfuhr nach dem Auslande könnte unter solchen Umständen „in der nächsten Zeit schon jährlich bis zu einer halben Milliarde Valutarubel2 abwerfen.

Der jährliche Erlös aus den Waldbeständen des Nordens kann bereits in den nächsten Jahren die Höhe unserer Goldreserven erreichen“3 (ebenda S. 70), allerdings nur, wenn wir es verstehen, vom Gerede über den Plan zum Studium und zur Durchführung des von den Gelehrten ausgearbeiteten Plans überzugehen!

Es muss noch erwähnt werden, dass wir für eine Reihe von Fragen (natürlich bei weitem, bei weitem nicht für alle) Ansätze eines kalendermäßigen Programms haben, d.h. nicht nur eines Plans überhaupt, sondern einer Vorausberechnung für jedes Jahr von 1921 bis 1930, wie viel Kraftwerke in Betrieb genommen und wie die bestehenden erweitert werden können (wiederum unter der erwähnten Voraussetzung, die angesichts der Gepflogenheit unserer Literaten, Intellektuellen und bürokratischen Würdenträger nicht allzu leicht zu erfüllen ist).

Um uns über den gewaltigen Umfang und den ganzen Wert der von der Elektrifizierungskommission geleisteten Arbeit klarzuwerden, wollen wir einen Blick auf Deutschland werfen. Dort hat ein Gelehrter, Ballod, eine ähnliche Arbeit ausgeführt. Er hat einen wissenschaftlichen Plan für den sozialistischen Umbau der gesamten Volkswirtschaft Deutschlands entworfen. Im kapitalistischen Deutschland blieb der Plan in der Luft hängen, blieb eine literarische Arbeit, die Arbeit eines Einzelnen. Wir haben einen Staatsauftrag erteilt, haben Hunderte von Fachleuten mobilisiert und in zehn Monaten (natürlich nicht in zwei, wie ursprünglich festgelegt war) einen wissenschaftlich aufgebauten, einheitlichen Wirtschaftsplan erhalten. Wir können auf diese Arbeit mit Recht stolz sein; wir müssen nur verstehen, wie sie auszuwerten ist, und gerade das Verkennen dieser Aufgabe muss jetzt bekämpft werden.

Die Resolution des VIII. Sowjetkongresses sagt: „... Der Kongress … billigt die Arbeit des Obersten Volkswirtschaftsrates usw. und insbesondere die Arbeit der Staatlichen Kommission für die Elektrifizierung Russlands zur Ausarbeitung des Elektrifizierungsplans für Russland..., bewertet diesen Plan als ersten Schritt eines großen ökonomischen Beginnens, beauftragt das Allrussische Zentralexekutivkomitee usw., die Ausarbeitung dieses Planes zu Ende zu führen und ihn zu bestätigen, und zwar soll das unbedingt in kürzester Frist geschehen …, alle Maßnahmen zu ergreifen, um diesen Plan aufs Großzügigste zu propagieren... Das Studium dieses Planes muss ohne Ausnahme in allen Lehranstalten der Republik4 eingeführt werden“ usw.

Nichts kennzeichnet so anschaulich das Vorhandensein wunder Punkte in unserem Apparat, insbesondere in den höheren Instanzen, das Vorhandensein sowohl bürokratischer als auch intelligenzlerischer Schwächen, wie das in Moskau zu beobachtende Verhalten zu dieser Resolution, die Versuche, sie schief „auszulegen" oder gar über sie hinwegzugehen. Die Literaten propagieren den ausgearbeiteten Plan nicht, sondern schreiben Thesen und ergehen sich in inhaltslosen Betrachtungen darüber, wie an die Ausarbeitung des Plans heranzutreten sei! Die Würdenträger legen rein bürokratisch die Betonung auf die Notwendigkeit, den Plan „zu bestätigen“, worunter sie nicht das Festlegen konkreter Aufgaben (dass dieses oder jenes zu dieser oder jener Zeit gebaut, das oder jenes im Ausland gekauft werden soll usw.) verstehen, sondern etwas ganz Konfuses, wie etwa die Ausarbeitung eines neuen Plans. Die Verständnislosigkeit dieser Leute ist haarsträubend, man hört solche Reden: bevor wir Neues errichten, wollen wir zumindest teilweise das Alte wiederherstellen; die Elektrofikation sehe einer Elektrofiktion gleich; warum nicht Gasifizierung? In der Elektrifizierungskommission sitzen bürgerliche Fachleute und wenig Kommunisten; die Elektrifizierungskommission hat Sachverständigenkader zu stellen und nicht Mitglieder für die allgemeine Planwirtschaftskommission u. ä. m.

Dieses Durcheinander der Meinungen ist eben gefährlich, denn es zeigt die Arbeitsunfähigkeit, das Vorherrschen von Intellektuellen- und Bürokratendünkel über wirkliche Arbeit. Das Witzeln über das Phantastische des Planes, die Fragen nach der Gasifizierung usw. enthüllen den Eigendünkel der Ignoranz. Ist es nicht eine Schande, wenn man aus dem Stegreif an der Arbeit von Hunderten der besten Fachleute herumkrittelt, wenn man sie mit banal klingenden Witzeleien abtun will und sich damit brüstet, dass man das Recht habe, „nicht zu bestätigen“?

Man muss doch lernen, die Wissenschaft zu schätzen, den „kommunistischen“ Dünkel von Dilettanten und Bürokraten zurückzuweisen; man muss doch lernen, systematisch zu arbeiten und dabei die eigene Erfahrung, die eigene Praxis zu verwerten!

Freilich sind „Pläne“ ihrem ganzen Wesen nach eine Sache, über die man endlos reden und diskutieren kann. Es wäre aber unklug, allgemeine Redensarten und Diskussionen über die „Prinzipien“ (des Aufbaus des Planes) zuzulassen, wenn es gilt, das Studium des jetzt vorliegenden, einzig wissenschaftlichen Planes und seine Verbesserung auf Grund der praktischen Erfahrung und eines eingehenderen Studiums in Angriff zu nehmen Selbstverständlich bleibt dem Würdenträger und den Würdenträgem stets das Recht vorbehalten, „zu bestätigen“ oder auch „nicht zu bestätigen“. Fasst man dieses Recht vernünftig auf, legt man den Beschluss des VIII. Sowjetkongresses über die Bestätigung des von ihm gutgeheißenen und zur breitesten Propagierung empfohlenen Plans vernünftig aus, so ist unter Bestätigung eine Reihe von Aufträgen und Anordnungen zu verstehen: das und jenes ist dann und dort zu kaufen, das und jenes soll zu bauen begonnen werden, diese oder jene Materialien sind zu beschaffen und heranzubringen usw. Legt man das jedoch bürokratisch aus, so bedeutet „Bestätigung“ Eigenmacht der Würdenträger, Papierchenwirtschaft, Spielerei mit Prüfungskommissionen, mit einem Wort: die rein bürokratische Erdrosselung eines lebendigen Werkes.

Betrachten wir die Sache noch von einer anderen Seite. Der wissenschaftliche Elektrifizierungsplan muss besonders mit den laufenden praktischen Plänen und ihrer tatsächlichen Durchführung verbunden werden. Das ist natürlich ganz unbestreitbar. Wie aber verbinden? Um das zu wissen, dürfen die Wirtschaftler, die Literaten, die Statistiker nicht über den Plan im Allgemeinen schwatzen, sondern sie müssen die Durchführung unserer Pläne, unsere Fehler bei dieser praktischen Arbeit und die Methoden der Ausbesserung dieser Fehler eingehend studieren. Ohne ein derartiges Studium sind wir blind. Bei diesem Studium, neben ihm, unter der Voraussetzung des Studiums der praktischen Erfahrung, verbleibt noch die ganz geringfügige Frage der administrativen Technik. Plankommissionen haben wir in Hülle und Fülle. Man nehme zum Zweck der Vereinigung zwei Leute aus dem Ressort, das dem Iwan Iwanowitsch, und einen aus dem Ressort, das dem Pawel Pawlowitsch anvertraut ist, oder umgekehrt. Man vereinige sie mit der Unterkommission der allgemeinen Plankommission. Es ist klar, dass das eben administrative Technik ist und nichts weiter. Man versucht es so oder so, man wählt das Bessere – es wäre lächerlich, darüber Worte zu verlieren.

Das ist es ja gerade, dass man es bei uns nicht versteht, eine Sache anzupacken, und dass man die lebendige Arbeit durch leere Projektemacherei von Intellektuellen oder Bürokraten ersetzt. Wir hatten und haben jetzt laufende Pläne für die Lebensmittel- und Brennstoffversorgung Wir haben sowohl in den einen als auch in den anderen offensichtlich einen Fehler gemacht. Darüber kann es keine zwei Meinungen geben. Ein tüchtiger Ökonom würde sich nun, anstatt belanglose Thesen auszuarbeiten, an das Studium der Berichte, Zahlen und Daten machen, unsere eigene praktische Erfahrung analysieren und sagen: der Fehler liegt da und da, er muss so und so verbessert werden. Ein tüchtiger Administrator würde auf Grund eines solchen Studiums einen Personalwechsel, eine Änderung der Buchführung, eine Reorganisierung des Apparats oder ähnliches vorschlagen oder selbst durchführen. Weder von dieser noch von jener sachlichen und fachlichen Einstellung zum einheitlichen Wirtschaftsplan ist jedoch bei uns etwas zu merken.

Der wunde Punkt ist eben der, dass man die Frage des Verhaltens des Kommunisten zu den Fachleuten, des Administrators zu den Gelehrten und Literaten unrichtig anfasst. In der Frage des einheitlichen Wirtschaftsplans wie auch in jeder anderen Frage gibt es solche Seiten – und es können immer solche neuen Seiten auf tauchen –, die eine Lösung ausschließlich durch Kommunisten oder eine rein administrative Behandlung erfordern. Das steht fest. Das ist aber bloße Abstraktion. Augenblicklich gehen jedoch bei uns gerade kommunistische Literaten und kommunistische Administratoren an diese Frage falsch heran, weil sie nicht zu begreifen vermochten, dass sie hier etwas mehr bei den bürgerlichen Fachleuten und Gelehrten lernen und etwas weniger Administrieren spielen müssen. Einen anderen einheitlichen Wirtschaftsplan als den von der Staatlichen Kommission für Elektrifizierung bereits ausgearbeiteten gibt es nicht und kann es nicht geben. Er muss ergänzt, ausgebaut, korrigiert und auf Grund eines aufmerksamen Studiums der Ergebnisse der praktischen Erfahrung ins Leben umgesetzt werden. Eine gegenteilige Meinung ist, um mit den Worten des Parteiprogramms zu reden, nur „eine scheinradikale, ist in Wirklichkeit Ignorantendünkel“. Ein nicht geringerer Ignorantendünkel ist der Gedanke, es sei in der RSFSR eine andere allgemeine Planwirtschaftskommission als die Staatliche Kommission für Elektrifizierung möglich. Damit soll natürlich nicht der eventuelle Nutzen teilweiser sachlicher Änderungen in ihrer Zusammensetzung in Abrede gestellt werden. Will man an dem allgemeinen Plan unserer Volkswirtschaft eine ernstliche Verbesserung vornehmen, so kann dies nur auf dieser Grundlage geschehen, nur in der Weise, dass man das Begonnene fortsetzt, sonst wird das zu einer administrativen Spielerei oder, einfacher gesagt, zur Rechthaberei. Aufgabe der Kommunisten in der Staatlichen Kommission für Elektrifizierung ist es, etwas weniger zu kommandieren, richtiger gesagt: überhaupt nicht zu kommandieren, sondern die Männer der Wissenschaft und Technik („sie sind in den meisten Fällen unvermeidlich von bürgerlicher Weltanschauung und bürgerlichen Gewohnheiten durchdrungen“ – heißt es im Programm der KPR) äußerst vorsichtig und geschickt zu behandeln, dabei zugleich von ihnen zu lernen und ihnen zu helfen, ihren Gesichtskreis zu erweitern. Dabei muss man von den Errungenschaften und den Tatsachen der betreffenden Wissenschaft ausgehen, dessen eingedenk, dass der Ingenieur nicht so zur Anerkennung des Kommunismus gelangen wird, wie der illegale Propagandist oder Literat dazu gelangt ist, sondern über die Ergebnisse seiner Wissenschaft, dass der Agronom, der Forstmeister usw., jeder auf seine Weise, zur Anerkennung des Kommunismus gelangen wird. Ein Kommunist, der nicht bewiesen hat, dass er es versteht, die Arbeit der Fachleute zusammenzufassen und unauffällig zu leiten, in der Weise, dass er in das Wesen der Dinge eindringt und sie bis ins Einzelne studiert, ein solcher Kommunist ist oft schädlich. Solcher Kommunisten haben wir viele, und ich möchte sie gern dutzendweise für einen einzigen, sein Fach gewissenhaft studierenden und beherrschenden bürgerlichen Fachmann hergeben.

Die Kommunisten, die außerhalb der Staatlichen Kommission für Elektrifizierung stehen, können die Schaffung und Durchführung des einheitlichen Wirtschaftsplans in zweifacher Weise fördern. Sind sie Ökonomen, Statistiker oder Literaten, so sollen sie zunächst unsere eigene praktische Erfahrung studieren und erst nach eingehendem Studium der eigentlichen Tatsachen die Beseitigung der Fehler, die Verbesserung der Arbeit empfehlen. Das Studieren ist Sache der Gelehrten, und da es sich bei uns schon längst nicht mehr um allgemeine Prinzipien, sondern eben um die praktische Erfahrung handelt, ist uns wiederum ein, wenn auch bürgerlicher, aber gut beschlagener „Fachmann der Wissenschaft und der Technik“ zehnmal wertvoller als ein eingebildeter Kommunist, der zu jeder Tages- und Nachtzeit bereit ist, „Thesen“ zu schreiben, „Losungen“ aufzustellen, nackte Abstraktionen zu kredenzen. Mehr Tatsachenkenntnis und weniger Wortgefechte, die auf kommunistische Grundsätzlichkeit Anspruch erheben.

Anderseits muss der Kommunist, wenn er Administrator ist, es als seine erste Pflicht betrachten, sich vor übereifrigem Kommandieren zu hüten, er muss es verstehen, erst dem, was die Wissenschaft schon vollbracht hat, Rechnung zu tragen, sich zuerst zu erkundigen, ob die Tatsachen nachgeprüft sind, erst durchzusetzen, dass (in Vorträgen, in der Presse, in Versammlungen usw.) studiert wird, wo wir einen Fehler gemacht haben, und erst auf dieser Basis das Getane zu korrigieren. Weniger Machthabermanieren („ich kann bestätigen, kann auch nicht bestätigen“), mehr Studium unserer Fehler in der Praxis.

Es ist schon längst bemerkt worden, dass die Mängel der Menschen zum größten Teil mit ihren Vorzügen zusammenhängen. Das gilt auch von den Mängeln vieler leitender Kommunisten. Jahrzehntelang arbeiteten wir an einem großen Werk, propagierten den Sturz der Bourgeoisie, lehrten Misstrauen gegen die bürgerlichen Fachleute, stellten sie bloß. Dann haben wir ihnen die Macht genommen, haben ihren Widerstand unterdrückt. Ein großes, weltgeschichtliches Werk. Man braucht aber nur ein wenig zu übertreiben, und schon bewahrheitet sich der Ausspruch, dass vom Erhabenen zum Lächerlichen nur ein Schritt ist. Wir haben Russland überzeugt, haben im Kampf den Ausbeutern Russland für die Werktätigen entrissen, die Ausbeuter unterdrückt – wir müssen nun lernen, Russland zu regieren. Dazu muss man sich Bescheidenheit und Achtung vor der sachlichen Arbeit der „Fachleute der Wissenschaft und der Technik“ aneignen, dazu muss man lernen, sachlich und aufmerksam unsere zahlreichen in der Praxis begangenen Fehler zu anlysieren und sie allmählich, aber unermüdlich zu korrigieren. Weniger Intellektuellen- und Bürokratendünkel, mehr Studium dessen, was uns unsere praktische Erfahrung im Zentrum und überall im Lande lehrt, und dessen, was uns die Wissenschaft bereits gegeben hat.

21. Februar 1921.

1 Der Artikel „Über den einheitlichen Wirtschaftsplan“, der von Lenin im Februar 1921 geschrieben wurde und in der „Prawda" Nr. 39 vom 22. Februar 1921 erschien, bezweckte eine Verteidigung des Planes zur Elektrifizierung des Landes, der von der Staatlichen Kommission zur Elektrifizierung Russlands unter der Leitung Lenins im Jahre 1921 ausgearbeitet und vom VIII. Rätekongress als Grundlage angenommen wurde. Der Artikel richtet sich gegen den „intellektuellenhaften und bürokratischen Eigendünkel“ gewisser „Sowjetwürdenträger“ und gewisser „kommunistischer Literaten“, die die Vollendung und Bestätigung des Planes der Staatlichen Kommission zur Elektrifizierung Russlands, mit der das Allrussische Zentralexekutivkomitee, der Rat der Volkskommissare, der Rat für Arbeit und Landesverteidigung und das Präsidium des Obersten Volkswirtschaftsrates vom VIII. Rätekongress beauftragt wurden, hemmten. Lenins Artikel, der den Plan der Staatlichen Kommission zur Elektrifizierung Russlands als den „einzigen wissenschaftlichen“ Plan der damaligen Zeit, der nicht bloß die Elektrifizierung des Landes, sondern auch den gesamten sozialistischen Wirtschaftsaufbau vorzeichnet, als „einheitlichen Wirtschaftsplan“ verteidigt, enthält eine Reihe wertvollster Hinweise über die Art und Weise, wie an einem solchen Plan gearbeitet werden muss, wie wirklich an der Erfüllung der Pflichten eines „kommunistischen Literaten“ und Sowjetadministrators gearbeitet werden muss, ohne dabei in „kommunistischen Eigendünkel“ zu verfallen, und wie speziell der Wirtschaftsplan auf Grund des Studiums der zentralen und lokalen Praxis verbessert werden kann. […] Aus dem Tätigkeitsbericht des Rates der Volkskommissare auf dem VIII. Rätekongress geht hervor, dass Lenin die Ausführung des Elektrifizierungsplans als Voraussetzung für den „endgültigen“ Sieg des Sozialismus in unserem Lande betrachtete. „Erst dann, wenn das Land elektrifiziert sein wird … erst dann werden wir endgültig siegen“, sagt Lenin auf dem VIII. Rätekongress. [Ausgewählte Werke, Band 8, Anmerkung 108]

2 Im Text des zitierten Werkes nicht gesperrt. Die Red.

3 Im Text des zitierten Werkes sind die in Anführungszeichen angeführten Worte in Fettschrift gedruckt. Die Red.

4 Im Text der zitierten Resolution keine Sperrung. Die Red.

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