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Wladimir I. Lenin 19150303 Über die Londoner Konferenz

Wladimir I. Lenin: Über die Londoner Konferenz

[Sozialdemokrat Nr. 39, 3. März 1915. Nach Sämtliche Werke, Band 18, Wien-Berlin 1929, S. 153-155]

Wir bringen im Auszug einen Brief des Vertreters der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Russlands:

London, den 14. Februar 1915. Gestern Nacht erhielt ich vom Sekretär der Britischen Sektion der Internationale die Adresse der Konferenz, als Antwort auf mein Schreiben, in dem ich, ohne mich um eine Einladung zu drängen, meine Adresse mitgeteilt hatte. Ich beschloss hinzugehen, um zu versuchen, eine Erklärung zu verlesen. Ich traf von den Sozialrevolutionären Rubanowitsch (von den Sozialchauvinisten), Tschernow und Bobrow von der ,Mysl; vom Organisationskomitee M-ski, der mit Martow zusammen delegiert ist; letzterer erschien nicht, weil er die Einreiseerlaubnis nicht erhielt. Es waren 11 Delegierte aus England (Keir Hardie als Vorsitzender, MacDonald u. a.), 16 aus Frankreich (Sembat, Vaillant u. a.), 3 aus Belgien (Vandervelde u. a.) anwesend.

Der Vorsitzende eröffnete die Konferenz mit der Mitteilung, ihr Zweck sei der Austausch der Meinungen, nicht aber die Annahme von Resolutionen. Einer der Franzosen bringt einen Zusatzantrag ein: – warum nicht die Auffassung der Mehrheit durch eine Resolution bekräftigen? Wird schweigend angenommen.

Auf der Tagesordnung: 1. die Rechte der Nationen – Belgien, Polen; 2. die Kolonien; 3. die Friedensgarantien. Es wird eine Mandatprüfungskommission gewählt (Rubanowitsch u. a.). Es wird beschlossen, dass von jedem Land je ein Vertreter kurz über die Stellungnahme zum Kriege berichtet. Ich ergreife das Wort und lege gegen die Nichteinladung des offiziellen Vertreters unserer Partei im Internationalen Sozialistischen Büro Protest ein. (Genosse Maximowitsch, schon lange, seit über einem Jahr, als Delegierter unserer Partei Mitglied des Internationalen Büros, mit ständigem Aufenthalt in London.) Der Vorsitzende unterbricht mich mit Berufung darauf, dass alle geladen worden seien, ,die bekannte Namen trügen“. Ich protestiere zum zweiten Mal gegen die Nichtbenachrichtigung der tatsächlichen Vertreter. Dann verweise ich auf unser Manifest (siehe ,Sozialdemokrat' Nr. 33: ,Der Krieg und die russische Sozialdemokratie), das unsere allgemeine Stellungnahme zum Kriege darlegt und dem Internationalen Sozialistischen Büro übersandt worden ist. Bevor man über Friedensbedingungen spreche, müsse man klarmachen, mit welchen Mitteln wir für die Herbeiführung des Friedens zu wirken hätten, und zu diesem Zweck müsse man feststellen, ob eine allgemeine revolutionäre sozialdemokratische Basis existiere, ob wir als Chauvinisten, Pazifisten oder Sozialdemokraten konferieren. Ich verlese unsere Erklärung, doch der Vorsitzende lässt mich nicht zu Ende reden, erklärt, dass meine Stellung als Delegierter noch nicht geklärt sei (!!) und dass sie sich ,nicht zur Kritik an den verschiedenen Parteien' versammelt hätten (!!!). Ich erkläre, dass ich nach dem Bericht der Mandatprüfungskommission meine Rede fortsetzen werde. (Der Text der Erklärung, die man uns nicht zur Vorlesung bringen ließ, wird in der nächsten Nummer gedruckt.)

Kurze Erklärungen über die allgemeine Stellungnahme werden von Vaillant, Vandervelde, MacDonald, Rubanowitsch abgegeben. Auf Grund des Berichts der Mandatprüfungskommission wird dann M-ski der Vorschlag gemacht, selbst zu entscheiden, ob er allein das Organisationskomitee vertreten könne, mir aber wird ,gestattet', an der Konferenz teilzunehmen. Ich danke der Konferenz für die ,Liebenswürdigkeit' und will die Deklaration fortsetzen, um festzustellen, ob ich bleiben kann. Der Vorsitzende unterbricht mich: er erlaube mir nicht, der Konferenz ,Bedingungen' zu stellen. Dann ersuche ich um die Erlaubnis, mitteilen zu dürfen, aus welchen Gründen ich an der Konferenz nicht teilnehmen werde. Abgelehnt. – Dann gestatte man mir mitzuteilen, dass die Sozialdemokratische Arbeiterpartei Russlands an der Konferenz nicht teilnimmt; über die Gründe werde ich bei dem Vorsitzenden eine schriftliche Erklärung hinterlassen. Ich packe die Papiere zusammen und gehe …

Dem Vorsitzenden wurde eine Erklärung des Vorsitzenden des ZK der Lettischen Sozialdemokratie (B-in) überreicht, in der dieser mitteilt, dass er sich unserer Deklaration voll und ganz anschließe.“

Den Konferenzdelegierten wurde verboten, irgendwelche Mitteilungen an die Presse zu machen; aber das bezieht sich auf den Abgang des Genossen Maximowitsch natürlich nicht, und das Organ, an dem Keir Hardie mitarbeitet, Labour Leader, hat auch Maximowitschs Ausscheiden aus der Konferenz schon vermerkt und seinen Standpunkt in allgemeinen Zügen geschildert.

Wir können auf die Londoner Konferenz und ihre Resolutionen aus Raummangel erst in der nächsten Nummer zurückkommen. Vermerken wir einstweilen nur die absolute Unbrauchbarkeit dieser Resolutionen, die nur den Sozialchauvinismus bemänteln.

Die russische Vertretung zeigt folgendes Bild: Das Zentral-Komitee und die lettischen Sozialdemokraten sind klar und entschieden gegen den Sozialchauvinismus. Das Organisationskomitee der Liquidatoren lässt nichts von sich hören oder steht nur im Wege. Bei den Sozialrevolutionären ist die „Partei“ (Rubanowitsch) für den Sozialchauvinismus, die „Mysl“ (Bobrow und Tschernow) in einer Opposition, die wir erst dann beurteilen werden, wann wir erfahren haben, welcher Art ihre Erklärung ist.

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