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Karl Liebknecht 19140501 Gegen den Missbrauch der Wissenschaft

Karl Liebknecht: Gegen den Missbrauch der Wissenschaft

Rede im preußischen Abgeordnetenhaus zum Kultusetat

[Nach Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Preußischen Hauses der Abgeordneten, 22. Legislaturperiode, II. Session 1914/15, 5. Bd., Berlin 1914, Sp. 5905-5919 und nach Karl Liebknecht, Gesammelte Reden und Schriften, Band 7, S. 195-219]

Meine Herren, mit dem Doktortitel und anderen Bagatellen dieser Art werde ich mich nicht beschäftigen. Der Doktortitel ist seit langer Zeit entwertet und besitzt fast nur noch die Bedeutung einer Dekoration. Das weiß jeder einzelne, der die Gelegenheit gehabt hat, in diese Dinge hineinzusehen. Jeder Durchschnittsverstand genügt, und im Übrigen ist es eine Geldfrage: Wer das Geld für den Doktortitel bezahlen kann, macht ihn, wer das Geld nicht bezahlen kann, macht ihn nicht.

Wir haben leider immer noch kein Universitätsgesetz, noch nicht einmal ein Ansatz zur Regelung des Studentenrechtes ist vorhanden. In Bayern ist inzwischen eine Art Studentenrecht geschaffen worden, allerdings, wie ich betone, in nicht gerade sehr erfreulicher Weise, so dass ich das bayerische Studentenrecht keineswegs etwa für Preußen als Vorbild empfehlen möchte. Freilich hege ich nicht die Hoffnung, dass ein preußisches Studentenrecht, wenn es unter der Ägide des heutigen Ministers und dieses Hauses gemacht werden würde, besser würde als das bayerische.

Herr Dr. Lohmann hat sich gestern gegen die Wünsche der Sozialdemokratie nach Verbreiterung der Basis, aus der sich die Studenten rekrutieren, gewandt; er hat von der Überfüllung der gelehrten Berufe gesprochen und daraus die Berechtigung seines Einwandes herzuleiten geglaubt, das ist durchaus falsch. Wir Sozialdemokraten denken natürlich nicht daran, künstlich ein Gelehrten-Proletariat zu schaffen. Wir haben nicht die Absicht, eine Unmasse von Akademikern in die Welt zu setzen, für deren Gelehrsamkeit und sonst erworbene Tüchtigkeit innerhalb unseres sozialen Organismus keine Verwendung ist. Was wir in erster Linie unter der Voraussetzung des jeweils gegebenen gesellschaftlichen Bedarfs an Akademikern erstreben, ist, dass diese Akademiker nicht ausschließlich aus den besitzenden Kreisen genommen werden,

(„Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten.)

sondern durch eine von den heutigen Besitzverhältnissen losgelöste Auswahl der Tüchtigsten und Geeignetsten aus allen Kreisen des Volkes. Heute ist der Akademiker nicht der Klügste, nicht der Tüchtigste, sondern ein in der Wahl seiner Eltern vorsichtig Gewesener.

(„Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten.)

Und wie viel Intelligenz, die sehr wohl über die Intelligenz des Durchschnitts der heutigen Akademiker hinausgehen kann, liegt brach und unverwendet für die allgemeinen gesellschaftlichen Interessen infolge der unglückseligen kapitalistischen Besitz- und Einkommensverteilung.

Dass die soziale Zusammensetzung der Studentenschaft, abgesehen hiervon, noch durch zahlreiche andere Umstände ungünstig beeinflusst wird, das habe ich schon in früheren Jahren ausgeführt. Die Jugend der unteren Schichten kann – ganz abgesehen von den hohen direkten Kosten – nicht studieren, ja nicht einmal die höheren Schulen besuchen, weil die Eltern ihre Arbeitskraft sofort nach Absolvierung der Volksschule brauchen und sie auch nicht bis zur Erlangung eines akademischen Erwerbs unterhalten.

Es ist ja auch nur mit Hängen und Würgen gelungen, eine formelle Reform in Bezug auf die Zulassung der Volksschullehrer zum Universitätsstudium zu erreichen. Diese Reform ist aber nur rein formell. Einen größeren materiellen Wert kann sie mit Rücksicht auf die eben erwähnten sozialen Unterlagen nicht haben.

Unsere Studentenschaft ist politisch in einer durchaus ungünstigen Lage. Die Studenten haben kein freies Vereins- und Versammlungsrecht und müssen es sich gefallen lassen, dass ihnen selbst bei rein wissenschaftlicher Betätigung von der Aufsichtsbehörde, von dem Senat und dem Universitätsrichter, unausgesetzt Schwierigkeiten bereitet werden. Es ist bekannt, in welcher Weise die Freistudentenschaft1 verfolgt worden ist. Noch vor wenigen Monaten ist es dem sozialdemokratischen Stadtverordneten Seemann untersagt worden, einen Vortrag über die freien Gewerkschaften in der Königsberger freien Studentenschaft zu halten. Der Prorektor der Universität, Gerlach, ein konservativer Nationalökonom, hatte diesen Vortrag verboten. Dieses Vorgehen ist nur ein Glied in der Kette des Vorgehens gegen die Freistudentenschaft und gegen alle Bestrebungen innerhalb der Studentenschaft, sich möglichst „voraussetzungslos" ein Urteil über unsere sozialen Verhältnisse sowie über die verschiedenen politischen und sozialen Strömungen, die unsere Zeit erfüllen, auch über die Sozialdemokratie, zu bilden. Man kann uns nicht etwa weismachen wollen, dass gegen solche Vorträge eingeschritten werde, weil man die Politik überhaupt von der Studentenschaft fernhalten wolle. Das behaupten Sie sogar nicht einmal. Die Studentenschaft kann ja von der Politik auch gar nicht ferngehalten werden, und obwohl der Herr Kultusminister nach der jüngsten Reichsgerichtsentscheidung über die Kabinettsorder von 18542 jetzt ein volles Dispositionsrecht über Vorträge usw. hat, die vor Studenten gehalten werden, weil sie ja als Jugendliche angesehen werden, deren Unterweisung dem Unterrichtserlaubniszwang unterliegt, so macht er davon doch fast keinen Gebrauch, weil das ein Ding der Unmöglichkeit wäre. Wir erleben es ja, wie konservative Politik unter den Studenten ganz ungeniert getrieben wird und wie man Politiker aller Richtungen vor den Studenten nach Herzenslust reden lässt, wenn man die Politik nicht gar unmittelbar in die Hörsäle hinein trägt Nur bei Sozialdemokraten, bei denen man sogar dann und wann einen Unterschied der Nuance macht, werden solche Schwierigkeiten bereitet!

Meine Herren, die preußische Regierung kann nicht vertragen, wenn sich Studenten politisch freiheitlich betätigen, so wenig wie man es bekanntlich in Greifswald hat vertragen können, dass sich ein Teil der Studentenschaft allzu energisch mit der Abstinentenbewegung eingelassen hat. Wenn sich allerdings – und das ist so charakteristisch – in der Studentenschaft für Forderungen, deren Berechtigung Sie als Vertreter der besitzenden Klassen anerkennen, Bewegungen zeigen, die Sie sonst aufs äußerste verfemen, dann sieht man nicht, dass der Knüppel des Rektors oder des Universitätsrichters dazwischenfährt. Wir konnten die Beobachtung schon bei dem Klinikerstreik in Halle3 machen, mit welcher Sanftmütigkeit die Universitätsbehörden, auch die Herren aus diesem Hause, das Hineintragen dieses verfemten Kampfmittels der Sozialdemokratie und der Gewerkschaften in die Universitäten hingenommen haben. Jetzt haben wir den Streik der Studenten der Zahnheilkunde wegen des Doktortitels erlebt: Wir haben keinerlei Entrüstung darüber gehört, dass die Studenten sich des Mittels des Streiks bedient haben.

Es ist auch sehr charakteristisch, dass gewisse Studentenvereine als Versorgungsanstalten betrachtet werden, dass zum Beispiel die studentischen Korps in erster Linie als Aushebungsgebiet für unsere höchsten Staatsstellen in Frage kommen. Es gilt besonders von den Bonner Borussen, aus denen ein großer Teil unserer höheren Diplomatie und unserer höchsten Staats- und Reichsbeamten entstammt. Der letzte Fall war ja der, dass nach Rom an Stelle des Herrn von Jagow wiederum ein Bonner Borusse geschickt wurde.

Ich will mich nicht befassen mit der Frage der Sittlichkeit an den Universitäten und mit der Frage des studentischen Wohnungswesens. Ich habe im vergangenen Jahre Gelegenheit gehabt, mich mit der Sittlichkeit in Münster zu beschäftigen. Es wird Ihnen erinnerlich sein, dass ich zu gewissen kritischen Äußerungen über die sittlichen Zustände an dieser Universität nicht aus eigener Initiative kam, sondern nur in Abwehr gewisser Hetzereien gegen die Universitäten in den großen Städten, deren Sittlichkeit man gegenüber derjenigen in den kleineren Universitätsstädten als eine minderwertige bezeichnete. Da hielt ich es für nötig, darauf hinzuweisen, dass auch in den kleinen Universitätsstädten manchmal verrottete Zustände herrschen, so dass es ganz verfehlt ist, solche allgemeinen Urteile abzugeben. Inzwischen, meine Herren, dürfte ja wohl niemand mehr einen Zweifel daran hegen, dass meine damaligen Bemerkungen zutreffend gewesen sind.

Ein sehr wichtiges Kapitel ist das Frauenstudium. Die Zahl der Frauen an den Universitäten Deutschlands ist im Sommer 1913 gegenüber 1912 auf 3436 gegen 2958 gestiegen. Im Jahre 1908 waren es erst 1108, also seit fünf Jahren hat mehr als eine Verdreifachung stattgefunden, und die Vergrößerung dieser Zahl hält an. Wir Sozialdemokraten wissen, dass das Frauenstudium für die Proletarierinnen noch nicht in Frage kommt, dass es sich gegenwärtig im Grunde genommen nur um die Frauen der Bourgeoisie, der besitzenden Klassen handelt, die man an der Universität zulässt. Das hindert uns aber keineswegs, wie wir das ja auf anderen Gebieten ebenso tun, uns mit all unserem Einfluss, mit der vollen Überzeugung, hier ein Interesse der Allgemeinheit zu vertreten, dafür einzusetzen, dass das Frauenstudium allgemein und unbeschränkt zugelassen wird, dass man endlich dazu übergeht, die Frauen auch in dieser Beziehung als völlig gleichberechtigte Staatsbürger zu behandeln.

(„Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten.)

Ich werde gleich Gelegenheit haben, mit einigen Herren abzurechnen, mit einigen hinterwäldlerischen Professoren, die sich gegenüber dieser Frage noch auf einem mittelalterlichen Standpunkt halten.

Ich komme zu der Ausländerfrage. Die Ausländer an den deutschen Universitäten sind, so hieß es, eingeschränkt worden. Tatsächlich bezieht sich der Numerus clausus oder die Prozentualisierung, die im Herbst vorigen Jahres für die preußischen Universitäten eingeführt worden ist, nicht allgemein auf die Ausländer, sondern speziell auf die russischen Studenten. Das ist mit einem gewissen Zynismus auch offen zugegeben worden. Man spricht von der slawischen Invasion und sucht sich dagegen zu wenden. Es ist behauptet worden, dass es sich hierbei um eine Notwehraktion der Universitäten, der deutschen Studenten gegenüber den Ausländern handle. Das ist nichts als eine überlegte Unwahrheit. Die Hatz gegen die Ausländer ist ausgegangen von einigen Universitäten, an denen die Ausländer fast keine Rolle spielen, wo das Eindringen von einigen jüdischen Russen dem Antisemitismus und allen den reaktionären Instinkten, die in solchen Borussenseelen zu schlummern pflegen, zur Belebung verholfen hat. Der Klinikerstreik in Halle ist keineswegs als eine Notwehr anzusehen gewesen. In Wahrheit haben wir es hier mit einer reaktionären Erscheinung gehässiger und kulturwidriger Art zu tun. Man hat auf den preußischen Universitäten nicht überall die gleiche Methode angewandt. An einigen Universitäten ist ein einfacher Numerus clausus, eine Begrenzung der Zahl, eingeführt. An anderen Universitäten macht man zur Voraussetzung, abgesehen von der Begrenzung der Zahl, dass der betreffende Student bereits in seiner Heimat, in diesem Falle in Russland, studiert hat. Meine Herren, die Behauptung, dass durch eine derartige Regelung etwa einer gerechten Anforderung entsprochen sei, ist wiederum eine bewusste Unwahrheit. Ich habe bereits im vergangenen Jahre darauf hingewiesen. Der Grund, der die große Zahl jüdischer russischer Studenten aus Russland nach Deutschland treibt, ist, dass sie in Russland zum Studium gar nicht zugelassen werden.

(„Hört! Hört!" bei den Sozialdemokraten.)

Von diesen Studenten zu fordern, dass sie erst in Russland studieren, ehe man sie in Deutschland zulässt, heißt sie einfach überhaupt vom Studium in Deutschland ausschließen.

(„Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten.)

Das ist natürlich auch der Zweck der Übung, wenn man ihn auch mit einem pharisäischen Mäntelchen der Scheinheiligkeit behängt. Das ist verwerflich! Mag man lieber offen zugeben, dass man die Leute ein für allemal von den Universitäten ausschließen will.

Meine Herren, an der Berliner Universität ist im letzten Wintersemester kein einziger Student aus Russland mehr aufgenommen worden, weder in den medizinischen noch in anderen Fakultäten.

(„Hört! Hört!" bei den Sozialdemokraten.)

Es ist die Höchstzahl auf 140 in der medizinischen Fakultät festgestellt worden; im letzten Wintersemester ist in Königsberg kein Russe aufgenommen worden. Genauso steht es in Breslau, wo der Numerus clausus eingeführt und außerdem an der Technischen Hochschule für die Aufnahme von Ausländern, von Russen, noch die besondere Genehmigung des Ministers vorgeschrieben worden ist. In Bonn und in Erlangen wird, abgesehen von dem Numerus clausus, das Heimstudium verlangt, das Heimstudium, das ich eben bereits charakterisiert habe, das nichts als eine feste Barriere zur Ausschließung der ausländischen Studenten bedeutet.

Meine Herren, nun zu der Behauptung, dass die Zahl der Ausländer an den deutschen Universitäten besonders groß gewesen und dadurch der Eingriff nötig geworden sei. Hier einige Ziffern. An 21 deutschen Universitäten mit etwa 58.000 Studenten befanden sich 1912/13 nur 4,1 Prozent Studenten aus Russland, unter 100 also rund 4, an 11 technischen Hochschulen mit rund 12.000 Studenten 7,5 Prozent, an 4 Handelshochschulen 12,2 Prozent, an 3 Bergakademien 13,3 Prozent, an 2 tierärztlichen Hochschulen 6,1 Prozent. Der Durchschnitt von 57 Hochschulen der verschiedenen Art beläuft sich auf 5 Prozent. Unter diesem Prozentsatz bleiben die Universitäten mit 4,1 Prozent zurück. Und doch sind gerade bei den Universitäten die rücksichtslosesten Maßregeln gegen die Ausländer ergriffen worden, während bei den Handelshochschulen, Bergakademien, tierärztlichen Hochschulen entweder gar keine Maßregeln getroffen worden sind oder jedenfalls nur geringfügige.

Ich meine, diese Darlegungen beweisen auf das schlagendste, dass wir es hier nicht mit einem wohlbegründeten Vorgehen im Interesse der deutschen Studentenschaft zu tun haben, sondern mit einem reaktionären Akte, der einfach zu dem reaktionären Gesamtbild unserer deutschen inneren Verhältnisse gehört. Wir können nicht daran zweifeln, dass die Abneigung gegen die ausländischen, speziell die russischen Studenten ihren Grund zum Teil darin hat, dass man in diesen Studenten politisch missliebige Elemente sieht, abgesehen natürlich von dem Antisemitismus, der hierbei mitspielt.

Dass das ein wesentlicher Gesichtspunkt ist, beweisen uns die immer wieder auftauchenden politischen Maßregelungen gegen die russischen Studenten, das beweist uns die längst notorische enge Solidarität zwischen unserer politischen Polizei und den Universitäten gegenüber den russischen Studenten. Es ist bekannt, dass an den deutschen Universitäten kein russischer Student aufgenommen wird, der nicht ein polizeiliches Führungszeugnis aus seiner Heimat bringt, ein Zeugnis, das sich speziell auch über seine politische Führung auslassen muss. Wir wissen, wie sich unsere Universitätsbehörden nicht schämen, mit den russischen Konsulaten zur Ermittlung der politischen Führung der russischen Studenten in Verbindung zu treten.

Es liegt mir hier ein Schreiben des russischen Generalkonsuls von Hamm vor, aus dem Dezember 1911. Dieses Schreiben ist an das Sekretariat der Berliner Universität gerichtet und lautet folgendermaßen:

Der russische Kaufmannssohn N. N. hat den Gouverneur zu N. N. gebeten, ihm ein Sittenzeugnis auszustellen zum Eintritt in die Berliner Universität."

Infolgedessen teilt der Gouverneur dem Kaiserlichen Generalkonsulat streng vertraulich mit, dass N. N. als Gymnasiast in … dringend verdächtig war, zum Revolutionskomitee von 1906 gehört zu haben. In seiner Wohnung fanden geheime Zusammenkünfte statt, wurden parteipolitische Fragen erörtert; auch hat er in … unter den Bürgern verbrecherische Aufrufe verteilt. Dafür wurde er 1906 vom Gymnasium relegiert.

Das Kaiserliche Generalkonsulat"

heißt es –

hält es für seine Pflicht, das Sekretariat der Universität von oben Gesagtem zu verständigen, falls N. N. sich melden sollte."

Meine Herren, also – ungefähr ein halbes Jahr nach dem schrecklichen Fall Dubrowsky – eine Denunziation bereits im Voraus, ausgehend von dem russischen Generalkonsulat, gestützt auf angebliche politische Vergehen aus dem Jahre 1906, aus der Revolutionszeit, angebliche politische Vergehen, deren sich der junge Mann im fünfzehnten Lebensjahre schuldig gemacht haben soll.

Meine Herren, die Berliner Universität hat nicht etwa daraufhin dem Generalkonsul den Wisch zurückgeschickt und ihm gesagt: Was fällt Ihnen ein, sich in unsere Angelegenheiten zu mischen; sie hat dieses Schreiben des Generalkonsuls sorgfältig, vorsichtig, voll Achtung behandelt. Aus den Vermerken auf dem Schreiben geht übrigens auch hervor, dass über die politische Führung dieses Studenten bereits vorher vom Polizeipräsidium Berlin eine Auskunft eingezogen war.

Meine Herren, der Vorgang, den ich Ihnen hier vorgetragen habe, zeigt, dass die Berliner Universitätsverwaltung daran gewöhnt ist, mit dem russischen Generalkonsulat in engster Fühlung zu stehen, und dass solche Auskünfte snichts Außergewöhnliches sind.

Ich halte es für nötig, auch in diesem Zusammenhange zurückzukommen auf den Fall Lunatscharski. Dieser, ein bekannter russischer Schriftsteller, der zur Zeit in Paris lebt, war von einem hiesigen russischen Studentenverein, der offiziell existiert, für Ende Februar 1914 zu zwei Vorträgen eingeladen worden, einem über Maxim Gorki und einem über Verhaeren. Die Vorträge waren der Polizei monatelang vorher mitgeteilt und [von ihr] genehmigt worden. Lunatscharski kommt, der erste Vortrag geht ohne jeden Zwischenfall vor sich; aus dem zweiten Vortrage heraus wird er von der Polizei verhaftet,

(Abgeordneter Haenisch: „Hört! Hört!")

abgeführt, in Polizeigewahrsam genommen und dann per Schub über die Grenze gejagt. Dieses Vorgehen der Polizeiverwaltung ist, davon sind wir überzeugt, zurückzuführen auf eine schmutzige Denunziation, und zwar wahrscheinlich aus den Kreisen der echt russischen Studentenschaft hier in Berlin selbst; denn das sei geklagt: Es gibt unter den russischen Studenten hier in Berlin und anderwärts leider seit der Revolution von 1905 auch Elemente, die sich nicht schämen, Partei zu ergreifen gegen die verfolgten russisch-jüdischen Studenten und sich sogar der deutschen Polizei als Handlanger anzubieten gegen ihre eigenen Landesgenossen. Einen Beweis dafür, dass es solche Schamlosigkeiten und Ehrlosigkeiten unter russischen Studenten hier in Berlin gibt, bietet kein Geringerer als der Sohn des russischen Generalkonsuls von Hamm, der sich nicht gescheut hat, nachdem der Fall Lunatscharski sich ereignet hatte, nachdem in der Presse Rekriminationen darüber standen, in der „Deutschen Tageszeitung", diesem reaktionären Organ, einen Hetzartikel loszulassen unter Denunziation der russisch-jüdischen Studenten im Allgemeinen und des russischen Studentenvereins, der den Vortrag des Lunatscharski veranstaltet hat, im Speziellen. Eine größere Würdelosigkeit und Niedrigkeit kann man sich nicht wohl denken. Wenn die deutsche Universitätsverwaltung auf Anstand, Sittlichkeit und Ehrgefühl in der Studentenschaft hält, und zwar auch gerade bei den Ausländern, dann, meine ich, wäre es ihre Pflicht, gegen Leute vorzugehen, die eine solche Depravation jeder moralischen Empfindung gezeigt haben,

(„Sehr wahr!" bei den Sozialdemokraten.)

eine solche Verrohung der Empfindung wie dieser Student, der Sohn des russischen Generalkonsuls, dem sicher in Preußen keine Schwierigkeiten gemacht werden, ebenso wenig wie den russischen Spitzeln. Diese Schikanen sind ja nur den anständigen Russen gegenüber da, die sich in Deutschland aufhalten.

Ich komme auf ein anderes Kapitel. Die Frage der Unabhängigkeit der Wissenschaft auf den Universitäten ist außerordentlich schwer. Meine Herren, man kann mit Fug sagen, dass es eine Selbsttäuschung ist, wenn man überhaupt von der Möglichkeit einer voraussetzungslosen Wissenschaft spricht – abgesehen von dem Gebiet der rein exakten Wissenschaften. Die reinen Geisteswissenschaften, insbesondere alle, die die menschlichen Gesellschaftsverhältnisse und Interessen betreffen, sind überall von Voraussetzungen nicht unabhängig, sondern ganz wesentlich durch Voraussetzungen bestimmt. So sehr wir wissen, dass es eine sichere, objektive Wahrheit geben muss, so sehr wissen wir doch auch, dass die Erkenntnis dieser sicheren Wahrheit eine ungeheuer schwierige Sache ist, dass innerhalb der menschlichen Geistesarbeit, die zur Findung der Wahrheit führt, ungezählte Abwege und Irrwege auch für diejenigen vorhanden sind, die sie nicht einmal express suchen, sondern am liebsten den richtigen, geraden Weg zur Wahrheit gehen möchten. Da spielen die instinktiven Bestimmungsmomente der menschlichen Psychologie eine so ungemein ernste Rolle und natürlich auch diejenigen psychologischen Dispositionen, die sich speziell aus der Klassenzugehörigkeit des einzelnen ergeben.

(„Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten.)

Es ist deshalb kein Allheilmittel zur Sicherung voraussetzungsloser Wissenschaftlichkeit, etwa die Selbstverwaltung der Universitäten zu sichern. Ich zweifle nicht einen Moment daran, dass unter den heutigen Umständen eine absolute Selbstverwaltung der Universitätsfakultäten dazu auch keinesfalls ausreichen würde. Auch da würde gewiss das Cliquenwesen und all die anderen Hemmungen, die sich aus dem kapitalistischen Charakter unserer heutigen Gesellschaftsordnung ergeben, einer wirklichen Voraussetzungslosigkeit, soweit sie an und für sich menschenmöglich wäre, entgegenstehen. Es lassen sich eben auch solche Fragen wie die der Freiheit der Wissenschaft, wie die der Unabhängigkeit der Wissenschaft nicht losgelöst von der Frage der Reform der übrigen politischen und sozialen Institutionen entscheiden.

(„Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten.)

Nur im Zusammenhang mit all der langsamen Kultivierungsarbeit, die im sozialdemokratischen Sinne an unserer heutigen Gesellschaftsordnung geleistet wird, kann nach und nach auch eine größere Freiheit für die Wissenschaft im rechten Sinne des Wortes erkämpft werden.

Meine Herren, aber nicht einmal in dem plumpen, brutalen Sinne kann man von einer Freiheit der Universitäten sprechen, wie sie wohl organisatorisch möglich wäre. Ich habe im vergangenen Jahre Ihnen den Fall der entmündigten Theologiefakultät in Marburg vorgetragen. Die Schrift des Professors Jülicher4 war Gegenstand unserer Verhandlungen. Ich muss schon sagen, dass es mich einigermaßen sonderbar angemutet hat, dass ich in einer Zeitschrift des evangelischen Liberalismus, der „Evangelischen Freiheit", gewisse Lobsprüche auf mich habe lesen müssen, weil ich der einzige gewesen sei, der sich damals der Freiheit der Fakultät angenommen habe, Lobsprüche, die den Herrn so süßsauer vom Munde fließen, dass man ihnen ganz deutlich anmerkt, wie sehr sie sich danach gesehnt hatten, dass von bürgerlichen Parteien ein einziges energisches Wort für sie eingelegt worden wäre, und wie sie nur in ihrer hellen Verzweiflung leider nicht mehr bestreiten können, dass die Sozialdemokratie hier der einzige Hort der Freiheit – der theologischen Fakultät in Marburg gewesen ist! Das ist natürlich eine Tatsache, die zur Satire herausfordert.

(„Sehr gut!" bei den Sozialdemokraten.)

Weiter die Rechtlosigkeit der Dozenten! Hinsichtlich der außerordentlichen Professoren kann ich mich nur all dem anschließen, was von verschiedenen Seiten geäußert worden ist. Es ist meiner Ansicht nach durchaus nicht am Platze, die Dozenten, die nicht zu den ordentlichen Professoren gehören, von der Mitwirkung an der Verwaltung der Universität, der Gestaltung des Lehrplans usw. auszuschließen, so dass sie fünfte Räder am Wagen sind.

Wir halten aber auch die Frage der Rechte der Privatdozenten für sehr wichtig, ja noch für wichtiger als die der außerordentlichen Professoren, und zwar deshalb, weil die Privatdozenten die einzigen sind, die noch ohne staatliche Berufung, auf Grund der relativen Selbstverwaltung der Universitäten in ihr Lehramt gestellt werden können, und weil damit immerhin in einem gewissen Umfange der staatlichen Reglementierung der Universitäten entgegengewirkt werden kann, soweit das innerhalb der Grenzen, die ich vorhin bereits im Allgemeinen gezogen habe, möglich ist. Meine Herren, es ist geradezu eine Lebensnotwendigkeit für den letzten Rest von Unabhängigkeit unserer Universitätswissenschaft, dass die Privatdozenten sicherer gestellt werden.

(„Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten.)

Aber natürlich darf diese Sicherstellung nicht gegen eine Bürokratisierung, eine Abhängigmachung der Privatdozenten eingetauscht werden. Wenn aber die Privatdozenten von den Professoren aus ihren Laboratorien hinausgeworfen und so von der Benutzung der wichtigsten Lehr- und Forschungsmittel, die eine Universität bietet, ausgeschlossen werden können,

(„Hört! Hört!" bei den Sozialdemokraten.)

dann ist das ein Grad der Rechtlosigkeit, der einfach nicht mehr mit der Freiheit der Privatdozentur verträglich ist. Es ist dringend notwendig, dass derartigen Schikanen gegen die Privatdozenten, wie sie nach unwidersprochenen Meldungen nicht selten vorgekommen sind, ein für allemal ein Riegel vorgeschoben wird; dagegen sollten meiner Ansicht nach auch die Universitäten ihrerseits Bestimmungen treffen. Ich will die einzelnen Fälle hier nicht anführen, sondern nur darauf hinweisen, dass der Stabsarzt a. D. Professor Zur Netten im „Berliner Tageblatt" – es tut mir leid, dass ich dieses Wort hier aussprechen muss –

(Heiterkeit.)

vom 21. Oktober 1913 auf zwei Fälle solcher Art, die sich in Bonn ereignet haben – einer betraf ihn selbst –, hingewiesen hat.

Dann zu dem Fall Erich Schmidt.5 Meine Herren, ich glaube nicht, dass es sich empfiehlt, die Besetzung des Lehrstuhls von Erich Schmidt bei der Berliner Universität zu behandeln, weil dieser Punkt eine allgemeine Bedeutung hat.

(„Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten.)

Meine Herren, bis zum heutigen Tage ist der Lehrstuhl Erich Schmidts noch nicht besetzt.

(„Hört! Hört!" bei den Sozialdemokraten.)

Er ist nicht besetzt, obwohl nach Auffassung der Fachgenossen eine Anzahl sehr geeigneter Bewerber vorhanden sind, die allerdings die unerfreuliche Eigenschaft haben, Juden zu sein, und infolgedessen selbstverständlich für eine ordentliche Professur nicht in Frage kommen; sie müssten sich denn erst taufen lassen. Meine Herren, bis zum heutigen Tage wird in unwürdiger Weise mit der Frage der Besetzung des Lehrstuhls von Erich Schmidt fort gewurstelt Die Regelung, die jetzt für das Sommersemester 1914 stattgefunden hat, ist etwa so: Roethe liest eine Einleitung in die deutsche Philologie, eine Geschichte der deutschen Literatur des 17. Jahrhunderts und hält dann noch im Seminar Vorlesungen und Vorträge, Heusler wird lesen: Einführung in das germanische Altertum und Eddaübungen leiten; Meyer wird über deutsche Syntax und Goethe lesen, Rödiger über mittelhochdeutsche Lyrik und ausgewählte Kapitel aus der deutschen Volkskunde, Geiger über Schiller und den neueren deutschen Roman. Hiernach haben junge Dozenten zu einem Teil die Vorlesungen übernommen, die mit dem Lehrstuhl Erich Schmidts verbunden sind.

Von den Dozenten, die gegenwärtig das frühere Lehramt von Erich Schmidt ausfüllen, steht in erster Reihe Herr Professor Roethe. Professor Roethe hat die stärkste Anwartschaft darauf, wie es scheint, trotz alledem, obwohl ihm, nach der Auffassung der Fachleute, die wissenschaftliche Qualifikation dazu durchaus abgeht, das Lehramt von Erich Schmidt einzunehmen.

(„Hört! Hört!" bei den Sozialdemokraten.)

Ich verweise auf die Schrift von Professor Kluge in Freiburg aus dem Jahre 1913, „Zur Nachfolge Erich Schmidts", die einem Teil von Ihnen ja auch wohlbekannt sein dürfte und in der auch diese Personalfragen sorgfältig und sachlich erörtert werden. Professor Roethe ist aber eben nicht etwa durch seine „Qualifikation" persona grata und aussichtsreichster Kandidat für die Stelle von Erich Schmidt, sondern durch ganz andere Dinge. Meine Herren, er gehört zur strammsten Kompanie der Leibgarde der Hohenzollern an der Berliner Universität.

(„Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten.)

Professor Roethe, diese Koryphäe der Wissenschaft, hat bei der Jahrhundertfeier der Berliner Universität auf dem Kommers jene köstliche Bierrede gehalten, die er wahrscheinlich für eine politische oder gar wissenschaftliche Rede gehalten hat. Sie wissen, wie in dieser Rede gesprochen ist von der schöpferischen Kraft, die die preußische Militärmusik und der preußische Soldatendrill besitzen; dass es ihn freut, wenn die Militärmusik auf der Straße die Studenten von der Vorlesung abzieht, „wenn sich dann auch, die Gesichter zerstreuten, reckten sich doch dafür die Leiber straff empor, fühlte ich doch, wie der Rhythmus in den Beinen zuckte".

(„Hört! Hört!" bei den Sozialdemokraten.)

Also, wenn der Professor fühlt, dass die Studenten parademarschierend militärisch das Berliner Pflaster trampeln möchten, dann fühlt er sich aufs Äußerste beglückt, und es kümmert ihn nicht, ob die Studenten wissenschaftlich abgelenkt werden; schließlich hat Herr Roethe damals von der „seelenbezwingenden Macht des Preußengeistes" gesprochen und die deutsche Einheit und diesen Geist preußischer Zucht als ein Ehepaar bezeichnet.

Meine Herren, dieser selbige Herr Roethe hat ja in neuerer Zeit wieder einmal die Aufmerksamkeit auf sich gelenkt durch die berühmte Rede, die er beim Reichskommers des Vereins Deutscher Studenten6 im Januar dieses Jahres gehalten hat. Man glaubte zunächst, es müsse Herr von Oldenburg-Januschau sein, nicht aber ein Professor an der bedeutendsten deutschen Universität, ein Vertreter der voraussetzungslosen Wissenschaft, von der gestern die Herren von der Rechten geredet haben. Hier ist ein Vertreter der voraussetzungslosen Wissenschaft, wie sie Herr von der Osten wünscht. Man höre diese voraussetzungslose Wissenschaft des Herrn Roethe: „Es stieg der Eindruck eines verlotterten Kleinstaats auf, der seinen Pöbel nicht zu zähmen weiß" – nämlich bei dem Worte Zabern! Eine feine Ausdrucksweise, das muss man sagen,

(„Hört! Hört!" bei den Sozialdemokraten.)

und eine ganz voraussetzungslose Wissenschaft! Und: „Was für einen Reichstag haben wir erleben müssen", sagt er, „der Reichskanzler hat nicht die sittliche und intellektuelle Überlegenheit gehabt, sich diesem demokratischen Taumel zu entziehen" – und der Herr Kriegsminister ist natürlich der „schlichte, brave preußische Beamte, der seine Pflicht tut, ohne nach den drei P zu fragen". Meine Herren, man kommt da ganz unwillkürlich auf etwas obszöne Vorstellungen,

(Heiterkeit bei den Sozialdemokraten.)

wenn man Herrn Roethe in seinem starken – wie soll ich mich ausdrücken? – agrarisch stallduftenden Stil von drei P sprechen hört. Herr Roethe meint aber andere P als wahrscheinlich alle, wenn Herr Roethe von P spricht, denken werden; er meint nämlich Pressegeschrei, Pöbellärm und Parlamentsmehrheit. Nun stelle man sich einmal vor, wenn der Herr Roethe mit solchen duftigen Blüten der deutschen Sprache um sich wirft, wie dann der Pöbellärm nach Herrn Roethe wohl klingen mag! Ich glaube, der Pöbel könnte noch manches von Herrn Roethe lernen, um den gehörigen Pöbellärm veranstalten zu können.

Meine Herren, dieser edle, voraussetzungslose Wissenschaftler preußisch-agrarischen Kalibers nach dem Herzen des Herrn von der Osten ist natürlich auch in der Frage des Frauenstudiums auf dem Zustand der Vergangenheit stehengeblieben. Er hat jetzt, bei der Vorlesung „Geschichte der Literatur des 17. Jahrhunderts", die Frauen zulassen müssen, hat sich aber nicht enthalten können, bei der ersten Vorlesung zu sagen: Zu seinem persönlichen Bedauern sei er genötigt, in dieser Vorlesung Damen zuzulassen; besonders das 17. Jahrhundert biete eine gewisse Schwierigkeit dazu; er möchte aus diesem Grunde die Damen bitten – es wäre ja doch nur ein-, zwei- oder höchstens dreimal –, wenn er es sage, von der Vorlesung wegzubleiben.

(„Hört! Hört!" bei den Sozialdemokraten.)

Ich muss gestehen, wenn Roethe seine Vorlesung in dem Ton hält, in dem er bei der Jubiläumsfeier der Universität und auf dem Reichskommers des Vereins Deutscher Studenten seine Bierreden gehalten hat, dann kann man es nicht begreifen, dass sich eine Frau in seinen Vorlesungen recht geheuer fühlen könnte bei der stallduftigen Art.

(„Sehr gut!" bei den Sozialdemokraten.)

Aber die Damen müssen die Vorlesungen nun einmal hören, sonst können sie ihr Studium nicht vollenden, und da hält es dieser Mann, der in aller Öffentlichkeit bei großen demonstrativen Veranstaltungen Worte spricht, die natürlich durch die Presse gehen und auch von den Jungfrauen Deutschlands gelesen werden, die wahrhaftig nur der gröbsten, derbsten Drastik, die selbst im Mittelalter erfunden werden konnte, noch verträglich sind – dieser Mann hält es für nötig, hier plötzlich so zimperlich zu tun und die Damen gelegentlich hinaus zuschicken Das ist nur überlegter Hohn, und dieser Mann ist Vertreter der preußischen Wissenschaft, diese Koryphäe wird voraussichtlich den Lehrstuhl von Erich Schmidt bekommen. Man kann dem preußischen Universitätswesen nur dazu gratulieren.

Meine Herren, Herr von der Osten hat von den Kathedersozialisten gesprochen. Die Hatz, die Herr von der Osten gestern gegen den Kathedersozialismus in Szene gesetzt hat, ist im Grunde nur die Fortsetzung einer Aktion, die bereits draußen in der Presse mit großem Lärm begonnen hat. Besonders waren dabei Rufer im Streit die „Kreuz-Zeitung" und die „Deutsche Tageszeitung", und wir haben von Herrn von der Osten nichts gehört, was wir nicht bereits in diesen Zeitungen gelesen hätten.

Meine Herren, es ist eine tragikomische Tatsache, dass Herr von der Osten seine Ausführungen gegen den Kathedersozialismus an die Frage anknüpfen musste, ob der von uns allen – auch von uns – verehrte Professor Adolph Wagner seine Lehrtätigkeit in nächster Zeit aufgeben werde. Ja, um alles in der Welt, weiß denn Herr von der Osten nicht, dass Adolph Wagner einer der extremsten unter den Kathedersozialisten war und ist? Daraus allein bereits kann man erkennen – deutlicher ergeben es aber die Pressestimmen –, dass die Hatz, die von der Rechten gegen die Kathedersozialisten unternommen wird, zwar auf der einen Seite natürlich dem sozialistischen Einschlag dieser Herren gilt; sie wünschen rücksichtslose Draufgängerei im Sinne eines Zuchthausgesetzes usw. Aber ein zweites Motiv scheint die Aufregung noch viel unmittelbarer verursacht zu haben, und zwar die Tatsache, dass der Dozent, der als Ersatz für Wagner in Frage kam, ein angeblicher Freihändler war, während Adolph Wagner ja, obwohl Kathedersozialist, ein, wie Sie wissen, waschechter Schutzzollpolitiker ist. Also es ist hier das agrarische Nützlichkeitsinteresse, die Sorge um die Gestaltung der künftigen Handelsverträge und alles, was damit zusammenhängt, was die Herren veranlasst hat, hier plötzlich die Fahne der freien Wissenschaft aufzupflanzen.

Meine Herren, das hat nicht die Spur von innerer – wie soll ich sagen – Überzeugungskraft! Wir sehen den Pferdefuß der agrarischen Interessenpolitik. Sie wünschen nicht mehr und nicht weniger, als dass Ihre agrarischen Freunde nach Möglichkeit in die Universitäten hineinkommen sollen. Herr Richard Ehrenberg und nicht minder Professoren wie Herr Ludwig Bernhard sind Ihnen sehr zupass gekommen.

Meine Herren, die ganze Unwahrhaftigkeit – ich spreche natürlich, wenn ich solche Worte gebrauche, nur von der Pressehetze gegen die Kathedersozialisten – zeigt sich gerade an dem Fall Bernhard. Bernhard ist, darf ich wohl sagen, auf Betreiben von Kreisen berufen worden, die den Herren auf der Rechten nahestehen. Bernhard ist nicht von Ihrer (zur Rechten) Seite angegriffen worden. Früher war er ja allerdings einmal „sozialpolitisch", jetzt ist er erzreaktionär. Aber wie war es mit der wissenschaftlichen Qualifikation dieses Mannes bestellt? Da waren es die Professoren Schmoller, Wagner und Sering, Leute, die zu Ihnen gehören, von denen wenigstens Wagner und Sering ausgeprägte Schutzzöllner sind, die gegen die Berufung von Bernhard in der schärfsten Weise öffentlich Front gemacht haben; wir kennen die Sache ja aus den Debatten im letzten Jahre. Trotz alledem ist gegen Professor Bernhard und gegen dessen Berufung von Ihrer Seite nicht gewütet worden, obgleich gegen ihn wiederum diese agrarischen Kathedersozialisten heftig auftreten. Weshalb? Die agrarischen Kathedersozialisten Wagner und Sering sind immerhin noch Männer, denen es wirklich auch ein wenig auf wissenschaftliche Reputation ankam, und deshalb wandten sie sich gegen Bernhard. Aber Sie reißen auch diese Barriere gänzlich nieder. Es kommt Ihnen (nach rechts) offensichtlich nur darauf an, möglichst gefügige Vertreter Ihrer Interessen auf den Lehrstühlen zu haben. Meine Herren, wenn man dann solche Worte hört von der Freiheit der Wissenschaft, von der Voraussetzungslosigkeit der Wissenschaft aus dem Munde der Vertreter der rechten Parteien, dann muss man wahrhaftig gewisse Gefühle des Unwohlseins zurückdrängen.

Ebenso wenig können wir Sozialdemokraten es vertragen, wenn wir vom Herrn Kultusminister hören, dass für die Berufung der Dozenten in erster Linie die wissenschaftliche Qualifikation entscheidend sei. Gewisse kleine Einschränkungen hatten die Herren ja gemacht, und hat heute auch der Herr Kultusminister gemacht. Der Herr Kultusminister sagt: Die verschiedenen Richtungen müssen berücksichtigt werden, aber nur, wenn und soweit sie wissenschaftlich berechtigt und begründet sind. Meine Herren, das soll offenbar die Einschränkung sein, durch die er meinen Einwendungen von vornherein zu begegnen versucht hat. Und genauso der Herr Abgeordnete von der Osten, der feststellt, es sei nicht zu umgehen, die Staatsnotwendigkeiten zu berücksichtigen. Dann stellen aber Herr von der Osten und der Kultusminister als Grundsatz auf, dass die verschiedenen Richtungen möglichst gleichwertig zu behandeln seien.

Meine Herren, die Behauptung, dass dies der Grundsatz der Unterrichtsverwaltung sei, kann man gar nicht ernsthaft entgegennehmen. Wie können Sie von einer gleichmäßigen Behandlung der verschiedenen Anschauungen an den Universitäten sprechen, wo Sie genau wissen, wie die Dozenten gesiebt werden und wie es zu einem Skandal geworden ist, der selbst die Dozentenkreise vielfach berührt hat, dass man Vertreter gewisser nationalökonomischer Anschauungen systematisch nicht zur Universitätsdozentur zulässt?

So ist es seit langer Zeit bekannt, und ich habe wiederholt darüber geredet, dass Vertreter der marxistischen Anschauung in der Nationalökonomie überhaupt nicht Aussicht haben, einmal als Dozent an irgendeiner deutschen Universität zu dozieren. Der Fall Conrad Schmidt ist bekannt. Ähnliche Fälle haben sich in Preußen ereignet. Ich brauche nur die Worte Lex Arons7 auszusprechen,

(„Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten.)

um all die Redereien über die Bereitwilligkeit, ohne Rücksicht auf außerhalb der Wissenschaft liegende Gesichtspunkte rein voraussetzungslose Wissenschaft an den Universitäten treiben zu lassen und eventuell unter Berücksichtigung aller Richtungen, auf ihr Nichts zurückzuführen.

(„Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten.)

Meine Herren, die Wahrheit liegt ganz woanders, und Ihr (nach rechts) Geschrei gegen den Kathedersozialismus – bei dem sich Herr von der Osten ausgerechnet auf Rodbertus, den man fast als den Vater des Kathedersozialismus bezeichnen kann, gestützt hat – ist der reine Hohn.

Besonders charakteristisch ist die Art, wie in letzter Zeit von agrarischer Seite gegen Adolph Wagner selbst und gegen Professor Zorn gehetzt worden ist, ganz abgesehen natürlich von Walter Schücking, von Professor Biemer, von Hans Delbrück – allesamt sind sie doch verdächtigt worden –, von Professor Günther, Rektor der Münchener Technischen Hochschule, usw. Es ist der Herr Fritz Blei, wohlbekannt aus der „Deutschen Tageszeitung", in der er die Produkte seines unfreiwilligen Humors abzulagern pflegt, der darüber einen famosen Hetzartikel geschrieben hat. Es ist im August des vergangenen Jahres gewesen. Was bleibt denn schließlich noch übrig? Das Köstlichste ist, dass Fritz Blei seinen Artikel abschließt, indem er den wahren Schuldigen an dieser Verrottung des deutschen Geistes an den Universitäten ermittelt. Und dieser wahre Schuldige, ob Sie es glauben wollen oder nicht, ist nach Auffassung des Fritz Blei ein gewisser – Wolfgang von Goethe.

(„Hört! Hört!" bei den Sozialdemokraten.)

Aber um noch eins hervorzuheben! Ein ganz besonders krasser Fall hat sich jüngst ereignet bei der Berufung des früheren Direktors des Eisenwerks Nürnberg, Aktiengesellschaft, vormals Wilhelm Tafel & Co., des Herrn Wilhelm Tafel, der zur ordentlichen Professur an der Technischen Hochschule in Breslau berufen ist. Ich will auf diesen Punkt nicht eingehen, er gehört natürlich nicht eigentlich zu den Universitäten. Aber das ist mit Begeisterung begrüßt worden, und wir sehen, wie neben den Einwirkungen von der rechten Seite, die einmal dahin gehen, die Sozialpolitik auszuschließen, dann dahin, à la Ehrenberg usw. möglichst agrarisch zu wirken, natürlich auch die Vertreter des mobilen Kapitals sich die größte Mühe geben, Einfluss auf die Lehrstühle an den Universitäten zu gewinnen; dafür bietet der Fall Tafel ein eklatantes Beispiel. Aber nicht nur der Fall Tafel, sondern auch der Fall Bernhard. Es war in der letzten Zeit möglich, einen Brief vom 7. März 1912 zu veröffentlichen, den die Schichauwerft in Elbing an Professor Bernhard gerichtet hat, in dem die Schichauwerft in Elbing dem Professor Bernhard, dem Vertreter der voraussetzungslosen Wissenschaft in Berlin, Informationen und Anweisungen gibt, wie er seine voraussetzungslose Wissenschaft in Berlin ausüben soll. Vor allen Dingen wird von den Scharfmachern der Schichauwerft die Anweisung gegeben, den Schutz der Arbeitswilligen auch an den Universitäten zu vertreten, und allerhand despektierliche Äußerungen gegen die Regierung und den Reichstag sind dazu eingestreut. Sie sehen allerdings, wie voraussetzungslos die Wissenschaft an unseren preußischen Universitäten ist und was davon zu halten ist, wenn derartige Forderungen von dieser Seite erhoben werden, die Kathedersozialisten zu verfemen mit der Begründung, dass die Arbeiter jetzt ihren genügenden Anteil an den Gütern unserer Zeit hätten und jetzt wieder der Grundbesitz und das Kapital an die Reihe kommen müssten. In der Auffassung dürfte Herr von der Osten wahrlich bei keinem Zustimmung finden, der noch eine Spur von sozialpolitischem Verständnis hat, bei keinem, der auch nur menschliches Empfinden im Leibe trägt und die Not der Menschen gesehen hat, der die Not der Arbeiterklasse aus eigener Anschauung kennt. In der Tat leben wir in einer Zeit der wirtschaftlichen Depression, einer ungeheuren Arbeitslosigkeit, wo die Sozialpolitik stillsteht, wo gegen die politischen Rechte der Arbeiterklasse, die, allein auf sich angewiesen, ihren Kampf um die Besserung ihrer Lage durchführen muss, Sturm gelaufen wird mit Zuchthausgesetzen usw. In einer solchen Zeit kommt man und besitzt den Mut zu behaupten, dass die Arbeiter ihren Anteil davon hätten. Meine Herren, die Herren gerade von der Rechten sind ja drauf und dran, bei Beratung der neuen Handelsverträge auf dem Gebiet der Zollpolitik einen neuen gewaltigen Fisch- und Raubzug auf die Taschen der gesamten deutschen Bevölkerung zu unternehmen! Und Sie wagen es in einer solchen Zeit, mit solchen Redewendungen offensichtlich ganz eigensüchtige Praktiken, die in Bezug auf die Besetzung der Lehrstühle an den Universitäten befolgt werden, zu bemänteln. Ich habe kein Wort von genügender Schärfe, das parlamentarisch wäre, mit dem ich diese Art des Vorgehens bezeichnen könnte.

Es ist Ihnen natürlich erwünscht, wenn an den Universitäten der agrarische Geist, der scharfmacherische, chauvinistische, kriegshetzerische Geist herrscht.

(Lachen rechts.)

Dass dieser Geist des Chauvinismus und der Verhetzung der Staatsregierung und Ihnen allesamt keine Beschwerde macht, dafür ist ein Beweis der Rektor der Universität Marburg, der Herr Dräger, der im November vorigen Jahres jene berüchtigte Rede gehalten hat, in der er heftig gegen die Zabernpolitik gewettert hat und die Überzeugung ausgesprochen hat, dass der Kampf gegen den Erzfeind früher oder später ausgefochten werden müsse, dass er unvermeidlich sei, dass keine Versöhnungspolitik getrieben werden solle,

(„Hört! Hört!" bei den Sozialdemokraten.)

sondern eine Politik der Scharfmacherei, des Drauflosstampfens mit Kürassierstiefeln. Ich meine, das sind Dinge, die gern geduldet werden; aber den Kathedersozialismus kann man nicht ertragen. Weshalb? Weil er für die Interessen der breiten Masse der Bevölkerung wirken könnte. Soweit er zugleich freihändlerisch ist, ist er gänzlich verfemt; im übrigen würde man ihn immerhin noch eher einigermaßen dulden.

Daraus geht hervor, dass jede geistige Strömung, die auch nur einen schwachen Anschein erweckt, als ob sie auf eine Versöhnung der Klassen, auf eine Versöhnung der Gegensätze in unserer heutigen Gesellschaft hinwirke, von Ihnen verfolgt wird bis aufs Messer. Das kennzeichnet bedauerlicherweise die preußische Universitätsverwaltung, deren Geist ein Teil von dem Geist ist, der hier in diesem Hause herrscht.

Meine Herren, um den Geist der preußischen Universitätsverwaltung noch an einem zu kennzeichnen, noch folgendes! Das vergangene Jahr war „das" Jubiläumsjahr. Dieses Jubiläumsjahr ist mit ungemein großem Pomp, einer Überfülle von Festen überall gefeiert worden. Berlin ertrank so beinahe in diesen unausgesetzten Festlichkeiten. Die Universität Berlin hat sich natürlich auch an all den byzantinischen Festlichkeiten beteiligt, wie sie sich ja jedes Jahr eifrig an Kaisers Geburtstag beteiligt. Da hat man überall mitgemacht. Und nun gibt es einen Mann, der eine besondere Ehrung verdiente, nämlich einen gewissen Fichte, der Professor an der Berliner Universität und der erste Rektor der Berliner Universität war, der glanzvollste Name, der bisher noch unter den Dozenten der Berliner Universität geleuchtet hat;

(„Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten.)

und dieser Fichte, dieser erste Rektor der Berliner Universität, ist von der Berliner Universität auch geehrt worden! Man hat nämlich eine „schlichte Gedenkfeier am Grabe Fichtes" abgehalten, so wie sie wohl am Grabe eines Selbstmörders abgehalten wird, dem man nur mit halber Stimme die letzten Worte nachzurufen wagt. Hören Sie den Bericht:

Um das Andenken an ihren ersten gewählten Rektor durch eine schlichte Kundgebung zu ehren, wird die Berliner Universität am Donnerstag"

es handelt sich um den 29. Januar 1914 –

eine Deputation an das Grabmal Fichtes entsenden, das sich auf dem alten Dorotheenkirchhof, Chausseestraße 126, befindet."

Und nun folgendes:

Vorher wird der Professor Riehl eine kurze Ansprache halten. Von einem besonderen Festakt der Universität ist wegen der zeitlichen Nähe der Geburtstagsfeier des deutschen Kaisers Abstand genommen."

(„Hört! Hört!" bei den Sozialdemokraten.)

Meine Herren, Fichte, diesen Mann, um den die ganze Welt Deutschland beneidet, der nicht nur ein Mann der Wissenschaft war, sondern ein Charakter und ein großer nationaler Held des deutschen Volkes, diesen Mann galt es im Januar 1914 zu ehren. Aber er konnte nicht geehrt werden, weil der Berliner Universität die Pflichten des Byzantinismus vorangingen!

Meine Herren, bei dieser Episode aus der jüngsten Zeit der größten deutschen Universität, bei diesem letzten Beweis der „Unabhängigkeit" preußischer Universitäten will ich es bewenden lassen. Sie sehen, wie hier auch von oben herab jener byzantinische Geist, der im vergangenen Jahre zu dem lächerlichen Konflikt über das Kaiserhoch in Königsberg unter den Studenten führte, ein Konflikt, der ja beinahe wie eine Sprengbombe unter der deutschen Studentenschaft gewirkt hat – wie dieser byzantinische Geist von der Berliner Universität offiziell gepflegt wird, während sie ihren Pflichten gegenüber einem Fichte nicht nachgekommen ist. Schließlich mit Recht – denn eine Ehrung Fichtes passt wirklich nicht in ein Haus von Domestiken. Damit ist im Grunde genommen der Stab über die Behauptung gebrochen, dass an der Berliner Universität wirklich unabhängige, voraussetzungslose Wissenschaft gelehrt werde. Meine Herren, die ganze Vorgeschichte beweist das Gegenteil, und Ihr (nach rechts) Wille geht ja auch schroff dahin: keine voraussetzungslose Wissenschaft, sondern Wissenschaft nach unserem Willen, Wissenschaft nach unserem Herzen! Wissenschaft für unsere Macht, unseren Geldbeutel! – Es bleibt der Sozialdemokratie vorbehalten, den Kampf um die Freiheit der Wissenschaft durchzuführen.

(„Sehr gut!" und „Bravo!" bei den Sozialdemokraten. Lachen rechts.)

1 Bürgerliche Studentenorganisationen, in denen sich die nicht korporierten Studenten, die sogenannten Finken, organisierten. Entsprechend ihrer Gegnerschaft zu den reaktionären Korporationen wurden in ihnen oft liberale Auffassungen vertreten. Ihren Höhepunkt erreichte die freistudentische Bewegung um 1910, als an 36 deutschen Hochschulen solche Organisationen bestanden.

2 Diese Kabinettsorder bekräftigte frühere Gesetze über die staatliche Aufsicht für private Lehranstalten und Privatlehrer im Sinne der herrschenden Kreise und hob Vorschriften des Landrechts, die teilweise eine Lockerung dieser Aufsicht zur Folge hatten, auf. Die Genehmigung zur Unterrichtserteilung wurde nicht nur von der pädagogischen Fähigkeit und den fachlichen Kenntnissen abhängig gemacht, sondern auch von „Sittlichkeit und Lauterkeit der Gesinnung in religiöser und politischer Hinsicht".

3 In der zweiten Hälfte des Jahres 1912 kam es an verschiedenen deutschen Universitäten zu Kundgebungen nationalistischer Studenten gegen das Studium von Ausländern in Deutschland. Ein gewisser Höhepunkt dieser nationalistischen Bewegung war der Streik der Medizinstudenten an der Universität Halle am 16. Dezember 1912. Sie forderten, ausländische Studenten ohne Physikum nicht mehr zu den klinischen Vorlesungen zuzulassen. Für Preußen legte das Kultusministerium im September 1913 die Gesamtzahl (Numerus clausus) von 900 Studierenden je Nation fest. Außerdem wurde die Höchstzahl russischer Studenten für die einzelnen preußischen Universitäten festgesetzt.

4 Dr. Adolf Jülicher, Professor an der Theologischen Fakultät der Universität Marburg, hatte in seiner aufsehen erregenden Schrift „Die Entmündigung einer preußischen theologischen Fakultät in zeitgeschichtlichem Zusammenhange", Tübingen 1913, den preußischen Staat scharf angegriffen.

5 Professor, Literaturhistoriker. Am 30. April 1913 gestorben. Gab verschiedene literaturhistorische Werke heraus, 1885 Direktor des Goethe-Archivs in Weimar, 1887 Professor in Berlin, seit 1906 Vorsitzender der Goethe-Gesellschaft. Die Red.

6 Gruppe nicht farbentragender Studentenverbindungen, die nur christliche Studenten arischer Abstammung aufnahmen, mit starken antisemitischen und nationalistischen Tendenzen. Sie schloss sich am 8. August 1881 zum Kyffhäuser- Verband zusammen.

7 Gesetzlich geregelte Unterstellung der unbezahlten und bisher nicht als Beamte geltenden Privatdozenten unter die Disziplinargewalt des preußischen Staates. Diese Gesetzänderung aus dem Jahre 1898 richtete sich besonders gegen die Sozialdemokratie und wurde zuerst gegen den sozialdemokratischen Physikdozenten Leo Arons angewandt. Dieser wurde am 20. Januar 1900 wegen seiner Zugehörigkeit zur Sozialdemokratie von der Universität Berlin verwiesen.

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