Krügersen 19310800 Mit wem – gegen wen?

Krügersen: Mit wem – gegen wen?

[Nach Permanente Revolution, Zeitschrift der Linken Opposition der KPD (Bolschewiki-Leninisten) (Sektion der Internationalen Linken Opposition) 1. Jahrgang Nr. 2 (August 1931), S. 2-3]

In den schroffen Wendungen der Entwicklung, den sogenannten «Zufällen», in den Momenten, wo die Quantität in Qualität – und auch umgekehrt – umschlägt, muss die Führung der Kommunistischen Partei beweisen, ob sie auf der Höhe ihrer Aufgaben steht. Zugleich sind sie auch ein Prüfstein am Wege jeder kommunistischen Partei, ob die bisher geführte Politik richtig war. Diese Momente bergen die Möglichkeit in sich, bei richtiger Ausnutzung die revolutionäre Entwicklung zu beschleunigen, aber auch die Gefahr, bei Nichterfassen der Situation sie zu hemmen und zu schädigen. Erfolg oder Niederlage, die Resultate der richtigen oder falschen Politik, müssen in kurzer Zeit sowohl im inneren Zustand der Partei, als auch in der Stärke ihres Einflusses auf die breiten Massen ihren Ausdruck finden.

Die KPD befindet sich eben jetzt in einer derartigen Situation. Die Finanzkrise als Folge der Geld-, und diese wieder verursacht durch die Kreditkrise, offenbart aufs Neue deutlich den labilen Charakter der Stabilisierung des Weltkapitalismus und im besonderen die schwache Grundlage des deutschen Kapitalismus. Zugleich zeigt sie uns, wie gefährlich unser Klassengegner ist. Er hat aus der Vergangenheit gelernt. Bei weniger geschickter und energischer Handhabung der Staatsgewalt auf finanziellem Gebiete, hätte diese Krise leicht zu einer revolutionären Situation führen können. Aber das Ärgste konnte die Bourgeoisie noch vermeiden: die Gehälter, Löhne, Unterstützungen wurden ausgezahlt und damit der offene Aufruhr der breiten Massen vermieden.

Es besteht kein Zweifel, dass die Maßnahmen, die zu treffen die Bourgeoisie gezwungen ist. um aus der gegenwärtigen Klemme herauszukommen, eine neuerliche ungeheure Verschärfung der Klassengegensätze nach sich ziehen müssen. Das bedeutet, dass die Bourgeoisie diese Krise nur überwindet, indem sie die Grundlagen für eine noch umfassendere, schärfere Krise legt die in naher Zukunft eintreten muss. Darüber ist sie sich im Klaren, und zwar nicht nur die deutsche, sondern auch die Weltbourgeoisie. Nicht ohne Grund überlegen es sich die französischen, englischen und amerikanischen Finanzhaie solange, ob Deutschland überhaupt noch etwas gepumpt werden kann. Und wenn politische Bedingungen an die Gewährung einer Anleihe an Deutschland geknüpft werden, so sind diese keine spezifisch französischen Forderungen. Sie sind ebenso sehr englische und amerikanische Forderungen, was ja in letzter Zeit durch die Haltung der Macdonald-Regierung, die ebenfalls auf dem Standpunkte innerpolitischer Bedingungen steht, bekräftigt wird. Welcher innerpolitischen Bedingungen? Wir halten die Meldung der Parteipresse für absolut richtig, dass da ganz besonders die Unterdrückung, ja das Verbot der Kommunistischen Partei gemeint ist und verlangt wird.

Alle äußeren Anzeichen sprechen für diese Annahme. Hitler und Hugenberg haben die Gelegenheit der Krise benutzt, um sich dem internationalen Kapital als verlässliche Gegner des drohenden Bolschewismus aufs Neue zu offerieren und mit ihrer Anerkennung der äußeren Schuldverpflichtungen Deutschlands auch in den Augen Frankreichs Regierungsfälligkeit zu erwerben. Es bleibt nur eine reale Gefahr des Kapitalismus übrig, die kommunistische Bewegung, die um so tödlicher werden muss der Bourgeoisie, je schärfer und tiefer die Krise zu werden verspricht. Die SPD nimmt wieder den Augenblick gewahr, ihre – für die Bourgeoisie – unbezahlbaren Bütteldienste gegenüber dem Kommunismus zu leisten. Einen regelrechten, mit allen politischen und Gewaltmitteln des Staates geführten Krieg leitet die SPD durch ihre Minister und Polizeipräsidenten gegen die Kommunistische Partei.

Die Frage drängt sich auf, warum ein solcher Kamp! gegen die kommunistische Bewegung jetzt geführt wird. Die Verbote der letzten Zeit, die Zeitungsverbote, das Spartakiadeverbot, das Verbot der Demonstration zum 1. August können nur einen Sinn haben, in ihrer Häufigkeit, ihrer schnellen Aufeinanderfolge, ihrer zynischen Begründung und herausfordernden Durchführung, nämlich: den einer Reihe von Provokationen der KPD. Man muss es klar aussprechen, und auch sehen, dass die SPD im Bunde mit der Bourgeoisie ihr Rezept aus dem Jahre 1921 (mitteldeutscher Aufstand) wieder anwenden will: die Kommunistische Bewegung provozieren zu einem Vorstoß, bevor noch die breiten Massen in richtige Bewegung geraten sind, um die Vorhut, die Avantgarde gesondert zu dezimieren, dadurch die Massen führerlos zu machen und so den kommenden gefährlichen Moment – wie schon einmal – wieder zu überwinden. Das ist unseres Erachtens die Absicht der Gegner. Bei Gelingen dieses Planes wäre auch die Kreditfähigkeit des deutschen Kapitalismus dem Auslandskapital bewiesen.

Was tut die Partei um die Absichten des Gegners zu durchkreuzen? Statt es ihm zu erschweren, erleichtert sie ihm durch die Teilnahme an dem faschistischen Volksentscheid das Spiel.

Die Entwicklung der letzten Monate hat tiefe Spuren im Proletariat hinterlassen. Mit jeder Notverordnung, die neue Lasten auf die Schultern der Arbeiterschaft legte, vergrößerte sich die Unzufriedenheit der in den Reihen der SPD. stehenden Arbeiter. Die Zersetzungserscheinungen in ihr mehrten sich und auch der Umfall der «linken» Führer, auf dem Leipziger Parteitage konnte darüber nicht hinwegtäuschen. Aufgabe der KPD. wäre es, gerade die gegenwärtige Situation auszunutzen, in der, wie Breitscheid auf dem eben jetzt tagenden Kongress der zweiten Internationale offen aussprach, die SPD die Rolle des Arztes am Siechenlager des Kapitalismus übernimmt, um ihn zu retten. So sagte er wörtlich. Gibt es eine denkbar günstigere Situation als die jetzige, um dir Aufgabe wenigstens zu einem großen Teile zu verwirklichen, die sich die Komintern und auch die KPD in den letzten Monaten auf unzähligen Tagungen richtigerweise stellte und formulierte: die Mehrheit der Arbeiterschaft zu erobern und die SPD als Massenpartei zu liquidieren. Nein! Das unbestrittene Mittel hierzu ist die Leninsche Einheitsfronttaktik. Gegenüber wem? Angewandt gegenüber denen, in deren Lager die Mehrheit der Arbeiterschaft eben noch steht, gegenüber der SPD lud den Führern der freien Gewerkschaften. Die Stärke einer kommunistischen Partei kann man nach Lenin am sichersten und besten an ihrem Einfluss in den Gewerkschaften erkennen. Nach diesem Maß gemessen, ist die KPD ungemein schwach, als Folge der allgemeinen und im besonderen der abenteuerlichen RGO-Politik.

Unter Einheitsfrontpolitik verstehen wir nicht das Geschrei der heutigen Bürokratenführung, sondern den wirklichen gemeinsamen Kampf auf der Grundlage eines bestimmten Programms, das wir den sozialdemokratischen Arbeitern vorschlagen, weil sie Sozialdemokraten sind und das die dringendsten, wichtigsten Gegenwartsforderungen umfasst. Das letzte Ziel, das sich nach Lenin die Einheitsfrontpolitik in einer revolutionären Situation stellt, ist die Arbeiter- und Bauernregierung, und unter all den konkreten ihr gestellten Aufgaben die wichtigste, die Wehrhaftmachung des Proletariats, Besetzung außerparlamentarischer Positionen für den letzten, offenen Kampf um die Diktatur des Proletariats. Im Verlaufe einer solchen richtigen Einheitspolitik muss eben die kommunistische Partei zu der Partei und Führerin des Proletariats werden, der auch die schwankenden Mittelschichten folgen oder sich wenigstens im entscheidenden Moment neutral verhalten.

Heute wird von der Thälmann-Remmele aus Leibeskräften Einheitsfront geschrien. Machen sie aber eine Einheitsfrontpolitik? Wo ist das Aktionsprogramm? Wo ist das nächste politische Ziel? Worin besteht der Versuch der Thälmann-Zentrale, die sozialdemokratischen Arbeiter gegen ihre eigenen Führer in Front zu bringen?

Je mehr diese Bürokraten-Beamten über Einheitsfront brüllen, desto weniger hat ihr Geschrei mit Einheitsfrontpolitik gemein. Wo steht die Mehrheit der Arbeiterklasse? Bei Hitler oder bei der SPD und den freien Gewerkschaften? Wir halten die Antwort, die noch gestern von der Zentrale gegeben wurde für richtig, dass sie bei der SPD stehen. Folglich müssen wir uns auch an die sozialdemokratischen Arbeiter wenden, wenn wir die Mehrheit des Proletariats gewinnen wollen. Mit der Teilnahme am faschistischen Volksentscheid wenden sich aber die Thälmann-Remmele-Neumann von den sozialdemokratischen Arbeitern ab.

Was ist das Ziel der Teilnahme der KPD. am Volksentscheid? Der Sturz der Preußen-Regierung, antworten die Bürokraten. Das wollen die Faschisten auch. Wir unterscheiden wir uns von ihnen? Was dann, wenn die Preußenregierung gestürzt ist? Ein Sowjet-Deutschland, sagt die Zentrale. Ja, aber wie? Sagt uns das konkret. Für ein Sowjet-Deutschland, d. h. die Diktatur des Proletariats treten wir doch immer ein. Zeigt uns aber die konkrete Losung, das unmittelbare Ziel nach dem Sturz der Preußenregierung und was dann sofort zu tun ist?

In diesem Zusammenhang drängen sich jedem Kommunisten einige historische Vergleiche auf. Lenin lehrte uns, und zusammen mit ihm die ersten vier Kongresse der Komintern, dass es für Kommunisten nicht gleichgültig sein kann, ob Monarchie oder Republik. Im Kampfe zwischen Monarchie und Republik stehen wir Kommunisten immer auf der Seite der Republik und scheuen nicht zurück, eine gewisse Zeit mit den republikanisch-sozialistischen Parteien in einer Front zu kämpfen. Aber auch in der Wahl zwischen einer Rechts- und Links-Regierung entscheiden wir uns für die letztere. Die demokratische Republik, und sei tausendmal von der Demokratie nichts mehr übrig geblieben, stellt einen viel besseren Boden für die Weiterentwicklung der revolutionären Bewegung dar.als der Faschismus. In diesem Kampfe können und dürfen wir Kommunisten keine einzige Minute mit den vereinigten faschistischen Stahlhelmbanden in einer Front stehen.

Die Erfahrung der russischen Revolution spricht in dieser Hinsicht eine ganz beredte Sprache. Die Februar-Revolution kann uns darüber Auskunft geben. Die menschewistisch-sozialrevolutionäre Regierung setzte den imperialistischen Krieg fort, das Bauerntum blieb ohne Land, die Arbeiter hungerten in den Städten: «durchhalten bis zum siegreichen Ende«, das war die Losung der Regierung. Unterdrückung und Verfolgung der revolutionären Bewegung. Lenin in der Illegalität. Trotzki und andere im Gefängnis. Kurzum: die Menschewiki und Sozialrevolutionäre haben alle Schandtaten durchgeführt und trotzdem schloss die Partei mit ihnen sofort eine Einheitsfront gegen die Kornilow-Armee, die nichts anderes bedeutete, als den russischen schwärzesten Faschismus. Und aus der Illegalität heraus schlug Lenin den Menschewiken und Sozialrevolutionären vor, sie zu unterstützen, falls sie bereit sind, einen wirklichen Kampf gegen Miljukow zu führen. Obwohl wir in ganz anderen Zeiten leben, kann doch diese historische Parallele der Partei manche Anregung geben, wie sich die Kommunisten bei solchen entscheidenden Situationen zu verhalten haben, mit wem sie zu marschieren haben und gegen wen. Noch einmal: obwohl in dieser Weimarer Republik schon fast nichts mehr übrig geblieben ist von Weimar, obwohl die revolutionäre Bewegung unterdrückt und verfolgt wird, obwohl Lohnsenkung, ungeregelte Arbeitszeit, Zerstörung der Sozialversicherung Trumpf ist, obwohl wir also diese Republik mit allen Fasern unseres Seins hassen, bedeutet ihr gegenüber der Faschismus die offene Pogromierung der gesamten organisierten Arbeiterbewegung. Und ist es noch nötig auf das bulgarische Beispiel 1923 hinzuweisen, wo sich die kommunistische Partei Bulgariens uninteressiert zeigte an dem Kampfe zwischen Stambuliski-Zankow, bis der Letztere auch die KPB zerschmetterte? Wir glauben, dass dem Faschismus in Deutschland keine Chance gegeben werden darf und es eine Abenteurerpolitik ist, wenn ihm das derzeitige ZK mit der Beteiligung am faschistischen Volksentscheid eine solche schafft.

Der Erfolg dieses Abenteuers wird sein, dass sich die Partei nach dem Volksentscheid isoliert findet und ihrer aktuellsten Waffen gegenüber den SPD-Verrätern beraubt. Sie haben es nun leicht, alles Kommende, für das eigentlich die SPD die Verantwortung zu tragen hat, auf die Kommunistische Partei abzuwälzen. Thälmann-Remmele treiben damit die rebellierenden SP-Arbeiter den Bonzen in die Partei zurück. Und obendrein diskreditiert das Zentralkomitee mit diesem Abenteuer die Einheitsfronttaktik in den Augen der SP-Arbeiter aufs Schwerste – und auf lange hinaus.

Das Resultat dieses «Manövers» wird sein, dass die sozialdemokratischen Arbeiter von parlamentarischen Illusionen nicht befreit, sondern im Gegenteil, in ihnen bestärkt werden, besonders dann, wenn die Preußenregierung tatsächlich gestürzt werden und eine Rechtsregierung folgen sollte. Und da die Partei nur geschwächt, von großen, bisher sympathisierenden Teilen der Arbeiterschaft isoliert aus dieser Affäre hervorgehen kann, hat man ein eventuelles Verbot der Partei nicht erschwert, sondern im Gegenteil, erleichtert. Für all das trägt die Führung Thälmann-Remmele-Neumann & Co. die Verantwortung. Aber sie nicht allein. Für jeden Wissenden, der die Parteiverhältnisse kennt, kann kein Zweifel darüber bestehen, dass das ZK der KPD nicht auf eigene Faust von heute auf morgen, nachdem man fast ein halbes Jahr lang in den schärfsten Tönen gegen den faschistischen Volksentscheid geschrieben und gesprochen hat, – dass das ZK der KPD nicht auf eigene Verantwortung diesen Kopfstand gemacht hat. Für diese «Wendung» sind in gleiche» Maße wie die Thälmann-Remmele auch die heutigen «Führer» der Komintern, und in letzter Linie Stalin, mitverantwortlich. Es ist auch ganz des Letzteren Beispiel, das Thälmann befolgte: die Partei plötzlich, von heute auf morgen, mit einer «Wendung» zu überraschen und in tiefste Verwirrung zu stürzen. Solche Methoden treiben nur Wasser auf die Mühlen von Brandler und Urbahns, die die Situation zu einem Vorstoß gegen die Partei ausnutzen und ziemlich offen die Parole der Schaffung einer zweiten Partei aufrollen. Ihre Position lehnen wir aufs schärfste ab. wir haben mit ihr nichts Gemeinsames.

Unser Standpunkt ist nach wie vor der Kampf um die Rückführung der Partei zu einer richtigen, marxistisch-leninistischen Politik. Darum fordern wir auch alle Parteimitglieder auf, den wild gewordenen. Bürokraten in den Arm zu fallen, für einen außerordentlichen Parteitag einzutreten, der alle Fragen der Parteipolitik frei diskutiert und entscheidet, und als Garantie zur Durchführung dieser Lebensaufgaben der KPD. die Wiederaufnahme der linken Opposition in die Partei und Komintern zu fordern.

Kr ü g e r s e n.

Erklärung

[Nach Permanente Revolution, Zeitschrift der Linken Opposition der KPD (Bolschewiki-Leninisten) (Sektion der Internationalen Linken Opposition) 1. Jahrgang Nr. 3 (September 1931), S. 3]

Der mit Krügersen gezeichnete Artikel in Nr. 2 der «P. R.» ist als persönlicher und nicht als redaktioneller zu betrachten. Die dort geäußerten Ansichten über Arbeiter- und Bauernregierung werden von uns nicht geteilt. Die Diskussion über diese Frage, wie über die gesamten Thesen zur Reichskonferenz, wird im Mitteilungsblatt durchgeführt werden.

Die Reichsleitung und Redaktionskommission


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