Permanente Revolution 19310900 Aus den Organisationen

Permanente Revolution: Aus den Organisationen

[Nach Permanente Revolution, Zeitschrift der Linken Opposition der KPD (Bolschewiki-Leninisten) (Sektion der Internationalen Linken Opposition) 1. Jahrgang Nr. 3 (September 1931), S. 13 f.]

Warum so schüchtern?

Wir haben in Nr. 1 der «Permanenten Revolution» auf das Buch des Genossen Trotzki über die Februarrevolution hingewiesen. Schon damals lagen eine große Menge Besprechungen von Politikern und Wissenschaftlern vor, die sich noch inzwischen bedeutend vermehrt haben. Das ist nicht weiter verwunderlich. Die Probleme der russischen Revolution sind in unserer Epoche keine irgendwelchen historischen oder allgemein philosophischen, sondern es sind unmittelbare, aktuelle, an die Existenz jeder Klasse, jeder Partei, jedes Einzelnen rührende Fragen. Dass die Kominternpresse schweigt, nimmt nicht weiter Wunder. Ihre theoretische Nacktheit erlaubt ihr keine andere Taktik gegenüber der linken Opposition als die des Totschlagens oder Totschweigens. Aber wo bleiben die Brandlerianer, die sich bei jeder Gelegenheit als die Erbpächter der marxistischen Theorie hinzustellen belieben? Wie anders war es doch bei «Mein Leben» von Trotzki! An beiden Seiten des atlantischen Ozeans erhoben sie ein großes Geschrei, dass Trotzki in seiner Selbstbiographie – man bedenke welch Verbrechen – von sich selbst geschrieben habe und nicht von den Massen (Thalheimer allerdings müsste in einer Selbstbiographie ehrlicherweise mehr von den «Massen» seiner politischen Ammen und Inspiratoren, den Radek, Stalin usw. erzählen). Sie hatten dieses tiefsinnige Argument bei dem «großen» Heinz Neumann entlehnt

Nun ist ein neues Buch von Leo Trotzki erschienen. Es handelt über eine der brennendsten Fragen, die russische Revolution; es beschäftigt sich überwiegend mit den Massen, mit dem Verhältnis von Führer und Massen.

Warum auf einmal so schweigsam, ihr Allerweltstheoretiker? Warum habt ihr auf einmal Wasser im Mund? Lasst doch sehen was ihr jetzt über die Massen zu sagen oder zu erwidern habt? Vielleicht ist eure Theorie besser als eure Praxis von 23. Oder sind die Massen kein Problem mehr? Oder ist die russische Revolution für euch kein Problem mehr? Für euch, die ihr die «Kinderkrankheiten» von Lenin, die auch nur auf der russischen Erfahrung basiert, nicht müde werdet nach Zitaten zu brandschatzen? Thalheimer hat allerdings eine solche Linie schon in seiner «1923» Broschüre beschritten.

Ach, wahrscheinlich ist es aber so, dass Brandler über die Frank, Fröhlich, Walcher usw. den Maulkorb verhängt: «über Russland lieber nicht sprechen; das könnte die Ruhe von Freund Stalin stören! Nicht vergessen, dass wir nur Kominternbürokraten in Reserve sind.» – Die opportunistische Praxis stand ihm immer höher als die revolutionäre Theorie.

Bauer [=Erwin Ackerknecht].

Leipzig: Funktionär-Konferenz

In der Funktionärskonferenz am 24. VIII. hielt der «Führer» der sächsischen Kommunisten, Selbmann, von dessen «Qualitäten» wir bereits in Nr. 1 der «Perm. Rev.» berichtet haben, ein «politisches Referat». Der im Cliquen- und Intrigenkampfe um die «Führung» der sächsischen Kommunisten emporgekommene Selbmann zeigte sich auch auf der letzten Leipziger P-A-K als politischer Lügner und Dummkopf von erstaunlichem Ausmaß. Es ist charakteristisch für die Lage der KPD, dass solche Figuren wie Selbmann, der die personifizierte Unfähigkeit ist, die verantwortlichsten Funktionen innehaben.

Die Leipziger Opposition verteilte vor dem Versammlungslokal Material, und Selbmann, der sich allmählich als «Spezialist» in der Bekämpfung der Trotzkisten herausbilden wird, musste einen beträchtlichen Teil seines «Referats» der «Bekämpfung der Trotzkisten» einräumen. Besonders hatte es ihm wohl unsere Ablehnung des faschistischen Volksentscheids angetan. Auch in Leipzig lehnt ein großer Teil der Parteigenossen den «Volksentscheid» ab und empfinden schon aus ihrem Klassenbewusstsein heraus die Beteiligung am faschistischen Volksentscheid als schweren Fehler. Es gibt wenige Parteigenossen, die mit Überzeugung die Stellung der Partei in dieser Frage verteidigen können.

Was aber sagte Selbmann? «Keine Partei ist stolzer und siegessicherer aus dem Volksentscheid gegangen als die KPD. Der Gegner hat keine Ahnung, wie diszipliniert die KPD ist. Wir können es uns sogar leisten, auf der Stelle eine Wendung vorzunehmen».

Selbmann berichtete kein Wort davon, dass in den Zellen große Teile der Mitglieder sich gegen den Volksentscheid ausgesprochen haben, – er verschweigt den Funktionären, dass in Berlin im stärksten proletarischen Bezirk, Neukölln, die Parteigenossen das Kleben der Volksentscheidsplakate ablehnten und die Unterbezirksleitung selbst kleben gehen musste. Die Funktionäre werden einfach belogen durch «stolze und siegessichere» Phrasen.

Es ist auch durchaus nichts Neues, dass die Partei eine «Wendung auf der Stelle» vornehmen kann. So «wendet» die Partei, d. h. die Parteibürokratie seit Jahren. Wendung auf der Stelle, d. h. ohne Diskussion der Parteimitglieder, ohne Überprüfung der Erfahrungen, ohne innere Überzeugung der Parteigenossen. Diese Sorte von «Wendung», die nur auf Befehl der Bürokraten erfolgt, ist nur ein Zeichen der politischen Schwäche und führte zum heutigen Zustand der ideologischen Versumpfung der KPD.

Selbmann erzählte den Funktionären noch mehr, z. B. «die Trotzkisten stehen vollkommen verständnislos der Partei gegenüber, weil sie die Politik nicht kennen, keine Marxisten, keine Leninisten sind.»

Für die Selb- und Thälmänner bedeutet Marxismus-Leninismus: – nationalistischer Scheringerkurs, «Volkskrieg gegen die Westmächte», «Volksaktion und Volksrevolution», «nationale Befreiung». Die Linke Opposition lehnt allerdings diese schmutzige Fälschung und Besudelung der Lehren Marx' und Lenins ganz entschieden ab. Die Anpassung der KPD an die «Ideologie» und an die Phrasen des Nationalsozialismus hat nichts mit Marxismus zu tun. Nicht «nationale Freiheit», nicht «Volksrevolution», sondern proletarische Weltrevolution. dafür kämpften Marx und Lenin.

Selbmann redete auch über die letzte Stalin-Rede. Im Interesse des weiteren Emporsteigens und der weiteren Karriere Selbmanns wollen wir – zur Beachtung im ZK und EKKI und zur besonderen persönlichen Beachtung Stalins – seine einleitende «Erläuterung» wörtlich zitieren:

«Stalin hat vor kurzem eine Rede gehalten, eine gute schöne Rede und jedem Arbeiter, jedem Kommunisten lacht vor Freude das Herz im Leibe.»

Trotz «lachendem Herz» musste Selbmann zugeben, dass in den Reihen der Mitglieder und Funktionäre «Schwankungen» zu bemerken sind, «die auf den Einfluss bürgerlicher Zeitungen zurückzuführen sind.» Diese Einschätzung der Parteigenossen durch die Bürokratie ist bezeichnend: «sie unterliegen leicht dem Einfluss bürgerlicher Zeitungen». Wie jämmerlich muss doch die Führung einer Kommunistischen Partei sein, die es nicht versteht, die Funktionäre dem Einfluss der bürgerlichen Presse zu entziehen. Damit kennzeichnete Selbmann sich selbst und das ganze ZK.

Den «schwankenden Funktionären» wurde von Selbmann vor der Opposition bange gemacht mit solchen Schauergeschichten wie: «Wenn jetzt Genossen gegen die Parteilinie sprechen, so machen sie sich zu objektiven Helfern der Nazis und Sozis.» (Darüber, dass sich die KPD durch den Volksentscheid in Preußen zu objektiven Helfern der Nazis und des SPD-Parteivorstandes gemacht hat, sprach Selbmann nicht.)

Selbmann, der sicher in dieser Beziehung seine Erfahrungen gesammelt hat, erzählte weiterhin, dass «all die Leute, die in Opposition zur Partei stehen, nur einen Posten im ZK haben wollen». Weiter als bis zum «Posten» reicht das Verständnis der Selbmänner nicht aus, der «Posten» ist ihre einzige Sorge und ihr einziges Kriterium.

Eine «Schwäche» hielt Fritze Selbmann den Funktionären besonders eindringlich vor, nämlich dass die Parteigenossen nicht gegen die Opposition auch mit den Mitteln der physischen Gewalt auftreten, trotzdem die Partei und nicht die Opposition recht habe. Das sagt zwar Selbmann, aber ein großer Teil der Parteimitglieder merken immer mehr, dass eben nicht die Partei, sondern die linke Opposition recht hat: – die Parteiarbeiter fühlen sich – und das mit Recht – unsicher, wenn sie die Linie des Nationalkommunismus, die Linie Scheringer-Selbmann verteidigen sollen.

Die Linke Opposition (Bolschewiki-Leninisten) wird die zu innerer kritischer Einstellung kommenden Parteigenossen wieder auf der Linie des Marxismus-Leninismus und zum Kampfe gegen die bürokratischen Schreihälse vom Schlage Selbmanns sammeln. Unser Ziel ist die bolschewistische Reform der KPD und in einer bolschewistischen Partei haben solche politischen Gestalten wie Selbmann keinen Platz.

Rund um den Volksentscheid

Aus P., einem Dorf an der preußisch-sächsischen Grenze, berichten uns Genossen ein Ereignis, das sehr grell das klassenmäßig Widersinnige des Volksentscheids beleuchtet. Die Großbauern dieser Gegend fuhren mit ihren Autos bei den Landarbeitern, die dort immer kommunistisch gewählt haben, herum, um sie ins Wahllokal zu schleppen. Als jene sich weigerten, zu folgen, kamen die Großbauern mit dem zynisch-schlauen Argument: «Was wollt Ihr denn? Ihr sollt ja nicht für uns fahren, sondern für die Kommunisten, denen ihr immer gefolgt seid!» Die klassenbewussten Landarbeiter konnten auch durch diesen Trick nicht zu einem Block mit ihren Ausbeutern gebracht werden. Aber an der KPD sind sie irre geworden. Nebenbei illustriert der Vorfall auch sehr klar, wer im «roten» Volksentscheid geführt hat.

Ba.

Versammlung in Lauenburg (Elbe)

Die Lauenburger Ortsgruppe der KPD ist von der Parteibürokratie zerschlagen, weil sich die Genossen den Auffassungen der Linken Opposition angeschlossen haben. Obwohl der Parteikommissar in seinem Bericht an die Parteileitung einwandfrei feststellen musste, dass die Ortsgruppe sehr aktiv und ihre Führung mit dem Gen. Rührig die fähigste und ergebenste ist, wurden die Genossen ausgeschlossen und jetzt mit den schmutzigsten Mitteln bekämpft. Die Gen. sind alle alte erfahrene Parteiarbeiter, die die Entstehung und Entwicklung der Partei mitgemacht haben und gute Arbeit in den Massenorganisationen leisten.

Am 8. August hielten die Genossen eine öffentl. Versammlung «Gegen den Volksentscheid» ab, in der Gen. Röhrig vor 300 Arbeitern sprach. Die Partei hatte 8 Tage vorher nur 94 Teilnehmer in ihrer Versammlung.

Am 5. September fand eine neue Versammlung statt, die trotz guter Vorbereitung unter dem Unwetter litt, dennoch waren 45 Arbeiter anwesend, die dem Referat des Gen. Jahnke-Hamburg sehr aufmerksam folgten.

Gen. J. referierte über das Thema: «Gegen Lohn- und Unterstützungsraub, die Einheitsfront des Proletariats!», Gen. K. beschäftigte sich in kurzen Ausführungen mit den örtlichen Vorgängen.

Am Sonntag, dem 6. 9.. fand dann eine Mitgliederversammlung statt, in der die Gruppe endgültig gebildet, Verbindung mit den umliegenden Ortsgruppen der Partei besprochen und darüber hinaus nach gründlicher Aussprache Beschlüsse » fasst wurden, die eine weitere gute Arbeit der Genossen erwarten lassen.

Gr[ylewicz]

Berlin: Vorbildliche Lohnbewegung

Die Firma Crystalate Ges. (Schallplattenproduktion) in Berlin Reinickendorf stellte Anfangs August einen beschleunigten Stilllegungsantrag. Aus durchsichtigen Gründen wollt sie loskommen von dem bestehenden Tarif, der am 31. August abgelaufen war. Bei den einige Tage später stattgefundenen Verhandlungen stellte sie die Forderung: 20 % Lohnabbau Freizügigkeit bei Einstellungen und vierteljährige Tarifdauer. Falls die Belegschaft nicht damit einverstanden sei müsse die Firma sofort den Betrieb schließen. Die Kollegen, 100 % organisiert, ließen sich nicht einschüchtern. Sie forderten in einer Belegschaftsversammlung 10% Lohnerhöhung, sowie Verbesserung des Urlaubs. Nach dem Bericht des Betriebsrates über die Forderungen der Firma fassten die Kollegen mit 71 zu 3 Stimmen den Beschluss, falls bis zum 31. 8. mittags keine Einigung erzielt sei, sofort in den Streik zu treten. Nach mehreren hartnäckigen Verhandlungen wurde die Einigung dahingehend erzielt, und von beiden Teilen angenommen, dass der alte Tarif auf ein Jahr verlängert wird Die Löhne sind:

Presser im Akkord 1,80 -1,90 Mark, Lohnarbeiter 1,10 bis 1,70 Mark und Frauen 0,68-0,72 Mark Stundenlohn. Urlaub: Nach 6 Monaten 2 Tage, nach 9 Monaten 3 Tage. Nach einem Jahr 4 Tage usw. bis 10 Tage nach 10 Jahren Branchenzugehörigkeit zählt, falls der Kollege mindestens 6 Monate im Jahr gearbeitet hat, mit.

Aller.

Zwei öffentliche Diskussionsabende

Die Berliner Genossen veranstalteten nach dem «Rote» Volksentscheid» 2 öffentliche Diskussionsabende im 4. Bezirk und Charlottenburg.

Im 4. Bezirk erschienen einige K. J. und K. P. Mitglieder, die sich in der Aussprache z. T. für die Auffassung der linken Opposition aussprachen und zugaben, dass die Parteileitung, besonders in letzter Zeit, große Fehler gemacht hätte.

In Charlottenburg erschienen etwa 40 Teilnehmer, darunter einige KPD Mitglieder, KPO und KAP. Nach dem Referat des Gen. J. fand eine sehr lebhafte Aussprache statt, an der sich alle Richtungen beteiligten. Die KA-Leute versuchten die Fehler der Parteiführung für ihre Zwecke auszunützen, wurden aber einmütig und energisch zurückgewiesen.

Ein KPD-Genosse versuchte den Volksentscheid zu rechtfertigen, während ein anderer KPD-Genosse die Rückkehr der Linken in die Partei forderte, um in der Partei an der Reformierung der Partei zu arbeiten. Darüber aufgeklärt, dass die Linken die Partei nicht selbst verlassen, sondern wegen ihrer Kritik an der falschen Führung von der Bürokratie ausgeschlossen wurden, verpflichtete er sich, in seiner Parteizelle die Wiederaufnahme der Linken zu fordern.

Im Schlusswort ging der Referent besonders auf die Rechten mit ihrer prinzipienlosen «Kampfgemeinschaft gegen Reaktion und Faschismus» ein und wies nach, dass diese niemals in der Lage ist, Aufgaben des Proletariats zu lösen.

Unsere Genossen mussten den Teilnehmern zusagen, recht bald einen neuen Aussprachabend folgen zu lassen, weil für sie das Referat und die Diskussion sehr lehrreich war.

Beide Abende, besonders der Charlottenburger, waren ein guter Erfolg für die L. O.

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