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Leo Trotzki 19171219 Bericht auf der Sitzung des Petrograder Sowjets über die Außenpolitik

Leo Trotzki: Bericht auf der Sitzung des Petrograder Sowjets

über die Außenpolitik

(6. Dezember)

[„Iswestija“ Nr. 247, 9./22. Dezember 1917. Eigene Übersetzung nach Л. Троцкий. Сочинения. Том 3, часть 2. Москва-Ленинград, 1925]

Die Friedensverhandlungen begannen erst gestern, und ich kann nichts sagen, außer dass zur Ergänzung der Delegation gestern der bekannte Historiker Professor Pokrowski, ein Mitglied der bolschewistischen Partei, abreiste, um an den Verhandlungen teilzunehmen.

Es ist äußerst wichtig festzuhalten, dass die Friedensverhandlungen in Brest-Litowsk mit wichtigen Fakten hier vor Ort zusammenfielen. Gestern fand ein Treffen zwischen mir, dem Vertreter der Sowjetregierung, und dem französischen Botschafter statt, das erste seit dem Tag des Umsturzes. Nachdem sie die Sowjetmacht nicht anerkannt hatten, kam eine Initiative meinerseits in dieser Angelegenheit nicht in Frage, und das Treffen fand nicht auf meine Initiative statt. Beim gegenwärtigen Stand der Dinge in Frankreich ist diese Tatsache recht aufschlussreich. Die französische Politik wird jetzt vom Chauvinisten Clemenceau geleitet, und der französische Botschafter vertritt keineswegs das sozialistische und demokratische Frankreich. Er, der Vertreter der Finanzbourgeoisie Frankreichs, sah es dennoch als möglich an, ein Treffen mit einem Vertreter der Sowjetmacht zu haben. Bei meiner Rückkehr von der französischen Botschaft traf ich mich hier im Smolny mit vier Konsuln aus alliierten und neutralen Ländern, die gekommen waren, um die Frage der diplomatischen Kuriere zu regeln.

Ich kann auf dieser Grundlage keine offiziellen Aussagen machen, aber persönlich bin ich bereit, diesen Schritt als Neigung zu interpretieren, auch zu Friedensverhandlungen zu gehen.

Ich komme auf die Frage der Kuriere zurück. Ein diplomatischer Kurier ist eine Person, die eine versiegelte, völlig unverletzliche Tasche mit verschiedenen Informationen erhält, die nicht gelesen werden dürfen. Als unser Kurier ein Visum bei einer alliierten Botschaft beantragte, wurde ihm, weil sie die neue Regierung nicht anerkannte, die Ausstellung eines Passes verweigert. Dazu haben wir ihnen gesagt, dass sie, da sie die neue Regierung nicht anerkennen und es Botschafter nur bei einer Regierung geben kann, keine Botschafter sind und ihre Kuriere daher keine Pässe erhalten. Sie konnten uns die Logik dieser Aussage nicht abstreiten und nicht sagen, dass wir falsch liegen. Jetzt ist die Sache mit den Kurieren beigelegt.

Wenn sie weiterkämpfen wollten, würden sie keine geschäftsmäßigen Beziehungen mit uns aufnehmen, denn es ist klar, dass wir auf diesem Weg nicht ihre Weggefährten sind, und deshalb führt mich das zu der geäußerten Idee.

Gestern war der Leiter der US-[Militär-]Mission Jadson da und erklärte, dass alle amerikanischen Offiziere in Russland bei der Mission versammelt seien. Ich habe bereits mit dem französischen Botschafter darüber gesprochen.

Die Sache ist die, dass Offiziere unserer Alliierten sich bei der Rada und dem Stab Kaledins einfanden. Wenn die Rada bereits als völlig unabhängig anerkannt worden wäre, wäre die französische Regierung berechtigt, ihre Vertreter dorthin zu delegieren. Aber die Situation ist ganz anders. Sie sind bei der russischen Regierung akkreditiert, sind aber hier abwesend, um die Gelegenheit auszuspähen, ob man gegen uns etwas tun kann. Der Botschafter versicherte mir, dass sie sich in keiner Weise in unsere Angelegenheiten einmischen würden. Diese Antwort hat mich nicht befriedigt, ich sagte dem Botschafter, sie sollten bei der russischen Regierung akkreditiert sein und nicht beim Stab der Konterrevolution, und ansonsten könne ich nicht für ihre Unversehrtheit bürgen.

Der belgische Botschafter äußerte auch seinen Wunsch auf ein Treffen.

So fielen Friedensverhandlungen mit einer gewissen Verbesserung in den Beziehungen zu den Alliierten zusammen. Sie erkannten, dass die Sowjetregierung im Zentrum und vor Ort fest steht und man mit ihr rechnen muss. Und unser Prinzip der Beziehungen ist die bedingungslose Demokratie, und sie müssen sich darauf einstellen.

Heute ist eine Vereinbarung mit Japan veröffentlicht worden, die bestimmte Bedingungen für den Fall eines Krieg mit Japan festlegt. Zwischen unseren Verbündeten gibt es klare Gegensätze. Sie stellen kein Ganzes dar, sie sind durch Feindschaft zerrissen und durch einen Interessenwiderspruch gespalten – das macht unsere Situation besser. Der Kampf zwischen ihnen dient uns dabei, keinen Schaden zu erleiden.

Unsere Verhandlungen, die wir mit der Spitze führen müssen, wollen wir durch direkte Kommunikation mit dem deutschen Volk ergänzen. Gestern wurde eine Waggonladung Zeitungen nach Deutschland geschickt, in der wir Geheimdokumente und den Fortgang der Waffenstillstandsverhandlungen abdrucken. Wir nehmen keine Rücksicht darauf, dass wir mit Deutschland über den Frieden verhandeln, sondern wir sprechen gleichzeitig weiterhin mit unserer üblichen revolutionären Sprache. Wir sagen, dass das deutsche Volk auf die Oberen Druck ausüben muss und dass nur seine revolutionäre Intervention Frieden auf unserer Grundlage geben wird.

Morgen wird die erste Nummer unserer Zeitung auf Ungarisch erscheinen.

Ein Vertreter der österreichisch-ungarischen Gefangenen, ein Offizier, ein alter Internationalist und bekannter Kämpfer, bietet uns seine Agitationsdienste an. Die Agitation wird in die Richtung geführt, unsere Prinzipien des Friedensschlusses zu akzeptieren und diese Bedingungen im Namen aller Gefangenen Österreich-Ungarn zu präsentieren. Und wenn eine negative Antwort folgt, werden die Gefangenen ihre Truppe bilden und sie uns zur Verfügung stellen. (Beifall.)

Die Zeit ist gekommen, in der wir unsere Partei von Verleumdung reinigen können. Die Tat des Offiziers zeigt, dass es immer noch eine wirkliche Internationale gibt, die ihre Parolen nicht verkauft, die gegen die Bourgeoisie kämpft und in diesem Kampf bis zum letzten Schritt geht.

Bezüglich der Situation mit unseren inneren Feinden, sie erweist sich als günstiger für uns, ob es ihnen gefällt oder nicht, günstiger als das, was wir zuerst erwartet haben.

Die Rada fand bei uns immer Unterstützung und Sympathie. Wir glauben immer noch, dass die Rechte des ukrainischen Volkes auf Unabhängigkeit heilig sind.

Als Tereschtschenko und Zereteli der Rada Zugeständnisse machten, zogen sich die Kadetten aus der Regierung zurück. Aber jetzt will unsere Bourgeoisie unter dem Schutz der Rada die Konstituierende Versammlung in Kiew versammeln – unsere Bourgeoisie und die ukrainische haben sich zu einem allgemeinen Hass gegen die Sowjetmacht verstiegen. Klasseninteressen sind stärker als nationale Interessen.

Die Sowjetregierung erkennt die größte Autonomie der Ukraine an. Wir sind gegen jede Unterdrückung, auch gegen nationale.

Aber innerhalb des ukrainischen Volkes fürchtet sich die bürgerliche Klasse vor der Sowjetmacht und kämpft gegen sie. Aus diesem Grund gruppieren sich um die Rada Kaledin, Kornilow und alliierte Offiziere. Sie wollen das Volk täuschen und ihm sagen, dass die Sowjetregierung gegen das ukrainische Volk ist.

Der Kampf gegen die Rada findet auf einer sozialen und Klassenbasis statt. Die Rada behindert die Friedensverhandlungen: Sie entwaffnet russische Truppen auf dem Territorium der Ukraine und zerstört dadurch die russische Front.

Die Ukraine hat jedes Recht – und niemand stört sie darin –, eigene nationale Regimenter zu bilden. Aber wenn Petljura einzelne Einheiten aus der Einheitsfront der ukrainischen und russischen Regimenter herauszieht und auf nichts Rücksicht nehmen will, ist dies eine bewusste Desorganisation der Front zum Nachteil der Sowjetmacht.

Die Rada lässt Kaledins Truppen zu unserer Niederschlagung durch und lässt die nicht durch, die wir gegen Kaledin schicken. Sie umzingelte heimtückisch, verräterisch nachts unsere Truppen und entwaffnete sie in Kiew. Den gleichen Versuch gab es in Charkow, aber er traf auf den Widerstand der Garnison; in Odessa gab es aus diesem Grund einen Kampf.

Die nationalen Interessen der Ukraine werden keineswegs geschädigt.

In Finnland ist die Bourgeoisie an der Macht. Aber es gibt keinen Konflikt zwischen uns, denn sie hindert uns nicht, versucht nicht, unsere finnischen Truppen zu entwaffnen. Wenn die Weiße Garde solche Aktionen begonnen hätte, hätte sich auch unsere revolutionäre Demokratie mit ihr befasst. Aber vorerst ist es nicht der Fall, und wir pflegen gute nachbarschaftliche Beziehungen.

Aber die bürgerliche ukrainische Rada hat nicht zufällig alle unsere Feinde um sich versammelt. Sie steht in Verbindung mit Kaledin, den Kadetten, alliierten Offizieren, all denen, die die Sache des Friedens vereiteln wollen. Der Rada versprechen England und Frankreich einen Kredit. Es ist klar, dass dem Imperialismus dieser Länder die Interessen des ukrainischen Getreidebauern fremd und völlig gleichgültig sind, und der Kredit mit dem Ziel gewährt wird, eine Basis für die Verlängerung des von dieser Seite benötigten Krieges zu schaffen. Ich fragte den französischen Botschafter, ob es wahr sei, dass sein Land der Rada einen Kredit gebe. Er antwortete, das sei nicht wahr.

Aber die Bemühungen der ukrainischen Rada werden gerade am Widerstand des ukrainischen Volkes zerbrechen, das Frieden braucht.

Die Rada hat dem Volk kein Land gegeben, und die Tatsache, dass sie mit der Bourgeoisie aller Länder kokettiert und liebäugelt, lässt sie das Volk hassen. Unabhängigkeit ist für die Ukraine notwendig, aber die Unabhängigkeit des Landwirts, des Bauern und nicht die Freiheit der Bourgeoisie.

Die Rada betreibt die Politik Kerenskis, sie haben einen gemeinsamen Feind – die Sowjets, die ukrainischen und die großrussischen, und das schafft für uns und die Ukrainer einen gemeinsamen Weg und ein gemeinsames Ziel – den Feind zu brechen.

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