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Leo Trotzki 19170902 Justizminister A. S. Sarudnij bekommt Nachhilfe von Trotzki

Leo Trotzki: Justizminister A. S. Sarudnij bekommt Nachhilfe von Trotzki

[„Proletarij“ Nr. 7, 2. September (20. August), 1917, erschienen unter dem Pseudonym P. Tanas. Eigene Übersetzung nach Л. Троцкий. Сочинения. Том 3, часть 1. Москва-Ленинград, 1924]

Einige Publikationen veröffentlichten Anfang August Briefe des Genossen Trotzki an die Provisorische Regierung und den Justizminister über die Übungen des ehemaligen Staatsanwalts Karinskij in Agitation, der sich eindeutig nicht auf den Lorbeeren von Perewersew-Alexinski hätte ausruhen dürfen. Wie uns berichtet wird antwortete der „volkssozialistische“ Justizminister dem Genossen Trotzki mit einer besonderen Attitude, in der der Gefangene darüber informiert wurde, dass der Justizminister die „Eingabe" nicht „weiterleiten" könne, da sie „anstößige" Ausdrücke bezüglich Angehörigen der Gerichtsabteilung enthalte. Offensichtlich erblickte Herr Sarudnij sie in der Behauptung des Genossen Trotzki, dass der Staatsanwalt Karinskij „durch die Kanäle der wütenden reaktionären Presse" wissentlich falsche Anschuldigungen gegen die Führer einer großen politischen Partei erhebe, und dass Karinskij nicht eine gerichtliche Untersuchung betreibe, sondern reaktionäre politische Ziele verfolge. Der Vorwurf ist zweifellos sehr schwerwiegend, aber wir weigern uns entschieden, zu verstehen in welchem Sinne man ihn „anstößig" nennen kann. Und welches Recht der Minister hat, die gegen eine ihm untergeordnete Person gemachte „Eingabe nicht weiterzuleiten“, ist noch schwerer zu verstehen. Gerechtigkeit ist keine Göttin des guten Geschmacks, Herr Minister!

Genosse Trotzki muss sich nach unserer Meinung mit einer Erklärung dieser Art an Herrn Sarudnij wenden: „Euer Exzellenz, nachdem ich unter den schlechten Bedingungen des alten Regimes aufgewachsen bin und verhärtete Sitten habe, konnte ich in den drei Monaten meines Aufenthaltes in der Sonne der nationalen Freiheit noch nicht lernen, mich über kriminelle Handlungen der republikanischen Staatsanwaltschaft in Worten auszudrücken, die nicht die Empfindlichkeit des volksozialistischen Generalstaatsanwalts verletzen“.

Beim Besuch im „Kresty" schüttelten Sarudnij, wie uns erzählt wird, mehreren Gefängniswärtern die Hände. Ich erinnere mich daran, dass Kerenski, als er Justizminister wurde, dem Pförtner des Ministeriums die Hand schüttelte. Die „Geste" ist zwar sehr ausdrucksvoll. Aber es wäre ein Fehler zu denken, dass dies die Hauptaufgabe des Demokraten sei. Der amerikanische Präsident schüttelt einmal im Jahr allen die Hände, die nicht faul sind; das hindert ihn aber nicht daran, ein treuer Hüter der Interessen der Finanzoligarchie zu sein. Der Demokratismus besteht genauso wenig im Verteilen von billigen Händedrücken, wie der Bourbone über die angebliche Nichtbeachtung der Regeln der Höflichkeit schreit. Demokratismus ist eine Frage des Inhalts, nicht der Form. Der demokratische Justizminister kann nicht die schwersten Anschuldigungen abtun, indem er sich auf ihren „anstößigen" Ton beruft. Der demokratische Justizminister verdeckt nicht die Schwarzhunderter-Verleumdung, indem er sich auf die „Unabhängigkeit" der Richter beruft ...

Das Maß, in dem Herrn Sarudnijs Stellung falsch ist, ergibt sich aus der Tatsache, dass er, nachdem er sich geweigert hatte, die Erklärung des Genossen Trotzki zu übergeben, Herrn Karinskij selbst „weiterleiten" musste. Der ehemalige Staatsanwalt der Gerichtskammer flog ... Es ist sehr erfreulich, obwohl es äußerst frivol wäre, aus dieser Tatsache zu schließen, dass in der Abteilung von Sarudnij jetzt das Regime der demokratischen Justiz eingeführt werde. Nein, dafür wäre es notwendig, alle Mitarbeiter, die Sarudnij untergeordnet sind, radikal zu erneuern. Und dieses neue Personal würde einen anderen Justizminister brauchen.

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