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Leo Trotzki 19190300 Unsere Politik in der Frage der Armeebildung

Leo Trotzki: Unsere Politik in der Frage der Armeebildung

Thesen, angenommen auf dem VIII. Parteitag der KPR im März 1919.

[nach Leo Trotzki: Die Geburt der Roten Armee. Wien 1924, S. 165-175]

A. Allgemeiner Teil.

I.

Das alte sozialdemokratische Programm forderte die Bildung einer Volksmiliz auf der Grundlage einer nach Möglichkeit nicht kasernierten Ausbildung im Kriegshandwerk aller waffenfähiger Bürger. Diese Programmforderung, die in der Epoche der zweiten Internationale den imperialistischen stehenden Heeren mit ihrer Kasernendienstpflicht, mit ihrer langen Dienstdauer und ihrem kastenmäßigen Offiziersstand entgegengesetzt wurde, hatte dieselbe historische Bedeutung, wie auch andere Forderungen der Demokratie: die des allgemeinen gleichen Wahlrechts, des Einkammer-Systems usw. Unter den Verhältnissen der „friedlichen“ kapitalistischen Entwicklung und der für einige Zeit erzwungenen Anpassung des Klassenkampfes des Proletariats an die Grenzen der bürgerlichen Legalität bildete die Forderung der möglichst demokratischen Formen in der Organisation des kapitalistischen Staates und der kapitalistischen Armee eine natürliche Aufgabe der Sozialdemokratie. Der Kampf auf dieser Grundlage hatte zweifellos erzieherische Bedeutung, hat aber, wie die Riesenerfahrung des letzten Krieges gezeigt hat, als Resultat des Kampfes für die Demokratisierung des bürgerlichen Militarismus noch geringere Erfolge gezeitigt als der Kampf für die Demokratisierung des bürgerlichen Parlamentarismus. Denn auf dem Gebiet des Militarismus kann die Bourgeoisie, will sie sich selbst nicht verleugnen, nur einen solchen „Demokratismus" zulassen, der ihre Klassenherrschaft nicht berührt, d. h. einen eingebildeten, illusorischen Demokratismus. Sowie es sich um die Grundinteressen der Bourgeoisie handelt, sowohl im internationalen Maßstab, wie auch in den inneren Beziehungen, hat der Militarismus in Deutschland, in Frankreich, in der Schweiz, in England, in Amerika, trotz aller Verschiedenheiten der Staatsformen und der Armeestruktur dieser Länder, die gleichen Züge der schonungslosen Klassenbrutalität gezeigt.

II.

Wenn der Klassenkampf zu offenem Bürgerkrieg wird, die Hülle des bürgerlichen Rechts und der bürgerlich-demokratischen Einrichtungen sprengt, dann verliert die Losung der „Volksmiliz" ebenso ihren Sinn wie die Losungen des demokratischen Parlamentarismus, und wird daher zu einem Werkzeug der Reaktion. Wie die Losung der „Nationalversammlung“ ein Feigenblatt für die Arbeit zur Wiederherstellung der Herrschaft der Gutsbesitzer und Kapitalisten wurde, ebenso ist die Losung einer „Volksarmee" oder Armee „des gesamten Volkes“ zum Mittel der Bildung der Armeen von Krasnow und Koltschak geworden.

Nach den Erfahrungen der russischen Revolution muss man die wahrhaft erbärmliche Kleinbürgerblindheit eines Kautsky besitzen, um in der Frage der Organisation der Staatsmacht und der Armee formale Demokratie zu predigen zu einer Zeit, wo die deutsche Nationalversammlung aus Berlin nach Weimar flüchtet und sich unter den Schutz weißgardistischer Regimenter stellt, wo der General Hoffmann seine eisernen Bataillone aus den Söhnchen der Junker, der Bourgeois und der Krauter anwirbt, während die Spartakisten die Bewaffnung der revolutionären Arbeiter besorgen. Die Epoche der proletarischen Revolution, in der wir uns befinden, ist die Epoche des offenen Bürgerkriegs des Proletariats gegen jeden bürgerlichen Staat und jede bürgerliche Armee, unabhängig davon, ob sie durch Formen der Demokratie verdeckt oder nicht verdeckt wird. Der Sieg des Proletariats in diesem Bürgerkrieg führt unausweichlich zur Errichtung eines proletarischen Klassenstaates und einer Klassenarmee.

III.

Wenn wir für die nächste historische Periode den sog. Volkscharakter der Miliz, wie er in unserem alten Programm enthalten war, ablehnen, so brechen wir trotzdem mit dem Programm der Miliz an sich nicht. Wir stellen die politische Demokratie auf eine Klassengrundlage und erheben sie zu einer Sowjetdemokratie. Wir übertragen die Miliz auf Klassengrundlagen und machen sie zu einer Sowjetmiliz. Das nächste Arbeitsprogramm besteht folglich in der Bildung einer Armee der Arbeiter und der armen Bauern auf der Grundlage der Pflichtausbildung, und zwar nach Möglichkeit außerhalb der Kaserne, d. h. unter Bedingungen, die den Arbeitsbedingungen der Arbeiterklasse nahekommen.

IV.

Der tatsächliche Gang der Entwicklung unserer Roten Armee befindet sich scheinbar in Widerspruch zu den genannten Forderungen. Ursprünglich schufen wir die Armee auf der Grundlage des Freiwilligenprinzips. Darauf führten wir die Pflichtausbildung für Arbeiter und Bauern, die keine fremde Arbeitskraft ausbeuten, ein und schritten gleichzeitig zur Zwangsrekrutierung einer Reihe von Altersklassen der werktätigen Klassen. Diese Widersprüche waren keine zufälligen Verirrungen, sondern ergaben sich aus den Umständen und waren unvermeidliche Übergangsformen bei der Schaffung der Armee unter jenen konkreten Bedingungen, die wir infolge des imperialistischen Krieges und der bürgerlichen (Februar-)Revolution geerbt hatten. Das Freiwilligensystem ist das einzige mögliche Mittel zur Bildung auch nur einigermaßen kampffähiger Truppen bei dem katastrophalen Zerfall der alten Armee und aller Organe zur Formierung und Leitung dieser Armee. Der beste Beweis dafür ist, dass im heutigen Deutschland die gegenrevolutionären Generäle ebenso wie die Spartakisten gezwungen sind, Freiwilligenbataillone zu bilden. Der Übergang vom Freiwilligensystem zur Dienstpflicht wurde in dem Augenblick möglich, wo die Hauptmassen der alten Armee von den Städten und Dörfern aufgesogen waren und örtliche Organe der Armeeverwaltung, der Kontrolle, der Truppenformierung und Intendantur (die Kommissariate in Gemeinde, Bezirk, Gouvernement und Kreis) bereits gebildet waren.

V.

Die Gegenüberstellung des Gedankens der Freischärler-Truppen und einer planmäßig organisierten zentralisierten Armee (Propaganda der „linken“ Sozialrevolutionäre und ähnlicher Leute) ist die Karikatur eines politischen Gedankens oder Gedankensplitters kleinbürgerlicher Intellektueller. Die Methoden des Freischärler- und Bandenkampfes wurden dem Proletariat in der ersten Periode durch seine unterdrückte Stellung im Staate aufgezwungen, wie ihm auch die Benutzung primitiver illegaler Druckereien und illegale Versammlungen von Zirkeln aufgezwungen waren. Die Eroberung der politischen Macht hat dem Proletariat die Möglichkeit gegeben, den Staatsapparat zum planmäßigen Aufbau einer zentralisierten Armee auszunutzen, deren einheitliche Organisation und einheitliche Leitung allein die größten Resultate unter den geringsten Opfern garantieren können. Bandenkrieg als Kriegsprogramm propagieren, ist dasselbe, als wollte man die Rückkehr von der Großindustrie zur Hausindustrie empfehlen. Eine solche Predigt entspricht durchaus der Natur der intellektuellen Gruppen, die unfähig sind, die Staatsmacht zu beherrschen, ja die sogar unfähig sind, sich die Beherrschung dieser Staatsmacht zur Aufgabe zu machen, und die sich austoben in bandenmäßigen (polemischen oder terroristischen) Überfällen gegen die Arbeiterregierung.

VI.

Man kann es für theoretisch unbestreitbar halten, dass wir die beste Armee erhalten würden, wenn wir sie auf der Grundlage einer Ausbildungspflicht der Arbeiter und werktätigen Bauern unter Bedingungen schaffen könnten, die ihrer täglichen Arbeit angenähert sind. Die allgemeine Gesundung der Industrie, die Erhöhung der Kollektivität und Produktivität der landwirtschaftlichen Arbeit würde die gesündeste Grundlage für die Armee abgeben, deren Kompanien, Bataillone, Regimenter, Brigaden und Divisionen mit den einzelnen Fabrikswerkstätten, Betrieben, Dörfern, Gemeinden, Kreisen, Gouvernements usw. zusammenfallen würden. Eine solche Armee, deren Bildung im gleichen Schritt mit dem wirtschaftlichen Aufschwung des Landes und unter paralleler Erziehung des Kommandopersonals fortschreiten würde, würde die unbesiegbarste Armee der Welt werden. Auf eine solche Armee zielen wir ab, früher oder später werden wir zu ihr kommen.

VII.

Die Notwendigkeit des unmittelbaren und unaufschiebbaren Kampfes gegen den inneren und äußeren Klassenfeind hat uns aber nicht gestattet, auf solchem „organischen“ Wege zu einer Arbeiter- und Bauernmiliz zu kommen, wozu wir einige Jahre oder jedenfalls eine lange Reihe von Monaten gebraucht hätten. Wie wir am Tage nach der Oktoberrevolution gezwungen waren, zu Freiwilligenverbänden zu greifen, so waren wir bei der nächsten Etappe, im Sommer des vorigen Jahres, als der Ring des Imperialismus sich besonders eng um Sowjetrussland schloss, gezwungen, unsere Militärarbeit zu forcieren und, ohne auf milizmäßige, d. h. nicht kasernierte Formationen eines territorialen Typus zu warten, zur allgemeinen Zwangsmobilisierung bestimmter Altersklassen, zu ihrer beschleunigten Ausbildung und Konzentration in Kasernen zu greifen. Dabei sind alle Bemühungen der Militärbehörden darauf gerichtet, die Kaserne einer Kriegsschule anzunähern, sie zum Herd nicht nur einer rein militärischen Ausbildung, sondern auch einer allgemeinen und politischen Ausbildung zu machen.

VIII.

Unser gegenwärtiges, aktives, d. h. handelndes oder unmittelbar sich auf Handlungen vorbereitendes Heer repräsentiert eben den genannten Übergangstypus: seinem sozialen Bestände nach ist es ein Klassenheer, den Methoden der Bildung und der Ausbildung nach ist es kein Milizheer, sondern ein „stehendes", „reguläres“ Heer. Wenn in diesem letzten Umstand die Quelle vieler innerer Schwierigkeiten, besonders bei der außerordentlichen Verelendung des Landes, enthalten ist, so können wir doch gleichzeitig mit Genugtuung sagen, dass auch diese Armee eines Übergangstypus, eine Armee, die unter den ungünstigsten Bedingungen geschaffen worden ist, die Fähigkeit, ihre Feinde zu schlagen, bewiesen hat.

IX.

Gleichzeitig mit einer kasernenmäßigen oder rein feldmäßigen Bildung der Armee, d. h. mit Formationen, die unter Kampfumständen gebildet werden, geht auch eine umfangreiche Arbeit einer allgemeinen Ausbildung der Arbeiter und werktätigen Bauern am Orte ihres Wohnsitzes vor sich. Im Verhältnis zu unseren regulären Formationen wurde die Arbeit der allgemeinen Ausbildung auf ihren ersten Stufen als elementare Vorbereitung betrachtet, als Anerziehung bestimmter Griffe für den einzelnen Kämpfer, zum Zweck der Beschleunigung seiner weiteren Ausbildung im Verband derjenigen Kampfeinheit, der er eingereiht werden wird. Es lässt sich nicht bestreiten, dass auch aus diesem beschränkten Gesichtsfeld gesehen die allgemeine Ausbildung schon jetzt in der Frage der Bildung der Armee wichtige Dienste leistet.

X.

Aber die Aufgabe der allgemeinen Kriegsdienstausbildung kann unter keinen Umständen sich auf die genannte Hilfsdienstrolle beschränken. Die allgemeine Ausbildung muss über eine Reihe von Etappen hinweg, die mit der unaufschiebbaren und dringenderen Arbeit zur Bildung regulärer Truppenteile in Einklang zu bringen sind, uns zur Schaffung einer wirklichen Milizarmee führen.

XI.

Es ist für den genannten Zweck erforderlich, dass die allgemeine Ausbildung sich nicht auf die Aufgaben der individuellen militärischen Ausbildung beschränkt, sondern übergeht zur Bildung, wenn auch für den Anfang noch so kleiner Heereseinheiten, die nach Möglichkeit in ihren einzelnen Elementen, d. h. den Arbeitern und Bauern, nicht aus ihrer normalen Arbeitsweise gerissen werden. Die allgemeine Ausbildung muss zur Bildung einzelner Korporalschaften, Kompanien, später Bataillone und Regimenter, in noch weiterer Perspektive ganzer Divisionen aus den Arbeitern und Bauern einer Gegend mit einem örtlichen Kommandostab mit örtlichen Waffenreserven und mit Beständen an allgemeiner Ausrüstung fortschreiten.

XII.

Setzt man voraus, dass auch fernerhin ununterbrochen und dauernd gegen imperialistische Heere gekämpft werden muss, so wird der allmähliche Übergang zur Milizarmee nur möglich mit Hilfe einer neuen Organisation zur Auffüllung der Abgänge in den aktiven Truppen. Gegenwärtig wird der Nachschub nach demselben Typus wie die einzelnen Einheiten gebildet, durch sog. Ersatz-Bataillone. In Zukunft, und zwar in nächster Zukunft, müssen die Reserven im Prozess und auf der Grundlage der allgemeinen Ausbildung gestellt werden und in die aktiven Regimenter derselben territorialen Abstammung so dirigiert werden, dass bei der Demobilisierung die einzelnen Elemente des Regiments nicht über das ganze Land hin zerstreut werden, sondern ihren örtlichen, arbeitsmäßigen, landsmännischen Zusammenhang behalten. Die Ausarbeitung einer Reihe von Maßnahmen zum allmählichen Übergang von unserm heutigen Heer mit seinem Übergangstypus zu einem territorialen Milizheer muss auf die verantwortlichen Organe der Heeresverwaltung gelegt werden, die in dieser Richtung bereits die ersten entscheidenden Schritte getan hat.

XIII.

Das Klassenmilizheer, auf das wir hinsteuern, bedeutet, wie alles Vorhergesagte klar zeigt, kein improvisiertes, d. h. eilig geschaffenes, ungenügend ausgebildetes Heer mit zufällig aufgeklaubten Waffen und halbfertigem Kommandobestand. Umgekehrt, die Vorbereitung durch die allgemeine Ausbildung muss so sein, dass in Verbindung mit Manövern, Schießübungen und Armeefeierlichkeiten als Resultat ein qualifizierterer Typus des einzelnen Kämpfers und des ganzen Truppenteiles sich ergibt, als das heute der Fall ist. Das Milizheer muss ein Heer sein, das nach den letzten Errungenschaften der Kriegswissenschaft geschult, bewaffnet und organisiert ist.

XIV.

Die Kommissare in der Armee sind nicht nur die direkten und unmittelbaren Vertreter der Sowjetregierung, sondern auch vor allem die Träger des Geistes unserer Partei, ihrer Disziplin, ihrer Festigkeit und ihres Mutes im Kampf für die Verwirklichung des aufgestellten Zieles. Die Partei kann mit voller Befriedigung auf die heldenhafte Arbeit ihrer Kommissare zurückblicken, die gemeinsam mit den besten Elementen des Kommandos in kurzer Frist eine kampffähige Armee geschaffen haben. Gleichzeitig ist notwendig, dass die politischen Abteilungen der Armee unter unmittelbarer Anleitung des Zentralkomitees fernerhin die Wahl der Kommissare besorgen und aus deren Mitte alle irgendwie zufälligen, schwankenden, karrieristischen Elemente ausmerzen.

Die Arbeit der Kommissare kann nur dann befriedigende Resultate zeitigen, wenn sie in jedem Truppenteil unmittelbar von der kommunistischen Zelle der Soldaten unterstützt wird. Ein schnelles zahlenmäßiges Wachstum der kommunistischen Zellen ist die beste Gewähr dafür, dass die Armee immer mehr von den Ideen und der Disziplin des Kommunismus durchdrungen wird. Aber eben infolge der gewaltigen Rolle der kommunistischen Zellen müssen die Kommissare und überhaupt alle reifsten Parteiarbeiter in der Armee alle Maßnahmen ergreifen, um in die Zellen keine schwankenden Elemente einzulassen, die scheinbaren Rechten und Vorteilen nachjagen. Die Achtung vor den kommunistischen Zellen wird desto größer und unerschütterlicher sein, je klarer jeder Soldat begreifen und in der Erfahrung sich überzeugen wird, dass die Zugehörigkeit zu einer kommunistischen Zelle dem Soldat keine besonderen Rechte verleiht, sondern lediglich ihn verpflichtet, zu den selbstlosesten und tapfersten Kämpfern zu gehören.

Der Parteitag billigt die vom Zentralkomitee vorgelegten Thesen über die Rechte und Pflichten der kommunistischen Zellen, der Kommissare und der politischen Abteilungen, und verpflichtet alle Genossen, die in der Armee arbeiten, sich streng nach diesen Thesen zu richten.

XV.

Die Forderung der Wählbarkeit des Kommandopersonals, die eine ungeheure prinzipielle Bedeutung für die bürgerliche Armee hat, wo das Kommandopersonal als Apparat der Klassenunterdrückung der Soldaten und durch die Soldaten der arbeitenden Massen gewählt und erzogen wurde, verliert vollständig ihre prinzipielle Bedeutung für die Rote Klassenarmee der Arbeiter und Bauern. Eine mögliche Kombination der Wählbarkeit und des Prinzips der Einsetzbarkeit wird der revolutionären Klassenarmee ausschließlich von praktischen Betrachtungen aus diktiert und hängt vom erreichten Bildungsniveau, vom Grade der Geschlossenheit der Heeresteile, vom persönlichen Bestand der Kommandokader ab. Im Allgemeinen kann man feststellen, dass die Zweckmäßigkeit des Prinzips der Wählbarkeit der Kommandeure desto geringer wird, je unreifer die Heeresteile sind, je zufälliger und vorübergehender ihr Bestand ist, je weniger das junge Kommandopersonal durch die Erfahrungen geprüft ist; und dass umgekehrt das Wachsen der inneren Geschlossenheit der Truppen, die Entwicklung der Selbstkritik der Soldaten sich und ihren Offizieren gegenüber, sowie die Bildung bedeutender Kader niederer und höherer Kampfleiter, die ihre Eigenschaften unter den Bedingungen des neuen Krieges erwiesen haben, jene günstigen Bedingungen schaffen, unter denen das Prinzip der Wählbarkeit des Kommandobestandes immer größere Anwendbarkeit erhalten kann.

XVI.

Die Frage des Kommandopersonals hat zwar große praktische Schwierigkeiten geboten, bietet aber, ihrem Wesen nach, keinen Anlass zu prinzipiellen Differenzen.

Selbst wenn unsere Armee die Möglichkeit erhielte, im Laufe einiger Jahre sich planmäßig zu bilden und gleichzeitig ein neues Kommandopersonal vorzubereiten, selbst dann hätten wir keine prinzipielle Veranlassung, auf die Heranziehung derjenigen Elemente des alten Kommandopersonals zu verzichten, die entweder innerlich sich auf den Standpunkt der Sowjetregierung gestellt haben, oder aber durch die Kraft der Tatsachen sich gezwungen sehen, ihr ehrlich zu dienen. Der revolutionäre Charakter der Armee wird vor allem durch den Charakter des Sowjetregimes bestimmt, das diese Armee schafft, das ihr ein Ziel setzt und das sie auf diese Weise zu seinem Werkzeug macht. Andererseits wird die Übereinstimmung dieses Werkzeugs mit dem Sowjetregime durch die klassenmäßige Zusammensetzung der Hauptmasse der Kämpfer, durch die Organisation der Kommissare, der kommunistischen Zellen, endlich durch die allgemeine Leitung des Lebens und der Tätigkeit der Armee durch Partei und Sowjets erreicht.

Die Arbeit an der Ausbildung und Erziehung der neuen Offiziere, die hauptsächlich aus dem Arbeiter- und fortgeschrittenen Bauernstande stammen, bildet eine der wichtigsten Aufgaben bei der Schaffung der Armee. Das ununterbrochene Wachstum der Zahl der Instrukteurkurse und ihrer Schüler zeugen dafür, dass die Heeresleitung dieser Aufgabe die ganze Aufmerksamkeit widmet, die sie verdient. Neben der obersten Kriegsakademie (des Generalstabs) werden fünf Schulen eines mittleren Typs ins Leben gerufen, Zwischenstufen zwischen den Instrukteurkursen und der höheren Kriegsakademie. Dennoch gibt es in den Reihen der heutigen Roten Armee sehr viele Kommandeure aus dem Bestand der alten Armee, die mit großem Nutzen für die Sache ihre verantwortliche Arbeit machen. Die Notwendigkeit der Auswahl und der Kontrolle, um den Zutritt von verräterischen und provokatorischen Elementen zu verhindern, versteht sich von selbst, und wird, wie die Erfahrung lehrt, praktisch mit unserer Heeresorganisation mehr oder weniger erfolgreich gelöst. Von diesem Standpunkt aus kann die Partei keinen Anlass haben zur Revision unserer Heerespolitik.

XVII.

Die bisher erlassenen Reglements (des Innendienstes, des Feld-, des Garnisondienstes) bringen Bestimmtheit und feste Form in die inneren Verhältnisse der Armee, in die Rechte und Pflichten ihrer einzelnen Elemente und stellen deshalb einen großen Schritt vorwärts dar; trotzdem spiegeln sie die Übergangsperiode der Bildung unserer Armee wider und werden weiterer Umarbeitung unterliegen, je mehr wir die alten „kasernenmäßigen" Züge bei der Bildung der Armee überwinden, und je mehr wir die Armee in ein Klassenmilizheer verwandeln werden.

XVIII.

Die Agitation, die im Lager der bürgerlichen Demokratie geführt wird (bei den Sozialrevolutionären, bei den Menschewiki) und zwar gegen die Rote Armee als ein Produkt des „Militarismus", als eine Grundlage des künftigen Bonapartismus, ist lediglich der Ausdruck politischer Unbildung oder Scharlatanerie oder einer Mischung von beidem. Der Bonapartismus ist nicht ein Produkt der Kriegsorganisation an sich, sondern das Produkt bestimmter sozialer Verhältnisse; die politische Herrschaft der Kleinbourgeoisie, die zwischen den reaktionären Elementen der Großbourgeoisie und den revolutionären proletarischen Massen steht, die noch zu einer selbständigen politischen Rolle und zur politischen Herrschaft unfähig sind, hat die notwendige Voraussetzung zur Entstehung des Bonapartismus geschaffen, der seine Stütze im starken Bauern fand und sich über die Klassenwidersprüche erhob, die im revolutionären Programm der kleinbürgerlichen (jakobinischen) Demokratie keine Lösung fand. Soweit die Grundlage des Bonapartismus der wucherische Bauer ist, soweit gibt schon der bloße soziale Bestand unserer Armee, aus der die reichen Bauern ausgeschlossen und ausgetrieben werden, die ernsteste Garantie gegen bonapartistische Tendenzen. Die russischen Parodien eines Bonapartismus, die Krasnow, Koltschak und andere, kamen nicht aus der Roten Armee, sondern aus dem direkten und offenen Kampfe gegen sie auf. Skoropadski, der ukrainische Bonaparte von Hohenzollerns Gnaden, hat seine Armee auf der Basis von Eigentumsverhältnissen gebildet, die denjenigen der Roten Armee direkt entgegengesetzt sind: er warb reiche Bauern in seine Regimenter. Bei einer solchen Sachlage können nur diejenigen in der Armee des Proletariats und der Dorfarmut ein Bollwerk des Bonapartismus sehen, die noch gestern direkt oder indirekt die Bonaparte-Kandidaten in der Ukraine, am Don, in Archangelsk und in Sibirien unterstützten.

Da die Rote Armee selbst nur das Werkzeug eines bestimmten Regimes ist, so muss man die Grundgarantien gegen den Bonapartismus wie auch gegen alle anderen Arten der Konterrevolution im Regime selber suchen. Die Konterrevolution kann in keiner Weise sich aus dem Regime der proletarischen Diktatur entwickeln, sie kann sich nur festsetzen als Ergebnis eines direkten, offenen, blutigen Sieges über dieses Regime. Die Entwicklung und Befestigung der Roten Armee ist gerade notwendig, um einen solchen Sieg unmöglich zu machen. So besteht der historische Sinn der Existenz der Roten Armee darin, dass sie ein Werkzeug ist der sozialistischen Selbstverteidigung des Proletariats und der armen Bauern, die Verteidigerin gegen die Gefahr eines großbäuerlich-bürgerlichen Bonapartismus, der vom ausländischen Imperialismus unterstützt wird.

XIX.

Die Klassenmiliz bildet nicht das letzte Wort des kommunistischen Aufbaus, weil ja dieser die Abschaffung des Klassenkampfes durch die Überwindung der Klassen selbst, also auch der Klassenarmee zum Ziele hat. Der sowjetische Klassenstaat wird, je mehr die sozialistische Wirtschaft organisiert wird, immer mehr im leitenden Apparat der Produktion und Verteilung und in den kulturellen und administrativen Organen aufgelöst werden. Wenn der Staat sich von seinem Klassencharakter befreit haben wird, wird er aufhören, ein Staat zu sein, und wird zum Organ der wirtschaftlichen, kulturellen Selbstverwaltung werden. Gleichzeitig wird die Armee ihren Klassencharakter verlieren, sie wird zur Armee des gesamten Volks im wahren Sinne dieses Wortes werden, weil in der sozialistischen Gemeinschaft keine schmarotzerischen, ausbeuterischen, wucherischen Elemente mehr bleiben werden. Die Bildung dieser Armee wird sich unmittelbar auf die mächtigen Arbeitsgruppierungen der Bürger der sozialistischen Republik stützen, wie auch ihre Versorgung unmittelbar durch die mächtig angewachsene sozialistische Produktion besorgt werden wird. Eine solche Armee, d. h. das gut ausgebildete und bewaffnete, sozialistisch organisierte Volk, wird die mächtigste Armee sein, die die Welt je gekannt hat. Sie wird nicht nur ein Werkzeug zur Verteidigung der sozialistischen Gesellschaft gegen eventuelle Überfälle seitens noch vorhandener imperialistischer Staaten sein, sondern sie wird auch erlauben, dem Proletariat dieser Staaten im Kampfe gegen den Imperialismus entscheidende Unterstützung angedeihen zu lassen.

B. Praktische Maßnahmen.

Ausgehend von diesen Grundthesen hält es der VIII. Parteitag der KPR für notwendig, folgende dringende praktische Maßnahmen durchzuführen:

1. die strenge Durchführung des Prinzips der Klassenmobilisierung nur werktätiger Elemente mit sorgfältiger Ausscheidung aller großbäuerlichen und parasitären Elemente in besondere Arbeitsbataillone (Kompanie), ein Prinzip, das heute trotz offizieller Beschlüsse nicht verwirklicht ist.

2. Unter fernerer Heranziehung von Militärfachleuten zu Kommando- und Verwaltungsposten und unter Auswahl zuverlässiger Elemente ist über sie eine ungeschwächte, durch Kommissare zu verwirklichende, zentralisierte parteipolitische Kontrolle durchzuführen und diejenigen zu entfernen, die politisch und technisch unbrauchbar sind.

3. Ein System der Zeugnisse für das Kommandopersonal ist zu organisieren, wobei die Kommissare beauftragt werden, periodisch solche Zeugnisse auszustellen.

4. Die Bildung des Kommandopersonals aus Proletariern und Halbproletariern ist zu verstärken und zu verbessern, sowohl hinsichtlich der militärischen, wie auch der politischen Vorbereitung, zu welchem Zwecke an der Front wie im Hinterland kompetente Zeugniskommissionen zu bilden sind, die unter Leitung der Parteivertreter stehen und systematisch in die Roten Offiziersschulen solche Rotarmisten dirigieren, die durch die Kampfpraxis für die Posten von Roten Offizieren besonders vorbereitet erscheinen.

Die Programme der Kurse sollen entsprechend dem Geist der Roten Armee und den Umständen des Bürgerkriegs überprüft werden.

Die örtlichen Parteiorganisationen müssen ihre besondere Aufmerksamkeit auf die richtige Behandlung der politischen Erziehung bei den Kursen richten.

5. Die örtlichen Organisationen werden verpflichtet, systematisch und intensiv an der kommunistischen Erziehung der Rotarmisten des Hinterlandes zu arbeiten durch Abkommandierung besonderer Parteiarbeiter.

6. Das Zentralkomitee der Partei wird beauftragt, eine planmäßige Verteilung der Kommunisten in Heer und Flotte zu organisieren.

7. Der Schwerpunkt der kommunistischen Arbeit an der Front ist aus den politischen Abteilungen der Fronten in die politischen Abteilungen der Armeen und Divisionen zu verlegen, um die Arbeit den an der Front operierenden Truppenteilen näher zu bringen. Es soll eine genaue und übereinstimmende Instruktion über die Rechte und Pflichten der politischen Kommissare, politischen Abteilungen, kommunistischen Zellen herausgegeben werden.

8. Das Allrussische Büro der Heereskommissare ist aufzulösen. Es soll eine politische Abteilung des Revolutionären Kriegsrats der Republik gebildet werden, alle Funktionen des Allrussischen Büros der Militärkommissare sind auf die Abteilung zu übertragen und an ihre Spitze ein Mitglied des Zentralkomitees der KPR. mit den Rechten eines Mitglieds des Revolutionären Kriegsrats der Republik zu stellen.

9. Die Militärreglements sind umzuarbeiten, zu kürzen, nach Möglichkeit alle veraltete Stellen und Bestimmungen, die unnötige Vorteile für das Kommandopersonal schaffen, zu beseitigen und in der Verteilung der Arbeitszeit den Fragen der politischen Erziehung ein gebührender Raum zuzuteilen.

10. Man muss schleunigst die Bestimmungen über Kommissare und revolutionäre Kriegsräte umarbeiten im Sinne einer genauen Abgrenzung der Rechte und Pflichten der Kommissare und Kommandeure, wobei die Entscheidung wirtschaftlicher und Verwaltungsfragen den Kommandeuren mit den Kommissaren zusammen überlassen bleiben und wobei die Kommissare das Recht der disziplinarischen Bestrafung (auch der Arreststrafe) und der Anklage vor Gericht zugestanden bekommen.

11. Die Unterordnung der „besonderen Abteilungen” der Armeen und Fronten den Kommissaren der Armeen und Fronten ist als notwendig zu erklären, wobei die „besondere Abteilung” der Republik die Funktionen der allgemeinen Leitung und Kontrolle ihrer Tätigkeit beibehält.

12. Es ist anzuerkennen, dass in Zukunft bei der Ausarbeitung allgemeiner Reglements, Thesen und Instruktionen es notwendig ist, sie nach Möglichkeit vorher den politischen Funktionären der Armee zur Beratung vorzulegen.

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