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Karl Marx 18650213 Brief an Johann Baptist von Schweitzer

Karl Marx: Brief an Johann Baptist von Schweitzer

in Berlin1

[Nach Marx Engels Werke, Band 31, Berlin 1965, S. 445 f.]

[London, 13. Februar 1865]

...da durch die Korrespondenz des M. H. in der heute eintreffenden Nr. 21 unsre Erklärung teilweise veraltet ist, mag die Sache dabei ihr Bewenden haben. Allerdings enthielt unsre Erklärung auch noch einen andern Punkt, Lob der antibonapartistischen Haltung des Pariser Proletariats und Wink an die deutschen Arbeiter, dies Muster nachzuahmen. Es war dies uns wichtiger als der Ausfall gegen H. Indes werden wir anderswo unsre Ansicht über das Verhältnis der Arbeiter zur preußischen Regierung ausführlich aussprechen.

In Ihrem Brief vom 4. Febr. heißt es, ich selbst habe den Liebknecht gewarnt, nicht über die Stränge zu hauen, damit er nicht zum Teufel gejagt werde. Ganz richtig. Ich schrieb ihm aber zugleich, man könne alles sagen, wenn man die rechte Form treffe.2 Eine selbst für den Berliner Meridian „mögliche" Form der Polemik gegen die Regierung ist sicher sehr verschieden von Koketterie oder selbst Scheinkompromiß mit der Regierung! Ich schrieb Ihnen selbst, dass der „Soc[ial]-Demok[rat]" selbst solchen Schein meiden müsse.

Ich sehe aus Ihrem Blatt, dass das Ministerium sich zweideutig und Zeit suchend über die Abschaffung der Koalitionsgesetze ausspricht. Dagegen berichtet ein „Times"-Telegramm, dass es Protektorisches über eine in Aussicht gestellte Unterstützung der Kooperativgesellschaften von Staats wegen fallenließ. Es sollte mich durchaus nicht wundern, wenn die „Times" ausnahmsweise einmal korrekt telegraphierte!

Koalitionen mit den aus ihnen erwachsenden trades unions sind nicht nur als Mittel der Organisation der Arbeiterklasse zum Kampfe mit der Bourgeoisie von der äußersten Wichtigkeit – diese Wichtigkeit zeigt sich u.a. darin, dass selbst die Arbeiter der United States trotz Wahlrecht und Republik derselben nicht entbehren können –, sondern in Preußen und Deutschland überhaupt ist das Koalitionsrecht außerdem ein Durchbrechen der Polizeiherrschaft und des Bürokratismus, zerreißt die Gesindeordnung und die Adelswirtschaft auf dem Lande3, kurz, es ist eine Maßregel zur Mündigmachung der „Untertanen", welche die Fortschrittspartei, d.h. jede bürgerliche Oppositionspartei in Preußen, wenn nicht verrückt, hundertmal eher gestatten könnte als die preußische Regierung und nun gar die Regierung eines Bismarck! Dagegen andrerseits königlich preußische Regierungsunterstützung von Kooperativgesellschaften – und jeder, der die preußischen Verhältnisse kennt, kennt auch im voraus die notwendigen Zwergdimensionen – ist als ökonomische Maßregel Null, während zugleich dadurch das Vormundschaftssystem ausgedehnt, ein Teil der Arbeiterklasse bestochen und die Bewegung entmannt wird. Wie die bürgerliche Partei in Preußen sich namentlich dadurch blamiert und ihr jetziges Misere herbeigeführt hat, dass sie ernsthaft glaubte, mit der „Neuen Ära" sei ihr durch des Prinzregenten Gnade die Regierung in den Schoß gefallen, so wird sich die Arbeiterpartei noch viel mehr blamieren, wenn sie sich einbildet, durch die Bismarckära oder durch irgendeine andre preußische Ära werden ihr von Königs Gnaden die goldnen Äpfel in den Mund fallen. Dass die Enttäuschung über Lassalles unselige Illusion eines sozialistischen Eingreifens einer preußischen Regierung kommen wird, ist über allen Zweifel erhaben. Die Logik der Dinge wird sprechen. Aber die Ehre der Arbeiterpartei erheischt, dass sie solche Trugbilder zurückweist, selbst bevor deren Hohlheit an der Erfahrung geplatzt ist. Die Arbeiterklasse ist revolutionär oder sie ist nichts.

1 Soweit uns bekannt, ist dieser Brief nicht erhalten geblieben. Den vorliegenden Auszug zitiert Marx am 18. Februar 1865 in seinem Brief an Engels.

2 siehe vorl. Band, S. 52/53

3 siehe vorl. Band, S. 71

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