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Wladimir I. Lenin 19040700 Was wir anstreben

Wladimir I. Lenin: Was wir anstreben1

[Geschrieben im Juli 1904. Zum ersten Mal veröffentlicht im Jahre 1923 in „Sämtliche Werke Lenins", 1. (russische) Ausgabe, Bd. V, Nach Sämtliche Werke, Band 6. Wien-Berlin 1930, S. 461-471

An die Partei!

Vor kurzem fand eine private Sitzung von 19 Mitgliedern der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Russlands statt (unter denen sich mehrere Delegierte des 2. Parteitags, Mitglieder von Komitees und anderen Parteiorganisationen und einige Revolutionäre, die keinen Parteiorganisationen angehören, befanden). Diese Konferenz von Gesinnungsgenossen, die auf dem Boden der Mehrheit des 2. Parteitages stehen, erörterte die Frage unserer Parteikrise und die Mittel zu ihrer Überwindung und beschloss, sich mit folgendem Aufruf an alle russischen Sozialdemokraten zu wenden.

Genossen! Die schwere Parteikrise zieht sich endlos in die Länge. Die Zwietracht wächst immer mehr und schafft immer neue Konflikte, sie hemmt die positive Arbeit auf der ganzen Linie und in höchst bedrohlichem Maße und zerreißt immer mehr den Zusammenhang zwischen der Partei und ihrem Zentralorgan, das endgültig das Organ eines Zirkels, und zwar hauptsächlich eines Auslandszirkels, geworden ist. Ständiges Ausklügeln von Meinungsverschiedenheiten, das Ausgraben alter, längst entschiedener und der Vergangenheit angehörender Fragen, das Liebäugeln mit konsequenten Opportunisten, eine unglaubliche Verwirrung in der Argumentation, schamloses Ignorieren des Parteitags, seiner Debatten und Beschlüsse, Verhöhnung der Parteiorganisation und der Parteidisziplin, Verhöhnung der Mehrheit der Revolutionäre, die die Partei geschaffen haben und in der Provinz arbeiten, ein hämisches und streitsüchtiges, auf unbeweisbaren Angaben und unkontrollierten anonymen Zuträgereien begründetes Grinsen über die Mängel in der Arbeit der Komitees des revolutionären Flügels der Partei, – das ist es, was wir in der neuen „Iskra" sehen, die zu einem Herd der Zwietracht geworden ist, das ist es, was die vom Parteitag abgelehnte Redaktion uns gegeben hat, die rein persönliche Zugeständnisse ausnutzt, um neues Kooptationsgezänk anzuzetteln und die Partei zu zerstören.

Indessen fordert der geschichtliche Augenblick, in dem Russland lebt, von unserer Partei die Anspannung aller Kräfte. Die revolutionäre Erregung in der Arbeiterklasse, die Gärung in den übrigen Schichten der Bevölkerung wächst ständig, Krieg und Krise, Hunger und Arbeitslosigkeit untergraben die Grundlagen der Selbstherrschaft immer mehr; das schmachvolle Ende des schmachvollen Krieges ist nicht mehr fern, und dieses Ende wird unweigerlich die revolutionäre Erregung verzehnfachen, wird die Arbeiterklasse ihren Feinden Auge in Auge gegenüberstellen und von der Sozialdemokratie die entschiedensten Offensivmaßnahmen fordern. Eine festgefügte Parteiorganisation, eine konsequente revolutionär-marxistische Linie, die Einfügung des innerparteilichen Kampfes in einen anständigen und würdigen Rahmen, damit dieser Kampf nicht zu Desorganisation führe und die positive Arbeit nicht störe – diese dringenden Forderungen der gesamten russischen Arbeiterbewegung müssen sofort und um jeden Preis verwirklicht werden, sonst besteht die Gefahr, dass der gute Name und der gesamte gewonnene Einfluss der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Russlands verloren gehen.

Der erste Schritt zur Erreichung dieses Zieles muss unseres Erachtens der sein, dass in die Beziehungen zwischen den verschiedenen Gruppen, Richtungen und Schattierungen unserer Partei völlige Klarheit, Aufrichtigkeit und Offenheit hineingebracht werden. Es ist unbestreitbar, dass es Augenblicke gibt, in denen das Interesse der Sache es erfordert, Meinungsverschiedenheiten in Teilfragen zu verschweigen, aber es wäre der bedauerlichste und unverzeihlichste Fehler, wollte man den Augenblick, den die Partei jetzt durchmacht, als einen solchen betrachten. Die persönlichen Zugeständnisse an die Minderheit haben der Zwietracht nicht Eingehalt geboten, die strittigen Fragen sind bereits mit aller Schärfe gestellt, die gesamte Partei ist offen herausgefordert, und nur Schwäche und Unwissenheit können von der Rückkehr des unwiederbringlich Vergangenen träumen, von der Möglichkeit, irgend etwas zu verheimlichen, irgend etwas nicht bis zu Ende auszusprechen, irgend etwas zu vertuschen, sich vor irgend etwas zu verstecken. Nein, die Politik des seine Hände in Unschuld Waschens, die Politik der passiven Enthaltung, die Politik des laisser faire, laisser passer2 hat bereits ihre vollständige Untauglichkeit in unserm Parteikampf gezeigt. Ein weiteres Ausweichen, Überlisten und Verschweigen wäre nicht nur zwecklos und verächtlich, sondern geradezu verbrecherisch. Wir ergreifen darum die Initiative zu einer offenen Darlegung des ganzen Programms unseres Kampfes innerhalb der Partei und fordern hierzu die Vertreter sämtlicher Schattierungen der russischen Sozialdemokraten auf – sowohl die der Partei angehörenden als auch solche, die die Absicht haben, ihr unter bestimmten Bedingungen beizutreten. Nur vollständige Klarheit und Aufrichtigkeit sind imstande, allen klassenbewussten Arbeitern und Parteimitgliedern die Unterlagen für eine vernünftige und entschlossene Lösung der strittigen Parteifragen zu geben.

Wir stehen auf dem Boden der Mehrheit des 2. Parteitages. In der falschen Stellung der Minderheit auf dem Parteitag, in dem Bestreben, diese Stellung unabhängig vom Willen der Partei zu behaupten, sehen wir die Hauptursache aller weiteren Fehler und der ganzen Zwietracht. Die Stellung der Parteitagsminderheit war in zweierlei Hinsicht falsch: 1. konnte der alte Redaktionszirkel der „Iskra" nirgends Unterstützung suchen als, nur bei dem opportunistischen Flügel unseres Parteitages und unserer Partei. 2. hat sich diese Vereinigung mit den offenen Opportunisten (an deren Spitze Genosse Akimow stand und auch jetzt noch steht) erst endgültig gefestigt und ist erst zu einer Parteiteilung geworden, als eine solche Frage, wie die Wahlen in die zentralen Körperschaften, zur Diskussion stand. Aus dem ersten Fehler ergaben sich logisch unvermeidlich jener ganze prinzipielle Wirrwarr und jene opportunistischen Schwankungen, die wir in den Ausführungen der neuen „Iskra" finden, soweit diese Ausführungen als prinzipielle betrachtet werden können. Aus dem, zweiten Fehler ergab sich die Verteidigung des alten Redaktionszirkels gegen den Willen der Partei, die Verteidigung und Rechtfertigung des Zirkelwesens gegen das Parteiwesen und das Hineintragen von Methoden in unsere Parteidiskussionen, die nur dem spießbürgerlichen Klatsch und Zirkelgezänk eigen zu sein pflegen, nicht aber dem Kampf von Parteimitgliedern, die sowohl ihre Partei wie sich selbst zu achten wissen. Aus dem ersten Fehler folgte logisch unvermeidlich, dass um die Parteitagsminderheit sich alles sammelte, was zum Opportunismus hin neigte, alles was die Partei zurück zu zerren bestrebt ist und sich für die Kränkungen rächen will, die die revolutionäre Sozialdemokratie ihren Gegnern versetzt hat, alles, was die intelligenzlerischen Tendenzen unserer Bewegung verkörpert, alles, was zur intellektuellanarchistischen Verneinung von Organisation und Disziplin neigt. Aus dem zweiten Fehler folgte die Herrschaft eines Auslandszirkels über die Mehrheit der russischen Parteigenossen und die Orgie spezifischer Emigrantenskandale, die der Minderheit die Überzeugungsmethoden ersetzen.

Alle Zweifel sind jetzt geschwunden. Kein Schwanken ist mehr möglich für diejenigen, die nicht nur auf Grund eines Lippenbekenntnisses Parteimitglieder sind, die in der Tat die Lebensinteressen unserer Arbeiterbewegung verteidigen wollen. Der Kampf ist angesagt, die Parteiminderheit hat ihn angesagt und führt ihn auf der ganzen Linie; wir nehmen ihre Herausforderung an und erklären den unerbittlichen Kampf, den Kampf bis zum Ende. Wir kämpfen im Namen der Partei gegen das Zirkelwesen im Allgemeinen und den alten Redaktionszirkel im Besonderen. Wir kämpfen im Namen der Interessen der russischen Arbeiterbewegung, gegen das Emigrantengezänk. Wir kämpfen im Namen der proletarisch-revolutionären Tendenzen unserer Bewegung gegen die intellektuell-opportunistischen Tendenzen. Wir kämpfen für die konsequente Richtung der revolutionären Sozialdemokratie gegen die Schwankungen, den Zickzackkurs und gegen die Rückkehr zur längst überwundenen Vergangenheit. Wir kämpfen für die festgefügte Parteiorganisation unserer proletarischen Vorhut, gegen die intelligenzlerische Disziplinlosigkeit, gegen Desorganisation und Anarchie. Wir kämpfen für die Geltung der Parteitage, gegen das haltlose Hinundherschwanken, gegen die Worte, die den Taten widersprechen, gegen die Verhöhnung von Abmachungen und gemeinsam gefassten Beschlüssen. Wir kämpfen für die Parteiöffentlichkeit gegen die Taktik der neuen „Iskra" und des neuen Parteirats, die Parteimehrheit mundtot zu machen und die Protokolle geheim zu halten. Aus unserem Kampfprogramm ergeben sich von selbst die Mittel und nächsten Ziele des Kampfes. Das wichtigste Mittel ist eine allseitige mündliche und schriftliche Agitation auf breitester Grundlage. Wir brauchten auf diesen Punkt nicht näher einzugehen, wenn nicht der mit Gezänk ausgefüllte Kampf der Minderheit in unserer Partei das berüchtigte (vom Jekaterinoslawer Komitee und vielen anderen Organisationen bereits mit Recht verspottete)3 „Versöhnlertum" hervorgerufen hätte, das den Kopf in den Sand steckt und die Einstellung des Kampfes der Mehrheit gegen die Minderheit predigt. Nur durch Kleinmut, Erschöpfung oder Verwilderung kann das Vorhandensein so kindischer Ansichten erklärt werden, die eines halbwegs reifen Parteimitgliedes unwürdig sind. Man kann und muss davon sprechen, dass der Parteikampf in den Parteirahmen eingefügt werden muss, man kann und muss das nicht allein durch Ermahnungen erreichen, aber die Aufforderung, das nicht mehr zu verteidigen, was auf dem Parteitage vor dem Antlitz der gesamten Partei verteidigt wurde und was für die Lebensinteressen der Partei als notwendig erachtet wird, – verdiente, wollte man sich entschließen, sie öffentlich zu stellen, nur die allgemeine Verachtung.

Als zweites und entscheidendes Kampfmittel betrachten wir die Einberufung eines Parteitages. Wir unterstützen vollkommen die Komitees, die die sofortige Einberufung des dritten Parteitages verlangt haben. Wir halten es für unsere Pflicht, im Besonderen auf die heuchlerischen Argumente einzugehen, die die Redaktion der neuen „Iskra" und ihre offenen und geheimen Helfershelfer gegen den Parteitag ins Feld führen, wobei sie diese Argumentation (die nur schwer mit der Parteipflicht in Einklang gebracht werden kann) vor dem Auge der Welt sorgfältig versteckt (ebenso wie es die Auslandsliga und die Redaktion der „Iskra" machen, deren Agitation nur zum Teil von den Komitees an die Öffentlichkeit gebracht und enthüllt worden ist). Erstes Argument: der Parteitag werde zur Spaltung führen. Schon allein die Tatsache, dass die Minderheit mit einem ähnlichen Argument auftritt, zeigt, wie vollkommen falsch ihre Stellung ist. Denn wenn die Minderheit das sagt, so erkennt sie an, dass die Partei gegen sie ist, dass ein Auslandszirkel sich der Partei gewaltsam aufgezwungen hat und dass dieser Zirkel sich nur dank der weiten Entfernung Russlands und den für echte Revolutionäre sehr schwierigen äußeren Arbeitsbedingungen behaupten kann. Wer ehrlich zur Partei steht, wer aufrichtig mitzuarbeiten gewillt ist, der fürchtet den Parteitag nicht, sondern erwünscht ihn zur Beseitigung der Zwietracht, zur Herstellung des Einvernehmens zwischen Partei- und Funktionärskollegien, zur Beseitigung der unwürdigen Zweideutigkeit. Die Spaltung als Schreckgespenst hinstellen, heißt nur sein schlechtes Gewissen mit aller Deutlichkeit zeigen. Ohne Unterordnung der Minderheit unter die Mehrheit kann es keine Partei geben, die auch nur einigermaßen des Namens einer Arbeiterpartei würdig wäre, und wenn gegenseitige (und nicht einseitige) Zugeständnisse notwendig, wenn zuweilen Abmachungen und Vereinbarungen zwischen den Teilen der Partei erforderlich sind, so sind sie einzig und allein auf dem Parteitag möglich und zulässig. Kein Revolutionär, der sich selber achtet, wird in einer Partei bleiben wollen, die nur dank dem künstlichen Hinausschieben des Parteitags beisammen bleibt.

Zweites Argument: noch sei eine Herstellung des Friedens ohne Parteitag möglich. Worauf diese Annahme sich stützt, ist nicht zu ersehen. Ihre Anhänger treten auf und handeln nur hinter den Kulissen. Wäre es nicht an der Zeit, diese Intrige hinter den Kulissen beiseite zu werfen, die nur das gegenseitige Misstrauen verzehnfacht, nur die Feindseligkeit vertieft und die Lage verdunkelt? Entschließt sich vielleicht darum niemand, öffentlich mit einem Plan der Versöhnung hervorzutreten, weil in der augenblicklichen Situation ein solcher Plan eben unmöglich ist und im besten Falle nur Gelächter auslösen würde? Wer unter Frieden die Kooptation der Minderheit genehmer Genossen in das Zentralkomitee versteht, der will nicht den Frieden, sondern den verschärften Kampf der Mehrheit, der begreift nicht, dass der Parteikampf gerade aus dem Gezänk um die Kooptation entstanden ist. Wer unter Frieden das Einstellen der Diskussionen und des Kampfes versteht, der kehrt zur Denkweise des alten Zirkels zurück: in der Partei wird es immer Diskussionen und Kämpfe geben, man muss sie nur in den Rahmen der Partei einfügen, das aber kann nur ein Parteitag. Mit einem Wort, wie man diese Losung des Friedens ohne Parteitag auch wenden mag, wie man diese Idee der Aussöhnung der Kämpfenden, ohne nur eine der streitenden Richtungen zu befriedigen, auch wenden mag, – man wird erkennen, dass diese geniale Idee nur der Kopf-und Gedankenlosigkeit, nur der Unklarheit über den Zweck und das Ziel des Erstrebten entspringt. Wenn sogar der Plan eines so einflussreichen (in früherer Zeit) Genossen, wie Plechanow, durch maximal weitgehende persönliche Zugeständnisse das Feuer noch im Entstehen zu löschen, einen vollkommenen Misserfolg erlebt hat, kann man dann heute ernstlich von ähnlichen Plänen reden?

Drittes Argument: der Parteitag könnte zusammengeschoben werden. Auf dieses Argument hat bereits das Petersburger Komitee geantwortet, das es als Insinuation bezeichnete.4 Und diese Erklärung eines Ortskomitees war eine wohlverdiente Ohrfeige für diejenigen, die aus dem Hinterhalt mit Beschuldigungen um sich werfen, für die sie auch nicht den Schatten eines Beweises haben, obgleich sowohl der oberste Parteirat als auch das Presseorgan der Partei sich in Händen der Minderheit befinden, so dass die Minderheit nicht nur das Werkzeug zur öffentlichen Enthüllung der von ihr vermuteten Missbräuche in Händen hält, sondern auch das Werkzeug zur administrativen Besserung und Einwirkung. Jedermann begreift, dass die Minderheit solche Tatsachen, wenn es sie gegeben hätte, schon längst an die große Glocke gehängt haben würde und dass die vor kurzem angenommene Resolution des Parteirates, die ein Beweis dafür ist, dass es solche Tatsachen in der Vergangenheit nicht gegeben hat, ihre Unmöglichkeit auch in der Zukunft sichert. Dass die „Iskra" dieses Argument benützt, zeigt ein übriges Mal, wie bei uns jetzt das Droschenkutschergeschimpfe die Polemik ersetzt hat, und es zwingt uns, an alle Parteimitglieder die Frage zu richten: haben wir tatsächlich eine Partei? Wollen wir uns nach dem Beispiel der Sozialrevolutionäre mit Dekoration und Aushängeschild begnügen, oder sind wir verpflichtet, alles Falsche zu enthüllen?

Viertes Argument: die Gegensätze seien noch nicht geklärt. Die beste Antwort auf dieses Argument gibt die neue „Iskra", deren genaue Kenntnis der Partei zeigt, dass Gegensätze ausgetüftelt, nicht aber geklärt werden, und dass der Wirrwarr ins Uferlose wächst. Nur der Parteitag, auf dem alle Genossen ihre Wünsche offen und rückhaltlos darlegen können, ist imstande, in die unglaublich verworrenen Fragen und in die verworrene Lage Klarheit hineinzubringen.

Fünftes Argument: der Parteitag werde der positiven Arbeit Kräfte und Mittel entziehen. Auch dieses Argument klingt wie bitterer Hohn: man kann sich keine schlimmere Zersplitterung der Kräfte und der Mittel auch nur vorstellen als die durch die Zwietracht verursachte.

Nein, alle Argumente gegen den Parteitag zeugen nur entweder von Heuchelei oder von völliger Unkenntnis der Sache und kleinmütigem Zweifel an den Kräften der Partei. Unsere Partei ist wieder einmal schwer krank, aber sie hat die Kraft, sich wieder aufzurichten und des russischen Proletariats würdig zu werden. Als Heilmaßnahmen betrachten wir folgende drei Umgestaltungen, die wir mit allen loyalen Mitteln durchsetzen werden.

Erstens: Übergabe der Redaktion des Zentralorgans in die Hände der Mehrheit des 2. Parteitages.

Zweitens: wirkliche Unterordnung der örtlichen Auslandsorganisation (der Liga) unter die russische Zentralorganisation (das Zentralkomitee).

Drittens: statutarische Sicherung von in der Partei zulässigen Methoden zur Führung des Parteikampfes.

Über diese drei kardinalen Forderungen unseres Programms ist nach dem oben Dargelegten nicht mehr viel zu sagen. Dass die alte Redaktion der „Iskra" jetzt ihre Untauglichkeit tatsächlich bewiesen hat, betrachten wir als unwiderlegbare Tatsache. Nicht der Iskrismus hat sich überlebt, wie Genosse Martow nach seiner Niederlage bei den Wahlen entdeckte, sondern die alte Redaktion der „Iskra" hat sich überlebt. Nach all den Herausforderungen, die ein Zirkel sich der Partei gegenüber erlaubt hat. wäre es nur Heuchelei, wollte man das nicht offen sagen. Über die anormale Lage der Auslandsorganisation, die sich selbst zu einer zweiten (wenn nicht dritten) Parteileitung gemacht hat und das Zentralkomitee der Partei vollkommen ignoriert, viel zu reden, wäre überflüssig. Schließlich zwingt uns die ganze Erfahrung des Kampfes nach dem Parteitag, über die rechtliche Lage der Minderheit (jeder beliebigen Minderheit) in unserer Partei nachzudenken. Diese Erfahrung lehrt unseres Erachtens, dass es notwendig ist, die Rechte jeder Minderheit im Parteistatut sicherzustellen, um die ständigen und nicht zu beseitigenden Quellen der Unzufriedenheit, der Gereiztheit und des Kampfes aus dem gewöhnlichen spießbürgerlichen Flussbett des Skandals und des Gezänks in die noch ungewohnten Kanäle eines disziplinierten und würdigen Kampfes für seine Überzeugungen umzuleiten. Eine solche unbedingte Sicherung wird es sein, wenn wir der Minderheit eine literarische Gruppe (oder auch mehrere) mit dem Recht der Vertretung auf den Parteitagen und mit vollständiger „Redefreiheit" zubilligen. Überhaupt ist es notwendig, dass die Herausgabe der Parteiliteratur, die der Kritik an der Tätigkeit der zentralen Parteikörperschaften gewidmet ist, in umfassendster Weise gewährleistet werde. Die Komitees müssen das Recht haben (durch den allgemeinen Parteiapparat), die Parteiliteratur zu beziehen, die sie gern haben wollen. Das Recht des Zentralkomitees, die persönliche Zusammensetzung der Komitees anders als nur durch einen Ratschlag zu beeinflussen, muss bis zum 4. Parteitag aufgehoben werden. Wir wollen hier unsere Vorschläge nicht ausführlich ausarbeiten, denn wir schreiben keinen Entwurf zu einem Statut, sondern nur das allgemeine Kampfprogramm. Wir halten es für sehr wichtig, dass die Maßnahmen zur Herausgabe der Literatur der Unzufriedenen, die das Zentralkomitee der Minderheit des 2. Parteitages vorgeschlagen hat, statutarisch festgelegt werden, damit die Unzufriedenheit auf anständige Weise zum Ausdruck komme, damit das (von den Helden der Kooptation geschaffene) dumme Phantasiegebilde des Belagerungszustandes endgültig zerstreut werde, damit der unvermeidliche innerparteiliche Kampf die positive Arbeit nicht hemme.

Wir sind verpflichtet, unserer Minderheit beizubringen, für die persönliche Zusammensetzung der zentralen Parteikörperschaften nur auf den Parteitagen zu kämpfen und unsere Arbeit nach dem Parteitag nicht durch Gezänk zu stören, wir sind verpflichtet, das durchzusetzen, weil sonst unserer Partei die Gefahr des Unterganges droht. Schließlich weisen wir im allgemeinen Programm ganz kurz auf die für uns wünschenswerten Teiländerungen im Statut hin, wie zum Beispiel: Umwandlung des Parteirats aus einem Schiedsgericht in eine vom Parteitag gewählte Körperschaft, die Änderung des § 1 des Statuts im Geiste der Mehrheit des 2. Parteitages, mit Einbeziehung aller Arbeiterorganisationen und aller jener Gruppen der russischen Sozialdemokraten in die Parteiorganisationen, die zur Zeit der Zirkel eine Sonderexistenz führten und jetzt der Partei beitreten möchten usw. usw.

Indem wir dieses Programm des innerparteilichen Kampfes aufstellen, fordern wir alle Organisationen der Partei und die Vertreter aller Schattierungen innerhalb der Partei auf, sich zur Frage ihres Programms zu äußern, um die Möglichkeit einer allmählichen, ernsten, umsichtigen und vernünftigen Vorbereitung zum Parteitag zu schaffen.

Wir haben keine Partei – so dachten im Stillen die an der Palastrevolution beteiligten Redakteure, die auf die weite Entfernung Russlands, auf den häufigen Wechsel der in Russland arbeitenden Genossen und auf ihre eigene Unersetzlichkeit spekulierten. Bei uns ist eine Partei im Entstehen begriffen – sagen wir, die wir die zur aktiven Einmischung erwachenden Komitees, das Steigen des politischen Bewusstseins der vorgeschrittenen Arbeiter sehen. Bei uns ist eine Partei im Entstehen begriffen, bei uns mehren sich die jungen Kräfte, die fähig sind, die altersschwachen literarischen Kollegien zu beleben und zu ersetzen, bei uns gibt es, und zwar in immer größerer Zahl, Revolutionäre, die die Richtung der alten „Iskra", die sie erzogen hat, mehr schätzen als jeden Redaktionszirkel. Bei uns ist eine Partei im Entstehen begriffen, und keinerlei Ausflüchte oder Verzögerungen, kein greisenhaft-verbittertes Geschimpfe der neuen „Iskra" kann das entschiedene und endgültige Urteil dieser Partei aufhalten.

Aus diesen neuen Kräften in unserer Partei schöpfen wir die Überzeugung, dass wir siegen werden.

1 Das Manuskript unter dem Titel „Was wir anstreben" ist der ursprüngliche Wortlaut jenes, ebenfalls von Lenin geschriebenen Aufrufs „An die Partei", der in der sogenannten „Beratung der 22 Bolschewiki" (siehe vorliegenden Band, S. 472) in der ersten August-Hälfte 1904 beschlossen wurde. In der Beratung, die zum Zwecke der Ausarbeitung eines Programms für den Kampf um den dritten Parteitag einberufen wurde und in der Umgegend Genfs stattfand, waren 19 Genossen anwesend, später gaben noch drei ihre Unterschrift für den Aufruf. Auf diese Weise entstand der „Aufruf der 22". Aus Aufzeichnungen geht hervor, dass in der Beratung anwesend waren: Lenin, Krupskaja, M. Uljanowa, Lepeschinski, Lepeschinskaja, Bogdanow, Olminski, Lunatscharski, Ljadow, Gussew, Semljatschka, Bontsch-Brujewitsch, Welitschkina, Worowski, Krassikow u. a.

2 sich nicht einmischen, den Dingen ihren Lauf lassen. Die Red.

3 In einer umfassenden Resolution, die in der Sitzung vom 14. (1.) Juni 1904 in der Form eines Briefes an die Parteiorganisationen angenommen wurde und die die Überschrift trug: „Die heutigen Parteiströmungen und die Aufgaben der revolutionären Sozialdemokratie", übte das Jekaterinoslawer Komitee der SDAPR scharfe Kritik am Versöhnlertum, das den Versuch machte, „anstatt der organischen ideologischen Einheit der Partei nur ein formales, einheitliches Konglomerat zu schaffen", „das Versöhnlertum, das gegenüber den entstandenen Meinungsverschiedenheiten die Augen verschließt, ist bestrebt, die Mehrheit und die Minderheit zu gemeinsamer ,positiver Arbeit' zu vereinigen, und verlangt zu diesem Zweck das ,tolerante' Verhalten der Mehrheit zur Tätigkeit der Minderheit" und den „Verzicht der Mehrheit auf den Kampf mit der Minderheit"; das Versöhnlertum „führt zu einem Vorrang der Praxis gegenüber der Theorie und zu einer Degradierung der Theorie im Bewusstsein der Parteiarbeiter", „der Praktizismus bedroht noch mehr als die Minderheit die Interessen der revolutionären Sozialdemokratie". Zum Schluss erklärte das Jekaterinoslawer Komitee, dass es aus allen Kräften gegen die Versöhnler kämpfen würde, auch gegen das Zentralkomitee, wenn dieses den Weg des Versöhnlertums beschreiten sollte (N. Schachow, „Der Kampf um den Parteitag", 1904).

4 Das Petersburger Komitee der SDAPR erklärte sich in seiner Sitzung vom 6. Juli (23. Juni) 1904 mit den von Lenin in seiner Broschüre „Ein Schritt vorwärts, zwei Schritte zurück" dargelegten Ansichten einverstanden und trat für die rascheste Einberufung des dritten Parteitags ein. „Der Augenblick, den die Partei durchlebt", hieß es in der Resolution des Petersburger Komitees, „muss sie zwingen, vor keinem Mittel haltzumachen, um aus dem jetzigen Zustand des Chaos und der Desorganisation herauszukommen. Ganz sinnlos erscheinen dem Petersburger Komitee die Insinuationen, als würde der Parteitag vorwiegend eine Ansammlung von Kreaturen des Zentralkomitees sein" (N. Schachow, „Der Kampf um den Parteitag", 1904).

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