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Wladimir I. Lenin 19050728 Brief an das Zentralkomitee der SDAPR

Wladimir I. Lenin: Brief an das Zentralkomitee der SDAPR

[Geschrieben den 15./28. Juli 1905 Zum ersten Mal veröffentlicht 1926 im „Leninski Sbornik", Nr. 5. Nach Sämtliche Werke, Band 8, 1931, S. 25-28]

28. VII. 1905

Liebe Freunde! Die beiden folgenden wichtigen Fragen müssen so schnell wie möglich entschieden werden: 1. Plechanow. Wir haben einen besonderen Vertrauensmann, Ljadow, beauftragt, Euch zu berichten, wie diese Frage steht. Ich wiederhole kurz: Plechanow beging die unglaubliche Frechheit, an das Internationale Sozialistische Büro zu schreiben, dass ihn schon beide Fraktionen anerkannt (!) hätten, wobei er unseren 3. Parteitag in jeglicher Weise beschimpfte und verunglimpfte. Ich habe eine Kopie seines Briefes, der mir vom Büro zugeschickt wurde. Sie wird Euch gesandt werden.1 Mit großer Mühe ist es mir gelungen, mit dem Internationalen Sozialistischen Büro in direkte Beziehungen zu treten, und ich habe Plechanow widerlegt. Plechanow trat alsdann von der Vertretung zurück. Ihr wisst, dass ich durchaus kein unbedingter Gegner der Ernennung Plechanows war, doch jetzt wäre sie geradezu undenkbar. Es würde mich derart desavouieren, dass ich in eine unmögliche Lage geriete. Wir würden dadurch in den Augen des Internationalen Sozialistischen Büros endgültig unser Ansehen verlieren. Vergesst nicht, dass fast alle ausländischen Sozialdemokraten auf der Seite der „Heiligen"2 stehen und uns als nichtig betrachten und traitieren. Ihr werdet die ganze Sache verderben, wenn Ihr einen unvorsichtigen Schritt macht. Ich ersuche daher Werner und Schmidt dringend, mein Vorgehen schnellstens, wenigstens provisorisch, gutzuheißen. Dies erstens. Und zweitens: Plechanow ist im Namen des ZK der SDAPR das wissenschaftliche Organ anzubieten, doch unter der Bedingung, dass Plechanow den 3. Parteitag und die Verbindlichkeit seiner Beschlüsse für sich anerkennt. Lehnt er das ab, dann fällt die Schuld auf ihn, wir aber haben unsere Versöhnlichkeit bewiesen. Nimmt er an, dann kommen wir einen weiteren Schritt entgegen. Also: den Beschluss über die Vertretung rate ich eindringlichst, aufzuheben und den über das wissenschaftliche Organ mit dieser Bedingung zu redigieren. 2. Der Vermittlungsvorschlag des Internationalen Sozialistischen Büros. Der vollständige Text wird Euch geschickt werden, obwohl Ljadow ihn bereits für Euch mitgenommen hat. Das Internationale Sozialistische Büro schlägt zur Versöhnung die Einberufung einer von uns und der Minderheit beschickten Konferenz unter dem Vorsitz von Mitgliedern des Internationalen Sozialistischen Büros vor. Die ausländischen Sozialdemokraten (Bebel u. a.) agitieren eifrig dafür, dass das Internationale Sozialistische Büro auf uns einen Druck ausübe. Solche Briefe wurden sogar von den Engländern verschickt („Sozialdemokratische Föderation", ich habe eine Kopie des Briefes – im üblichen Versöhnungsgeiste: es sei doch ein Verbrechen, in einer solchen Zeit miteinander zu streiten usw.). Ich schrieb an das Internationale Sozialistische Büro, dass ich nicht kompetent sei, diese Frage selbst zu entscheiden, und dass dazu ein Beschluss des ganzen ZK erforderlich sei, an das ich unverzüglich schreiben werde. Ferner fragte ich an, ob sie nur eine Vermittlung oder ein für beide Seiten verbindliches Schiedsgericht im Auge haben – es sei für mich wichtig, dem ZK darüber zu schreiben. Ihre Antwort steht noch aus.

Meine Meinung ist die: Einer Konferenz unbedingt zustimmen. Den Zeitpunkt um den 1. September herum festsetzen. Unbedingt ein oder zwei Mitglieder des ZK aus Russland schicken (vergesst nicht, dass auf den 1. September unser Plenum angesetzt und dass es in jeder Hinsicht äußerst notwendig ist). Die Vermittlung mit Dank annehmen; Einen verbindlichen Schiedsspruch ablehnen, und zwar auf Grund des Beschlusses des 3. Parteitages, durch den wir unbedingt gebunden sind und der lautet, dass die Bedingungen der völligen Verschmelzung mit der Minderheit dem 4. Parteitag zur Bestätigung vorzulegen sind. Der 3. Parteitag hat uns beauftragt, diese Bedingungen vorzubereiten und auszuarbeiten, nicht aber sie endgültig zu bestätigen. In Erfüllung des Auftrags des 3. Parteitages nehmen wir die Vermittlung an und werden trachten, einen Modus für ein schon jetzt zu treffendes Übereinkommen und für eine allmähliche Verschmelzung in allen Einzelheiten auszuarbeiten. Wenn es gelingt, setzen wir das Übereinkommen sogleich in Kraft und bringen den Plan der Verschmelzung vor den 4. Parteitag, der dann zu derselben Zeit und nach demselben Ort einberufen werden muss, wie der unbedingt erforderliche Kongress aller Organisationen der Minderheit. Es ist äußerst wichtig, im Auge zu behalten, dass die Menschewiki keine Zentralinstanz haben, deren Beschlüsse für sie bindend wären. Die „Iskra" ist der Organisationskommission nicht unterstellt. Wir sollen nicht die Rolle von Tölpeln spielen und mit Leuten verhandeln, die weder das Recht noch die Kraft haben, im Namen der ganzen Minderheit zu sprechen. Es muss daher gleich von Anbeginn darauf Wert gelegt werden, dass in der Versammlung mit dem Internationalen Sozialistischen Büro Delegierte der Minderheit sowohl von der Organisationskommission als auch von der „Iskra" anwesend sind. Außerdem müssen sie versprechen, innerhalb kurzer Frist alle Organisationen der Minderheit zu befragen, wobei sie uns ein Verzeichnis dieser Organisationen geben. Wenn es Euch indessen vom russischen Gesichtspunkte wichtig erscheint, dass die russischen Menschewiki überwiegen, so besprecht die Frage, ob spezielle Delegierte der „Iskra" nötig sind. Ihr könnt dies besser beurteilen. Doch vergesst nicht, dass ohne Zustimmung der „Iskra" alle Vereinbarungen nur Fiktion sein werden. Noch eine Frage: soll man dem Internationalen Sozialistischen Büro den geheimen Beschluss des 3. Parteitages mitteilen? Haben wir das Recht, dies zu tun? Ich schwanke. Gewiss ist die Mitteilung an die sozialistischen Genossen Europas noch keine „Publikation", und man kann die Genossen verpflichten, darüber nichts zu veröffentlichen. Ist es aber zweckmäßig? Entscheidet selbst. Es ist leicht, eine befriedigende Erklärung zu geben, auch ohne die uns bindende Resolution des 3. Parteitages mitzuteilen.

Den offenen Brief der Organisationskommission werde ich in Nr. 11 des „Proletarij" abdrucken (Nr. 10 ist bereits im Druck); ich druckte ihn nicht früher, weil ich auf Eure Erläuterung wartete, die erst gestern eintraf. Wir bitten sehr, auf jedem Dokument zu vermerken, ob es gedruckt werden und ob dies sofort geschehen soll.

Also antwortet so schnell wie möglich im Namen Werners und Schmidts, wenigstens: 1. Werdet Ihr die Antwort an das Internationale Sozialistische Büro selbst schreiben oder beauftragt Ihr mich damit? 2. Billigt Ihr meine Antwort oder nicht? 3. Wenn nicht, möchte ich sehr bitten, dass Ihr Euch mit der Antwort beeilt, damit wir untereinander vollständig ins Reine kommen; in einer solchen Sache birgt jedes Missverständnis, jede Unklarheit oder mangelnde Information große Gefahren.

PS. Sendet bitte meine Briefe an Dubois, ich habe seine Adresse nicht.

2 Im Original „Ikone", also Heiligenbilder; ironische Bezeichnung für die älteren, bekannteren Führer. Die Red.

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