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Wladimir I. Lenin 19050504 Rede bei der Beratung des Parteistatuts

Wladimir I. Lenin: Rede bei der Beratung des Parteistatuts1

[Nach Sämtliche Werke, Band 7, 1929, S. 386 f.]

Ich muss gestehen, dass die Argumente, mit denen Genosse Iwanow seine Idee eines einzigen Zentrums vertritt, mir nicht stichhaltig scheinen. (Der Redner verliest die Argumentation des Genossen Iwanow):

Zu den §§ 4 und 5. Das System der zwei Zentren mit einem Balancier – dem Parteirat – ist vom Leben selbst gerichtet. Aus der Geschichte der Parteikrise ist offensichtlich, dass dieses System einen zu günstigen Boden für die Entwicklung von Unstimmigkeiten, Zänkereien und Hofintrigen bildet. Es bedeutet die Unterordnung Russlands unter das Ausland: das ZK ist seinem Bestande nach infolge der Verhaftungen veränderlich, die Redaktion des Zentralorgans ist beständig, der Parteirat lebt im Auslande. Alle wichtigsten Einwände gegen ein Zentrum, die auf der tatsächlichen Trennung zwischen Russland und dem Ausland beruhen, bestätigen nur einerseits den Gedanken der Möglichkeit und Wahrscheinlichkeit einer Spaltung zwischen den beiden Zentren, anderseits werden sie in bedeutendem Maße hinfällig, wenn der Parteitag periodische Beratungen zwischen den russischen und den ausländischen Mitgliedern des ZK zur Pflicht macht."

Die hier erwähnten netten Eigenschaften erwiesen sich jedoch gleichermaßen sowohl dem ausländischen ZO wie auch dem „echt russischen" ZK eigen. In der ganzen Konstruktion des Genossen Iwanow erblicke ich den in der Logik bekannten Irrtum: post hoc, ergo propter hoc2. Da drei Zentren, man verzeihe mir den Ausdruck, Schweinereien verursacht haben, so soll bei uns ein Zentrum sein. Ich sehe hier nicht das „propter"! Das Übel bei uns war bedingt nicht durch den Mechanismus, sondern durch Personen. Die Sache liegt so, dass einzelne Personen unter dem Deckmantel formalistischer Auslegungen des Statuts, sich der Pflicht entzogen haben, den Willen des Parteitages auszuführen. Würde sich ein „echt russisches" ZK nicht „dialektisch" in sein Gegenteil verwandeln? Genosse Iwanow denkt so: das Ausland benahm sich schlecht, also muss man es unter „Belagerungszustand" stellen und es in „strenge Zucht" nehmen. Ich war bekanntlich immer ein Freund des „Belagerungszustandes" und der „strengen Zucht", deshalb will ich gegen solche Maßnahmen nichts sagen, allein verdiente denn das ZK nicht dasselbe? Außerdem, wer wird bestreiten, dass das ZO beständig sein kann, während das ZK es nicht sein kann? Das ist immerhin eine Tatsache. Praktisch aber will ich auf jede Polemik verzichten. Früher hatten wir einen Rat, jetzt werden wir eine Beratung (des ausländischen und des russischen Teils des ZK) haben. Im ganzen einige Buchstaben mehr. Unser Karren rutschte immer nach rechts in die Richtung des ZO – Genosse Iwanow legte für die Zukunft auf die rechte Seite Stroh unter, meiner Meinung nach müsste man es aber auch links, nach der Seite des ZK unterlegen. Ich würde mich dem Vorschlage des Genossen Michailow über die Auflösung der Komitees anschließen, ich weiß aber wirklich nicht, was die Peripherie bedeuten soll. Die „Beisitzer und Siegelbewahrer" muss man ausräuchern, aber wie soll man genau den Begriff Peripherie bestimmen? „Zwei Drittel der Stimmen der Peripherie!" – wer wird aber ein genaues Register führen können? Ich muss außerdem den Parteitag davor warnen, das Statut mit allzu vielen Paragraphen vollzufüllen. Gute Paragraphen schreiben ist leicht, aber praktisch erweisen sie sich als überflüssig. Man soll die Statuten nicht in eine Sammlung von frommen Wünschen verwandeln…

1 Der III. Parteitag der SDAPR fand vom 25. April bis zum 10. Mai 1905 (neuen Stils) in London statt. Anwesend waren 24 Delegierte mit beschließender und 14 mit beratender Stimme. Die menschewistischen Delegierten, die zu diesem Parteitag gewählt wurden, fuhren nicht nach London zum Parteitag, sondern nach Genf zu der von der „Iskra"-Redaktion organisierten menschewistischen Konferenz, die zu gleicher Zeit tagte, wie der Parteitag. Der III. Parteitag der SDAPR war somit der erste bolschewistische Parteitag.

Über die Organisationen, die auf dem Parteitag vertreten waren, sowie über die Tagesordnung siehe „Über die Konstituierung des Parteitages", S. 403. Über die Vorbereitung des Parteitages und den Kampf um seine Einberufung, ebenso über seine Ergebnisse unterrichten zahlreiche Artikel. In dem Artikel: „Ein dritter Schritt rückwärts" analysiert Lenin kurz das Ergebnis der menschewistischen Konferenz. Eingehend wird der III. Parteitag der Bolschewiki und die Konferenz der Menschewiki von Lenin behandelt in der Broschüre: „Zwei Taktiken der Sozialdemokratie in der demokratischen Revolution". Der III. Parteitag wählte ein Zentralkomitee, bestehend aus Lenin, Krassin, Bogdanow, Rykow und Postolowski. Zum leitenden Redakteur des neugeschaffenen Zentralorgans „Proletarij" wurde Lenin bestimmt. Die wichtigsten Resolutionen des III. Parteitages sowie das dort angenommene Organisationsstatut der Partei sind hier. Die hier wiedergegebenen Reden sind keine Stenogramme, sondern meist kurze protokollarische Aufzeichnungen.

Referent über die Organisationsfrage war A. Bogdanow. Iwanow war eines seiner Pseudonyme.

2 „nach diesem, also infolgedessen", Bezeichnung für einen fehlerhaften Schluss, wenn man aus der bloßen Aufeinanderfolge zweier Erscheinungen einen ursächlichen Zusammenhang folgert. Die Red.

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