Lenin‎ > ‎1907‎ > ‎

Wladimir I. Lenin 19070317 Resolutionsentwürfe für den 5. Parteitag der SDAPR

Wladimir I. Lenin: Resolutionsentwürfe für den 5. Parteitag der SDAPR1

[Proletarij" Nr. 14 17. (4.) März 1907. Nach Sämtliche Werke, Band 10, Wien-Berlin 1930, S. 513-523]

1. Über den gegenwärtigen Augenblick der demokratischen Revolution

In Anbetracht dessen,

1. dass keine Anzeichen einer baldigen Liquidierung der gegenwärtigen russischen Wirtschaftskrise vorhanden sind, dass die Krise zu einer schleichenden wird, die nach wie vor in den Städten Arbeitslosigkeit von ungeheuren Ausmaßen, in den Dörfern Hunger hervorruft;

2. dass sich in Verbindung damit der Klassenkampf zwischen Proletariat und Bourgeoisie, der Kampf zwischen den Gutsbesitzern und der Bauernschaft sowie zwischen der von der Regierung bestochenen bäuerlichen Bourgeoisie und der dörflichen Armut verschärft;

3. dass die politische Geschichte Russlands im vergangenen Jahr in der Zeit zwischen der ersten Duma und den Neuwahlen ein schnelles Steigen des Bewusstseins aller Klassen zeigt, das zum Ausdruck gekommen ist in dem ungeheuren Erstarken der extremen Parteien, im Sinken der konstitutionellen Illusionen, in der Schwächung der „Mitte", d. h. der liberalen bürgerlichen Partei der Kadetten, die bestrebt ist, die Revolution mit Hilfe von Zugeständnissen, die für die Schwarzhundert-Großgrundbesitzer und für den Absolutismus annehmbar sind, zum Abschluss zu bringen;

4. dass die auf dieses Ziel gerichtete Politik der Kadettenpartei nur im allergeringsten Maße zur Freilegung der Produktivkräfte der bürgerlichen Gesellschaft, dafür aber überhaupt nicht zur Befriedigung der wichtigsten Bedürfnisse des Proletariats und der bäuerlichen Massen führt und eine ständige gewaltsame Niederhaltung dieser Massen notwendig macht –

in Anbetracht alles dessen erklärt die Tagung:

1. dass die politische Krise, die sich vor unseren Augen entwickelt, nicht eine konstitutionelle, sondern eine revolutionäre Krise ist, die zum unmittelbaren Kampf der proletarischen und bäuerlichen Massen gegen den Absolutismus führt;

2. dass daher die bevorstehende Dumakampagne nur als eine Episode im revolutionären Kampfe des Volkes um die Macht zu betrachten und auszunützen ist;

3. dass die Sozialdemokratie als Partei der fortgeschrittensten Klasse gegenwärtig die Kadettenpolitik im Allgemeinen und ein Kadettenkabinett im Besonderen keinesfalls unterstützen darf. Die Sozialdemokratie muss alle Kräfte einsetzen, um den verräterischen Charakter dieser Politik vor den Massen aufzudecken, ihnen die revolutionären Aufgaben, die vor ihnen stehen, klarzumachen; ihnen zu beweisen, dass die möglichen Zugeständnisse des Absolutismus sich nur dann, wenn die Massen über einen hohen Grad von Bewusstsein und feste Organisationen verfügen, aus einem Werkzeug des Betrugs und der Korruption in ein Werkzeug der Weiterentwicklung der Revolution verwandeln können.

2. Über das Verhältnis zu den bürgerlichen Parteien

In Anbetracht dessen,

1. dass der Sozialdemokratie gegenwärtig die besonders dringende Aufgabe ersteht, den Klasseninhalt der verschiedenen nichtproletarischen Parteien zu bestimmen, den gegenwärtigen Wechselbeziehungen der Klassen Rechnung zu tragen und dementsprechend ihr Verhältnis zu den anderen Parteien zu bestimmen;

2. dass die Sozialdemokratie es stets für notwendig erachtet hat, jede oppositionelle und revolutionäre Bewegung zu unterstützen, die gegen die in Russland herrschende gesellschaftliche und politische Ordnung gerichtet ist;

3. dass auf der Sozialdemokratie die Verpflichtung ruht, alles zu tun, damit das Proletariat seiner Rolle als Führer der bürgerlich-demokratischen Revolution gerecht werde –

in Anbetracht alles dessen erklärt die Tagung:

1. dass die Schwarzhundertparteien (Bund des russischen Volkes, Monarchisten, Rat des Vereinigten Adels u. dgl. m.) immer entschlossener und bestimmter als Klassenorganisation der feudalen Großgrundbesitzer auftreten, immer frecher die Errungenschaften der Revolution dem Volke zu entreißen trachten und dadurch unvermeidlich eine Verschärfung des revolutionären Kampfes hervorrufen; dass die Sozialdemokratie daher die außerordentlich enge Verbindung dieser Parteien mit dem Zarismus und mit den Interessen des feudalen Großgrundbesitzes aufdecken und den Massen die Notwendigkeit eines unerbittlichen Kampfes für die völlige Vernichtung dieser Reste der Barbarei klarmachen muss;

2. dass solche Parteien, wie der „Bund vom 17. Oktober", die Handels- und Industriepartei, teilweise die Partei der friedlichen Erneuerung usw., Klassenorganisationen eines Teiles der Großgrundbesitzer sowie insonderheit der großen Handels- und Industrie-Bourgeoisie sind, die mit der absolutistischen Bürokratie noch kein endgültiges Abkommen über die Teilung der Macht auf der Grundlage irgendeiner Zensus- und durchaus antidemokratischen Konstitution getroffen haben, aber schon völlig auf die Seite der Konterrevolution übergegangen sind und offenkundig die Regierung unterstützen*; dass die Sozialdemokratie [indem sie zum Zweck der Entfaltung der Revolution die Konflikte dieser Parteien mit dem Schwarzhundert-Absolutismus ausnützt] gleichzeitig gegen diese Parteien den unerbittlichsten Kampf führen muss;

3. dass die Parteien der liberal-monarchistischen Bourgeoisie und die wichtigste von diesen Parteien, die Kadetten, sich jetzt schon entschieden von der Revolution abgewandt haben und die Aufgabe verfolgen, die Revolution durch ein Kompromiss mit der Konterrevolution zum Abschluss zu bringen; dass die wirtschaftliche Grundlage solcher Parteien ein Teil der mittleren Grundbesitzer und der mittleren Bourgeoisie, insonderheit die bürgerlichen Intellektuellen sind, während ein Teil des städtischen und dörflichen demokratischen Kleinbürgertums nur noch kraft der Überlieferung und weil er von den Liberalen direkt betrogen wird, diesen Parteien Gefolgschaft leistet; dass das Ideal dieser Parteien nicht über die Rahmen einer geordneten bürgerlichen Gesellschaft hinausgeht, die von der Monarchie, der Polizei, von einem Zweikammersystem, einem stehenden Heer usw. gegen die Angriffe des Proletariats verteidigt wird; dass die Sozialdemokratie die Tätigkeit dieser Parteien zur politischen Erziehung des Volkes ausnützen muss, indem sie ihrer scheinheilig-demokratischen Phraseologie den folgerichtigen Kampf des Proletariats für die Demokratie gegenüberstellt, die von ihnen gezüchteten konstitutionellen Illusionen zerstört und ihre Hegemonie im demokratischen Kleinbürgertum rücksichtslos bekämpft;

4. dass die Narodniki- oder die Trudowiki-Parteien (Volkssozialisten, Trudowiki-Gruppe, Sozialrevolutionäre) mehr oder minder genau die Interessen und den Standpunkt der breiten Massen der Bauernschaft und des städtischen Kleinbürgertums ausdrücken, wobei sie zwischen der Unterordnung unter die Hegemonie der Liberalen und dem entschiedenen Kampf gegen den Großgrundbesitz und den feudalen Staat schwanken; dass diese Parteien ihre dem Wesen nach bürgerlich-demokratischen Aufgaben mit einer mehr oder weniger nebelhaften sozialistischen Ideologie umkleiden; dass die Sozialdemokratie ihren pseudo-sozialistischen Charakter beharrlich entlarven und ihr Bestreben bekämpfen muss, den Klassengegensatz zwischen Proletarier und kleinem Eigentümer zu verwischen, andererseits aber diese Parteien mit aller Kraft dem Einfluss und der Führung der Liberalen zu entreißen suchen muss, indem sie sie dazu zwingt, ihre Wahl zu treffen zwischen der Politik der Kadetten und der Politik des revolutionären Proletariats, um sie dadurch zu zwingen, gegen die Schwarzhunderter und gegen die Kadetten auf die Seite der Sozialdemokratie zu treten;

5. dass die sich hieraus ergebenden gemeinsamen Aktionen jede Möglichkeit irgendwelcher Abweichungen von dem Programm und der Taktik der Sozialdemokratie ausschließen und nur dem Ziel eines gemeinsamen Vorgehens sowohl gegen die Reaktion als auch gegen die verräterische liberale Bourgeoisie dienen müssen.

Anmerkung: In die eckigen Klammern sind die Worte gesetzt, die in der Formulierung der Minderheit gestrichen worden sind.

3. Über die Klassenaufgaben des Proletariats im gegenwärtigen Augenblick der demokratischen Revolution

In Anbetracht dessen,

1. dass die demokratische Revolution in Russland einem neuen Aufstieg entgegengeht, wobei die großkapitalistische Gutsbesitzerklasse auf die Seite der Konterrevolution tritt, während im Gefolge des Proletariats neue Schichten des Kleinbürgertums und der Bauernschaft auf die Seite der Revolution treten;

2. dass die Klasseninteressen des Proletariats in der bürgerlichen Revolution die Schaffung von besonders günstigen Bedingungen für einen erfolgreichen Kampf gegen die besitzenden Klassen und für den Sozialismus verlangen;

3. dass die einzig mögliche Methode zur Schaffung und Sicherung dieser Bedingungen darin besteht, die demokratische Revolution zu Ende zu führen, d. h. die demokratische Republik, die volle Selbstherrschaft des Volkes zu erobern und ein Minimum von sozialen und ökonomischen Forderungen des Proletariats zu verwirklichen (Achtstundentag und andere Forderungen des sozialdemokratischen Minimalprogramms);

4. dass das Proletariat nur dann imstande ist, die demokratische Revolution zu Ende zu führen, wenn es als einzige konsequent revolutionäre Klasse der modernen Gesellschaft die Massen der Bauernschaft ins Schlepptau nimmt und ihrem Kampfe gegen den Großgrundbesitz und den feudalen Staat das Gepräge politischen Bewusstseins verleiht;

5. dass die Rolle des Führers der demokratischen Revolution dem Proletariat in allergrößtem Maße die Möglichkeit gewährt, seine soziale und wirtschaftliche Lage zu heben, sein Klassenbewusstsein zu stärken und seine Klassentätigkeit nicht nur auf dem wirtschaftlichen, sondern auch auf dem breiten politischen Gebiete zu entfalten, – erklärt die Tagung,

1. dass es in dem gegenwärtigen geschichtlichen Augenblick die Hauptaufgabe des Proletariats ist, die demokratische Umwälzung in Russland zu Ende zu führen;

2. dass jede Unterschätzung dieser Aufgabe unweigerlich dazu führt, die Arbeiterklasse aus dem Führer der Volksrevolution, der an der Spitze der Massen der demokratischen Bauernschaft steht, in einen passiven Teilnehmer der Revolution zu verwandeln, der sich im Schlepptau der monarchistischen liberalen Bourgeoisie befindet;

3. dass alle Organisationen der Partei das Proletariat bei der Verwirklichung dieser Aufgabe führen müssen, ohne auch nur auf eine Minute die selbständigen, sozialistischen Ziele des Proletariats zu vergessen.

4. Über die Taktik der Sozialdemokratie in der Reichsduma

1. Die Taktik des Boykotts der Reichsduma, die dazu beigetragen hat, dass die Volksmassen die Ohnmacht und die unselbständige Rolle dieser Einrichtung richtig erkannt haben, hat in der Komödie der gesetzgebenden Tätigkeit der ersten Reichsduma und in ihrer gewaltsamen Auflösung ihre volle Rechtfertigung gefunden;

2. indessen haben die konterrevolutionäre Haltung der Bourgeoisie und die Kompromisstaktik des russischen Liberalismus einen unmittelbaren Erfolg des Boykotts verhindert und das Proletariat gezwungen, den Kampf gegen die gutsbesitzerliche und bürgerliche Konterrevolution auch auf dem Boden der Dumakampagne aufzunehmen;

3. diesen Kampf außerhalb der Duma und in der Duma selbst muss die Sozialdemokratie dazu benützen, das Klassenbewusstsein des Proletariats zu stärken, seine Organisationen zu festigen und zu erweitern, die konstitutionellen Illusionen vor dem gesamten Volk auch weiterhin zu entlarven und die Revolution vorwärts zu treiben;

4. die unmittelbaren politischen Aufgaben der Sozialdemokratie in der bevorstehenden Dumakampagne bestehen darin: erstens dem Volke klarzumachen, dass die Duma vollständig ungeeignet ist, die Forderungen des Proletariats und des revolutionären Kleinbürgertums, insbesondere der Bauernschaft zu verwirklichen; zweitens dem Volke klarzumachen, dass es unmöglich ist, die politische Freiheit auf parlamentarischem Wege zu erringen, solange die wirkliche Macht in den Händen der Zarenregierung ist, ihm klarzumachen, dass der bewaffnete Aufstand, die provisorische revolutionäre Regierung und die konstituierende Versammlung, die auf der Grundlage des allgemeinen, direkten, gleichen und geheimen Wahlrechts gewählt wird, eine zwingende Notwendigkeit sind;

5. zur Erfüllung ihrer wichtigsten sozialistischen, sowie unmittelbar politischen Aufgaben muss die Sozialdemokratie als Klassenpartei des Proletariats unbedingt selbständig bleiben, muss sie in der Duma eine sozialdemokratische Fraktion bilden und darf keinesfalls ihre Losungen oder ihre Taktik mit denen irgendeiner anderen oppositionellen oder revolutionären Partei verschmelzen;

6. insbesondere gilt es, für die Tätigkeit der revolutionären Sozialdemokratie in der Duma die folgenden Fragen, die im gegenwärtigen Augenblick durch den ganzen Verlauf des politischen Lebens in den Vordergrund gerückt werden, klarzustellen:

1. in den Vordergrund gerückt werden muss die kritische, propagandistische, agitatorische und organisatorische Rolle der sozialdemokratischen Dumafraktion als einer unserer Parteiorganisationen. Gerade diesen und nicht etwa unmittelbar-„gesetzgeberischen" Zwecken müssen auch die Gesetzentwürfe dienen, die die sozialdemokratische Dumafraktion einbringt, insbesondere die Gesetzentwürfe, die auf solche Fragen Bezug haben, wie Verbesserung der Lebensbedingungen und Sicherung der vollen Freiheit des Klassenkampfes des Proletariats, Zertrümmerung des feudalen gutsbesitzerlichen Joches im Dorfe, Hilfe für die hungernden Bauern, Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, Befreiung der Matrosen und Soldaten von der Zuchthausordnung in den Kasernen usw.;

2. da die Zarenregierung bis zum entscheidenden Sieg des revolutionären Volkes ihre Positionen zweifellos nicht aufgeben wird, infolgedessen aber ein Konflikt zwischen Duma und Regierung bei jeder beliebigen Taktik der Duma unvermeidlich ist – ausgenommen den Fall, dass die Duma die Volksinteressen an das Schwarze Hundert verrät –, so müssen die sozialdemokratische Fraktion und die sozialdemokratische Partei ausschließlich mit dem Gang der revolutionären Krise rechnen, die sich außerhalb der Duma kraft objektiver Bedingungen entwickelt; sie dürfen weder unzeitgemäße Konflikte hervorrufen noch einen Konflikt dadurch künstlich abwenden oder verzögern, dass sie ihre Losungen herab schrauben, denn das wäre nur geeignet, die Sozialdemokratie in den Augen der Masse zu diskreditieren und vom revolutionären Kampf des Proletariats zu trennen;

3. indem die Sozialdemokratie den bürgerlichen Wesensinhalt aller nichtproletarischen Parteien aufdeckt und allen ihren Gesetzentwürfen und sonstigen Anträgen ihre eigenen Anträge entgegenstellt, muss sie gleichfalls ständig gegen die Hegemonie der Kadetten in der Freiheitsbewegung kämpfen, wobei sie das demokratische Kleinbürgertum zwingt, zwischen der heuchlerischen Demokratie der Kadetten und der folgerichtigen Demokratie des Proletariats zu wählen.

5. Über die Verschärfung der wirtschaftlichen Not und des wirtschaftlichen Kampfes der Massen

In Anbetracht dessen,

1. dass eine Reihe von Tatsachen von der äußersten Verschärfung der wirtschaftlichen Not des Proletariats und seines wirtschaftlichen Kampfes zeugt (Aussperrung in Polen; Bewegung der Arbeiter von Petersburg und Iwanowo-Wosnessensk zwecks Einleitung eines Kampfes gegen die Lebensmittelteuerung; breite Streikbewegung im Moskauer Industrierayon; Alarmrufe der Gewerkschaftszeitungen mit der Aufforderung, zu scharfem Kampfe zu rüsten, und dergleichen mehr);

2. dass laut allen Anzeichen diese verschiedenen Erscheinungsformen des wirtschaftlichen Kampfes sich so häufen, dass allerorts eine wirtschaftliche Massenbewegung zu erwarten ist, die viel breitere Schichten des Proletariats ergreift als früher;

3. dass die ganze Geschichte der russischen Revolution zeigt, dass jeder machtvolle Aufschwung der revolutionären Bewegung nur auf der Grundlage solcher wirtschaftlichen Massenbewegungen entstanden ist; –

in Anbetracht dieser Tatsachen erklärt die Tagung,

1. dass alle Parteiorganisationen dieser Erscheinung die ernsteste Aufmerksamkeit zuwenden, möglichst den gesamten Stoff darüber sammeln und die Frage auf dem 5. Parteitag als besonderen Tagesordnungspunkt behandeln müssen;

2. dass eine möglichst große Anzahl von aktiven Parteigenossen zur Agitation für die Wirtschaftskämpfe unter den Massen verwendet werden muss;

3. dass es erforderlich ist, gerade mit dieser wirtschaftlichen Bewegung als mit der Hauptquelle und der wichtigsten Grundlage der gesamten revolutionären Krise, die sich gegenwärtig in Russland entfaltet, zu rechnen.

6. Über die parteilosen Arbeiterorganisationen im Zusammenhang mit den anarchosyndikalistischen Strömungen im Proletariat

In Anbetracht dessen,

1. dass in der SDAPR in Zusammenhang mit Genossen Axelrods Agitation für einen parteilosen Arbeiterkongress eine Strömung aufgetaucht ist (Larin, Schtscheglo, El, Iwanowski, Mirow, die Odessaer Zeitschrift „Oswoboschdenije Truda"2), die darauf gerichtet ist, die sozialdemokratische Arbeiterpartei zu vernichten und durch eine parteilose politische Organisation des Proletariats zu ersetzen;

2. dass zur gleichen Zeit außerhalb der Partei und direkt gegen die Partei im Proletariat eine anarcho-syndikalistische Agitation geführt wird, die dieselbe Losung des parteilosen Arbeiterkongresses und parteiloser Arbeiterorganisationen zum Inhalt hat („Sojusnoje Djelo"3 und seine Gruppe in Moskau, die anarchistische Presse in Odessa u. dgl. m.);

3. dass ungeachtet der Resolution der allrussischen Konferenz der SDAPR vom November in unserer Partei eine Reihe von desorganisatorischen Handlungen zu verzeichnen ist, die die Schaffung von parteilosen Organisationen zum Ziel haben;

4. dass anderseits die SDAPR niemals darauf verzichtet hat, im Augenblick eines größeren oder kleineren revolutionären Aufschwungs bestimmte parteilose Organisationen vom Schlage der Räte der Arbeiter-Deputierten zur Stärkung des Einflusses der Sozialdemokratie in der Arbeiterklasse und zur Festigung der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung zu benutzen (siehe die Septemberresolutionen des Petersburger Komitees und des Moskauer Komitees über den Arbeiterkongress in den Nummern 3 und 4 des „Proletarij"4);

5. dass auf dem Boden des beginnenden Aufschwungs die Möglichkeit gegeben ist, zur Stärkung der Sozialdemokratie parteilose Körperschaften aus Vertretern der Arbeiterklasse zu organisieren oder zu benutzen, wie Räte der Arbeiter-Deputierten, Räte der Arbeiter-Bevollmächtigten und dergl. m., wobei die Organisationen der sozialdemokratischen Parteien im Auge haben müssen, dass sich solche Körperschaften tatsächlich als überflüssig erweisen können, wenn die Sozialdemokratie ihre Arbeit unter den Massen des Proletariats richtig, schlagkräftig und großzügig zu organisieren versteht, –

in Anbetracht alles dessen erklärt die Tagung:

1. dass es notwendig ist, den entschlossensten grundsätzlichen Kampf gegen die anarcho-syndikalistische Bewegung im Proletariat und gegen die Larinschen und Axelrodschen Ideen in der Sozialdemokratie zu entfalten;

2. dass der entschlossenste Kampf gegen alle desorganisatorischen und demagogischen Versuche notwendig ist, die Parteiorganisationen der SDAPR von innen heraus zu schwächen oder dazu zu benützen, die Sozialdemokratie durch parteilose politische Organisationen des Proletariats zu ersetzen;

3. dass die Teilnahme der Organisationen der sozialdemokratischen Partei an allgemein-parteilichen Räten von Arbeiter-Bevollmächtigten und -Deputierten und an den Kongressen ihrer Vertreter sowie die Schaffung solcher Körperschaften nötigenfalls zulässig ist, vorausgesetzt, dass hierbei die Interessen der Partei auf das strengste gewahrt werden und die Sozialdemokratische Arbeiterpartei gestärkt und gefestigt wird;

4. dass es zwecks Erweiterung und Stärkung des Einflusses der Sozialdemokratie auf die breiten Massen des Proletariats notwendig ist, einerseits die Arbeit der Organisierung von Gewerkschaften und die sozialdemokratische Propaganda und Agitation in ihnen zu verstärken, anderseits aber immer breitere Schichten der Arbeiterklasse zum Eintritt in die Parteiorganisationen aller Art zu bewegen.

1 Die bolschewistischen Resolutionsentwürfe zum 5. Parteitag der SDAPR zu einigen der wichtigsten taktischen Fragen waren von Lenin ausgearbeitet und wurden in der Versammlung der Vertreter des Petersburger Komitees, des Moskauer Komitees, des Moskauer Kreiskomitees und des Gebietsvorstandes des zentralen Industriebezirkes, die vom 28. (15.) Februar bis 3. März (18. Februar) 1907 stattgefunden hatte, als Material für die Parteidiskussion vor dem Parteitag und für den Parteitag angenommen.

* Die Formulierung, die von der Minderheit vorgeschlagen wurde, lautete: „…Bourgeoisie sind, die schon völlig auf die Seite der Konterrevolution übergegangen sind, offenkundig die Regierung unterstützen und es sich zur Aufgabe machen, eine Zensus- und durchaus antidemokratische Konstitution zu verwirklichen."

2 Lenin meint das Sammelheft: „Die Befreiung der Arbeit. Aufsätze zur Arbeiterfrage." (Odessa 1907.) Der Aufsatz, der die Agitation für den Arbeiterkongress unterstützt, ist betitelt: „Zur Frage des Arbeiterkongresses."

3 Lenin meint den Artikel von A. Andrejewitsch: „Der allgemeine Arbeiterkongress in Russland" (Nr. 1), in dem der Verfasser den geplanten Arbeiterkongress als eine Vertretung der Arbeiterberufe betrachtet und den Gewerkschaften vorschlägt, sich mit der Organisierung des Kongresses zu befassen, wobei die stattfindenden Gebietstagungen der Gewerkschaften das Vorstadium im Prozesse der Vorbereitung des Kongresses darstellen sollten. Dem Artikel lag ein Arbeitsplan des künftigen Kongresses bei: 1. die Fragen der Arbeiterpolitik (Lohn, bürgerliche Freiheiten, Endziel); 2. die Formen der Arbeiterorganisationen und 3. die Kampfmittel.

4 Lenin meint die Resolution des Petersburger Komitees (siehe Anm. 150) und bezieht sich anscheinend auf die Resolution, die auf der zweiten, im September 1906 abgehaltenen Konferenz der Organisationen des Zentralrayons angenommen wurde, die aus Vertretern von Moskau, Iwanowo Wos-nessensk, Briansk, Nischni, Sarmowo und anderen Städten sowie aus Vertretern des ZK und der Redaktion des „Proletarij" zusammengesetzt war. Zur Frage des Arbeiterkongresses wurde mit einer Mehrheit von 12 gegen zwei Stimmen bei drei Stimmenthaltungen eine Resolution angenommen, deren Schlusspunkt wie folgt lautet:

1. Die Agitation für einen parteilosen Kongress ist als schädliche Demagogie zu betrachten, die die klassenbewussten Arbeiter von den Aufgaben der Festigung und Stärkung ihrer sozialdemokratischen Partei ablenkt und die nicht klassenbewusste Masse durch unerfüllbare, unmögliche Versprechungen verwirrt.

2. Die Einberufung des Arbeiterkongresses ist zur Zeit unbedingt unzeitgemäß und unerwünscht.

3. Die sozialdemokratische Partei, die den Kampf gegen jegliche Demagogie führt, verzichtet keineswegs darauf – sobald der geeignete Moment dafür eintritt–, an dem Kongress der Arbeiter-Deputiertenräte oder an anderen ähnlichen Kongressen, die ein bestimmtes praktisches Ziel verfolgen, teilzunehmen, wobei die Sozialdemokratie stets als einheitliches und bewusstes Ganzes aufzutreten hat." („Proletarij" Nr. 4 vom 2. Oktober [19. September] 1906.)

Kommentare