Lenin‎ > ‎1919‎ > ‎

Wladimir I. Lenin 19191204 Rede auf dem I. Kongress der landwirtschaftlichen Kommunen und Artels

Wladimir I. Lenin: Rede auf dem I. Kongress der landwirtschaftlichen Kommunen und Artels1

(4. Dezember 1919)

[Nach Ausgewählte Werke, Band 8. Der Kriegskommunismus 1918-1920. Zürich 1935, S. 207-217]

Genossen! Mit großer Freude begrüße ich Im Namen der Regierung euren ersten Kongress der landwirtschaftlichen Kommunen und Artels. Aus der ganzen Tätigkeit der Sowjetmacht ist euch natürlich bekannt, welche gewaltige Bedeutung wir den Kommunen, den Artels und überhaupt den Organisationen beimessen, die darauf gerichtet sind, die kleine bäuerliche Einzelwirtschaft in eine gemeinschaftliche, genossenschaftliche oder in eine Artelwirtschaft umzuwandeln, diese Umwandlung allmählich zu fördern. Es ist euch bekannt, dass die Sowjetmacht schon längst einen Milliardenfonds zur Förderung solchen Beginnens geschaffen hat. In den Bestimmungen über die sozialistische Flurbereinigung wird die Bedeutung der Kommunen, der Artels und aller Unternehmungen zur gemeinschaftlichen Bodenbearbeitung besonders hervorgehoben, und die Sowjetmacht setzt alle ihre Bemühungen daran, dass dieses Gesetz nicht bloß auf dem Papier bleibe, sondern wirklich den Nutzen zeitige, den zu bringen es bestimmt ist. Die Bedeutung aller derartigen Unternehmen ist gewaltig, denn wenn die frühere, kümmerliche, elende Bauernwirtschaft in alter Form weitergeführt würde, könnte von irgendeinem dauerhaften Aufbau der sozialistischen Gesellschaft keine Rede sein. Nur wenn es gelingt, den Bauern die Vorteile der gesellschaftlichen, kollektiven, genossenschaftlichen, artelmäßigen Bodenbearbeitung praktisch vor Augen zu führen, nur wenn es gelingt, dem Bauern durch genossenschaftliche, durch Artelwirtschaft zu helfen, nur dann wird die Arbeiterklasse, die die Staatsmacht in den Händen hat, den Bauern tatsächlich von der Richtigkeit des von ihr eingeschlagenen Weges überzeugen und die millionenköpfige Bauernmasse fest und wirklich auf ihre Seite ziehen. Die Bedeutung von Unternehmungen aller Art zur Förderung der genossenschaftlichen und artelmäßigen Bodenbearbeitung kann daher nicht übertrieben werden. Wir haben Millionen zersplitterter, in den entlegensten Winkeln zerstreuter Dörfer, einzelner Wirtschaften vor uns. Es wäre ein durchaus unsinniger Gedanke, diese Wirtschaften auf irgendwelche schnelle Art, durch irgendeinen Befehl, durch Einwirken von außen her umgestalten zu wollen. Wir sind uns dessen ausgezeichnet bewusst, dass man auf die Millionen kleiner Bauernwirtschaften nur allmählich, vorsichtig und nur durch das erfolgreiche praktische Beispiel einwirken kann, denn die Bauern sind viel zu praktisch gesinnt, sind viel zu fest an die alte Art der Bodenbewirtschaftung gebunden, um sich bloß auf Grund von Ratschlägen und Buchweisheiten auf ernste Umgestaltungen einzulassen. Das kann nicht sein, das wäre auch ein Unding. Nur wenn praktisch, durch die Erfahrung, die den Bauern zugänglich ist, erwiesen sein wird, dass der Übergang zur gesellschaftlichen, artelmäßigen Bodenbearbeitung notwendig und möglich ist, nur dann werden wir mit Recht sagen können, dass in einem so ungeheuren Bauernland wie Russland ein ernster Schritt auf dem Wege zur sozialistischen Landwirtschaft gemacht worden ist. Darum zwingt naturgemäß diese gewaltige Bedeutung der Kommunen, Artels und Genossenschaften, die euch allen ungeheure staatliche und sozialistische Pflichten auferlegt, die Sowjetmacht und ihre Vertreter, in dieser Frage mit besonderer Aufmerksamkeit und Vorsicht vorzugehen.

In unserem Gesetz über die sozialistische Flurbereinigung heißt es, dass wir es als eine unbedingte Pflicht aller Unternehmungen für genossenschaftliche und artelmäßige Bodenbearbeitung betrachten, sich nicht abzusondern, sich der umliegenden Bauernbevölkerung nicht zu entfremden, sondern ihr unbedingt zu helfen. Das steht im Gesetz, das wird in den Statuten der Kommunen wiederholt, das wird in den Instruktionen unseres Volkskommissariats für Landwirtschaft immer wieder entwickelt, und das ist die Hauptsache. Das Wichtigste jedoch ist, eine wirklich praktische Methode zu finden, wie man das in der Praxis verwirklichen soll. Ich habe da noch nicht die Überzeugung, dass wir diese Hauptschwierigkeit überwunden haben. Ich möchte wünschen, dass euer Kongress, auf dem ihr die Möglichkeit habt, euch eure Erfahrungen als praktisch Tätige in den gesellschaftlichen Wirtschaften aus allen Enden Russlands gegenseitig mitzuteilen, allen Zweifeln ein Ende mache und den Beweis erbringe, dass wir begonnen haben, das Werk der Festigung der Artels, Genossenschaften, Kommunen und überhaupt aller verschiedenen Arten von kollektiven, gesellschaftlichen landwirtschaftlichen Unternehmungen praktisch zu bewältigen. Aber um das zu beweisen, bedarf es wirklich praktischer Ergebnisse.

Beim Lesen der Statuten unserer landwirtschaftlichen Kommunen oder beim Lesen von Büchern, die dieser Frage gewidmet sind, gewinnt man den Anschein, dass wir darin der Propaganda, der theoretischen Begründung der Notwendigkeit, solche Kommunen zu organisieren, zu viel Platz einräumen. Das ist natürlich notwendig, denn ohne gründliche Propaganda, ohne Klarlegung der Vorteile der genossenschaftlichen Bodenbewirtschaftung, ohne tausendfache Wiederholung dieses Gedankens können wir nicht darauf rechnen, dass das Interesse der breiten Massen der Bauernschaft geweckt wird und sie beginnen werden, die Arten der praktischen Verwirklichung dieses Gedankens zu erproben. Propaganda ist natürlich notwendig, und wir brauchen vor Wiederholungen nicht zurückzuschrecken, denn was uns eine Wiederholung scheint, wird wohl für viele Hunderttausende von Bauern keine Wiederholung, sondern eine von ihnen zum ersten Male entdeckte Wahrheit sein. Und wenn bei uns der Gedanke auftaucht, dass wir der Propaganda zu viel Aufmerksamkeit widmen, so müssen wir uns sagen, dass wir es noch hundertmal mehr tun müssen. Doch wenn ich das sage, so meine ich es in dem Sinne, dass die Bauernschaft unserer Propaganda kein Vertrauen schenken wird, wenn wir ihr mit allgemeinen Erklärungen über den Nutzen der Einrichtung von landwirtschaftlichen Kommunen kommen und nicht gleichzeitig in der Lage sind, ihr den praktischen Nutzen zu beweisen, den ihr die genossenschaftlichen, die Artelwirtschaften bringen.

Im Gesetz heißt es, dass die Kommunen, die Artels, die Genossenschaften der Bauernbevölkerung der Umgebung helfend beistehen müssen. Doch der Staat, die Staatsmacht der Arbeiter, gibt einen Milliardenfonds her, um den landwirtschaftlichen Kommunen und Artels zu helfen. Wenn nun die eine oder die andere Kommune ihrerseits den Bauern aus diesem Fonds Hilfe erweist, so muss man natürlich befürchten, dass dies bei den Bauern nur Spott hervorrufen wird. Und das durchaus mit Recht. Jeder Bauer wird sagen: „Natürlich, wenn man euch einen Milliardenfonds gibt, fällt es euch doch nicht schwer, einen Brocken davon auch uns hinzuwerfen.“ Ich fürchte, dass der Bauer darüber nur lachen wird, denn dieser Frage bringt er große Aufmerksamkeit und großes Misstrauen entgegen. Der Bauer ist seit Jahrhunderten gewohnt, vom der Staatsgewalt nichts als Unterdrückung zu erfahren, deshalb ist er gewohnt, alles, was vom Staat herrührt, mit Misstrauen aufzunehmen. Wenn also den Bauern von den landwirtschaftlichen Kommunen bloß deshalb Hilfe geleistet werden wird, um den Buchstaben des Gesetzes zu erfüllen, so wird eine solche Hilfe nicht nur nutzlos sein, sie kann nur Schaden bringen. Denn die Bezeichnung „landwirtschaftliche Kommune“ ist von größter Tragweite, ist mit dem Begriff Kommunismus verbunden. Es ist gut, wenn die Kommunen in der Praxis zeigen, dass in ihnen tatsächlich ernst auf die Verbesserung der Bauernwirtschaft hingearbeitet wird – dann wird zweifellos auch das Ansehen sowohl der Kommunisten als auch der Kommunistischen Partei steigen. Es kam jedoch ständig vor, dass die Kommunen bloß eine ablehnende Haltung der Bauernschaft hervorriefen, und das Wort „Kommune“ wurde manchmal sogar zur Kampfparole gegen den Kommunismus. Das war nicht nur dann der Fall, wenn unsinnige Versuche gemacht wurden, die Bauern auf gewaltsamem Wege in die Kommune zu pressen. Das Sinnlose dieses Vorgehens fiel allen so sehr auf, dass die Sowjetmacht längst dagegen Stellung genommen hat. Und ich hoffe, dass Fälle solcher Gewaltanwendung, wenn sie auch gegenwärtig noch vereinzelt vorkommen, doch nur selten sind und ihr den gegenwärtigen Kongress dazu benützen werdet, die letzten Spuren solchen Unfugs in der Sowjetrepublik zu tilgen, damit die Bauernbevölkerung der Umgebung keinen einzigen Fall mehr anführen kann zur Bekräftigung der alten Ansicht, dass das Eintreten in eine Kommune mit irgendeinem Zwang verbunden sei.

Doch selbst wenn wir uns von diesem alten Mangel befreien und diesen Unfug vollständig ausrotten, so wird das trotzdem bloß der kleinste Teil dessen sein, was wir eigentlich zu tun haben. Denn die Notwendigkeit, den Kommunen von Staats wegen Unterstützung zu gewähren, bleibt bestehen, und wir wären nicht Kommunisten und Anhänger der Einführung der sozialistischen Wirtschaft, wenn wir den kollektiven landwirtschaftlichen Unternehmungen aller Art nicht staatliche Hilfe zukommen ließen. Wir müssen das auch aus dem Grunde tun, weil das mit allen unseren Aufgaben im Einklang steht und weil wir sehr wohl wissen, dass diese Genossenschaften, Artels und kollektiven Organisationen eine Neuerung sind, die ohne Unterstützung durch die an der Macht stehende Arbeiterklasse nicht Wurzel fassen kann. Damit sie aber Wurzel fasse und eben weil der Staat ihr finanziell und in jeder anderen Weise zu Hilfe kommt, müssen wir erreichen, dass die Bauern das alles nicht mit spöttischem Lächeln aufnehmen. Wir müssen immer auf der Hut sein, damit der Bauer nicht von den Mitgliedern der Kommunen, der Artels und der Genossenschaften sagt, sie seien Kostgänger des Staates und unterschieden sich von den anderen Bauern nur dadurch, dass ihnen Begünstigungen gewährt werden. Wenn man ihm den Boden gibt und dazu noch aus dem Milliardenfonds Unterstützungen zur Errichtung von Wirtschaftsgebäuden gewährt, dann wird jeder Dummkopf etwa besser leben als der gewöhnliche Bauer. Was ist da Kommunistisches dabei, und was gibt es da für eine Besserung, wird der Bauer sagen; aus welchen Gründen verdienen sie unsere Achtung? Natürlich, wenn man ein paar Dutzend oder ein paar hundert Menschen nimmt und ihnen Milliarden zur Verfügung stellt, dann werden sie etwas leisten.

Gerade ein solches Verhalten der Bauern ist am meisten zu befürchten, und ich möchte die Aufmerksamkeit der auf diesem Kongress versammelten Genossen auf diese Frage lenken. Diese Frage muss praktisch so gelöst werden, dass wir uns selbst sagen können: wir sind dieser Gefahr nicht nur ausgewichen, sondern haben auch Mittel ausfindig gemacht, um dagegen anzukämpfen, dass der Bauer so denke, und um zu erreichen, dass er im Gegenteil in jeder Kommune, in jedem Artel eine von der Staatsmacht geförderte Einrichtung sehe und dass er durch sie nicht durch Bücher und Reden – das wäre recht nutzlos –, sondern in der Praxis neue Methoden der Bodenbewirtschaftung kennenlerne und ihre Vorteile gegenüber den alten Methoden sehe. Darin liegt die Schwierigkeit der Lösung der Aufgabe, und darum ist es auch für uns, die wir nur trockenes Zahlenmaterial vor uns haben, schwer, darüber zu urteilen, ob wir praktisch bewiesen haben, dass wirklich jede Kommune, jedes Artel alle Unternehmen des allen Systems übertrifft und dass die Arbeitermacht hier den Bauern Hilfe leistet.

Ich glaube, dass es zwecks praktischer Lösung dieser Frage sehr wünschenswert wäre wenn ihr, gestützt auf eure praktische Bekanntschaft mit einer ganzen Reihe benachbarter Kommunen, Artels und Genossenschaften, Methoden ausarbeitetet, nach denen man wirklich eine Kontrolle darüber ausüben kann, wie die von dem Gesetz geforderte Hilfeleistung der landwirtschaftlichen Kommunen an die umliegende Bevölkerung verwirklicht wird, wie der Übergang zur sozialistischen Landwirtschaft durchgeführt wird und worin er im jeder Kommune, in jeder Genossenschaft und in jedem Artel konkret zum Ausdruck kommt, wie dies eben bewerkstelligt wird, wie viel Genossenschaften, Kommunen dieses Werk wirklich ausführen und wie viele sich das nur vornehmen, wie oft zu beobachten war, dass die Kommunen solche Hilfe erweisen, und welchen Charakters sie war: philanthropisch oder sozialistisch.

Wenn die Kommunen und Artels von den erhaltenen Staatszuschüssen einen Teil den Bauern zuwenden, so gibt das nur jedem Bauern Anlass zu denken, dass hier eben nur gute Menschen ihm helfen, beweist aber in nichts den Übergang zur sozialistischen Ordnung. Die Bauern sind aber von jeher gewöhnt, sich gegenüber derartigen „guten Menschen“ misstrauisch zu verhalten. Man muss verstehen zu prüfen, worin diese neue Gesellschaftsordnung wirklich zum Ausdruck kommt, wie den Bauern bewiesen wird, dass die genossenschaftliche, artelmäßige Bodenbearbeitung besser ist als die durch die bäuerliche Einzelwirtschaft, und zwar nicht deswegen besser, weil Staatshilfe gewährt wird. Man muss den Bauern zu beweisen verstehen, dass diese neue Ordnung auch ohne Staatshilfe praktisch verwirklicht werden kann.

Leider kann ich auf eurem Kongress nicht bis zum Schluss anwesend sein und werde deshalb an der Ausarbeitung dieser Prüfungsmethoden nicht teilnehmen können. Ich bin aber überzeugt, dass ihr gemeinsam mit jenen Genossen, die an der Spitze unseres Volkskommissariats für Landwirtschaft stehen, solche Methoden finden werdet. Ich habe mit Vergnügen den Artikel des Volkskommissars für Landwirtschaft, Genossen Sereda2, gelesen, in dem er unterstreicht, dass die Kommunen und Genossenschaften sich nicht von der umliegenden Bauernbevölkerung loslösen dürfen, sondern bestrebt sein müssen, deren Wirtschaft zu verbessern. Man muss die Kommune so einrichten, dass sie vorbildlich wird und die benachbarten Bauern sich zu ihr hingezogen fühlen; man muss es verstehen, ihnen ein praktisches Beispiel vorzuführen, wie man Menschen helfen muss, die unter so schwierigen Verhältnissen des Warenmangels und der allgemeinen Zerrüttung ihre Wirtschaft betreiben. Um aber die praktische Art und Weise der Verwirklichung dieser Aufgaben festzulegen, muss eine sehr ausführliche Instruktion ausgearbeitet werden, in der alle Arten der Hilfeleistung an die benachbarte bäuerliche Bevölkerung aufgezählt werden müssen, eine Instruktion, auf Grund welcher jede Kommune dahin überprüft wird, was sie an Hilfeleistung für die Bauern getan hat. In dieser Instruktion müssen auch die Methoden angegeben werden, wie es zu erreichen ist, dass jede der vorhandenen 2.000 Kommunen und jedes der etwa 4.000 Artels eine Zelle sei, die fähig ist, bei den Bauern durch Taten die Überzeugung zu festigen, dass die kollektive Bodenbewirtschaftung als Übergang zum Sozialismus eine nützliche Sache und nicht ein toller Einfall und leeres Gerede ist.

Ich habe bereits gesagt, dass das Gesetz von den Kommunen Hilfeleistung an die benachbarte bäuerliche Bevölkerung verlangt. Anders konnten wir uns in dem Gesetz nicht ausdrücken und konnten darin keinerlei praktische Anweisungen geben. Wir mussten allgemeine Leitsätze festlegen und damit rechnen, dass die bewussten Genossen überall im Lande dieses Gesetz gewissenhaft anwenden und tausend Wege zu finden imstande sein werden, um dieses Gesetz praktisch auf die konkreten Wirtschaftsverhältnisse jeder Gegend anzuwenden. Doch jedes Gesetz kann natürlich umgangen werden, sogar wenn es dem Anschein nach erfüllt wird. Auch das Gesetz über die Hilfeleistung an die Bauern kann bei nicht gewissenhafter Anwendung in das reinste Spielzeug verwandelt werden und nicht die erwünschten, sondern geradezu entgegengesetzte Ergebnisse zeitigen.

Die Kommunen müssen sich in der Richtung entwickeln, dass sich durch Berührung mit ihnen und durch ihre wirtschaftliche Hilfe die Verhältnisse der bäuerlichen Wirtschaft zu verändern beginnen, und dass jede Kommune, jedes Artel und jede Genossenschaft es versteht, den Grund zu einer Bessergestaltung dieser Verhältnisse zu legen und diese Bessergestaltung auch praktisch zu verwirklichen, nachdem man den Bauern in der Praxis bewiesen hat, dass diese Änderung ihnen nur Nutzen bringt.

Ihr könnt euch natürlich denken, dass man uns sagen wird, um die Wirtschaft zu verbessern, müssen Bedingungen vorhanden sein, die sich von den Bedingungen der gegenwärtigen Zerrüttung unterscheiden, die durch den vierjährigen imperialistischen Krieg und den zweijährigen Bürgerkrieg, den uns die Imperialisten aufgezwungen haben, verursacht sind. Wie kann man aber bei solchen Verhältnissen, wie sie, bei uns bestehen, daran denken, eine breit angelegte Bessergestaltung der Landwirtschaft durchzuführen? Wir müssen froh sein, wenn wir uns einigermaßen über Wasser halten, und nicht Hungers sterben.

Es ist ganz natürlich, dass derartige Zweifel geäußert werden können. Wenn ich aber auf solche Einwände zu erwidern hätte, würde ich folgendes sagen: Gut, angenommen, dass tatsächlich infolge der Zerrüttung der Wirtschaft, des Verfalls, des Warenmangels, der Schwäche des Transportwesens, der Vernichtung von Vieh und Geräten eine groß angelegte Bessergestaltung der Wirtschaft nicht durchgeführt werden kann. Allerdings unterliegt es keinem Zweifel, dass in einer ganzen Reihe von Einzelfällen eine Bessergestaltung der Wirtschaft in beschränkten Grenzen möglich ist. Doch angenommen, auch das wäre nicht der Fall. Bedeutet das, dass die Kommunen das Leben der sie umgebenden Bauern nicht ändern und ihnen nicht beweisen können, dass die kollektiven landwirtschaftlichen Betriebe keine künstlich gezüchteten Treibhauspflanzen, sondern eine neue Hilfe der Arbeitermacht für die werktätige Bauernschaft, eine Unterstützung derselben in ihrem Kampf gegen das Kulakentum sind? Ich bin überzeugt, dass wir sogar dann, wenn wir die Frage so stellen und die Unmöglichkeit einer Bessergestaltung unter den Verhältnissen der gegenwärtigen Zerrüttung zugeben, sehr, sehr viel erreichen können, vorausgesetzt, dass wir in den Kommunen und Artels gewissenhafte Kommunisten haben.

Um nicht leere Worte zu dreschen, will ich mich dem zuwenden, was man in den Städten Subbotniks nennt. So wurde die unentgeltliche Arbeit bezeichnet, die die Arbeiter in den Städten über jenes Ausmaß hinaus leisten, das von jedem Arbeiter verlangt wird; sie wird einige Stunden hindurch irgendeinem öffentlichen Zwecke gewidmet. Die Subbotniks wurden zum ersten Male in Moskau von den Eisenbahnern der Eisenbahnlinie Moskau–Kasan eingeführt. In einem der Aufrufe der Sowjetregierung, in dem darauf hingewiesen wurde, dass die Rotarmisten an den Fronten unerhörte Opfer bringen und ungeachtet aller Not, die sie zu ertragen haben, großartige Siege über unsere Feinde erringen, wurde gleichzeitig auch gesagt, dass wir diese Siege nur dann zu Ende führen können, wenn dieser Heldenmut, diese Selbstaufopferung nicht nur an den Fronten, sondern auch im Hinterlande zur Geltung kommen werden. Darauf erwiderten die Moskauer Arbeiter mit der Veranstaltung von Subbotniks. Es unterliegt keinem Zweifel, dass die Moskauer Arbeiter viel mehr Not und Elend erdulden müssen als die Bauern. Wenn ihr die Lebensbedingungen der Moskauer Arbeiter näher kennenlernt und darüber nachdenkt, dass sie unter diesen unerhört schwierigen Verhältnissen imstande waren, an die Durchführung der Subbotniks zu gehen, dann werdet ihr zugeben, dass man sich auf keinerlei Schwierigkeiten der Verhältnisse berufen kann, wenn es das zu tun gilt, was man unter allen Umständen tun kann, wenn man die Methode anwendet, die die Moskauer Arbeiter angewandt haben. Nichts hat so sehr zur Hebung des Ansehens der Kommunistischen Partei in der Stadt beigetragen und so sehr die Achtung der parteilosen Arbeiter vor den Kommunisten gesteigert wie diese Subbotniks, sobald sie aufhörten, eine vereinzelte Erscheinung zu sein, und sobald die parteilosen Arbeiter tatsächlich sahen, dass den Mitgliedern der herrschenden Kommunistischen Partei Pflichten auferlegt sind und die Kommunisten neue Mitglieder in die Partei nicht dazu aufnehmen, um ihnen Vorteile zu gewähren, die mit der Stellung der Regierungspartei verbunden sind, sondern damit sie ein Beispiel wirklicher kommunistischer Arbeit liefern, d. h. solcher Arbeit, die unentgeltlich geleistet wird. Der Kommunismus ist die höchste Entwicklungsstufe des Sozialismus, wo die Menschen arbeiten, weil sie die Notwendigkeit erkannt haben, zum Nutzen der Allgemeinheit zu arbeiten. Wir wissen, dass wir jetzt noch nicht die sozialistische Ordnung einführen können; wenn es gut geht, werden unsere Kinder, vielleicht aber erst unsere Enkel die Errichtung des Sozialismus bei uns erleben. Doch wir sagen, dass die Mitglieder der herrschenden Kommunistischen Partei auch den Hauptteil der Schwierigkeiten im Kampf gegen den Kapitalismus auf sich nehmen, wenn sie die besten Kommunisten an die Front entsenden und von denjenigen, die nicht in dieser Weise ausgenützt werden können, die Durchführung der Subbotniks verlangen.

Diese Subbotniks haben sich in jeder großen Industriestadt eingebürgert; die Partei verlangt von jedem ihrer Mitglieder, dass er daran teilnehme, und bestraft denjenigen, der das nicht befolgt, sogar mit dem Parteiausschluss. Wenn ihr dieses Mittel auch in den Kommunen, Artels und Genossenschaften einführt, dann könnt und müsst ihr auch unter den schlechtesten Bedingungen erreichen, dass der Bauer in jeder Kommune, jedem Artel, jeder Genossenschaft eine Vereinigung sieht, die sich nicht dadurch auszeichnet, dass sie staatliche Unterstützung erhält, sondern dadurch, dass in ihr die besten Vertreter der Arbeiterklasse vereinigt sind, die nicht nur den Sozialismus für andere predigen, sondern ihn auch selbst verwirklichen und zeigen können, dass sie sogar unter den schlechtesten Verhältnissen kommunistisch zu wirtschaften und der Bauernbevölkerung der Umgebung nach Kräften Hilfe zu erweisen imstande sind. Hier kann es keinerlei Ausreden geben, hier kann man sich nicht auf Warenmangel, auf das Fehlen von Saatgut oder auf eine Viehseuche berufen. Hier haben wir eine Kontrolle, die uns jedenfalls die Möglichkeit gibt, bestimmt zu sagen, inwiefern wir die auf uns genommene schwierige Aufgabe praktisch bewältigt haben.

Ich bin überzeugt, dass die gemeinsame Versammlung der Vertreter der Kommunen, Genossenschaften und Artels darüber beraten und einsehen wird, dass die Anwendung einer solchen Methode tatsächlich ein großartiges Mittel zur Festigung der Kommunen und Genossenschaften sein wird, und solche praktische Ergebnisse erzielen wird, dass es in ganz Russland nicht einen einzigen Fall feindlichen Verhaltens der Bauern zu den Kommunen, Artels und Genossenschaften mehr geben kann. Das genügt aber nicht; es ist notwendig, dass die Bauernschaft ihnen Wohlwollen entgegenbringt. Wir Vertreter der Sowjetmacht werden unserseits alles tun, um dabei mitzuhelfen, und werden darauf achten, dass unsere Staatszuschüsse aus dem Milliardenfonds oder aus anderen Quellen nur in den Fällen bewilligt werden, wo tatsächlich eine Annäherung dieser Arbeitskommunen und Artels an das Leben der benachbarten Bauern praktisch verwirklicht wird. Ohne diese Voraussetzungen betrachten wir jede Hilfe an die Artels und Genossenschaften nicht nur als nutzlos, sondern auch als unbedingt schädlich. Die Hilfeleistung der Kommunen an die benachbarten Bauern darf nicht als Hilfe betrachtet werden, die nur dem Überfluss entspringt, sondern diese Hilfe muss eine sozialistische sein, d. b. sie muss den Bauern die Möglichkeit geben, von der abgesonderten Einzelwirtschaft zur genossenschaftlichen überzugehen. Und das kann man nur durch jenes Mittel, die Subbotniks, erreichen, von denen ich hier sprach.

Wenn ihr diese Erfahrungen der Arbeiter in den Städten in Betracht zieht, die, in unvergleichlich schlechteren Verhältnissen als die Bauern lebend, die Bewegung für die Subbotniks ins Leben gerufen haben, dann werden wir, davon bin ich überzeugt, mit eurer allgemeinen einmütigen Unterstützung durchsetzen können, dass jede Kommune und jedes Artel, von denen es heute einige Tausende gibt, zu einem wirklichen Herd für die Verbreitung kommunistischer Ideen und Vorstellungen unter den Bauern werde, dass jede dieser Kommunen und jedes Artel den Bauern durch das praktische Beispiel zeigen wird, dass sie, wenn auch noch schwache, unansehnliche Keime, aber doch keine künstlichen Treibhausgewächse, sondern wirkliche Keime der neuen sozialistischen Ordnung sind. Nur dann werden wir einen sicheren Sieg über die alte Unwissenheit, Zerrüttung und Not davontragen, nur dann werden uns keinerlei Schwierigkeiten auf unserem weiteren Weg gefährlich werden.

1 Der Kongress der landwirtschaftlichen Kommunen und Artels, der am 3. Dezember 1919 eröffnet wurde, müsste eigentlich als zweiter Kongress bezeichnet werden, da bereits in der Zeit vom 11. bis zum 20. Dezember 1918 der erste Allrussische Kongress der Bodenämter, der Komitees der Dorfarmut und der Kommunen tagte, auf dem Lenin eine Rede hielt.

Die Rede Lenins vom 3. Dezember 1919 stellt eine Weiterentwicklung der Ideen dar, die er ein Jahr vorher dargelegt hatte. Hierbei hebt Lenin besonders die Aufgaben hervor, die vor den Kommunen und Artels in Bezug auf ihre Einwirkung auf die breiten Massen der Bauernschaft und deren Heranziehung zum Aufbau der sozialistischen Landwirtschaft stehen. Diese Aufgaben können nur erfüllt werden, wenn den breiten Massen der Bauernschaft die Vorzüge der vergesellschafteten Produktion in der Praxis vor Augen geführt werden und das Ansehen der Kommunen und Artels bei der Bauernschaft gehoben wird. Im Zusammenhang damit spricht Lenin hier, wie auch in seinen anderen Reden, wo er auf die Kollektivierung des Dorfes eingeht, mit besonderen Nachdruck von der Unzulässigkeit und „Albernheit“ aller Versuche, „die Bauern auf gewaltsamem Wege in die Kommune zu pressen“.

In dieser Rede Lenins sowie in seinen Reden auf dem Moskauer Kongress der Komitees der Dorfarmut, auf dem I. Allrussischen Kongress dieser Komitees und der Kommunen im Jahre 1918, auf dem VIII. Parteitag und schließlich auf der Konferenz über die Arbeit auf dem Lande im Jahre 1919 werden die Grundlagen [der] Politik und [der] Methoden der Kollektivierung des Dorfes bestimmt

2 Lenin meint hier den Artikel Seredas „Das Bündnis der landwirtschaftlichen Kommunen und Artels (Zum Allrussischen Kongress der landwirtschaftlichen Kommunen und Artels)“, der in den „Iswestija“ („Nachrichtenblatt des Allrussischen Zentralexekutivkomitees“) Nr. 271 vom 3. Dezember 1919 veröffentlicht wurde. In diesem Artikel schrieb Sereda: „Die Kommunen und Artels sowie ihre Verbände müssen für die einzelnen Bauernwirtschaften, die vorderhand noch nicht in genossenschaftlichen Verbänden zusammengeschlossen sind, allseitigen Beistand organisieren. Das wird die beste Methode der Propaganda der genossenschaftlichen Arbeitsform und der Bekämpfung des Misstrauens und des Übelwollens sein, das die unaufgeklärten Schichten der werktätigen Bauernschaft der neuen genossenschaftlichen Wirtschaft entgegenbringen, sowie auch die beste Methode zur Bekämpfung der Agitation der Kulaken, die das Dorf auf die Kommune hetzen. Die Kommunen und Artels dürfen sich nicht abschließen, sich vom Dorf absondern. Sie und ihre Verbände müssen im Gegenteil eine Reihe von praktischen Einrichtungen (Reparaturwerkstätten, Inventarverleihstellen, Zuchtanstalten, Saatausgabestellen usw.) schaffen, die von ihnen und den benachbarten Bauern gemeinsam benützt werden können. Die Kommunen und Artels müssen der Dorfarmut und den Familien der Rotarmisten auf jede Weise helfen. Die Mitglieder der Kommunen sollen an Feiertagen auf die Felder der wirtschaftlich schwachen Bauernhöfe gehen und diesen Einzelwirtschaften in einmütiger Arbeit brüderlich helfen – dann wird die Zahl der genossenschaftlichen Wirtschaften rasch steigen und die Reihen der Kommunemitglieder werden sich rasch vermehren“.

Kommentare