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Wladimir I. Lenin 19190323 Bericht über die Arbeit auf dem Lande

Wladimir I. Lenin: Bericht über die Arbeit auf dem Lande

auf dem VIII. Parteitag der KPR(B)

23. März 1919

[Ausgewählte Werke, Band 8. Der Kriegskommunismus 1918-1920. Zürich 1935, S. 171-192]

Genossen! Ich muss mich deswegen entschuldigen, dass es mir nicht möglich war, allen Sitzungen der Sektion beizuwohnen, die der Parteitag zur Behandlung der Frage der Arbeit auf dem Lande gewählt hat. Die Reden der Genossen, die an der Arbeit dieser Sektion von Anfang an teilgenommen haben, werden meine Ausführungen ergänzen. Die Sektion hat schließlich Thesen ausgearbeitet, die einer Kommission übergeben wurden und euch vorgelegt werden sollen. Ich möchte die allgemeine Bedeutung der Frage behandeln, wie sie im Ergebnis der Arbeit der Sektion vor uns steht und wie sie jetzt nach meiner Meinung vor der Partei als Ganzem steht.

Genossen, es ist durchaus natürlich, dass wir im Verlauf der proletarischen Revolution bald diese, bald jene der kompliziertesten und wichtigsten Fragen des sozialen Lebens in den Vordergrund rücken müssen. Es ist durchaus natürlich, dass bei einer Umwälzung, die die tiefsten Grundlagen des Lebens und die breitesten Massen der Bevölkerung berührt und berühren muss, keine Partei, keine den Massen noch so nahestehende Regierung imstande ist, alle Seiten des Lebens auf einmal zu erfassen. Und wenn wir jetzt bei der Frage der Arbeit auf dem Lande verweilen und hierbei vor allem die Stellung der Mittelbauernschaft hervorheben müssen, so kann daran vom Standpunkt der Entwicklung der proletarischen Revolution aus überhaupt nichts sonderbar und anormal scheinen. Es ist begreiflich, dass die proletarische Revolution mit der grundlegenden Beziehung zwischen den beiden feindlichen Klassen, zwischen der Bourgeoisie und dem Proletariat, beginnen musste. Die Hauptaufgabe bestand darin, die Macht in die Hände der Arbeiterklasse zu legen, ihre Diktatur zu sichern, die Bourgeoisie zu stürzen und ihr jene ökonomischen Machtquellen zu nehmen, die zweifellos Hindernisse für jeden sozialistischen Aufbau überhaupt sind. Wir alle haben, soweit wir mit dem Marxismus vertraut sind, nie daran gezweifelt, dass in der kapitalistischen Gesellschaft infolge ihrer ökonomischen Struktur nur entweder das Proletariat oder die Bourgeoisie die entscheidende Bedeutung haben. Jetzt sehen wir viele ehemaligen Marxisten, z. B. aus dem Lager der Menschewiki, die behaupten, dass in der Periode des entschiedenen Kampfes des Proletariats gegen die Bourgeoisie die Demokratie schlechthin herrschen könne. Das sagen die Menschewiki, die durchaus eins mit den Sozialrevolutionären geworden sind. Als ob nicht die Bourgeoisie selbst die Demokratie schaffte oder abschaffte, je nachdem, was für sie vorteilhafter ist! Und wenn dem so ist, dann kann in der Periode des verschärften Kampfes zwischen Proletariat und Bourgeoisie von Demokratie schlechthin keine Rede sein. Man muss sich nur wundern, wie schnell diese Marxisten oder Scheinmarxisten – z. B. unsere Menschewiki – sich entlarven, wie schnell ihre wahre Natur, die Natur kleinbürgerlicher Demokraten, zum Vorschein kommt.

Marx hat sein ganzes Leben lang die Illusionen der kleinbürgerlichen Demokratie und des bürgerlichen Demokratismus mehr als alles andere bekämpft. Marx hat mehr als alles andere das leere Gerede von Freiheit und Gleichheit verspottet, wenn es dazu diente, die Freiheit der Arbeiter, Hungers zu sterben, oder die Gleichheit des Menschen, der seine Arbeitskraft verkauft, mit dem Bourgeois, der angeblich auf freiem Markt dessen Arbeit frei und gleichberechtigt kauft usw., zu beschönigen. Marx hat das in allen seinen ökonomischen Schriften klargelegt. Man kann sagen, dass das ganze „Kapital“ von Marx der Darlegung der Wahrheit gewidmet ist, dass die grundlegenden Kräfte der kapitalistischen Gesellschaft nur Bourgeoisie und Proletariat sind und sein können: die Bourgeoisie als die Erbauerin der kapitalistischen Gesellschaft, als ihre Führerin und Triebkraft – das Proletariat als deren Totengräber, als die einzige Kraft, die imstande ist, sie abzulösen. Man kann kaum ein Kapitel in irgendeiner von Marx“ Schriften finden, das nicht dieser Frage gewidmet wäre. Man kann sagen, dass die Sozialisten der ganzen Welt in der II. Internationale unzählige Male vor den Arbeitern mit allen Eiden beteuert haben, dass sie diese Wahrheit begreifen. Aber als es zum wirklichen und dazu entscheidenden Kampf um die Macht zwischen dem Proletariat und der Bourgeoisie kam, da sahen wir, dass unsere Menschewiki und Sozialrevolutionäre sowie auch die Führer der alten sozialistischen Parteien in der ganzen Welt diese Wahrheit vergaßen und rein mechanisch philiströse Phrasen über Demokratie schlechthin zu wiederholen begannen.

Bei uns versucht man mitunter diesen Worten einen scheinbar „kräftigeren“ Ausdruck zu geben, wenn man sagt: „Diktatur der Demokratie“. Das ist schon völliger Unsinn. Wir wissen aus der Geschichte sehr wohl, dass die Diktatur der demokratischen Bourgeoisie nichts anderes bedeutete als eine Abrechnung mit den aufständischen Arbeitern. So war es zumindest seit 1848, aber einzelne Beispiele kann man auch schon früher finden. Die Geschichte zeigt uns, dass sich gerade in der bürgerlichen Demokratie der schärfste Kampf zwischen Proletariat und Bourgeoisie breit und frei entfaltet. Wir konnten uns von der Richtigkeit dieser Wahrheit in der Praxis überzeugen. Und wenn sich die Schritte der Sowjetregierung seit November (Oktober) 1917 durch ihre Festigkeit in allen grundlegenden Fragen auszeichneten, so eben deshalb, weil wir von dieser Wahrheit niemals abwichen, sie niemals vergaßen. Nur die Diktatur einer Klasse – des Proletariats – kann die Frage des Kampfes gegen die Bourgeoisie um die Herrschaft entscheiden. Nur die Diktatur des Proletariats kann die Bourgeoisie besiegen. Nur das Proletariat vermag die Bourgeoisie zu stürzen. Nur das Proletariat vermag die Massen gegen die Bourgeoisie mitzureißen.

Daraus folgt jedoch keineswegs – das wäre der größte Irrtum –, dass bei dem weiteren Aufbau des Kommunismus, wenn die Bourgeoisie schon gestürzt, die politische Macht schon in den Händen des Proletariats ist, dass wir auch weiterhin ohne die Teilnahme der Mittelschichten, der Zwischenschichten auskommen können.

Es ist natürlich, dass am Anfang der Revolution – der proletarischen Revolution – die ganze Aufmerksamkeit ihrer Urheber auf das Hauptsächliche, Grundlegende gerichtet ist: auf die Herrschaft des Proletariats und die Sicherung dieser Herrschaft durch den Sieg über die Bourgeoisie – die Sicherung gegen eine Rückkehr der Bourgeoisie zur Macht. Wir wissen sehr wohl, dass in den Händen der Bourgeoisie noch jetzt Vorteile verbleiben, die mit ihren Reichtümern in anderen Ländern verbunden sind, oder die manchmal sogar in Geldreichtum innerhalb des Landes bestehen. Wir wissen sehr gut, dass es soziale Elemente gibt, die mehr Erfahrung besitzen als das Proletariat und die der Bourgeoisie helfen. Wir wissen sehr gut, dass die Bourgeoisie den Gedanken an die Rückkehr ihrer Macht nicht fallen gelassen und die Versuche zur Wiederaufrichtung ihrer Herrschaft nicht aufgegeben hat.

Das ist aber noch lange nicht alles. Die Bourgeoisie, die vor allem den Grundsatz aufstellt: „Wo es dir wohl ergeht, da ist dein Vaterland“, und die vom Geldstandpunkt aus immer international war – die Bourgeoisie ist jetzt noch im Weltausmaß stärker als wir. Ihre Herrschaft wird rasch untergraben, es werden ihr solche Beispiele vor die Augen geführt wie die ungarische Revolution, von der wir gestern euch Mitteilung zu machen das Glück hatten und über die heute bestätigende Meldungen eintreffen. Die Bourgeoisie beginnt bereits zu begreifen, dass ihre Herrschaft schwankt. Es bleibt ihr keine Handlungsfreiheit übrig. Aber wenn man jetzt die materiellen Mittel im Weltmaßstab in Rechnung stellt, so muss man zugeben, dass materiell die Bourgeoisie jetzt noch stärker ist als wir.

Deshalb waren – und anders konnte es nicht sein – neun Zehntel unserer Aufmerksamkeit, unserer praktischen Tätigkeit dieser Hauptfrage gewidmet: die Bourgeoisie zu stürzen, die Macht des Proletariats zu befestigen, jede Möglichkeit der Rückkehr der Bourgeoisie an die Macht zu beseitigen. Das ist vollkommen natürlich, gesetzmäßig, unvermeidlich, und in dieser Hinsicht ist sehr viel mit Erfolg geleistet worden.

Nunmehr müssen wir die Frage der anderen Schichten auf die Tagesordnung setzen. Wir müssen – das war unsere allgemeine Schlussfolgerung in der Agrarsektion, und darin werden, wir sind dessen sicher, alle Parteifunktionäre übereinstimmen, denn wir haben nur ihre Erfahrungen, ihre Beobachtungen zusammengefasst – wir müssen die Frage der Mittelbauernschaft in ihrem ganzen Umfang auf die Tagesordnung setzen.

Natürlich werden sich Leute finden, die anstatt über den Gang unserer Revolution nachzudenken, anstatt zu überlegen, welche Aufgaben jetzt vor uns stehen – die statt dessen jeden Schritt der Sowjetmacht zum Gegenstand des Gekichers und der Kritikasterei in der Art machen, wie wir dies bei den Herren Menschewiki und rechten Sozialrevolutionären beobachten. Das sind Leute, die bis heute nicht begriffen haben, dass sie zwischen uns und der bürgerlichen Diktatur wählen müssen. Wir haben ihnen gegenüber viel Geduld und sogar Gutmütigkeit an den Tag gelegt, wir werden ihnen noch einmal Gelegenheit geben, diese unsere Gutmütigkeit zu erfahren, aber in nicht ferner Zukunft werden wir mit dieser Geduld und Gutmütigkeit Schluss machen, und wenn sie ihre Wahl nicht treffen, werden wir ihnen allen Ernstes nahelegen, sich zu Koltschak zu begeben. (Beifall.) Wir erwarten von diesen Leuten keine besonders glänzenden geistigen Fähigkeiten. (Heiterkeit.) Aber man hätte erwarten können, dass sie, nachdem sie die Bestialitäten Koltschaks am eigenen Leibe erfahren haben, begreifen würden, dass wir das Recht haben, von ihnen zu verlangen, zwischen uns und Koltschak zu wählen. Wenn in den ersten Monaten nach dem Oktober viele naive Leute die Dummheit begingen zu glauben, dass die Diktatur des Proletariats etwas Vorübergehendes, Zufälliges sei, so müssten doch jetzt sogar die Menschewiki und die Sozialrevolutionäre begreifen, dass sie etwas Gesetzmäßiges in jenem Kampf ist, der unter dem Ansturm der internationalen Bourgeoisie vor sich geht.

In der Tat haben sich nur zwei Kräfte herausgebildet: die Diktatur der Bourgeoisie und die Diktatur des Proletariats. Wer das nicht aus Marx herausgelesen hat, wer das nicht aus den Werken aller großen Sozialisten herausgelesen hat, der ist nie Sozialist gewesen, hat nichts vom Sozialismus begriffen, hat sich nur Sozialist genannt. Diesen Leuten geben wir eine kurze Bedenkzeit und verlangen von ihnen, sie sollen sich in dieser Frage entscheiden. Ich habe sie hier deshalb erwähnt, weil sie jetzt sagen oder sagen werden: „Die Bolschewiki haben die Frage der Mittelbauernschaft aufgeworfen, sie wollen mit ihr liebäugeln.“ Ich weiß sehr wohl, dass sich eine Argumentation dieser und noch viel schlimmerer Art in der menschewistischen Presse breitmacht. Wir werfen sie beiseite, wir messen dem Geschwätz unserer Gegner nie Bedeutung bei. Leute, die imstande sind, bis jetzt noch zwischen Bourgeoisie und Proletariat hinüber und herüber zu laufen, mögen reden, was sie wollen. Wir gehen einen anderen Weg.

Unser Weg wird vor allem durch die Einschätzung der Klassenkräfte bestimmt. In der kapitalistischen Gesellschaft entwickelt sich der Kampf zwischen Bourgeoisie und Proletariat. Solange dieser Kampf noch nicht beendet ist, wird unsere verstärkte Aufmerksamkeit darauf konzentriert sein, ihn zu Ende zu führen. Er ist noch nicht zu Ende geführt. In diesem Kampf ist es gelungen, schon vieles zu leisten. Jetzt hat die internationale Bourgeoisie schon nicht mehr freie Hand. Der beste Beweis dafür ist die ungarische proletarische Revolution. Deshalb ist es klar, dass unser Aufbau auf dem Lande schon über den Rahmen hinausgewachsen ist, wo alles dem Haupterfordernis, dem Kampf um die Macht, untergeordnet war.

Dieser Aufbau hat zwei Hauptphasen durchlaufen. Im November (Oktober) 1917 ergriffen wir die Macht zusammen mit der Bauernschaft als Ganzes. Das war eine bürgerliche Revolution, soweit sich der Klassenkampf auf dem Lande noch nicht entfaltet hatte. Wie ich schon sagte, begann erst im Sommer 1918 die wirkliche proletarische Revolution auf dem Lande. Wenn wir diese Revolution nicht auszulösen verstanden hätten, dann wäre unsere Arbeit nicht vollständig. Die erste Etappe war die Eroberung der Macht in den Städten, die Errichtung des Rätesystems als Regierungsform. Die zweite Etappe war das, was für alle Sozialisten das Grundlegende ist, ohne das die Sozialisten keine Sozialisten sind: das Aussondern der proletarischen und halbproletarischen Elemente auf dem Lande, ihr Zusammenschluss mit dem städtischen Proletariat zum Kampf gegen die Bourgeoisie auf dem Lande. Diese Etappe ist im Wesentlichen ebenfalls abgeschlossen. Die Organisationen, die wir ursprünglich dafür geschaffen hatten, die Komitees der Dorfarmut haben sich soweit gefestigt, dass wir es für möglich hielten, sie durch ordnungsgemäß gewählte Räte zu ersetzen, d. h. eine solche Reorganisierung der Dorfsowjets vorzunehmen, dass diese zu Organen der Klassenherrschaft, zu Organen der proletarischen Macht auf dem Lande werden. Maßnahmen wie das Gesetz über die sozialistische Flurbereinigung und über Übergangsmaßnahmen zur sozialistischen Landwirtschaft, das vor kurzem durch das Zentralexekutivkomitee beschlossen wurde und natürlich jedermann bekannt ist, fassen das Durchlebte vom Standpunkt unserer proletarischen Revolution zusammen.

Die Hauptsache, die erste und wichtigste Aufgabe der proletarischen Revolution, haben wir vollbracht. Und gerade weil wir das vollbracht haben, steht jetzt eine verwickeltere Frage auf der Tagesordnung: das Verhältnis zur Mittelbauernschaft. Wer da glaubt, dass die Hervorkehrung dieser Aufgabe irgendwie die Abschwächung des Charakters unserer Staatsmacht, die Abschwächung der Diktatur des Proletariats, eine wenn auch teilweise, wenn auch ganz schwache Änderung unserer grundlegenden Politik bedeutet, der verkennt völlig die Aufgaben des Proletariats, die Aufgaben der kommunistischen Umwälzung. Ich bin überzeugt, dass sich solche Leute in unserer Partei nicht finden werden. Ich wollte die Genossen nur vor jenen Leuten warnen, die sich außerhalb der Arbeiterpartei finden und die dies behaupten werden, nicht weil es irgendeiner Weltanschauung entspringt, sondern einfach, um uns die Sache zu verderben und den Weißgardisten zu helfen, einfacher gesagt, um den Mittelbauern gegen uns aufzuhetzen, der stets schwankte, nicht umhin kann zu schwanken und noch ziemlich lange schwanken wird. Um ihn gegen uns aufzuhetzen, werden sie sagen: „Seht, sie liebäugeln mit euch! Also sie haben eure Aufstände in Betracht gezogen, also: sie sind schwankend geworden usw. usf. Gegen eine derartige Agitation müssen alle unsere Genossen gerüstet sein. Und ich bin überzeugt, dass sie gerüstet sein werden, wenn wir jetzt durchsetzen, dass diese Frage vom Standpunkt des Klassenkampfes gestellt wird.

Es ist völlig klar, dass diese Hauptaufgabe schwieriger aber nicht weniger dringlich ist: wie ist das Verhältnis des Proletariats zur Mittelbauernschaft genau zu bestimmen? Genossen! diese Frage bietet für Marxisten vom theoretischen Standpunkt aus, den sich die gewaltige Mehrheit der Arbeiter angeeignet hat, keine Schwierigkeiten. Ich erinnere z. B. daran, dass Kautsky in seinem Buch über die Agrarfrage – das er noch zu einer Zeit schrieb, als er die Lehre von Marx richtig darlegte und als unumstrittene Autorität auf diesem Gebiet galt – über den Übergang vom Kapitalismus zum Sozialismus sagt: die Aufgabe der sozialistischen Partei ist, die Bauernschaft zu neutralisieren, d. h. zu erreichen, dass der Bauer im Kampf zwischen dem Proletariat und der Bourgeoisie neutral bleibe, dass der Bauer der Bourgeoisie keine aktive Hilfe gegen uns zu leisten vermöge.

In der langen Periode der Herrschaft der Bourgeoisie unterstützte die Bauernschaft deren Macht, sie stand auf der Seite der Bourgeoisie. Das ist begreiflich, wenn man die ökonomische Kraft der Bourgeoisie und die politischen Mittel ihrer Herrschaft in Betracht zieht. Wir können nicht darauf rechnen, dass der Mittelbauer sofort auf unsere Seite übergeht. Aber wenn wir eine richtige Politik betreiben, werden nach einer gewissen Zeit diese Schwankungen aufhören, und der Bauer wird auf unsere Seile übergehen können.

Bereits Engels, der zusammen mit Marx die Grundlagen des wissenschaftlichen Sozialismus, d. h. der Lehre schuf, von der sich unsere Partei ständig und besonders in der Zeit der Revolution leiten lässt – bereits Engels stellte die Einteilung der Bauernschaft in Klein-, Mittel- und Großbauern fest, und diese Teilung trifft auch jetzt für die überwiegende Mehrheit der europäischen Länder zu. Engels sagte: „Vielleicht wird man nicht einmal die Großbauernschaft überall mit Gewalt unterdrücken müssen“. Und dass wir irgendwann Gewalt gegen die Mittelbauernschaft (der Kleinbauer ist unser Freund) anwenden könnten, daran hat kein einziger vernünftiger Sozialist je gedacht. So sprach Engels 1894, ein Jahr vor seinem Tode, als die Agrarfrage auf die Tagesordnung gesetzt wurde. Dieser Standpunkt zeigt uns jene Wahrheit, die man manchmal vergisst, über die wir aber alle in der Theorie einer Meinung sind. Gegenüber den Gutsherren und den Kapitalisten ist unsere Aufgabe die restlose Expropriation. Gegenüber der Mittelbauernschaft lassen wir aber keinerlei Gewalt zu. Selbst gegenüber der reichen Bauernschaft sagen wir nicht mit solcher Entschiedenheit wie gegenüber der Bourgeoisie: absolute Expropriation der reichen Bauernschaft und der Kulaken. In unserem Programm wird diese Unterscheidung gemacht. Wir sagen: Unterdrückung des Widerstandes der reichen Bauernschaft, Unterdrückung ihrer konterrevolutionären Gelüste. Das ist nicht restlose Expropriation.

Der grundlegende Unterschied, der unser Verhältnis zur Bourgeoisie und zur Mittelbauernschaft bestimmt – restlose Expropriation der Bourgeoisie, Bündnis mit der Mittelbauernschaft, die niemanden ausbeutet – diese Grundlinie wird in der Theorie von allen anerkannt. Aber in der Praxis wird diese Linie nicht konsequent befolgt, in den unteren Organisationen hat man sie noch nicht zu befolgen gelernt. Als das Proletariat, nachdem es die Bourgeoisie gestürzt und seine Macht gefestigt hatte, von verschiedenen Seiten her an das Werk der Errichtung einer neuen Gesellschaft heranging, wurde die Frage der Mittelbauernschaft in den Vordergrund gerückt. Kein einziger Sozialist auf der ganzen Welt hat je geleugnet, dass die Errichtung des Kommunismus in den Ländern mit landwirtschaftlichem Großbetrieb und in denen mit landwirtschaftlichem Kleinbetrieb verschiedene Wege gehen wird. Das ist die elementarste, allereinfachste Wahrheit. Aus ihr folgt, dass in dem Maße, wie wir uns den Aufgaben des kommunistischen Aufbaus nähern, unsere Hauptaufmerksamkeit sich in gewissem Grade gerade auf die Mittelbauernschaft konzentrieren muss.

Vieles hängt davon ab, wie wir unser Verhältnis zur Mittelbauernschaft festlegen werden. Theoretisch ist diese Frage entschieden, aber wir haben sehr eindringlich erfahren und wissen aus unserem eigenen Erleben, wie groß der Unterschied zwischen der theoretischen Lösung einer Frage und der praktischen Durchführung dieser Lösung ist. Wir sind hart an diesen Unterschied herangekommen, der für die Große Französische Revolution so charakteristisch war, als der französische Konvent sich in der Dekretierung großzügiger Maßnahmen erging, für deren Durchführung er nicht die nötige Stütze hatte, ja nicht einmal wusste, auf welche Klasse er sich bei der Durchführung dieser oder jener Maßnahme stützen sollte.

Wir befinden uns in unvergleichlich glücklicheren Verhältnissen. Dank einem ganzen Jahrhundert der Entwicklung wissen wir, auf welche Klasse wir uns stützen. Aber wir wissen auch, dass die praktische Erfahrung dieser Klasse noch sehr, sehr unzureichend ist. Das Grundlegende stand für die Arbeiterklasse, für die Arbeiterpartei fest: die Macht der Bourgeoisie stürzen und die Macht den Arbeitern geben. Aber wie sollte man dies tun? Jedermann erinnert sich, mit welchen Schwierigkeiten, durch wie viel Fehler hindurch wir von der Arbeiterkontrolle zur Arbeiterverwaltung in der Industrie übergingen. Und das war doch eine Arbeit innerhalb unserer Klasse innerhalb des Proletariats, mit dem wir stets zu tun gehabt hatten. Nunmehr aber müssen wir unser Verhältnis zu einer neuen Klasse festlegen, zu der Klasse, die der Stadtarbeiter nicht kennt. Es gilt, das Verhältnis zu der Klasse festzulegen, die keine bestimmte, beständige Stellung einnimmt. Das Proletariat ist in seiner Masse für den Sozialismus, die Bourgeoisie in ihrer Masse gegen den Sozialismus – das Verhältnis dieser beiden Klassen zueinander ist leicht zu bestimmen. Wenn wir aber zu einer solchen Schicht wie die Mittelbauernschaft übergehen, da zeigt es sich, dass sie eine Klasse ist, die schwankt. Der Mittelbauer ist zum Teil Eigentümer, zum Teil Werktätiger. Er beutet keine anderen Gruppen der Werktätigen aus. Er musste Jahrzehnte hindurch seine Stellung mit größter Mühe behaupten, er hat am eigenen Leibe die Ausbeutung durch Gutsherren und Kapitalisten erfahren, er hat alles durchgemacht, und doch ist er zugleich Eigentümer. Deshalb bietet unser Verhältnis zu dieser schwankenden Klasse gewaltige Schwierigkeiten. Auf Grund unserer mehr als einjährigen Erfahrung, unserer mehr als halbjährigen proletarischen Arbeit auf dem Lande, auf Grund des Umstandes, dass sich die Klassendifferenzierung auf dem Laude schon vollzogen hat, müssen wir uns hier vor allem vor Übereilung, vor ungeschicktem Theoretisieren und vor der Anmaßung hüten, das als fertig zu betrachten, woran wir arbeiten und was wir noch nicht herausgearbeitet haben, in der Resolution, die euch die von der Sektion gewählte Kommission vorlegt und die einer der folgenden Redner verlesen wird, werdet ihr eine genügende Warnung vor diesen Fehlern finden.

Vom ökonomischen Standpunkt gesehen, ist es klar, dass wir dem Mittelbauern zu Hilfe kommen müssen. Darüber gibt es, theoretisch betrachtet, keinen Zweifel. Aber bei unseren Sitten, bei unserem Kulturzustand, bei unserem Mangel an kulturellen und technischen Kräften, die wir dem flachen Lande zur Verfügung stellen könnten, und bei der Hilflosigkeit, die wir des Öfteren den Verhältnissen auf dem Lande gegenüber an den Tag legen, wenden Genossen oft Zwang an, wodurch sie die ganze Geschichte verderben. Erst gestern übergab mir ein Genosse eine Broschüre, betitelt „Anweisungen und Leitsätze für die Parteiarbeit im Gouvernement Nischni-Nowgorod“, herausgegeben vom Nischni-Nowgoroder Komitee der KPR (R). in dieser Broschüre lese ich z. B. auf Seite 44:

Das Dekret über die Sondersteuer muss mit seiner ganzen Last auf die Schultern der Kulaken, der Spekulanten und überhaupt der mittleren Elemente der Bauernschaft fallen“.

Da kann man wirklich sagen: die haben es „verstanden“! Entweder ist das ein Druckfehler, dann ist es völlig unzulässig, solche Druckfehler durchzulassen! Oder es ist eine voreilige, überstürzte Arbeit, die beweist, wie gefährlich jede Überstürzung in dieser Sache ist. Oder aber es ist – und das ist die schlimmste Vermutung, die ich den Nischni-Nowgoroder Genossen gegenüber nicht aussprechen möchte – einfach Unverständnis. Es kann auch leicht möglich sein, dass das einfach Unaufmerksamkeit ist.

In der Praxis kommen solche Fälle vor, wie sie ein Genosse in der Kommission erzählte. Es umringten ihn Bauern, und jeder fragte: „Stelle fest, ob ich ein Mittelbauer bin oder nicht? Ich habe zwei Pferde und eine Kuh. Ich habe zwei Kühe und ein Pferd“ usw. Ein solcher Agitator, der das flache Land bereist, müsste nun ein unfehlbares Thermometer zur Verfügung haben, um es dem Bauern unter die Achsel zu stecken und ihm sagen zu können, ob er ein Mittelbauer ist oder nicht. Dazu muss man die ganze Geschichte der Wirtschaft dieses Bauern kennen, sein Verhältnis zu den unteren und oberen Gruppen – und das können wir mit Genauigkeit nicht wissen.

Dazu braucht man viel praktisches Geschick, Kenntnis der örtlichen Verhältnisse. Das haben wir noch nicht. Das einzugestehen ist durchaus keine Schande; wir sollen es offen zugeben. Wir sind nie Utopisten gewesen und haben uns nie vorgestellt, dass wir die kommunistische Gesellschaft mit den fein säuberlichen Händen fein säuberlicher Kommunisten aufbauen werden, die in einer rein kommunistischen Gesellschaft geboren und erzogen werden müssen. Das sind Ammenmärchen. Den Kommunismus müssen wir aus den Trümmern des Kapitalismus aufbauen, und nur die Klasse, die im Kampf gegen den Kapitalismus gestählt ist, kann dies vollbringen. Das Proletariat – ihr wisst das alle sehr gut – ist nicht frei von den Gebrechen und Schwächen der kapitalistischen Gesellschaft. Es kämpft für den Sozialismus und damit zugleich gegen seine eigenen Mängel. Der beste, vorgeschrittene Teil des Proletariats, der in den Städten jahrzehntelang einen erbitterten Kampf geführt hat, konnte in diesem Kampf die ganze Kultur des städtischen und hauptstädtischen Lebens in sich aufnehmen und tat dies auch in einem bestimmten Maße. Ihr wisst, dass das flache Land selbst in den fortgeschrittenen Ländern zur Unwissenheit verurteilt war. Wir werden natürlich den Kulturstand des Dorfes heben, aber das ist eine Arbeit von langen Jahren. Das ist es, was bei uns die Genossen überall vergessen und was uns durch jedes Wort der Leute vom flachen Land, nicht der hiesigen Intellektuellen, nicht der Ressortmenschen – wir haben ihrer viele gehört –, sondern der Leute, die die Arbeit auf dem Lande praktisch verfolgt haben, besonders anschaulich vor Augen geführt wird. Diese Stimmen waren uns in der Agrarsektion besonders wertvoll. Diese Stimmen werden jetzt für den ganzen Parteitag – davon bin ich überzeugt – besonders wertvoll sein, da sie nicht Büchern, nicht Dekreten, sondern dem Leben selbst entnommen sind.

Das alles veranlasste uns, so zu arbeiten, dass wir in unserem Verhältnis zum Mittelbauern mehr Klarheit schaffen. Das ist sehr schwierig, denn diese Klarheit ist im Leben nicht vorhanden. Diese Frage ist nicht nur nicht gelöst, sondern nicht lösbar, wenn man sie sofort und mit einem Schlag lösen will. Es gibt Leute, die sagen: „Man hätte nicht eine solche Menge von Dekreten schreiben sollen“ – und der Sowjetregierung daraus einen Vorwurf machen, dass sie sich an die Abfassung von Dekreten gemacht habe, ohne zu wissen, wie man sie durchführen soll. Diese Leute bemerken eigentlich nicht, wie sie zu den Weißgardisten hinab gleiten Wenn wir erwartet hätten, dass sich durch diese Abfassung von Hunderten von Dekreten das ganze Leben auf dem Lande ändern wird, dann wären wir ausgesprochene Idioten. Wenn wir aber darauf verzichtet hätten, in Dekreten den Weg vorzuzeichnen, dann wären wir Verräter am Sozialismus. Diese Dekrete, die praktisch nicht auf einmal und nicht vollständig durchgeführt werden konnten, spielten für die Propaganda eine große Rolle. Wenn wir in früherer Zeit mit allgemeinen Wahrheiten Propaganda trieben, so machen wir jetzt Propaganda durch die Arbeit. Das ist auch Propaganda, aber Propaganda durch die Tat – nur nicht im Sinne vereinzelter Handlungen irgendwelcher Vorwitziger, über die wir in der Zeit der Anarchisten und des alten Sozialismus viel gelacht haben. Unser Dekret ist ein Appell, aber nicht ein Appell im Geiste von früher: „Arbeiter, erhebt euch, stürzt die Bourgeoisie!“ Nein, es ist ein Appell an die Massen, der sie zum praktischen Handeln auffordert. Dekrete sind Instruktionen, die die Massen zum praktischen Handeln aufrufen. Darauf kommt es an. Mag auch in diesen Dekreten vieles unbrauchbar sein, mag in ihnen vieles enthalten sein, was sich im Leben nicht durchsetzen wird. Aber sie enthalten Material für praktisches Handeln, und die Aufgabe des Dekrets besteht darin, die hunderte, Tausende, Millionen Menschen, die auf die Stimme der Sowjetmacht hören, praktisches Handeln zu lehren. Es ist dies eine Probe praktischen Handelns auf dem Gebiet des sozialistischen Aufbaus auf dem Laude. Wenn wir dies so betrachten werden, dann werden wir aus der Menge unserer Gesetze, Dekrete und Verordnungen außerordentlich viel herausholen. Wir werden sie nicht als absolute Verfügungen betrachten, die man um jeden Preis, sofort, mit einem Schlag durchführen muss.

Man muss alles vermeiden, was in der Praxis zu einzelnen Missbräuchen führen könnte. Uns haben sich hier und dort Streber, Abenteurer an die Rockschöße gehängt, die sich Kommunisten nennen und uns betrügen, die sich deshalb an uns herangemacht haben, weil die Kommunisten jetzt an der Macht sind, weil ehrlichere „beamtete“ Elemente wegen ihrer rückständigen Ideen nicht mit uns arbeiten wollten, während diese Streber weder Ideen noch Ehrgefühl haben. Diese Leute, die nur durch Kriecherei vorwärtskommen wollen, wenden auf dem Lande Zwang an und glauben, dass das gut sei. In Wirklichkeit aber führt dies manchmal dazu, dass die Bauern sagen: „Hoch die Sowjetmacht, aller nieder mit der Kommune!“ (d. h. mit dem Kommunismus). Solche Fälle sind nicht erdacht, sondern aus dem lebendigen Leben gegriffen, aus Mitteilungen von Genossen vom flachen Land. Wir dürfen nicht vergessen, welch gewaltigen Schaden jede Maßlosigkeit, jedes Schnellfeuertempo und jede Überstürzung verursacht.

Wir mussten uns um jeden Preis beeilen, durch einen verzweifelten Sprung aus dem imperialistischen Krieg herauszukommen, der uns bis zum Zusammenbruch brachte, wir mussten die verzweifeltsten Anstrengungen machen, um die Bourgeoisie und jene Kräfte zu zertreten, die uns zu vernichten drohten. Das alles war notwendig, ohne das hätten wir nicht siegen können. Aber wenn wir auf ähnliche Weise mit den Mittelbauern verfahren wollten, so wäre das eine solche Idiotie, ein solcher Stumpfsinn, ein solches Verhängnis für die Sache, dass nur Provokateure bewusst in diesem Sinne arbeiten können. Die Aufgabe muss hier ganz anders gestellt werden. Hier handelt es sich nicht darum, den Widerstand notorischer Ausbeuter zu brechen, sie zu besiegen und zu stürzen, eine Aufgabe, die wir uns früher stellten. Nein, in dem Maße, wie wir diese Hauptaufgabe lösen, kommen verwickeltere Aufgaben an die Reihe. Da ist mit Gewalt nichts auszurichten. Gewalt gegen die Mittelbauernschaft bringt den größten Schaden. Sie sind eine zahlreiche, viele Millionen zählende Schicht. Selbst in Europa, wo sie nirgends eine solche Stärke erreichen, wo Technik und Kultur, Stadtleben, Eisenbahnen gigantisch entwickelt sind, wo es am leichtesten wäre, daran zu denken, hat niemand, kein einziger der revolutionärsten Sozialisten Gewaltmaßnahmen gegen die Mitteilbauernschaft vorgeschlagen.

Als wir die Macht ergriffen, stützten wir uns auf die gesamte Bauernschaft als Ganzes. Damals hatten alle Bauern eine Aufgabe: den Kampf gegen die Gutsherren. Aber bis jetzt halten sie an dem Vorurteil gegen den landwirtschaftlichen Großbetrieb fest. Der Bauer überlegt sich: „Gibt es Großbetriebe, bin ich wieder Knecht“. Das ist natürlich unrichtig. Aber bei dem Bauern ist mit der Vorstellung vom Großbetrieb der Hass, die Erinnerung daran verbunden, wie die Gutsherren das Volk unterdrückt haben. Dieses Gefühl bleibt, es ist noch nicht abgestorben.

Vor allem müssen wir uns auf die Wahrheit stützen, dass man hier der Natur der Sache nach mit Gewaltmethoden nichts erreichen kann. Hier steht die ökonomische Aufgabe ganz anders. Hier gibt es nicht jene Oberschicht, die man abschneiden kann, ohne das ganze Fundament, das ganze Gebäude zu berühren Jene Oberschicht, die in der Stadt die Kapitalisten bildeten, gibt es hier nicht. Hier mit Gewalt vorgehen hieße die ganze Sache verderben. Hier ist eine lang dauernde Erziehungsarbeit notwendig. Wir müssen dem Bauern, der nicht nur bei uns, sondern in der ganzen Welt Praktiker und Realist ist, konkrete Beispiele zum Beweis dafür liefern, dass die „Kommune“ das beste ist. Natürlich wird nichts Vernünftiges dabei herauskommen, wenn im Dorf voreilige Leute erscheinen werden, die aus der Stadt aufs Land gespritzt kommen, die ankommen, den Leuten etwas vorschwatzen, einen intellektuellenhaften, mitunter auch einen nicht intellektuellenhaften Zank anrichten und schimpfend wieder davonfahren. Das kommt vor. Anstatt Achtung rufen sie Spott hervor, und das mit vollem Recht.

Zu dieser Frage müssen wir sagen, dass wir die Kommunen fördern; aber sie sollen so organisiert sein, dass sie das Vertrauen der Bauern gewinnen. Bis dahin aber sind wir Schüler der Bauern und nicht ihre Lehrer. Nichts ist dümmer, als wenn Leute, die die Landwirtschaft und ihre Eigenheiten nicht kennen, Leute, die nur deshalb aufs Land stürzen, weil sie etwas vom Nutzen der Gemeinwirtschaft gehört haben, des Stadtlebens müde sind und auf dem Lande arbeiten wollen – wenn solche Leute sich in allen Dingen als Lehrer der Bauern betrachten. Es gibt nichts Dümmeres als den bloßen Gedanken an Gewalt auf dem Gebiet der wirtschaftlichen Verhältnisse des Mittelbauern.

Die Aufgabe läuft hier nicht auf die Expropriation des Mittelbauern, sondern darauf hinaus, den besonderen Lebensbedingungen des Bauern Rechnung zu tragen, von den Bauern die Methoden des Überganges zu einer besseren Ordnung zu lernen und nicht zu wagen zu kommandieren! Das ist die Richtschnur, die wir uns gegeben haben. (Beifall des ganzen Parteitages.) Das ist die Richtschnur, die wir in unserem Resolutionsentwurf darzulegen versucht haben, denn in dieser Hinsicht, Genossen, haben wir wirklich nicht wenig gesündigt. Sich dazu zu bekennen, ist keineswegs beschämend. Wir hatten keine Erfahrung. Den Kampf gegen die Ausbeuter selbst führen wir auf Grund unserer Erfahrung. Wenn man uns seinetwegen manchmal verdammte, so können wir sagen: „Ihr seid daran schuld, ihr Herren Kapitalisten. Wenn ihr nicht so wilden, sinnlosen, frechen, erbitterten Widerstand geleistet, wenn ihr nicht ein Bündnis mit der Bourgeoisie der ganzen Welt geschlossen hättet, dann hätte der Umsturz friedlichere Formen angenommen.“ Jetzt, nach der Abwehr dieses erbitterten Ansturms von allen Seiten, können wir zu anderen Methoden übergeben, weil wir nicht als ein Zirkel, sondern als eine Partei handeln, die Millionen mit sich führt. Millionen können nicht mit einem Schlag eine Änderung des Kurses verstehen, und deshalb treffen die Schläge, die dem Kulaken zugedacht sind, auf Schritt und Tritt den Mittelbauern. Das ist nicht erstaunlich. Man muss nur begreifen, dass dies durch historische Umstände bedingt ist, die überwunden sind, und dass neue Bedingungen und neue Aufgaben dieser Klasse gegenüber eine neue Mentalität erfordern.

Unsere Dekrete über die Bauernwirtschaft sind im Grunde richtig. Wir haben keinerlei Ursache, uns auch nur von einem dieser Dekrete loszusagen, die Abfassung auch nur eines Dekrets zu bedauern. Aber wenn die Dekrete richtig sind, so ist es nicht richtig, sie den Bauern mit Gewalt auf zu drängen. In keinem Dekret ist davon die Rede. Sie sind richtig, als vorgezeichnete Wege, als ein Appell zu praktischen Maßnahmen. Wenn wir sagen: „Fördert die Vereinigung“, so erteilen wir Direktiven, die vielfach erprobt werden müssen, um die endgültige Form ihrer Durchführung zu finden. Wenn es einmal heißt, dass man die freiwillige Zustimmung erreichen muss, so bedeutet das, dass man den Bauern überzeugen, und zwar praktisch überzeugen muss. Mit Worten werden sie sich nicht überzeugen lassen, und sie werden sehr gut daran tun. Es wäre schlimm, wenn sie sich durch das bloße Verlesen von Dekreten und durch bloße Agitationsflugschriften überzeugen ließen. Wenn man das Wirtschaftsleben auf diese Weise umgestalten könnte, dann wäre diese Umgestaltung keinen lumpigen Groschen wert. Man muss zunächst beweisen, dass eine solche Vereinigung besser ist. Man muss diese Leute so vereinigen, dass sie sich wirklich zusammenschließen und sich nicht verzanken, man muss beweisen, dass das vorteilhaft ist. So stellt der Bauer die Frage, und so stellen sie unsere Dekrete. Wenn wir das bisher nicht durchzusetzen vermochten, so ist das weiter nicht beschämend, wir müssen das offen zugeben.

Wir haben bisher nur die grundlegende Aufgabe jedes sozialistischen Umsturzes gelöst, die Aufgabe des Sieges über die Bourgeoisie. Diese Aufgabe haben wir in der Hauptsache gelöst, wenn auch jetzt ein furchtbar schweres Halbjahr beginnt, wo die Imperialisten der ganzen Welt die letzten Anstrengungen machen, um uns zu erdrücken. Wir können jetzt, ohne irgendwie zu übertreiben, sagen, dass sie selbst begriffen haben, dass nach diesem Halbjahr ihre Sache absolut hoffnungslos sein wird. Entweder werden sie jetzt unsere Erschöpfung ausnützen und dieses eine Land besiegen, oder wir werden nicht nur hinsichtlich unseres Landes als Sieger hervorgehen. In diesem Halbjahr, wo die Ernährungs- und die Verkehrskrise zusammengetroffen sind und die imperialistischen Mächte eine Offensive an mehreren Fronten versuchen, ist unsere Lage außerordentlich schwierig. Aber das ist das letzte schwere Halbjahr. Es ist notwendig, nach wie vor alle Kräfte im Kampf gegen den äußeren Feind, der uns überfällt, anzuspannen.

Aber wenn wir über die Aufgaben der Arbeit auf dem Lande sprechen, müssen wir trotz aller Schwierigkeiten, obwohl alle unsere Erfahrung auf die unmittelbare Niederwerfung der Ausbeuter gerichtet ist, dessen eingedenk sein und das eine nicht vergessen, dass auf dem Lande die Aufgaben gegenüber der Mittelbauernschaft andere sind.

Alle klassenbewussten Arbeiter aus Petrograd, Iwanowo-Wosnessensk, Moskau, die auf dem Lande waren, alle erzählten uns Beispiele dafür, dass eine ganze Reihe von Missverständnissen, selbst die scheinbar gar nicht zu beseitigenden, und eine ganze Reihe von Konflikten, selbst die scheinbar größten, dadurch überwunden und abgeschwächt wurden, dass gescheite Arbeiter auftraten, die nicht nach Büchern, sondern eine dem Bauern verständliche Sprache redeten, die nicht wie Kommandeure sprachen, die sich herausnehmen zu kommandieren, obwohl sie das Landleben nicht kennen, sondern wie Genossen, die die Lage klarmachen, die an ihre Gefühle als Werktätige gegen die Ausbeuter appellieren. Und auf diesem Boden der kameradschaftlichen Aufklärung erreichten sie das, was hunderte anderer nicht erreichen konnten, die als Kommandeure und Vorgesetzte auftraten.

In diesem Geiste ist die ganze Resolution gehalten, die wir jetzt eurer Aufmerksamkeit empfehlen.

Ich halte in meinem kurzen Bericht versucht, bei der prinzipiellen Seite, bei der allgemeinen politischen Bedeutung dieser Resolution zu verweilen. Ich habe versucht, und ich möchte annehmen, dass es mir gelungen ist, zu beweisen, dass vom Standpunkt der Interessen der Revolution als Ganzes von keinerlei Wendung, keinerlei Änderung unserer Linie die Rede ist. Die Weißgardisten und ihre Helfershelfer schreien darüber oder werden ein solches Geschrei erheben. Sollen sie schreien. Uns kümmert das nicht. Wir entwickeln mit der größten Konsequenz unsere Aufgaben. Wir müssen unsere Aufmerksamkeit von der Aufgabe der Unterdrückung der Bourgeoisie auf die der Regelung des Lebens der Mittelbauernschaft lenken. Wir müssen mit ihr in Frieden leben. Die Mittelbauernschaft wird in der kommunistischen Gesellschaft nur dann auf unserer Seite sein, wenn wir ihre wirtschaftlichen Lebensbedingungen erleichtern und verbessern. Wenn wir morgen 100.000 erstklassige Traktoren geben, sie mit Benzin und mit Traktoristen versorgen könnten – ihr wisst genau, dass dies vorläufig eine Phantasie ist –, dann würde der Mittelbauer sagen: „Ich bin für die Kommune“ (d. h. für den Kommunismus), Aber um dies tun zu können, müssen wir zunächst die internationale Bourgeoisie besiegen, sie zwingen, uns diese Traktoren zu geben; oder wir müssen unsere Produktivität so weit heben, dass wir sie selbst liefern können. Nur so wird diese Frage richtig gestellt sein.

Der Bauer braucht die städtische Industrie, ohne sie kann er nicht leben, und sie ist in unserer Hand. Wenn wir die Sache richtig anpacken, dann wird der Bauer uns dafür dankbar sein, dass wir ihm aus der Stadt diese Erzeugnisse, diese Geräte, diese Kultur bringen. Nicht Ausbeuter, nicht Gutsherren werden sie ihm bringen, sondern Genossen, die ebenso arbeiten, wie er, die er besonders hoch schätzt, aber vom praktischen Standpunkt aus, nur nach der tatsächlichen Hilfe, die sie ihm bringen, wobei er das Kommandieren, das „Vorschreiben“ von oben herab mit vollem Recht ablehnt.

Zunächst helft, dann versucht, Vertrauen zu erwerben. Wenn wir die Sache richtig machen werden, wenn jeder Schritt jeder unserer Gruppen im Kreis, im Landbezirk, im Getreidebeschaffungstrupp, in jeder beliebigen Organisation richtig erwogen und von diesem Standpunkt aus sorgfältig überprüft sein wird, dann werden wir das Vertrauen des Bauern gewinnen, und nur dann werden wir weitergehen können. Jetzt müssen wir ihnen mit Rat und Tat beistehen. Das wird nicht der Befehl eines Kommandeurs, sondern der Rat eines Genossen sein. Der Bauer wird dann vollkommen für uns sein.

Das ist, Genossen, der Inhalt unserer Resolution, das ist es, was nach meiner Meinung zum Beschluss des Parteitages erhoben werden soll. Wenn wir das annehmen, wenn das die ganze Arbeit unserer Parteiorganisationen bestimmen wird, dann werden wir auch mit der zweiten großen Aufgabe fertig werden, vor der wir jetzt stehen.

Wie die Bourgeoisie zu stürzen, wie sie zu unterdrücken ist, das haben wir gelernt, und wir sind stolz darauf. Wie die Beziehungen zu den Millionen Mittelbauern zu regeln sind, wie ihr Vertrauen zu gewinnen ist, das haben wir noch nicht gelernt. Das müssen wir offen zugeben. Aber die Aufgabe haben wir erfasst, wir haben sie gestellt, und wir sagen mit voller Hoffnung, mit voller Einsicht und mit aller Entschiedenheit: mit dieser Aufgabe werden wir fertig werden, und dann wird der Sozialismus absolut unbesiegbar sein. (Langanhaltender Beifall.)

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