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Wladimir I. Lenin: Rede auf der Konferenz der Vorsitzenden der Kreis- und Wolost-Exekutivkomitees sowie der Dorfsowjets des Moskauer Gouvernements

Wladimir I. Lenin: Rede auf der Konferenz der Vorsitzenden der Kreis- und Wolost-

Exekutivkomitees sowie der Dorfsowjets des Moskauer Gouvernements1

15. Oktober 1920

[Veröffentlicht 1920 in Nr. 13 der „Stenographischen Berichte der Plenarsitzungen des Moskauer Sowjets der Arbeiter, Bauern und Rotarmisten“. Nach Sämtliche Werke, Band 25, Wien-Berlin 1930, S. 511-529]

Genossen! In dem Bericht über die innere und äußere Lage der Republik, den ihr zu hören wünscht, muss ich mich natürlich in erster Linie mit dem Krieg gegen Polen und seinen Ursachen beschäftigen. Die wichtigste Tatsache, die im letzten halben Jahr die äußere und innere Lage der Republik bestimmte, war gerade dieser Krieg. Und gerade jetzt, unmittelbar nach der Unterzeichnung des Vorfriedens mit Polen, gerade jetzt kann und muss man einen zusammenfassenden Blick auf diesen Krieg und seine Bedeutung werfen und versuchen, über jene Lehren nachzudenken, die uns allen der soeben beendete Krieg gibt, von dem noch ungewiss ist, ob er tatsächlich endgültig beendet ist. Ich möchte euch deshalb vor allem daran erinnern, dass die Polen am 26. April d. J. ihre Offensive begonnen haben. Der Vorschlag der Sowjetrepublik bestand darin, dass wir den Polen, den polnischen Großgrundbesitzern und der polnischen Bourgeoisie in feierlicher Weise offiziell Frieden anboten zu Bedingungen, die günstiger waren als die, die sie jetzt von uns erhalten haben – trotz der großen Niederlagen unserer Truppen bei Warschau und den noch größeren Niederlagen während des Rückzugs von Warschau. Als die Polen Ende April d. J. 50–150 Werst östlicher von der Linie standen, die sie jetzt als die Linie des Vorfriedens betrachten können, da boten wir ihnen, trotzdem diese Linie damals offenbar ungerecht war, im Namen des Allrussischen Zentral-Exekutivkomitees feierlich Frieden an, denn damals war, wie ihr natürlich wisst und euch erinnert, die Sicherung des Übergangs zum friedlichen Aufbau die größte Sorge der Sowjetmacht. Wir hatten keinen Grund zu wünschen, dass die strittigen Fragen zwischen uns und dem polnischen Staate durch Waffengewalt entschieden werden. Wir wissen ganz gut, dass der polnische Staat damals ein Staat der Großgrundbesitzer und Kapitalisten war und es bis heute geblieben ist, dass er völlig abhängig ist von den Kapitalisten der Entente, insbesondere Frankreichs. Trotzdem damals nicht nur ganz Litauen, sondern auch Weißrussland, ganz zu schweigen von Ostgalizien, unter dem Einfluss Polens stand, hielten wir es für unsere Pflicht, alles zu tun, um den Krieg zu vermeiden, um der Arbeiterklasse und der Bauernschaft Russlands die Möglichkeit zu geben, sich wenigstens einigermaßen vom imperialistischen Krieg und dem Bürgerkrieg zu erholen und endlich ganz an die friedliche Arbeit zu gehen. Es kam so, wie es bereits mehrfach geschah: unsere unumwundene, offene Erklärung, dass wir den Polen Frieden anbieten unter Zugrundelegung der Linie, auf der sie standen, wurde für ein Zeichen der Schwäche gehalten. Die bürgerlichen Diplomaten aller Länder sind an solche offene Erklärungen nicht gewöhnt. Und unsere Bereitschaft zum Frieden zu so ungünstigen Bedingungen für uns wurde von ihnen als Beweis dafür angesehen, dass wir außerordentlich schwach seien. Den französischen Kapitalisten gelang es, die polnischen Kapitalisten in den Krieg zu hetzen, Ihr erinnert euch, wie wir nach einer kurzen Unterbrechung, nach der polnischen Offensive, mit einem Gegenvorstoß antworteten und fast bis nach Warschau gelangten. Dann kam die schwere Niederlage unserer Truppen, die sie wieder zurückwarf.

Über einen ganzen Monat und die ganze letzte Zeit hindurch mussten sich unsere Truppen zurückziehen und erlitten Niederlagen, denn sie waren entsetzlich ermüdet und erschöpft von den ungeheuren Märschen, die sie von Polozk bis Warschau zurückgelegt hatten. Aber trotz dieser schweren Lage wurde der Friede, ich hebe das nochmals hervor, zu Bedingungen unterzeichnet, die für Polen ungünstiger sind als die damaligen Bedingungen, Die damalige Grenze verlief 50 Werst östlicher, jetzt verläuft sie 50 Werst westlicher. Trotzdem wir also zu einem Zeitpunkt Frieden geschlossen haben, der nur für den Gegner günstig war, nämlich als unsere Truppen zurückweichen mussten und Wrangel seinen Druck verstärkte, – trotzdem haben wir zu günstigeren Bedingungen Frieden geschlossen. Das ist wiederum ein Beweis dafür, dass man ein Friedensangebot der Sowjetmacht, dass man ihre Worte und Erklärungen unbedingt ernst nehmen muss, sonst kann es so kommen, dass wir einen Frieden zu schlechteren Bedingungen anbieten und einen Frieden zu besseren Bedingungen bekommen. Diese Lehre werden die polnischen Großgrundbesitzer und Kapitalisten gewiss nicht vergessen. Sie verstehen, dass sie den Bogen überspannt haben. Jetzt haben sie beim Friedensschluss ein kleineres Gebiet erhalten, als ihnen früher angeboten wurde. Und das ist schon nicht die erste Lehre. Ihr alle erinnert euch wahrscheinlich daran, dass im Frühjahr 1919 nach Moskau ein Vertreter der amerikanischen Regierung kam, die uns vorschlug, einen Frieden mit allen damaligen weißgardistischen Heerführern zu schließen, mit Koltschak, Denikin usw., einen Frieden, der für uns außerordentlich günstig gewesen wäre. Als er zurückkehrte und Bericht erstattete, da erwiesen sich unsere Friedensbedingungen als ungünstig, und der Krieg ging weiter. Die Ergebnisse dieses Krieges sind euch bekannt. Die Sowjetmacht beweist also nicht zum ersten Mal, dass sie bei weitem stärker ist, als es scheint, dass in unseren Noten jene Prahlerei und jene Drohungen fehlen, die man gewöhnlich bei allen bürgerlichen Regierungen findet, und dass man nach einiger Zeit einen schlechteren Frieden schließen muss, wenn man die Friedensangebote Sowjetrusslands ablehnt. Solche Dinge werden in der internationalen Politik nicht vergessen, und dadurch, dass wir den polnischen Junkern bewiesen haben, dass sie jetzt einen Frieden bekommen, der schlechter ist als der Frieden, den wir ihnen vorgeschlagen hatten, lehren wir die polnischen Volksmassen, die polnischen Bauern und Arbeiter, die Erklärungen ihrer Regierung und unserer Regierung abzuwägen und miteinander zu vergleichen.

Viele von euch haben wahrscheinlich in den Zeitungen die Note der amerikanischen Regierung gelesen, in der erklärt wird: „Wir wollen nichts mit der Sowjetmacht zu tun haben, denn sie hält ihre Verpflichtungen nicht“.2 Darüber sind wir nicht weiter erstaunt, weil wir das schon viele Jahre hindurch hören. Aber zu guter Letzt enden doch alle ihre Angriffsversuche gegen Sowjetrussland mit einem Misserfolg. Die polnischen Zeitungen, die fast alle von den Großgrundbesitzern und Kapitalisten gekauft sind – bei ihnen nennt man das Pressefreiheit –, erklären, dass man der Sowjetmacht nicht glauben dürfe und dass das eine Macht von Gewaltmenschen und Betrügern sei. Alle polnischen Zeitungen sagen das, aber die polnischen Arbeiter und Bauern prüfen die Worte an der Wirklichkeit; die aber hat gezeigt, dass wir durch unser erstes Friedensangebot bereits unsere Friedensliebe bewiesen haben. Und indem wir im Oktober Frieden geschlossen haben, haben wir ebenfalls unsere Friedensliebe bewiesen. Nach einem solchen Beweis wird man vergeblich in der Geschichte auch nur einer einzigen bürgerlichen Regierung suchen. In den Köpfen der polnischen Arbeiter und Bauern muss diese Tatsache ihre Spuren hinterlassen. Die Sowjetmacht hat den Frieden unterzeichnet, als er für sie ungünstig war. Nur auf diese Weise werden wir den Regierungen jener Länder, die sich in den Händen der Großgrundbesitzer und Kapitalisten befinden, das Lügen abgewöhnen und das Vertrauen zu ihnen bei ihren Arbeitern und Bauern untergraben. Das muss uns mehr als alles andere zum Nachdenken veranlassen. Die Sowjetmacht in Russland ist von zahllosen Feinden umringt, und trotzdem sind diese Feinde machtlos. Denkt über den ganzen Verlauf und den Ausgang des Krieges mit Polen nach. Wir wissen jetzt, dass hinter dem Rücken Polens die französischen Kapitalisten standen, dass sie Polen mit Geld, Waffen, Ausrüstung, Geschossen versorgten und französische Offiziere schickten. Erst vor kurzem haben wir Nachrichten darüber erhalten, dass an der polnischen Front schwarze Truppen, d. h. französische Kolonialtruppen aufgetaucht sind. Den Krieg hat also Frankreich geführt, und England und Amerika haben ihm geholfen. Gleichzeitig hat Frankreich die Regierung Wrangels als die rechtmäßige Regierung Russlands anerkannt, Frankreich hat also auch Wrangel unterstützt, ihm Mittel zur Bewaffnung und zum Unterhalt der Armee gegeben. Auch England und Amerika unterstützen die Armee Wrangels. Wir hatten also gegen uns drei Verbündete: Frankreich, das von allen reichen Ländern der Welt unterstützt wurde, Polen und Wrangel. Und dennoch haben wir diesen Krieg mit einem günstigen Frieden abgeschlossen. Also, wir sind Sieger geblieben. Jeder, der auf die Karte blickt, sieht, dass wir gesiegt haben, dass wir aus diesem Kriege mit einem größeren Territorium als vor Beginn des Krieges hervorgegangen sind. Aber ist etwa dieser Gegner schwächer als wir, sind seine Streitkräfte etwa schwächer als unsere, hat er etwa weniger Leute, Kriegsvorräte, Munition? Er hat von allem mehr. Dieser Gegner ist stärker als wir, und trotzdem haben wir ihn geschlagen. Darüber muss man nachdenken, um zu begreifen, in welcher Lage sich Sowjetrussland gegenüber allen Staaten der Welt befindet.

Als wir Bolschewiki die Revolution begannen, da erklärten wir, dass wir sie beginnen können und müssen. Aber wir haben gleichzeitig nicht vergessen, dass man sie nur dann erfolgreich beenden und unbedingt zu einem siegreichen Ende führen kann, wenn man sich nicht auf Russland allein beschränkt, sondern im Bündnis mit einer ganzen Reihe von Ländern das internationale Kapital besiegt. Das russische Kapital ist mit dem internationalen Kapital verbunden. Und wenn unsere Gegner einwenden: auch wenn ihr in Russland siegt, ist eure Sache dennoch aussichtslos, denn die anderen kapitalistischen Staaten werden euch erdrücken, so haben wir als Antwort darauf jetzt eine sehr wichtige Erfahrung, die Erfahrung des Krieges mit Polen, die zeigt, wie es in Wirklichkeit gekommen ist. In der Tat, wie konnte es geschehen, dass wir Frankreich, Polen und Wrangel, die stärker sind als wir, die erfüllt sind von Hass gegen den Bolschewismus und von Entschlossenheit, die Sowjetmacht zu stürzen, nach einem halben Jahr – ja sogar noch früher, wenn man als Beginn der Offensive den April nimmt – besiegt haben, dass der Krieg zu unseren Gunsten ausgelaufen ist? Wie konnte es geschehen, dass Sowjetrussland, das durch den imperialistischen Krieg und den Bürgerkrieg ermattet, von Feinden umzingelt, von allen Ausrüstungs- und Munitionsquellen abgeschnitten war, – wie konnte es geschehen, dass dieses Sowjetrussland Sieger wurde? Darüber muss man nachdenken, denn, indem wir dieser Frage auf den Grund gehen, fangen wir an, die Mechanik nicht nur der russischen, sondern auch der internationalen Revolution zu begreifen. Wir finden die Bestätigung dafür, dass die russische Revolution nur ein Glied in der Kette der internationalen Revolution ist, dass unsere Sache fest dasteht und nicht zu besiegen ist, denn in der ganzen Welt geht es mit der Revolution vorwärts, und die wirtschaftlichen Verhältnisse gestalten sich so, dass sie unsere Feinde schwächen, uns aber mit jedem Tage stärken. Dass das keine Übertreibung, keine Prahlerei, keine Einbildung war, hat euch jetzt abermals der polnische Krieg bewiesen. Drei Verbündete kämpften gegen uns. Eigentlich hätte es nicht schwer fallen dürfen, diese drei Verbündeten untereinander zusammenzufassen. Es zeigte sich aber, dass die drei Verbündeten, die die große Erfahrung des Krieges von Judenitsch, Koltschak und Denikin hinter sich hatten, sich nicht gegen uns zusammenzuschließen vermochten. Auf Schritt und Tritt gerieten sie aneinander. Das ist ein besonders lehrreiches Kapitel aus der Geschichte des soeben beendeten Krieges gegen Polen. Unser Vormarsch auf Warschau, dieser Vormarsch der Roten Armee, wo die ermüdeten, erschöpften und schlecht bekleideten Soldaten über 600 Werst zurücklegten und den polnischen Truppen unaufhörlich eine Niederlage nach der anderen beibrachten, den glänzend ausgebildeten polnischen Truppen, die Hunderte von ausgezeichneten Instruktoren in den französischen Offizieren hatten, – dieser Vormarsch enthüllte uns die inneren Beziehungen zwischen allen unseren Gegnern. Als die Truppen der Roten Armee an die polnische Grenze heranrückten, erhielten wir am 12. Juli ein Telegramm vom englischen Außenminister Curzon, der im Namen des Völkerbundes, des berüchtigten Völkerbundes, eines Bundes, der angeblich England, Frankreich, Amerika, Italien und Japan vereinigt, also Staaten, die über eine ungeheure militärische Macht, über die ganze Kriegsflotte verfügen, Staaten, gegen die ein militärischer Widerstand ganz unmöglich, ganz sinnlos wäre, – der uns im Namen dieses Völkerbundes empfiehlt, den Krieg einzustellen und mit den Polen in London Verhandlungen aufzunehmen. Nach diesem Telegramm sollte die Grenzlinie über Grodno–Bjelostok–Brest-Litowsk, den Fluss San in Ostgalizien verlaufen. Auf diesen Vorschlag antworteten wir, dass wir uns um den Völkerbund den Teufel scheren, weil wir gesehen haben, dass man diesen Völkerbund nicht ernst nimmt, dass nicht einmal seine Mitglieder auf ihn hören. Unsere Antwort bezeichnete die französische Regierung als Frechheit, und man hätte meinen sollen, dass dieser Völkerbund gegen uns hätte Vorgehen müssen. Aber was stellte sich heraus? Der Völkerbund wurde durch diese unsere erste Erklärung heftig erschüttert, und England und Frankreich lagen sich in den Haaren.

Der englische Kriegsminister Churchill wendet mehrere Jahre hindurch alle Mittel an, gesetzliche und noch mehr ungesetzliche – vom Standpunkt der englischen Gesetze –, um alle Weißgardisten gegen Russland zu unterstützen und sie mit Waffen zu versorgen, Das ist der größte Hasser Sowjetrusslands, Nichtsdestoweniger entstanden gleich nach unserer Erklärung Meinungsverschiedenheiten zwischen England und Frankreich, denn Frankreich braucht die Kräfte eines weißgardistischen Russland, um sich dadurch vor Deutschland zu schützen; England dagegen braucht das überhaupt nicht. England ist eine Seemacht. Es hat keinen Angriff zu befürchten, denn es besitzt eine Flotte. Also, es zeigte sich beim ersten Schritt, dass der Völkerbund, der so unerhörte Drohungen gegen Russland richtete, machtlos war. Es offenbart sich auf Schritt und Tritt, dass die Interessen der einzelnen Mitglieder des Völkerbundes einander widersprechen, Frankreich wünscht die Niederlage Englands, und umgekehrt. Als Genosse Kamenew in London mit der englischen Regierung Verhandlungen führte und dem englischen Ministerpräsidenten erklärte: „Nehmen wir an, dass Sie tatsächlich durchführen werden, was Sie sagen. Wie steht es aber mit Frankreich?“ – da musste der englische Ministerpräsident antworten, dass Frankreich seinen eigenen Weg gehen werde und dass „wir nicht den gleichen Weg gehen können wie Frankreich“, Es zeigte sich, dass es keinen Völkerbund gibt, dass das Bündnis der kapitalistischen Mächte nichts als ein Betrug ist und dass dieser Bund in Wirklichkeit ein Bund zweier Räuber ist, von denen jeder versucht, dem anderen etwas zu entreißen. Und jetzt, wo wir bei der Unterzeichnung des Friedens in Riga erfahren haben, was Polen, England, Frankreich und Wrangel trennte, warum sie sich nicht vereinigen konnten, haben wir erfahren, dass ihre Interessen verschieden sind, denn England will diese neuen Kleinstaaten – Finnland, Estland, Lettland und Litauen – unter seinen Einfluss bringen und hat gar kein Interesse an der Wiederherstellung eines zaristischen oder weißgardistischen, oder sogar bürgerlichen Russlands, Ja, das ist nicht einmal vorteilhaft für England. Deshalb arbeitet England gegen Frankreich und kann sich nicht mit Polen und Wrangel verbinden, Frankreich aber möchte, dass sich die polnischen Soldaten bis zum letzten Mann für seine Interessen, für seine Schuldforderungen abschlachten lassen. Es hofft darauf, dass wir ihm jene 20 Milliarden bezahlen werden, die der ehemalige Zar geborgt hat und die von der Regierung Kerenskis anerkannt worden sind. Jetzt aber ist es jedem vernünftigen Menschen klar, dass die französischen Kapitalisten diese Gelder ebenso wenig sehen werden wie ihre eigenen Ohren. Die französischen Kapitalisten verstehen, dass man die französischen Arbeiter und Bauern nicht in den Krieg schicken kann, die polnischen dagegen – soviel man will. Mögen also die polnischen Soldaten zugrunde gehen, damit die französischen Kapitalisten ihre Millionen zurückbekommen. Die polnischen Arbeiter erkennen aber, dass die französischen, englischen und anderen Offiziere sich in Polen so benehmen, als ob sie in einem eroberten Lande wären. Deshalb konnten wir während der Verhandlungen in Riga sehen, wie die Partei der polnischen Arbeiter und Bauern, eine Partei unbedingter Patrioten, wie diese Partei, die dem Bolschewismus vollkommen feindlich gegenübersteht und unserer Partei der rechten Menschewiki und Sozialrevolutionäre ähnlich ist, für den Frieden auftrat und gegen die Regierung der polnischen Junker und Kapitalisten, die bis zum letzten Augenblick den Frieden zu vereiteln suchten, es auch jetzt versuchen und noch lange versuchen werden, worauf ich zu sprechen komme, sobald ich zu der Frage übergehen werde, oh dieser Vorfriede, den wir soeben geschlossen haben, von Dauer sein wird.

Der dritte Verbündete, der dafür kämpft, dass ganz Russland den Großgrundbesitzern und Kapitalisten zurückgegeben werde, Wrangel, rechnet auch Polen zu Russland. Die russischen Zaren, russischen Großgrundbesitzer und Kapitalisten waren alle gewohnt, Polen als ihre Beute zu betrachten. Die Polen haben nicht vergessen, dass bereits die russischen leibeigenen Bauern, als sie in den Krieg geschickt wurden, mit dem Zaren an der Spitze3, Polen unterdrückten, und dass also Wrangel, wenn er siegte, den Großgrundbesitzern die ganze Macht sowohl in Russland als auch in Polen zurückgeben würde. Es kam aber so, dass die drei Verbündeten, die sich gegen uns zusammengetan hatten, miteinander zu raufen anfingen. Was Frankreich will, will weder der polnische Bauer noch der polnische Arbeiter, und was Wrangel will, will nicht einmal ein einziger Großgrundbesitzer in Polen. Jetzt, wo wir Radionachrichten von Wrangel oder Radiomeldungen der französischen Regierung aus Paris auffangen, sehen wir, dass Wrangel und Frankreich mit den Zähnen knirschen, weil sie verstehen, was das für ein Friede ist, den wir jetzt mit Polen geschlossen haben, – obwohl sie behaupten, das sei kein Friede und Polen könne ihn nicht unterzeichnen. Nun, wir werden sehen. Zunächst ist ja der Friede unterzeichnet. Aber sowohl Wrangel als auch Frankreich verstehen hier nicht den Kern der Sache. Sie können das Wunder nicht begreifen, dass das ruinierte Sowjetrussland zivilisierte, stärkere Staaten besiegt. Sie verstehen nicht, dass die ganze Stärke dieser Siege in der Grundlehre der Kommunisten besteht: das Eigentum trennt, die Arbeit eint. Privateigentum ist Raub, und der Staat, der sich auf Privateigentum gründet, ist ein Staat von Räubern, die um die Teilung der Beute streiten. Und noch bevor sie den Krieg beendet haben, beginnen sie bereits, einen Kampf untereinander zu führen. Vor einem Jahre bedrohten uns vierzehn Staaten, Der Bund dieser vierzehn Staaten ist jedoch sofort auseinandergefallen. Warum? Weil das Abkommen dieser Staaten untereinander nur ein Abkommen auf dem Papier blieb und niemand von ihnen den Krieg aufnahm. Als nun der Krieg begann, und Frankreich, Polen und Wrangel sich vereinigten, da fiel auch dieser Bund sofort auseinander, weil einer dem andern ein Bein zu stellen versuchte. Sie fingen an, das Fell des Bären zu teilen, den sie noch nicht erlegt hatten und auch nicht erlegen werden. Um diesen Bären aber streiten sie sich bereits.

Die Erfahrung der Weltpolitik hat bewiesen, dass ein Bündnis gegen Sowjetrussland unvermeidlich zum Scheitern verurteilt ist, weil das ein imperialistisches Bündnis ist, ein Bündnis von Räubern, die nicht einig sind und keine wirklich dauernden, sie einigenden Interessen haben. Ihnen fehlt das, was die Arbeiterklasse eint. Ihnen fehlt dieses Interesse. Das hat sich bereits während des Krieges mit Polen gezeigt. Als unsere Rote Armee den Widerstand der Polen brach, Bjelostok und Brest-Litowsk einnahm und die polnische Grenze erreichte, da war es mit der ganzen internationalen Politik zu Ende, denn sie gründet sich auf den Versailler Vertrag, Der Versailler Vertrag aber ist ein Vertrag von Mördern und Räubern. Als uns der Frieden von Brest-Litowsk aufgezwungen wurde, unter dessen Joch wir uns solange befanden, da schrie man in der ganzen Welt, das sei ein Raubfriede. Als Deutschland besiegt war, da schrie der Völkerbund, dessen Mitglieder gegen Deutschland gekämpft hatten, das sei ein Befreiungskrieg, ein demokratischer Krieg gewesen. Man zwang Deutschland einen Frieden auf, aber dieser Friede war ein Friede von Wucherern und Henkern, denn Deutschland und Österreich wurden ausgeplündert und zerstückelt. Man nahm diesen Ländern alle Mittel zum Leben, ließ die Kinder hungern und Hungers sterben. Das ist ein ungeheuerlicher Raubfrieden, Was also ist der Versailler Vertrag? Ein ungeheuerlicher Raubfrieden, der Dutzende Millionen Menschen, und darunter die zivilisiertesten, zu Sklaven macht. Das ist kein Frieden, das sind vielmehr Bedingungen, die einem wehrlosen Opfer von Räubern mit dem Messer in der Hand diktiert worden sind. Die Gegner Deutschlands haben auf Grund des Versailler Friedensvertrages ihm alle Kolonien weggenommen. Die Türkei und Persien sind zu Sklaven gemacht worden. Wir haben eine Lage bekommen, wo sieben Zehntel der Bevölkerung der Erde Sklaven geworden sind. Diese Sklaven sind über die ganze Welt verstreut und einer kleinen Zahl von Ländern zur Peinigung ausgeliefert: Frankreich, England und Japan. Eben deshalb ruht diese ganze internationale Ordnung, deren Grundlage der Versailler Vertrag ist, auf einem Vulkan, da die versklavten sieben Zehntel der Bevölkerung der Erde es kaum erwarten können, dass sich irgend jemand finde, der den Kampf aufnimmt, um alle diese Staaten zu erschüttern. Frankreich hofft auf die Bezahlung der alten Schulden, hat aber selbst bei Amerika Schulden und besitzt nichts, um die Schulden an Amerika zu bezahlen, denn das Privateigentum gilt dort als heilig. Worin besteht nun dieses heilige Privateigentum? Darin, dass die Zaren und Kapitalisten Schulden machen, die Bauern aber diese Schulden bezahlen sollen. Sie befinden sich am Vorabend des Zusammenbruchs,

Aus den Schulden kommen sie nicht heraus. Und in dieser Zeit zerbrach die Rote Armee die polnischen Grenzpfähle und näherte sich der deutschen Grenze, Das war zu einer Zeit, als in Deutschland alle, sogar die schwärzesten Reaktionäre und Monarchisten, sagten, dass die Bolschewiki sie retten würden, als sie sahen, dass der Versailler Friede in allen Fugen krachte, dass es eine Rote Armee gibt, die allen Kapitalisten den Krieg erklärt hatte. Was zeigte sich da? Es zeigte sich, dass Polen ein Pfeiler des Versailler Vertrages ist. Allerdings, es fehlte uns an Kräften, den Krieg zu Ende zu führen. Aber man darf nicht vergessen, dass unsere Arbeiter und Bauern ohne Kleider und Stiefel waren und trotzdem vorwärts stürmten und Schwierigkeiten überwanden und unter Bedingungen kämpften, wie noch keine einzige Armee in der ganzen Welt. Als wir vom Hinterland abgeschnitten waren, da fehlte es uns an Kräften, um Warschau zu nehmen und die polnischen Großgrundbesitzer, Weißgardisten und Kapitalisten aufs Haupt zu schlagen. Unsere Armee hat aber der ganzen Welt gezeigt, dass der Versailler Vertrag nicht jene Macht ist, als die man ihn hinstellt, dass Hunderte Millionen Menschen jetzt dazu verurteilt sind, Jahrzehnte hindurch selbst zu zahlen und ihre Enkel und Urenkel zu zwingen, Anleihen zu bezahlen, um die französischen, englischen und anderen Imperialisten zu bereichern. Die Rote Armee hat bewiesen, dass dieser Versailler Vertrag keine sehr feste Grundlage hat. Nach dem Abschluss dieses Versailler Vertrages hat unsere Armee gezeigt, dass das ruinierte Sowjetrussland im Sommer 1920 – dank dieser Roten Armee – nahe daran war, den völligen Sieg zu erringen. Die ganze Welt sah, dass es eine Kraft gibt, der der Versailler Vertrag nicht schrecklich ist, und dass keine Versailler Verträge die Kraft der Arbeiter und Bauern brechen können, wenn sie mit den Großgrundbesitzern und Kapitalisten gründlich abzurechnen verstehen.

Also, der Feldzug gegen den Versailler Frieden, gegen die Kapitalisten und Großgrundbesitzer aller Länder und gegen die Erdrosselung der übrigen4 durch sie, ist nicht umsonst gewesen. Das haben Millionen und Abermillionen von Arbeitern und Bauern in allen befreiten Ländern gesehen und darüber nachgedacht. Und jetzt sehen sie in der Sowjetrepublik ihren Erlöser, Sie sagen: die Rote Armee hat bewiesen, dass sie auf Angriffe zu antworten versteht, nur hat es ihr an Kräften gefehlt, um im ersten Jahre, man kann wohl sagen, im ersten Monat des friedlichen Aufbaus zu siegen. Aber auf diesen ersten Monat des friedlichen Aufbaus werden Jahre folgen, und mit jedem Jahre wird sie um das Zehnfache stärker werden. Man hat geglaubt, dass der Versailler Friede ein Friede allmächtiger Imperialisten sei, und hat sich im Sommer 1920 davon überzeugt, dass sie sogar weniger Kräfte besitzen als die Arbeiter und Bauern eines schwachen Landes, wenn diese es verstehen, ihre Kräfte zusammenzufassen und den Kapitalisten Widerstand entgegenzusetzen. Und Sowjetrussland trat im Sommer 1920 nicht nur als Macht auf, die sich gegen Gewalt, gegen den Ansturm der polnischen Weißgardisten wehrte, sondern als wirkliche Weltmacht, die fähig ist, den Versailler Vertrag zu zertrümmern und Hunderte Millionen von Menschen in der Mehrzahl der Länder zu befreien. Darin liegt die Bedeutung des letzten Sommerfeldzugs der Roten Armee, Deshalb sind in England während des Krieges Ereignisse vor sich gegangen, die einen Umschwung in der ganzen Politik Englands bedeuten. Als wir uns weigerten, den Vormarsch unserer Truppen zum Stehen zu bringen, da antwortete England mit der Drohung: wir schicken unsere Flotte nach Petrograd. Es wurde der Befehl erteilt, Petrograd anzugreifen. Das wurde dem Genossen Kamenew vom englischen Ministerpräsidenten erklärt und aller Welt mitgeteilt. Aber am Tage nach der Absendung dieses Telegramms fanden in ganz England Meetings und Versammlungen statt, und wie aus dem Boden gewachsen tauchten „Aktionsausschüsse“ auf. Die Arbeiter schlossen sich zusammen. Die englischen Menschewiki, die noch gemeiner sind als die russischen Menschewiki, die sich vor den Kapitalisten noch lakaienhafter benehmen, – sogar sie mussten sich anschließen, weil es die Arbeiter forderten. Die Arbeiter Englands aber erklärten: „Wir werden einen Krieg gegen Russland nicht zulassen!“ Und in ganz England bildeten sich „Aktionsausschüsse“. Der von den englischen Imperialisten beabsichtigte Krieg wurde vereitelt. Es zeigte sich abermals, dass Sowjetrussland in seinem Kriege gegen die Imperialisten aller Länder Verbündete in jedem dieser Länder hat. Als die Bolschewiki erklärten: „Wir stehen nicht allein da im Kampfe gegen die Großgrundbesitzer und Kapitalisten Russlands, denn in jedem Lande haben wir Bundesgenossen, diese Bundesgenossen sind die Arbeiter und die Werktätigen, sie sind in den meisten Ländern zu finden“, – da antwortete man darauf mit Gelächter und sagte: „Wo sind sie denn, diese Werktätigen?“ Allerdings, in Westeuropa, wo die Kapitalisten viel stärker sind, wo sie auf Kosten von hunderten Millionen Menschen der ausgeplünderten Kolonien leben, – dort ist es weit schwieriger, sich zu erheben, dort reift die proletarische Revolution unvergleichlich langsamer heran. Aber sie reift heran. Als jedoch England im Juli 1920 Russland mit dem Kriege drohte, haben die englischen Arbeiter diesen Krieg vereitelt. Die englischen Menschewiki folgten den englischen Bolschewiki. Sie waren gezwungen, den englischen Bolschewiki zu folgen und im Widerspruch zur Verfassung, zum Gesetz, zu erklären: „Wir werden keinen Krieg zulassen. Wenn ihr morgen Krieg erklärt, so werden wir in den Streik treten und nicht nur euch, sondern auch Frankreich keine Kohle geben.“ Die englischen Arbeiter erklärten, dass sie eine internationale Politik zu treiben wünschen, und sie tun das so, wie die Bolschewiki in Russland, nicht so, wie die Kapitalisten in den anderen Ländern.

Hier haben wir ein Beispiel dafür, was der Krieg mit Polen an den Tag gebracht hat. Das ist der Grund dafür, dass wir nach einem halben Jahre Sieger wurden. Das ist der Grund dafür, dass das ruinierte, schwache, rückständige Sowjetrussland eine unvergleichlich mächtigere Koalition von Staaten besiegt; denn diesen Staaten fehlt die innere Kraft, und die Arbeiter und Werktätigen sind gegen sie. Das tritt bei jeder Krise zutage. Das tritt deshalb zutage, weil wir es hier mit Räubern zu tun haben, die einander bekämpfen und sich letzten Endes nicht gegen uns zusammenschließen können, weil das Eigentum trennt und die Menschen zu Raubtieren macht, die Arbeit aber eint. Und die Arbeit einte nicht nur die Arbeiter und Bauern Russlands, sondern vereinigte sie auch mit den Arbeitern und Bauern aller Länder, so dass man jetzt in allen Ländern erkennt, dass Sowjetrussland eine Kraft ist, die den Versailler Frieden zerstört. Wird Sowjetrussland erstarken, so wird auch der Versailler Vertrag zusammenbrechen, wie das beinahe im Juli 1920 auf den ersten Schlag der Roten Armee hin der Fall war. Eben deshalb hat dieser Krieg mit Polen geendet, wie es keiner der imperialistischen Staaten erwartet hat. Und das ist für uns eine große Lehre, die an einem Beispiel, an der Haltung aller an der Weltpolitik mitwirkenden Staaten zeigt, dass unser Werk fest dasteht, dass wir, welche Angriffsversuche auf Russland auch gemacht und welche militärischen Unternehmungen gegen Russland unternommen werden mögen – und solche Versuche wird man wahrscheinlich noch mehr als einmal unternehmen –, bereits durch unsere Erfahrung gestählt sind. Auf Grund der Erfahrung wissen wir, dass alle diese Versuche zum Scheitern verurteilt sind. Nach jedem neuen Versuch unserer Feinde werden wir stärker sein, als wir es vorher waren.

Jetzt möchte ich von der internationalen Politik, wo wir beim Zusammenstoß mit dem Versailler Frieden unsere Stärke bewiesen haben, zu den näherliegenden praktischen Aufgaben, zu der Lage übergehen, die sich infolge des Versailler Vertrages ergeben hat. Ich will nicht eingehen auf die Bedeutung des im Juli in Moskau abgehaltenen Kongresses der Kommunistischen Internationale, des Kongresses der Kommunisten der ganzen Welt, und des Kongresses der Völker des Ostens, der später in Baku stattgefunden hat. Das sind die internationalen Kongresse, die die Kommunisten zusammengeschlossen und gezeigt haben, dass das bolschewistische Banner, das Programm des Bolschewismus, die Handlungsweise der Bolschewiki in allen zivilisierten Ländern und in allen zurückgebliebenen östlichen Ländern, für die Arbeiter aller zivilisierten Länder, für die Bauern aller rückständigen Kolonialländer das Banner der Rettung, des Kampfes ist; die gezeigt haben, dass Sowjetrussland tatsächlich im Laufe dieser drei Jahre nicht nur alle zurückgeschlagen hat, die es erdrosseln wollten, sondern sich auch in der ganzen Welt Sympathien errungen hat, dass wir nicht nur unsere Feinde geschlagen, sondern uns auch täglich, stündlich Bundesgenossen erobert haben und erobern. Was der Kongress der Kommunisten in Moskau und der Kongress der kommunistischen Vertreter der Völker des Ostens in Baku geleistet haben, – das kann man nicht auf einmal ermessen, das kann man nicht ohne weiteres ausrechnen, aber das ist eine Errungenschaft, die mehr bedeutet als manche militärische Siege, weil sie uns zeigt, dass die Erfahrung der Bolschewiki, ihre Tätigkeit, ihr Programm, ihr Aufruf zum revolutionären Kampfe gegen die Kapitalisten und Imperialisten sich in der ganzen Welt die Anerkennung errungen haben. Was im Juli in Moskau und im August in Baku geleistet worden ist, werden die Arbeiter und Bauern aller Länder noch monatelang sich aneignen und verarbeiten. Das ist eine Kraft, die in jedem Konflikt, in jeder Krise für Sowjetrussland eintreten wird, wie wir das wiederholt gesehen haben. Vom Standpunkt des Kräfteverhältnisses in der ganzen Welt ist das die Hauptlehre, die sich aus dem Krieg mit Polen ergibt.

Indem ich nun auf das eingehe, was sich jetzt bei uns abspielt, muss ich sagen, dass die Hauptkraft, die uns noch gegenübersteht, Wrangel ist. Frankreich, Polen und Wrangel kämpften zusammen gegen uns. Als unsere Truppen durch den Kampf an der Westfront vollkommen in Anspruch genommen waren, sammelte Wrangel seine Kräfte, und die französische und die englische Flotte halfen ihm dabei. Als Wrangel gegen das Kubangebiet vorrückte, setzte er dort seine Hoffnungen auf die begüterten großbäuerlichen Kosaken. Wer hat damals Wrangel geholfen, ihm Brennstoffe, eine Kriegsflotte gegeben, um ihn im Donezrevier zu halten? Die englische und die amerikanische Flotte, Aber wir wissen, dass diese Truppenlandung gescheitert ist, weil der Kuban-Kosak, der zwar reich an Getreide ist, dennoch sehr gut begriffen hat, was diese Versprechungen von der Konstituante, der Volksregierung und anderen schönen Dingen bedeuten, mit denen die Sozialrevolutionäre, Menschewiki usw. Dummköpfe ködern. Vielleicht haben die Bauern des Kubangebiets ihnen geglaubt, als sie so schön redeten, aber schließlich schenkten sie nicht den Worten, sondern den Taten Glauben, Sie sahen, dass die Bolschewiki zwar strenge Leute sind, dass man aber doch besser mit ihnen auskommen kann. Die Folge davon war, dass Wrangel aus dem Kubangebiet hinausflog und viele Hunderte und Tausende seiner Soldaten umkamen. Nichtsdestoweniger hat Wrangel in der Krim seine Kräfte immer mehr und mehr zusammengefasst. Seine Truppen bestanden fast durchweg aus Offizieren, Er tat das in der Hoffnung, im ersten günstigen Augenblick diese Streitkräfte erweitern zu können, wenn nur die Bauern ihm Gefolgschaft leisteten.

Die Truppen Wrangels sind mit Kanonen, Tanks und Flugzeugen besser ausgerüstet als alle anderen Armeen, die in Russland gekämpft haben. Als wir gegen die Polen kämpften, hat Wrangel seine Kräfte gesammelt. Deshalb sage ich, dass der Friede mit Polen kein sicherer Friede ist. Auf Grund des Präliminarfriedens, der am 12. unterzeichnet worden ist, beginnt der Waffenstillstand erst am 18., wobei die Polen das Recht haben, noch zwei Tage vorher diesen Waffenstillstand abzulehnen. Die ganze französische Presse und die Kapitalisten versuchen Polen in einen neuen Krieg gegen Sowjetrussland zu hetzen. Wrangel beeilt sich, alle seine Verbindungen spielen zu lassen, um diesen Frieden zu vereiteln, denn Wrangel weiß: ist erst einmal der Krieg mit Polen zu Ende, so werden sich die Bolschewiki auf ihn stürzen. Daraus ergibt sich also für uns eine einzige praktische Schlussfolgerung: Zusammenfassung aller Kräfte gegen Wrangel, Wir haben im April d. J. einen für uns ungünstigen Frieden angeboten, nur um Zehntausende von Arbeitern und Bauern vor einem neuen Kriegsgemetzel zu bewahren. Für uns sind Grenzen nicht so wichtig: selbst wenn wir an den Grenzen verlieren, d. h. ein geringeres Territorium bekommen, so ist doch für uns wichtiger als die Erhaltung eines kleinen Gebiets die Erhaltung des Lebens von Zehntausenden von Arbeitern und Bauern und die Möglichkeit des friedlichen Aufbaues. Deshalb haben wir diesen Frieden angeboten. Deshalb wiederholen wir jetzt, dass Wrangel die Hauptgefahr ist, dass seine Truppen, die in dieser Zeitspanne außerordentlich erstarkt sind, jetzt erbitterte Kämpfe führen und in einigen Fällen den Dnjepr überschritten und die Offensive gegen uns ergriffen haben. Die Wrangelfront ist genau dasselbe wie die polnische Front, und die Frage des Krieges gegen Wrangel gleichbedeutend mit der Frage des Krieges gegen Polen. Und damit der Vorfrieden mit Polen zu einem endgültigen Frieden werde, müssen wir Wrangel in kürzester Frist vernichten. Wenn das nicht geschieht, so können wir nicht sicher sein, dass die polnischen Gutsbesitzer und Kapitalisten unter dem Druck und mit der Unterstützung der französischen Gutsbesitzer und Kapitalisten nicht abermals versuchen werden, uns einen Krieg aufzuzwingen. Deshalb muss ich die Aufmerksamkeit dieser heutigen großen Versammlung auf diese Hauptfrage lenken und euch bitten, eure Stellung und euren Einfluss geltend zu machen, um auf die breitesten Arbeitermassen einzuwirken, um die größten Anstrengungen zu entfachen für die völlige Bewältigung unserer dringendsten Aufgabe: der Vernichtung Wrangels um jeden Preis und in kürzester Frist. Denn nur davon hängt es ab, ob wir imstande sein werden, die Arbeit des friedlichen Aufbaues in Angriff zu nehmen.

Wir wissen, dass in einem ruinierten Lande, in einer in ihren Grundlagen erschütterten bäuerlichen Wirtschaft der Bauer Produkte braucht und nicht Papiergeld, mit dem er in solchen Unmengen überhäuft wird. Um aber dem Bauern Produkte, wie Petroleum, Salz, Kleider usw. zu geben, muss man die Industrie wiederherstellen. Die Verhältnisse gestalten sich so, dass wir das tun können. Wir wissen, dass wir jetzt mehr Getreide haben als im vergangenen Jahr, wir besitzen Brennstoff für die Industrie, wir haben über 100 Millionen Pud Naphtha aus Baku, wir haben das Donezrevier wiederhergestellt, das eine ungeheure Menge Brennstoff liefert. Trotzdem während des Vormarsches Wrangels gegen den Süden des Donezreviers einige Betriebe evakuiert werden mussten, kann die Industrie dort als vollkommen wiederhergestellt gelten. Mit der Holzbeschaffung steht es besser: wenn wir im vergangenen Jahre sieben Millionen Kubikfuß aufgebracht haben, so haben wir jetzt weit mehr. Unsere Industrie fängt an aufzuleben, und im Gouvernement Iwanowo-Wosnessensk, wo die Fabriken mehrere Jahre hindurch stillständen und auf alle Arbeiter einen trostlosen Eindruck machten, sind jetzt die Fabriken mit Brennmaterial versorgt und fangen an zu arbeiten. Dank den Siegen in Turkestan haben wir turkestanische Baumwolle erhalten und fangen nun an zu arbeiten. Wir haben jetzt ein gewaltiges Feld produktiver Arbeit vor uns und müssen alle unsere Kräfte anstrengen, um die Industrie wiederherzustellen, um dem Bauern Kleider, Schuhe und Industrieerzeugnisse zu geben und damit einen richtigen Austausch von bäuerlichem Getreide gegen städtische Erzeugnisse zu beginnen. Wir müssen anfangen der Landwirtschaft zu helfen. Gestern haben wir im Rate der Volkskommissare beschlossen, die Arbeiter der Fabrik, die den ersten, unseren russischen Verhältnissen am besten entsprechenden Pflug produziert, mit einer Ration zu unterstützen, damit die Landwirtschaft gehoben und trotz dem Mangel an Vieh auf eine höhere Stufe gebracht werde. Die Arbeiter und Bauern arbeiten gemeinsam, ohne Gutsbesitzer und Kapitalisten, und erzielen in dieser Hinsicht Erfolge. Aber um sich damit gründlich zu befassen, brauchen wir eins: wir dürfen keinen Augenblick vergessen, dass jetzt zehntausende Arbeiter und Bauern an der Wrangelfront ihr Leben lassen, dass der Feind besser ausgerüstet ist als wir, dass sich dort, an der Wrangelfront, der letzte verzweifelte Kampf abspielt, dass dort die Frage entschieden wird, ob Sowjetrussland die Möglichkeit erhält, durch friedliche Arbeit so zu erstarken, dass es nicht nur die polnischen Weißgardisten, sondern auch einen imperialistischen Weltbund nicht zu fürchten braucht. Das hängt von euch ab, Genossen! Ihr müsst alle Kräfte anspannen und dürft nicht vergessen, dass alle Fragen des Kampfes in Sowjetrussland nicht dadurch entschieden wurden, dass Befehle aus der Hauptstadt kamen, sondern dadurch, dass die Arbeiter- und Bauernmassen diese Befehle begeistert aufnahmen und ihnen aufs Wärmste zustimmten. Erst als die Arbeiter und Bauern sahen, dass sie im Kampfe gegen Koltschak, Denikin und Wrangel für ihren Boden, für ihre Fabriken und Betriebe, für die eigenen Interessen kämpfen, gegen die Gustbesitzer und Kapitalisten, da halfen alle nach Kräften und unterstützten die Rote Armee. Als die Rotarmisten sahen, dass man sich im Hinterlande um sie kümmert, da wurde die Rote Armee von jenem Geiste beseelt, der ihr den Sieg brachte. Es kommt jetzt alles darauf an, dass wir Wrangel besiegen. Ich rufe euch auf, in euren Organisationen, in euren Fabriken und Betrieben, in euren Dörfern alles in Bewegung zu setzen, aus freiem Willen und in Übereinstimmung mit den Interessen der Arbeiter und Bauern ganz Russlands der Wrangelfront zu helfen. Dann werden wir sowohl an der Wrangelfront als auch an der internationalen Front wirklich den Sieg davontragen.

1 Die Konferenz, in der Lenin diese Rede hielt, ging in Moskau am 15.-18. Oktober 1920 vor sich. Die oppositionelle Stimmung des bäuerlichen Teils der Konferenz trat bereits in der ersten Sitzung in Erscheinung, worauf Lenin in seinem Schlusswort hinweist. Nach dem Schlusswort Lenins änderte sich diese Stimmung, und die Verhandlungen trugen einen ruhigen, sachlichen Charakter. Zu dem Bericht Lenins wurde eine Resolution angenommen, in der die Friedenspolitik der Sowjetmacht für richtig anerkannt und aufgefordert wurde, alle Anstrengungen zu machen, um den Krieg an den Fronten siegreich zu beenden.

2 Gemeint ist die Note des Staatssekretärs der Vereinigten Staaten von Amerika, Benbridge Colby, an die italienische Regierung über die Stellung der Regierung der Vereinigten Staaten zu Sowjetrussland. Aus Anlass dieser Note, die eine ganze Reihe von erfundenen Dingen über Sowjetrussland enthielt, sandte der Volkskommissar für Auswärtiges, Tschitscherin, am 10. September 1920 ein Rundschreiben an die Gesandten Sowjetrusslands im Ausland.

3 Text der Aufzeichnung unklar. Die Red.

4 Text der Aufzeichnung unklar. Die Red.

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