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Karl Liebknecht 19120228 Gegen den skandalösen politischen Missbrauch der Fortbildungsschulen

Karl Liebknecht: Gegen den skandalösen politischen Missbrauch der Fortbildungsschulen

Aus Reden im preußischen Abgeordnetenhaus zum Handels- und Gewerbeetat

[Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Preußischen Hauses der Abgeordneten, 21. Legislaturperiode, V. Session 1912/13, 2. Bd., Berlin 1912, Sp. 1878-1886, 1898-1900, 1900-1904. Nach Karl Liebknecht, Gesammelte Reden und Schriften, Band 5, S. 99-119]

I

Meine Herren, dass die Fortbildungsschule an und für sich nur ein Notbehelf ist, der so lange notwendig ist, wie es nicht gelingt, die allgemeine Schulpflicht bis in dasjenige Alter hinauf auszudehnen, das ja auch von einsichtigen, nicht-sozialdemokratischen Pädagogen gefordert wird, darüber ein Wort zu verlieren, ist nicht nötig. Unzweifelhaft richtig ist, dass das Fortbildungsschulwesen im Interesse des Handwerks liegt; aber es ist bedauerlich, dass von dem Herrn Minister nicht auch der Gesichtspunkt in den Vordergrund gerückt ist, dass das Fortbildungsschulwesen nicht minder den Interessen der Arbeiterschaft zu dienen habe. Es ist bedauerlich, dass wir auch hier wiederum sehen müssen, wie zwar das Auge des Herrn Ministers sehr liebevoll auf dem Handwerk ruht, wie er aber die breite Masse der Bevölkerung, die Arbeiterschaft, als quantité negligeable gänzlich übersieht. („Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten.) Wir insbesondere sind gerade um deswillen an der Ausdehnung der Fortbildungsschulen sehr lebhaft interessiert, weil wir als Vertreter der Arbeiterklasse den außerordentlich guten Kern, der an sich in der Fortbildungsschule liegt, durchaus anerkennen.

Meine Herren, es ist eine sehr bezeichnende Tatsache, dass heute ein Vertreter der Konservativen Partei auftreten konnte – und zwar ohne irgendwelchen Widerspruch auch durch den Herrn Abgeordneten Hammer zu finden, obwohl Gelegenheit zum Widerspruch von dieser Stelle aus gegeben war – und sein Herz in Klagen darüber ausschütten konnte, dass die Lehrlinge nicht in der Nacht nach acht Uhr zum Unterricht herangezogen werden. Das ist eine Sache, über die man doch wahrhaftig nicht mehr sprechen sollte. („Sehr wahr!" bei den Sozialdemokraten.)

Es gab wohl eine Zeit vor Jahren und Jahren, wo man sich nicht wunderte, wenn in Deutschland die Ansicht laut wurde, dass der Unterricht außerhalb der Arbeitszeit in den späten Abendstunden stattfinden müsse; aber über diesen vollständig rückständigen sozialpolitischen Standpunkt ist man doch wahrhaftig, so schien es mir, überall, selbst in den rückständigsten Parteien Preußens und Deutschlands, längst hinaus. Dass wir heute in diesem Hause erleben müssen, dass ein Vertreter der Konservativen Partei als ihr offizieller Sprecher auftritt und ausspricht, der Fortbildungsschulunterricht solle wiederum in die Nacht- und Abendstunden gelegt werden, das stellt in der Tat dem sozialen Bildungsgrad der Konservativen Partei das denkbar schlechteste Zeugnis aus. („Sehr wahr!" bei den Sozialdemokraten.)

Meine Herren, man muss dabei wohl bedenken, dass es sich um junge Burschen von 14 bis 18 Jahren handelt. (Abgeordneter von Kessel: „Wer hat denn von Nachtstunden gesprochen?") Ich möchte diejenigen Herren aus der Konservativen Partei dieses Hauses, die eigene Kinder haben, einmal sehen, wenn sie ihre Kinder in dieser Tretmühle hätten, in der die Kinder des Proletariats am Tage acht, zehn Stunden, unter Umständen noch länger sein müssen, wenn ihnen dann noch ein mehrstündiger Unterricht abends nach acht Uhr aufgezwungen werden sollte – ich möchte einmal die Frauen dieser Herren sehen, wie sie dann klagen und jammern würden, wenn ihnen ihre Kinder von 14 bis 18 Jahren erst um zehn Uhr nach Hause geschickt würden, so dass sie dadurch genötigt wären, spätabends auf den Straßen herumzulaufen und allen möglichen Versuchungen ausgesetzt zu sein, vor denen man sie doch nach aller Möglichkeit zu schützen hat. Das ist ein so unbegreiflich kurzsichtiger Standpunkt, der, wenn man ihn in seinen Konsequenzen durchdenkt, so deutlich zeigt, wie wenig ernst es den Herren von der Rechten mit ihren sozialpolitischen Interessen ist („Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten.), dass dafür eine bessere Illustration gar nicht gefunden werden kann. („Sehr wahr!" bei den Sozialdemokraten.)

Meine Herren, die Sache liegt so: Wir wissen genau, das Handwerk befindet sich vielfach in einer sehr schwierigen Lage, und gewisse Forderungen im Interesse der Arbeiterklasse zu erfüllen, fällt der Großindustrie vielfach leichter als dem Handwerk; das ist ganz richtig.

Nun fordert das Handwerk, um sich gegen die übermächtige Konkurrenz der Großindustrie schützen zu können, ein vermehrtes Ausbeutungsrecht gegenüber dem Proletariat, den Lehrlingen usw.

Meine Herren, es ist bekannt, wie gerade das Handwerk, nachdem es durch das Großkapital an die Wand gedrückt worden ist, nunmehr durch Lehrlingsausbeutung usw. sich einigermaßen über Wasser zu halten sucht. Natürlich sind das Dinge, die nicht durch irgendwelche Bösartigkeit der Gesinnung hervorgerufen sind, sondern durch einen gewissen sozialen Notstand des Handwerks; das erkennen wir vollkommen an. Wir haben nur alle Veranlassung, dagegen zu protestieren, dass diese ungünstige Lage des Handwerks, die durch die kapitalistische Konkurrenz hervorgerufen ist, zu der Konsequenz führt, dass das Proletariat doppelt und dreifach ausgebeutet wird („Sehr wahr!" bei den Sozialdemokraten.); dagegen haben wir uns zu wenden. Und dann kommt dasselbe Handwerk durch solche Wortführer, wie es die Konservativen sind, hier zu Worte, die fortgesetzt behaupten, dass das Proletariat, die Sozialdemokratie den Mittelstand vernichte. („Sehr richtig!" rechts.) Ja, Sie stellen diese Behauptung zu einem Teil um deswillen auf, weil Sie die Abwehr des Proletariats dagegen, dass das Handwerk sich vielfach unter Außerachtlassung aller sozialen Gesichtspunkte, aller sozialen Pflichten, auf Kosten des Proletariats zu halten sucht, unangenehm empfinden und zu diskreditieren suchen.

Wenn das Proletariat sich seiner Haut wehrt, stößt es natürlich auch mit dem Handwerk zusammen; aber doch nur um deswillen, weil das Handwerk sich vielfach bemüht, unter einem Druck der Notlage, die durch das Großkapital hervorgerufen ist, die Arbeiterschaft doppelt und dreifach auszubeuten. Sie sehen also, dass der Feind des Handwerks in der Tat das Großkapital ist, dass sich die Abwehr der Arbeiterschaft, ihr Kampf gegen das Handwerk, wo immer er stattfindet, daraus erklärt, dass das Handwerk in vieler Beziehung sozialpolitisch vielfach leistungsunfähiger und einsichtsloser ist und nur allzu oft einer noch viel schlimmeren Ausbeutung das Wort redet als selbst das Großkapital. („Sehr wahr!" bei den Sozialdemokraten.)

Meine Herren, es muss davon ausgegangen werden, dass die Interessen der Arbeiterjugend unter keinen Umständen hinter die Interessen des Handwerks zurückgesetzt werden dürfen, und es ist ein durchaus billiges Verlangen, wenn wir in Bezug auf die Fortbildungsschulen die Forderung aufstellen, dass der Unterricht in den Tagesstunden erteilt wird, in denen sich die Jugend in diesem Alter noch frisch befindet, dass der Unterricht nicht zu einer Vermehrung der Arbeitszeit führt, sondern dass er in die Arbeitszeit unmittelbar hineingelegt wird. („Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten.) Das ist die einzige Möglichkeit; sonst wird diese Pflichtfortbildungsschule geradezu zu einer Gefahr für die Jugend der arbeitenden Klassen.

Meine Herren, es ist erfreulich, dass der Herr Minister hier eine Erklärung abgegeben hat, die den höchst reaktionären Anforderungen des Herrn Abgeordneten Lieneweg gegenüber ein glattes Nein bedeutet.

Meine Herren, dass die Fortbildungsschulen von Staats wegen – und noch mehr, wenn es nach den Wünschen der großen Parteien dieses Hauses geht – nicht den Interessen des Handwerks allein und nicht den Interessen der Arbeiterklasse dienen sollen, sondern dass sie zu ganz anderen Zwecken dienstbar gemacht werden sollen, darüber bedarf es wahrhaftig nicht vieler Worte. Die Debatten im vorigen Jahre haben darüber volle Klarheit geschaffen.

Die Sache liegt doch ganz einfach so: Sie haben das Bedürfnis, über die Zeit der Schulpflicht hinaus, wie sie bisher im Gesetz vorgesehen ist, die Jugend noch unter Ihrem geistigen Einfluss zu behalten, um sie nach Möglichkeit festzuhalten in derjenigen Gesinnung, die Sie für die nützliche und notwendige in Ihrem eigenen Interesse halten, und so bemühen Sie sich denn nun, in den Fortbildungsschulunterricht alle möglichen Dinge hineinzubringen, die gar nicht hineingehören. Nach unserem Allgemeinen Landrecht, das doch von Leuten gegeben worden ist, die auch etwas von Religion gehalten haben, allerdings vielleicht in einem besseren Sinne als diejenigen, die heute das Wort Religion unnütz im Munde führen („Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten.), ist als Unterscheidungsjahr das 14. Lebensjahr festgesetzt worden. Wenn nunmehr der Jugend der Religionsunterricht über das 14. Lebensjahr hinaus aufgezwungen werden soll, so widerspricht das einer ganz grundlegenden Auffassung, die in dem Allgemeinen Landrecht niedergelegt ist und die zu den altpreußischen Traditionen gehört. Ich möchte die Herren, die sonst die altpreußischen Traditionen so hochhalten, ersuchen, hier eine Lanze zu brechen für eine altpreußische Tradition.

Hier handelt es sich aber um andere Dinge. Sie sehen, wie die Masse des Volkes Ihnen entgleitet, und denken im Religionsunterricht das beste Mittel gefunden zu haben, um die Masse des Volkes wiederum zu verdummen, sie für sich einzufangen und gewissermaßen in einen geistigen Kerker zu sperren. Während die Fortbildungsschule ihrem Wesen nach dazu dienen sollte, das Volk zu kräftigen und selbständig zu machen, damit es den Kampf um eine höhere Kultur, um eine Besserstellung in der ganzen Existenz um so kräftiger führen könne, wünscht die Mehrheit dieses Hauses die Fortbildungsschule zu etwas ganz anderem zu gestalten („Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten.), zu einem Mittel, um die Bevölkerung in ihrer Selbständigkeit und ihrer Kraft, sich aus der sozialen Misere heraus zu helfen, geradezu zu schwächen. Diesem Zwecke soll vor allem der Religionsunterricht: dienen.

Dass das in der Tat die Absicht, ist, dafür ist ja die Rede des Abgeordneten Glattfelter der beste Beweis. („Sehr wahr!" bei den Sozialdemokraten.) Wenn der Abgeordnete Glattfelter gesagt hat, den Mittelpunkt der ganzen Bildung müsse die Religion abgeben, weil sie gerade die stärksten Motive zu sittlich gutem Handeln gebe, so ist das einfach ganz und gar verkehrt. (Zurufe im Zentrum.) Es ist gar keine Rede davon! Um alles in der Welt, wollen Sie sich denn wirklich anheischig machen, alle die großen Atheisten und auch die kleinen Atheisten, die ihre Pflicht und Schuldigkeit in unserem Staatswesen tun, als sittlich minderwertig zu betrachten? Das ist ja doch ein vollkommen – wie soll ich sagen – einseitig kirchlich beschränkter Standpunkt, den Sie in dieser Sache einnehmen.

Wie wenig Sie recht haben, das beweisen ja gerade die Ziffern unserer Kriminalität. („Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten.) Ich habe Ihnen im vergangenen Jahre dargelegt, wie es mit der Kriminalität innerhalb der katholischen Bevölkerung aussieht. Die Kriminalität in der katholischen Bevölkerung ist größer als die in der evangelischen, und angeblich will doch die katholische Kirche ein besonderes Amulett, möchte ich sagen, gegen sittlich schlechtes Handeln haben. Ich habe mir vor wenigen Tagen gestattet, Ihnen die statistischen Zahlen vorzutragen. Ich habe am vorigen Sonnabend berichtet, wie in der Zeit vom Jahre 1905 bis 1908 sich die Kriminalität in der evangelischen Bevölkerung nur um 4,12 Prozent gesteigert hat, in der katholischen dagegen um 9,9 Prozent, also um mehr als das Doppelte, in der jüdischen Bevölkerung nur um 1,5 Prozent. Selbst die verschiedenartige Vermehrung der Bevölkerung bei den verschiedenen Konfessionen in Rücksicht gezogen, ergibt ganz offenbar die Tatsache, dass in der katholischen Bevölkerung die Kriminalität nicht nur an und für sich höher ist als in der sonstigen Bevölkerung, sondern dass sie auch unter gewissen Verhältnissen rascher wächst als in der übrigen Bevölkerung. Woraus erklärt sich das? Das erklärt sich daraus, dass das Verbrechen eine soziale Krankheitserscheinung ist. Ja, erkennen die Herren vom Zentrum das an? Und wenn Sie sehen, wie geradezu mechanisch, durch die soziale Lage der Bevölkerung bestimmt, sich gewisse Durchschnittszahlen für die Kriminalität ergeben, wie ein direktes, nachweisbares Verhältnis besteht zwischen sozialer Position und Kriminalität, zwischen Verschlechterung der sozialen Position und Anwachsen der Kriminalitätszahlen, dann werden Sie nicht in der Lage sein zu behaupten, dass die Religion ein Amulett sei oder im großen Durchschnitt in irgendeiner Weise nennenswert einwirke auf die Kriminalität…

Ja, meine Herren, da sitzt der Schuldige, der Abgeordnete Glattfelter, und Sie alle zusammen sind die Schuldigen insofern, als Sie durch Ihr Verhalten bei der Fortbildungsschulvorlage im vorigen Jahre es für gut befunden haben, die religiöse Frage in den Vordergrund zu stellen, weil Sie sich bemüht haben, die Religion auszunutzen als ein Machtmittel der herrschenden Klassen im Kampfe gegen die unteren Schichten der Bevölkerung.

Missbrauch der Religion für Ihre politischen und wirtschaftlichen Klasseninteressen, das ist die Signatur der ganzen Verhandlungen über den Fortbildungsschulunterricht im vergangenen Jahre. Im Übrigen möchte ich Herrn Dr. Glattfelter bitten, sich einmal den schönen Prozess in Czenstochau anzusehen, wie da diese sehr frommen – (Glocke des Präsidenten.)

Vizepräsident Dr. Krause-Königsberg: Herr Abgeordneter Liebknecht, das schweift zu weit ab; es ist auch nicht durch die Reden der vorhergehenden Herren begründet. (Abgeordneter Hoffmann: „Na, na!")

Liebknecht: Im vergangenen Jahre war von den Mehrheitsparteien geplant, dem Handelsminister die Fortbildungsschulen nicht mehr allein zu überlassen, sondern den Kultusminister mit an ihrer Verwaltung zu beteiligen. Es liegt auf der Hand, dass das nichts anderes bezweckte, als den Handelsminister unter eine gelinde Kuratel des Kultusministers zu stellen, weil Ihnen der Kultusminister mehr ad nutum ist und angenehmer als der Handelsminister.

Wenn der Herr Handelsminister heute gemeint hat, es sei nicht am Platze, über diese Frage heute weiter eingehender zu diskutieren, weil das ja im vergangenen Jahre geschehen sei, und dass es nicht angebracht sei, Erziehungsfragen alle Jahre zum Gegenstand der politischen Erörterungen im Hause zu machen, so kann ich darauf nur erwidern, dass wir alle Veranlassung nehmen werden, diese Frage immer wieder und wieder aufzuwerfen, bis endlich das Gesetz über den obligatorischen Fortbildungsschulunterricht vorgelegt sein wird. Wir haben die verdammte Pflicht und Schuldigkeit, dafür zu sorgen, dass die Staatsregierung an ihre Pflicht erinnert wird. Wir haben gar keinen Grund, auf das Wohlbefinden der großen Parteien des Hauses Rücksicht zu nehmen und auf ihren Wunsch, über dieses sehr betrübsame und wenig rühmliche Kapitel ihrer vorjährigen Landtagstätigkeit stillschweigend hinwegzugehen.

Der Herr Minister hat sich weiter dahin geäußert, dass eine neue Vorlage sich schon um deswillen erübrigt habe, weil inzwischen die Reichsgesetzgebung in der Hauptsache das Nötige getan habe. Darauf möchte ich doch erwidern, dass das niemals das Gewissen des Herrn Ministers einschläfern sollte. Was die Reichsgesetzgebung getan hat, ist nichts anderes, als dass sie die Möglichkeit gegeben hat, Fortbildungsschulpflicht im Verwaltungswege einzuführen. Erstens aber ist es nicht möglich, auch im Verwaltungswege alles das durchzuführen, was das vorjährige Gesetz gewünscht hat; darauf hat ja schon der Herr Minister selbst hingewiesen. Sodann kann es uns niemals genügen, wenn derartige Dinge im Verwaltungswege eingeführt werden. Wir wünschen eine gesetzliche Regelung und können uns niemals damit zufriedengeben, dass im Verwaltungswege irgendwelche Maßregeln ergriffen werden oder werden können.

Wenn der Herr Minister gegenüber einer Bemerkung des Herrn Abgeordneten Dr. Schepp, dass man in einigen Stadtgemeinden, auch ohne dass der obligatorische Religionsunterricht eingeführt ist, den Versuch unternommen habe, den Religionsunterricht auf allerhand Umwegen einzuführen, erklärt hat, dass er solche Umwege für unzulässig halte, so ist das zu begrüßen. Weniger ist aber zu begrüßen, wenn er nun selbst auf einen Umweg hingewiesen hat, der von den Stadtgemeinden beschritten werden kann, indem er sagte, dass die Stadtgemeinden sehr wohl Geistliche unterstützen und ihnen Zuschüsse gewähren könnten, um ihnen die Möglichkeit zu geben, religiöse Unterweisung zu erteilen – wenn auch nicht unmittelbar angegliedert an die Fortbildungsschulen. Das ist auch nichts weiter als eine Umgehung des Gesetzes, auch wenn kein unmittelbarer Zwang dahinter steht. Es wäre zu beklagen, wenn die Stadtverwaltungen die Mittel der Steuerzahler zu derartigen Zwecken verwenden würden. Hier mögen die Kirchen selbst das Erforderliche tun; das bleibt ihnen ja unbenommen. Aber aus öffentlichen Mitteln solche Aufwendungen zu machen, das würde doch sehr bedenklich erscheinen. Für besonders gefährlich halten wir freilich diese Einrichtung, wenn sie getroffen werden sollte, schon um deswillen nicht, weil wir überzeugt sind, dass der gesunde Sinn besonders der Arbeiterjugend es verhindern wird, dass sie allzu viel Schaden aus dieser Einrichtung erleiden würde.

Nun zu einem anderen Punkt, an dem mir ganz besonders gelegen ist. Wir müssen es beklagen, dass die Fortbildungsschulen vielfach in ganz ungenierter Weise zu politischen Zwecken verwendet werden. Was Sie mit den Fortbildungsschulen bezwecken, indem Sie den Religionsunterricht einführen wollen, und was im Übrigen auch heute schon durch den Lehrplan der Fortbildungsschule und die Art der Unterrichtserteilung dort nach Möglichkeit angestrebt wird, das genügt Ihnen noch nicht. Die Fortbildungsschulen sollen unmittelbar zu politischen Instrumenten gemacht werden.

Ich habe nicht nötig, auf die Verhandlungen über das Fortbildungsschulgesetz zu verweisen, die sich im vergangenen Jahre sowohl hier im Abgeordnetenhause wie auch im Herrenhause abgespielt haben. Es sind da überaus charakteristische Äußerungen gefallen, die gerade dahin gehen und die sicherlich draußen im Lande bei den Leitern der Fortbildungsschulen die Neigung verstärkt haben, die Fortbildungsschulen politisch auszunutzen zur Bekämpfung des Proletariats.

Aber, meine Herren, an etwas anderes möchte ich Sie erinnern. Immer wieder müssen wir hören, dass die Leitungen der Fortbildungsschulen die Schüler unter Androhung von Strafen zu hindern versucht haben und versuchen, an der sogenannten freien Jugendbewegung teilzunehmen, dass man ihnen verboten hat, den freien Jugendorganisationen anzugehören oder den gewerkschaftlichen Jugendabteilungen oder irgendwelchen anderen Organisationen, die oben missliebig sind, oder an Veranstaltungen der Jugendausschüsse teilzunehmen. Selbstverständlich wird da die Behauptung aufgestellt, es handle sich hier um politische Aktionen. Davon ist aber gar keine Rede, daran glauben Sie selbst nicht, dass diese Jugendbewegung politisch ist. Aber, meine Herren, wir werden ja nächstens Gelegenheit haben, wahrscheinlich am Sonnabend, uns über diese Fragen ausführlicher zu unterhalten, und da werde ich Ihnen beweisen, in welch unerhörter Weise mit zweierlei Maß gemessen wird, indem man mit aller Ruhe die offenbar politischen Jugendorganisationen, die der Regierung und den reaktionären Parteien genehm sind, duldet und fördert und ihnen nicht die geringsten Schwierigkeiten in den Weg legt und sie selbstverständlich auch von Seiten der Fortbildungsschulleitungen in keiner Weise behindert, während man in der eben von mir geschilderten Weise gegen die Jugendbewegung des Proletariats vorgeht.

Aber ganz besonders interessant ist folgendes. Die „Parole", das amtliche Organ des Deutschen Kriegerbundes, das Ihnen (nach rechts) natürlich allen sehr gut bekannt ist, hat vor allerdings jetzt schon fünf Vierteljahren – aber die Sache ist hier noch nicht zur Sprache gebracht worden – in der Nummer vom 11. September 1910 berichtet, dass die „Kyffhäuser-Korrespondenz", deren Aufgabe es ist, „das Kriegervereinswesen bekannter zu machen, seine Zwecke zu fördern und dadurch der Sozialdemokratie entgegenzuwirken", wöchentlich in 2976 Exemplaren an die Fortbildungsschulen in Stadt und Land als Hilfsmittel für den Unterricht geschickt wird.

Ich möchte den Herrn Handelsminister oder einen seiner Vertreter ersuchen, sich darüber zu erklären, ob das mit Wissen und Willen der Verwaltung geschehen ist und ob die Verwaltung eine solche Maßregel für richtig hält, ob sie gewillt ist, gegen einen solchen geradezu unerhörten, skandalösen Missbrauch der Fortbildungsschulen einzuschreiten.

Meine Herren, man muss sich, um die ganze Tragweite eines solchen Vorgehens zu verstehen, vergegenwärtigen, dass diese „Kyffhäuser-Korrespondenz" ein Hetzblatt allerniedrigsten Ranges ist gegen die Sozialdemokratie, das auf einer beinahe noch tieferen Stufe steht als die Publikationen des Reichsverbandes gegen die Sozialdemokratie. Dieses Blatt wird zu Unterrichtszwecken an die Fortbildungsschulen geschickt!

Meine Herren, was heißt Fortbildungsschulen? Schulen, in denen die Kinder der ärmeren Schichten der Bevölkerung belehrt werden, das heißt in erster Linie die Kinder des Proletariats, desselben Proletariats, das in seiner bei weitem größeren Mehrzahl zur Sozialdemokratie steht; und die Lehrer, die diese proletarische Jugend, deren Eltern zum größten Teil sozialdemokratisch gesonnen sind, zu unterweisen haben, werden durch diesen Verband mit Einwilligung – so muss man annehmen – der preußischen Verwaltung mit einem Stoff versorgt, der die Sozialdemokratie in der hanebüchensten und verlogensten Weise herunterreißt zu dem ausgeprägten Zwecke, die Lehrer dadurch gegen die Sozialdemokratie scharf zu machen, um sie so zu veranlassen, ihren Unterricht in einer Weise zu erteilen, dass er die Jugend nach Möglichkeit der Sozialdemokratie abwendig machen soll. Meine Herren, es ist das, wie ich mich bereits ausgedrückt habe, ein skandalöser, politischer Missbrauch der Fortbildungsschulen. („Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten.) Ich bin überzeugt, die Regierung könnte es nie und nimmer rechtfertigen, auch bei der größten „Weitherzigkeit", wenn sie dazu irgendwie ihre Hand geboten hätte. Meine Herren, das gibt uns Veranlassung, diese Vorgänge zu brandmarken und Aufklärung darüber zu fordern, inwieweit die Zentralverwaltung daran irgendwie mitschuldig ist.

Im Übrigen will ich auch ohne weiteres bekennen, dass wir keineswegs vor einem derartigen Vorgehen Angst haben. („Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten.) Dass mit solchen unsäglich plumpen Mitteln die proletarische Jugend ihrer Klasse, ihren Eltern abspenstig gemacht werden könnte, dazu ist sie viel zu gesund, dazu ist bei ihr das Klassenbewusstsein infolge unserer heutigen Gesellschaftsordnung und infolge der Methode, mit der wir in Preußen regiert werden, allzu gut fundiert; darüber brauche ich nicht viele Worte zu verlieren.

Also, wir haben ein gutes Recht, dagegen energisch zu protestieren, dass die Fortbildungsschulen in dieser durchaus ungehörigen Weise im Interesse der herrschenden Klassen missbraucht werden zum Zwecke der politischen Propaganda gegen die Interessen des Proletariats, für das die Fortbildungsschulen mit in erster Linie dienen sollten. Die herrschenden Klassen beweisen damit nur aufs Neue, dass sie, selbst wenn sie irgendeine Einrichtung treffen, die auch den Interessen des Volkes nützlich sein könnte, sofort allerhand Maßregeln ergreifen, um diese Einrichtung so zu gestalten, dass sie das in Preußen übliche bösartige, reaktionäre Gesicht bekommt.

Meine Herren, wir haben ein Recht, hier Aufklärung zu fordern und haben ein Recht zu fordern, dass die Staatsregierung, für den Fall, dass sie bisher nichts von derartigen Missbräuchen in den Fortbildungsschulen gewusst hat, sofort eingreift und mit eisernem Besen ausfegt, was an derartigen Missständen vorhanden ist. Wir haben weiterhin ein Recht, falls die Staatsregierung bereits mitschuldig sein sollte an solchen Aktionen, ihr die schwersten Vorwürfe zu machen, dass sie gegen diejenigen Interessen, die sie gerade im Fortbildungsschulwesen zu vertreten alle Veranlassung hätte, in gröblichster Weise verstoßen hat.

Meine Herren, wir müssen dafür sorgen, dass die Fortbildungsschulen, die in anderen Teilen Deutschlands eine sehr ersprießliche Entwicklung genommen haben und von denen man in anderen Teilen Deutschlands nichts von derartigen Missbräuchen hört, in Preußen nicht wiederum den anderen Bundesstaaten gegenüber in einem besonders ungünstigen Lichte erscheinen. Sie hätten ein besonderes Interesse daran, glaube ich, sich alle Mühe zu geben, dafür zu sorgen, dass es hier nicht wieder wie in sehr vielen anderen Fällen heißt: Preußen in Deutschland zurück! – aber nicht voran.1 (Lebhafter Beifall bei den Sozialdemokraten.)

II

Persönliche Bemerkung

Liebknecht: Was der Abgeordnete Lieneweg gesagt hat, ist ja eine Bestätigung dessen, was ich gesagt habe. („Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten.) Ich habe gesagt, dass er wünsche, dass die Fortbildungsschulstunden verschoben werden sollen aus der Arbeitszeit hinaus hinter die Arbeitszeit, und das hat er auch in durchaus deutlicher Weise zum Ausdruck gebracht. Im Übrigen hat er so viele reaktionäre Sachen zusammen geredet, dass ich noch viel mehr hätte sagen können. (Glocke des Präsidenten.)

Vizepräsident Dr. Krause-Königsberg: Das ist nicht mehr persönlich.

Liebknecht: Weiter konstatiere ich, dass die Herren vom Zentrum in ausführlicher Weise dreimal zu Worte gekommen sind, dass sie uns geradezu überfallen haben („Oho!" im Zentrum.), überfallen haben mit einem Material – (Glocke des Präsidenten.)

Vizepräsident: Herr Abgeordneter Dr. Liebknecht, das ist keine persönliche Bemerkung. (Abgeordneter Borchardt, Berlin: „Na, wenn wir überfallen werden?!") Ich muss mir eine Kritik meiner Geschäftsführung verbitten.

Liebknecht: Es ist von den Rednern des Zentrums gegen mich und meine Ausführungen eine ganze Menge Material geschleudert worden, auf das wir selbstverständlich in keiner Weise vorbereitet sein konnten. Ich wäre ungemein gern in der Lage gewesen, mich dazu noch zu äußern. (Glocke des Präsidenten.)

Vizepräsident: Herr Abgeordneter Liebknecht, Sie wissen doch die Bedeutung der persönlichen Bemerkung: Sie können richtigstellen. (Zuruf des Abgeordneten Dr. Liebknecht.) Sie haben das Wort zur persönlichen Bemerkung. Wenn Sie jetzt zur Geschäftsordnung das Wort haben wollen, erteile ich es Ihnen, bemerke aber, dass Sie sachliche Ausführungen nicht machen können.

Liebknecht: Ich bin dadurch, dass Sie den Schluss angenommen haben, verhindert worden, mich noch einmal auszulassen. (Große Heiterkeit.) Es haben drei Herren vom Zentrum – (Erneute Heiterkeit.) Gott, Sie sind ungemein geistreich, das ist die geistige Höhe des Kuh- und Pferdestalls. („Sehr gut!" bei den Sozialdemokraten.)

Mein Freund Hirsch hatte natürlich nicht die Möglichkeit, sich auf dieses Material, das Herr Gronowski vorgebracht hat, so plötzlich vorzubereiten. Sie hätten uns die Möglichkeit geben müssen, uns darüber noch auszulassen. Inzwischen hätten wir die Zeit gehabt, uns zu präparieren. Aber sobald die Herren sich überzeugt hatten, dass wir uns inzwischen über den Inhalt des Gedichtheftes orientiert hatten, haben sie uns schleunigst abgeschnitten. Sie wussten genau – (Glocke des Präsidenten.)

Vizepräsident: Herr Abgeordneter Liebknecht, Sie haben jetzt festgestellt, dass Sie bedauern, nicht weiter zum Wort gekommen zu sein. Das ist die übliche Bemerkung zur Geschäftsordnung. Weitere Bemerkungen dürfen Sie nicht machen, sondern müssen den Beschluss des Hauses respektieren.

Liebknecht: Ich bedaure, dass ich nicht imstande bin nachzuweisen, dass die Ausführungen des Abgeordneten Gronowski gröbste Unwahrhaftigkeiten waren. („Huhu!" im Zentrum.)

III

Es muss mir möglich sein, mich jetzt auf die verschiedenen Angriffe zu äußern, die soeben gegen uns gerichtet worden sind. Es ist behauptet worden, dass das Handelsministerium mit gutem Fug und Recht seine Einwilligung dazu gebe, dass die„Kyffhäuser-Korrespondenz", dieses Schimpf – und Hetzblatt – (Glocke des Präsidenten.)

Präsident Dr. Freiherr von Erffa: Herr Abgeordneter Liebknecht, es handelt sich nur um die Fortbildungsschulen in den Provinzen Westpreußen und Posen. Ich muss Sie bitten, sich auf diese zu beschränken und nicht auf die allgemeine Debatte zurückzugreifen.

Liebknecht: Also, es ist behauptet worden, der Herr Minister habe ein gutes Recht, es zu dulden und zu unterstützen, dass die „Kyffhäuser-Korrespondenz" gegen die Sozialdemokratie den Fortbildungsschulen auch für die Provinzen Westpreußen und Posen geliefert werde. („Sehr gut!" bei den Sozialdemokraten.) Zur Begründung dessen ist hingewiesen auf die angeblich verderbliche Einwirkung der Sozialdemokratie auf die Jugend, und es ist das gewissermaßen als ein Gegengift bezeichnet worden, das der Jugend gegeben werden müsse.

Zunächst muss daran festgehalten werden, dass sich in dieser „Kyffhäuser-Korrespondenz" die unglaublichsten, sinnlosesten Schimpfereien über die Sozialdemokratie finden. Wenn der Herr Minister gemeint hat, dass diese „Kyffhäuser-Korrespondenz" – (Glocke des Präsidenten.)

Präsident: Herr Abgeordneter Liebknecht, ich habe Sie bereits einmal darauf aufmerksam gemacht, dass wir uns bei den Fortbildungsschulen für Westpreußen und Posen befinden; mit denen hat die „Kyffhäuser-Korrespondenz" nichts zu tun. Ich bitte Sie, jetzt bei der Sache zu bleiben.

Liebknecht: Also, meine Herren, ich glaube, an den Herrn Handelsminister appellieren zu können zum Beweis dafür, dass diese „Kyffhäuser-Korrespondenz" auch an die Fortbildungsschulen für Westpreußen und Posen geliefert wird. (Abgeordneter Hoffmann: „Sehr gut!") In dem Augenblick, wo das unzweifelhaft ist, habe ich selbstverständlich ein gutes Recht, mich zu diesem Titel über diese Maßnahmen des Herrn Handelsministers auszulassen. („Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten.) Ich kann nicht begreifen, wie Sie es mit dem bekannten Wort noblesse oblige vereinbaren wollen, dass Sie, die Sie hier in dem Hause die Macht haben, jetzt, nachdem wir in der unerhörtesten Weise angegriffen worden sind, so rücksichtslos von Ihrer Macht Gebrauch machen, um uns mundtot zu machen. Es ist das nur ein Beweis, welch böses Gewissen Sie haben. (Unruhe rechts und im Zentrum. Glocke des Präsidenten.)

Präsident: Herr Abgeordneter Dr. Liebknecht, ich bitte Sie, nachdem die Mehrheit des Hauses beschlossen hat, den Schlussantrag anzunehmen, in keine Kritik des Hauses und der Mehrheit einzutreten. Im Übrigen rufe ich Sie zur Sache.

Liebknecht: Meine Herren, von dieser „Kyffhäuser-Korrespondenz" für Westpreußen und Posen – ich rede nur von Westpreußen und Posen und bitte, mir nicht zu imputieren, dass ich von irgendeiner anderen Provinz sprechen möchte; alles, was ich sage, bezieht sich nur auf Westpreußen und Posen – von der „Kyffhäuser-Korrespondenz, die ein infames Schimpf- und Hetzblatt ist und durchaus nicht dazu beiträgt, irgendwie eine Belehrung über das Wesen der Sozialdemokratie zu verbreiten, hat der Herr Minister vorhin mit Bezug auf andere Provinzen gemeint – ich spreche nur von Westpreußen und Posen im Augenblick, sie lautet aber in Westpreußen und Posen geradeso wie in anderen Provinzen –, sie solle diejenige Kost darstellen, die geeignet ist, die erforderliche Staats-treue Gesinnung zu verbreiten. Ja, meine Herren, wenn die „Kyffhäuser-Korrespondenz" das Ideal des Herrn Handelsministers ist, dann muss man in der Tat auf das Lebhafteste bedauern, dass ein höheres Ideal im Handelsministerium bisher noch keinen Einzug gefunden hat. („Sehr gut!" bei den Sozialdemokraten.)

Was die Argumentation des Herrn Abgeordneten Gronowski anbetrifft, wonach die Sozialdemokratie sich als eine Partei gezeigt habe, die auch für die Provinzen Westpreußen und Posen durchaus nicht günstig auf die Jugend des Proletariats einwirke, so meine ich zunächst einmal, dass durch die „Kyffhäuser-Korrespondenz" nur verrohend gewirkt werden kann („Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten.), nicht aber in irgendeiner Weise sittlichend.

Im Übrigen möchte ich aber auf ein grobes Missverständnis hinweisen, das bei dieser Art der Kritik der sozialdemokratischen Bildungsbestrebungen auch für die Provinzen Westpreußen und Posen unterlaufen ist. Die Sache liegt doch so. Es handelt sich hier um eine Schrift, die keineswegs etwa von einem Jugendausschuss herausgegeben ist, sondern von einem der in erster Linie den Erwachsenen dienenden Bildungsausschüsse. Diese ganze Schrift charakterisiert sich als eine scharfe politische Satire schon durch den Titel „Abrechnung" und den Untertitel „Politische Versfußtritte". („Hört! Hört!" bei den Sozialdemokraten.) Als ein Beweis dafür, dass hier durchaus nicht ernste Dinge in ernster Weise, sondern mit den drastischen Mitteln der Satire, des derben Spottes erörtert werden sollen, und wie diese satirische Tendenz durchgeführt worden ist, möge der erste Vers eines Gedichtes dienen. Da heißt es:

Deutscher Rat

Die Sozis sind so arrogant, Sie schimpfen auf das Vaterland. Altar und Thron bespeien, Tut sie besonders freuen.

So werden in diesem Buch die Sozialdemokraten selbst ironisch und satirisch behandelt. Das hat Herr Abgeordneter Gronowski gelesen. (Glocke des Präsidenten.)

Präsident: Herr Abgeordneter Liebknecht, diese Broschüre hat doch aber mit den Fortbildungsschulen in Westpreußen und Posen absolut nichts zu tun. (Widerspruch bei den Sozialdemokraten. Zurufe.) Ich spreche jetzt mit dem Herrn Abgeordneten Liebknecht. Also, ich bitte, dass Sie diese Broschüre, die ja im Allgemeinen bei den Fortbildungsschulen besprochen werden kann, aber jedenfalls nicht bei denen in Westpreußen und Posen verbreitet ist, jetzt verlassen.

Liebknecht: Es ist mir natürlich ungemein schwer einzusehen, weshalb für Westpreußen und Posen nicht dieselben sozialdemokratischen Bildungsbestrebungen in derselben Weise erörtert werden dürfen wie bei den anderen Provinzen. Es fällt mir ungemein schwer, mich damit abzufinden, dass die Angriffe, die vom Zentrum gegen uns ausgegangen sind und die beim vorigen Titel als zur Sache gehörig betrachtet worden sind, plötzlich hier, wo ganz genau dieselbe Materie zur Erörterung steht, bloß ein paar andere Provinzen – dass da nun plötzlich die Zuständigkeit fehlen soll. Meine Herren, es ist ja doch dieselbe Sozialdemokratie in Westpreußen und in Posen, und es ist dasselbe Zentrum über ganz Deutschland hinaus, und es ist auch diese Broschüre eine Broschüre, die im deutschen Buchhandel erschienen ist, und die Fortbildungsschulen sind ja in ihrem Wesen auch in diesen Provinzen dieselben wie anderwärts. Ich kann also nicht ohne weiteres einsehen, inwieweit das, was zu den anderen Fortbildungsschulen gepasst hat, nicht hierher passen soll.

Im Übrigen, meine Herren, dieses Gedicht, von dem Herr Abgeordneter Gronowski noch sprach und das Ihre Entrüstung hervorrief, weil er einzelne Abschnitte daraus vortrug, ohne den Zusammenhang herzustellen, dieses Gedicht soll – in einer allerdings vielleicht etwas plumpen und überderben satirischen Form – die Argumente behandeln, mit denen man auf der Rechten gegen die Erbschaftssteuer gearbeitet hat. („Sehr wahr!" bei den Sozialdemokraten. Unruhe rechts.) Es wird das Schicksal eines Rittergutsbesitzers darin geschildert, der, Ihren schwarzen Prophezeiungen entsprechend, durch die Erbschaftssteuer an den Rand des Abgrundes gebracht worden ist, und da wird in drastischer Form, in der bekannten Bänkelsänger- und Moritatenweise dieses Geschick erörtert. (Glocke des Präsidenten.)

Präsident: Ich mache Sie darauf aufmerksam, dass auch die Erbschaftssteuer mit den Fortbildungsschulen von Westpreußen und Posen absolut nicht im Zusammenhang steht. (Heiterkeit links.)

Liebknecht: Meine Herren, wenn ich nun noch zu sprechen komme auf die Religion in den Fortbildungsschulen von Westpreußen und Posen, so möchte ich darauf hinweisen, dass der Herrgott, von dem hierbei immer die Rede ist und der angeblich besonders geeignet sein soll, durch sein Gebot sittlichend auf die Jugend zu wirken – (Stürmische Pfuirufe rechts und im Zentrum. Glocke des Präsidenten.)

Präsident: Herr Abgeordneter Dr. Liebknecht, ich rufe Sie für diese Beleidigung der meisten Mitglieder des Hauses zur Ordnung.

Liebknecht: Meine Herren, ich habe gesagt, dass derjenige Herrgott in Ihrem Sinne, der nach Ihrer Auffassung diese Einwirkung auszuüben imstande sein soll, derselbe Herrgott ist, zu dem jüngst in der „Kreuz-Zeitung" von einem preußischen Regierungsrat gebetet wurde: Herr, gib uns wieder Krieg! („Hört! Hört!" bei den Sozialdemokraten.) und derselbe Gott, in dessen Namen jetzt auch der Krieg gegen Tripolis, der Überfall Italiens gegen Tripolis ausgeführt worden ist. („Pfui!" bei den Sozialdemokraten.)

Meine Herren, ich wende mich dagegen, dass Sie einen solchen Gottesbegriff, wie Sie ihn hier auf den Markt tragen und in die Politik hineinbringen, zur Diskreditierung der ernsten, wirklichen Religiosität benutzen. („Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten. Große Unruhe im Zentrum und rechts.) Ich gebe mir Mühe, den Gottesbegriff zu reinigen von diesem Schmutz, zu reinigen von diesen Schlacken, zu reinigen von dieser missbräuchlichen Benutzung, von diesem ewigen Unnützlich-im-Munde-führen des Gottesnamens („Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten.), das wir in diesem Hohen Hause immer hören müssen und auch von Seiten des Zentrums immer und immer wieder hören müssen. (Abgeordneter Brust: „Sie glauben ja an keinen Gott, darum halten Sie doch den Mund!" Zurufe bei den Sozialdemokraten.) Was ich glaube, werde ich Ihnen nicht sagen. Ich würde es für eine Blasphemie halten, das in diesem Hohen Hause zu sagen, nachdem solche Blasphemien begangen worden sind durch die früheren Ausführungen, durch die fortwährenden Missbräuche des Namens Gottes, die wir in den letzten Stunden hier in diesem Hohen Hause gehört haben.

Meine Herren, im Übrigen haben wir, wie mir scheint, gar keine Veranlassung, uns besonders zu verteidigen gegenüber den Angriffen, dass wir eine Verrohung der Jugend herbeizuführen uns bemühten. Die Verrohung der Jugend, die sich zum Teil in den Kriminalitätszahlen ausdrückt, ist hervorgerufen durch diejenige Staats- und Gesellschaftsordnung, deren Vertreter und Repräsentanten Sie sind („Sehr wahr!" bei den Sozialdemokraten.); und, meine Herren, ich habe Ihnen neulich bei Gelegenheit des Justizetats im Einzelnen nachgewiesen, wie diese Kriminalität sich erklärt, wo ihre Wurzeln liegen. Meine Herren, Sie sollten wahrhaftig ruhig sein, die Sie zu einem guten Teil Ihren Unterhalt schöpfen aus dem Alkoholismus der Bevölkerung, aus der Verteuerung der Nahrungsmittel. (Unruhe. Glocke des Präsidenten.)

Präsident: Herr Abgeordneter Liebknecht, ich rufe Sie zum zweiten Male zur Sache und mache Sie auf die Folge eines dritten Rufes zur Sache, die im Paragraph 48 der Geschäftsordnung vorgesehen ist, aufmerksam.

Liebknecht: Meine Herren, ich spreche von den Fortbildungsschulen in den Provinzen Westpreußen und Posen (Unruhe.) und gestatte mir nur noch eine Bemerkung.

Wenn der Herr Handelsminister in der Tat seine Genehmigung dazu gegeben hat, dass diese Kriegervereins-Korrespondenz, die „Kyffhäuser-Korrespondenz", dieses Schandblatt an die Fortbildungsschulen geliefert werde in den Provinzen Westpreußen und Posen – so ist damit allerdings bewiesen, was ich nicht gern geglaubt hätte, ich hätte vom Herrn Handelsminister etwas Besseres erwartet –, dann ist damit bewiesen, dass ein geradezu unerhörter und schnöder Missbrauch unserer Fortbildungsschulen bedauerlicherweise die Billigung unseres Herrn Handelsministers gefunden hat und dass deshalb die ganze Verantwortung dafür auf ihn und auf die Königliche Staatsregierung zurückfällt. („Bravo!" bei den Sozialdemokraten. Zischen rechts.)

1 Unmittelbar nach der Rede Karl Liebknechts gab der preußische Minister für Handel und Gewerbe, Dr. Sydow, zu, dass die „Kyffhäuser-Korrespondenz" mit seiner Zustimmung in größerem Maße an Fach- und Fortbildungsschulen versandt werde. Sie entspräche durchaus den Anforderungen an eine „gesunde vaterländische Erziehung".

Von den weiteren Rednern ging der Zentrumsabgeordnete Gronowski besonders verleumderisch gegen Karl Liebknecht und die Sozialdemokratie vor. Karl Liebknecht konnte nicht erwidern, weil die Besprechung geschlossen wurde, und kam deshalb am 26. März 1912 nochmals auf diesen Gegenstand zurück.

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