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Grigori Sinowjew 19190615 Boykott der gelben Internationale

Grigori Sinowjew: Boykott der gelben Internationale

An die Arbeiter aller Länder.

[[Manifest, Richtlinien, Beschlüsse des Ersten Kongresses. Aufrufe und offene Schreiben des Exekutivkomitees bis zum Zweiten Kongress. Hamburg 1920, S. 119-123]

Am 1. August soll in Luzern der Kongress der Zweiten „Internationale“ stattfinden. Die Sozialverräter aller Länder versuchen, anlässlich dieses Kongresses viel Staub aufzuwirbeln.

Man will dem Kongress den Anschein eines großen Festtages der Arbeiter geben. Die Regisseure der bevorstehenden Luzerner Komödie sind bestrebt, ihren Kongress mit gleichem Pomp zu begehen, wie die französischen Imperialisten in Paris die Feier ihres „Sieges“ über das deutsche Volk und die Bevölkerung ihres eigenen Landes.

Die Bourgeoisie und ihre Agenten möchten die Arbeiterklasse nicht nur besiegen, sondern sich auch über dieselbe lustig machen. Und der Versuch, den Luzerner Kongress für ein Wiederaufleben der Arbeiterinternationale auszugeben, ist geradezu ein Versuch, die Arbeiter zu verhöhnen.

In der Tat, von wem wird dieser Kongress einberufen? Von jenen Parteien, von jenen Männern, die seit den ersten Tagen des Krieges 1914 sich ganz „ihren“ imperialistischen Regierungen zur Verfügung stellten. Von denselben Scheidemann und Renaudel, Vandervelde, Huysmans, Hyndman und Henderson, die während vier Jahren über „Krieg bis zum siegreichen Ende“, über „Vaterlandsverteidigung“ geredet haben, von denen die einen den General Hindenburg, die anderen Marschall Foch segneten, die der Bourgeoisie halfen, die Blüte der Arbeiterklasse auszurotten! Diese Männer wollen nun die Arbeiterinternationale wieder aufrichten! …

Sie alle sind gleichwertige Verbrecher in den Augen der Arbeiter aller Länder. Sie sind durch gegenseitige Bürgschaft verbunden, alle diese Scheidemann und Renaudel. Sie müssen einander gegenseitig rehabilitieren, sie müssen der Sache einen solchen Anschein geben, als ob im Lauf der 4½ Kriegsjahre in der Internationale nichts Besonderes vorgefallen sei. Vom Standpunkt dieser Herren hat der Sozialismus keine Krise erlebt und erlebt auch jetzt keine solche. Es gab nur unbedeutende „Missverständnisse“, die jedoch Millionen von Arbeitern das Leben kosteten. Jetzt, da die Herren sich versöhnt haben, da der Versailler Friede unterzeichnet ist, können auch die Diener sich versöhnen. Die weitsichtigsten der Sozialverräter prophezeihten bereits 1915, dass der Augenblick eintreten werde, wo die deutschen Sozialchauvinisten den französischen Sozialchauvinisten Amnestie erteilen würden, und umgekehrt. Karl Kautsky entwickelte schon 1915 eine ganze Theorie der gegenseitigen Amnestie. Und jetzt ist dieser langersehnte Augenblick für die Priester der bankrotten Zweiten Internationale eingetreten. In Luzern beabsichtigen diese Herren einander die Sünden zu vergeben, allgemeine Amnestie zu proklamieren, die Hände in ihrer eigenen Unschuld zu waschen und den Arbeitern aller Länder Sand in die Augen zu streuen, dass die Zweite Internationale wieder hergestellt sei.

Wer fährt nach Luzern? Welche Parteien werden dort vertreten sein? In den Kreisen der Organisatoren des Luzerner Kongresses wird für selbstverständlich gehalten, dass die offizielle deutsche Sozialdemokratie auf diesem Kongress ein gern gesehener Gast sein soll. Können aber die Arbeiter aller Länder je vergessen, dass gerade diese offizielle deutsche Sozialdemokratie die Mörder Karl Liebknechts und Rosa Luxemburgs inspirierte?

Ebenso gern gesehene Gäste werden in Luzern die Parteien der englischen und französischen Sozialchauvinisten sein. Können aber die Arbeiter je vergessen, dass diese Herren Thomas und Vandervelde während des ganzen Krieges den Königen und Bankiers als Laufburschen dienten, und dass diese Herren auch jetzt zweifellos Agenten der Imperialisten sind?

Die Richtlinien des Luzerner Kongresses wurden in ihren Grundzügen bereits auf der Berner Konferenz zu Anfang dieses Jahres angedeutet. Die Sozialverräter billigten vollkommen die Idee des berüchtigten „Völkerbundes", welcher jetzt vor den Augen der Arbeiter aller Länder als Räuberbund und Verband der Völkerwürger dasteht. Die jetzigen Organisatoren des Luzerner Kongresses sind im Auftrag der Berner Konferenz vor Clemenceau, Pichon, Lloyd George und Wilson als Fürsprecher aufgetreten, um dieselben zu bereden, den berühmten Völkerbund zu „demokratisieren". Es versteht sich, dass man diese Possenreißer nur auslachte, sie nicht weiter als ins Vorzimmer ließ und sie zur Fortsetzung der einzigen „Arbeit" entsandte, zu welcher sie fähig sind – an das Werk des Einfangens der Proletarier aller Länder in das Netz der Bourgeoisie.

Die proletarische Revolution wächst nicht nur täglich, sondern stündlich in allen Ländern Europas und Amerikas. Was tun jedoch gegenwärtig die offiziellen sozialdemokratischen Parteien, die jetzt ihren Kongress in Luzern einberufen? Diese offiziellen, gänzlich wurzelfaulen Parteien würgen aus allen Kräften die Arbeiterbewegung. In Frankreich, in Deutschland, in Österreich, in England – überall und allenthalben tritt die alte Kronsozialdemokratie als Würgerin der Eisenbahnerausstände, der Streiks und Aufstände aller anderen Arbeiterkategorien auf.

Die imperialistischen Regierungen der Ententeländer haben einen Kreuzzug gegen die russischen und ungarischen Proletarier eröffnet, welche in ihren Ländern die Macht an sich gerissen haben. Die ehrlichen Arbeiter in den Ententeländern äußern ihre größte Empörung anlässlich dieses Feldzugs und sind bereit, mit bewaffneter Hand gegen ihre Regierungen aufzutreten. Welche Rolle spie en jedoch die offiziellen Sozialverräter in dieser Angelegenheit? Die Sozialchauvinisten Deutschlands sowie Frankreichs, Österreichs und auch Englands, bestreben sich, den Protest der Arbeiter abzuschwächen. Sie helfen durch die Tat Koltschak, den rumänischen Bojaren und allen anderen Würgern der ungarischen und russischen Revolution.

Die Zweite Internationale starb am 4. August 1914, in dem Augenblick, als die deutschen und französischen sozialdemokratischen Parteien für die Kriegskredite stimmten und auf die Seite ihrer Regierungen übergingen. Niemand vermag die Zweite Internationale vom Tode zu erwecken. Eine „verwesende Leiche“ nannte Rosa Luxemburg bereits 1915 die offizielle deutsche Sozialdemokratie. Zu einer solchen verwesenden Leiche ist nun die ganze Zweite Internationale geworden, zu einer Leiche, die man baldmöglichst in die Erde verscharren sollte, damit sie nicht die sie umgebende Atmosphäre verpestet.

Auf den Trümmern der Zweiten Internationale entstand eine neue Internationale Arbeitergenossenschaft: die Dritte, Kommunistische Internationale. Alles, was es Ehrliches, Standhaftes, Kampffähiges in der Arbeiterklasse gibt – alles das schließt sich den Reihen der Dritten Internationale an. Etwa 20 kommunistische Parteien nahmen an dem konstituierenden Kongress der Dritten, Kommunistischen Internationale teil. Seitdem die Dritte Internationale in Moskau gegründet wurde, sind erst vier Monate verflossen. Im Lauf dieser vier Monate haben sich der Dritten Internationale viele neue Parteien angeschlossen: die italienische Arbeiterpartei, die serbischen revolutionären Sozialdemokraten, die schwedischen und norwegischen Genossen, die bulgarischen Arbeiter, der linke Flügel der amerikanischen Partei und viele andere Arbeiterorganisationen Europas und Amerikas. Der Kampf entbrennt in der ganzen Welt. Die großartigen Streiks, die Italien erschüttern, dienen als Bürgschaft, dass der Augenblick der Befreiung des italienischen Proletariats nicht fern ist. Der politische Streik, der unter der Parole des Protests gegen die Einmischung in die russischen und ungarischen Angelegenheiten in den Ländern der Verbündeten am 21. Juli stattfinden soll, ist nur ein Vorbote einer ganzen Reihe internationaler Schlachten, die unvermeidlich mit dem Sieg des Weltproletariats über das internationale Kapital abschließen werden.

Das Exekutivkomitee der Kommunistischen Internationale hat einstimmig beschlossen, die Arbeiterorganisationen der ganzen Welt aufzurufen, die bevorstehende niederträchtige Komödie in Luzern zu boykottieren. Kein einziger Arbeiter, der Selbstachtung besitzt, keine einzige ehrliche Arbeiterorganisation soll an dieser Maskerade teilnehmen, welche die gelben „Sozialisten“ zum Vergnügen der Börsenkönige und ihrer Maitressen in dem Schweizer Städtchen Luzern veranstalten.

An diesem Tage sollen die Arbeiter aller Länder in jeder möglichen Form gegen die gelbe „Internationale“ demonstrieren und ihre Treue den Idealen des Kommunismus bezeugen, dessen Verkünder Marx und Engels waren. Kommt an diesem Tage hinaus auf die Straße, werktätige Genossen, schleudert den Lakaien des Kapitalismus Eure Verachtung und Euren Hass ins Gesicht, manifestiert für die Grundsätze, für welche Karl Liebknecht kämpfte, sammelt Eure Kräfte unter dem Banner der Dritten, Kommunistischen Internationale!

Vivos voco – alle Lebenden, alle Kampfesfähigen, alle, denen das Joch der Bourgeoisie verhasst ist, alle, welche die wahre Freiheit lieben, alle, die bereit sind, für die Vernichtung der kapitalistischen Ordnung zu kämpfen, ruft die Dritte Internationale unter ihr Banner!

Vorsitzender des Exekutivkomitees der Kommunistischen Internationale

G. Sinowjew.

15. Juni 1919.

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