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Leo Trotzki 19180130 Plenarsitzung der Friedenskonferenz

Leo Trotzki: Plenarsitzung der Friedenskonferenz

Sitzung am 30. Januar 1918

[Eigene Übersetzung nach Л. Троцкий. Сочинения. Том 17, часть 1. Москва-Ленинград, 1926, S. 73-76]

Trotzki. In der Zusammensetzung der russischen Delegation gab es auch einige Veränderungen. Eine von ihnen ist rein persönlicher Natur: hier wird in der Zukunft der Volkskommissar für den Besitz der Republik Karelin teilnehmen; Eine weitere Änderung hat eine staatspolitische Bedeutung: Sie betrifft die Teilnahme von zwei Vertretern der Ukrainischen Sowjetrepublik1 an unserer Delegation. Wir hatten die Ehre, Sie darüber schriftlich zu informieren.2

Die Regierung der Sowjets der Arbeiter-, Soldaten- und Bauerndeputierten der Ukrainischen Republik delegierte drei ihrer Vertreter für die Durchführung von Friedensverhandlungen, von denen einer, der Volkssekretär für Bildung Satonskij, in Petrograd als Teil der Regierung der Volkskommissare blieb, und die anderen beiden, nämlich der Vorsitzende des ukrainischen Exekutivkomitees, Medwedjew und der Volkssekretär für militärische Angelegenheiten, Schachrai als Teil unserer Delegation hier sind. Letzteres ist für die weiteren Verhandlungen von großer Bedeutung und spiegelt die innere Lage wider, die sich in der Ukraine entwickelt hat. Da die gegnerische Partei daran interessiert ist, den tatsächlichen Stand der Dinge in der Ukraine genau zu kennen, halte ich es für notwendig, folgende kurze Erklärung zu geben:

Die Ukraine machte in der revolutionären Periode der gleichen politischen Entwicklung durch wie Russland, mit nur geringen Zeitunterschieden. Die Kiewer Rada ist eine Regierung, die durch ihre soziale Zusammensetzung und durch ihre politischen Methoden der ehemaligen russischen Regierung Kerenski sehr nahe steht. Die ukrainischen Sowjets der Arbeiter-, Soldaten- und Bauerndeputierten führen überall den entschiedensten Kampf gegen die Kiewer Rada; und in der Mehrheit der Ukraine hat dieser Kampf bereits zum vollständigen Sieg der ukrainischen Sowjetregierung geführt, die in voller Übereinstimmung mit dem Rat der Volkskommissare handelt. Es genügt zu sagen, dass das gesamte Kohlenbecken von Donezk, die Industrieregion Jekaterinoslaw, die Provinzen Charkow und Poltawa vollständig unter der Kontrolle der ukrainischen Sowjetregierung stehen. In anderen Teilen der Ukrainischen Republik ist der Kampf durch die wachsende Bedeutung der Sowjets und den abnehmenden Einfluss der Kiewer Rada gekennzeichnet. Am Tag unserer Abreise wurden wir durch direkten Draht von Kiew nach Petrograd informiert, dass das Kiewer Generalsekretariat, das hier von der Delegation unter dem Vorsitz von Herrn Golubowitsch vertreten wurde, zurückgetreten ist. Im Moment wissen wir noch nicht, was diese Krise der Kiewer Macht beenden wird und wie es das Schicksal der Delegation von Golubowitsch beeinflussen wird. Aber aus dem Vorhergehenden ist auf jeden Fall klar, dass ein Frieden, der mit der Delegation des Kiewer Generalsekretariats unter den gegenwärtigen Bedingungen geschlossen würde, in keiner Weise mehr als ein Frieden mit der Ukrainischen Republik betrachtet werden könnte.

In seiner Rede vor der Reichstagskommission stellte der Herr Staatssekretär den Fall so dar, als hätten wir die ukrainische Delegation anerkannt, solange wir hofften, dass sie für uns eine Hilfsgruppe sein werde, und jetzt, wo wir uns von unserem Fehler überzeugt hätten, fingen wir an, unsere Anerkennung zu verweigern. Dies ist leider eine zu subjektive Skizze des Falles. Schon in der ersten Sitzung, in der die Frage der ukrainischen Delegation gestellt wurde, erklärte ich auf die entsprechende Bitte von Herrn von Kühlmann, dass sich die staatliche Selbstbestimmung der Ukrainischen Republik noch in der Entwicklung befinde, und dass man hier notwendigerweise nicht mit gesetzlich festgelegten, sondern mit Übergangsphänomenen rechnen müsse. Insbesondere habe ich festgestellt, dass „angesichts der Tatsache, dass die Ukraine noch nicht territorial abgetrennt wurde, eine einseitige Vereinbarung der Mittelmächte mit der Kiewer Delegation über die Frage der Grenzen als Gegenstand eines Friedensvertrags nur dann wirksam sein kann, wenn sie durch die Delegation des Rates der Volkskommissare besiegelt wird.“ Jetzt, wo der Allrussische Sowjetkongress der Arbeiter-, Soldaten- und Bauerndeputierten in Petrograd stattfindet, auf dem auch die einflussreichen ukrainischen Sowjets vertreten sind, und wo die föderativen Grundlagen der Russischen Republik einmütig festgelegt werden, beantwortet die Teilnahme von Vertretern des ukrainischen Zentralen Exekutivkomitees an unserer Delegation den aktuellen Stand der Dinge in der Russischen Republik.

Wenn die Delegation von Herrn Golubowitsch noch ein Mandat des Kiewer Generalsekretariats hat, haben wir nichts dagegen, dass sie weiterhin an den Friedensverhandlungen teilnimmt. Aber jetzt kann es weniger denn je Zweifel geben, dass nur ein solches Abkommen mit der Ukraine als gültig anerkannt werden und lebendig werden kann, das formell von der Vertretung der Russischen Föderativen Republik unter direkter Beteiligung der Vertretung des ukrainischen Volkssekretariats, das Teil unserer Delegation ist, anerkannt wird.

[Lewitski im Namen der ukrainischen Delegation und Kühlmann bitten, die Angelegenheit bis zur Ankunft der verbleibenden Mitglieder der ukrainischen Delegation zu verschieben.]

Trotzki. Wir glauben auch, dass wir in einer Zeit des Weltkriegs mit Phänomenen rechnen müssen, die sich im Wandel und in Transformationen befinden. Der Herr Staatssekretär hat absolut Recht, wenn er daran erinnert, dass ich bei der Erörterung der Frage der Kiewer Delegation nichts über die Existenz einer anderen Organisation in der Ukrainischen Republik gesagt habe, die ihr Recht auf Staatsgewalt beansprucht. Wir waren damals der Meinung, dass die Frage, inwieweit die Delegation der ukrainischen Rada die Interessen der Ukrainischen Republik erfolgreich vertreten könnte, am besten durch die Autoritär besitzenden Organe der arbeitenden Massen der Ukraine selbst gelöst werden könnte.3 Und solange die Sowjets der Arbeiter-, Soldaten- und Bauerndeputierten der Ukraine das Problem der Notwendigkeit ihrer Vertretung hier in Brest-Litowsk nicht angesprochen haben, hatten wir keinen Grund, dieses Thema in unserer Debatte anzusprechen.

Ich muss hier eine Erklärung des Vorsitzenden der deutschen Delegation erwähnen, die er, wenn sie von den Zeitungen ordnungsgemäß wiedergegeben wurde, auch in der Hauptkommission des deutschen Reichstags machte, wonach ich zweimal gesagt hätte, dass die in Russland existierende Regierung sich nur auf die Gewalt stütze.4 Ich muss sagen, dass diejenigen Regierungen, die sich nur auf Gewalt stützen, dies niemals zugeben würden. Sie verweisen auf Traditionen, ererbte Institutionen und andere Unwägbarkeiten. Ich erkenne an, dass unsere Regierung in unserer bestehenden Gesellschaft, in der es Klassengruppen gibt, sich natürlich auf Gewalt stützt, aber von dieser Gewalt machen wir jenen Gebrauch, der unserer Meinung nach den Interessen der von uns vertretenen Arbeiterklasse entspricht.

Zweifellos wird die Frage, welche der beiden ukrainischen Organisationen das letzte und unzweifelhafte Recht haben wird, im Namen der Ukrainischen Volksrepublik zu sprechen, durch das praktische Ergebnis des Kampfes dieser Organisationen gelöst werden. Für uns stellt sich die Frage, welche dieser Organisationen die fortschrittlichen Entwicklungstendenzen der Revolution verkörpert. Und wenn ich von der subjektiven Darstellung des Falles seitens des Staatssekretärs gesprochen habe, dann nicht in dem Sinne, dass wir die hier vertretene Rada und das Zentrale Exekutivkomitee gleich behandeln. Im Sinne politischer Sympathien standen wir schon vor den Verhandlungen in Brest-Litowsk und standen und stehen wir während der ganzen Zeit dieser Verhandlungen ganz auf der Seite des Charkower Zentralen Exekutivkomitees. Aber die Frage ist nicht, mit wem wir politisch verbunden sind, mit wem wir sympathisieren und wen wir unterstützen, sondern ob wir gegen die Teilnahme der Kiewer Radadelegation an den lokalen Friedensverhandlungen Einwände erheben oder nicht. Der Herr Staatssekretär konnte aus der deutschen Presse erfahren, dass wir, noch bevor wir hier die Frage der Kiewer Rada besprochen haben, unsere politische Haltung dazu bestimmt haben. Ich wiederhole, wenn das Kiewer Generalsekretariat weiter existiert und sein Mandat für legitim hält, behalten wir unsere Position in Bezug auf seine Delegation bei.

1 Der Text der Protokolle der Friedensverhandlungen bezieht sich fälschlicherweise auf: die Ukrainische Volksrepublik.

2 Vertreter der ukrainischen Sowjetregierung trafen am 21. Januar in Brest in der Sitzungspause der politischen Kommission ein. Der anstelle des abwesenden Genossen Trotzki amtierende Vorsitzende der Sowjetdelegation, Genosse Joffe, machte die Delegationen des Vierbundes mit seinem Schreiben darauf aufmerksam.

3 Dies bezieht sich auf die ZEK der Ukraine und das ukrainische Volkssekretariat

4 Bei seiner Äußerung hatte Kühlmann offensichtlich die folgende Passage aus der Rede des Genossen Trotzki bei der Sitzung der politischen Kommission am 14. Januar im Sinn: „Dann muss ich darauf hinweisen, dass der Herr General Recht hatte, als er sagte, dass unsere Regierung auf Gewalt setze. In der Geschichte kennen wir noch keine anderen Regierungen. Solange die Gesellschaft aus kämpfenden Klassen bestehen wird, wird der Staat bei Bedarf ein Instrument der Gewalt bleiben und den Gewaltapparat nutzen.

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