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Wladimir I. Lenin 19020214 Politische Agitation und „Klassenstandpunkt"

Wladimir I. Lenin: Politische Agitation und „Klassenstandpunkt"

[Iskra" Nr. 16, 1./14. Februar 1902. Nach Sämtliche Werke, Band 4.2, Wien-Berlin 1929, S. 116-123]

Beginnen wir mit einem Beispiel.

Die Leser erinnern sich wohl noch, welches Aufsehen das Referat des Adelsmarschalls von Orel, M. A. Stachowitsch, auf dem Missionarkongress über die Notwendigkeit der gesetzlichen Anerkennung der Gewissensfreiheit hervorgerufen hat. Die konservative Presse, allen voran die „Moskowskije Wjedomosti", heult und gebärdet sich wie toll gegen Herrn Stachowitsch, sie weiß kaum, wie sie ihn beschimpfen soll, und geht fast soweit, den ganzen Adel von Orel des Staatsverrats anzuklagen, weil Herr Stachowitsch wiederum zum Adelsmarschall gewählt worden ist. Diese Wahl aber ist wirklich eine lehrreiche Erscheinung, die bis zu einem gewissen Grade den Charakter einer Demonstration des Adels gegen die Willkür und Niedertracht der Polizei bedeutet.

Stachowitsch – so versichern die „Moskowskije Wjedomosti" – „ist nicht so sehr Adelsmarschall als vielmehr Mischa Stachowitsch, der Bruder Lustig, die Seele der Gesellschaft, der Schönredner…" (1901, Nr. 3481). Um so schlimmer für euch, ihr Herren Verteidiger des Polizeiknüppels! Wenn sogar die lebenslustigen Gutsbesitzer von Gewissensfreiheit zu reden begonnen haben, so bedeutet das, dass die Zahl der Gemeinheiten, die unsere Popen im Verein mit unserer Polizei begehen, Legion sein muss.

„… Was hat unsere leichtsinnige ,Intelligenz', aus der die Herren Stachowitsch hervorgehen und die ihnen zujubelt, zu tun mit unserem Heiligtum, unserer rechtgläubigen Religion und unserem innigen Verhältnis zu ihr? …"

Wiederum: um so schlimmer für euch, ihr Herren Verteidiger des Absolutismus, der Rechtgläubigkeit, des Volkstums! Schön müssen denn doch die Zustände unseres Polizeiabsolutismus sein, wenn er sogar die Religion so sehr mit Gefängnisgeist durchtränkt hat, dass die „Stachowitsche" (die keinerlei feste Überzeugung in religiösen Dingen haben, aber, wie wir weiter unten sehen werden, an dem Weiterbestand der Religion interessiert sind) von völliger Gleichgültigkeit (wenn nicht Hass) gegen dieses berüchtigte „Volksheiligtum" durchdrungen werden!

„… Sie nennen unseren Glauben Verirrung!! Sie verhöhnen uns, weil wir dank dieser ,Verirrung' die Sünde fürchten und sie fliehen, weil wir, ohne zu murren, unsere Pflichten erfüllen, so schwer sie auch sein mögen, weil wir Kraft und Mut finden, Leid und Entbehrungen zu ertragen, und im Erfolg und Glück keinen Stolz kennen …"

Also das ist's! Das Heiligtum der rechtgläubigen Kirche ist darum so teuer, weil es lehrt, ohne zu murren Leid zu ertragen! Fürwahr, ein vorteilhaftes Heiligtum für die herrschenden Klassen! Wenn die Gesellschaft so eingerichtet ist, dass eine verschwindende Minderheit Reichtum und Macht genießt, die Masse aber ständig „Entbehrungen" zu dulden und „schwere Pflichten" zu tragen hat, so ist die Sympathie der Ausbeuter für eine Religion völlig verständlich, die die irdische Hölle ohne Murren zu ertragen lehrt um eines angeblichen himmlischen Paradieses willen. In ihrem hitzigen Übereifer beginnen die „Moskowskije Wjedomosti" sich zu verplaudern. Und sie haben sich so sehr verplaudert, dass sie unversehens die Wahrheit gesagt haben. Man höre weiter:

„… Sie ahnen nicht einmal, dass, eben dank dieser ,Verirrung', sie, die Herren Stachowitsch, sich satt essen, ruhig schlafen und lustig leben."

Heilige Wahrheit! So ist es, dank der ungeheuren Verbreitung der religiösen „Irrtümer" in den Volksmassen, „schlafen ruhig" sowohl die Stachowitsche wie die Oblomow und alle unsere Kapitalisten, die von der Arbeit dieser Massen leben, und schließlich auch die „Moskowskije Wjedomosti" selber. Und je mehr die Aufklärung im Volke verbreitet wird, je mehr die religiösen Vorurteile durch das sozialistische Bewusstsein verdrängt werden, um so näher wird der Tag des proletarischen Sieges sein, der alle geknechteten Klassen aus ihrer Versklavung in der gegenwärtigen Gesellschaft erlöst.

Aber wenn die „Moskowskije Wjedomosti" sich in einem Punkte verplaudert haben, so sind sie zu billig davongekommen in einer andern interessanten Frage. Sie irren sich offensichtlich, wenn sie denken, dass die Stachowitsche „nichts ahnen" von dieser Bedeutung der Religion und einfach aus „Leichtsinn" liberale Reformen fordern. Eine solche Erklärung einer gegnerischen politischen Richtung ist doch allzu kindlich-naiv! Dass aber Herr Stachowitsch im vorliegenden Falle gerade der Herold der ganzen liberalen Richtung ist, das haben am besten die „Moskowskije Wjedomosti" selber bewiesen: warum hätten sie sonst einen ganzen Feldzug gegen ein Referat eröffnet? Warum sprechen sie dann nicht von dem einen Stachowitsch, sondern von den Stachowitschen, von der „Intelligenz".

Dieser Irrtum der „Moskowskije Wjedomosti" ist natürlich ein Irrtum zu eigenem Nutz und Frommen. Die Zeitung hat viel mehr den Wunsch, den Klassenstandpunkt zur Analyse des verhassten Liberalismus nicht zur Anwendung zu bringen, als dass sie es etwa nicht könnte. Über das Nichtwünschen ist weiter kein Wort zu verlieren. Aber das Nichtkönnen hat für uns ein großes allgemeines Interesse, denn an diesem Übel leiden sehr viele Revolutionäre und Sozialisten. Es leiden daran die Verfasser des Briefes in Nr. 12 der „Iskra", die uns des Abweichens vom „Klassenstandpunkt" beschuldigen, weil wir uns in unserer Zeitung bemühen, alle Äußerungen der Unzufriedenheit und des Protestes der Liberalen zu verfolgen; und die Verfasser der „Proletarskaja Borjba"2 und einiger Broschüren der „Sozialdemokratischen Bibliothek"3, die sich einbilden, dass unser Selbstherrschertum die absolutistische Herrschaft der Bourgeoisie sei; und die Martynow, die unsere allseitige Entlarvungskampagnen (d. h. die allerbreiteste politische Agitation) gegen die Selbstherrschaft verwandeln wollen in einen Kampf vor wiegend um ökonomische Reformen (der Arbeiterklasse „Positives" geben, in ihrem Namen „konkrete Forderungen" nach gesetzgeberischen und Verwaltungsmaßnahmen aufstellen, die gewisse „greifbare Resultate" verheißen); und die Nadjeschdin, die aus Anlass unserer Korrespondenzen über die Konflikte der Statistiker mit Staunen fragen: Herr Gott, ist denn dieses Organ für die Semstwoleute4?

Alle diese Sozialisten vergessen, dass die Interessen des Absolutismus nur unter bestimmten Umständen und nur mit gewissen Interessen der besitzenden Klassen zusammenfallen, und zwar häufig nicht mit den Interessen aller dieser Klassen, sondern mit den Interessen einzelner ihrer Schichten. Die Interessen anderer Schichten der Bourgeoisie sowie die in weiterem Sinn aufgefassten Interessen der gesamten Bourgeoisie, der gesamten Entwicklung des Kapitalismus überhaupt, erzeugen mit Notwendigkeit eine liberale Opposition gegen das Selbstherrschertum. Wenn z. B. das Selbstherrschertum der Bourgeoisie die Möglichkeit sichert, die gröbsten Formen der Ausbeutung anzuwenden, so setzt es doch anderseits der breiten Entwicklung der Produktivkräfte und der Verbreitung von Bildung tausend Widerstände entgegen, wodurch es nicht nur die Kleinbourgeoisie, sondern manchmal auch die Großbourgeoisie gegen sich aufbringt. Wenn der Absolutismus der Bourgeoisie den Schutz vor dem Sozialismus garantiert (?), so verwandelt sich anderseits dieser Schutz unvermeidlich – angesichts der Rechtlosigkeit der Bevölkerung – in einen Polizeiskandal, der alle und jeden empört. Was das Resultat dieser widerspruchsvollen Tendenzen ist, welches Wechselverhältnis zwischen der konservativen und der liberalen Stimmung oder Richtung in der Bourgeoisie im gegebenen Moment besteht – das kann man nicht aus ein paar allgemeinen Sätzen schließen; das hängt von allen Eigentümlichkeiten der sozialen und politischen Lage im gegebenen Moment ab. Um das zu bestimmen, ist es notwendig, die Situation genau zu kennen und jeden Zusammenstoß zwischen der Regierung und den einzelnen Gesellschaftsschichten aufmerksam zu verfolgen. Gerade wegen des „Klassenstandpunktes" ist es für einen Sozialdemokraten unzulässig, der Unzufriedenheit und den Protesten der „Stachowitsche" teilnahmslos gegenüberzustehen.

Die genannten Sozialisten aber beweisen sowohl durch ihre Argumentation wie durch ihre Tätigkeit ihre absolute Teilnahmslosigkeit gegenüber dem Liberalismus und legen hierdurch ihr mangelndes Verständnis für die Grundsätze des „Kommunistischen Manifestes", dieses „Evangeliums" der internationalen Sozialdemokratie, an den Tag. Man erinnere sich z. B. der Worte, dass die Bourgeoisie selbst das Material für die politische Erziehung des Proletariats liefert durch ihren Kampf um die Macht, durch die Zusammenstöße ihrer einzelnen Schichten und Gruppen usw.5. Nur in politisch freien Ländern erlangt das Proletariat dieses Material von selbst (und auch das nur zum Teil). Im versklavten Russland dagegen müssen wir Sozialdemokraten an der Beschaffung dieses „Materials" für die Arbeiterklasse aktiv arbeiten, d. h. wir müssen die Aufgabe der allseitigen politischen Agitation, der Entlarvungskampagne gegen das Selbstherrschertum vor den Augen des ganzen Volkes auf uns nehmen. Und diese Aufgabe ist besonders dringlich in Zeiten politischer Gärung. Man darf nicht vergessen, dass in einem Jahre politischer Belebung das Proletariat im Sinne der revolutionären Erziehung mehr lernen kann als während vieler Jahre des Stillstandes. Aus diesem Grunde ist die Tendenz der genannten Sozialisten, den Umfang und den Inhalt der politischen Agitation bewusst oder unbewusst einzuengen, so besonders schädlich.

Man erinnere sich ferner der Worte, dass die Kommunisten jede revolutionäre Bewegung gegen die bestehenden gesellschaftlichen und politischen Zustände zu unterstützen haben.6 Diese Worte werden häufig in zu engem Sinne aufgefasst, sie werden nicht auf die Unterstützung der liberalen Opposition ausgedehnt. Man darf jedoch nicht vergessen, dass es Zeiten gibt, wo jeder Zusammenstoß mit der Regierung auf dem Boden fortschrittlicher gesellschaftlicher Interessen, wie klein er an sich auch sein mag, unter gewissen Bedingungen (und unsere Unterstützung ist eine dieser Bedingungen) zu einem allgemeinen Brande führen kann. Es genügt, daran zu erinnern, zu welcher sozialen Bewegung der Zusammenstoß der Studenten mit der Regierung, der von Hochschulforderungen ausging, angewachsen ist; oder in Frankreich der Zusammenstoß aller fortschrittlichen Elemente mit der Soldateska, der begonnen hatte mit einem Gerichtsverfahren, das auf Grund von Fälschungen entschieden wurde.7 Darum ist es unsere direkte Pflicht, dem Proletariat jeden liberalen und demokratischen Protest klarzumachen, diesen Protest zu erweitern und durch aktive Teilnahme der Arbeiter zu unterstützen, mag er nun entstehen aus dem Zusammenstoß von Semstwoleuten mit dem Ministerium des Innern oder von Adligen mit dem Polizeiregime der orthodoxen Kirche oder der Statistiker mit den Pompadours, der Bauern mit der Landpolizei, der Religionssekten mit den Gendarmen usw. usw. Wer verächtlich die Nase rümpft, weil einige dieser Zusammenstöße zu armselig oder die Versuche, sie zu einem allgemeinen Brande zu entfachen, „hoffnungslos" erscheinen, der versteht nicht, dass die allseitige politische Agitation eben der Brennpunkt ist, in dem die Lebensinteressen der politischen Erziehung des Proletariats zusammenfallen mit den Lebensinteressen der gesamten gesellschaftlichen Entwicklung und des gesamten Volkes, d. h. aller seiner demokratischen Elemente. Es ist unsere direkte Pflicht, uns in jede liberale Frage einzumischen, unser eigenes sozialdemokratisches Verhältnis festzustellen, Maßnahmen zu treffen, damit das Proletariat an der Entscheidung dieser Frage aktiv teilnimmt und ihre Lösung auf seine Art erzwingt. Wer sich von solcher Einmischung fern hält, der streckt in Wirklichkeit (welches seine Absichten auch sein mögen) die Waffen vor dem Liberalismus, in dessen Hände er die Erziehung der Arbeiter legt, er überlässt die Hegemonie im politischen Kampfe solchen Elementen, die letzten Endes Führer der bürgerlichen Demokratie sind. Der Klassencharakter der sozialdemokratischen Bewegung muss zum Ausdruck kommen nicht in der Beschränkung unserer Aufgaben auf die unmittelbaren und nächsten Nöte einer „reinen Arbeiterbewegung", sondern in der Leitung aller Seiten und aller Erscheinungen des großen Befreiungskampfes des Proletariats, dieser einzigen wahrhaft revolutionären Klasse der modernen Gesellschaft. Die Sozialdemokratie muss immer und unbeirrt die Einwirkung der Arbeiterbewegung auf alle Sphären des gesellschaftlichen und politischen Lebens der modernen Gesellschaft erweitern. Sie muss nicht nur den wirtschaftlichen Kampf der Arbeiter leiten, sondern auch ihren politischen Kampf, sie darf keine Minute unser Endziel aus dem Auge verlieren, muss stets die proletarische Ideologie, die Lehre des wissenschaftlichen Sozialismus, d. h. den Marxismus, propagieren, ihn vor Entstellungen bewahren und weiter entwickeln. Wir müssen unermüdlich gegen jede bürgerliche Ideologie kämpfen, in welch modisches und glänzendes Gewand sie sich auch hüllen mag. Die oben von uns genannten Sozialisten weichen „vom Klassenstandpunkt" auch dadurch und insoweit ab, als sie der Aufgabe des Kampfes gegen die „Kritik des Marxismus" teilnahmslos gegenüberstehen. Nur Blinde sehen nicht, dass diese „Kritik" am raschesten in Russland Boden gefasst hat und am feierlichsten von der russischen liberalen Publizistik aufgegriffen wurde, und zwar gerade weil sie eines der Elemente der in Bildung begriffenen bürgerlichen (jetzt bereits bewusst bürgerlichen) Demokratie in Russland ist.

Was nun den politischen Kampf im Besonderen betrifft, so erfordert gerade der „Klassenstandpunkt", dass das Proletariat jede demokratische Bewegung vorwärts stößt. Die Arbeiterdemokratie unterscheidet sich in ihren politischen Forderungen von der bürgerlichen Demokratie nicht prinzipiell, sondern nur dem Grade nach. Im Kampf um die wirtschaftliche Befreiung, für die sozialistische Revolution, steht das Proletariat auf einer prinzipiell anderen Grundlage und steht es einsam da (der kleine Produzent wird ihm nur insoweit zu Hilfe kommen, als er in die Reihen des Proletariats übergeht oder im Hinblick auf diesen bevorstehenden Übergang). Jedoch im Kampf um die politische Befreiung haben wir viele Verbündete, denen wir nicht teilnahmslos gegenüberstehen dürfen. Doch während unsere Verbündeten aus der bürgerlichen Demokratie, die für liberale Reformen kämpfen, stets rückwärts schauen und die Dinge so einzurichten bemüht sein werden, dass sie auf anderer Leute Kosten „sich satt essen, ruhig schlafen und lustig leben" können, wird das Proletariat, ohne sich umzuschauen, bis zum Ende vorwärts gehen. Während irgendwelche Herren R. N. S. (der Verfasser des Vorwortes zur Witteschen Denkschrift) mit der Regierung um die Rechte der Semstwos oder um die Konstitution feilschen werden, werden wir kämpfen um die demokratische Republik. Vergessen wir nur nicht, dass man, wenn man jemand anders vorwärts stoßen will, die Hand stets auf seiner Schulter haben muss. Die Partei des Proletariats muss jeden Liberalen gerade in dem Augenblick fassen, wo er sich anschickt, einen Fußbreit rückwärts zu gehen, und ihn zwingen, einen Meter vorwärts zu tun. Sträubt er sich dagegen – dann werden wir vorwärts gehen, ohne ihn und über ihn hinweg.

1 Die Zitate sind dem Artikel von A. P. G: „Wer ist an Herrn Stachowitsch schuld?" entnommen („Moskowskije Wjedomosti" Nr. 348, vom 18. Dezember 1901).

2 „Proletarskaja Borjba" („Der proletarische Kampf") – Nr. 1, 1899, herausgegeben von der „Uraler sozialdemokratischen Gruppe" (M. M. Berzinskaja, alias Essen, A. A. Sanin, N. N. Kudrin, u. a.) wurde im Winter 1898 u. 1899 in der Druckerei der Gruppe gedruckt, die in einem Bergwerk untergebracht war, das zwischen Ufa und Slatoust in der Nähe von Bischkil, einer Station der Samara–Slatouster Eisenbahn, lag und von N. N. Kudrin geleitet wurde. Die Arbeiten für die Einrichtung der Druckerei, für den Satz und den Druck der Broschüre wurden von M. M. Berzinskaja, N. N. Kudrin, W. Domenow und anderen besorgt. Der Inhalt war folgender: A. A. Sanin: „Wer wird die politische Revolution vollbringen?", R. E. Zimmermann (Gwosdew): „Hungersnot", W. W. Portugalow: „Die russische Arbeitergesetzgebung". Die Artikel waren nicht gezeichnet. Die Broschüre war 120 Seiten stark.

3 Die „Sozialdemokratische Arbeiterbibliothek" (russ.) erschien illegal in Wilna und Petersburg. Im Verlag der „Bibliothek" erschienen im Jahre 1900, soweit bekannt ist, die Broschüren: Nr. 1 „Von der Redaktion der Arbeiterbibliothek", geschrieben von M. Broido, Nr. 2 „Transvaal und China" (zwei Reden von Keir Hardy und Liebknecht) u. a. In einer der „Bibliothek" gewidmeten Notiz äußerte sich die „Iskra" (Nr. 2, Februar 1901) mit voller Sympathie über die Richtung der „Bibliothek", die sich nicht mit einem eng-ökonomischen Aktionsprogramm für die Arbeiterklasse begnügte, sondern den Kampf gegen den Absolutismus und die Bourgeoisie – den Kampf für die politische Freiheit – forderte. „Einige Behauptungen der (ersten) Broschüre – schrieb jedoch die ,Iskra' – halten wir für unrichtig, so z. B. die Behauptung, dass ,der russischen Bourgeoisie vorläufig nichts zu wünschen übrig bleibt', dass ,der Bourgeoisie bei uns eine gewisse politische Freiheit – wenn auch eine sehr dürftige – verliehen ist', aber wir glauben nicht, dass es sich um eine ernste Meinungsverschiedenheit mit den festgelegten Ansichten der russischen Sozialdemokraten handelt." Im vorliegenden Artikel meint Lenin eben diese erste redaktionelle Broschüre der „Bibliothek". Da sowohl der Artikel als auch die bibliographische Notiz in der „Iskra" auf den Grundfehler der „Arbeiterbibliothek" eingehen (der Absolutismus als Vertretung der Interessen der Bourgeoisie), so besteht die Möglichkeit, dass die Rezension in der „Iskra" der Feder Lenins entstammt.

4 Das Zitat ist dem ersten Heft der Zeitschrift „Am Vorabend der Revolution" (einer nicht periodisch erscheinenden Rundschau, die theoretische und praktische Fragen behandelte) entnommen, die im Verlag der revolutionär-sozialistischen Gruppe „Swoboda" unter der Redaktion L. Nadjeschdins erschien (der auch der Verfasser dieses Heftes war). Das Heft erschien Ende 1901 (im Text wird Nr. 9 der „Iskra" erwähnt, die vom Oktober 1901 datiert ist). Der letzte Teil des Heftes enthält eine Übersicht über die Artikel der Iskra" und eine Kritik an ihnen, insbesondere an den Artikeln Lenins: „Womit beginnen?" und „Die Lehren der Krise". Der Satz Nadjeschdins: „Herrgott, ist denn dieses Organ für die Semstwoleute?" war hervorgerufen durch seine Unzufriedenheit mit zwei Notizen in der „Iskra", die den Kampf der Semstwo-Statistiker gegen das Polizeiregime schilderten, das der Vorsitzende des Jekaterinoslawer Semstwoamtes, Rodsianko, eingeführt hatte, und die Statistiker zum Protest und zur Verteidigung ihrer Interessen aufforderten. Die Notizen trugen die Titel: „Ein Zwischenfall im Semstwo von Jekaterinoslaw" („Iskra", Nr. 7 vom August 1901) und „Die Streikbrecher von Wjatka" (Nr. 9 vom Oktober 1901). Nadeschdin, der die Rolle des Proletariats als Führer und Hegemon in der allgemeinen demokratischen Bewegung nicht verstand, war der Meinung, dass solche Artikel (es ist möglich, dass beide Notizen von Lenin geschrieben sind) den Eindruck erwecken, als seien sie für alle möglichen liberalen Elemente, nicht aber für Arbeiter geschrieben.

5 Lenin meint folgende Worte aus dem ersten Kapitel des „Kommunistischen Manifestes" von Karl Marx und Friedrich Engels: „Sie (die Organisation des Proletariats) erzwingt die Anerkennung einzelner Interessen der Arbeiter in Gesetzesform, indem sie die Spaltungen der Bourgeoisie unter sich benutzt… Die Kollisionen der alten Gesellschaft überhaupt fördern mannigfach den Entwicklungsgang des Proletariats. Die Bourgeoisie befindet sich in fortwährendem Kampfe: anfangs gegen die Aristokratie; später gegen die Teile der Bourgeoisie selbst, deren Interessen mit dem Fortschritt der Industrie in Widerspruch geraten; stets gegen die Bourgeoisie aller auswärtigen Länder. In allen diesen Kämpfen sieht sie sich genötigt, an das Proletariat zu appellieren, seine Hilfe in Anspruch zu nehmen und es so in die politische Bewegung hineinzureißen. Sie selbst führt also dem Proletariat ihre eigenen Bildungselemente, d. h. Waffen gegen sich selbst zu."

6 Lenin meint folgende Worte aus dem „Kommunistischen Manifest" von Karl Marx und Friedrich Engels: „Mit einem Wort, die Kommunisten unterstützen überall jede revolutionäre Bewegung gegen die bestehenden gesellschaftlichen und politischen Zustände."

7 Lenin meint den „Fall Dreyfus".

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