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Wladimir I. Lenin 19050200 Resolutionsentwürfe zum III. Parteitag

Wladimir I. Lenin: Resolutionsentwürfe zum III. Parteitag1

[Geschrieben Februar 1905. Zum ersten Mal veröffentlicht 1926 im „Lenin-Sammelbuch" Nr. 5. Nach Sämtliche Werke, Band 7, 1929, S. 186-190]

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Resolution über das desorganisatorische Treiben der Menschewiki oder Anhänger der neuen „Iskra

Der Parteitag erachtet es als notwendig, die unbestreitbar erwiesenen Tatsachen über das Treiben der Menschewiki oder Anhänger der neuen „Iskra" nach dem II. Parteitag genau festzustellen. Sie haben bedenkenlos die Parteitagsbeschlüsse durchbrochen, ohne auch nur den Versuch zu machen, die Rechtmäßigkeit der Beschlüsse sowie der Wahlen des Parteitages anzuzweifeln. Gleich nach dem Parteitag boykottierten sie die von diesem geschaffenen Zentralinstanzen und bildeten hinter dem Rücken der Partei innerhalb derselben eine besondere Organisation. Diese Organisation verfolgte das Ziel, die vom Parteitag abgelehnten sechs Kandidaten in die Redaktion des Zentralorgans und in das Zentralkomitee der Partei mit Gewalt hineinzubringen. Im Kampfe um dieses Ziel, das im Widerspruch zu dem Willen und den Interessen der Partei steht, desorganisierten die Menschewiki überall die positive Arbeit der Partei, indem sie überall eine geheime Spaltung hinein trugen, die kameradschaftlichen Beziehungen zwischen den Sozialdemokraten demoralisierten, das Zentralorgan der Partei in ein Organ von Klatschereien und Intrigen verwandelten, sich gegen die gewählten Zentralinstanzen und die Rechenschaft fordernden Parteikomitees platte und schmähende Ausfälle erlaubten, den Parteirat zu einem Werkzeug der Konventikelrache herabsinken ließen und nicht davor zurückschreckten, die Stimme der Partei, die den III. Parteitag forderte, direkt zu fälschen.

Der Parteitag verurteilt dieses desorganisatorische Treiben aufs Entschiedenste und warnt alle zielbewussten Sozialdemokraten vor der berüchtigten Theorie der Organisation als Prozess, die als Rechtfertigung für die Desorganisation gedient und die Theorie des revolutionären Marxismus in unerhörter Weise herabgewürdigt hat.

Der Parteitag stellt fest, dass die Anhänger der Parteimehrheit, die Resolutionen gegen die Desorganisatoren annahmen und den III Parteitag forderten, alle Mittel des ehrlichen kameradschaftlichen Kampfes gegenüber Parteimitgliedern erschöpft haben. Nachdem die vom Parteitag geschaffenen Zentren sich endgültig der Verantwortung vor der Partei entzogen haben, ist der Parteitag nunmehr gezwungen, sie als außerhalb der Partei stehend zu betrachten. Der Parteitag stellt fest, dass den Anhängern der Partei kein anderer Ausweg bleibt, als getrennt und unabhängig von den Desorganisatoren zu arbeiten. Der Parteitag beschließt daher, dass Anhänger der Minderheit oder der neuen „Iskra" in keine Organisation unserer Partei aufgenommen werden können.

Der Parteitag beauftragt das Zentralkomitee der Partei, zur Information der gesamten russischen und internationalen Sozialdemokratie eine kurze Broschüre herauszugeben, die diese Resolution erläutert.

2

Resolution über Plechanows Haltung in der Parteikrise

Der Parteitag erachtet die Stellung, die Plechanow in den programmatischen, taktischen und Organisationsfragen auf dem II. Parteitag sowie auf der Tagung der Auslandsliga eingenommen hat, für richtig. Der Parteitag stellt fest, dass Plechanow nach der Tagung der Liga um des Parteifriedens willen und zur Beseitigung der von den Menschewiki bereits vollzogenen Spaltung eine Politik der Zugeständnisse an die Leute vorschlug, die er vor der gesamten Partei (Nr. 52 der „Iskra", 7. November 1903) zutreffend als Revisionisten und anarchistische Individualisten charakterisiert hat. Der Parteitag bringt sein tiefes Bedauern darüber zum Ausdruck, dass Plechanow diese Position nicht beibehalten, dass er vielmehr begonnen hat, mit den bedenklichsten Mitteln und gegen den Willen der Partei für die Erfüllung aller Forderungen der Menschewiki einzutreten, dass er im Interesse einer Rechtfertigung der Menschewiki sich dazu hergegeben hat, ihre von ihm als unrichtig anerkannte prinzipielle Position zu verteidigen und noch nie dagewesene Meinungsverschiedenheiten mit der Mehrheit der Partei auszuklügeln.

Der Parteitag verurteilt entschieden diese hinterhältige Politik gegenüber der Parteimitgliedschaft, da eine solche Politik, durch welche humanen Motive gegenüber einzelnen Personen immer sie hervorgerufen sein mag, zwangsläufig eine demoralisierende Wirkung auf die Partei ausüben muss.

3

Resolution über die grundsätzliche Stellung der Anhänger der neuen „Iskra“

Der Parteitag erachtet den Kampf gegen die grundsätzliche Stellung der Menschewiki oder Anhänger der neuen „Iskra", die von der revolutionären Sozialdemokratie nach der Seite des Opportunismus hin abgewichen sind, für unbedingt notwendig. Schon auf dem II. Parteitag trat dies zutage sowohl in einzelnen Ausführungen als auch in der ganzen Zusammensetzung der Minderheit, die aus Gegnern der alten „Iskra" und den am wenigsten grundsatzfesten Schattierungen bestand. Nach dem II. Parteitag wurde diese Wendung der Menschewiki zum „Rabotscheje Djelo"-Opportunismus so klar, dass sie selber die Kluft zwischen der alten und der neuen „Iskra" eingestanden haben. Und in der Tat, in einer ganzen Reihe von Fragen stellte die neue „Iskra" absolut falsche und das Klassenbewusstsein des Proletariats trübende Losungen und Theorien auf. Hierher gehört die Theorie von der Organisation als Prozess, die den Marxismus zur Rechtfertigung der Desorganisation und des intelligenzlerischen Anarchismus erniedrigt. Hierher gehört die Rückkehr zu den unrichtigen Auffassungen über das Verhältnis der Partei zur Klasse, die die Aufgaben der Partei als des Vortrupps, Führers und Organisators der Klasse herabsetzen. Ebenso unrichtig und reaktionär waren die von der neuen „Iskra" im Gegensatz zur alten „Iskra" vertretenen Anschauungen über das Verhältnis zu den Liberalen und die Pläne der Semstwokampagne; über die Vorbereitung des Aufstandes und die famose Idee, dass eine Festsetzung und Durchführung des Aufstandes utopisch sei; über die Aufgaben der Bewaffnung der Massen, ihrer technischen und organisatorischen Führung während der Revolution; über die Unmöglichkeit und Unerwünschtheit einer revolutionär-demokratischen Diktatur des Proletariats und des Kleinbürgertums in der Epoche der Niederwerfung des Absolutismus usw. Alle diese Anschauungen zerren die Partei nach rückwärts, nicht nur in theoretischer, sondern auch in unmittelbar praktischer Beziehung, da sie in der revolutionären Lage, in der Russland sich befindet, für die Partei des revolutionären Proletariats besonders schädlich und verderblich sind. Der Parteitag beauftragt daher alle Parteimitglieder, in ihrer Propaganda und Agitation die Unrichtigkeit dieser Anschauungen klarzulegen.

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Resolution über das Verhältnis zwischen den Arbeitern und den Intellektuellen in der sozialdemokratischen Partei

Der Parteitag verurteilt entschieden die von den Anhängern der neuen „Iskra" betriebene Politik des Säens von Misstrauen und Feindschaft zwischen Arbeitern und Intellektuellen in den sozialdemokratischen Organisationen. Der Parteitag erinnert die klassenbewussten Arbeiter daran, dass sie vor einigen Jahren ähnliche Kampfmethoden von Seiten des „Rabotscheje-Djelo"-Flügels der Partei erlebt und abgelehnt haben. Die hohlen Phrasen über Selbsttätigkeit der Arbeiter und Wählbarkeitsprinzip, mit denen die Anhänger der neuen „Iskra" um sich werfen, sind von keiner wirklichen Verbesserung der Arbeit in unseren Organisationen begleitet und versprechen in demagogischer Weise Unerfüllbares. Unter freien politischen Bedingungen kann und wird unsere Partei vollständig auf dem Prinzip der Wählbarkeit aufgebaut sein. Unter dem Absolutismus ist das für all die Tausende von Arbeitern, die zur Partei gehören, undurchführbar.

Der Parteitag erinnert noch einmal an die Aufgabe der bewussten Anhänger der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei: mit allen Kräften das Band dieser Partei mit der Masse der Arbeiterklasse zu stärken, immer breitere Schichten von Proletariern und Halbproletariern zu vollem sozialdemokratischen Bewusstsein emporzuheben, ihre revolutionäre und sozialdemokratische Selbsttätigkeit zu entwickeln, dafür zu sorgen, dass die Arbeitermasse selbst eine möglichst große Zahl von Arbeitern hervorbringt, die fähig sind, die Bewegung und alle Organisationen der Partei vollständig zu leiten.

Der Parteitag wiederholt im Namen der Partei die Ratschläge der revolutionären Sozialdemokraten: möglichst viele Arbeiterorganisationen zu schaffen, die unserer Partei beitreten; danach zu streben, dass die Arbeiterorganisationen, die der Partei nicht beitreten wollen oder keine Möglichkeit dazu haben, sich wenigstens eng an die Partei anschließen; darauf hinzuwirken, dass möglichst viele klassenbewusste sozialdemokratische Arbeiter in die Parteikomitees als Mitglieder eintreten.

1 Diese Resolutionsentwürfe unterscheiden sich inhaltlich etwas von den auf dem III. Parteitag eingebrachten und angenommenen Resolutionen. Im Besonderen sei auf den Unterschied in der Formulierung über das organisatorische Verhältnis zu den Menschewiki aufmerksam gemacht. In Lenins Resolutionsentwurf „über das desorganisatorische Treiben der Menschewiki" heißt es am Schluss des vorletzten Absatzes: „Der Parteitag beschließt daher, dass Anhänger der Minderheit oder der neuen ,Iskra' in keine Organisation unserer Partei aufgenommen werden können". In der auf dem Parteitag angenommenen (von Bogdanow und Lenin eingebrachten) Resolution über den abgespaltenen Teil der Partei heißt es dagegen: „Der Parteitag ist jedoch … der Ansicht, dass die Zugehörigkeit von Personen, die in diesem oder jenem Grade solche (menschewistische. Die Red.) Auffassungen vertreten, zu den Parteiorganisationen unter der Voraussetzung zulässig ist, dass sie die Parteitage und das Parteistatut anerkennen und sich der Parteidisziplin vollständig fügen". Lenin dachte also ursprünglich damals schon an eine ganz selbständige bolschewistische Partei, die von den Menschewiki vollkommen getrennt war. Der Parteitag ist aber, wie aus der angenommenen Resolution ersichtlich, nicht so weit gegangen.

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