Lenin‎ > ‎1908‎ > ‎

Wladimir I. Lenin 19081214 Die Agrardebatte in der III. Duma

Wladimir I. Lenin: Die Agrardebatte in der III. Duma

[Proletarij" Nr. 40 14. (1.) Dezember 1908 Gez.: N. L. Nach Sämtliche Werke, Band 12, Wien-Berlin 1933, S. 503-516]

Die fast einen Monat währende Agrardebatte in der III. Duma hat für das Studium des gegenwärtigen Standes der Agrarfrage, der Ergebnisse der Revolution und der Aufgaben des Proletariats äußerst reichhaltiges Material geliefert. Wir wollen versuchen, aus diesem Material die wichtigsten Schlüsse zu ziehen. Vier Gruppen von Rednern lassen sich von selbst unterscheiden: Rechte, Kadetten, Bauern und Sozialdemokraten. Die Unterschiede zwischen den „Rechten" im engeren Sinne und den Oktobristen verschwinden gänzlich. Die Bauern treten in der Agrarfrage zweifellos als eine politische Richtung auf, wobei der Unterschied zwischen den rechten Bauern und den Trudowiki nur ein Unterschied von Nuancen innerhalb einer einheitlichen Richtung ist. Betrachten wir die Stellungnahme jeder einzelnen Gruppe (die in Klammern gesetzten Zahlen bedeuten die Seiten der als Beilage zur „Rossija" veröffentlichten stenographischen Berichte).

Wie von Schwarzhunderter-„Parlamentariern" nicht anders zu erwarten war, bemühten sich Rechte und Oktobristen, den Wesenskern ihrer Agrarpolitik durch juristische Kasuistik und archivarisches Gerümpel zu verschleiern, indem sie sich des langen und breiten über das Verhältnis zwischen dem Gesetz vom 9. XI. 1906 und dem § 12 der „Allgemeinen Bestimmungen über die Bauern" (die den Bauern das Recht gewähren, nach dem Loskauf des Bodens die Zusprechung des Grundstücks als Privateigentum zu verlangen), sowie dem § 165 der „Bestimmungen über den Bodenloskauf" usw. ergingen. Um sich den Schein des Liberalismus zu geben, führte Schidlowski aus, die Gesetzgebung des Grafen D. Tolstoi über die Unverkäuflichkeit der Bodenanteile usw. habe in Widerspruch zum „Geist" von 1861 gestanden, während das Gesetz vom 9. XI. 1906 ihm entspreche. Das alles sind nichts als Finten, die den Zweck verfolgen, der Bauernschaft Sand in die Augen zu streuen, sie über den Kern der Sache hinwegzutäuschen. Wie aus dem Weiteren ersichtlich ist, sind die Kadetten zum großen Teil auf diesen Leim der Reaktion gegangen, wir Sozialisten aber brauchen nur in zwei Worten darauf zu verweisen, eine wie dicke Schicht Kanzleistaub man von den Reden der Herren Schidlowski, Lykoschin und anderer Lakaien der reaktionären zaristischen Bande entfernen muss, um dahinter den wirklichen Inhalt ihrer Agrarpolitik wahrzunehmen. Herr Lwow I, der sich, wie es scheint, als Mitglied der „Partei der friedlichen Erneuerung" bezeichnet, in Wirklichkeit aber ein wirklicher Schwarzhunderter mit Manieren à la Struve ist, brachte diesen Inhalt am klarsten zum Ausdruck:

In der Bauernschaft“ – so sprach dieser Lakai der Gutsbesitzer – „haben sich zwei Elemente herausgebildet: das rechtlose Individuum und die eigenmächtige Menge (Beifall rechts und im Zentrum) … Das Verharren der Massen in solch einem Zustand ist eine Gefahr für den Rechtsstaat" (lies: Junkerstaat) (Beifall rechts und im Zentrum) … ,Der Boden muss allen Werktätigen gehören, Boden ist wie Luft und Wasser; wir sind hergekommen, uns Boden und Freiheit zu holen' – das war die dominierende Stimme. Und diese Stimme, direkt herausgegriffen aus den Vorurteilen, die in den Bauernmassen nisten, diese Stimme zeigte uns die abergläubische Vorstellung von einer Macht, die den einen etwas abnehmen kann, um es den anderen zu geben" … „Denken wir an das zurück, was hier gesprochen wurde – führte Herr Lwow weiter in Bezug auf die früheren Dumas aus –. es fällt mir schwer, davon zu sprechen, aber ich werde, ich muss sagen, was in der Agrarkommission geredet wurde. Wenn selbst die Meinung, man solle doch mindestens die Gemüse- und Obstgärten unberührt lassen, auf schärfsten Widerspruch stieß, größten Widerstand erweckte und der entsprechende Antrag nur mit ganz geringer Stimmenzahl durchgebracht werden konnte, wenn sogar die Frage gestellt wurde, alle Transaktionen mit Boden müssten eingestellt werden – nicht nur Verpfändung in der Adelsbank, nicht nur Verkauf an die Bauernbank, sondern überhaupt jeder Kauf und Verkauf, selbst Schenkung, selbst Vererbung von Boden –, so packt einen die Angst, die Angst, meine Herren, nicht um die Interessen der Gutsbesitzer, sondern um die Lage und die Geschicke des Staates (Beifall im Zentrum und rechts, Zuruf: Bravo!). Auf einem solchen Fundament kann ein kapitalistischer, ein moderner Staat nicht aufgebaut werden" (293).

Der Gutsbesitzerstaat wurde von „Angst" um sein Fortbestehen gepackt, von „Angst" vor der „Stimme" (und Bewegung) der Bauernmassen. Einen anderen Kapitalismus als den auf der Erhaltung des gutsherrlichen, d. h. fronherrlichen Grundbesitzes aufgebauten können sich diese Herren überhaupt nicht vorstellen! Dass der Kapitalismus sich bei Aufhebung jedes Privateigentum am Boden am besten, am freiesten, raschesten entwickelt, davon haben die „gebildeten" Herren Lwow überhaupt nie gehört!!

Zum Zwecke der Agitation in den Massen ist es unbedingt erforderlich, sich mit den wichtigsten Stellen der Reden von Schidlowski, Bobrinski, Lwow, Golizyn, Kapustin und Konsorten bekannt zu machen; bisher haben wir den Absolutismus fast ausschließlich als befehlende Gewalt gekannt, die nur ab und zu Erklärungen im Geiste von Ugrjum-Burtschejew veröffentlicht. Jetzt aber haben wir eine offene Verteidigung der Gutsbesitzer-Monarchie und der Schwarzhunderter-„Verfassung" durch die organisierte Vertretung der herrschenden Klassen vor uns, und diese Verteidigung liefert recht wertvolles Material zur Aufrüttelung jener Volksschichten, die bisher noch des politischen Bewusstseins bar oder gleichgültig sind. Wir heben kurz zwei besonders wichtige Umstände hervor: erstens, in der Darlegung ihres politischen Programms malen die Rechten ihren Hörern immer einen lebendigen Feind, den sie bekämpfen, an die Wand. Dieser Feind ist die Revolution. Die „Angst" vor der Revolution, die der dumme Lwow so deutlich zum Ausdruck gebracht hat, kommt nicht minder deutlich bei allen zum Vorschein, die auf Schritt und Tritt mit Hass, mit Wut, mit Zähneknirschen an die jüngste Vergangenheit zurückdenken. Diese offene Betrachtung aller Fragen im Lichte der Konterrevolution, diese Unterordnung aller Argumente unter ein Hauptargument, den Kampf gegen die Revolution, enthält eine tiefe Wahrheit und macht die Reden der Rechten zu einem viel wertvolleren Material (sowohl für die wissenschaftliche Untersuchung der gegenwärtigen Lage als auch für Agitationszwecke), als es die Reden der unentschiedenen und feigen Liberalen sind. Die grenzenlose Wut, mit der die Rechten die Revolution, das Ende des Jahres 1905, die Aufstände, die zwei ersten Dumas angreifen, zeigt besser als alle langatmigen Ausführungen, dass die Beschützer des Absolutismus einen lebendigen Feind vor sich sehen, dass sie den Kampf gegen die Revolution nicht als beendet betrachten, dass das Wiederaufleben der Revolution täglich und stündlich als realste und unmittelbarste Gefahr vor ihnen steht. Einen toten Feind bekämpft man nicht so. Einen Toten hasst man nicht so. Diesen allgemeinen Geist aller rechten Reden brachte der einfältige Herr Balaklejew naiv zum Ausdruck. Er erklärte, den Ukas vom 9. November könne man natürlich nicht ablehnen, denn er enthalte den allerhöchsten Willen, aber zugleich erklärte er:

Meine Herren Duma-Abgeordneten! Wir leben in der Zeit einer Revolution, die meiner festen Überzeugung nach noch lange nicht zu Ende ist" (364).

Herr Balaklejew hat Angst vor der „revolutionären Herkunft'" des Gesetzes vom 9. November, er befürchtet, es könnte neuen Kampf entfesseln.

Wir stehen mitten in einer schweren Krise – sagte er –, und man weiß nicht, was für ein Ende sie nehmen wird. Die Phantasie lässt vor uns die schlimmsten Bilder erstehen, aber unsere Pflicht ist es, den Zwist und den Unfrieden im Volke nicht zu fördern."

Ein zweiter, besonders wichtiger Umstand bezieht sich auf das Wirtschafts- und speziell auf das Agrarprogramm der Rechten. Das ist die Verteidigung des Privateigentums der Bauern durch die Rechten, die sich wie ein roter Faden durch alle ihre Reden zieht, bis hinauf zum Oberpopen Mitrofanuschka1 (Bischof Mitrofan), der unmittelbar nach dem Berichterstatter das Wort ergriff, mit der deutlichen Absicht, den demokratischen, aber verschüchterten Dorf-„Batjuschkas"2 Angst einzujagen, und in dem komischen Bemühen, seine gewohnte unnatürlich-geschraubte Popensprache („die Gemeinde bestehet von aller Ewigkeit her") zu überwinden, solche Sätze zum besten gab:

Das Leben entwickelt sich in der Richtung einer immer größeren Individualität der Persönlichkeit"; „als nützlich muss man anerkennen die Gestaltung des neuen Lebens unserer Bauern nach dem Muster der westeuropäischen Farmer" (69).

Es fragt sich, warum die Klasse der Gutsbesitzer und die Klasse der Kapitalisten sowohl in der II. als auch in der III. Duma das bäuerliche Privateigentum am Boden so energisch verteidigt? Nur weil der „letzte Regierungserlass" es will? Natürlich nicht! Dieser Erlass ist vom „Vereinigten Adelsrat" inspiriert und suggeriert. Die Gutsbesitzer und Kapitalisten kennen ausgezeichnet den Feind, gegen den sie zu kämpfen haben, sie fühlen ausgezeichnet, dass die Revolution den Sieg der Gutsbesitzerinteressen mit dem Sieg des Privateigentums am Boden überhaupt, den Sieg der Bauerninteressen mit der Aufhebung des Privateigentums am Boden überhaupt, sowohl des gutsherrlichen als auch des bäuerlichen, in Zusammenhang gebracht hat. Die Verbindung des Privateigentums am Anteil boden mit öffentlichem Eigentum an den expropriierten gutsherrlichen Ländereien ist eine schlechte Erfindung der Kadetten und Menschewiki. In Wirklichkeit handelt es sich bei diesem Kampf darum, ob die Gutsbesitzer das neue Russland aufbauen werden (was nicht anders als auf dem Boden des Privateigentums am Boden jeder Art möglich ist) oder aber die Bauernmassen (in einem halb feudalen Land ist das ohne Vernichtung des Privatbesitzes sowohl am gutsherrlichen als auch am Anteilboden nicht möglich).

Nunmehr kommen wir zu den Kadetten. Ihre Reden unterscheiden sich von den rechten wie von den linken Reden durch das Bestreben, Unversöhnliches zu versöhnen, zwischen zwei Stühlen zu sitzen. Nur in jenem Teil der Rede Miljukows, wo er als Historiker, nicht als Kadett sprach, haben wir ausgezeichnet gesammeltes Material zur Geschichte des „Vereinigten Adelsrates" – Material, dessen Zusammenfassung jedem Demokraten Ehre macht. Im allgemeinen aber gingen Schingarjow, Beresowski, Miljukow, Bobjanski und Roditschew dem reaktionären Schidlowski auf den Leim und stopften in die Köpfe ihrer Hörer mit größtem Eifer juristische Kasuistik, ließen die schönsten Phrasen über „Gerechtigkeit" nach römischem Recht ertönen (um ja recht eindrucksvoll zu sein, gebrauchte Roditschew sogar das lateinische Wort „aequitas"! – „wir" haben es in der Universität zu etwas gebracht!), sanken bis zur ekligsten Stiefelleckerei herab (Herr Schingarjow beteuerte seine „Achtung" vor dem Stolypinschen Lakaien Lykoschin und suchte zu beweisen, Zwangsenteignung komme sogar in Ländern vor, wo „das Institut des Privateigentums hoch und heilig geachtet wird"). Die Opposition gegen das Gesetz vom 9. November vom Standpunkt der „Vorsicht" zieht sich wie ein roter Faden durch alle kadettischen Reden. Uns Bolschewiki wird vorgeworfen, es sei Verleumdung, wenn wir die Kadetten als liberale Gutsbesitzer bezeichnen. In Wirklichkeit sind sie schlimmer – sie sind liberale Tschinowniks. Man kann sich keine größere Demoralisierung des demokratischen Bewusstseins der Massen denken, als dieses Auftreten sogenannter „Demokraten" in der Reichsduma mit Reden, die den Kampf abstumpfen, mit einer Propaganda bürokratischer „Vorsicht", mit niederträchtiger Lobpreisung jener Ausplünderung und Knechtung der Bauern durch die Fronherren, die sich die „große Reform" von 1861 nennt!

Stolypin wegen der „Unvorsichtigkeit" seiner Agrarpolitik angreifen, heißt sich prostituieren, sich als solche ausführende Diener dieser Politik anbieten, die imstande wären, die gleiche Aufgabe mit „Vorsicht" zu erfüllen, d. h. die fähig wären, den gleichen junkerlichen Kern unter der falschen Flagge der „Verfassungsdemokratie" durchzusetzen – nicht allein durch Gewalt, sondern auch durch Betrug an der Bauernschaft. Hier eine der zahlreichen kadettischen Erklärungen, die gerade diesen Sinn ihrer Reden offenbaren. Herr Beresowski, dessen Rede von dem Führer der Kadetten, Herrn Miljukow, besonders gelobt und als „ausgezeichnet" befunden wurde, führte folgendes aus:

Meiner tiefen Überzeugung nach ist dieser Entwurf" (Agrarentwurf der Kadetten) „viel vorteilhafter auch für die Gutsbesitzer" (nicht nur für die Bauern). „Ich sage es, meine Herren, da ich die Landwirtschaft kenne, selbst Gutsbesitzer und mein Leben lang Landwirt bin. Für eine kultivierte Landwirtschaft wäre der von unserer Partei vorgelegte Gesetzentwurf zweifellos von größerem Nutzen als die gegenwärtige Ordnung. Man darf nicht die bloße Tatsache der Zwangsenteignung herausgreifen, sich darüber entrüsten und erklären, es wäre Vergewaltigung, sondern man muss unseren Entwurf aufmerksam betrachten und sich davon Rechenschaft geben, was für Formen das annimmt, was wir vorschlagen, und wie diese Zwangsenteignung durchgeführt wird" (jedes Wort ist Goldes wert! Herr Beresowski, sind Sie nicht Bolschewik geworden?). „Man betrachte den Gesetzentwurf der 42 Mitglieder der I. Reichsduma – er enthielt nur" (sehr richtig! – nur!i „die Anerkennung der Notwendigkeit, in erster Linie jenen Boden zu enteignen, den seine Besitzer nicht selbst bebauen. Ferner setzte sich die .Partei der Volksfreiheit' für die Bildung lokaler Kommissionen ein, die binnen einer bestimmten Zeit feststellen sollten, welche Ländereien zu enteignen – welche der Enteignung nicht unterliegen und wie groß das Bedürfnis der Bauern an Boden ist. Diese Kommissionen sollten zur Hälfte aus Bauern und zur anderen Hälfte aus Nichtbauern bestehen". (Sagen Sie doch alles Herr Beresowski! Genieren Sie sich nicht, die Wahrheit kommt doch an den Tag: dank der Einsetzung des „neutralen" Kommissionsvorsitzenden durch die gutsherrliche Regierung war den Gutsherren in den Kommissionen stets das Übergewicht über die Bauern gesichert: siehe den Gesetzentwurf von Kutler in Band 2 der kadettischen „Agrarfrage"). „In dieser gemeinsamen konkreten Arbeit an den einzelnen Orten würde man sowohl den Umfang des für Enteignung in Frage kommenden Bodens als auch die Menge für die Bauern notwendigen Bodens feststellen, und auch die Bauern sich davon überzeugen, in welchem Maße ihren berechtigten Forderungen entsprochen werden kann. Dann würde dies ganze Material durch die Reichsduma und den Reichsrat" (das ist es gerade!) „seinen Weg nehmen und nach Umarbeitung" (d. h. nach erneuter Einschränkung der „Reform" durch die neue gutsherrlich-bürokratische Mehrheit!) „zur allerhöchsten Sanktionierung unterbreitet werden" (man erinnere sich an die wiederholte Einschränkung der bäuerlichen Bodenanteile durch ähnliche höhere Instanzen im Jahre 1861). „Das Resultat dieser planmäßigen Arbeit würde zweifellos eine wirkliche Befriedigung der tatsächlichen Bedürfnisse der Bevölkerung, die damit verbundene Beruhigung und die Erhaltung der kultivierten Wirtschaften sein, deren Zerstörung ohne dringendste Notwendigkeit die .Partei der Volksfreiheit' niemals beabsichtigt hat" (143).

Herr Beresowski hat im Oktober 1908 alles zugegeben, was die Bolschewiki im Sommer 1906 über den Agrarentwurf der Kadetten gesagt haben! In der I. Duma rückten die Kadetten vor der Öffentlichkeit das demokratische Äußere ihrer Reform in den Vordergrund, während sie in den Geheimverhandlungen mit Trepow und seinen Helfershelfern bestrebt waren, den gutsbesitzerfreundlichen Charakter dieser Reform zu beweisen. In der III. Duma rücken die Kadetten vor der Öffentlichkeit den gutsbesitzerlichen Charakter ihrer Reform in den Vordergrund und wollen ihren demokratischen Charakter in illegalen Besprechungen mit den wenigen wunderlichen Käuzen beweisen, die noch für Altweibermärchen empfänglich sind. Je nachdem, wie der Wind weht, wendet der Gott Janus seine „Antlitze" bald hin, bald her. Die „Demokraten" sind so tief gefallen, dass sie bestrebt sind, die erzreaktionären „Auerochsen" von der Harmlosigkeit ihrer Programme und ihres Verhaltens während der Revolution zu überzeugen.

Man vergleiche damit die Reden der Bauern.

Da haben wir einen typischen rechten Bauer, den Abgeordneten Stortschak. Er beginnt seine Rede mit einer wörtlichen Wiederholung der Worte Nikolaus II. über „das heilige Eigentumsrecht", über die Unzulässigkeit seiner „Verletzung" usw. Weiter sagt er:

Gebe der liebe Gott unserm Herrscher Gesundheit! Er hat dem ganzen Volke Gutes gesagt" (295).

Er schließt aber:

Wenn aber der Zar gesagt hat, es soll Recht und Ordnung herrschen, so muss man schon sagen, wenn ich auf drei Desjatinen Boden sitze und gleich daneben hat einer 30.000, so ist das kein Recht und keine Ordnung!!" (295)

Man vergleiche diesen Monarchisten mit dem Monarchisten Beresowski. Der erste ist ein unwissender Bauer, der zweite ist ein gebildeter Fast-Europäer. Der erste ist naiv bis zur Heiligkeit und politisch ungebildet bis zur Unglaublichkeit. Der Zusammenhang zwischen Monarchie und „Ordnung", d. h. Unordnung und Unrecht zum Schutz der Besitzer von 30.000 Desjatinen, ist für ihn unklar. Der zweite ist ein gewiegter Politiker, der alle Zugänge zu Witte, Trepow, Stolypin und Co. kennt, alle Feinheiten der europäischen Verfassungen durch studiert hat. Der erste ist einer von den Millionen, die sich ihr Leben lang auf drei Desjatinen plagen, und die von der ökonomischen Wirklichkeit zum revolutionären Massenkampf gegen die Besitzer der 30.000 gedrängt werden. Der zweite ist einer von den zehntausenden, höchstens hunderttausenden Gutsbesitzern und möchte seine „kultivierte Wirtschaft" „in Frieden" behalten, den Bauer aber mit leeren Versprechungen abspeisen. Ist es denn nicht klar, dass der erste die bürgerliche Revolution in Russland machen, den fronherrlichen Grundbesitz vernichten und die Bauernrepublik aufrichten kann (wie entsetzlich auch dieses Wort heute noch in seinen Ohren klingen mag)? Ist es denn nicht klar, dass der zweite nicht anders kann, als den Kampf der Massen, der die unerlässliche Voraussetzung des Sieges der Revolution ist, nach Kräften zu hindern?

Mögen darüber die Leute nachdenken, die es immer noch nicht begreifen können, was es bedeutet: „Revolutionär-demokratische Diktatur von Proletariat und Bauernschaft".

Das Agrarprogramm von Stortschak, das ist derselbe Agrarentwurf der 43 Bauern-Abgeordneten der III. Duma, den wir in Nr. 22 des „Proletarij" bereits besprochen haben. Äußerlich recht bescheiden, steht er weiter links als der kadettische, was auch die Kadetten selber zugeben. Dieser Entwurf, der die Erörterung der Reform, die den Bauern Boden geben soll, durch lokale, aus allgemeinem Wahlrecht hervorgegangene Kommissionen verlangt, ist in Wirklichkeit ein revolutionärer Entwurf, denn die Erörterung der Agrarreform durch wirklich demokratisch gewählte lokale Körperschaften ist mit der Erhaltung der zaristischen Macht und des junkerlichen Grundbesitzes im heutigen Russland absolut unvereinbar. Und der Umstand, dass in der Schwarzhunderter-Duma, gewählt auf Grund eines speziell zu Nutz und Frommen der Gutsbesitzer, gemäß den Wünschen des vereinten Adels fabrizierten Wahlrechts, trotz der schlimmsten Reaktion und trotz des zügellosesten weißen Terrors 42 Bauern einen solchen Entwurf unterschrieben haben, bezeugt besser als alle Argumente die revolutionäre Stimmung der Bauernmassen des heutigen Russland. Mögen die Opportunisten die Notwendigkeit eines Bündnisses mit den Kadetten, die Notwendigkeit einer Annäherung zwischen Proletariat und Bourgeoisie in der bürgerlichen Revolution zu beweisen suchen – die klassenbewussten Arbeiter werden aus der Debatte in der III. Duma sich nur noch fester davon überzeugen, dass eine siegreiche bürgerliche Revolution in Russland unmöglich ist ohne gemeinsamen Ansturm der Arbeiter- und Bauernmassen – den Schwankungen und Verrätereien der Bourgeoisie zum Trotz.

Wenn Stortschak (sowie die Abgeordneten Titow (Geistlicher), Andreitschuk, Popow IV und Nikitjuk, die in der Hauptsache auf dem gleichen Standpunkt stehen) den revolutionären Geist der Bauernmassen nur unbewusst, spontan zum Ausdruck bringen und sich scheuen, die Konsequenzen ihrer eigenen Worte und Anträge nicht nur auszusprechen, sondern selbst zu Ende zu denken, so bringen die Trudowiki in der III. Duma den Geist des Massenkampfes der Bauern offen und unverhohlen zum Ausdruck. Am wertvollsten sind dabei die Reden der Trudowiki-Bauern, die ihre Auffassungen ganz unvermittelt darlegen, die Stimmungen und Bestrebungen der Massen mit größter Genauigkeit und Lebendigkeit wiedergeben, sich in den verschiedenen Programmen zwar nicht zurechtfinden (die einen erklären ihre Sympathie für den Entwurf der 42, andere für die Kadetten), aber umso eindrucksvoller das zum Ausdruck bringen, was tiefer liegt als jedes Programm.

So sagt Kropotow, Abgeordneter aus dem Gouvernement Wjatka:

Meine Wähler sagten mir, das Gesetz vom 9. November sei ein Gutsbesitzergesetz. … Meine Wähler fragten mich z. B.: Warum wird es gewaltsam gemacht? … Warum ist unser Boden den Semski Natschalniks ausgeliefert?. … Meine Wähler sagten mir: Sage du der Duma, dass es so nicht weiter geht … Und kaum beginnt man es (das Gesetz vom 9. November) in unserer Gegend anzuwenden, da beginnen bei den neuen Gutsherren, wie unsere Bauern sagen, die Häuser zu brennen" (71). „Es handelt sich darum, die Gutsbesitzer zu entschädigen … Warum verlangt aber das Staatsinteresse, dass man dem Armen sein Letztes wegnimmt und denen gibt, die, wie ich mich ausgedrückt habe, es zufällig verstanden haben, laut dem von der Regierung gegebenen Gesetz ihren Boden zu behalten? Verlangt nicht das Staatsinteresse, die Bebauung des brachliegenden Bodens – des gutsherrlichen Bodens, der Kronländereien, Apanageländereien, Klosterguter zu erzwingen?… Der Bauer muss 11,50 Rubel pro Desjatine Steuer zahlen, und wenn man, meine Herren, gerecht sein und alle im gleichen Maße so besteuern wollte, so wird der Boden wirklich in die Hände der Bauern kommen und Zwangsenteignung wird überflüssig sein. Um gerecht zu sein, muss man eine einzige Bodensteuer einführen, dann wird der Boden in die Hände der werktätigen Massen kommen, und keiner brauch! den anderen zu beneiden: wer nicht arbeiten will, der wird auch nicht zahlen" (73).

Wie viel im Kampfe noch unerprobte Kraft, wie viel Kampfwillen atmet diese naive Rede! Um „Zwangsenteignung" zu vermeiden, beantragt Kropotow in Wirklichkeit eine Maßnahme, die einer Konfiskation der gutsherrlichen Ländereien und der Nationalisierung des ganzen Bodens gleichkommt. Dass die „einzige Steuer" dieses Anhängers der Lehren von George mit der Nationalisierung des gesamten Bodens gleichbedeutend ist, das versteht Kropotow nicht, dass er aber das wirkliche Streben von Millionen zum Ausdruck bringt – daran kann es nicht den leisesten Schatten eines Zweifels geben.

Da ist der Abgeordnete Roschkow, der mit den Worten beginnt:

Meine Herren, mir, einem einfachen Bauer, fällt es schwer, von dieser Tribüne herab zu sprechen" (77) … Die Bauernschaft erwartete von der Duma nicht das Gesetz vom 9. XL, kein Gesetz, das einen Boden, den wir nicht haben, unter uns verteilt, sondern ein Gesetz, wonach zuerst unser Boden vergrößert und dann erst aufgeteilt wird. Die Grundlagen eines solchen Gesetzes, mit 47 Bauernunterschriften versehen, sind bereits am 20. Februar eingereicht worden, aber wir haben nichts weiter davon gehört… Der Semski Natschalnik ist Herr über den Boden die wahren Herren des Bodens aber sind durch die Bestimmungen des ,verstärkten Schutzes' gefesselt… Für den Erwerb von Boden zur Ausbeutung gibt es in unserem Staate kein Gesetz…, das sagen würde: du darfst keinen Boden zur Ausbeutung kaufen… Nun hat am 16. September 1907 die Flurbereinigungskommission von Stawropol beschlossen, nur derjenige dürfe Boden kaufen, der Arbeitsvieh und Inventar hat. Und, meine Herren, hier in diesem Saale sind die Anwesenden fast zur Hälfte Gutsherren, die diese Leute beschäftigen, denen die Flurbereinigungskommission das Recht auf Bodenerwerb verweigert. Meine Herren, wir wissen, dass diese Menschen für ein Jahresgehalt von 60 bis 70 Rubel dienen … Dieser Unglückliche ist dazu verdammt, sein Leben lang für den Gutsherrn zu arbeiten, er wird sein Leben lang für Fremde schuften, sein Herr aber, der ihn ausbeutet, wird sich als Kulturmensch betrachten."

Tomilow:

Der einzige Ausweg ist unserer Meinung nach folgender: in sämtlichen Gemeinden Russlands ist, nach dem Beispiel früherer Revisionen, unverzüglich eine Neuaufteilung des Bodens vorzunehmen. Die Zählung muss dabei die Zahl der Mannspersonen für den 3. November 1905 feststellen.

Unsere größte bäuerliche Sehnsucht ist Boden und Freiheit; aber wir haben gehört, dass solange die gegenwärtige Regierung am Ruder steht, der Grundbesitz unantastbar bleibt. (Stimmen im Zentrum: „Privatbesitz".) Der Privatbesitz, der Adelsbesitz. (Stimmen im Zentrum: „Und der eurige auch".) Wenn es auch uns betrifft, so sind wir bereit, unseren Anteilboden hinzugeben." (Da ist sie, die bäuerliche Vendée3, mit der uns der superkluge Plechanow und Co. in Stockholm für den Fall der Nationalisierung des gesamten Bodens Angst machen wollte!). „Z. B. die Bauern eines Dorfes sind bereit, ihren Boden herzugeben und aufzuteilen, damit alle gleich viel haben. Die Erklärung des Vertreters des Ministeriums läuft darauf hinaus, dass, solange die Macht nicht in die Hände der Bauernschaft und überhaupt des Volkes gelangt ist, die Bauern weder Boden noch politische Freiheit zu sehen bekommen werden. Danke schön für die Offenheit, obwohl wir das schon früher gewusst haben" (149).

Im Jahre 1905, als die Bauern sich unter der Führung bewusster Elemente zusammenschlossen (Lärm und Lachen rechts) und ein entschiedenes Wort sagten… da begannen die Adligen zu reden: ,Ihr habt ja Boden, ihr habt ja eure Anteile, teilt unter euch diese Brocken auf.“

Petrow III:

Denken Sie, meine Herren, zurück an die Regierungszeit von Alexej Michailowitsch und an die Empörung des Bauernvolkes, die in der Bewegung unter der Führung Rasins zum Ausdruck gekommen ist." (Stimmen rechts: Oho!) … „Seine Forderungen hat das Volk im Jahre 1905 besonders deutlich ausgesprochen. Auch hier war es die bittere Not, die das Volk bewogen hat, auf die Straße zu gehen und dort sein machtvolles Wort darüber zu sagen, was es braucht" (187) „…Der ganze Boden muss dem Volke zu gleichmäßiger Nutzung übergeben werden … Ich bin natürlich ein Gegner des Privateigentums an Boden" (Nein, tatsächlich, die von Plechanow prophezeite Vendée beginnt zu wachsen!) „und ich sage, dass es dem werktätigen Volke nur dann besser gehen wird, wenn der ganze Boden in seine Hände gelangt (204) … Ich bin fest überzeugt, ihr werdet wieder die Tiefen des Meeres aufgewühlt sehen. Und dann wird der Spruch des Evangeliums zur Wirklichkeit: Wer das Schwert zückt, geht am Schwert zugrunde" (Lachen rechts) „Die Fraktion der Trudowiki hält an ihren Idealen fest, wie auch an ihren Bestrebungen… Wir… sagen: der ganze Boden den Werktätigen, die ihn bebauen, und die ganze Macht der werktätigen Bevölkerung!" (206).

Mersljakow:

Der Boden muss dem gehören, der ihn bebaut… Aber mit dem Boden darf bei uns in Russland kein Handel getrieben werden, der Boden muss nur dem gehören, der ihn durch seiner Hände Arbeit bebaut" (207) usw.

Von weiteren Zitaten müssen wir wegen Raummangel absehen. Wir wollen bloß die Namen der Redner anführen, die die gleichen Gedanken weniger klar und energisch zum Ausdruck brachten: Kondratjew. Popow II (Geistlicher), Bulat, Wolkow II, Dsjubinski, Ljachnizki (die beiden letzten als offizielle Redner der Trudowiki-Gruppe).

Nun entsteht die Frage: welche Lehren folgen für das sozialdemokratische Agrarprogramm aus dieser Einstellung der Bauernabgeordneten? Dass die Bauern den Kampf gegen die fronherrlichen Latifundien und alle Überreste der Leibeigenschaft in die Form von kleinbürgerlich-sozialistischen Utopien kleiden, darüber sind sich alle einig. Das ist in jenem letzten Teil unseres Agrarprogramms ausgedrückt, das von den Bolschewiki entworfen und in Stockholm von den Menschewiki angenommen worden ist („Protokolle des Stockholmer Parteitags").4

Doch damit ist die Frage nicht erschöpft. Sowohl Aufteilung als auch Munizipalisierung und Nationalisierung sind bürgerlich-demokratische Umgestaltungen – für welches System aber müssen sich die Sozialdemokraten aussprechen? Für Munizipalisierung – antworten die Menschewiki mit Plechanow an der Spitze, die in Stockholm dieses Programm auch durchgedrückt haben. Nationalisierung des bäuerlichen Bodens würde zu einer Vendée führen, erklärten sie unumwunden in Stockholm.

Seitdem haben sich in drei Dumas bäuerliche Abgeordnete aus verschiedensten Gegenden Russlands ausgesprochen. Doch keine Gruppe von Bauernabgeordneten hat sich von der „Munizipalisierung" verlocken lassen, die ja speziell zu dem Zweck erfunden wurde, den bäuerlichen Boden „nicht anzutasten". Alle trudowikischen Bauern haben sich in allen drei Dumas für die Nationalisierung des gesamten Bodens ausgesprochen. Die einen drückten diese Forderung durch einfache Wiederholung des Programms der Trudowiki aus, die andern durch eigenartige Umgestaltung der „einzigen Steuer" oder durch zahllose Erklärungen: „Der Boden denjenigen, die ihn bebauen", „Wir sind bereit, unsere Anteile selbst herzugeben" usw.

Das Leben selbst widerlegt die „Munizipalisierung", das Geschrei von einer „Vendée".

Welches ist die ökonomische Grundlage der Verfechtung der Nationalisierung durch alle bewussten Bauern? Als Antwort auf diese Frage vergegenwärtigen wir uns einen statistischen Vergleich, den Genosse Beloussow in der Duma gezogen hat:

76 Millionen Desjatinen (im Europäischen Russland) gehören 30.000 Gutsbesitzern, 73 Millionen Desjatinen aber 10 Millionen Bauernhöfen, die Anteile von 1-15 Desjatinen besitzen… Nur ein Schluss ist hier möglich: 4/5 der Gesamtzahl der Höfe könnten den Umfang ihres Bodenbesitzes verdoppeln" (209).

Mag man die eine oder andere angeführte Zahl bestreiten (obwohl wir glauben, dass sie unbestreitbar sind), aber nichts kann den Kern der Dinge ändern, der in folgendem besteht. Im Bestreben, ihren Grundbesitz zu verdoppeln, können die Bauern nicht umhin, die völlige Verschmelzung und Vereinigung des Anteilbodens und des ganzen übrigen Bodens anzustreben. Das Fortbestehen des Anteilbodens als Privateigentum der Höfe und Gemeinden und zugleich gesellschaftliches („munizipales") Eigentum an den expropriierten Nicht-Anteilländereien ist ein wirtschaftliches Absurdum. Es ist sinnwidrigster agrarischer Bimetallismus, der nur dazu gut ist, in den von Intelligenzlern fabrizierten Programmen zu figurieren. Die Wirtschaft verlangt Verschmelzung und Vereinigung sämtlicher Ländereien. Die Wirtschaft vereinigt schon jetzt Parzellen von Anteilland mit Parzellen von gutsherrlichem Besitz (Pacht), und die Vernichtung der Fronwirtschaft ist unmöglich ohne Vernichtung jener Unterschiede, jener Grenzen und Schranken auf dem Gebiete des Grundbesitzes, die die „Munizipalisierung" künstlich erhalten will. Die Wirtschaft verlangt neuen, freien Grundbesitz, der dem Kapitalismus, nicht aber den alten „Anteilen" angepasst ist, die von den Dorfschulzen und den Agenten des Fiskus verteilt und voneinander abgegrenzt wurden. Diese Forderung der ökonomischen Entwicklung bringen die Bauern zum Ausdruck (obwohl sie sich des kapitalistischen Charakters dieser Entwicklung nicht bewusst sind), indem sie sich für die Nationalisierung aussprechen. Der alte Unterschied zwischen dem Anteilbodenbesitz und dem übrigen Bodenbesitz widerspricht den Anforderungen des Kapitalismus und wird unausbleiblich aufgehoben werden, wie große Mühe sich die menschewistischen Munizipalisatoren auch geben mögen, ihn zu festigen. Die Zerstörung dieser Grenze aber, die Vereinigung, Vermischung, Verschmelzung des Bodens verschiedenster Art für die neue Farmerwirtschaft (die Bauern glauben irrtümlich, dass jedermann den Boden bebauen wird: ihn wird jeder Wirt bebauen, d. h. derjenige, der die Mittel dazu hat) erfordert die Aufhebung nicht nur des gutsherrlichen, sondern des ganzen Privateigentums am Boden.

Stolypin will alle alten Schranken zwischen den verschiedenen Grundbesitzarten niederreißen. Diese Bestrebung ist ökonomisch richtig. Der Kapitalismus wird sie unbedingt verwirklichen. Die Frage ist nur die, ob es auf Kosten der Millionen Bauernhöfe (Ausplünderung laut dem Gesetz vom 9. November) oder auf Kosten der 30.000 Großgrundbesitzer geschehen wird. Dieser letzte Weg ist ohne Nationalisierung des Bodens in der bürgerlich-demokratischen Revolution unmöglich. Deshalb haben sich alle bewussten Bauern in allen drei Dumas für die Nationalisierung ausgesprochen.

Nunmehr haben wir nur noch die Reden der sozialdemokratischen Abgeordneten in der III. Duma zu betrachten. Nur zwei Redner unserer Fraktion (Gegetschkori und Beloussow) haben sich vor der Beschränkung der Redezeit aussprechen können. Die übrigen verzichteten auf das Wort und erhoben dabei Protest gegen die „Vergewaltigung", die sich in dieser Beschränkung äußerte. Beide genannten Genossen haben ihre Sache gut gemacht. Sie verwiesen auf den „feudal-bürokratischen Geist" der Regierungspolitik, darauf, dass das „Gesetz von 1861 durch und durch in fronherrlichem Geist gehalten war", dass der „Hass gegen die Regierung" tief in der Seele der Bauernschaft wurzelt, die „Boden und Freiheit" verlangt, die im Jahre 1905 ihre „Solidarität" und ihre Fähigkeit zu „revolutionären Aktionen" bewiesen hat. Unseren sozialdemokratischen Kampf für „Konfiskation der Latifundien und deren Übergabe an das Volk" legten die Redner unserer Partei zutreffend nicht im Geiste kleinbürgerlicher Utopien über „Gleichmäßigkeit", „Sozialisierung" usw. aus, sondern als Maßnahme zur Befreiung des Landes von fronherrlich-wucherischer Unterdrückung. Gegetschkori und Beloussow haben die Frage in revolutionär-sozialdemokratischem Geist gestellt. „Macht schafft Recht“ – schloss Gen. Beloussow –, „und um das Recht zu erobern, muss man Kräfte sammeln und sie organisieren". Beide Reden der sozialdemokratischen Redner der III. Duma müssen ein tägliches Hilfsmaterial für jedes Parteimitglied sein, das Propaganda- und Agitationsarbeit leistet. In der von der sozialdemokratischen Fraktion eingebrachten Formulierung des Antrags auf Übergang zur Tagesordnung fehlt nur die Forderung der unentgeltlichen Übergabe des Bodens. Dies wäre eine schwerwiegende Verletzung unseres Programms, wenn es mit Vorbedacht geschehen wäre. Aber Genosse Gegetschkori, der den Antrag verlesen hat, erwähnte in seiner Rede zweimal die Notwendigkeit der „entschädigungslosen Enteignung", so dass man die erwähnte Lücke wohl kaum als beabsichtigt ansehen kann.

1 Mitrofanuschka – Hauptheld des Lustspiels von Fonwisin bis 1792) „Der Landjunker". Die Red.

2 „Väterchen", Popen. Die Red.

3 Auf dem 4. Parteitag stellte G. W. Plechanow, Korreferent zum Agrarprogramm, die Behauptung auf, dem Gedanken der „schwarzen Umteilung" (allgemeine Bodenaufteilung), der unter der Bauernschaft stark verbreitet ist, hafteten reaktionäre Züge an, und erklärte sich gegen die Bodennationalisierung. Er sagte: „Um die Nationalisierung ohne Schaden durchzuführen, muss man eine Garantie gegen Restauration finden, eine solche kann es aber nicht geben. Denkt an die Geschichte Frankreichs, an die Geschichte Englands – in jedem dieser Länder folgte dem breiten revolutionären Aufschwung die Restauration. Das Gleiche kann auch bei uns der Fall sein" (s. Protokolle des Vereinigungs-Parteitages der SDAPR, Staatsverlag, 1926,. S. 39–42).

4 Lenin spricht hier von dem letzten Teil des bolschewistischen Agrarprogramm-Entwurfs, wo es heißt: „In allen Fällen und in jeder Lage der demokratisch-agrarischen Umgestaltungen stellt sich die Partei die Aufgabe, eine selbständige Klassenorganisation des Landproletariats anzustreben, ihm die unversöhnliche Gegensätzlichkeit zwischen seinen Interessen und denjenigen der bäuerlichen Bourgeoisie auseinanderzusetzen und es vor der Überschätzung des Systems der Kleinwirtschaft zu warnen, das unter der Herrschaft der Warenproduktion niemals imstande ist, dem Elend der Massen ein Ende zu machen, sowie endlich auf die Notwendigkeit einer völligen sozialistischen Umwälzung als auf das einzige Mittel zur Vernichtung jedes Elends und jeder Ausbeutung zu verweisen." Das Agrarprogramm von Maslow (John) ging darauf nicht ein: es verlangte die Enteignung des privaten Grundbesitzes und schloss auch eine Entschädigung der bisherigen Besitzer sowie die Übergabe der Ländereien an große provinzielle Selbstverwaltungsorganisationen nicht aus.

Kommentare