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Wladimir I. Lenin 19180126 Außerordentlicher Allrussischer Eisenbahnerkongress

Wladimir I. Lenin: Außerordentlicher Allrussischer Eisenbahnerkongress

[Veröffentlicht 1918 in dem Buche „Arbeiten des Allrussischen Außerordentlichen Eisenbahnerkongresses vom 5.-30. Januar 1918 in Petrograd". Nach Sämtliche Werke, Band 22, Zürich 1934, S. 235-253]

Sitzung vom 26. (13.) Januar 1918. Stenographischer Bericht

I. Bericht des Rates der Volkskommissare

Genossen! Ich habe leider nicht die Möglichkeit, euch ein gut aufgebautes Referat zu halten. Ich glaube aber, dass diejenigen unter euch, die sich für die Lage der Dinge näher interessieren, teils aus den Zeitungsnachrichten, teils auf Grund der persönlichen Eindrücke auf dem Rätekongress sich ein vollständiges, genaues Bild von der jetzigen Lage der Sowjetmacht, von ihrer Stellung zu den anderen Körperschaften und von den Aufgaben machen konnten, vor denen sie jetzt steht. Gestattet mir deshalb, mich auf einige kurze Ergänzungen zu beschränken. Um die Aufgaben und die Lage der Sowjetmacht zu charakterisieren, muss ich auf die Frage eingehen, welche Stellung sie zur Organisation des Eisenbahnerproletariats, der Eisenbahnarbeiter einnimmt.

Genossen! Ihr wisst, dass die Sowjetmacht mit der Konstituante in Kollision geraten ist und dass alle besitzenden Klassen: die Gutsbesitzer, die Bourgeoisie, die Kaledinleute und ihre Anhänger uns jetzt mit einem Hagel von Vorwürfen überschütten, weil die Sowjetmacht die Konstituante aufgelöst hat. Aber je lauter diese Vorwürfe in den Spalten der wenigen bürgerlichen Zeitungen erhoben werden, desto lauter ertönt auch die Stimme der Arbeiter, Soldaten, der Werktätigen und Ausgebeuteten. Die Bauern erklären, sie hätten nie daran gezweifelt, dass die Sowjetmacht höher stehe als jede andere Macht und dass sie niemals die von ihnen gewählten, geschaffenen, kontrollierten Räte, dass weder die Arbeiter noch die Soldaten noch die Bauern jemals die Räte zugunsten irgendeiner Institution aufgeben werden. Die Sowjetmacht ist mit der Konstituante vor allem deswegen in Konflikt geraten, weil die Wahlen zur Konstituante – wie ihr alle wisst – auf Grund von Kandidatenlisten vorgenommen wurden, die noch vor der Oktoberrevolution aufgestellt worden waren. Die Konstituante ist nach dem allgemeinen, direkten, gleichen, geheimen und proportionalen Wahlrecht gewählt worden. Dieses System ist das vollkommenste Wahlsystem, aber es ist nur dann imstande, richtig den Willen des Volkes zum Ausdruck zu bringen, wenn die Parteien, die auf Grund dieses Systems allein das Recht und die Möglichkeit haben, Listen aufzustellen, wenn diese Parteien wirklich die Stimmung, die Wünsche, die Interessen, den Willen jener Gruppen widerspiegeln, die sie wählen; denn bei einem anderen Wahlsystem, wo jeder einzelne Bezirk seinen einzelnen Kandidaten oder Abgeordneten wählt, bei einem solchen Wahlsystem ist es dem Volke leicht, sofort seine Fehler zu korrigieren, unter Berücksichtigung seiner Stimmung oder der vor sich gegangenen politischen Änderun-gen. Aber bei dem Proportionalwahlsystem muss die Partei als Ganzes die Kandidatenlisten lange vor den Wahlen aufstellen. Deshalb mussten die Parteien bereits im September und Anfang Oktober die Kandidatenlisten für die Konstituante aufstellen, die am 25. (12.) November zusammentreten sollte. Wie ihr euch alle erinnern werdet, wurde durch Gesetz der äußerste Termin festgesetzt. Zu diesem äußersten Termin mussten alle Parteien ihre Kandidatenlisten einreichen, und nach diesem Termin war eine Änderung der Listen unmöglich. So kam es, dass die größte Partei in Russland, die Partei, die damals, im Sommer und im Herbst, zweifellos die größte Partei war, die Partei der Sozialrevolutionäre, Anfang Oktober 1917 ihre Kandidatenlisten im Namen der Gesamtpartei der Sozialrevolutionäre einreichen musste. So ist es auch geschehen. Die Listen wurden Anfang Oktober eingereicht, und in ihnen waren die Kandidaten der Partei der Sozialrevolutionäre enthalten, als ob diese Partei als einheitliches Ganzes existierte. Nach Aufstellung der Listen, nachdem die russischen Arbeiter und Bauern, die seit Beginn der Revolution ihre Sowjets schufen, einen langen, schweren und mühevollen Weg der Kompromisspolitik mit Kerenski zurücklegten, der ja ebenfalls als Sozialrevolutionär und angeblich als Sozialist, als Revolutionär galt, in Wirklichkeit aber ein Imperialist war, der die Geheimverträge versteckt hielt, die Verträge mit den französischen und englischen Imperialisten, dieselben Verträge, die von dem im Februar gestürzten Zaren abgeschlossen worden waren, dieselben Verträge, die das russische Volk zur Schlachtbank verurteilten, damit der russische Kapitalist Konstantinopel, die Dardanellen, Armenien oder ein Stück Galizien erhalte, während diejenigen unter ihnen, die besonders weit gingen, wie z. B. der berüchtigte Miljukow, im Voraus Pläne aufstellten über die Abtrennung eines Stücks Ostpreußen1 als Belohnung an das russische Volk für das vergossene Blut der Millionen Arbeiter und Soldaten2 Das war in Wirklichkeit das Wesen der herrschenden russischen bürgerlich-imperialistischen Republik Kerenskis, der sich weiter als Mitglied der Partei der Sozialrevolutionäre betrachtete und wirklich Mitglied dieser Partei blieb. Ende Oktober trat der Zweite Allrussische Kongress der Arbeiter- und Soldatenräte zusammen, als das Volk diese Kompromisspolitik mit den Imperialisten bereits satt hatte, als die Junioffensive uns hunderttausende Opfer gekostet und anschaulich gezeigt hatte, aus welchen Gründen der Krieg in die Länge gezogen wurde, wie diese Geheimverträge die Soldaten zur Schlachtbank verurteilten, wie die Worte vom „Frieden" nur Worte blieben. Deswegen stürzte der Zweite Allrussische Rätekongress diese bürgerlich-imperialistische Regierung und errichtete die Sowjetmacht. Die Wahlen zur Konstituante gingen am 25. (12.) November vor sich. Die Arbeiter, Soldaten und insbesondere die Bauern mussten nach den alten Kandidatenlisten wählen, andere gab es nicht und durften nicht aufgestellt werden. Wenn man uns deshalb jetzt sagt: „Ihr habt die Konstituante auseinandergejagt, die den Willen der Mehrheit des Volkes repräsentiert", wenn das die bürgerlichen Tintenkulis und die Zeitungen solcher Sozialisten wie Kerenski in den verschiedensten Tonarten wiederholen, so antworten wir ihnen: „Warum seid ihr nicht imstande, dem Volke auch nur ein einziges offenes Wort gegen das Argument zu sagen, das ich soeben vorgebracht habe und das in dem Dekret über die Auflösung der Konstituante enthalten war?" Wir können die Konstituante nicht für den Ausdruck des Volkswillens halten, weil sie nach den alten Kandidatenlisten gewählt worden ist. Die Arbeiter und insbesondere die Bauern haben für die Partei der Sozialrevolutionäre als einheitliche Partei gestimmt. Diese Partei aber spaltete sich nach den Wahlen, und deshalb tauchten nach den Wahlen zwei Parteien vor dem Volke auf – die rechten Sozialrevolutionäre, die mit der Bourgeoisie zusammengingen, und die Partei der linken Sozialrevolutionäre, die mit der Arbeiterklasse, mit den Werktätigen zusammenging und auf der Seite des Sozialismus stand. Hatte das Volk zur Zeit der Konstituante die Möglichkeit, zwischen den rechten und linken Sozialrevolutionären zu wählen? Nein! Deshalb sagen wir, dass sogar in Bezug auf die Zusammenstellung der Listen und die Organisation der Wahlen, dass sogar von diesem formalen Standpunkt aus niemand unsere Behauptung widerlegen kann, dass die Konstituante nicht imstande war, den Willen des Volkes richtig zum Ausdruck zu bringen. Es ist nicht die Schuld der Revolution, dass sie nach der Aufstellung der Listen und vor den Wahlen zur Konstituante vor sich gegangen ist; es ist nicht die Schuld der Revolution, dass die Partei der Sozialrevolutionäre das Volk und insbesondere die Bauernschaft solange in Unwissenheit gehalten und mit Phrasen irregeführt hat, dass wir erst nach dem 7. November (25. Oktober), als der Zweite Bauernkongress zusammentrat, erkannten, dass zwischen den rechten und linken Sozialrevolutionären eine Versöhnung unmöglich ist. Nachher begann eine Reihe von Kongressen der Soldaten und Bauern, die mit dem Eisenbahnerkongress endete. Und überall sahen wir das gleiche Bild, überall stellte sich die gewaltige Mehrheit derjenigen, die wirklich zu den Werktätigen und Ausgebeuteten gehören, vorbehaltlos auf die Seite der Sowjetmacht, während die bürgerlichen Oberschichten, die Angestellten, die administrativen Beamten, die reichen Bauern die Partei der besitzenden Klassen, der Bourgeoisie ergriffen und die Losung ausgaben: „Alle Macht der Konstituante", d. h. der Konstituante, die vor der Revolution gewählt wurde, als das Volk nicht wusste, welcher Unterschied zwischen den rechten und linken Sozialrevolutionären bestand. Nein, die Revolution der werktätigen Klassen steht höher als die alten Kandidatenlisten. Die Interessen der Werktätigen und Ausgebeuteten, die bis zur Revolution unterdrückt waren, müssen an erster Stelle stehen, und wenn die Konstituante sich dem Willen der Sowjetmacht entgegenstellt, dem Willen der ausgesprochenen Mehrheit der Werktätigen, dann sagen wir: „Nieder mit der Konstituante!" – „Es lebe die Sowjetmacht!" Und jetzt, Genossen, überzeugen wir uns jeden Tag davon, dass die Sowjetmacht von den Armen, den Werktätigen und Ausgebeuteten auf allen Gebieten der Volkswirtschaft und in allen Teilen des Landes immer mehr und mehr unterstützt wird. Und wie sehr die bürgerlichen Zeitungen und die Zeitungen, die sich, mit Verlaub zu sagen, als sozialistische bezeichnen, wie die Zeitungen der rechten Sozialrevolutionäre und der Partei Kerenskis, wie sehr sie uns auch verleumden mögen, dass unsere Macht gegen das Volk gerichtet sei, sich nicht auf das Volk stütze – das ist eine offensichtliche Unwahrheit. Gerade heute haben wir eine besonders handgreifliche Bestätigung bekommen, eine Nachricht (ein Nachttelegramm) aus dem Dongebiet über den Zusammentritt des Kongresses eines Teils der Kosaken in Woronesch und des Kongresses von zwanzig Kosakenregimentern und fünf Batterien in der Staniza Kamenskaja. Die Frontkosaken beriefen ihren Kongress zusammen, weil sie sehen, dass sich um die Kaledinleute die Offiziere, die Junker und Gutsbesitzersöhnchen sammeln, die unzufrieden damit sind, dass in Russland die Macht an die Sowjets übergeht, und die wollen, dass das Dongebiet selbständig werde. Dort wird die Partei Kaledins organisiert, der sich als erster Hetman bezeichnet. Die Kaledinleute mussten diesen Kongress der Frontkosaken auseinandertreiben. Darauf antworteten die Frontkosaken damit, dass sie, erstens, sich dem Kongress in Woronesch anschlossen, zweitens, Kaledin den Krieg erklärten, drittens, die Hetmänner verhafteten und, viertens, alle wichtigsten Bahnstationen besetzten.

Mögen jetzt die Herren Rjabuschinski, die Millionen dorthin geschickt haben, die hier Millionen ausgegeben haben, damit die Saboteure ihr Gehalt bekommen und der Sowjetmacht Hindernisse in den Weg legen, mögen jetzt die Herren Rjabuschinski mit den Herren Kapitalisten Frankreichs und Englands und mit dem rumänischen König ihr Schicksal beklagen und bejammern: ihre letzte Hoffnung, die Hoffnung auf das Dongebiet, ist zuschanden geworden, wo es die meisten reichen Bauern gibt, die von Lohnarbeit anderer leben, die fremde Arbeit ausbeuten, einen ständigen Kampf gegen die später angesiedelte Bauernbevölkerung führen, die durch die Not von weither dorthin getrieben worden ist. Sogar dort, wo es die meisten Ausbeuter unter der Bauernschaft gibt, sogar dort haben sich die Leute über diese Organisation der Junker, der Offiziere und Eigentümer empört, die beschlossen, gegen die Sowjetmacht zu kämpfen. Sogar dort haben wir dieselbe Spaltung gesehen, die niemand sehen will und die man uns zum Vorwurf macht. „Die Bolschewiki proklamieren den Bürgerkrieg". Haben wir vielleicht Kaledin erfunden, haben vielleicht die Bolschewiki Rjabuschinski erfunden? Wir wissen aber, dass sie auch unter dem Zaren die Hauptstütze des zaristischen Regimes waren, dass diese Leute sich nur versteckt haben, um die russische Republik zu einer genau solchen bürgerlichen Republik zu machen, wie sie in den meisten Ländern besteht, wo trotz aller Freiheit und Wahlen das werktätige Volk genau so, wenn nicht noch schlimmer, unterdrückt wird als unter irgendeiner Monarchie. Wenn man sagt, dass die Bolschewiki den Bruderkrieg, den Bürgerkrieg entzünden, wenn man uns Flüche wegen des verbrecherischen Bruder- und Bürgerkriegs entgegen schleudert, den wir, die Bolschewiki, hervorgerufen haben sollen, so antworten wir: „Was ist denn das für ein Bruderkrieg? Sind etwa die Rjabuschinski, die Kaledin Brüder der Werktätigen? Merkwürdig, dass weder die Matrosen noch die Soldaten noch die Arbeiter noch die Bauern etwas davon gewusst haben, merkwürdig, dass sie das nicht erkannt haben, merkwürdig, dass sie so hartnäckig erklären: ,Die Rjabuschinski und Kaledin müssen sich der Sowjetmacht unterwerfen'". Der wahnsinnige, der sinnlose Versuch der Junker und Offiziere, in Petrograd und Moskau einen Aufstand zu organisieren, endete ergebnislos, weil die gewaltige Mehrheit der Arbeiter und Soldaten absolut für die Sowjetmacht ist. Sie wussten, wenn sie den Krieg beginnen, dann werden die Soldaten sich bewaffnen und niemand die Waffen ausliefern. Das Volk schloss sich zusammen und organisierte sich, um sein Schicksal in die eigenen Hände zu nehmen, und zu diesem Zweck begann es die Revolution. Sie sahen, sie wussten sehr gut, dass hier in Petrograd das ganze Volk auf der Seite der Sowjetmacht war, und als sie in Petrograd und Moskau geschlagen wurden, liefen sie nach dem Dongebiet, um dort eine Verschwörung anzuzetteln, und bei dieser Verschwörung der Konterrevolution gegen die werktätigen Massen hofften sie auf die Unterstützung der bürgerlichen Rada in Kiew, die jetzt ihre letzten Tage fristet, weil sie jedes Vertrauen eingebüßt hat. Als sie überall den Werktätigen den Bürgerkrieg erklärt hatten, fingen sie an, uns vorzuwerfen, dass wir den Krieg begonnen hätten. Sie sagen: „Ihr entzündet den Bürgerkrieg, nieder mit dem Bürgerkrieg!" Darauf antworten wir: „Nieder mit den Rjabuschinski und Kaledin und allen ihren Helfershelfern!" Genossen, wenn die Bourgeoisie eine so schwere Anklage gegen uns erhebt und behauptet, dass wir die Demokratie zerstören, den Glauben an die Formen der Demokratie, an die Einrichtungen der Demokratie zerstört hätten, die so teuer seien und so lange die revolutionäre Bewegung in Russland unterstützt und genährt hätten, dass wir die höchste Form der Demokratie, die Konstituante, zerstört hätten, so antworten wir: „Nein, das ist nicht wahr." Als wir die Republik des Sozialisten Kerenski, die Republik der imperialistischen Führer, der Führer der Bourgeoisie mit den Geheimverträgen in den Taschen, hatten, die die Soldaten in den Krieg (den man als gerechten Krieg ausgab) jagte, – gewiss, da war die Konstituante besser als das Vorparlament, in dem Kerenski nach Übereinkunft mit Tschernow und Zereteli dieselbe Politik trieb. Wir haben seit Beginn der Revolution, seit April 1917, ganz offen erklärt, dass die Sowjets eine viel höhere, viel vollkommenere, viel zweckmäßigere Form der Demokratie, der Demokratie der Werktätigen seien als die Konstituante. Die Konstituante vereinigt alle Klassen, also auch die Ausbeuterklassen, die Besitzenden, die Bourgeoisie und also auch diejenigen, die ihre Bildung auf Kosten des Volkes erhalten haben, also auch Ausbeuter, die sich vom Volke abgesondert haben, um sich den Kapitalisten anzuschließen, um ihr Wissen in ein Werkzeug der Unterdrückung des Volkes zu verwandeln, denn sie wenden ihr Wissen, die höchsten Errungenschaften der Wissenschaft zum Kampf gegen die Werktätigen an. Wir aber sagen: wenn die Revolution beginnt –sie ist eine Revolution der Werktätigen und Ausgebeuteten –, dann darf nur der Organisation der Werktätigen, nur der Organisation der Ausgebeuteten die ganze Macht im Staate gehören. Diese Demokratie steht unvergleichlich höher als die alte Demokratie. Die Sowjets sind nicht von irgendeiner Partei erfunden worden. Ihr wisst sehr gut, dass es keine Partei gegeben hat, die imstande gewesen wäre, sie zu erfinden. Sie sind durch die Revolution von 1905 ins Leben gerufen worden. Wie kurze Zeit auch die Sowjets bestanden, so war es doch damals schon klar, dass sie die einzige feste Stütze des Volkes in seinem Kampfe gegen die Selbstherrschaft sind. Als der Niedergang der Sowjets begann und sie durch repräsentative Reichskörperschaften ersetzt wurden, da sahen wir, wie in diesen Einrichtungen, in allen Dumas, auf allen Kongressen, Versammlungen die Kadetten, die Kapitalisten, die Ausbeuter auftraten, wie die Politik der Verständigung mit dem Zaren begann, wie die Organe der Volksbewegung verfielen und die Revolution zugrunde ging. Und als die Revolution von 1917 nicht nur die Sowjets wiedererstehen ließ, sondern das ganze Land mit einem Netz von Sowjets bedeckte, da lehrten die Sowjets die Arbeiter, Soldaten und Bauern, dass sie die ganze Macht im Staate in ihre Hände nehmen können und müssen, nicht so, wie in den bürgerlichen Parlamenten, denn dort hat jeder Bürger das gleiche Recht wie die anderen Bürger. Wenn der Arbeiter verkündet, dass er und Rjabuschinski gleich seien, der Bauer aber, dass er und der Gutsbesitzer mit zwölftausend Desjatinen Land gleich seien, so wird den Armen das Leben dadurch nicht leichter. Wenn die Gleichheit der Arbeiter mit den Kapitalisten und der Bauern mit den Gutsbesitzern eingeführt wird, wenn sie zusammen stimmen und ihre Kandidaten in die Parlamente wählen, dann wird immer so entschieden, dass die Kapitalisten nicht angetastet werden, dann werden Abkommen getroffen, dann werden Kompromisse in den wichtigsten Fragen geschlossen. Deshalb ist die beste demokratische Form, die beste demokratische Republik, eine Staatsmacht ohne Gutsbesitzer und Reiche. Infolge des Krieges, der unerhörten Zerstörung, des Hungers, der Gefahr des Untergangs, des direkten physischen Untergangs von Millionen Menschen, hat das russische Volk auf Grund seiner eigenen Erfahrung alles schneller erlebt und im Laufe von einigen Monaten seine Entscheidung getroffen. Als am 20. April der verwundete Linde die Soldaten auf die Straßen Petersburgs führte, um die Regierung Miljukows und Gutschkows zu stürzen, als alle Parteien sich um die Kadetten scharten und Programme in alle Welt hinaus schleuderten, eins schöner, verlockender und vielversprechender als das andere, da überzeugte sich das Volk nach der langen Reihe der rasch einander ablösenden Minister, dass dabei nichts herauskommt, dass man ihm Frieden verspricht, in Wirklichkeit aber zur Offensive übergeht. Im Juni 1917 kamen Zehntausende von Soldaten um, weil ein Geheimvertrag zwischen dem Zaren und den europäischen Imperialisten bestand, den Kerenski bestätigt hatte. Auf Grund dieser Erfahrung, auf Grund der eigenen Erfahrung, nicht infolge der Propaganda, zog das Volk einen Vergleich zwischen der sozialistischen Macht der Räte und der bürgerlichen Republik und kam zu der Überzeugung, dass die alten Reformen und die alten Einrichtungen des bürgerlichen Imperialismus für die Verteidigung der Interessen der Werktätigen und Ausgebeuteten nichts taugen, dass dazu nur die Macht der Räte geeignet ist, in die die Arbeiter, Soldaten, Bauern und Eisenbahner, in die alle Werktätigen in aller Freiheit ihre Vertreter wählen und sie abberufen, wenn sie den Forderungen und Wünschen des Volkes nicht entsprechen. Man ist nicht in den Sowjets, um Gesetze auszulegen und durch Parlamentsreden zu glänzen, sondern um die Freiheit des Volkes zu verwirklichen und das Joch der Ausbeutung abzuwerfen. Die Arbeiter selbst werden den Staat auf neuen Grundlagen aufbauen, werden ein neues Leben im neuen Russland aufbauen, in dem für Ausbeuter kein Platz sein wird. Das ist der Grund für die Entstehung der Sowjets, deshalb haben wir gesagt, dass die Erfahrung der russischen Revolution den Menschen gezeigt und bestätigt hat, worauf wir schon längst hingewiesen haben, nämlich, dass die Sowjetmacht eine viel höhere Form der Demokratie ist als die bürgerlichen Republiken, die sich in den westeuropäischen Staaten herausgebildet haben. Bei wirklicher Demokratie können und müssen die Werktätigen, die Arbeiter über die Nichtarbeitenden, über die Ausbeuter in der Gesellschaft herrschen. Die Arbeiter, Soldaten, Bauern und Eisenbahner können selbst die Herren sein, den Austausch der Produkte zwischen Stadt und Land organisieren, einen gerechten Arbeitslohn ohne Gutsbesitzer und Kapitalisten festsetzen. Das ist der Grund dafür, dass die russische Sowjetrepublik sich jetzt ganz als sozialistische Republik entwickelt hat, die den Gutsbesitzern das Land genommen, die Arbeiterkontrolle in den Fabriken und Betrieben eingeführt, Hand an die Banken gelegt – die Hand der Arbeiter, der sozialistischen Organisationen – und dem Volke den Weg freigemacht hat, damit es selbst die ungeheuren Schätze verwalte, die die Kapitalisten zusammengetragen haben; damit diese Schätze nicht zur Unterdrückung der Werktätigen, sondern zur Hebung des Wohlstandes und zum Wachstum der Kultur aller Werktätigen verwendet werden. Das ist das Ziel, zu dessen Verwirklichung die Räterepublik berufen ist. Das ist der Grund dafür, dass das Volk, dass die werktätigen Klassen im Auslande eine solche Sympathie für uns bekunden, trotz der Militärzensur der Monarchen, trotz der Verfolgungen der sozialistischen Zeitungen durch die ausländischen Kerenskis. Die dortigen bürgerlichen Zeitungen verbreiten schändliche Lügen über unser Land. Unsere Presse wird unterdrückt, keine einzige Nummer der „Prawda" wird ins Ausland hineingelassen. Soeben ist ein Freund von mir3 aus der Schweiz eingetroffen, der dort lebte, wo ich noch bis vor kurzem so lange ein hartes Dasein führen musste. Dieser Genosse sagte, dass man in der Schweiz keine einzige Tatsache kennt, dass die freien Republiken des freien Europa keine einzige Nummer unserer Zeitung durchlassen, dass man dort nur die völlig verlogenen Nachrichten der bürgerlichen Zeitungen liest, die nichts weiter wissen, als auf die Bolschewiki zu schimpfen. Aber trotzdem haben die Arbeiter in allen Ländern begriffen, dass die Sowjetmacht in Russland eine wirkliche Regierung der Werktätigen ist. Und es gibt im jetzigen Europa, weder in England noch in Frankreich, noch in Deutschland, noch in den anderen Ländern, keinen Arbeiter, der nicht die Nachrichten über die russische Revolution mit Beifall aufnimmt, weil er in ihr eine Hoffnung, eine Fackel sieht, die den Brand in ganz Europa entzünden wird.

Wenn die russische Revolution so einfach vor sich gegangen ist, so nur deshalb, weil Russland auf die barbarischste Weise vom Zarismus unterdrückt wurde und kein einziges Land durch den Krieg so gemartert und gepeinigt worden ist wie Russland.

Wenn es dem russischen Volk als erstem gelungen ist, die Fackel der sozialistischen Revolution zu erheben, so weiß es, dass es in diesem Kampfe nicht allein steht und dass es mit Hilfe treuer Genossen und Freunde dieses Werk zu Ende führen wird. Vielleicht wird es nicht so rasch gehen. Wir wissen nicht, wie viel Zeit vergehen wird, bis die sozialistische Revolution sich auch in anderen Ländern ausbreiten wird. Ihr wisst, wie im allgemeinen Revolutionen in den anderen Ländern vor sich gehen. Jeder von euch hat das Jahr 1917 miterlebt und weiß, dass drei Monate vor dem Beginn der Revolution niemand gewusst hatte, dass sie ausbrechen werde. Wir wissen, dass sich in Österreich bereits Arbeiterstreiks ausbreiten. Als die Parteien in Europa mit ihren Tschernows und Zeretelis an der Spitze jeden Einfluss auf den Gang der Ereignisse einzubüßen anfingen, als sie sich vollkommen isoliert fühlten, begann man dort von der Einführung des Belagerungszustands zu reden, und in Deutschland von der Einführung der Militärdiktatur. Jetzt haben die Streiks in Wien aufgehört, und die Zeitungen erscheinen wieder. Ich habe von unserem Vertreter Worowski ein Telegramm aus Stockholm erhalten, in dem er sagt, dass die Bewegung zweifellos zum Stillstand gekommen sei, dass es aber doch nicht gelingen werde, sie ganz zu erdrosseln, und dass sie wieder aufflammen werde. Das ist eine der Folgen der Aufnahme der Friedensverhandlungen in Brest-Litowsk. Wir haben das Versprechen erfüllt, das wir gegeben haben. Die Geheimverträge sind annulliert, veröffentlicht und vor euch an den Schandpfahl genagelt worden. Wir haben gezeigt, dass diese Verpflichtungen der alten Kapitalisten, ob man nun als Geheimverträge oder Anleihen bezeichnet, für uns jetzt ein Fetzen Papier sind, den wir fortgeworfen haben: denn sie hindern uns, die werktätigen Massen, am Aufbau der soziastischen Gesellschaft. Wenn die Deutschen in Brest-Litowsk ihre unverschämten Forderungen erhoben – wobei sie versprachen, einen gerechten Frieden anzuerkennen, aber in Wirklichkeit dieselben räuberischen Interessen vertraten –, so beginnen jetzt die werktätigen Massen das zu verstehen. Dieser Aufschub ist ein künstlicher. Er ist den Massen klar. Sie sagen, dass man den Krieg einstellen kann, wenn die russischen Arbeiter und Bauern ihn eingestellt haben, und dass man gegen die Regierung den Kampf aufnehmen kann. Wenn auch der erste große Generalstreik am 30. (17.) Oktober 1905 von der Selbstherrschaft unterdrückt wurde, so hat er doch in Österreich, in Wien und Prag eine Reihe von Ereignissen, Demonstrationen der Arbeiter hervorgerufen. Und damals haben die Österreicher ihr allgemeines Wahlrecht erobert. Die russische Revolution von 1905 wurde vom Zarismus unterdrückt, aber sie hat dazu geführt, dass die westeuropäischen Arbeiter an die großen künftigen Reformen glauben, d. h. an das, was jetzt vor sich geht.

Ihr habt alle bei der Eröffnung des III. Rätekongresses eine ganze Reihe von Vertretern ausländischer Parteien gesehen, die erklärten, dass sie die Arbeiterbewegung in England, der Schweiz und Amerika beobachtet haben. Sie erklärten alle einmütig, dass die sozialistische Revolution in Europa auf der Tagesordnung steht.4 Dort ist die Bourgeoisie stärker und klüger als unsere Kerenskis. Sie hat sich organisiert, damit es den Massen schwerer sei, sich zu erheben. Dort haben die Arbeiter einen gewissen Wohlstand. Deshalb ist es dort schwerer, den Einfluss der alten sozialistischen Parteien zu brechen, die sich seit Jahrzehnten behaupten, an der Regierung teilnehmen und in den Augen des Volkes eine gewisse Autorität erlangt haben. Aber diese Autorität büßen sie bereits ein, in den Massen brodelt es, und es besteht kein Zweifel, dass in der nächsten, vielleicht auch entfernteren Zukunft, die sozialistische Revolution in allen Ländern auf der Tagesordnung stehen wird, denn das Ende der kapitalistischen Unterdrückung ist gekommen. Wenn man uns sagt, dass die Bolschewiki ein so utopistisches Zeug, wie die Einführung des Sozialismus in Russland, ausgeheckt haben, dass das eine unmögliche Sache sei, so antworten wir darauf: „Wie kann man dann erklären, dass sich die Sympathie der Mehrheit der Arbeiter, Bauern und Soldaten den Utopisten und Phantasten zu wandte?" Hat nicht gerade deshalb die Mehrheit der Arbeiter, Bauern und Soldaten sich auf unsere Seite gestellt, weil sie auf Grund ihrer eigenen Erfahrungen die Ergebnisse des Krieges sahen, weil sie sahen, dass es keinen Ausweg aus der alten Gesellschaft gibt, und dass die Kapitalisten mit allen Wundern der Technik und Kultur einen Vernichtungskrieg begonnen haben, dass die Menschen bis zur Verwilderung, Vertierung, zum Hunger gebracht worden sind. Das haben die Kapitalisten getan und deshalb entsteht jetzt die Frage: entweder Untergang oder vollständige Zerschlagung der alten bürgerlichen Gesellschaft. Das ist der tiefe Sinn unserer Revolution. Deshalb sehen wir, dass in dem kleinen benachbarten Estland, wo das Volk lesen und schreiben kann, die Landarbeiter dieser Tage auf ihrem Kongress Bevollmächtigte wählten, die alle hochentwickelten Wirtschaften in ihre Hände nahmen. Das ist eine Umwälzung von weltgeschichtlicher Bedeutung. Die Landarbeiter, die in der kapitalistischen Wirtschaft auf der untersten Sprosse der sozialen Leiter standen, nehmen diese Wirtschaften unter Kontrolle. Dann Finnland, wo der Sejm im Namen der Nation auftrat, wo die Bourgeoisie von uns die Anerkennung der Unabhängigkeit forderte. Wir werden all die Nationen, die der Zarismus durch Unterdrückung festhielt, nicht gewaltsam innerhalb Russlands oder des russischen Staates festhalten. Wir haben darauf gerechnet, dass wir die anderen Nationen, die Ukraine, Finnland, nicht durch Gewalt, nicht durch Zwang heranziehen werden, sondern dadurch, dass sie sich eine eigene sozialistische Welt, dass sie sich ihre eigenen Sowjetrepubliken schaffen werden. Wir sehen jetzt, dass in Finnland von Tag zu Tag eine Arbeiterrevolution erwartet wird, in demselben Finnland, das sich zwölf Jahre hindurch, seit 1905, bereits voller Freiheit im Innern erfreute und das demokratische Wahlrecht besaß. Von 1905 bis 1917 fielen in dieses Land, das sich durch sein Kulturniveau, seine Wirtschaftsordnung und seine Vergangenheit auszeichnet, Funken jenes Brandes, den die Bolschewiki künstlich entzündet haben sollen. Und wir sehen dort den Beginn der sozialistischen Revolution. Diese Erscheinung beweist, dass wir durch den Parteikampf nicht blind geworden sind, dass wir nicht nach einem Plan gehandelt haben, sondern dass lediglich die hoffnungslose Lage der gesamten Menschheit nach dem Kriege diese Revolution geschaffen und die sozialistische Revolution unbesiegbar gemacht hat.

Genossen! Gestattet mir, zum Schluss darauf hinzuweisen, dass genau dasselbe auch auf eurem Eisenbahnerkongress vor sich gegangen ist. Wir sahen, unter welchen Schwierigkeiten der Kampf gegen die Spitzen eurer Eisenbahnerorganisationen geführt wurde. Ihr Eisenbahner habt euch selbst durch die Erfahrung davon überzeugt, dass die Masse des Eisenbahnerproletariats die Schwierigkeit der Organisierung des Eisenbahnwesens selbst auszukosten hatte. Das ist keine künstliche Sache. Das Eisenbahnwesen ist nicht zufällig in diese aussichtslose Lage geraten: es ist entweder bewusst von den bürgerlichen Elementen gehemmt worden, die von den Millionären bestochen worden sind, die Hunderttausende von Rubeln hinauswarfen und zu allem bereit waren, um die Sowjetmacht zu vernichten, oder aber, weil die Bourgeoisie sich weigerte, die bestehende Ordnung zu ändern, weil sie der Auffassung war, dass der Herrgott befohlen habe, dass es Vorgesetzte und arme Teufel geben soll, die bei ihnen arbeiten, und dass die Vorgesetzten mit ihnen nach Belieben umspringen sollen. In der Tat, die Verwaltungsbeamten glaubten, dass der Herrgott das wirklich so befohlen habe, dass es keine andere Ordnung geben kann und dass ein Chaos entstehen würde, wenn man diese Ordnung antasten wollte. Aber das ist nicht der Fall. Der Zusammenschluss der werktätigen Massen steht uns höher als alles. Sie werden eine kameradschaftliche Disziplin schaffen und alle Errungenschaften der Technik und Kultur ausnutzen, um das Eisenbahnwesen und den Austausch der Produkte zwischen Stadt und Land richtig zu organisieren, um den Arbeitern und Bauern zu helfen, die Volkswirtschaft in ganz Russland zu organisieren, damit die werktätigen Massen imstande seien, ohne Gutsbesitzer und Kapitalisten, die Früchte ihrer Arbeit zu genießen, damit die Wissenschaft und Technik nicht der Bereicherung eines Häufleins Menschen, nicht der Schaffung eines großen Geldsacks, sondern der Hebung des gesamten Eisenbahnwesens diene. Das ist für uns von besonderer Wichtigkeit. Ihr wisst, wie viel Bestechung, Betrug, Spekulation auf jedem Eisenbahnknotenpunkt vorhanden ist; ihr wisst, wie die Ausbeuter Millionen hinauswerfen, um das Transportwesen zu schädigen, um die Waggons dorthin zu schaffen, wo man sie nicht mehr finden kann. Das wird alles getan, um den Hunger zu verschärfen und das Volk gegen die Sowjetmacht aufzuhetzen. Aber ihr alle wisst, wenn die Mehrheit der Eisenbahnerorganisationen sich zusammenschließt und sich die Unterstützung der Sowjetmacht zur Aufgabe macht – dann erst werden alle Gauner, Saboteure, Kapitalisten und Ausbeuter, dann erst wird dieses ganze Überbleibsel der bürgerlichen Gesellschaft durch erbarmungslosen Kampf fortgefegt werden, und dann erst wird es möglich sein, das Eisenbahnwesen richtig zu organisieren und die völlige Befreiung der Arbeiter, Soldaten und Bauern von der Macht der Ausbeuter zu erlangen, dann erst werden wir zum Sozialismus kommen.

II. Antwort auf die schriftlichen Anfragen

Genossen! Die schriftlichen Anfragen, die vor mir liegen, zerfallen in zwei Gruppen: die einen Fragen betreffen die Konstituante, die anderen dem Hunger und die wirtschaftliche Zerrüttung. Ich werde auf diese beiden Gruppen von Fragen antworten und dabei die Fragen, die mehr oder weniger dasselbe Thema streifen, miteinander verknüpfen. Was die Konstituante betrifft, so fragt man mich: war es gerecht, die Konstituante aufzulösen, musste man nicht eine neue Konstituante einberufen? Oder wäre es nicht richtiger gewesen, die Frage durch ein Referendum zu entscheiden, bevor man die Konstituante auflöste? Nein, Genossen! Kein Referendum, keine neue Konstituante kann hier helfen! So haben sich nun einmal die Parteien in Russland entwickelt. Mit wem die Kapitalisten, mit wem die Arbeiter und Bauern sympathisieren, das haben wir gesehen. Die Sowjetmacht ist nicht durch irgendein Dekret, nicht auf Beschluss irgendeiner Partei entstanden, weil sie höher steht als die Parteien, weil sie auf Grund der revolutionären Erfahrung, auf Grund der Erfahrung von Millionen Menschen geschaffen worden ist. Es ist beileibe kein Zufall, dass die Sowjets im Jahre 1905 entstanden und dass sie im Jahre 1917 emporwuchsen und eine neue Republik schufen, die es in den europäischen Ländern nicht gibt und nicht geben wird, solange dort das Kapital herrscht. Aber die Sowjetrepublik wird überall den Sieg davontragen. Und dann wird dem Kapital der entscheidende Schlag versetzt werden. Ich muss darauf hinweisen, dass die Konstituante und das Referendum nach den alten Mustern des bürgerlichen Parlaments aufgebaut sind, und bei der Volksabstimmung ist man infolge der Herrschaft des Kapitals gezwungen, mit den Kapitalisten zu rechnen und zu handeln. Die Sowjetmacht aber stellt keine Vertreter, die sich in den Parlamenten herumschlagen, glänzende Reden wechseln und die Herrschaft des Kapitals und des bürokratischen Apparats stärken. Die Sowjetmacht geht von den werktätigen Massen selbst aus, sie schafft kein Parlament, sondern eine Versammlung von Vertretern der Werktätigen, die Gesetze herausgibt, welche sofort durchgeführt werden, ins Leben eindringen und sich den Kampf gegen die Ausbeuter zur Aufgabe stellen. Die Konstituante und das Referendum nach altem Muster stellten sich die Aufgabe, den Willen der gesamten Nation zusammenzufassen und die Möglichkeit zu schaffen, dass Wölfe und Lämmer, Ausbeuter und Ausgebeutete friedlich beieinander leben. Nein, das wollen wir nicht. Das alles haben wir durchgemacht und erprobt, und an die Stelle der alten bürgerlichen Republik, die Kerenski schuf und die jedem Soldaten, jedem Bauern gut bekannt ist, der die auf Befehl Kerenskis erfolgte Verhaftung der Landkomitees gesehen hat…5 Wir haben genug davon. Und wir sind überzeugt, dass auch die Mehrheit der Arbeiter, Bauern und Soldaten davon genug hat. In einer Zeit, wo der Krieg zu einer ganzen Reihe von heroischen Anstrengungen zwingt, weil man sich entweder den Klauen des Kapitals entreißen oder untergehen muss, will man uns veranlassen, einen Versuch zu machen, der bereits in den europäischen Ländern gemacht worden ist und der uns den alten Kapitalismus und eine Vertretung der gesamten Nation bringen würde, aber keine Vertretung der werktätigen Massen. Wir brauchen keine bürgerliche Vertretung, sondern eine Vertretung der Ausgebeuteten und Unterdrückten, die einen rücksichtslosen Kampf gegen die Ausbeuter führt. Das sind die Absichten der Sowjetmacht. Damit ist weder ein Parlament noch ein Referendum vereinbar. Die Sowjetmacht steht höher, sie gibt den Werktätigen die Möglichkeit, wenn sie mit ihrer Partei nicht zufrieden sind, neue Delegierte zu wählen, die Macht einer anderen Partei zu übergeben und die Regierung ohne die geringste Revolution zu ändern, denn die Erfahrung mit Kerenski, Kaledin und der bürgerlichen Rada hat gezeigt, dass ein Kampf gegen die Sowjetmacht unmöglich ist. Und wenn auch jetzt in Russland einige Dutzend Leute vorhanden sind, die gegen die Sowjetmacht kämpfen, so gibt es doch nur wenige solcher sonderbaren Käuze, und in einigen Wochen wird es überhaupt keine mehr geben: die Sowjetmacht als die Organisation der unterdrückten Klasse zum Sturz der Unterdrücker und zur Beseitigung der Ausbeuter wird triumphieren.

Jetzt gehe ich zu der schrecklichen Geißel der Gegenwart über, zu dem Hunger, der uns droht. Worin besteht die Hauptursache der Zerrüttung? Die Hauptursache der Zerrüttung, die jetzt die Städte und die Industrieorte mit dem Hunger bedroht, besteht in der Herrschaft der Saboteure, in der wirtschaftlichen Zerrüttung, die diese Saboteure begünstigen und die sie uns vorwerfen. Wir wissen sehr gut, dass es in Russland genug Brot gibt, dass es im Reiche Kaledins, im fernen Sibirien und in den brotreichen Gouvernements liegt. Ich muss sagen, dass die ausgebeuteten Klassen niemals imstande sein werden, sich zu befreien, wenn sie nicht eine feste, erbarmungslose, revolutionäre Macht schaffen werden. Was die Saboteure betrifft, Genossen, so muss ich sagen, dass wir die Adressen der Wohnungen kennen, in denen die Sabotage treibenden Beamten zusammenkamen und für drei Monate im Voraus ihr Gehalt erhielten, wofür Rjabuschinski 5 Millionen ausgegeben hat, die anglo-französischen Imperialisten soundso viel, die rumänischen soundso viel, usw. So sieht die Sabotage aus. Das sind gekaufte Menschen, das sind die höheren Angestellten, die nur ein Ziel verfolgen: die Sowjetmacht zu Fall zu bringen, obwohl viele von ihnen das nicht wissen. Die Sabotage ist das Streben nach der Wiederkehr des alten Paradieses für die Ausbeuter und der alten Hölle für die Werktätigen. Aber damit sie dieses Ziel nicht erreichen, müssen wir ihren Widerstand brechen. Ferner weist man uns auf die Bezahlung der Eisenbahnangestellten hin. Das ist ein vollkommenes Missverständnis. Das war nur ein einziger Kommissar, der diese Sache so ausgelegt und diesen Befehl erlassen hat, aber auf den ersten Hinweis des Rates der Volkskommissare ist dieser Befehl abgeändert worden.6 Und wenn man davon redet, dass das die Absicht der Sowjetmacht war, so bedeutet das, dass man keine Ahnung von den Dingen hat. Was müssen wir tun, um den Hunger und die Anarchie zu beseitigen? Erstens, den Widerstand der Kapitalisten brechen und die Saboteure in eine Lage bringen, in der sie keinen Widerstand mehr leisten können. Wenn die Anhänger der „Nowaja Schisn" und andere angeblich sozialistische Presseorgane davon reden, dass in den zweieinhalb Monaten die Sabotage nicht aufgehört hat, so sage ich: weshalb helft ihr uns nicht, damit diese Sabotage aufhöre? Jetzt sind die Banken bereits den Sowjets unterstellt. Gestern ist folgender Fall passiert. Zu mir kam der Schriftsteller Finn-Jenotajewski und erklärte mir im Namen von 50.000 Menschen, dass die Banken bereit seien, zu arbeiten und sich der Sowjetmacht vollkommen unterzuordnen. Ich antwortete dem Vertreter der Bankangestellten: „Das hätten sie längst tun sollen!" Wir lehnen keine Verhandlungen mit Organisationen ab, ob das nun eine Organisation der Bankangestellten oder irgendeine andere Organisation ist, wenn wirklich diese Anerkennung der Sowjetmacht durch die Mehrheit der Werktätigen kein Lippenbekenntnis, sondern eine wirkliche Anerkennung ist. Diese Erklärung haben die Bankangestellten abgegeben, die gewöhnt sind, unerhörte Spekulationsgeschäfte zu treiben und, sobald sich die Gelegenheit bietet, eine Kopeke in einen Rubel zu verwandeln, so dass ihre Taschen von Millionengewinnen vollgestopft sind.

Jetzt schlagen sie uns Verhandlungen vor, aber das werden nicht die Verhandlungen sein, die Kerenski geführt hat. Wir werden nicht von einer Reform der Banken reden. Wir haben zuerst die Banken gewaltsam besetzt, und jetzt nehmen wir Verhandlungen auf und erlassen Verordnungen und Verfügungen. Für uns war es von Anfang an wichtig, den Widerstand der Saboteure zu brechen und dann erst Verhandlungen aufzunehmen. Das ist der Weg des Kampfes gegen den Hunger und die Anarchie, der allein die Schrecken des Kapitalismus und der Zerrüttung überwinden kann. Ihr wisst, was für eine entsetzliche Zerstörung über die ganze Welt gebracht worden ist, und besonders über Russland, wo der Zarismus Bestechung, Gewalttat, Hass und Verhöhnung der Werktätigen hinterlassen hat. Und jetzt beschwert man sich über die Anarchie. Überlegt doch selbst, sind die Menschen, die drei Jahre lang in den Schützengräben waren und durch den Krieg zermürbt worden sind, imstande, dafür zu kämpfen, dass die russischen Kapitalisten sich bereichern, weil die russischen Kapitalisten Konstantinopel brauchen? Man sieht auf Schritt und Tritt, dass die Leute Millionen ausgeben, um die Sowjetmacht zu stürzen und die Herrschaft über das Land zu erhalten. Genossen! Solche Veränderungen im Laufe eines Tages ganz zu Ende zu führen, ist unmöglich. Die sozialistische Revolution hat begonnen. Jetzt hängt alles von der Schaffung einer kameradschaftlichen Disziplin ab, keiner Kasernendisziplin, keiner Disziplin der Kapitalisten, sondern der Disziplin der werktätigen Massen selbst. Wenn die Eisenbahnarbeiter die Macht in ihre Hände nehmen, so werden sie mit Hilfe einer bewaffneten Organisation die Sabotage und die Spekulation vernichten und sich die Aufgabe stellen, alle diejenigen zu verfolgen, die sich mit Bestechungen abgeben und das richtige Funktionieren der Eisenbahnen stören. Solche Leute muss man verfolgen als die schwersten Verbrecher gegen den Staat des Volkes. Nur von einer solchen Organisation, von einer Sowjetorganisation, von ihrer Geschlossenheit und Energie hängt der Kampf gegen die Kapitalisten, die Saboteure, die Gauner und die Rjabuschinskis ab. Das ist der Weg, den man wählen muss, um den Hunger zu besiegen, denn in Russland gibt es alles: Eisen und Naphtha und Brot, mit einem Worte, alles, was man braucht, um ein menschenwürdiges Leben zu führen. Wenn es gelingt, die Ausbeuter zu besiegen, dann wird die Sowjetmacht und das Sowjetregime sich über ganz Russland ausbreiten. So wird es kommen.

1 Die geographischen Karten, die dem Artikel P. Miljukows „Die territorialen Eroberungen Russlands" (erschienen im Sammelband „Was erwartet Russland vom Krieg?") beigegeben wurden, waren derart abgefasst, dass zu Russland Ostpreußen, Galizien, Konstantinopel und Türkisch-Armenien hinzugefügt waren.

2 Text verstümmelt. Die Red.

3 Wen Lenin hier meint, konnte nicht festgestellt werden.

4 Auf dem III. Allrussischen Rätekongress traten am 23. (10.) Januar 1918 mit Begrüßungen auf: im Namen der Sozialdemokratischen Parteien Schwedens und Norwegens E. Nissen, im Namen der sozialistischen Arbeiter Amerikas Reinstein, im Namen der amerikanischen Demokratie Williams und im Namen der amerikanischen Sozialisten John Reed.

5 Satz nicht beendet. Die Red.

6 Gemeint ist das mit dem Eisenbahnerverband nicht vereinbarte Telegramm des Volkskommissars für Verkehrswesen, M. Jelisarow, vom 15. (2.) Januar 1918 über die Normen des Arbeitslohns der Eisenbahner, das durch den Beschluss des Rates der Volkskommissare vom 20. (7.) Januar aufgehoben worden war. Nach diesem Telegramm sollten hochqualifizierte Arbeiter und Ingenieure fast ebenso bezahlt werden wie ungelernte Arbeiter.

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