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Wladimir I. Lenin 19181127 Versammlung der Moskauer Parteifunktionäre

Wladimir I. Lenin: Versammlung der Moskauer Parteifunktionäre

27. November 1918

[Nach Sämtliche Werke, Band 23, Moskau 1940, S. 387-420]

I. Referat über die kleinbürgerlichen Parteien

Genossen, ich möchte mich über jene Aufgaben aussprechen, die im Zusammenhang mit der Frage nach der Stellung des Proletariats zur kleinbürgerlichen Demokratie unserer Partei und der Sowjetmacht zufallen. Die jüngsten Ereignisse stellen diese Frage zweifellos auf die Tagesordnung, weil die gigantischen Veränderungen in der internationalen Lage, wie die Annullierung des Brester Vertrags, die Revolution in Deutschland, der Zusammenbruch des deutschen Imperialismus und die Zersetzung des englisch-amerikanischen Imperialismus eine ganze Reihe von bürgerlich-demokratischen Thesen unbedingt über den Haufen werfen mussten, die die theoretische Grundlage insbesondere für die kleinbürgerliche Demokratie gebildet hatten. Die militärische Lage Russlands, der Vorstoß des englisch-französischen und amerikanischen Imperialismus, der dazu übergegangen ist, sich mit den obersten Spitzen der Intelligenz zu verbünden, mussten unbedingt einen Teil dieser kleinbürgerlichen Demokratie mehr oder minder auf unsere Seite treiben. Gerade über die Veränderungen, die wir an unserer Taktik vornehmen müssen, über die neuen Aufgaben, die vor uns auftauchen, möchte ich mich am heutigen Abend aussprechen.

Gestattet mir, mit einigen grundlegenden theoretischen Sätzen zu beginnen. Es ist nicht zu bezweifeln, dass die wichtigste soziale Schicht, die, zumindest in Russland, noch eine ökonomische Basis für die kleinbürgerliche Demokratie abgibt, die mittlere Bauernschaft ist. Es ist nicht daran zu zweifeln, dass die sozialistische Umwälzung und der Übergang vom Kapitalismus zum Sozialismus in einem Lande, in dem die Zahl der bäuerlichen Bevölkerung erheblich ist, unvermeidlich besondere Formen annehmen muss. Deshalb möchte ich euch vor allem daran erinnern, wie die Hauptthesen des Marxismus über die Stellung des Proletariats zur mittleren Bauernschaft herausgebildet wurden. Um euch das in Erinnerung zu bringen, werde ich euch einige Erklärungen vorlesen, die Engels in seinem Artikel „Die Bauernfrage in Frankreich und Deutschland" gemacht hat. Dieser Artikel erschien als Einzelbroschüre und ist im Jahre 1894 oder 1895 geschrieben worden, als im Zusammenhang mit der Diskussion über das Programm der deutschen Sozialdemokratie auf dem Breslauer Parteitag die Frage des Agrarprogramms der sozialistischen Partei und des Verhältnisses zur Bauernschaft praktisch auf die Tagesordnung gestellt wurde. Engels äußerte sich damals über die Stellung des Proletariats folgendermaßen:

Was ist denn unsere Stellung zur Kleinbauernschaft? …

Erstens ist der Satz des französischen Programms unbedingt richtig: dass wir den unvermeidlichen Untergang des Kleinbauern voraussehen, aber keineswegs berufen sind, ihn durch Eingriffe unsrerseits zu beschleunigen.

Und zweitens ist es ebenso handgreiflich, dass wenn wir im Besitz der Staatsmacht sind, wir nicht daran denken können, die Kleinbauern gewaltsam zu expropriieren (einerlei ob mit oder ohne Entschädigung), wie wir dies mit den Großgrundbesitzern zu tun genötigt sind. Unsere Aufgabe gegenüber dem Kleinbauer besteht zunächst darin, seinen Privatbetrieb und Privatbesitz in einen genossenschaftlichen überzuleiten, nicht mit Gewalt, sondern durch Beispiel und Darbietung von gesellschaftlicher Hilfe zu diesem Zweck."

Weiter sagt Engels zu dieser Frage:

Wir können nun und nimmermehr den Parzellenbauern die Erhaltung, des Einzeleigentums und des Einzelbetriebs gegen die Übermacht der kapitalistischen Produktion versprechen. Wir können ihnen nur versprechen, dass wir nicht wider ihren Willen gewaltsam in ihre Eigentumsverhältnisse eingreifen werden."

Und schließlich die letzte Äußerung von Engels, an die ich euch erinnern wollte, ist seine Betrachtung über die reichen Bauern, die Großbauern, russisch ausgedrückt die Kulaken, das heißt also über solche Bauern, die ohne Anwendung von Lohnarbeitern nicht auskommen. Für diese Bauern können die Marxisten in der sozialistischen Gesellschaft nichts tun.

Sehen diese Bauern die Unvermeidlichkeit des Untergangs ihrer jetzigen Produktionsweise ein, ziehen sie die notwendigen Konsequenzen daraus, so kommen sie zu uns und es wird unsres Amtes sein, auch ihnen den Übergang in die veränderte Produktionsweise nach Kräften zu erleichtern. Andernfalls müssen wir sie ihrem Schicksal überlassen…"

Das sind die Sätze, die ich euch ins Gedächtnis rufen wollte, und die zweifellos jedem Kommunisten bekannt sind. Aus diesen Sätzen ersehen wir, dass die Aufgabe des Proletariats, das die Staatsmacht ergriffen hat, in den Ländern, wo das großkapitalistische System die Oberhand hat, keinesfalls die gleiche sein kann wie in den Ländern, wo eine rückständige Klein-, Mittel- und Großbauernschaft überwiegt. Dabei sehen wir, dass wir die Aufgaben des Marxismus vollkommen genau dargelegt haben, als wir sagten, dass in Bezug auf die Gutsbesitzer, auf unsere Ausbeuter, der Krieg unsere Pflicht sei.

In Bezug auf den Mittelbauern sagen wir: auf keinen Fall irgendwelche Gewaltanwendung; in Bezug auf den Großbauern sagen wir: unsere Losung ist, sie dem Getreidemonopol unterzuordnen, sie zu bekämpfen, falls sie das Getreidemonopol verletzen, falls sie Getreide verstecken. Ich hatte unlängst Gelegenheit, diese Grundsätze auf einer Versammlung von einigen hundert Personen zu wiederholen, auf einer Versammlung der Vertreter der Komitees der Dorfarmut, die zur Zeit des VI. Kongresses nach Moskau gekommen waren. In unserer Parteiliteratur, in der Propaganda und in der Agitation haben wir stets diesen Unterschied in unserer Stellung zur Großbourgeoisie und zum Kleinbürgertum betont, aber obwohl wir alle Kommunisten sind und theoretisch alle damit einverstanden sind, haben wir bei weitem nicht alle, und lange nicht schnell genug die entsprechenden politischen Schlussfolgerungen gezogen.

Und ich habe absichtlich so weit ausgeholt – mit dem Mittelbauern angefangen –, um euch zu zeigen, welche ökonomischen Kategorien und welche ökonomischen, Begriffe über die Wechselbeziehungen der Klassen wir zur Richtschnur nehmen müssen, um die Frage unserer Politik gegenüber der bürgerlichen Demokratie auf eine unanfechtbare Grundlage zu stellen. Und es besteht kein Zweifel darüber, dass diese kleinbäuerliche Klasse – wir bezeichnen als Mittelbauern jenen, der seine Arbeitskraft nicht verkauft –, dass dieser Bauer in Russland jedenfalls die wichtigste ökonomische Klasse ist, welche die Grundlage für die breite Mannigfaltigkeit der politischen Strömungen der bürgerlichen Demokratie bildet. Bei uns in Russland sind diese Strömungen am meisten mit den Parteien der Menschewiki und der Sozialrevolutionäre verbunden. Die Geschichte des Sozialismus in Russland kennt den langwierigen Kampf der Bolschewiki gegen diese Parteien; wobei beispielsweise die westeuropäischen Sozialisten diesen Kampf ständig als einen Kampf innerhalb des Sozialismus betrachtet haben. Noch jetzt könnt ihr bei den Sozialisten Westeuropas ständig eine solche Einstellung antreffen. Sie betrachten die Sache so, als sei der Kampf der Menschewiki gegen die Revolutionäre ein Kampf innerhalb des Sozialismus, d. h. ein Zeichen der Spaltung des Sozialismus in Russland. Diese Ansicht kommt, in Parenthese gesagt, auf Schritt und Tritt in den Reden selbst guter Sozialdemokraten zum Ausdruck.

Heute gerade hat man mir einen Brief Friedrich Adlers übermittelt, eines Mannes, der bekannt ist durch seine revolutionäre Haltung in Österreich. Wie sehr sein Brief, der Ende Oktober geschrieben wurde und heute eingelaufen ist, diese Stimmung widerspiegelt, ist daraus zu ersehen, dass er die Bitte enthält, ob es nicht möglich wäre, die Menschewiki aus dem Gefängnis zu entlassen. Außer dieser Bitte hat er in solch einem Augenblick nichts Gescheiteres zu schreiben gewusst. Freilich hat er den Vorbehalt gemacht, dass er über die Bewegung nicht genau informiert sei und so weiter. Doch ist es dennoch bezeichnend, dass für die westeuropäische Demokratie das traurige Schicksal der Sozialisten in Russland auffallend ist. Dieser lächerliche Irrtum der westeuropäischen Sozialisten erklärt sich daraus, dass sie rückwärts und nicht vorwärts blicken und vergessen, dass die Revolution jeden Tag zeigte, dass weder die Menschewiki noch die Sozialrevolutionäre, die die Sozialisierung predigen, so auftreten, dass man sie zu den Sozialisten rechnen könnte. Es ist ein höchst lächerlicher Irrtum, den Buchstaben für die Sache zu nehmen. Im November-Dezember 1917 und heute, nachdem wir die Revolution durchlebt haben, dauern die Schwankungen der Menschewiki fort, Für uns ist es klar, hier kann es keinen Zweifel geben, dass nur Leute, die sich mit Vorbedacht von der Revolution abgewandt haben, diese Wahrheit leugnen können. Die Menschewiki und Sozialrevolutionäre taten während der ganzen Zeit der Revolution von 1917 nichts anderes, als dass sie zwischen der Bourgeoisie und dem Proletariat schwankten, sie konnten niemals in ihrem Verhalten eine richtige Position beziehen, gerade als wollten sie die Marxschen Worte illustrieren, seine These, dass das Kleinbürgertum zu keinerlei selbständiger Position in den ausschlaggebenden Kämpfen fähig ist. Die beste Bestätigung dieses alten Satzes ist das Verhalten unserer Menschewiki und Sozialrevolutionäre. Eine bessere Bestätigung kann man sich gar nicht vorstellen. Und daraus, wie sich die Menschewiki und Sozialrevolutionäre in der Tat verhalten haben, aus diesen Tatsachen selbstverständlich, nicht aber aus ihrem Programm oder aus ihren Verheißungen und Versprechungen, müssen wir die Schlussfolgerungen in Bezug auf den sozialistischen Charakter dieser Parteien ziehen.

Wenn während der Revolution, in dem weiteren Kampf der Menschewiki gegen unsere Partei, als unsere Losungen, unser Programm und unsere taktischen Grundsätze durch die Erfahrung des Kampfes ihre Bestätigung erhielten, – wenn die Menschewiki und Sozialrevolutionäre während dieser Zeit gegen unsere Partei Stellung genommen haben, so muss gesagt werden, dass auch ihr jahrelanger, ja selbst jahrzehntelanger Kampf widerlegt worden war und sich als bankrott erwiesen hatte. Umgekehrt, die Richtigkeit und Notwendigkeit des erbitterten Kampfes, den die Bolschewiki im Laufe von Jahrzehnten gegen die Menschewiki und Sozialrevolutionäre geführt haben, – diese Richtigkeit ist durch den Verlauf der Revolution bewiesen worden.1

Das Proletariat vertrat von Anfang an, als es die Sowjets schuf, entschieden, wenn auch weniger bewusst als die Bourgeoisie, aber bestimmt schon dadurch den Klassenstandpunkt, dass es die Sowjets schuf, sich schon unter der Losung: „Alle Macht den Sowjets" der Bourgeoisie entgegenstellte und dadurch eine ganze Plattform, eine klare Politik gab und die ganze Taktik festlegte. Die Menschewiki und Sozialrevolutionäre jedoch schwankten die ganze Zeit hindurch. Und wenn schon ihre eigenen Freunde sie im Frühjahr und Sommer 1917 Halbbolschewiki nannten, so war das nicht nur ein Witz, sondern auch eine richtige Charakterisierung sowohl der Menschewiki als auch der Sozialrevolutionäre, die da zeigte, dass in jeder Frage – nehmt die Frage der Sowjets, der revolutionären Bewegung im Dorf, der unmittelbaren Besitznahme des Grund und Bodens, der Verbrüderung an der Front, der Unterstützung oder Nichtunterstützung des Imperialismus –, dass in allen diesen grundlegenden Fragen die Menschewiki und Sozialrevolutionäre heute „ja" und morgen „nein" sagten, dass sie einerseits halfen und andererseits nicht halfen, und dass sie aus der ganzen Periode ein Musterbeispiel der Charakterlosigkeit und Hilflosigkeit machten, als sie um die Bourgeoisie herum scharwenzelten und sich zu gehorsamen Dienern der Bourgeoisie machten oder, besser gesagt, als sie handelten wie jene selbst es wollte. Andrerseits jedoch bombardierten sie in ihrer Propaganda die Bevölkerung dauernd mit Phrasen zugunsten der Sowjets. Bezeichneten sie doch die ganze Zeit die Sowjets als revolutionäre Demokratie und stellten sie dem gegenüber, was sie Zensuselement nannten. Das war bei ihnen eine schlaue politische Machenschaft; die breiten Massen jedoch, in deren Reihen das einschlug, ließen sich hinreißen: „Das ist für die Sowjets!" Die Predigten der Menschewiki nützten zum Teil auch uns. Diese Frage ist sehr kompliziert, sie hat eine lange Geschichte und reichliche Belege. Mir genügt es, kurz auf sie hinzuweisen. Und ich denke, dass sie durch die Ereignisse völlig unanfechtbar bewiesen wurde. Und eben diese Politik, die Politik der Menschewiki und Sozialrevolutionäre während der Revolution, beweist endgültig vor unseren Augen unsere These, dass es ein Irrtum ist, sie für Sozialisten zu halten. Sozialisten waren sie nur, meinetwegen, der Phraseologie und den Erinnerungen nach, faktisch aber sind sie das russische Kleinbürgertum.

Darum eben begann ich damit, wie die Marxisten sich zum Mittelbauern verhalten sollen. Das erklärt unsere Grundsätze in der Politik, das muss sich in der Haltung der Kommunisten zu den kleinbürgerlichen Parteien auswirken. Jetzt nähern wir uns einer solchen Zeitspanne, wo unsere früheren Losungen aus der verflossenen Revolutionsperiode sich ändern müssen, damit wir dem gegenwärtigen Umschwung richtig Rechnung tragen können.

Ihr wisst, dass diese Elemente im Oktober-November schwankten, ihr wisst, wie sie sich abmühten, eine neue Regierung – so oder so – zu bilden. Ihr erinnert euch, wie die Partei der Bolschewiki sich im Sommer als unversöhnlich erwies und richtig handelte, als sie sich sagte, dass wir die Feinde des Proletariats werden vernichten müssen, dass uns Schlachten bevorstehen um die Grundfragen des Krieges und Friedens, der bürgerlichen Vertretung, der Sowjetmacht. In allen diesen Fragen konnten wir uns nur auf unsere eigenen Kräfte stützen, und wir handelten vollkommen richtig, als wir uns auf keinen Kompromiss mit der kleinbürgerlichen Demokratie einließen. Sie schlugen uns eifrig ihre eigene Form vor – wir lehnten sie total ab. Ob wir recht hatten, zeigen uns die weiteren Ereignisse. Der weitere Gang der Ereignisse führte zu den Schwierigkeiten mit dem Frieden, zu den Unterhandlungen über einen Frieden aller Völker und zum Abschluss des Brester Friedens. Ihr wisst, dass auf diesem Boden die Schwankungen so weit gingen, dass der Brester Friede sie von uns abstieß.

In Russland sollte eine Konstituierende Versammlung zustande kommen. Ihr wisst, dass die Konstituante auseinandergejagt wurde, als sie sich als rechtsmenschewistisch und sozialrevolutionär erwies…2

Aus diesen beiden Umständen, einerseits aus unserer Außenpolitik, die zum Brester Friedensschluss geführt hatte, und andererseits aus unserem schonungslosen Kampf gegen die Illusionen eines Teils der Demokratie, gegen die Ideologie der bürgerlichen Demokratie – aus unserem schonungslosen Kampfe für die Sowjetmacht –, aus diesen beiden Umständen ergab sich, dass die kleinbürgerliche Demokratie sich schroff von uns abwandte. Ihr wisst, dass nach dem Brester Frieden unter den linken Sozialrevolutionären Schwankungen begannen, dass ein Teil von ihnen sich auf Abenteuer einließ, während der andere Teil sich spaltete und sich bis jetzt noch spaltet. Tatsache bleibt jedoch Tatsache. Weil wir im Kampfe gegen den bürgerlichen Parlamentarismus und gegen das bürgerlich-demokratische Vorurteil – die Konstituante – schonungslos waren, weil wir zum Schutze der Sowjetmacht und ihrer revolutionären Politik die Revolution in internationalem Maßstab über alles stellten und forderten, dass jeder Internationalist dieser Politik alle nationalen Interessen unterordne und auch vor nationalen Opfern nicht haltmache, darum, wegen dieser Losung, wegen des Brester Friedens, wandte sich die ganze kleinbürgerliche Demokratie von uns ab. Wir können natürlich keine Minute, keinen Atemzug lang daran zweifeln, dass unsere Politik damals absolut richtig war. Das jetzt zu beweisen – hieße ABC-Weisheiten wiederholen, weil die deutsche Revolution vor allem die Richtigkeit unserer Anschauungen bewiesen hat. Was man uns nach dem Brester Frieden am meisten vorwarf, und was wir von den weniger klassenbewussten Arbeitermassen am häufigsten hören mussten, war, dass wir vergeblich unsere Hoffnung auf die deutsche Revolution setzten und dass sie immer noch nicht da sei. Die deutsche Revolution hat alle diese Vorwürfe widerlegt und die Richtigkeit unserer Ansicht bewiesen, dass sie kommen müsse, dass wir gegen den deutschen Imperialismus nicht nur durch einen nationalen Krieg, sondern auch durch Propaganda und Zersetzung von innen kämpfen müssten. Die Ereignisse haben uns so sehr recht gegeben, dass hier nichts zu beweisen übrigbleibt. Ebenso verhält es sich mit der Konstituante, Schwankungen waren hier unvermeidlich, und auch hier hat der Gang der Ereignisse die Richtigkeit unserer Anschauungen so sehr bestätigt, dass jetzt alle im Westen begonnenen Revolutionen unter der Losung der Sowjetmacht marschieren und diese Sowjetmacht schaffen. Die Sowjets sind es, die die Revolution jetzt überall kennzeichnen, die Sowjetbewegung ist von Österreich und Deutschland auf Holland und die Schweiz übergesprungen, nach Ländern mit der ältesten demokratischen Kultur, die sich selbst im Vergleich zu Deutschland Westeuropa nennen. In ihnen wird die Losung der Sowjetmacht aufgestellt. Der geschichtliche Zusammenbruch der bürgerlichen Demokratie war also keine Erfindung der Bolschewiki, sondern eine absolute geschichtliche Notwendigkeit. In der Schweiz und in Holland haben politische Kämpfe schon vor einigen Jahrhunderten stattgefunden, und die Losung der Sowjetmacht wird dort heute nicht um der schönen Augen der Bolschewiki willen aufgestellt. Wir haben also die Gegenwart richtig eingeschätzt. Der Gang der Ereignisse hat die Richtigkeit unserer Taktik so sehr bestätigt, dass man sich bei dieser Frage nicht weiter aufzuhalten braucht. Man muss nur begreifen, dass diese Frage eine ernste Frage, dass das die Frage des stärksten Vorurteils der kleinbürgerlichen Demokratie ist. Erinnert euch an die allgemeine Geschichte der bürgerlichen Revolution und an die Entwicklung des Parlamentarismus in allen westeuropäischen Ländern, und ihr werdet sehen, dass derartige Vorurteile unter den alten Sozialdemokraten in allen Ländern herrschten. In Frankreich haben sich diese Anschauungen am längsten gehalten. Anders kann es nicht sein.

Das Kleinbürgertum ist in den Fragen des Parlamentarismus am patriotischsten; es ist am patriotischsten, falls man es mit dem Proletariat und der Großbourgeoisie vergleicht, Die letztere ist internationaler als das Kleinbürgertum, denn dieses ist weniger beweglich, ist mit anderen Völkern nicht so verbunden und in den Welthandelsverkehr nicht einbezogen. Darum konnte man eben nichts anderes erwarten, als dass sich das Kleinbürgertum in der Frage des Parlamentarismus am meisten exponieren würde. So war es auch in Russland, eben von uns wandte sich das Kleinbürgertum besonders schroff ab. Eine große Rolle spielte in dieser Hinsicht, dass die Revolution gegen den Patriotismus kämpfte. Wir mussten in der Epoche des Brester Friedens gegen den Patriotismus vorgehen. Wir sagten: wenn du Sozialist bist, so musst du alle deine patriotischen Gefühle opfern im Namen der internationalen Revolution, die kommen wird, die noch nicht da ist, an die du jedoch glauben musst, wenn du Internationalist bist.

Und begreiflicherweise konnten wir, als wir so sprachen, nur die fortgeschrittenen Abteilungen der Arbeiterklasse auf unsere Seite ziehen. Selbstverständlich stand die Mehrzahl der kleinbürgerlich-demokratischen Kräfte nicht auf unserem Standpunkt. Das konnten wir nicht erwarten. Und wie hätte auch das Kleinbürgertum auf unseren Standpunkt übergehen können? Wir mussten hier die Diktatur des Proletariats in ihrer härtesten Form verwirklichen. Als das Kleinbürgertum sich von uns abwandte, mussten wir in Russland diese Illusion, die Epoche der Begeisterung für diese Illusion überstehen und sie zerschlagen. All das vollzog sich in wenigen Monaten. Wenn ihr aber die Geschichte der westeuropäischen Länder nehmt, so hat man diese Illusion dort nicht einmal in Jahrzehnten überwunden. Nehmen wir die Geschichte Hollands, Frankreichs, Englands usw. Wir mussten die kleinbürgerliche Illusion zerschlagen, dass das Volk etwas Einheitliches sei und der Volkswille in irgend etwas anderem außerhalb des Klassenkampfes seinen Ausdruck finden könne. Diese Illusion hat sich in den fortgeschrittenen Ländern jahrzehntelang gehalten, wir jedoch ließen sie in einigen Monaten mit Riesengeschwindigkeit hinter uns, und wir mussten diese Illusion gewaltsam unterdrücken. Im Resultat war in jener Zeit die ganze kleinbürgerliche Demokratie gegen uns.

Wir hatten vollkommen recht, dass wir uns in dieser Frage auf keinerlei Kompromisse einließen. Wenn wir gegenüber den kleinbürgerlichen Illusionen, gegenüber den Illusionen in Bezug auf die Konstituante Nachsicht geübt hätten, so hätten wir die ganze Sache der proletarischen Revolution in Russland zugrunde gerichtet. Wir hätten den eng-nationalen Interessen die Interessen der Weltrevolution zum Opfer gebracht, die tatsächlich auf dem bolschewistischen Pfad marschierte, weil sie nicht national, sondern rein proletarisch war. In eben diesen Verhältnissen kam es dazu, dass sowohl die menschewistischen als auch die sozialrevolutionären kleinbürgerlichen Massen von uns abrückten. Sie gingen auf die andere Seite der Barrikaden, sie fanden sich auf der Seite unserer Feinde zusammen. Als der Aufstand der Dutowbanden begann, überzeugten wir uns anschaulich davon, dass sich unter den Dutow-, Krasnow- und Skoropadskibanden die Truppen und politischen Kräfte befanden, die uns bekämpft hatten. Hier hat die politische Lage zum Bürgerkrieg geführt. Auf unserer Seite erwies sich das Proletariat und die arme Bauernschaft.

Ihr wisst, dass über ganz Russland zu der Zeit, als die tschechoslowakische Offensive mit größtem Erfolg verlief, dass in dieser Zeit über ganz Russland Kulakenaufstände dahinzogen. Nur die Annäherung zwischen dem städtischen Proletariat und dem Dorfe festigte unsere Macht. Das Proletariat, nur das Proletariat, hat mit Hilfe der Dorfarmut den Kampf gegen sämtliche Feinde durchgehalten. Sowohl die Menschewiki als auch die Sozialrevolutionäre standen in ihrer gewaltigen Mehrheit auf Seiten der Tschechoslowaken, der Dutow- und Krasnowbanden. Diese Lage forderte von uns erbittertsten Kampf und terroristische Methoden in diesem Krieg. Wie sehr auch die Leute von den verschiedensten Gesichtspunkten aus diesen Terrorismus verdammen mögen – und solche Verurteilungen haben wir von allen schwankenden Sozialdemokraten gehört –, dieser Terrorismus ist, darüber sind wir uns klar, durch die Zuspitzung des Bürgerkriegs hervorgerufen worden. Er wurde dadurch hervorgerufen, dass die ganze kleinbürgerliche Demokratie sich gegen uns wandte. Sie führten den Krieg gegen uns mit verschiedenen Methoden – als Bürgerkrieg, durch Bestechungen, durch Sabotage. Eben diese Verhältnisse schufen die Notwendigkeit des Terrors. Darum sollen wir ihn nicht bereuen, ihn nicht aufgeben. Wir müssen nur klar verstehen, welche Bedingungen unserer proletarischen Revolution die Schärfe des Kampfes hervorriefen. Diese besonderen Bedingungen bestanden darin, dass wir gegen den Patriotismus wirken mussten, dass wir die Konstituierende Versammlung durch die Losung „Alle Macht den Sowjets" ersetzen mussten.

Als die Wendung in der internationalen Politik eintrat, vollzog sich auch unvermeidlich eine Wendung in der Haltung der kleinbürgerlichen Demokratie. Wir sehen eine Stimmungsänderung in ihrem Lager. In dem Aufruf der Menschewiki sehen wir die Aufforderung zum Verzicht auf das Bündnis mit den besitzenden Klassen, eine Aufforderung, mit der sich die Menschewiki an ihre Freunde wenden – an die Leute aus der Mitte der kleinbürgerlichen Demokratie, welche mit den Dutowbanden. den Tschechoslowaken und den Engländern ein Bündnis geschlossen hatten, wobei die Menschewiki wohl selbst daran beteiligt waren; – jetzt wenden sie sich an sie mit dem Aufruf, gegen den englisch-amerikanischen Imperialismus in den Kampf zu ziehen. Jetzt ist für jeden klar, dass es außer dem englisch-amerikanischen Imperialismus keine Kraft gibt, die der bolschewistischen Macht irgend etwas entgegenstellen könnte. Ebensolche Schwankungen gehen unter den Sozialrevolutionären vor sich sowie unter der Intelligenz, die die Vorurteile der bürgerlichen Demokratie am meisten teilt, die am meisten von patriotischer Voreingenommenheit erfüllt war. In ihrer Mitte vollzieht sich der gleiche Prozess.

Jetzt besteht die Aufgabe unserer Partei darin, sich bei der Wahl ihrer Taktik von den Klassenverhältnissen leiten zu lassen, die Frage genau zu analysieren, ob es sich um eine Zufälligkeit handelt, um eine Äußerung von Charakterlosigkeit, um Schwankungen, die keinen Boden unter sich haben, oder ob es sich umgekehrt um einen Prozess handelt, der tiefe soziale Wurzeln hat. Wenn wir diese Frage als Ganzes vom Standpunkt der theoretisch festgestellten Beziehungen des Proletariats zur mittleren Bauernschaft, vom Standpunkt der Geschichte unserer Revolution betrachten, so werden wir sehen, dass an der Antwort nicht gezweifelt werden kann. Das ist keine zufällige, keine individuelle Schwenkung. Sie betrifft Millionen und aber Millionen Menschen, die sich in Russland entweder in der Lage der mittleren Bauernschaft oder in einer Lage befinden, die derjenigen der mittleren Bauernschaft entspricht. Die Schwenkung betrifft die ganze kleinbürgerliche Demokratie. Diese trat mit einer Erbitterung gegen uns auf, die bis zur Raserei ging, weil wir alle ihre patriotischen Gefühle zerstören mussten. Die Geschichte hat sich aber so gewendet, dass sich der Patriotismus jetzt uns zukehrt. Es ist klar, dass die Bolschewiki anders als mit ausländischen Bajonetten nicht gestürzt werden können. Wenn man bis jetzt hoffte, dass die Engländer, Franzosen und Amerikaner die wirkliche Demokratie repräsentieren, wenn sich diese Illusion bis jetzt noch erhalten hat, so zerstört jetzt der Frieden, den sie Österreich und Deutschland bescheren, diese Illusion vollkommen. Die Engländer benehmen sich so, als ob sie sich speziell das Ziel gesetzt hätten, die Richtigkeit der bolschewistischen Anschauungen über den internationalen Imperialismus zu beweisen. Die Engländer, Franzosen und Amerikaner benehmen sich so, als ob sie sich das Ziel gesetzt hätten zu beweisen, dass die Bolschewiki mit ihren Ansichten recht haben. Deshalb ertönen aus den Kreisen der Parteien, die gegen uns gekämpft haben, wie z. B. aus dem Lager Plechanows, Stimmen, die da sagen: wir haben uns geirrt, wir dachten, dass der deutsche Imperialismus unser Hauptfeind sei, die Westmächte – Frankreich, England und Amerika – uns jedoch das demokratische System bringen würden. Es hat sich aber herausgestellt, dass der Frieden, den diese Westmächte bescheren, hundertmal erniedrigender, gewaltsamer und räuberischer ist als unser Brester Frieden. Es hat sich herausgestellt, dass die Engländer und Amerikaner als Henker und Gendarmen der russischen Freiheit so auftreten, wie diese Rolle unter dem russischen Henker Nikolaus I. durchgeführt wurde; dass sie nicht schlechter als die Könige auftreten, die die Rolle der Henker spielten, als sie die ungarische Revolution erwürgten. Jetzt haben die Agenten Wilsons diese Rolle übernommen. Sie erwürgen die Revolution in Österreich, sie spielen die Rolle von Gendarmen, sie stellen der Schweiz ein Ultimatum: wir geben kein Getreide, wenn ihr nicht an dem Kampf gegen die bolschewistische Regierung teilnehmt. Sie erklären Holland: wagt ja nicht, die Sowjetgesandten zuzulassen, sonst kommt die Blockade. Sie haben ein einfaches Werkzeug – den Strick des Hungers. Damit eben würgen sie das Volk. Aber der Strick wird sich vielleicht als nicht stark genug erweisen3

Die Geschichte der letzten Zeit, der Kriegs- und Nachkriegsepoche, zeichnet sich durch eine ungewöhnliche Schnelligkeit der Entwicklung aus und beweist die These, dass der englisch-französische Imperialismus ein ebenso niederträchtiger Imperialismus ist wie der deutsche. Vergesst nicht, auch in Amerika haben wir die freieste, beste, vielleicht die demokratischste Republik, aber das hindert nicht im geringsten, dass der Imperialismus dort genau so bestialisch handelt, dass dort die Internationalisten nicht nur gelyncht werden, sondern dass der Mob sie auf die Straße zerrt, sie splitternackt auszieht, mit Teer begießt und anzündet, dass man dort nicht für den Frieden, ja nicht einmal für den Pazifismus überhaupt eintritt..

Alle diese Ereignisse entlarven den Imperialismus mit außergewöhnlicher Kraft und stellen die Frage so: entweder Sowjetmacht oder völlige Erdrosselung der Revolution durch die englisch-französischen Bajonette. Hier ist schon nicht mehr die Rede von einer Verständigung mit Kerenski; ihr wisst, dass man Kerenski weggeworfen hat wie eine ausgepresste Zitrone. Man ging zusammen mit Dutow und Krasnow, man marschierte nach Murman und insbesondere nach Archangelsk. Jetzt hat man diese Periode hinter sich, das fühlt man sehr gut. Jetzt treibt der Patriotismus diese Leute zu uns; so ist es gekommen, so hat die Geschichte sie zu handeln gezwungen. Und wir alle müssen dieser Erfahrung der Massen aus der Weltgeschichte Rechnung tragen. Man darf die Bourgeoisie nicht verteidigen; man darf die Konstituante nicht verteidigen, denn diese erwies sich faktisch in den Händen der Dutow und Krasnow, – mag es auch lächerlich erscheinen, wie die Konstituierende Versammlung zu deren Losung werden konnte. Aber so ist es gekommen, weil die Bildung der Konstituierenden Versammlung begonnen wurde, als die Bourgeoisie noch obenauf war. Die Konstituierende Versammlung erwies sich als ein Organ der Bourgeoisie, die Bourgeoisie aber erwies sich auf Seiten der Imperialisten, die eine antibolschewistische Politik betreiben. Die Bourgeoisie war zu allem bereit, um die Sowjetmacht auf die gemeinste Art und Weise abzuwürgen, sie war bereit, Russland an jeden Beliebigen zu verraten, nur um die Macht der Sowjets zu vernichten.

Das war die Politik der Kadetten, das war die Politik, die sie in der Tat durchführten, die Politik, die zum Bürgerkrieg führte; und diese Politik, die von ungeheurer internationaler Bedeutung ist, hat unsere kleinbürgerliche Demokratie zu einer Schwenkung gezwungen. Natürlich sind in diesem Kreise Schwankungen immer unausbleiblich, und so wird dieser Kreis auch bleiben. Als die Tschechoslowaken die ersten Siege erzielten, versuchte diese bürgerliche Intelligenz, Gerüchte zu verbreiten, dass ein tschechoslowakischer Sieg unausbleiblich sei. Sie veröffentlichten Telegramme aus Moskau, dass Moskau vor dem Fall stehe, dass es eingekreist sei. Und wir wissen ausgezeichnet, dass die kleinbürgerliche Intelligenz für den Fall selbst der unbedeutendsten Siege der Engländer und Franzosen am allerersten den Kopf verlieren, in Panik geraten und alle möglichen Gerüchte über Erfolge unserer Gegner aussprengen wird. Die Revolution hat jedoch die Unvermeidlichkeit des Aufstandes gegen den Krieg gezeigt; selbst Deutschland hat sich gegen den Imperialismus erhoben. Und jetzt haben sich auch „unsere Alliierten“ als die Hauptfeinde der russischen Freiheit und der russischen Selbständigkeit erwiesen.

Russland kann und wird nicht unabhängig sein, wenn die Sowjetmacht nicht gefestigt sein wird. Deshalb eben ist ein solcher Umschwung vor sich gegangen, und im Zusammenhang damit obliegt uns jetzt die Aufgabe, unsere Taktik zu bestimmen. Sehr im Irrtum wäre derjenige, der auf den Gedanken verfiele, die heutige Losung unseres revolutionären Kampfes auf jene Periode zu übertragen, als zwischen uns keinerlei Versöhnung möglich war, als das Kleinbürgertum gegen uns war, als unsere Unbeugsamkeit die Anwendung des Terrors von uns forderte. Jetzt wäre das nicht Unbeugsamkeit, sondern einfach Dummheit – ein ungenügendes Verstehen der Taktik des Marxismus, denn die Taktik des Marxismus wird durch die gegenseitigen Beziehungen der Klassen bestimmt, und wir müssen die Taktik vom Standpunkt der Weltrevolution einschätzen. Als wir den Brester Frieden schließen mussten, schien dieser Schritt vom eng-patriotischen Gesichtspunkt aus ein Verrat an Russland zu sein; vom Gesichtspunkt der Weltrevolution aus war es ein richtiger strategischer Schritt, der der Weltrevolution am meisten geholfen hat. Die Weltrevolution ist gerade jetzt ausgebrochen, wo die Sowjetmacht zur Institution des ganzen Volkes geworden ist.

Und obwohl die bürgerliche Demokratie zu schwanken fortfährt, sind jetzt doch ihre Illusionen untergraben. Und selbstverständlich müssen wir dieser Lage sowie allen übrigen Bedingungen Rechnung tragen, ebenso wie dem, was Engels sagt, und was ich euch eingangs im Zusammenhang mit dieser Mahnung ins Gedächtnis gerufen habe. Das muss jetzt mehr als früher zur Grundlage werden. Wenn früher bei uns ein anderer Standpunkt zu beobachten war, der auch hier vertreten wurde – man solle den Mittelbauern nicht durch Gewalt, sondern durch Überzeugung und Beispiel für uns gewinnen, weil er auf Seiten der Tschechoslowaken stände –, so war trotzdem Gewaltanwendung unvermeidlich, denn Krieg ist Krieg, und im Krieg muss man handeln wie im Krieg.

Jetzt aber, wo diese Leute beginnen, sich uns zuzuwenden, sollen wir uns nicht einfach deshalb von ihnen abwenden, weil unsere Losung in Flugblättern und in Zeitungen früher eine andere war. Und wenn wir sehen, dass sie eine halbe Wendung zu uns machen, müssen wir die Flugblätter neu schreiben, weil das Verhältnis dieser kleinbürgerlichen Demokratie zu uns ein anderes geworden ist. Wir müssen sagen: bitte schön, wir fürchten euch nicht; wenn ihr glaubt, wir verstünden nur durch Gewalt zu wirken, so irrt ihr euch, auch wir könnten eine Verständigung erzielen. Und jene Elemente, die noch voller traditioneller bürgerlicher Vorurteile sind, alle Genossenschaftler, alle Teile der Werktätigen, die am engsten mit gewissen Produktionskreisen und denjenigen bürgerlichen Berufen verbunden sind, welche in der kapitalistischen Gesellschaft notwendig sind, die wir aber in der sozialistischen Gesellschaft beiseite werfen werden, sie alle würden uns entgegenkommen. Nehmt die ganze Intelligenz. Sie hat ein bürgerliches Leben geführt, sie war an gewisse Bequemlichkeiten gewöhnt. Da sie auf die Seite der Tschechoslowaken abschwenkte, war unsere Losung schonungsloser Kampf – Terror.

Angesichts dessen, dass in der Stimmung der kleinbürgerlichen Massen jetzt diese Wendung eingetreten ist, muss unsere Losung sein: Verständigung, praktische Auswertung dieser Verhältnisse, doch nicht mit Hilfe von Gewalt, sondern mit Hilfe gutnachbarlicher Beziehungen, Beziehungen von Bundesgenossen. Wenn es geschieht, dass wir auf Erklärungen der kleinbürgerlichen Demokratie stoßen, man wolle in Bezug auf die Sowjetmacht neutral sein, da man nun einmal seine Stellung gegenüber dieser Macht aufrechterhalten müsse, so können wir sagen: Neutralität und gutnachbarliche Beziehungen–das ist alter Plunder, der vom Standpunkt des Kommunismus nicht das Geringste taugt. Das Ist alter Plunder und sonst nichts, aber wir müssen diesen Plunder unter sachlichem Gesichtspunkt beurteilen. So haben wir diese Dinge immer betrachtet und haben nie gehofft, dass diese kleinbürgerlichen Elemente Kommunisten werden. Aber dieses Angebot müssen wir erörtern.

Wir sagten von der Diktatur des Proletariats, dass das Proletariat über alle übrigen Klassen herrschen müsse. Vor der vollen Einführung des Kommunismus können wir den Unterschied zwischen den Klassen nicht vernichten. Die Klassen werden bestehen bleiben, solange wir nicht die Ausbeuter ausgerottet haben – die Großbourgeoisie und die Gutsbesitzer, die wir unbarmherzig enteignen. Aber in Bezug auf die Mittel- und Kleinbauernschaft können wir nicht dasselbe sagen. Auch hier ist die Ausübung der Herrschaft des Proletariats über die übrigen Klassen erforderlich. Wir müssen schonungslos vorgehen, um die Bourgeoisie und die Gutsbesitzer zu enteignen, aber die kleinbürgerliche Demokratie gewinnen wir für uns. Darauf kann man spöttisch erwidern und sagen: es genügt, den Zustand des Verpflegungswesens, den Zustand des Eisenbahntransports gründlich und genau zu kennen – damit werdet ihr niemanden gewinnen. Auf solche Art und Weise wird man uns am liebsten antworten, aber wir werden ihnen entgegnen: ist unsere Politik im Kampfe gegen den Imperialismus richtig? Könnt ihr uns sagen, dass wir nicht den richtigen Weg eingeschlagen haben? Sie brauchen Beispiele, die für uns alle vollkommen überzeugend sind, welche Vorwürfe man uns auch immer machen, mit welchen Phrasen man uns auch überschütten möge; und obwohl sie niemals diesem „asiatischen" Sozialismus verfallen werden, so hat sich für eine ganze Reihe von Ländern das Vorbild der bolschewistischen Politik doch als tauglich erwiesen.

Wenn wir davon sprechen werden, dass unsere Haltung gegenüber der Konstituante in den Augen der Menschewiki verbrecherisch war, genügt es da etwa nicht, daran zu erinnern, dass seit dem Ausbruch der Revolution in Deutschland noch keine drei Wochen vergangen sind, und dort wird die Frage „Nationalversammlung oder Sowjets" diskutiert. Ob ihnen das gefällt oder nicht, jedenfalls hat sich gezeigt, dass wir recht hatten. Eben deshalb macht sich bei den Menschewiki und Sozialrevolutionären eine Schwenkung zu uns bemerkbar. Unsere Politik im internationalen Maßstab erwies sich als das überzeugendste Beispiel, das die starken Vorurteile verschlungen hat. Deshalb eben sagten wir, dass wir uns auf die festesten Tatsachen stützen. Eben deshalb können wir diese Wendung ausnutzen, indem wir durch das Beispiel auf sie einwirken, wobei wir fest dessen eingedenk sind, dass wenn wir im Bereich des Patriotismus, im Kampfe um parlamentarische Institutionen in so kurzer Frist gesiegt haben, wir um so überzeugter von unserem Siege auch auf anderem Gebiet sind; und die Agitation dieser Elemente schreckt uns heute nicht. Und wenn sie sagen: wir wollen neutral sein und in gutnachbarlichen Beziehungen leben, so sagen wir: das lediglich ist es, was wir brauchen. Wir haben nie erwartet, dass ihr Kommunisten werdet.

Wir stehen nach wie vor auf dem Boden der schonungslosen Enteignung der Gutsbesitzer und Kapitalisten. Hier sind wir unbarmherzig, und hier auf diesem Gebiete können wir den Weg der Versöhnung oder des Paktierens auf keinen Fall betreten. Das wäre Verrat am Mittelbauern, an der kleinbürgerlichen Demokratie. Und das ist eine der Kampfformen, die von den Theoretikern des Kommunismus im Voraus vorgesehen worden ist, und die sich daraus ergibt, dass keinerlei Dekrete die Kleinproduktion in eine Großproduktion verwandeln können, dass hier das Fundament für die sozialistische Gesellschaft nach und nach gelegt und durch den Gang der Ereignisse die Unausbleiblichkeit des Sozialismus entwickelt werden muss. Diese Elemente werden niemals Sozialisten aus Überzeugung, aufrechte, wirkliche Sozialisten werden. Sie werden Sozialisten, wenn sie einsehen, dass es keinen Ausweg gibt. Jetzt sehen sie: Europa ist so zerfallen, der Imperialismus ist in eine solche Situation geraten, dass keine bürgerliche Demokratie, sondern nur die Sowjetmacht Rettung bringen kann. Eben deshalb sind uns jetzt diese Neutralität, diese gutnachbarlichen Beziehungen seitens der kleinbürgerlichen Demokratie nicht nur nicht schrecklich, sondern erwünscht. Eben deshalb lagen wir, wenn wir die Sache nicht vom Standpunkt der Propagandisten des Kommunismus betrachten, sondern vom Standpunkt der Vertreter jener Klasse, welche die Diktatur verwirklicht: wir haben niemals auf mehr gerechnet; in Bezug auf die kleinbürgerliche Demokratie genügt uns das; ihr werdet mit uns in gutnachbarlichen Beziehungen stehen, aber wir werden die Staatsmacht haben; wir werden euch, ihr Herren Menschewiki, nach eurem Auftreten in der Frage der Entente und so weiter, gerne legalisieren, das wird entsprechend dem Beschluss unserer Partei vom Zentralkomitee aus geschehen, doch werden wir nicht vergessen, dass in eurer Partei die Aktivsten geblieben sind, denen gegenüber unsere Kampfmethoden die alten bleiben, weil die Aktivsten Freunde der Tschechoslowaken sind, und ihr daher ebensolche Feinde darstellt, solange die Tschechoslowaken nicht aus Russland vertrieben sind. Wir behalten die Staatsmacht für uns, nur für uns. Mit denen, die mit uns in neutrale Beziehungen treten, diskutieren wir als die Klasse, welche die politische Macht in ihren Händen hält, die ganze Schärfe ihrer Waffen gegen die Gutsbesitzer und Kapitalisten richtet und der kleinbürgerlichen Demokratie sagt: wenn es euch beliebt, auf die Seite der Tschechoslowaken und Krasnowbanden überzugehen – wir haben gezeigt, wie wir gekämpft haben, und wir werden kämpfen. Wenn es euch beliebt, vom Beispiel der Bolschewiki zu lernen, so werden wir den Weg des Übereinkommens mit euch betreten, wohl wissend, dass das Land ohne eine ganze Reihe von Übereinkommen, die wir mit euch erproben, prüfen und gegeneinander abwägen werden, nicht zum Sozialismus übergehen kann.

Wir haben diesen Weg von Anfang an betreten, zum Beispiel dadurch, dass wir für das Gesetz über die Sozialisierung des Grund und Bodens stimmten und es bloß allmählich in jene Maßnahme verwandelten, kraft deren es uns gelang, die Dorfarmut um uns zusammenzuschließen und gegen die Kulaken zu wenden. Erst in dem Maße, wie die proletarische Bewegung in den Dörfern siegt, und zwar nicht die Bewegung gegen die Gutsbesitzer überhaupt, sondern die Bewegung gegen die Kulaken, – erst in dem Maße, wie diese Bewegung den Sieg davonträgt, werden wir systematisch zum kollektiven, gemeinschaftlichen Bodenbesitz und zur gemeinschaftlichen Bodenbearbeitung übergehen. Diese Aufgabe konnte nicht anders, als gestützt auf eine rein proletarische Bewegung im Dorfe, verwirklicht werden, und in dieser Hinsicht steht uns noch sehr viel zu tun bevor. Es unterliegt keinem Zweifel, dass hier nur die praktische Durchführung, nur die Wirklichkeit zeigen kann, wie man vorgehen muss.

Eine Sache ist die Aufgabe der Verständigung mit der mittleren Bauernschaft, eine zweite die Verständigung mit den kleinbürgerlichen Elementen, eine dritte die Verständigung mit den Genossenschaftlern. Diese Aufgabe wird modifiziert werden müssen, sobald wir sie in Bezug auf jene bürgerlichen Verbände stellen, die die kleinbürgerlichen Traditionen und Gewohnheiten bewahrt haben. Diese Aufgabe wird noch eine gewisse Modifizierung erfahren, sobald wir von der kleinbürgerlichen Intelligenz sprechen: sie schwankt, aber wir brauchen sie für unsere sozialistische Umwälzung ebenfalls. Wir wissen, dass man den Sozialismus nur aus den Elementen der großkapitalistischen Kultur aufbauen kann, und die Intelligenz ist ein solches Element. Wenn wir sie schonungslos bekämpfen mussten, so hat uns nicht der Kommunismus dazu verpflichtet, sondern der Gang der Ereignisse, der alle Demokraten und alle diejenigen, die in die bürgerliche Demokratie verliebt waren, von uns zurückgestoßen hat. Jetzt hat sich die Möglichkeit ergeben, diese Intelligenz für den Sozialismus auszunutzen, jene Intelligenz, die nicht sozialistisch ist, die niemals kommunistisch sein wird, die aber jetzt uns gegenüber durch den objektiven Gang der Ereignisse und deren Wechselbeziehungen neutral und gutnachbarlich gestimmt ist. „Auf euch, ihr kleinbürgerlichen Intellektuellen, werden wir uns niemals stützen, wir werden uns nur auf die Vorhut des Proletariats stützen, die alle Proletarier und die ganze Dorfarmut führt." Eine andere Stütze kann es für die Kommunistische Partei nicht geben. Aber es ist eine Sache, sich auf die Klasse zu stützen, welche die Diktatur repräsentiert, und eine andere Sache, über die anderen Klassen zu herrschen. Natürlich besteht in dieser Hinsicht ein gewaltiger Unterschied, den ich versucht habe aufzuzeigen.

Ihr entsinnt euch, dass Engels sogar in Bezug auf jene Bauern, die Lohnarbeiter beschäftigen, gesagt hat: „Von einer gewaltsamen Expropriation werden wir auch hier wahrscheinlich absehen … können". Wir enteignen nach der allgemeinen Regel, und es gibt bei uns keinen Kulaken. Wir halten ihn nieder. Wir unterdrücken ihn physisch, wenn er in den Sowjet eindringt und versucht, dort den Dorfarmen abzuwürgen. Ihr seht, wie hier die Herrschaft einer Klasse durchgeführt wird. Allein das Proletariat kann herrschen. Doch wird die Herrschaft gegenüber dem Kleinbauern auf eine Art, gegenüber dem Mittelbauern auf eine andere Art, anders dem Gutsbesitzer gegenüber, anders dem Kleinbürger gegenüber durchgeführt. Die ganze Aufgabe besteht darin, imstande zu sein, diese Wendung, die durch die internationalen Verhältnisse hervorgerufen wurde, zu begreifen, die Unvermeidlichkeit dessen zu begreifen, dass die Losungen, an die wir seit dem verflossenen halben Jahr Revolutionsgeschichte gewöhnt sind, unweigerlich modifiziert werden müssen, insoweit es sich um die kleinbürgerliche Demokratie handelt. Wir müssen sagen: wir behalten die Macht für eben diese Klasse, aber unsere Losung in Bezug auf die kleinbürgerliche Demokratie lautete: „Verständigung". Aber man hat uns gezwungen, Terror anzuwenden.

Was diese Demokratie betrifft, so besteht unsere Aufgabe in der systematischen Prüfung, Erprobung ihrer Politik in Anwendung auf jeden einzelnen Menschen; in der Erprobung der Kräfte der kleinbürgerlichen Demokratie entsprechend der Form gutnachbarlicher Beziehungen und Übereinkommen, wobei das Proletariat sagt: meine Linie führt auf dem Wege der Enteignung zum Kommunismus. Wenn ihr wirklich in gutnachbarlichen Beziehungen zu uns steht, dann seid so gut, ihr Herren Genossenschaftler und Intellektuellen, diese oder jene Aufgabe zu erfüllen. Aber wenn ihr sie nicht erfüllt, so seid ihr Gesetzesverletzer, seid unsere Feinde, und wir werden gegen euch kämpfen. Wenn ihr aber auf dem Boden gutnachbarlicher Beziehungen steht und diese Aufgaben erfüllt, so ist das für uns mehr als genügend. Wir haben eine feste Stütze. An eurer Schlauheit haben wir nie gezweifelt. Aber dass wir euch brauchen, das bestreiten wir nicht. Wir brauchen euch, weil ihr das einzige Kulturelement seid.

Wenn wir den Sozialismus nicht aus Elementen aufbauen müssten, die uns der Kapitalismus hinterlassen hat, wäre die Aufgabe leicht, doch liegt die Schwierigkeit des sozialistischen Aufbaus eben darin, dass wir den Sozialismus mit Menschen aufbauen müssen, die vom Kapitalismus durch und durch verdorben sind. Darin eben besteht die Schwierigkeit des Übergangs, dass er mit der Diktatur verbunden ist, mit einem Moment, wo nur eine einzige Klasse – das Proletariat – regiert. Daraus ergibt sich für uns die Feststellung, dass das Proletariat, das geschult und in eine zum Zerschlagen der Bourgeoisie befähigte Kampfkraft verwandelt ist, die Linie bestimmen wird. Zwischen der Bourgeoisie und dem Proletariat gibt es eine Menge von Übergangsstufen, und im Hinblick auf diese muss unsere Politik jetzt auf jene Gleise gebracht werden, die von uns theoretisch vorgesehen sind, und die wir jetzt verwirklichen können. Wir, die herrschende proletarische Macht, müssen jetzt verstehen, eine ganze Reihe von Aufgaben zu stellen, eine ganze Reihe von Übereinkommen einzugehen, Übereinkommen auszuprobieren, technische Aufgaben zu stellen. Wir müssen verstehen, dem mittleren Bauern die eine Aufgabe zu geben, beim Warenaustausch und bei der Entlarvung des Kulaken mitzuhelfen. Den Genossenschaftlern eine andere: sie verfügen über einen Apparat zur Massenverteilung der Produkte; diesen Apparat müssen wir uns nehmen. Wir müssen den Sozialismus bauen aus jenen Überresten der Genossenschaftsapparate, die der Vergangenheit entstammen, und müssen verstehen, die Reste der herrschenden Klasse zu zwingen, diese Aufgaben durchzuführen und zu erfüllen. Ganz andere Aufgaben müssen wir der Intelligenz stellen. Sie hat nicht die Kraft, ihre Sabotage fortzusetzen und ist so gestimmt, dass sie jetzt uns gegenüber die gutnachbarlichste Haltung einnimmt; diese Intelligenz nun müssen wir nehmen, müssen ihr bestimmte Aufgaben stellen, deren Erfüllung verfolgen und prüfen, und müssen uns zu dieser Intelligenz so verhalten wie Marx das ausdrückte hinsichtlich der Angestellten der Pariser Kommune: „ … dass Gesellschaften ebenso gut wie einzelne, in wirklichen Geschäftssachen gewöhnlich den rechten Mann zu finden und, falls sie sich einmal täuschen, dies bald wieder gutzumachen wissen".

Wir bauen die Macht aus Elementen auf, die uns vom Kapitalismus zurückgelassen wurden. Wir. können die Macht nicht aufbauen, wenn ein solches Erbe der kapitalistischen Kultur, wie die Intelligenz, nicht ausgenutzt wird. Wenn der Gang der Ereignisse uns in den Kampf trieb, haben wir nach der Regel geantwortet: auf einen Schelmen anderthalbe. Wir müssen bei allen unseren Aufgaben davon ausgehen, uns zum Kleinbürgertum wie zu einem guten Nachbarn zu verhalten, der sich unter strenger Kontrolle der Staatsgewalt befindet. Hier ist es die Aufgabe des klassenbewussten Proletariats, zu begreifen, dass seine Herrschaft nicht die Tatsache bedeutet, dass das Proletariat alle diese Aufgaben durchführt. Wer so denkt, der hat keine Ahnung vom sozialistischen Aufbau und hat in dem Revolutions- und Diktaturjahr nichts gelernt. Für solche Herrschaften wäre es besser, sich in die Schule zu scheren, um dort verschiedenes zu lernen. Wer aber in der vergangenen Zeit etwas gelernt hat, der wird sich sagen: eben diese Intelligenz werde ich jetzt für den Aufbau verwenden. Dafür habe ich jetzt in der Bauernschaft eine ausreichende.Stütze und in den internationalen Beziehungen eine Stellung, die ein Jahr Kampf und jene Opfer in sich schließt, die wir im Brester Frieden und in der Politik gebracht haben. Wir haben diese Opfer gebracht, um die Richtigkeit unserer Politik zu beweisen. Und wir sollen dessen eingedenk sein, dass sich nur im Verlauf dieses Kampfes, im Verlauf einer Reihe von Übereinkommen und Erfahrungen mit Übereinkommen zwischen dem Proletariat und der kleinbürgerlichen Demokratie jener Aufbau erarbeiten lässt, der zum Sozialismus führt.

Denken wir daran, was Engels gesagt hat, dass wir durch das Beispiel wirken sollen. Keine Form wird endgültig sein, solange nicht der volle Kommunismus erreicht sein wird. Wir haben keinen Anspruch darauf erhoben, den genauen Weg zu kennen. Wir schreiten aber unvermeidlich, unaufhaltsam zum Kommunismus, und wir können dies an jedem Einzelfall erhärten, freilich nur, wenn wir nicht hin und her pendeln werden. Gegenwärtig gibt jede Woche mehr als Jahrzehnte der Friedenszeit. Das halbe Jahr, das wir seit der Zeit des Brester Friedens durchlebt haben, war eine Epoche der gegen uns gerichteten Schwankungen. Die westeuropäische Revolution, das Vorbild, das uns nachzuahmen beginnt, muss uns festigen. Wir müssen die eingetretenen Veränderungen berücksichtigen, müssen alle Elemente berücksichtigen, ohne uns irgendwelche Illusionen zu machen, wohl wissend, dass die Schwankenden Schwankende bleiben, solange die sozialistische Weltrevolution nicht völlig gesiegt hat. Das wird vielleicht nicht so bald der Fall sein, obzwar der Gang der Ereignisse der deutschen Revolution Grund zur Hoffnung gibt, dass es schneller gehen wird, als viele annehmen. Die deutsche Revolution entwickelt sich so, wie sich auch unsere Revolution entwickelte, doch in beschleunigterem Tempo. Jedenfalls, die Aufgabe, vor der wir stehen, das ist der verzweifelte Kampf mit dem englisch-amerikanischen Imperialismus, der gerade weil erfühlt, dass der Bolschewismus eine Weltkraft geworden ist, sich bemüht, uns mit maximaler Schnelligkeit abzuwürgen, in der Absicht, zuerst mit den russischen Bolschewiki und dann mit seinen eigenen abzurechnen.

Wir müssen jene Elemente unter den Schwankenden ausnutzen, die durch die Bestialitäten des Imperialismus zu uns getrieben werden. Und wir werden das tun. Ihr wisst ausgezeichnet, dass man im Kriege keinerlei Hilfe, auch keine indirekte, verschmähen darf. Im Kriege hat selbst die Haltung der schwankenden Klassen eine ungeheure Bedeutung. Je heftiger der Krieg ist, desto mehr Einfluss müssen wir auf die schwankenden Elemente gewinnen, die zu uns kommen. Daraus folgt, dass die Taktik, die wir ein halbes Jahr lang angewandt haben, entsprechend den neuen Aufgaben gegenüber den verschiedenen Schichten der kleinbürgerlichen Demokratie modifiziert werden muss.

Wenn es mir gelungen ist, die Aufmerksamkeit der Parteifunktionäre auf diese Aufgabe zu lenken und sie zu veranlassen, auf dem Wege systematischer Erfahrung zur richtigen Entscheidung zu kommen, kann ich meine Aufgabe als erfüllt betrachten.

II. Schlusswort zum Referat über die kleinbürgerlichen Parteien

Genossen, ich werde einige wenige Schlussbemerkungen machen müssen. Vor allem möchte ich auf die hier berührte Frage vom Dogma antworten. Marx und Engels haben wiederholt erklärt, dass unsere Lehre kein Dogma, sondern eine Anleitung zum Handeln ist4, und ich denke, dass wir dies vor allem und mehr als alles im Auge behalten müssen.

Die Lehre von Marx und Engels ist kein Dogma, das wir auswendig lernen. Man muss sie als Anleitung zum Handeln betrachten. Das haben wir stets gesagt, und ich glaube, wir haben zweckentsprechend gehandelt, da wir nie in Opportunismus verfielen, sondern die Taktik modifizierten. Das aber ist keinesfalls eine Abweichung von der Lehre und kann keinesfalls als Opportunismus bezeichnet werden. Ich sagte, und ich wiederhole es noch einmal und immer wieder, dass diese Lehre kein Dogma ist, sondern eine Anleitung zum Handeln.

Weiter, zu der Bemerkung des Genossen Steklow: mit wem werden wir uns verständigen, mit den Stäben oder mit den Massen? Darauf antworte ich: in erster Linie selbstverständlich mit den Massen und hierauf mit den Stäben, aber wann wir mit den Stäben werden kämpfen müssen, das hängt alles von den einzelnen Fällen ab. Ich werde noch darauf zu sprechen kommen, sehe aber augenblicklich praktisch keine Möglichkeit einer Verständigung mit der Partei der Menschewiki und der Partei der Sozialrevolutionäre.5 Man sagt uns, sich verständigen, das heiße irgend etwas aufgeben. Was werdet ihr aufgeben, und wie werdet ihr von der Grundlinie abgehen? Das wäre Renegatentum; ist das aber nur eine Verständigung in der praktischen Arbeit, dann ist das nichts Neues. Selbstverständlich werden wir niemals unsere Prinzipien aufgeben. Es hat keinen Sinn, jetzt darüber zu reden. Vor fünfzehn Jahren ging die Diskussion um die Grundlinie und um die Prinzipien, leider habe ich diese Diskussion hauptsächlich im Ausland und nicht in Russland führen müssen. Jetzt jedoch ist die Rede von der Staatsmacht; sie aber auch nur im Geringsten aufzugeben, davon kann keine Rede sein. Nicht umsonst hat Wilson erklärt: jetzt aber ist der Weltbolschewismus unser Feind. Das erklären die Bourgeois der ganzen Welt. Wenn sie sich zu einem Feldzug gegen uns anschicken werden, so bedeutet das, sie haben erkannt, dass die bolschewistische Macht nicht nur eine russische, sondern eine internationale Erscheinung ist. Ein Hanswurst und ein Jammerlappen wäre der Bolschewik, der der Bourgeoisie irgendein Übereinkommen vorschlagen würde. Jetzt, da der revolutionäre Brand auf eine ganze Reihe von Ländern übergegriffen hat, wird und kann keine einzige kapitalistische, bürgerliche Regierung sich darauf einlassen.

Als die Dinge bis zu den jüngsten Ereignissen trieben, hat die schweizerische Bourgeoisie geradeheraus erklärt: wir sind keine Russen, wir werden euch die Macht nicht abgeben. Hauptmann Sadoul, der sich dem Bolschewismus angeschlossen hat, schreibt, dass er sich wundere, wenn er die erstaunliche Gefügigkeit der russischen Bourgeoisie beobachte, und er erklärt, ihre französische Bourgeoisie werde nicht so handeln. Dort werden wir eine viel größere Erbitterung beobachten, und der Bürgerkrieg, wenn er losgehen sollte, wird die allerschonungslosesten Formen annehmen, und von dieser Seite her sind keinerlei Fragen aufzuwerfen.

Die Frage ist durch ein Jahr proletarischer Diktatur praktisch vollständig entschieden, und keinem einzigen Bauern, keinem einzigen Arbeiter kann es in den Kopf kommen, auf eine Verständigung mit der Bourgeoisie einzugehen. Dass aber eine Verständigung nicht irgend etwas Neues ist, damit bin ich vollkommen einverstanden. Ich möchte nur, dass wir über solche Fragen gemeinsam beraten.

Die Umstände, die die Menschewiki und Sozialrevolutionäre sowie die kleinbürgerliche Intelligenz besonders von uns abgestoßen haben – der schonungslose Kampf um den Brester Frieden in der Periode der Offensive des deutschen Imperialismus –, diese Umstände bestehen nicht mehr. Aber dass auch nur zeitweilige Erfolge der Engländer und Franzosen neue Schwankungen dieser Intelligenz und der kleinbürgerlichen Demokratie hervorrufen werden, die beginnen wird, Panik zu stiften und überzulaufen, das wissen wir ausgezeichnet. Wir treffen ein Abkommen mit ihnen für eine bestimmte praktische Arbeit, um bestimmte Resultate zu erzielen. Diese Taktik kann weder Diskussionen noch Verwunderung hervorrufen. Dass sie aber nicht begriffen worden ist, das haben viele bewiesen, sogar ein so einflussreiches Mitglied des Moskauer Sowjets wie Genosse Maximow. Genosse Maximow erklärte, man müsse sich mit Chintschuk nicht verständigen, sondern mit ihm vernünftige Abmachungen treffen. Als wir im Frühjahr das erste Dekret über die Genossenschaften herausgaben und sie uns ultimative Forderungen stellten, gaben wir ihnen nach. Das nennen wir eine Verständigung, anders kann man diese Politik nicht nennen. Und wenn jeder Sowjetfunktionär es sich zur Regel machen wird, wenn er sich selbst sagen, und allen Genossen wiederholen wird: trefft vernünftige Abmachungen mit der kleinbürgerlichen Demokratie, so werde ich mich für befriedigt halten.

Wir sind bislang in der Arbeit, besonders in der Arbeit draußen im Lande noch allzu weit davon entfernt, vernünftige Abmachungen zu treffen. Im Gegenteil, häufig treffen wir keine vernünftigen Abmachungen. Man wirft uns diese Abmachungen vor, weil man nicht begreift, dass der neue Aufbau ohne das unmöglich ist. Es gibt kein Genie, das ein neues Leben aufbauen könnte, ohne das Aufbauen erlernt zu haben. Wenn es gilt, mit den Männern der Praxis vernünftige Abmachungen zu treffen, so verstehen wir das nicht. Um einen Laden einzurichten, muss man wissen, wie er einzurichten ist. Man braucht Leute, die ihre Sache verstehen. Wir Bolschewiki hatten sehr selten Gelegenheit, unsere Kenntnisse in dieser praktischen Arbeit anzuwenden. Wir haben sehr selten Mangel an Agitatoren, dagegen haben wir einen himmelschreienden Mangel, den Mangel an führenden Praktikern, an Organisatoren. Und das dauert bislang an, ungeachtet der Erfahrung des Jahres, das hinter uns liegt. Mit jedem Menschen, der auf diesem Gebiete genügend erfahren ist, der die Losung der Neutralität und der gutnachbarlichen Beziehungen aufstellt, mit einem jeden solchen Menschen soll man vernünftige Abmachungen treffen. Wenn er versteht, einen Laden einzurichten, Ware zu verteilen, wenn er auch nur irgend etwas lehren kann, wenn er ein Mensch der Praxis ist, so ist das ein großer Gewinn.

Seitdem wir gesiegt haben, befinden sich unter den Freunden des Bolschewismus, ja selbst in unseren eigenen Reihen viele Feinde, das weiß jeder. Es biedern sich uns häufig vollständig unzuverlässige und gaunerische Elemente an, die politisch schwanken, die uns verschachern, verraten und verkaufen. Und wir wissen das sehr gut, doch wird uns das nicht anders machen. Das ist geschichtlich unvermeidlich. Wenn die Menschewiki uns vorwerfen, dass es unter den Sowjetangestellten eine Menge Elemente gibt, die sich angebiedert haben und die selbst im zivilrechtlichen Sinn unehrlich sind, so entgegnen wir ihnen: woher sollen wir denn bessere nehmen, was sollen wir tun, damit die besten, reinsten Menschen auf einen Schlag an uns zu glauben beginnen? Eine Revolution, die auf einen Schlag siegen und überzeugen könnte, die auf einen Schlag den Glauben an sich erzwingen könnte, eine solche Revolution gibt es nicht. Sie beginnt in einem Lande, in den anderen Ländern aber glaubt man nicht an sie. Man hält unsere Revolution für ein schreckliches Chaos und von unseren organisierten, „chaotischen" Versammlungen, die bei uns Sowjets genannt werden, erwartet man in anderen Ländern gar nichts. Und das ist völlig natürlich. Wir mussten vieles erkämpfen. Und wenn man also sagt: es ist nötig, mit Chintschuk vernünftige Abmachungen zu treffen – er versteht einen Laden einzurichten –, so sage ich: trefft Abmachungen auch mit anderen, nehmt die Kleinbürger, die vieles zu tun verstehen.

Wenn wir draußen im Land die Losung: „trefft Abmachungen" in alle Köpfe hinein hämmern, wenn wir begreifen, dass eine neue Klasse zur Macht erwacht, dass Menschen die Verwaltung in die Hand nehmen, die niemals eine so komplizierte Sache auf sich genommen hatten und die natürlich Fehler begehen, – so werden wir nicht in Verwirrung geraten. Wir wissen, dass man nicht fehlerlos verwalten kann. Aber außer Fehlern beobachten wir den stümperhaften Gebrauch der Macht nur als Macht, wenn die Leute sagen: ich habe die Macht erhalten, ich habe Vorschriften gemacht, du musst gehorchen. Wir sagen: in Bezug auf eine ganze Reihe von Elementen, auf die kleinbürgerliche Demokratie der Gewerkschaften, auf die Bauern und Genossenschaften führt diese Losung nicht durch, sie hört jetzt auf, notwendig zu sein. Darum ist es vernünftiger, mit der kleinbürgerlichen Demokratie, insbesondere mit der Intelligenz, Abmachungen zu treffen – das ist unsere Aufgabe. Selbstverständlich werden wir die Abmachungen auf dem Boden unserer Plattform treffen, wir werden sie als Staatsmacht treffen.

Wir sagen: ist es wahr, dass ihr von der Feindseligkeit auf eine neutrale Position und zu gutnachbarlichen Beziehungen übergegangen seid, ist es wahr, dass ihr aufgehört habt, feindselig zu sein? Sonst werden wir kein Auge zudrücken, sonst werden wir offen sagen: Krieg, dann Krieg, und wir würden vorgehen wie im Krieg; wenn ihr jedoch von der Feindseligkeit zur Neutralität übergegangen seid, wenn ihr von gutnachbarlichen Beziehungen sprecht – ich habe diese Ausdrücke den Erklärungen von Leuten entnommen, die nicht zum Lager der Kommunisten gehören, die gestern noch dem Lager der Weißgardisten weit näher standen –, so sage ich: wenn sich solche Leute finden, die in so breitem Umfang von ihrer gestrigen Feindseligkeit zur heutigen Neutralität und zu gutnachbarlichen Beziehungen übergehen, dann müssen wir unsere Propaganda fortsetzen.

Umsonst fürchtet Genosse Chmelnizki, dass die Menschewiki ihre Propaganda treiben, um das Leben der Arbeiterklasse zu leiten. Wir reden nicht von Sozialdemokraten, die die sozialistische Republik nicht begriffen haben, wir reden weder von ihnen noch von der kleinbürgerlichen Bürokratie, – hier gibt es ideologischen Kampf, einen unversöhnlichen Krieg gegen die Menschewiki. Einem Menschewik sagen, dass er ein kleinbürgerlicher Demokrat sei, ist für ihn die schlimmste Beleidigung, und je ruhiger ihr das einem Menschewik beweisen werdet, desto größer wird seine Wut sein. Zu glauben, dass wir von unserer eigenen erreichten Stellung auch nur ein Hundertstel oder ein Tausendstel abgeben werden, das ist ein Irrtum. Wir werden nicht einen Finger breit abtreten.

Die Beispiele, die Genosse Schmidt anführte, haben bewiesen, dass sogar Gruppen des Proletariats, die der Bourgeoisie näherstanden, wie beispielsweise die Buchdrucker, die kleinbürgerlichen Angestellten, die bürgerlichen Bankbeamten, welche die geschäftlichen Operationen in den Handels- und Industrieunternehmungen ausführten, durch den Übergang zum Sozialismus viel verlieren. Wir haben eine Menge bürgerlicher Zeitungen geschlossen, haben die Banken nationalisiert, haben eine ganze Reihe von Wegen versperrt, auf denen die Bankbeamten sich durch Teilnahme an den Spekulationen bereicherten, aber auch in diesem Lager sehen wir ein Schwanken, sehen wir, dass sie zu uns übergehen. Wenn Chintschuk dadurch wertvoll ist, dass er Läden einzurichten versteht, so ist der Bankbeamte dadurch wertvoll, dass er die Technik des Geldwesens kennt, denn obwohl viele von uns theoretisch damit vertraut sind, offenbaren sie doch in der Praxis eine äußerst große Schwäche. Und ich spreche mit einem solchen Menschen, der diese Technik kennt und der mir sagt, dass er von der gestrigen Feindseligkeit zur Neutralität und zu guter Nachbarschaft übergegangen ist. Wir sagen: man muss mit jedem Menschen vernünftige Abmachungen treffen. Und wenn Genosse Maximow in den Sowjets diese Taktik, von der er als ein hervorragendes Mitglied des Präsidiums des Moskauer Sowjets sprach, gegenüber der Intelligenz und dem schwankenden Kleinbürgertum durchführen wird, so werde ich voll und ganz zufriedengestellt sein.

Weiter zur Frage der Genossenschaften. Genosse Steklow drückte sich so aus: von den Genossenschaften geht ein schlechter Geruch aus. Genosse Maximow sagte hinsichtlich der Genossenschaften: man dürfe keine solchen Dekrete wie das letzte Dekret des Rates der Volkskommissare schreiben. Auf dem Gebiete der Praxis gab es bei uns keine Einstimmigkeit. Es ist für uns nicht neu, dass man mit dem Kleinbürgertum, wenn es uns nicht feindselig gegenübersteht, über eine solche Note ein Übereinkommen treffen muss. Wenn der alte Grundsatz sich als schlecht erweist, dann muss man ihn ändern, wenn das die veränderten Umstände erfordern. Dass sich in dieser Beziehung die Dinge geändert haben, ist klar ersichtlich. Hier dienen die Genossenschaften als ein anschauliches Beispiel. Der Genossenschaftsapparat ist ein Versorgungsapparat, der nicht mit der Privatinitiative der Kapitalisten rechnet, sondern mit der Massenteilnahme der Werktätigen selbst, und Kautsky hatte recht, als er, lange bevor er zu den Renegaten überging, sagte, dass die sozialistische Gesellschaft eine einzige große Genossenschaft sei.

Wenn wir danach streben, die Kontrolle in Gang zu bringen, und die Wirtschaft praktisch für Hunderttausende von Menschen zu organisieren, so dürfen wir nicht vergessen, dass die Sozialisten bei der Erörterung dieser Frage darauf hinweisen, dass ihnen die Trustleiter als erfahrene Praktiker von Nutzen sein können. Jetzt zeigt die Erfahrung, dass die kleinbürgerlichen Elemente von der Feindseligkeit zur Neutralität übergegangen sind. Und gleichzeitig muss man begreifen, dass sie verstehen, Läden zu organisieren. Wir bestreiten nicht: Chintschuk als Ideologe ist durch und durch von bürgerlichen Vorurteilen durchtränkt, sie alle riechen danach, doch besitzen sie gleichzeitig die praktischen Kenntnisse. Was die Ideen anbetrifft, so sind alle Kanonen auf unserer Seite, auf ihrer Seite dagegen keine einzige. Aber wenn sie sagen, dass sie uns nicht feindselig gegenüberstehen und zur Neutralität übergehen, dann müssen wir berücksichtigen, dass jetzt Hunderte und Tausende von weniger befähigten Menschen als Chintschuk ebenfalls vernünftige Abmachungen treffen. Ich sage: man muss es verstehen, mit ihnen Abmachungen zu treffen. Auf dem Gebiete des praktischen Aufbaus wissen sie mehr, können sie mehr, und bei ihnen muss man in die Lehre gehen. Mögen sie von uns die Einwirkung auf das internationale Proletariat lernen, wir jedoch werden bei ihnen lernen, eben Läden einzurichten. Das verstehen wir nicht. Hier sind auf jedem Gebiet Techniker mit Spezialkenntnissen erforderlich.

Und was die Genossenschaften betrifft, so verstehe ich nicht, warum es hier schlecht riechen solle. Als wir das erste Dekret über die Genossenschaften annahmen, haben wir zur Beratung in den Rat der Volkskommissare Leute eingeladen, die nicht nur keine Kommunisten waren, sondern die den Weißgardisten viel näherstanden, haben uns mit ihnen beraten, haben sie gefragt: könnt Ihr das annehmen? Sie entgegneten darauf: das – ja, doch jenes nicht. Gewiss, von einem oberflächlichen und nicht durchdachten Standpunkt aus war das ein Paktieren mit der Bourgeoisie. Eingeladen waren die Vertreter der bürgerlichen Genossenschaften, und auf ihr Verlangen sind einige Artikel des Dekrets gestrichen worden. So wurde zum Beispiel der Artikel über den unentgeltlichen Eintritt und die unentgeltliche Nutzung der proletarischen Genossenschaft gestrichen. Uns schien dieser Artikel durchaus annehmbar zu sein, sie jedoch lehnten unseren Vorschlag ab.

Wir sagen, dass wir den Weg des Übereinkommens mit den Leuten betreten müssen, die es viel besser als wir verstehen, Läden einzurichten. Davon verstehen wir nichts, aber von unserem Kampfe werden wir nicht im geringsten ablassen. Als wir das nächste gleiche Dekret herausgaben, sagte Genosse Maximow, man dürfe keine solchen Dekrete schreiben, weil dort gesagt werde: die geschlossenen Genossenschaften sind wieder zu öffnen. Das zeigt, dass es bei den Funktionären des Moskauer Sowjets ebenso wie bei uns gewisse Missverständnisse gibt, und dass man allein um der Beseitigung solcher Missverständnisse willen solche Konferenzen und Debatten wie die heutige organisieren muss. Wir verwiesen darauf, dass wir die Absicht hätten, im Interesse der Sache nicht nur die Gewerkschaften überhaupt, sondern auch den Verband der Handels- und Industrieangestellten auszunutzen, und die Handels- und Industrieangestellten sind immer eine Stütze des bürgerlichen Systems gewesen. Sobald aber diese Leute zu uns gelaufen kommen und erklären: wir sind bereit, in gutnachbarlichen Beziehungen zu leben, dann begegnet ihnen freundschaftlich, man muss die ausgestreckte Hand ergreifen, – die Hand wird davon nicht abfallen. Wir werden nicht vergessen: wenn morgen die englisch-französischen Imperialisten losschlagen, dann werden sie sich abwenden und als erste davonlaufen. Deswegen braucht sich Genosse Skrypnik nicht zu beunruhigen, er wird nicht ein Prozent schwächer werden. Da nun aber diese Partei, diese kleinbürgerlichen Elemente nicht davonlaufen, wiederholen wir: hier ist Annäherung an sie notwendig. Deshalb haben wir das Dekret angenommen, das am Sonntag veröffentlicht worden ist und das Genossen Maximow nicht gefällt. Dadurch zeigt er, dass er die alte kommunistische Taktik anwendet, die auf die neuen Umstände nicht anwendbar ist. Hätten wir das Dekret gestern geschrieben, und als Antwort die Resolution des Zentralkomitees des Angestelltenverbandes erhalten, dann hätten wir als Dummköpfe dagestanden, da man gesagt hätte, du hast nicht zur rechten Zeit angefangen, wozu schreibst du, wo doch die Wendung begonnen hat, und die Lage sich ändert?

Die bewaffneten Kapitalisten setzen den Krieg immer hartnäckiger fort, und für uns ist es ungeheuer wichtig, diese wenn auch zeitweilige Wendung für den praktischen Aufbau auszunutzen. Die gesamte Macht gehört uns. An uns liegt es, die Genossenschaft nicht zu schließen und die geschlossenen wieder zu eröffnen, weil wir es waren, die sie geschlossen haben, als sie der weißgardistischen Agitation dienten. Aber jeder Losung wohnt die Eigenschaft inne, starrer zu werden als nötig ist. Als über Russland eine Welle der Sperrung sowie der Verfolgung der Genossenschaften hinwegging, da forderten das die Verhältnisse des Augenblicks. Jetzt jedoch ist das nicht erforderlich. Dieser äußerst wichtige Apparat, der mit der Mittelbauernschaft verbunden ist, dieser Apparat, der die zersplitterten und zerstreuten Bauernschichten vereinigt, wird keinerlei ernste Politik treiben, keinerlei Staatsgeschäfte verrichten. Diese Chintschuk leisten eine nützliche Arbeit, zu der bürgerliche Elemente den Grundstein gelegt haben. Wenn diese Bauern und kleinbürgerlichen Demokraten sagen, dass sie von der Feindseligkeit zur Neutralität, zu gutnachbarlichen Beziehungen übergehen, so müssen wir sagen: eben nur das brauchen wir. Lasst uns mit euch auf eine vernünftige Weise Abmachungen treffen, ihr guten Nachbarn. Wir werden euch in jeder Weise behilflich sein, werden eure Rechte wahren, werden eure Ansprüche prüfen, werden euch was immer für Privilegien geben, doch müsst ihr unsere Aufgaben erfüllen. Tut ihr das nicht, so wisset, dass der ganze Apparat der Außerordentlichen Kommission in unseren Händen bleibt. Wenn ihr nicht versteht, von euren Rechten Gebrauch zu machen und wenn ihr unsere Aufgaben nicht erfüllt, der ganze Apparat der Staatskontrolle bleibt in unseren Händen und wir werden euch als Verletzer des Staatswillens betrachten. Ihr müsst uns bis auf die letzte Kopeke Rechenschaft ablegen und jede Übertretung wird als Verstoß gegen den Staatswillen und gegen die staatlichen Gesetze bestraft werden.

Diese ganze Kontrolle bleibt in unseren Händen, jetzt aber ist die Aufgabe der wenn auch nur zeitweiligen Heranziehung dieser Leute vom Standpunkt der Weltpolitik zwar keine gigantische, doch eine für uns wesentliche und notwendige Aufgabe. Sie wird unsere Lage im Kriege stärken. Wir haben kein geordnetes Hinterland. Diese Heranziehung wird für uns ein moralischer Sieg sein, weil sie dem westeuropäischen Imperialismus zeigen wird, dass er bei uns auf genügend ernste Abwehr stoßen wird; das jedoch darf man nicht geringschätzen, denn jedes Land hat seine eigene innere, proletarische Arbeiteropposition gegen einen Einfall in Russland. Deshalb eben glaube ich, soweit man nach der Erklärung des Genossen Maximow urteilen kann, dass wir eine bestimmte Verständigung schließlich finden werden. Wenn auch Meinungsverschiedenheiten zutage treten, so sind sie nicht so wesentlich, denn sobald einmal die Notwendigkeit anerkannt wird, vernünftige Abmachungen in Bezug auf die ganze kleinbürgerliche Demokratie, auf die Intelligenz, die Genossenschaften und die uns jetzt noch nicht anerkennenden Gewerkschaften zu treffen, ohne dabei die Macht aus der Hand zu geben, und wenn wir diese Politik im Laufe des ganzen Winters entschlossen durchführen, dann werden wir schon ein großes Plus erwerben für die ganze Sache der internationalen Revolution.

1 Weiterhin sind im Stenogramm einige Zeilen unleserlich. Die Red.

2 Weiterhin sind im Stenogramm einige Zeilen unleserlich. Die Red.

3 Weiterhin sind im Stenogramm einige Zeilen unleserlich. Die Red.

4 W. I. Lenin meint jene Stelle aus dem Brief von F. Engels an Sorge vom 29. November 1886, wo Engels sagt, dass für die deutschen Marxisten in Amerika die Theorie „ein Credo, keine Anleitung zum Handeln" ist. (Siehe Marx/Engels, Ausgewählte Briefe, Moskau-Leningrad 1934, S. 357 bzw. siehe Karl Marx/Friedrich Engels, Werke, Bd. 36, Berlin 1967, S. 578, 589)

5 Weiterhin sind im Stenogramm einige Zeilen unleserlich. Die Red.

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