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Wladimir I. Lenin 19201126 Rede in der Versammlung der Zellensekretäre der Moskauer Organisation der KPR (B)

Wladimir I. Lenin: Rede in der

Versammlung der Zellensekretäre der Moskauer Organisation der KPR (B)

26. November 1920

[Zum ersten Mal veröffentlicht 1924 in den „Gesammelten Werken“ N. Lenins, Bd. XVII. Nach Sämtliche Werke, Band 25, Wien-Berlin 1930, S. 623-646]

Genossen! Ich habe mit großer Genugtuung, wenn auch, offen gestanden, mit Erstaunen festgestellt, dass die Frage der Konzessionen gewaltiges Interesse hervorruft. Überall werden Stimmen laut, hauptsächlich aber unter den Massen. Man fragt, wie es kommt, dass wir die fremden Ausbeuter herbeirufen, nachdem wir die eigenen weggejagt haben?

Warum mir diese Stimmen Genugtuung bereiten, ist klar. Wenn unter den Massen Stimmen der Befürchtung laut werden, die alten Kapitalisten könnten zurückkehren, wenn diese Stimmen aus Anlass eines so unbedeutenden Aktes laut wurden, wie des Dekrets über die Konzessionen, so ist natürlich noch das Bewusstsein davon, wie gefährlich der Kapitalismus und mit welchen Gefahren der Kampf gegen ihn verbunden ist, sehr, sehr stark. Das ist natürlich ausgezeichnet, und zwar um so mehr, als die Befürchtungen, wie ich bereits erwähnt habe, von den Massen ausgehen. –

Das Wesentliche in der Frage der Konzessionen vom politischen Standpunkt – und hier spielen sowohl politische als auch wirtschaftliche Erwägungen eine Rolle –, das Wesentliche in der Frage der Konzessionen ist vom politischen Standpunkt jene Regel, die wir nicht nur theoretisch erfasst, sondern auch praktisch angewandt haben und die für uns lange Zeit, bis zum endgültigen Sieg des Sozialismus in der ganzen Welt, die Grundregel bleiben wird, nämlich: dass man die Gegensätze und Widersprüche zwischen zwei kapitalistischen Mächten, zwischen zwei Systemen kapitalistischer Staaten ausnutzen und sie gegeneinander hetzen muss. Solange wir nicht die ganze Welt erobert haben, solange wir wirtschaftlich und militärisch schwächer sind als die kapitalistische Welt, solange haben wir uns an die Regel zu halten, dass man es verstehen muss, sich die Widersprüche und Gegensätze zwischen den Imperialisten zunutze zu machen. Wenn wir uns nicht an diese Regel gehalten hätten, würden wir schon längst zum Spaß der Kapitalisten an verschiedenen Bäumen hängen. Die wichtigste Erfahrung in dieser Hinsicht machten wir beim Abschluss des Vertrages von Brest-Litowsk, Man darf daraus nicht die Schlussfolgerung ziehen, dass es nur solche Verträge geben könne, wie die von Brest-Litowsk oder Versailles, Das stimmt nicht. Es kann auch eine dritte, für uns vorteilhafte Art von Verträgen geben,

Brest-Litowsk ist dadurch bedeutsam, dass wir es hier zum ersten Mal in riesigem Maßstabe, unter unermesslichen Schwierigkeiten, verstanden, die Gegensätze zwischen den Imperialisten so auszunutzen, dass letzten Endes der Sozialismus dabei gewann. Zur Zeit des Friedens von Brest-Litowsk gab es zwei ungeheuer starke Gruppen imperialistischer Räuber: die deutsch-österreichische und die anglo-amerikanisch-französische. Sie führten einen erbitterten Kampf gegeneinander, der das Geschick der Welt für die nächste Zeit entscheiden sollte. Wenn wir durchgehalten haben, obwohl unsere militärische Stärke gleich Null war, obwohl wir nichts besaßen, wirtschaftlich ununterbrochen uns auf absteigender Linie bewegten und dem tiefsten Zerfall entgegengingen; wenn wir durchgehalten haben, so geschah dieses Wunder nur, weil wir die Gegensätze zwischen dem deutschen und dem amerikanischen Imperialismus richtig ausnutzten. Wir machten dem deutschen Imperialismus ein ungeheures Zugeständnis, und dadurch, dass wir der einen imperialistischen Gruppe Zugeständnisse machten, schützten wir uns sogleich vor beiden imperialistischen Gruppen, Deutschland konnte sich weder wirtschaftlich noch politisch mit der Erdrosselung Sowjetrusslands abgeben; es hatte etwas anderes zu tun. Wir traten ihm die Ukraine ab, aus der man Brot und Kohle holen konnte, so viel man wollte, natürlich, wenn man sie zu holen verstand, wenn man die lebendige Kraft besaß, sie zu holen. Der englisch-französisch-amerikanische Imperialismus war nicht imstande, gegen uns vorzugehen, denn wir hatten ihm anfangs Frieden angeboten. Jetzt erscheint in Amerika ein dickes Buch von Robins1, der erzählt, dass man mit Lenin und Trotzki Verhandlungen geführt und ihr Einverständnis zum Abschluss eines Friedens gehabt hatte. Obwohl sie den Tschechoslowaken halfen und sie in die Intervention hineinrissen, konnten sie sich doch nicht einmischen, denn sie waren durch ihren eigenen Krieg in Anspruch genommen.

Es konnte scheinen, dass eine Art Block der ersten sozialistischen Republik mit dem deutschen Imperialismus gegen einen anderen Imperialismus entstanden sei. Wir haben aber überhaupt keinen Block geschlossen, sind nirgendwo so weit gegangen, dass wir die sozialistische Staatsmacht gefährdeten oder kompromittierten, sondern nutzten den Gegensatz zwischen den beiden imperialistischen Gruppen so aus, dass letzten Endes beide verspielten. Deutschland hat aus dem Brester Frieden nichts herausgeholt als einige Millionen Pud Getreide, hat jedoch dafür die bolschewistische Zersetzung nach Deutschland eingeschleppt. Wir aber gewannen Zeit, um die Rote Armee zu organisieren. Sogar die furchtbaren Leiden der Ukraine erwiesen sich als heilbar, obwohl uns das sehr teuer zu stehen kam. Das, worauf unsere Gegner gerechnet hatten, nämlich der baldige Zusammenbruch der Sowjetmacht in Russland, trat nicht ein. Gerade jene Zeit, die uns die Geschichte als Atempause gab, nutzten wir aus, um uns derart zu festigen, dass man uns militärisch nicht bezwingen könne. Wir gewannen an Tempo, gewannen ein wenig an Zeit und traten dafür lediglich sehr viel Gebiet ab. Ich erinnere mich, wie man damals darüber philosophierte, dass man, um Zeit zu gewinnen, Gebiet abtreten müsse … Mit dieser Theorie der Philosophen von Zeit und Raum wurde praktisch und politisch verfahren: wir gaben sehr viel Raum her, gewannen aber so viel an Zeit, dass wir uns konsolidieren konnten, und nachher, als alle imperialistischen Mächte einen Krieg in großem Maßstab gegen uns eröffnen wollten, zeigte es sich, dass das unmöglich war, dass sie für einen solchen Krieg weder Mittel noch Kräfte besaßen. Wir opferten damals keine wesentlichen Interessen, wir gaben Unwesentliches her und bewahrten das Wesentliche.

Hier taucht übrigens die Frage des Opportunismus auf. Der Opportunismus besteht darin, dass man wesentliche Interessen opfert, um einzelne, zeitweilige Vorteile zu ergattern. Das ist das Wesentliche bei der theoretischen Definition des Opportunismus. Hier haben sich viele geirrt. Gerade beim Frieden von Brest-Litowsk opferten wir die vom Standpunkt des Sozialismus unwesentlichen vaterländischen Interessen Russlands, Wir brachten gewaltige Opfer, aber das waren doch Opfer von geringerer Bedeutung. Die Deutschen hassten England mit ganzer Seele. Sie hassten auch die Bolschewiki, aber wir lockten sie ins Garn, und sie fielen darauf herein. Sie erklärten fortwährend, dass sie nicht so weit gehen werden, wie Napoleon. Und in der Tat, sie marschierten nicht nach Moskau, sondern nach der Ukraine und wurden dort von ihrem Schicksal ereilt. Sie glaubten, von Napoleon viel gelernt zu haben, in Wirklichkeit aber kam es anders. Wir aber gewannen sehr viel.

Das Beispiel des Friedens von Brest-Litowsk hat uns viel gelehrt. Gegenwärtig stehen wir zwischen zwei Feinden, Wenn es unmöglich ist, sie beide zu besiegen, so müssen wir unsere Kräfte so gruppieren, dass die beiden miteinander in Streit geraten, denn, wenn zwei Diebe sich in den Haaren liegen, so gewinnt der Ehrliche stets dabei. Sobald wir aber stark genug sein werden, um den gesamten Kapitalismus niederzuschlagen, werden wir ihn sofort am Kragen packen. Unsere Kräfte wachsen immer mehr an, und zwar sehr schnell. Wenn der Frieden von Brest-Litowsk in dieser Hinsicht eine Lehre ist, die wir nie vergessen werden und die in Bezug auf Schlussfolgerungen reicher ist als alle mögliche Propaganda, so haben wir jetzt in dem Sinne gewonnen, dass wir auf eigene Füße zu stehen gekommen sind. Wir sind von imperialistischen Staaten umzingelt, die die Bolschewiki von ganzer Seele hassen, die gewaltige Geldmittel, ideelle Mittel, die Macht der Presse usw. aufbieten und die nichtsdestoweniger im Laufe von drei Jahren militärisch uns nicht zu besiegen vermochten, trotzdem wir in militärischer und wirtschaftlicher Hinsicht unendlich schwach sind. Wir besitzen nicht den hundertsten Teil jener Macht, über die die vereinigten imperialistischen Staaten verfügen, und dennoch sind sie nicht imstande, uns zu erdrosseln. Sie können das nicht, weil ihre Soldaten ihnen nicht gehorchen; ihre Arbeiter und Bauern, die durch den Krieg erschöpft sind, wollen keinen Krieg gegen die Sowjetrepublik. So liegen jetzt die Dinge, Von dieser Tatsache muss man ausgehen. Wie die Lage sich in einigen Jahren gestalten wird, kann man nicht sagen, denn die westeuropäischen Staaten erholen sich von Jahr zu Jahr immer mehr vom Kriege,

Seit dem 2. Kongress der III. Internationale haben wir in den imperialistischen Ländern nicht nur ideologisch, sondern auch organisatorisch festen Fuß gefasst. In allen Ländern gibt es jetzt einen Kern, der selbständig arbeitet und selbständig arbeiten wird. Dieses Werk ist vollbracht. Aber die Schnelligkeit, das Entwicklungstempo der Revolution in den kapitalistischen Ländern ist viel geringer als bei uns. Es war augenscheinlich, dass eine Verlangsamung der revolutionären Bewegung eintreten musste, als die Völker Frieden bekamen. Ohne also hinsichtlich der Zukunft irgendwelche Prophezeiungen auszusprechen, müssen wir sagen, dass wir gegenwärtig unseren Kurs nicht darauf einstellen können, dass dieses Tempo in ein rasches Tempo umschlagen werde. Unsere Aufgabe ist es, zu entscheiden, was wir in der Gegenwart tun müssen. Die Menschen leben in einem Staate, jeder Staat aber lebt innerhalb eines Systems von Staaten, zwischen denen ein gewisses politisches Gleichgewicht besteht.

Wenn man berücksichtigt, dass die Kapitalisten in der ganzen Welt den größten Teil der reichsten Rohstoffquellen aufgekauft, oder, wenn nicht aufgekauft, so politisch an sich gerissen haben, so muss man damit zu rechnen, so muss man das auszunutzen verstehen. Gegen die heutige Entente können wir keinen Krieg führen. Unsere Agitation arbeitet ausgezeichnet. Davon sind wir fest überzeugt. Politisch müssen wir uns die Unstimmigkeiten zwischen den Gegnern zunutze machen, die sich aus den tiefsten wirtschaftlichen Ursachen erklären. Wenn wir versuchen wollten, die kleinen, zufälligen Unstimmigkeiten auszunutzen, so würden wir in die Lage eines kleinlichen Politikanten und banalen Diplomaten geraten. Aber damit kann man nichts Ernsthaftes anfangen. Es gibt eine sehr große Zahl von Diplomaten, die damit spielen; sie spielen einige Monate, schaffen sich eine Karriere und fliegen dann.

Gibt es in der heutigen kapitalistischen Welt wesentliche Gegensätze, die man ausnutzen muss? Es gibt drei wesentliche Gegensätze, die ich aufzählen mochte. Der erste Gegensatz, der uns am nächsten liegt, sind die Beziehungen zwischen Japan und Amerika, Beide rüsten zum Kriege, Sie können an den Küsten des Stillen Ozeans nicht miteinander auskommen, obwohl sie 3000 Werst voneinander entfernt sind. Diese Rivalität entspringt zweifellos den Beziehungen ihrer kapitalistischen Systeme. Es gibt eine gewaltige Literatur, die sich mit der Frage des kommenden japanisch-amerikanischen Krieges beschäftigt. Dass der Krieg vorbereitet wird, dass er unvermeidlich ist, das ist nicht zu bezweifeln. Die Pazifisten versuchen, diese Frage zu umgehen, sie mit allgemeinen Phrasen zu vertuschen, aber für jeden, der die Geschichte der wirtschaftlichen und diplomatischen Beziehungen studiert, kann es auch nicht den Schatten eines Zweifels geben, dass der Krieg wirtschaftlich herangereift ist und politisch vorbereitet wird. Aus jedem Buch über diese Frage sieht man, dass dieser Krieg heranreift. Die Erde ist aufgeteilt, Japan hat eine gewaltige Zahl von Kolonien an sich gerissen, Japan hat eine Bevölkerung von 50 Millionen und ist wirtschaftlich verhältnismäßig schwach, Amerika hat eine Bevölkerung von 110 Millionen und hat keinerlei Kolonien, obwohl es viel reicher ist als Japan. Japan hat China an sich gerissen, das eine Bevölkerung von 400 Millionen und die reichsten Kohlenvorkommen der Welt besitzt. Wie kann es diese Beute behaupten? Es wäre lächerlich, zu glauben, der stärkere Kapitalismus werde dem schwächeren nicht alles entreißen, was dieser zusammengeraubt hat. Können etwa die Amerikaner diesen Dingen gleichgültig zuschauen? Kann man etwa annehmen, dass die stärkeren Kapitalisten den schwächeren nichts wegnehmen werden? Was würden sie dann wert sein? Können wir aber bei einer solchen Lage der Dinge gleichgültig bleiben und als Kommunisten einfach erklären: „Wir werden in diesen Ländern für den Kommunismus Propaganda treiben?“ Das ist richtig, ist aber nicht alles. Die praktische Aufgabe der Kommunistischen Politik besteht darin, dass wir diese Feindschaft uns zu Nutze machen und die Kapitalisten gegeneinander aufstacheln, Hier ergibt sich eine neue Situation, Nehmen wir die zwei imperialistischen Länder Japan und Amerika, Sie wollen kämpfen und werden kämpfen um die Vormachtstellung in der Welt, um das Recht auf Raub. Japan wird dafür kämpfen, dass es Korea weiter plündern kann, das es mit unerhörter Brutalität ausraubt, wobei es die neuesten Erfindungen der Technik mit rein asiatischen Foltermethoden verbindet. Wir erhielten unlängst eine koreanische Zeitung, in der berichtet wird, was die Japaner sich leisten. Hier haben wir eine Vereinigung aller Methoden des Zarismus, aller modernsten Errungenschaften der Technik mit einem rein asiatischen Foltersystem, mit unerhörter Brutalität. Diesen fetten Bissen Korea wollen aber die Amerikaner wegschnappen. Verteidigung des Vaterlandes in einem solchen Kriege wäre natürlich das größte Verbrechen, wäre Verrat am Sozialismus, Die Unterstützung des einen Landes gegen das andere wäre natürlich ein Verbrechen am Kommunismus, aber wir Kommunisten müssen das eine Land gegen das andere ausspielen. Begehen wir damit nicht ein Verbrechen am Kommunismus? Nein, denn wir tun das als sozialistischer Staat, der kommunistische Propaganda treibt, der gezwungen ist, jede ihm von den Umständen geschenkte Stunde auszunutzen, um möglichst rasch zu erstarken. Wir haben damit begonnen, aber es geht sehr langsam vorwärts. Amerika und andere kapitalistische Länder wachsen wirtschaftlich und militärisch mit verteufelter Schnelligkeit, Wie sehr wir auch unsere Kräfte anstrengen mögen, wir werden viel langsamer vorwärtskommen.

Wir müssen die entstandene Lage ausnutzen. Darin besteht das Wesen der Kamtschatka-Konzession, Zu uns kam Vanderlip, nach seinen eigenen Angaben ein entfernter Verwandter des bekannten Milliardärs, Da sich aber unser Nachrichtendienst der Tscheka, der ausgezeichnet organisiert ist, leider noch nicht auf die Vereinigten Staaten von Nordamerika erstreckt, so konnten wir selbst die verwandtschaftlichen Beziehungen dieses Vanderlip zunächst noch nicht feststellen. Einige behaupten, er sei überhaupt kein Verwandter des Milliardärs Vanderlip, Ich erlaube mir kein Urteil darüber. Meine Kenntnisse beschränken sich lediglich auf die Lektüre des Büchleins von Vanderlip2, desselben Vanderlip, der bei uns war und den man als einen großen Mann schilderte, den alle Könige und Minister mit großen Ehrenbezeugungen empfingen, woraus man schließen muss, dass er über einen sehr gut gefüllten Beutel verfügt. Er sprach mit ihnen wie mit seinesgleichen, etwa so wie wir in den Versammlungen miteinander. Er unterhielt sich mit ihnen in aller Ruhe über die Frage, wie Europa wieder aufzubauen sei. Wenn die Minister mit ihm ehrerbietig sprachen, so bedeutet das, dass Vanderlip Beziehungen zu Milliardären hat. Sein Buch vertritt den Standpunkt des Geschäftsmanns, der nichts anderes kennt, der Europa beobachtet hat und sich sagt: „Es wird wohl nicht gelingen, alles wird zum Teufel gehen!“ Dieses Buch ist erfüllt von Hass gegen den Bolschewismus, Sehr interessant ist das Buch auch für die Agitation, es ist besser als alle möglichen kommunistischen Bücher aller Art, denn seine endgültige Schlussfolgerung lautet: „Ich fürchte, dieser Kranke ist nicht zu heilen, obwohl es uns für seine Heilung weder an Geld noch an Mitteln fehlt!“

Dieser Vanderlip führte einen Brief an den Rat der Volkskommissare mit sich. Das ist ein sehr interessanter Brief, denn er erklärt mit außerordentlicher Offenheit, mit dem Zynismus und der Grobheit des amerikanischen Protzen: „Im Jahre 1920 sind wir sehr stark; unsere Flotte wird 1923 noch stärker sein. Unserer Macht steht jedoch Japan im Wege, und wir werden mit ihm Krieg führen müssen. Ohne Petroleum, ohne Naphtha kann man aber keinen Krieg führen. Wenn ihr uns Kamtschatka verkauft, so bürge ich euch dafür, dass der Enthusiasmus des amerikanischen Volkes so groß sein wird, dass wir euch anerkennen werden. Die Präsidentenwahlen im März werden unserer Partei den Sieg bringen. Wenn ihr uns aber Kamtschatka nicht verpachtet, so erkläre ich, dass ein solcher Enthusiasmus nicht eintreten wird.“ Das ist fast wörtlich der Inhalt dieses Briefes, Hier haben wir den Imperialismus ganz nackt vor uns, der es nicht einmal für nötig hält, sich irgendwie zu verhüllen, weil er glaubt, er sei auch so schön genug. Als wir diesen Brief erhielten, sagten wir uns: hier müssen wir mit beiden Händen zugreifen! Dass er in Bezug auf die Wirtschaft Recht hat, beweist der Umstand, dass die Republikanische Partei in Amerika am Vorabend ihres Sieges steht. Zum ersten Mal in der Geschichte Amerikas haben sich im Süden Leute gefunden, die gegen die Demokraten stimmten. Es ist also klar, dass wir hier eine richtige ökonomische Betrachtung eines Imperialisten vor uns haben. Kamtschatka gehörte zum früheren Russischen Reiche, Das stimmt. Wem es aber gegenwärtig gehört, ist unbekannt. Es ist offenbar Eigentum des Staates, der sich als Republik des Fernen Ostens bezeichnet, aber die Grenzen dieses Staates sind noch nicht genau festgesetzt. Allerdings ist man dabei, einige Dokumente darüber zu schreiben, aber erstens sind sie noch nicht geschrieben, und zweitens noch nicht bestätigt. Im Fernen Osten herrscht Japan, das dort tun und lassen kann, was ihm beliebt. Wenn wir Kamtschatka, das juristisch uns gehört, faktisch aber von Japan an sich gerissen worden ist, an Amerika abtreten, so gewinnen wir natürlich dabei. Das war die Grundlage meiner politischen Erwägungen, und davon ausgehend, beschlossen wir sofort, gleich einen Vertrag mit Amerika zu schließen. Dabei muss man natürlich handeln, denn kein Geschäftsmann wird Achtung vor uns haben, wenn wir nicht handeln, Genosse Rykow begann deshalb mit dem Handeln, und wir arbeiteten einen Vertragsentwurf aus. Als es aber zum unterzeichnen kam, da erklärten wir: „Jeder weiß, wer wir sind, wer aber sind Sie?“ Es stellte sich heraus, dass Vanderlip keine Garantien geben konnte. Da erklärten wir, dass wir zu Zugeständnissen bereit seien. „Es ist ja nur ein Entwurf, Sie haben ja selbst gesagt, er werde erst in Kraft treten, wenn Ihre Partei die Oberhand gewinnt. Bis jetzt hat sie aber noch nicht die Oberhand gewonnen, deshalb wollen wir abwarten!“

Der Vertragsentwurf verpflichtet zu nichts, wir können jeden Augenblick zurücktreten. In diesem Falle verlieren wir nur die Zeit, die uns die Verhandlungen mit Vanderlip kosteten, und ein wenig Papier, Wir haben aber dadurch bereits etwas gewonnen Es genügt, die europäischen Nachrichten zur Hand zu nehmen, um zu sehen, dass wir dadurch gewonnen haben. Jede Nachricht aus Japan ist erfüllt von größter Unruhe über die erwarteten Konzessionen, Japan erklärt: „Wir werden das nicht zulassen, das verletzt unsere Interessen“! – „Bitte, besiegt Amerika, wir werden nichts dagegen einzuwenden haben“! Wir haben also schon, grob gesprochen, Japan und Amerika gegeneinander gehetzt und dadurch einen Vorteil erlangt. Wir haben aber auch gegenüber den Amerikanern gewonnen.

Wer ist Vanderlip? Wir haben nicht feststellen können, wer er ist. Aber in der kapitalistischen Welt ist das getan worden, denn über gewöhnliche Bürger schickt man keine Telegramme in die ganze Welt hinaus. Als er jedoch von uns wegfuhr, da flogen die Telegramme nur so durch die ganze Welt. Er erzählte, dass er eine vorteilhafte Konzession bekommen habe, und fing an, überall Lenin zu loben. Das klingt komisch, aber gestattet mir, zu bemerken, dass in dieser Komik ein Stück Politik steckt. Als Vanderlip hier alle Unterredungen beendet hatte, wünschte er eine Zusammenkunft mit mir. Ich beratschlagte mit den Vertretern der entsprechenden Stellen und fragte, ob ich ihn empfangen solle. Man sagte mir: „Es ist besser, wenn er zufriedener von hier wegfährt!“ Vanderlip kommt zu mir, und wir unterhalten uns über alle diese Dinge, und als er zu erzählen anfing, dass er in Sibirien gewesen sei, dass er Sibirien kenne, dass er von Arbeitern abstamme, wie die meisten amerikanischen Milliardäre usf., dass sie nur das Praktische schätzen, dass sie erst dann etwas schätzen, wenn sie es sehen, – da antwortete ich ihm: „Dann seht euch, ihr praktischen Leute, das Sowjetsystem an und führt es bei euch ein!“ Er blickte mich an, erstaunt über diese Wendung des Gespräches, und sagte auf russisch zu mir (die ganze Unterhaltung wurde in englischer Sprache geführt): „Vielleicht!“ Ich frage verwundert: woher diese Kenntnis der russischen Sprache? – „Ich habe ja im Laufe von 25 Jahren einen großen Teil der sibirischen Gebiete zu Pferde bereist.“ Als wir uns verabschiedeten, da sagte er: „Ich werde in Amerika sagen müssen, dass Mister Lenin keine Hörner hat“. Ich verstand nicht sogleich, da ich überhaupt englisch schlecht verstehe – „Was haben Sie gesagt? Wiederholen Sie es bitte“. Er, ein lebhaftes Männlein, wies mit einer Handbewegung nach den Schläfen und sagte: „Keine Hörner“, Der anwesende Übersetzer sagte: „Jawohl, so ist’s!“ In Amerika sind alle überzeugt, dass hier Hörner sein müssen, d. h. die ganze Bourgeoisie behauptet, dass ich vom Teufel gezeichnet sei. – „Jetzt aber werde ich sagen müssen, dass keine Hörner da sind“, sagte Vanderlip. Wir verabschiedeten uns äußerst liebenswürdig. Ich sprach die Hoffnung aus, dass auf der Grundlage freundschaftlicher Beziehungen zwischen den beiden Staaten nicht nur eine Konzession geschlossen werden, sondern auch die gegenseitige wirtschaftliche Unterstützung sich in normaler Weise entwickeln werde. Und alles in diesem Tone. Dann kamen Telegramme über die Berichte des aus dem Ausland zurückgekehrten Vanderlip,

Vanderlip verglich mich mit Washington und Lincoln, Vanderlip hatte mich um mein Bild mit Unterschrift gebeten, ich hatte abgelehnt, weil man bei Übergabe seines Bildes gewöhnlich schreibt: „Dem Genossen soundso“. Ich hätte aber unmöglich schreiben können „Dem Genossen Vanderlip“! Und nichtsdestoweniger trafen solche Telegramme ein. Das zeigt, dass diese Geschichte in der imperialistischen Politik eine gewisse Rolle gespielt hat. Harding, der zum Präsidenten gewählt wurde, sein Amt aber erst im März kommenden Jahres antreten wird, gab beim Auftauchen der Nachrichten über die Konzessionen Vanderlips ein offizielles Dementi heraus: „Ich weiß von nichts, stehe in keinen Beziehungen zu den Bolschewiki und habe nichts von irgendwelchen Konzessionen gehört“. Das war zur Zeit der Wahlen, und während der Wahlen zuzugeben, dass man etwas mit den Bolschewiki zu tun habe, kann allerdings einen Stimmenverlust zur Folge haben.

Dieses ganze Geschäft bedeutet eine Ablenkung der imperialistischen Mächte von uns. Vorläufig sitzen die Imperialisten da und warten auf einen günstigen Augenblick, um die Bolschewiki zu vernichten. Wir aber schieben diesen Augenblick hinaus. Als Japan sich in das koreanische Abenteuer hineinstürzte, sagten die Japaner zu den Amerikanern: „Gewiss, wir können die Bolschewiki besiegen, aber was gebt ihr uns dafür? China? Das nehmen wir sowieso. Wir sollen also zehntausend Werst zurücklegen, um die Bolschewiki zu schlagen, während wir die Amerikaner im Rücken haben. Nein, so macht man keine Politik!“ Bereits damals hätten uns die Japaner in einigen Wochen besiegen können, wenn es eine zweispurige Eisenbahnlinie gegeben hätte, und wenn es von den Amerikanern mit Transportmitteln unterstützt worden wäre. Uns rettete der Umstand, dass Japan, das gerade China verschlang, nicht durch ganz Sibirien nach dem Westen marschieren konnte, weil es Amerika im Rücken hatte, weil es nicht für Amerika die Kastanien aus dem Feuer holen wollte.

Noch mehr würde uns der Umstand retten, wenn die imperialistischen Mächte sich in einen Krieg verwickelten. Wenn wir gezwungen sind, solche Lumpen wie die kapitalistischen Diebe zu dulden, von denen jeder das Messer gegen uns wetzt, so ist es unsere direkte Pflicht, diese Messer gegeneinander zu richten. Wenn zwei Diebe streiten, so gewinnen dabei die ehrlichen Leute. Außerdem haben wir einen rein politischen Vorteil davon. Selbst wenn diese Konzession nicht zustande kommt, so wird das Konzessionsprojekt allein uns wirtschaftliche Vorteile bringen, wir werden einen Teil der Produkte bekommen3. Wenn die Amerikaner einen Teil der Produkte erhielten, so wäre das für uns von Vorteil. Auf Kamtschatka gibt es eine solche Menge von Naphtha und Erzen, dass wir selbst nicht imstande sind, sie auszubeuten.

Ich habe euch auf einen Gegensatz zwischen den Imperialisten hingewiesen, den auszunutzen wir verpflichtet sind, auf den Gegensatz zwischen Japan und Amerika, Ein anderer Gegensatz ist der zwischen Amerika und der ganzen übrigen kapitalistischen Welt. Fast die ganze kapitalistische Welt der „Sieger“ hat sich am Kriege ungeheuer bereichert, Amerika ist stark. Alle sind jetzt seine Schuldner. Alle hängen von ihm ab. Der Hass gegen Amerika wird immer größer. Es plündert alle, und zwar auf eine sehr originelle Weise. Es hat keine Kolonien. England ist aus dem Kriege mit gewaltigen Kolonien hervorgegangen, Frankreich ebenfalls, England bot Amerika das Mandat über eine der zusammengeraubten Kolonien an – heute nennt man das mit diesem Namen –, aber Amerika lehnte ab. Die amerikanischen Geschäftsleute denken offenbar etwas anderes. Sie sahen, dass der Krieg sowohl in Bezug auf die Verelendung als auch in Bezug auf die Stimmung der Arbeiter eine ganz bestimmte Rolle spielt, und gelangten zu der Schlussfolgerung, dass die Übernahme eines Mandats für sie nicht vorteilhaft sei. Aber sie werden es natürlich nicht zulassen, dass andere Staaten diese Kolonien ausnutzen. Die ganze bürgerliche Literatur zeugt vom Anwachsen des Hasses gegen Amerika, in Amerika dagegen mehren sich die Stimmen für den Abschluss eines Abkommens mit Russland, Amerika hatte mit Koltschak einen Vertrag über Anerkennung und Unterstützung Koltschaks geschlossen, ist aber dabei hereingefallen. Es hat dabei nur Schaden und eine Blamage eingeheimst. Wir haben also in Amerika den mächtigsten Staat der Welt, dessen Flotte im Jahre 1923 stärker sein wird als die englische. Dieser Staat stößt aber auf einen immer größeren Hass der anderen kapitalistischen Länder, Diese Entwicklung der Dinge müssen wir in Rechnung stellen, Amerika kann sich nicht mit dem übrigen Europa verständigen. Das ist eine Tatsache, die durch die Geschichte bestätigt worden ist. Niemand hat den Versailler Vertrag so treffend geschildert, wie Keynes, der Vertreter Englands in Versailles, es in seinem Buche getan hat. In diesem Buche verspottet er Wilson wegen der Rolle, die er beim Versailler Friedensvertrag spielte, Wilson entpuppte sich dort als völliger Narr, den Clemenceau und Lloyd George wie eine Schachfigur hin und her schoben. Alles deutet also darauf hin, dass Amerika nicht imstande sein wird, sich mit den anderen Ländern zu verständigen, weil zwischen ihnen ein sehr großer wirtschaftlicher Gegensatz besteht, weil Amerika reicher ist als die anderen.

Alle Konzessionsfragen werden wir deshalb unter diesem Gesichtswinkel betrachten, Amerika gerät unvermeidlich in Gegensatz zu den Kolonien, und wenn es versuchen sollte, sie fester anzupacken, so wird es uns dadurch zehnfach helfen. Die Empörung in den Kolonien ist ungeheuer. Wird man sie anrühren, so wird man, ob man will oder nicht, ob man nun reich ist oder nicht – und wenn ein Staat reich ist, dann um so eher – uns damit nur helfen, und die Herren Vanderlip werden dabei zum Teufel gehen. Deshalb spielt dieser Gegensatz bei unseren Erwägungen eine entscheidende Rolle.

Der dritte Gegensatz ist der Gegensatz zwischen der Entente und Deutschland, Deutschland ist besiegt, vom Versailler Vertrag erdrückt, verfügt aber über ungeheure wirtschaftliche Möglichkeiten, Deutschland ist, seiner wirtschaftlichen Entwicklung nach, das zweite Land der Welt, wenn man Amerika für das erste hält. Fachleute behaupten sogar, dass die Elektroindustrie Deutschlands höher stehe als die Amerikas, Und ihr wisst ja, was für eine gewaltige Bedeutung die Elektroindustrie hat. Was den Umfang der Anwendung der Elektrizität betrifft, so steht Amerika höher; was die technische Vollendung betrifft, Deutschland, Und einem solchen Lande hat man den Versailler Frieden aufgezwungen, der ihm die Existenz unmöglich macht. Deutschland ist eines der stärksten und fortgeschrittensten kapitalistischen Länder; es kann den Versailler Vertrag nicht ertragen und muss Verbündete gegen den Weltimperialismus suchen, obwohl es selbst ein imperialistisches – wenn auch besiegtes – Land ist.

Das sind die drei Gegensätze, die das ganze Spiel der Imperialisten hoffnungslos verwirren. Das aber ist das Wesentliche. Und eben deshalb müssen wir vom politischen Standpunkt mit unserem ganzen Herzen – oder besser – mit unserem ganzen Verstand für die Konzessionen eintreten.

Jetzt gehe ich zur Wirtschaft über. Als wir von Deutschland sprachen, hatten wir bereits die Frage gestreift. Seit dem Versailler Frieden ist die wirtschaftliche Existenz Deutschlands untergraben. Und nicht nur Deutschlands allein, sondern überhaupt aller besiegten Länder, wie Österreich-Ungarn in seinem früheren Umfange, obwohl ein Teil davon zu Siegerstaaten geworden ist. Unter dem Versailler Vertrag kann es jedenfalls nicht existieren. In Zentraleuropa ist das ein gewaltiges Ganzes von riesiger wirtschaftlicher und technischer Stärke. Vom wirtschaftlichen Standpunkt sind alle diese Staaten zur Wiederherstellung der Weltwirtschaft notwendig. Wenn man das Dekret vom 23, November über die Konzessionen wiederholt und aufmerksam liest, so sieht man, dass wir darin die Bedeutung der Weltwirtschaft hervorheben. Das tun wir absichtlich. Dass dieser Standpunkt richtig ist, kann nicht bestritten werden. Zur Wiederherstellung der Weltwirtschaft bedarf es der russischen Rohstoffe, Ohne die Verwertung dieser Rohstoffe kann man nicht auskommen. Das ist vom wirtschaftlichen Standpunkt richtig. Das gibt sogar der typische Bourgeois zu, der die Wirtschaft studiert und vom rein bürgerlichen Standpunkt aus urteilt. Das erkennt Keynes an, der Verfasser des Buches „Die wirtschaftlichen Folgen des Friedens“, aber auch der Finanzmagnat Vanderlip, der ganz Europa bereiste; denn in der ganzen Welt ist ein Mangel an Rohstoffen vorhanden. Im Krieg ist nämlich Raubwirtschaft damit getrieben worden. Keynes erklärt, dass man sich auf Russland stützen müsse. Und nun tritt Russland vor der ganzen Welt auf und erklärt: wir nehmen es auf uns, die Weltwirtschaft wiederherzustellen. Hier ist unser Plan! Das ist vom wirtschaftlichen Standpunkt richtig. Die Sowjetmacht ist in dieser Zeit erstarkt, und nicht nur selbst erstarkt, sondern tritt mit einem Plan der Wiederherstellung der gesamten Weltwirtschaft auf. Die Frage der Wiederherstellung der Weltwirtschaft ist durch den Elektrifizierungsplan wissenschaftlich richtig gestellt worden. Wir werden mit unserem Plan sicherlich nicht nur die Sympathie aller Arbeiter erobern, sondern auch der vernünftigen Kapitalisten, trotzdem wir für sie „schreckliche Bolschewiki und Terroristen“ usw. sind, denn unser Wirtschaftsplan ist richtig. Die ganze kleinbürgerliche Demokratie wird nach dem Lesen dieses Planes zu uns herüber schwanken, weil die Imperialisten sich bereits in den Haaren liegen. Hier dagegen wird ein Plan aufgestellt, gegen den die Techniker und Wirtschaftler nichts einwenden können. Wir gehen zur Wirtschaft über und legen der ganzen Welt ein positives Programm des Aufbaus vor.

Wir stellen diese Frage im antikapitalistischen Sinne. Wir treten auf und erklären: wir nehmen es auf uns, die ganze Welt nach rationellen, wirtschaftlichen Grundsätzen aufzubauen, und dass das richtig ist, daran kann kein Zweifel bestehen. Es kann nicht daran gezweifelt werden, dass man sofort die gesamte Volkswirtschaft wieder aufbauen könnte, wenn man das Werk mit modernen Maschinen und mit Hilfe der Wissenschaft gründlich in Angriff nähme.

Wir treiben eine Art Produktionspropaganda, wenn wir den Kapitalisten erklären: „Ihr Herren Kapitalisten taugt zu gar nichts; während ihr euch ruiniert, bauen wir auf unsere Weise auf. Wäre es also nicht Zeit, sich mit uns zu verständigen?“ Darauf müssen die Kapitalisten, wenn auch mit einem Seufzer antworten: „Allerdings, es ist wohl Zeit. Schließen wir einen Handelsvertrag!“

Die Engländer haben bereits einen Entwurf ausgearbeitet und uns zugeschickt. Er wird jetzt beraten, und damit treten wir in eine neue Phase ein. Im Kriege haben sie bereits versagt, und nun müssen sie auf wirtschaftlichem Gebiet kämpfen. Das ist uns durchaus verständlich. Wir haben auch nicht davon geträumt, dass nach unserem Siege der Friede eintreten wird und dass das sozialistische Lamm und der kapitalistische Wolf sich umarmen werden. Keineswegs! Dass sie aber gezwungen sind, mit uns auf wirtschaftlichem Gebiet zu kämpfen, das ist ein gewaltiger Fortschritt, Wir haben ihnen ein internationales Programm vorgelegt, das die Konzessionen vom Gesichtspunkte der Weltwirtschaft betrachtet. Das ist vom wirtschaftlichen Standpunkt durchaus richtig. Kein Ingenieur, kein Agronom, der die Frage der Volkswirtschaft aufwirft, kann dagegen Einwendungen erheben. Viele Kapitalisten sagen: „Ohne Russland ist ein festes kapitalistisches Staatensystem unmöglich!“ Wir treten jedoch mit unserem Programm als Leute auf, die die Weltwirtschaft nach einem neuen Plan aufbauen wollen. Das hat eine gewaltige propagandistische Bedeutung. Selbst wenn man keine einzige Konzession mit uns abschließt, was ich durchaus für möglich halte, selbst wenn bei diesem ganzen Lärm über Konzessionen nichts weiter herauskommt als einige Parteiversammlungen und Dekrete, aber keine einzige Konzession, so gewinnen wir trotzdem etwas. Ganz abgesehen davon, dass wir einen Plan des wirtschaftlichen Aufbaus aufgestellt haben, gewinnen wir damit alle Staaten für uns, die durch den Krieg ruiniert worden sind. Auf dem Kongress der III. Internationale habe ich erklärt, dass die ganze Welt in unterdrückte und herrschende Nationen zerfällt. Die unterdrückten Nationen machen nicht weniger als 70 Prozent der Gesamtbevölkerung der Erde aus. Der Versailler Friedensvertrag hat sie um 100 oder 150 Millionen Menschen vermehrt.

In der Tat treten wir jetzt nicht bloß als Vertreter des Proletariats aller Länder auf, sondern auch als Vertreter der unterdrückten Völker. Unlängst ist eine Zeitschrift der Kommunistischen Internationale unter dem Titel: „Narody Wostoka“ erschienen. Die Kommunistische Internationale hat für die Ostvölker die Losung auf gestellt: „Proletarier aller Länder und unterdrückte Völker, vereinigt euch!“ Ein Genosse hat hier gefragt: „Wann hat denn die Exekutive veranlasst, dass die Losungen geändert werden?“ Ich kann mich dessen wirklich nicht entsinnen. Gewiss, vom Standpunkt des „Kommunistischen Manifests“ ist es nicht richtig, aber das „Kommunistische Manifest“ ist unter ganz anderen Verhältnissen geschrieben worden. Vom Standpunkt der gegenwärtigen Politik jedoch ist es richtig. Die Verhältnisse haben sich zugespitzt. Ganz Deutschland befindet sich in Gärung, ganz Asien befindet sich in Gärung. Ihr habt gelesen, dass in Indien eine revolutionäre Bewegung im Entstehen begriffen ist. In China besteht ein grenzenloser Hass gegen die Japaner, auch gegen die Amerikaner. In Deutschland herrscht ein furchtbarer Hass gegen die Entente. Dieser Hass wird uns erst verständlich, wenn wir den Hass der deutschen Arbeiter gegen ihre Kapitalisten betrachten. Dadurch ist Russland direkt zum Vertreter der gesamten Masse der unterdrückten Bevölkerung der Erde geworden. Die Völker werden durch den Gang der Dinge daran gewöhnt, ihre Blicke auf Russland zu richten. Vor kurzem schrieb eine menschewistische Zeitung in Georgien4: „Es gibt zwei Mächte auf der Erde: die Entente und Sowjet-Russland“, Was aber sind die Menschewiki? Das sind Leute, die den Mantel nach dem Wind hängen. Als wir in internationaler Hinsicht schwach waren, schrien sie: „Nieder mit den Bolschewiki!“ Als wir erstarkten, schrien sie: „Wir sind neutrall“ Als wir die Feinde zurückschlugen, erklärten sie: „Ja, es gibt nur zwei Mächte“ …

Im Dekret über die Konzessionen traten wir im Namen der ganzen Menschheit auf mit einem wirtschaftlich einwandfreien Programm der Wiederherstellung der wirtschaftlichen Kräfte der Welt auf der Grundlage der Verwertung sämtlicher Rohstoffe, wo sie auch sein mögen. Für uns ist es wichtig, dass nirgends Hunger herrsche. Ihr Kapitalisten könnt den Hunger nicht beseitigen, wir aber können es. Wir treten auf als Vertreter von 70 Prozent der Bevölkerung der Erde. Was auch aus dem Entwurf werden mag, er bleibt in wirtschaftlicher Hinsicht unanfechtbar. Die wirtschaftliche Seite der Konzessionen behält ihre Bedeutung, sogar unabhängig davon, ob sie abgeschlossen werden oder nicht.

Wie ihr seht, musste ich also eine sehr umfangreiche Einleitung vorausschicken und die Vorteile der Konzessionen beweisen. Natürlich sind für uns die Konzessionen auch wichtig, um Industrieprodukte zu erhalten. Das ist zweifellos richtig, die Hauptsache aber sind die politischen Verhältnisse. Zum Sowjetkongress wird ein 600 Seiten starker Band über den Elektrifizierungsplan Russlands erscheinen. Diesen Plan haben die besten Agronomen und Ingenieure ausgearbeitet. Ohne Hilfe des ausländischen Kapitals und ohne Produktionsmittel können wir die Durchführung dieses Planes nicht beschleunigen. Um aber Hilfe zu bekommen, müssen wir zahlen. Bis jetzt haben wir mit den Kapitalisten gekämpft, die uns erklärten: „Entweder erwürgen wir euch oder zwingen euch, 200 Milliarden zu bezahlen“. Sie sind aber außerstande, uns zu erwürgen, und die Schulden werden wir ihnen nicht bezahlen. Einstweilen haben wir einen gewissen Aufschub erhalten. Solange wir wirtschaftliche Unterstützung brauchen, sind wir bereit zu zahlen. So stellen wir die Frage, Jede andere Fragestellung wäre wirtschaftlich gegenstandslos. Russlands Industrie ist ruiniert. Im Vergleich zur Vorkriegszeit ist sie auf ein Zehntel, wenn nicht noch mehr, zurückgegangen, Hätte man uns vor drei Jahren gesagt, dass wir drei Jahre lang gegen die kapitalistische Welt kämpfen werden, so hätten wir das nicht geglaubt. Nun wird man aber einwenden: die Wirtschaft wiederherzustellen, wenn man nur den zehnten Teil des Volksvermögens der Vorkriegszeit besitzt, ist eine noch viel schwierigere Aufgabe! In der Tat, das ist noch schwieriger als Krieg zu führen, Krieg führen konnte man dank der Begeisterung der Arbeiter- und Bauernmassen, die sich gegen die Gutsbesitzer verteidigten. Heute aber handelt es sich nicht um die Verteidigung gegen die Gutsbesitzer, sondern um den Wiederaufbau der Wirtschaft auf einer für die Bauern ungewöhnlichen Grundlage, Hier wird der Sieg nicht durch Begeisterung, Vorwärtsstürmen und Selbstaufopferung errungen, sondern durch langweilige kleinliche, nüchterne Alltagsarbeit, Das ist zweifellos schwieriger. Woher die notwendigen Produktionsmittel nehmen? Um die Amerikaner heranzuziehen, muss man ihnen zahlen. Sie sind Geschäftsleute, Womit aber sollen wir zahlen? Mit Gold? Mit Gold können wir aber nicht um uns werfen. Rohstoffe können wir nicht liefern, weil wir unsere eigenen Leute noch nicht satt gemacht haben. Als im Rate der Volkskommissare die Frage aufgeworfen wurde, ob man den Italienern 100.000 Pud Getreide geben solle, da stand der Volkskommissar für Ernährungswesen auf und sprach dagegen. Wir feilschen um jeden Eisenbahnzug Getreide, Ohne Getreide kann man den Außenhandel nicht entwickeln. Was können wir sonst liefern? Gerümpel? Davon haben sie selbst genug. Man fordert uns auf, mit Getreide zu handeln. Wir aber können kein Getreide geben. Deshalb müssen wir diese Aufgabe mit Hilfe der Konzessionen lösen.

Ich gehe zum nächsten Punkt über. Die Konzessionen erzeugen neue Gefahren, Ich verweise auf das, was ich zu Anfang meiner Rede gesagt habe, nämlich, dass unter den Arbeitermassen Stimmen laut werden, wie: „Lasst euch von den Kapitalisten nicht einseifen, das sind schlaue, gerissene Leute.“ Das zu hören ist angenehm, weil man sieht, wie eine gewaltige Masse emporwächst, die mit den Kapitalisten auf Tod und Leben kämpfen wird. Die Artikel des Gen. Stepanow5, die pädagogisch gemeint sind (zuerst werde ich alle Argumente gegen die Konzessionen anführen, dann sagen, dass man sie annehmen muss; ich fürchte aber, dass manche Leser, bevor sie beim guten Teil ankommen, nicht weiter lesen werden, weil sie sich überzeugt haben werden, dass Konzessionen nicht notwendig sind), enthalten richtige Gedanken; wenn er aber sagt, man solle England keine Konzessionen erteilen, weil dann Lockhart kommen werde, so bin ich damit nicht einverstanden. Wir sind mit Lockhart fertig geworden, als die Tscheka erst im Entstehen begriffen war und noch nicht jene feste Basis hatte, wie heute. Und wenn wir nach drei Jahren Krieg nicht imstande sein werden, die Spitzel ausfindig zu machen, so muss man sagen, dass solche Leute die Leitung eines Staates überhaupt nicht hätten übernehmen dürfen. Wir lösen ungleich schwierigere Aufgaben. Wir haben z, B. heute in der Krim eine 300.000 Köpfe zählende Bourgeoisie. Das ist ein Herd künftiger Spekulation, Spionage, jeglicher Unterstützung der Kapitalisten. Aber wir fürchten sie nicht. Wir sagen, dass wir sie nehmen, verteilen, uns gefügig machen und sie umwandeln werden.

Nach alledem wäre es lächerlich, zu behaupten, die Ausländer, denen wir bestimmte Konzessionen erteilen, seien uns gefährlich, oder wir könnten sie nicht kontrollieren! Weshalb haben wir dann alle diese Lasten auf uns genommen, weshalb die Leitung des Staates übernommen? Hier haben wir es mit einer rein organisatorischen Aufgabe zu tun, bei der es nicht lohnt, sich länger aufzuhalten.

Es wäre aber natürlich ein schwerer Fehler, zu glauben, die Konzessionen bedeuten Frieden. Keineswegs! Die Konzessionen sind nichts anderes als eine neue Form des Krieges, Europa hat gegen uns Krieg geführt. Jetzt aber beginnt eine neue Phase des Krieges. Früher spielte sich der Krieg auf einem Gebiet ab, auf dem die Imperialisten unvergleichlich stärker waren als wir, nämlich auf militärischem Gebiet, Wenn man die Zahl unserer und ihrer Kanonen und Maschinengewehre zählt, die Zahl der Soldaten, die unsere Regierung und ihre Regierung mobilisieren können, so muss man zu dem Schluss kommen, dass wir unbedingt im Laufe von zwei Wochen hätten vernichtet werden müssen. Wir haben uns jedoch auf diesem Gebiet behauptet. Wir nehmen nun den weiteren Kampf auf und gehen zum wirtschaftlichen Krieg über. Wir erklären ausdrücklich, dass neben einem Konzessionsgebiet, neben einem Konzessionsbetrieb unser Betrieb liegen wird, dann wiederum ein Konzessionsbetrieb usw. Wir werden bei ihnen lernen, Musterbetriebe zu organisieren, indem wir unsere daneben aufbauen. Wenn wir das nicht fertig bringen, dann ist überhaupt alles zwecklos! Es ist im gegenwärtigen Moment keine leichte Aufgabe, die Betriebe nach den letzten Errungenschaften der Technik einzurichten. Wir müssen das aber lernen, an Hand der Praxis lernen, denn das kann man nicht durch Schulen, Universitäten oder Kurse erlangen. Deshalb erteilen wir Konzessionen so, wie man auf dem Schachbrett vorgeht. Seht euch die Dinge an und lernt daraus!

Wirtschaftlich sind die Konzessionen für uns von gewaltigem Nutzen, Natürlich, die Kapitalisten werden bei der Gründung ihrer Siedlungen ihre Gewohnheiten mit sich bringen und auf die Bauernschaft einen zersetzenden Einfluss ausüben. Man muss eben auf sie acht geben, muss ihnen auf Schritt und Tritt unsere kommunistische Aktivität entgegenstellen. Das ist auch eine Art Krieg, ein kriegerischer Wettkampf zweier Methoden, zweier Formationen, zweier Wirtschaftssysteme – des kommunistischen und des kapitalistischen. Wir werden beweisen, dass wir stärker sind. Man sagt uns: „Nun gut, ihr habt an der äußeren Front standgehalten. Fangt nun mit dem Aufbau an, lasst uns aufbauen, und wir werden sehen, wer siegen wird.“ Natürlich ist das eine schwierige Aufgabe, aber wir haben immer behauptet: „Der Sozialismus besitzt die Macht des Beispiels,“ Die Gewalt übt ihre Wirkung auf diejenigen aus, die ihre Herrschaft wieder aufrichten wollen. Damit aber ist die Bedeutung der Gewalt erschöpft. Und dann kommt es auf den Einfluss und auf das Beispiel an. Man muss an Hand des Beispiels die Bedeutung des Kommunismus in der Praxis beweisen. Wir haben keine Maschinen, Der Krieg hat uns ruiniert, der Krieg hat Russland seiner wirtschaftlichen Hilfsquellen beraubt, aber wir fürchten trotzdem diesen Wettkampf nicht, weil er für uns in jeder Hinsicht von Vorteil ist.

Das wird ein Krieg sein, in dem man ebenfalls nicht das geringste Zugeständnis machen darf. Dieser Krieg ist für uns in jeder Hinsicht vorteilhaft. Und vorteilhaft ist auch der Übergang vom früheren Krieg zu diesem neuen Krieg, ganz abgesehen davon, dass damit eine gewisse indirekte Garantie des Friedens verbunden ist. Ich habe in jener Versammlung, über die in der „Prawda“ so unzutreffend berichtet worden ist, erklärt, dass wir jetzt vom Krieg zum Frieden übergegangen seien, jedoch nicht vergessen haben, dass ein Krieg wieder ausbrechen kann. Solange Kapitalismus und Sozialismus nebeneinander bestehen, können wir nicht in Frieden leben. Letzten Endes wird dieser oder jener siegen. Entweder wird man der Sowjetrepublik oder aber dem Weltkapitalismus die Grabrede halten. Das ist nur ein Aufschub des Krieges. Die Kapitalisten werden einen Vorwand für einen Krieg suchen. Wenn sie unseren Vorschlag annehmen und auf Konzessionen eingehen, wird ihnen das schwieriger fallen. Einerseits werden wir im Falle eines Krieges die günstigsten Bedingungen haben und andererseits werden diejenigen, die einen Krieg wollen, auf keine Konzessionen eingehen. Das Bestehen von Konzessionen ist ein wirtschaftliches und politisches Argument gegen den Krieg, Die Staaten, die gegen uns Krieg führen könnten, werden keinen Krieg führen können, wenn sie Konzessionen abschließen. Was die Gefahr eines Zusammenstoßes zwischen Kapitalismus und Bolschewismus betrifft, so muss man sagen, dass die Konzessionen eine Fortsetzung des Krieges sind, nur auf einem anderen Gebiet, Man wird jeden Schritt des Gegners verfolgen müssen. Dabei bedarf es aller Mittel der Verwaltung, der Beaufsichtigung, der Beeinflussung und der Einwirkung. Das aber ist ein Krieg. Wir haben einen größeren Krieg hinter uns. Aber in dem jetzigen Krieg werden wir noch größere Massen mobilisieren als in jenem. Für diesen Krieg werden wir jeden, der arbeitet, mobilisieren müssen. Wir werden jedem sagen: „Wenn der Kapitalismus das und das leistet, so müsst ihr, Arbeiter und Bauern, die ihr die Kapitalisten gestürzt habt, nicht weniger vollbringen. Lernt also!“ Ich bin überzeugt, dass die Sowjetmacht den Kapitalismus einholen und überholen wird und dass wir nicht nur wirtschaftlich gewinnen werden. Wir werden uns Wissen und Erfahrungen aneignen, Keine Schule und keine Universität ist etwas wert, wenn das praktische Können fehlt. Aus der Karte, die der Broschüre beigefügt ist, und die euch Gen. Miljutin zeigen wird, könnt ihr sehen, dass wir vorwiegend in den Grenzgebieten Konzessionen erteilen6. Im Norden des Europäischen Russland gibt es 70 Millionen Desjatinen Wald, davon sind 17 Millionen Desjatinen für Konzessionen bestimmt. Unsere Waldwirtschaft ist wie ein Schachbrett eingeteilt: in Westsibirien und im hohen Norden. Wir können dabei nicht verlieren. Die Hauptunternehmungen haben wir in Westsibirien, dessen Reichtümer unermesslich sind. Wir werden in 10 Jahren nicht einmal den hundertsten Teil davon verwerten können. Durch die ausländischen Kapitalisten aber werden wir, wenn wir ihnen ein Bergwerk abtreten, die Möglichkeit erhalten, unsere eigenen Bergwerke auszubeuten. Bei der Erteilung von Konzessionen wählen wir die Stellen selbst aus.

Wie müssen wir die Beaufsichtigung der Konzessionen organisieren? Wir werden die Masse unserer Bauernschaft nicht dem Einfluss der Kapitalisten überlassen, denn sie werden diese Masse zersetzen. Der Bauer als kleiner Unternehmer neigt seiner Natur nach zum freien Handel, Wir aber halten das für ein Verbrechen. Hier handelt es sich um einen Kampf der Staatsmacht. Wir haben eine ungeheure Missernte, Futtermangel und Viehseuchen, während gleichzeitig gewaltige Landflächen brachliegen. In den nächsten Tagen wird ein Dekret erscheinen, damit unter Anstrengung aller Kräfte eine möglichst vollständige Aussaat und eine Hebung der Landwirtschaft erreicht werde.

Ferner haben wir 1 Million Desjatinen Neuland, das wir nicht nutzbar machen können, da es uns an Arbeitsvieh und an den notwendigen Maschinen fehlt. Mit dem Traktor aber könnte man diesen Boden beliebig tief pflügen. Deshalb ist es für uns vorteilhaft, dieses Land zu verpachten. Selbst wenn wir die Hälfte, selbst wenn wir drei Viertel der Erzeugnisse abtreten, so haben wir doch einen Gewinn davon. Das ist die Politik, von der wir uns leiten lassen. Und ich kann sagen, dass wir uns dabei nicht nur von wirtschaftlichen Erwägungen und der Konjunktur der Weltwirtschaft, sondern auch von tiefen politischen Erwägungen leiten lassen. Jede andere Behandlung der Frage wäre kurzsichtig. Wenn die Frage gestellt wird, ob die Konzessionen uns wirtschaftliche Vorteile bringen oder nicht, so muss man sagen: die wirtschaftlichen Vorteile sind unbestreitbar. Ohne Konzessionen können wir unser Programm und die Elektrifizierung des Landes nicht durchführen; ohne die Konzessionen wird die Wiederherstellung unserer Wirtschaft in den nächsten zehn Jahren unmöglich sein. Stellen wir aber die Wirtschaft wieder her, so werden wir für das Kapital unbesiegbar sein. Die Konzessionen bedeuten nicht den Frieden mit dem Kapitalismus, sondern den Krieg auf einem neuen Gebiet. An die Stelle des Krieges mit Waffen, mit Tanks tritt der wirtschaftliche Krieg. Allerdings birgt auch dieser Krieg neue Schwierigkeiten und neue Gefahren in sich. Aber ich bin überzeugt, dass wir sie überwinden werden. Ich bin dessen gewiss: wenn wir die Frage der Konzessionen so stellen, so werden wir mit Leichtigkeit die große Mehrheit der Parteigenossen überzeugen. Jene instinktive Furcht aber, von der ich gesprochen habe, ist eine nützliche und gesunde Furcht, die wir zu jener treibenden Kraft machen müssen, die unseren Sieg im bevorstehenden wirtschaftlichen Krieg beschleunigen wird.

1 Lenin meint das Buch: Hard William, „Raymond Robins own story", Neuyork und London 1920.

2 Lenin meint das Buch Frank A. Vanderlips, „What happened to Europe“, Neuyork 1920.

3 Diese Stelle ist offenbar verstümmelt. Die Red.

4 Lenin meint das Referat N. Jordanias auf dem Kongress der georgischen Volksgarde vom 26. Oktober, das in der georgischen menschewistischen Zeitung „Ertoba“ Nr. 247 und 248 vom 30. und 31. Oktober 1920 erschienen ist. Nach dem Bericht in dieser Zeitung erklärte Jordania über die Frage der Beziehungen zwischen England und Sowjetrussland: „Ihr wisst, dass heute zwei Welten einander gegenüberstehen: einerseits Europa, andererseits das bolschewistische Russland und einige asiatische Völker und Staaten. Das bolschewistische Russland ist der Führer dieser Völker und Staaten bei ihren Aufständen gegen Westeuropa.“

5 Lenin meint eine ganze Reihe von Artikeln I. I. Skworzow-Stepanows über Konzessionsfragen, die 1920 in der „Prawda“ erschienen.

6 Gemeint ist die Broschüre „Über Konzessionen. Verordnung des Rates der Volkskommissare vom 23. November 1920. Text der Verordnung. Konzessionsobjekte. Karten“, Staatsverlag 1920.

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