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Grigori Sinowjew 19190513 Nieder mit dem Frieden von Versailles!

Grigori Sinowjew: Nieder mit dem Frieden von Versailles!

Es lebe die Kommunistische Revolution!

An die Werktätigen der ganzen Welt!

[Manifest, Richtlinien, Beschlüsse des Ersten Kongresses. Aufrufe und offene Schreiben des Exekutivkomitees bis zum Zweiten Kongress. Hamburg 1920, S. 92-99]

Die Regierungen, die vor fünf Jahren den räuberischen Krieg begannen, versuchen jetzt, ihn mit einem räuberischen Frieden abzuschließen. Die englische, französische, amerikanische Bourgeoisie hat in Versailles den Vertretern der deutschen Bourgeoisie die sogenannten Friedensbedingungen eingehändigt. Versailles wird zu einem neuen Brest. Jeder Punkt , des Versailler Friedens ist eine Schlinge zur Erwürgung dieses oder jenes Volkes.

Die Wut und Rachgier der imperialistischen Bourgeoisie der siegenden Koalition kennt keine Grenzen. Indem die anglo-französische und amerikanische Bourgeoisie die Gründung des „Völkerbundes“ proklamiert, versucht sie in der Tat dem Willen aller Europa bevölkernden Nationen Hohn zu sprechen. Die Bourgeoisie der Ententeländer versucht Deutschland zu zerstückeln. Von Deutschland wird eine ganze Reihe von Territorien abgeschnitten, man will Deutschland der Kohle und des Brotes berauben, man nimmt Deutschland seine Handelsflotte, man will Deutschland zwingen, eine Kontribution von schwindelerregender Höhe zu bezahlen. Die Bourgeoisie der Ententeländer, die in Worten angeblich gegen die Annexion fremder Länder Krieg führte, vollzieht jetzt eine Reihe der gröbsten, zynischsten Annexionen. Mit den Kolonien, die früher Deutschland gehörten, wird jetzt gehandelt wie mit Vieh. Die Imperialisten der Entente haben sich mit einem großen Messer bewaffnet und vivisezieren den Körper Deutschlands.

Aber die räuberischen Friedensbedingungen, die Deutschland aus Versailles diktiert werden, bilden nur ein Glied in der Kette der Gewalttätigkeiten, die von den Imperialisten der Entente ausgeübt werden. In demselben Augenblick, wo diese Imperialisten bestrebt sind, Deutschland zu verstümmeln und zu erwürgen, führen sie auch einen Henkerfeldzug gegen die Räterepublik Ungarn.

Sie, diese französischen und englischen Bourgeois, sind auch die Haupthetzer der rumänischen Bojaren, die jetzt ihre weißgardistischen Truppen gegen unsere Brüder, die Arbeiter Ungarns, führen. Sie, die Vertreter der aufgeklärten französischen und englischen „Demokratie", begeistern auch jene Pogromhelden, die ihre wutschnaubenden Banden gegen das rote Budapest führen.

Sie sind es auch, die die russischen Ultrareaktionäre, Koltschak, Denikin, Krasnow, in ihrem blutigen Kampf gegen die russische Arbeiterklasse und die Bauernschaft anfeuern. Sie, die anglo-französischen Bourgeois, haben auch die von Noske, Ebert und Scheidemann geführten deutschen Weißgardisten angefeuert, die bayerische Räterepublik zu vernichten. Die Imperialisten der Ententeländer haben der Regierung Scheidemanns die direkte Bedingung gestellt, vor allen Dingen die Rätemacht in München zu unterdrücken.

Sie sind es, die anglo-französischen und amerikanischen Bankiers und Generäle, die jetzt auch die revolutionären Truppen in Bulgarien entwaffnen. Sie sind es, die die revolutionäre Volksbewegung in Serbien, in Slawonien ersticken.

Internationale Gendarmen – das sind die anglo-französischen und amerikanischen Imperialisten, die sich für Vertreter der „Weltdemokratie" ausgeben.

Alle Illusionen sind zerstört. Die Masken sind gefallen. Wen der endlose, schreckliche, imperialistische Krieg noch nicht belehrt hat, den muss der imperialistische Frieden, mit dem man jetzt von Versailles aus die Menschheit beglücken will, belehren. Die Regierungen, die im Lauf von vier und einem halben Jahr ihre Völker belogen haben, dass sie den Krieg für die „Selbstbestimmung der Nationen“, für die „Unabhängigkeit“ der kleinen Völker, für „Freiheit und Kultur“, für die „Demokratie“ führen – diese Regierungen sind jetzt entlarvt als Henkershenker, als vor Wut sinnlose Sklavenhalter, die kein Erbarmen kennen.

Das Märchen von dem Völkerbund verblüht, bevor es vermochte aufzublühen. Nach den Versailler Friedensbedingungen wird es nicht gelingen, viele Arbeiter mit dem Völkerbund zu ködern. Der Völkerbund, an dessen Wiege der Metzger Clemenceau steht, ist vor der ganzen Welt als Räuberbund entlarvt, der die vielen Millionen der werktätigen Massen Europas ans Kreuz schlägt.

Der Versailler Frieden fällt mit seiner ganzen Wucht in erster Linie auf die Arbeiterklasse Deutschlands. Wenn der Versailler Frieden sich als einigermaßen dauernd erweisen würde, so bedeutete das, dass die Arbeiterklasse Deutschlands unter einem Doppeljoche zu stöhnen hätte: unter dem der eigenen Bourgeoisie und dem der ausländischen Sklavenhalter.

Es ist überflüssig zu erwähnen, dass die Sympathien der Kommunistischen Internationale, die Sympathien der ehrlichen Arbeiter der ganzen Welt auf Seiten der deutschen Arbeiterklasse sind. Die kommunistischen Arbeiter aller Länder empfinden die Versailler Friedensbedingungen als einen Schlag für das internationale Proletariat, als einen Anschlag, der nur mit vereinten Kräften der Proletarier aller Länder abgewendet werden kann.

Die jetzige deutsche Regierung, die in Worten gegen den Versailler Frieden Protest erhebt, hilft in der Tat den Imperialisten der Entente, ihren teuflischen Plan in Bezug auf die deutsche Arbeiterklasse auszuführen. In Deutschland hat der Henker Clemenceau keine treueren Diener als Scheidemann und Ebert. Die Partei Scheidemanns und Eberts tanzt schon vom ersten Augenblick der deutschen Revolution an gehorsam nach der Pfeife der Ententeimperialisten. Auf Antreiben Clemenceaus schickten und schicken Scheidemann und Ebert jetzt weißgardistische Truppen gegen Sowjetrussland. Den Imperialisten der Entente zu Gefallen ermordeten die von Ebert und Scheidemann.geführten Sozialdemokraten Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg, und sie unterdrücken mit Feuer und Schwert die große Bewegung der deutschen Arbeiter, die auf das Erringen der Rätemacht gerichtet ist. Indem die Regierung Scheidemanns die Aufträge der Londoner und Pariser Börse ausführte, hat sie bereits viele Tausende kommunistischer Arbeiter Deutschlands ausgerottet. Jedes Mal, wenn die Wogen der Arbeiterbewegung in Deutschland besonders hoch gingen, bereit, die Regierung der verräterischen Sozialdemokraten hinweg zu spülen, schreckten Scheidemann und Ebert die hungernden Arbeiter damit ab, dass die Ententemächte, falls in Deutschland die Rätemacht konstituiert werden sollte, dem deutschen Volk kein Brot liefern würden.

Der Zentralausschuss der sozialdemokratischen Partei Scheidemanns behauptet in seinem den Versailler Frieden betreffenden Aufruf, dass die Versailler Lektion der „beste Beweis für die Richtigkeit der von der deutschen Sozialdemokratie in der Frage der Vaterlands Verteidigung eingenommenen Stellung" sei.

– „Sozialisten aller Länder, habt ihr schließlich unsere Handlungsweise während des Krieges verstanden?" – so sagt Scheidemann in seinem Aufruf.

O ihr Heuchler, o ihr Zyniker!

Zwei Diebe stürzten sich im Jahre 1914 auf die gleiche Beute. Einer der Diebe hatte mehr Erfolg. Dieser Einbrecher schleppte nicht nur jene ganze Beute davon, auf die sein Konkurrent Anspruch erhob, sondern fuhr auch noch in die Tasche seines Rivalen. Da wendet sich der andere Dieb, indem er gute Miene zum bösen Spiel macht und gekränkte Unschuld heuchelt, an alle ehrlichen Leute und ruft: „Ihr seht, das Betragen meines Gegners hat endgültig die Richtigkeit meiner Taktik bewiesen. Werdet ihr auch jetzt nicht begreifen, dass wir Scheidemänner reiner sind als der Schnee der Alpenhöhen?"

Die Versailler Friedensbedingungen haben allen ehrlichen Arbeitern etwas ganz anderes gezeigt. Die klassenbewussten Arbeiter der ganzen Welt legen sich vorzüglich Rechenschaft darüber ab, dass die deutschen Imperialisten, wenn der Krieg mit ihrem Siege geendet hätte, ebenso schonungslos gegen die Besiegten gewesen wären, wie ihre Gegner es eben sind. Und dann hätten sich sicherlich die Henderson und Renaudel derselben lügenhaften Phrasen bedient, wie die Scheidemann und Noske es heute tun.

Die Versailler Friedensbedingungen haben gezeigt, dass, solange der Imperialismus, und sei es auch nur in einem Lande, noch lebt, auch Gewalt und Raub fortleben. Die Versailler Friedensbedingungen haben gezeigt, dass der Imperialismus jeder beliebigen Koalition gleich blutdürstig ist. Mit was für „demokratischen" Feigenblättern der Imperialismus sich auch zudecken möge, er bleibt die Verkörperung von Barbarei und Blutgier.

Die Versailler Friedensbedingungen haben gezeigt, dass die Sozialpatrioten aller Länder endgültig und für immer zu Lakaien der Bourgeoisie geworden sind. Die Versailler Friedensbedingungen haben gezeigt, wie erbärmlich die Träume der Anhänger der gelben Berner „Internationale", (insbesondere die Kautsky und seiner Freunde) von der „Abrüstung" bei Aufrechterhaltung des Kapitalismus, von dem gütigen und wohlmeinenden Völkerbund unter dem Schutze Wilsons sind. Die Versailler Friedensbedingungen haben gezeigt, dass die Bourgeoisie selbst den Arbeitern aller Länder nur einen Weg übrig gelassen hat – den Weg der Weltrevolution, den Weg über den Leichnam des Kapitalismus.

Arbeiter Frankreichs! Arbeiter Englands! Arbeiter Amerikas! Arbeiter Italiens! An Euch wendet sich die Kommunistische Internationale! Von Euch hängt jetzt in erster Linie das Schicksal von Millionen Arbeitern Deutschlands und Österreichs ab. Ihr musst jetzt Euer Wort sprechen. Ihr müsst den bluttriefenden Händen Eurer Regierungen das räuberische Messer entreißen, das sie über den Köpfen der deutschen und österreichischen Arbeiterklasse schwingen. Ihr müsst beweisen, dass die Lehren des fünfjährigen Gemetzels für Euch nicht verloren gegangen sind. Keinen Augenblick dürft Ihr vergessen, dass der Sieg der Ententeimperialisten über die deutsche und österreichische Arbeiterklasse den Sieg über Euch bedeutet, den Sieg über die Arbeiter aller Länder, den Sieg über den Sozialismus. Ihr hauptsächlich haltet jetzt das Schicksal des internationalen Sozialismus in Euren Händen. Auf Euch blicken mit Zuversicht die klassenbewussten Arbeiter der ganzen Welt. Und wir sind überzeugt, dass Ihr Eure Pflicht erfüllt, den Ratschlägen Eurer Scheidemänner zum Trotz.

Arbeiter Deutschlands! Arbeiter Österreichs! Nun seht Ihr, dass Ihr keine andere Wahl habt, als unverzüglich die Regierung der Verräter, die sich Sozialdemokraten nennen, tatsächlich aber die schändlichsten Agenten der Bourgeoisie sind, zu stürzen. Ihr seht jetzt, wohin Euch die Politik Scheidemanns und Noskes geführt hat. Ihr seht, dass Eure einzige Hoffnung die proletarische Weltrevolution ist.

Diese proletarische Revolution hemmen aber die Scheidemänner und Eberts aus allen Kräften. Wenn die Scheidemänner und Noskes in Eurem Namen das internationale Proletariat anflehen, finden sie keine andere Antwort als Verachtung.

Die Männer, die mit keinem Wort gegen das Erwürgen Räteungarns durch Gutsbesitzertruppen protestieren, die Männer, die bei Libau auf seiten der deutschen Barone gegen die lettischen Arbeiter und Knechte kämpfen, die Männer können nicht auf die Unterstützung des internationalen Proletariats rechnen. In Eurem Namen dürfen jetzt nicht Graf Brockdorff von Rantzau, nicht der Verräter Landsberg, nicht die Henker Noske und Scheidemann reden. Solange die jetzige deutsche Regierung am Ruder steht, bleibt der Streit zwischen Berlin und Paris nur ein Rechtsstreit zwischen der Bourgeoisie zweier Koalitionen. Die ganze Macht in Eurem Lande muss baldmöglichst in die Hände der Arbeiterräte übergehen. In Eurem Namen sollen die kommunistischen Arbeiter reden.

Dann, und nur dann könnt Ihr Euer Land retten, könnt Ihr auf vollen Beistand von Seiten der Proletarier aller Länder rechnen. ,

Die Zeit der Unentschlossenheit ist vorüber. Jetzt ist es bereits jedem von Euch klar, dass es nicht schlimmer werden kann, dass die Regierung der Sozialverräter Euch an den Rand des Verderbens geführt hat.

Arbeiter Deutschlands und Österreichs! Wisset denn: die Proletarier anderer Länder werden der deutschen offiziellen Sozialdemokratie nicht Glauben schenken, jener Sozialdemokratie, die in dem Augenblick kein Wort des Protests fand, wo die Regierung Wilhelms von Hohenzollern Sowjetrussland den Brester Frieden aufzwang.

Arbeiter Deutschlands und Österreichs! Wisset denn: wenn der Brester Frieden, der Russland im Jahre 1918 aufgezwungen wurde, so bald ein Ende nahm, so geschah es deshalb, weil die russischen Arbeiter und Bauern die Regierung der Bourgeoisie und Sozialverräter stürzten, die Macht in ihre Hände nahmen. Nur dadurch gelang es den russischen Arbeitern, das Vertrauen und die Sympathien der Proletarier aller Länder zu erobern. Nur dank diesem Umstand gelang es ihnen, verhältnismäßig bald die Brester Schlinge zu zerreißen.

Die proletarische Weltrevolution – das ist die einzige Rettung der unterdrückten Klassen der ganzen Welt.

Die Diktatur des Proletariats und die Gründung der Rätemacht – das ist die einzige Schlussfolgerung der Versailler Lektion für die Proletarier der ganzen Welt.

Solange der Kapitalismus lebt, kann es keinen dauernden Frieden geben. Der dauernde Friede wird auf den Trümmern der bürgerlichen Ordnung aufgebaut.

Es lebe der Aufstand der Arbeiter gegen ihre Unterdrücker! Nieder mit dem Versailler Frieden! Nieder mit dem neuen Brest! Nieder mit der Regierung der Sozialverräter!

Es lebe die Rätemacht in der ganzen Welt!

Vorsitzender des Exekutivkomitees der Kommunistischen Internationale

G. Sinowjew.

13. Mai 1919.

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