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Vereinigungsverhandlungen mit den Menschewiki 1905

Die Hauptfrage, die Lenin in diesem Briefe an das ZK behandelt, Ist die Vereinigung mit den Menschewiki. Dieser Brief war nicht der erste. Die Verhandlungen über die Vereinigung wurden von dem auf dem dritten Parteitage gewählten ZK schon bedeutend früher begonnen. Schon im Juli 1905 wandte sich das ZK an die menschewistische Zentrale, die Organisationskommission, mit einem offenen Briefe, in welchem vorgeschlagen wurde, „eine bestimmte Frist festzusetzen und Bevollmächtigte für Unterhandlungen zu wählen“. Den Unterhandlungen sollten von der Seite des ZK zwei Resolutionen des dritten Parteitages zugrunde gelegt werden: 1. die nicht veröffentlichte Resolution Über die mögliche Vereinigung, in welcher die Bestätigung der Vereinigung durch einen neuen Parteitag zur Bedingung gemacht wurde, und 2. die veröffentlichte Resolution „über den abgespaltenen Teil der Partei", in welcher es nach einer kurzen Charakteristik des damaligen Menschewismus hieß: „Der Parteitag empfiehlt allen Parteimitgliedern, überall einen energischen ideologischen Kampf gegen solche teilweise Abweichungen von den Grundsätzen der revolutionären Sozialdemokratie zu führen, ist jedoch zugleich der Ansicht, dass die Zugehörigkeit von Personen, die in diesem oder jenem Grade solche Auffassungen vertreten, zu den Parteiorganisationen unter der Voraussetzung zulässig ist, dass sie die Parteitage und das Parteistatut anerkennen und sich der Parteidisziplin vollständig fügen". Daraus ging hervor, dass die Hauptbedingung der Vereinigung mit den Menschewiki die Anerkennung der Rechtmäßigkeit des dritten Parteitages und seiner Beschlüsse sei und dass sich die Vereinigung auf Grund dieser Beschlüsse, besonders aber des vom Parteitag beschlossenen Parteistatuts, vollziehen sollte. Das war unumgänglich nötig, vor allem deshalb, weil der „abgespaltene Teil der Partei“ ihr opportunistischer Teil war. Eben deshalb musste die Frage der Vereinigung so gestellt werden, dass dadurch der bolschewistische Teil der Partei nicht von ihrem opportunistischen Teil aufgesogen werde. Das ZK trat von Anfang der Verhandlungen mit den Menschewiki von allen diesen Bedingungen zurück und nahm eine klar ausgeprägte versöhnlerische Haltung ein. Das wurde schon in dem oben erwähnten „Offenen Briefe“ des ZK an die menschewistische OK ausgesprochen, der von Bogdanow und Krassin geschrieben worden war. In dem Briefe hieß es u. a.: „Was trennt uns? Taktische Differenzen? Sind diese etwa so ernst, um die Spaltung der Sozialdemokratie in zwei Parteien zu rechtfertigen? Die Differenzen zwischen den taktischen Resolutionen des 3. Parteitages und eurer ersten Konferenz sind so unbedeutend, dass ein außenstehender Beobachter sie sogar schwerlich sofort wahrnehmen würde. Der Unterschied in den organisatorischen Formen? Können denn bei gemeinsamem Programm und fast identischer Taktik organisatorische Differenzen ein genügender Grund für das separate Bestehen zweier Parteien sein? Das wäre vielleicht zulässig, wenn unsere organisatorischen Normen die ideologische Freiheit und die praktische Initiative der Parteiorganisationen und der einzelnen Parteimitglieder unterdrückten.“. Das war außerordentlich charakteristisch für die versöhnlerische Verwischung der prinzipiellen Differenzen zwischen dem revolutionären und dem opportunistischen Teil der Partei, und diese Haltung zeigte sich auch sofort bei der organisatorischen Seite der Vereinigung. Im Ergebnis der Unterhandlungen zwischen dem ZK und der menschewistischen OK wurde eine Vereinbarung mit den folgenden beiden wichtigsten Punkten herausgearbeitet: 1. Die Vereinigung soll von unten herauf auf dem Wege der Vereinbarung der örtlichen Organisationen und nicht der Zentralinstanzen erfolgen, und 2. soll nicht nur eine Vereinbarung, sondern eine Verschmelzung ohne Einberufung von Parteitagen durch die Bolschewiki und die Menschewiki erfolgen. Da diese Vereinbarung weder die Bedingung der Vereinigung auf der Grundlage der Beschlüsse des dritten Parteitages und seines Organisationsstatuts noch die Bestätigung dieser Vereinigung durch einen neuen Parteitag enthielt, rief sie den scharfen Protest Lenins hervor, der in zwei seiner Briefe an das ZK, vom 1./14. August und vom 2./15. September 1905, zum Ausdruck kam. In dem ersten dieser beiden Briefe schrieb er, „durch nichts kann man die Sache der künftigen Einheit der Partei so schädigen wie durch eine solche Art von Vereinbarung“, die „unausweichlich zu einem neuen Bruch und zu einer Verzehnfachung der Verbitterung führt“. In dem zweiten Briefe schrieb er: „ … dass Ihr die geheime Resolution über die obligatorische Bestätigung der Verschmelzungsbedingungen durch den 4. Parteitag vergessen habt, diese Tatsache bleibt bestehen … Die Sache läuft jetzt also darauf hinaus, dass Ihr die Resolution aufgehoben habt. Dass das ein Fehler ist, der korrigiert werden muss, steht fest … Ihr schreibt, dass es „sich um eine Verschmelzung auf den Grundlagen des 3. Parteitages handelte“. Verzeiht, Herrschaften! Wozu sich selbst betrügen? Wozu seine sichere Position durch eine offensichtliche Heuchelei schwächen??

Die Verschmelzung auf der Grundlage des 3. Parteitages ist abgelehnt. Sowohl Winter als auch Wadim haben sie hier unmittelbar sowohl Plechanow wie der Organisationskommission vorgeschlagen . …

Aber das ist abgelehnt worden. Ich meine, es ist besser, man erklärt der Partei gerade heraus: Leider haben sie eine Verschmelzung auf der Grundlage des 3. Parteitages abgelehnt. Lasst uns den 4. Parteitag so vorbereiten, dass sich gleichzeitig zwei Parteitage an ein und demselben Ort versammeln. Lasst uns den Verschmelzungsplan ausarbeiten.“

Der Brief Lenins an das ZK vom 20. September/3. Oktober 1905 ist schon in einem milderen Tone gehalten, da zu dieser Zeit das ZK, dank dem energischen Bestehen Lenins, in seinen Verhandlungen mit den Menschewiki eine festere Linie einzuhalten begann. Bei der dritten Unterhandlung mit den Menschewiki erklärten die Vertreter des ZK bereits, dass im Falle einer endgültigen Absage der Menschewiki gegenüber dem Vorschlag der Vereinigung auf der Grundlage des dritten Parteitages ein Vereinigungsparteitag die einzig mögliche Art der Verschmelzung wäre. In seinen Bemerkungen zum Protokoll dieser Beratung, das in Nr. 20 des „Proletarij“ vom 27. September/10. Oktober 1905 abgedruckt war, bemerkt Lenin: „Wir unsererseits können die völlig klare und bestimmte Fragestellung des Zentralkomitees nur begrüßen. Entweder Verschmelzung mit der Partei auf der Grundlage der Beschlüsse des 3. Parteitages, oder ein Vereinigungsparteitag.". Wie sich die Vereinigung vollzog, darüber Näheres im Aufruf „An alle Parteiorganisationen und an alle sozialdemokratischen Arbeiter“. [Lenin, Ausgewählte Werke, Band 3, Anm. 148]

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