Folge I

I. Folge

Die Zeitschrift „Russkoje Bogatstwo“ hat einen Feldzug gegen die Sozialdemokraten eröffnet. Bereits dm Heft 10 des letzten Jahrgangs hat eines der Häupter dieser Zeitschrift, Herr N. Michailowski, eine „Polemik“ gegen „unsere sogenannten Marxisten oder Sozialdemokraten“ angekündigt. Dann erschien der Artikel des Herrn S. Kriwenko: „Über die kulturellen Eigenbrötler“ (Heft 12) und der des Herrn N. Michailowski: „Literatur und Leben“ (Heft 1 und 2 des „Russkoje Bogatstwo“, Jahrgang 1894). Die eigenen Anschauungen der Zeitschrift über unsere ökonomische Wirklichkeit findet man am ausführlichsten dargelegt in dem Artikel des Herrn S. Juschakow: „Fragen der ökonomischen Entwicklung Russlands“ (Heft 10 und 12). Diese Herrschaften, die schlechthin den Anspruch erheben, in ihrer Zeitschrift die Ideen und die Taktik wahrer „Volksfreunde“1 zu vertreten, sind ausgesprochene Feinde der Sozialdemokratie. Versuchen wir nun einmal, diese „Volksfreunde“, ihre Kritik am Marxismus, ihre Ideen und ihre Taktik uns näher anzusehen.

Herr N. Michailowski wendet seine Aufmerksamkeit vor allem den theoretischen Grundlagen des Marxismus zu und unterzieht daher speziell die materialistische Geschichtsauffassung einer Analyse. Nachdem er den Inhalt der umfassenden, diese Doktrin darstellenden marxistischen Literatur in allgemeinen Zügen dargelegt hat, beginnt er seine Kritik mit der folgenden Tirade;

Zunächst entsteht“ – sagt er – „von selbst die Frage: in welchem Werk hat Marx seine materialistische Geschichtsauffassung dargelegt? Im ,Kapital' bot er uns das Musterstück einer Verbindung logischer Kraft mit Gelehrsamkeit, mit einer detaillierten Untersuchung sowohl der gesamten ökonomischen Literatur als auch der entsprechenden Tatsachen. Er zog längst vergessene bzw. gegenwärtig gänzlich unbekannte Theoretiker der ökonomischen Wissenschaft ans Tageslicht und ließ auch die geringfügigsten, in irgendwelchen Berichten von Fabrikinspektoren oder Sachverständigenaussagen vor verschiedenen Spezialkommissionen enthaltenen Details nicht außer Acht; kurzum, er durchstöberte ein überwältigendes Tatsachenmaterial, teils zur Begründung, teils zur Illustration seiner ökonomischen Theorien. Insoweit er eine ,völlig neue' Auffassung des historischen Prozesses schuf, die ganze Vergangenheit der Menschheit von einem neuen Standpunkt aus erklärte und aus allen bisher vorhandenen philosophisch-historischen Theorien das Fazit zog, tat er es natürlich mit der gleichen Sorgfalt: er überprüfte wirklich sämtliche bekannten Theorien des historischen Prozesses, unterzog sie einer kritischen Analyse und verarbeitete eine Fülle von Tatsachen der Weltgeschichte. Der in der marxistischen Literatur so übliche Vergleich mit Darwin bestärkt einen noch mehr in diesem Gedanken. Was stellt Darwins ganzes Werk dar? Eine Anzahl verallgemeinernder, aufs Engste miteinander verknüpfter Ideen, die einen wahren Mont Blanc an Tatsachenmaterial krönen. Wo aber ist das entsprechende Werk von Marx? Es ist nicht vorhanden. Und ein solches Werk fehlt nicht nur bei Marx, sondern auch in der gesamten marxistischen Literatur, ungeachtet ihres beträchtlichen Umfanges und ihrer weiten Verbreitung.“

Diese ganze Tirade ist in höchstem Maße kennzeichnend, will man sich darüber klar werden, wie wenig das „Kapital“ und Marx vom Publikum verstanden werden. Von der ungeheuren Beweiskraft der Darlegung überwältigt, machen sie ihre Verbeugung vor Marx und loben ihn, übersehen aber gleichzeitig völlig den grundlegenden Inhalt seiner Lehre und halten sich unbekümmert an die alte Leier der „subjektiven Soziologie“. Bei dieser Gelegenheit erinnert man sich unwillkürlich an das sehr treffende Motto, das Kautsky für sein Buch über Marx’ ökonomische' Lehre gewählt hat:

Wer wird nicht einen Klopstock loben?

Doch, wird ihn jeder lesen? Nein,

Wir wollen weniger erhoben

Und fleißiger gelesen sein!2

In der Tat! Herr Michailowski sollte Marx weniger loben, dagegen fleißiger lesen, oder, richtiger, sich gründlicher in das vertiefen, was er liest.

Im ,Kapital' bot uns Marx das Musterstück einer Verbindung logischer Kraft mit Gelehrsamkeit“, sagt Herr Michailowski. Herr Michailowski nun bietet uns in diesem Satz das Musterstück einer Verbindung schillernder Phrase mit Leere des Inhalts, bemerkte hierzu ein Marxist. Und diese Bemerkung ist durchaus berechtigt. In der Tat: worin äußerte sich denn diese logische Kraft von Marx? Welche Ergebnisse zeitigte sie? Liest man die angeführte Tirade Herrn Michailowskis, so könnte man meinen, diese ganze Kraft sei ausschließlich auf „ökonomische Theorien“ im engsten Sinne des Wortes gerichtet gewesen. Und um die engen Grenzen jenes Gebietes, auf dem Marx seine logische Kraft offenbarte, stärker hervorzuheben, legt Herr Michailowski den größten Nachdruck auf „geringfügigste Details“, „detaillierte Untersuchung“, „gänzlich unbekannte Theoretiker“ und dgl. mehr. Die Sache kommt so heraus, als habe Marx zu den Methoden des Aufbaus dieser Theorien nichts wesentlich Neues beigetragen, das einer Erwähnung weit wäre, als habe er die Grenzen der ökonomischen Wissenschaft so belassen, wie sie bei den früheren Ökonomen waren, als habe er sie nicht erweitert und keine „völlig neue“ Auffassung dieser Wissenschaft selbst gegeben. Jedermann, der das „Kapital“ gelesen, weiß indessen, dass das glatte Unwahrheit ist. Man kann nicht umhin, sich bei dieser Gelegenheit daran zu erinnern, was Herr Michailowski vor sechzehn Jahren in seiner Polemik gegen den kleinbürgerlichen Herrn J. Schultowski über Marx schrieb. Mögen nun die Zeiten damals andere und die Gefühle frischer gewesen sein, jedenfalls waren Ton wie Inhalt des Artikels des Herrn Michailowski ganz andere.

,Es ist der letzte Endzweck dieses Werks, das ökonomische Bewegungsgesetz der modernen Gesellschaft zu enthüllen', sagt K. Marx von seinem ,Kapital', und er hält sein Programm streng ein“ – so urteilte Herr Michailowski im Jahre 1877. Besehen wir uns nun näher dieses, wie der Kritiker anerkennt, streng eingehaltene Programm. Es besteht darin, „das ökonomische Bewegungsgesetz der modernen Gesellschaft zu enthüllen“.

Schon diese Formulierung stellt uns unmittelbar vor mehrere Fragen, die einer Klärung bedürfen. Warum spricht Marx von der „modernen“ Gesellschaft, während doch alle Ökonomen vor ihm von der Gesellschaft schlechthin redeten? In welchem Sinne gebraucht er das Wort „modern“, auf Grund welcher Merkmale sondert er diese moderne Gesellschaft aus? Und ferner, was heißt das: das ökonomische Bewegungsgesetz der Gesellschaft? Man ist gewohnt, von Ökononen zu vernehmen – und das ist, beiläufig bemerkt, eine der Lieblingsideen der Publizisten und Ökonomen jener Kreise, zu denen die Zeitschrift „Russkoje Bogatstwo“ gehört –, dass nur die Erzeugung von Werten den ökonomischen Gesetzen allein unterworfen sei, während die Verteilung angeblich von der Politik abhänge, davon, worin die Einwirkung der Regierungsgewalt, der Intelligenz und dgl. mehr auf die Gesellschaft bestehen werde. In welchem Sinne spricht nun Marx von einem ökonomischen Bewegungsgesetz der Gesellschaft, das er nebenbei noch ein Naturgesetz nennt? Wie ist das zu verstehen, wo doch so viele unserer vaterländischen Soziologen ganze Berge von Papier vollgeschrieben haben darüber, dass sich das Gebiet der sozialen Erscheinungen vom Gebiet der naturgeschichtlichen Erscheinungen besonders abhebe und dass man sich daher auch zur Erforschung der erstgenannten der ganz besonderen „subjektiven Methode in der Soziologie" bedienen müsse?

Alle diese Zweifel tauchen natürlicher- und notwendigerweise auf, und gewiss vermag nur absolute Ignoranz bei der Bezugnahme auf das „Kapital" an ihnen vorbeizugehen. Um in diesen Fragen Klarheit zu schaffen, wollen wir vorher noch eine Stelle aus demselben Vorwort zum „Kapital“ anführen, die nur wenige Zeilen später folgt:

mein Standpunkt“ sagt Marx –, „der die Entwicklung der ökonomischen Gesellschaftsformation als einen naturgeschichtlichen Prozess auffasst.“

Schon die bloße Gegenüberstellung auch nur der beiden angeführten Stellen des Vorwortes genügt, um zu sehen, dass gerade hierin die Grundidee des „Kapital“ enthalten ist, die, wie wir vernommen haben, mit strenger Konsequenz und seltener logischer Kraft entwickelt wird. Stellen wir zu all dem vor allem zweierlei fest: Marx spricht nur von einer „ökonomischen Gesellschaftsformation“, von der kapitalistischen, d. h. er sagt, er habe das Entwicklungsgesetz nur dieser Formation und keiner anderen untersucht. Das erstens. Zweitens sei auf Marx’ Methoden zur Gewinnung seiner Schlussfolgerungen hingewiesen: diese Methoden bestanden, wie wir soeben von Herrn Michailowski vernommen haben, in der „detaillierten Untersuchung der entsprechenden Tatsachen“.

Nunmehr wenden wir uns der Analyse dieser Grundidee des „Kapital“ zu, die unser subjektiver Philosoph so geschickt zu umgehen versucht hat. Was besagt eigentlich der Begriff der ökonomischen Gesellschaftsformation, und auf welche Weise kann und muss die Entwicklung einer solchen Formation als ein naturgeschichtlicher Prozess betrachtet werden? So lauten die Fragen, vor denen wir nun stehen. Ich habe bereits darauf hingewiesen, dass vom Standpunkt der (nicht für Russland) alten Ökonomen und Soziologen aus der Begriff der ökonomischen Gesellschaftsformation gänzlich überflüssig ist: sie reden von der Gesellschaft schlechthin, streiten mit Spencer darüber, was die Gesellschaft schlechthin darstelle, worin Ziel und Wesen der Gesellschaft schlechthin bestehe und dgl. mehr. Bei derlei Betrachtungen stützen sich diese subjektiven Soziologen auf Argumente von der Art jener, dass das Ziel der Gesellschaft in Vorteilen für alle ihre Mitglieder bestehe, die Gerechtigkeit daher eine bestimmte Organisation erfordere und die einer solchen idealen Organisation („Die Soziologie muss mit einer gewissen Utopie beginnen“, diese Worte des Herrn Michailowski, eines der Urheber der subjektiven Methode, kennzeichnen treffend das Wesen ihrer Methoden) nicht entsprechende Ordnung unnormal und zu beseitigen sei.

Die wesentliche Aufgabe der Soziologie“ – meint z. B Herr Michailowski – „besteht in der Klarlegung der sozialen Bedingungen, unter denen dieses oder jenes Bedürfnis der menschlichen Natur befriedigt wird.“

Man sieht, dass diesen Soziologen lediglich eine Gesellschaft interessiert, die die menschliche Natur befriedigt, mitnichten dagegen irgendwelche Gesellschaftsformationen, die überdies auf einer solchen der „menschlichen Natur“ nicht entsprechenden Erscheinung, wie der Versklavung der Mehrheit durch die Minderheit, begründet sein können. Man sieht ferner, dass vom Standpunkt dieses Soziologen aus keine Rede davon sein kann, die Entwicklung der Gesellschaft als einen naturgeschichtlichen Prozess zu betrachten. („Nachdem der Soziologe etwas als wünschenswert oder unerwünscht erkannt hat, hat er die Bedingungen für die Verwirklichung dieses Wünschenswerten bzw. für die Beseitigung des Unerwünschten zu finden“, „für die Verwirklichung dieser oder jener Ideale“ – räsoniert derselbe Herr Michailowski) Mehr noch: sogar von einer Entwicklung kann nicht die Rede sein, sondern lediglich von verschiedenen Abweichungen vom „Wünschenswerten“, von „Defekten“, die in der Geschichte vorgekommen sind, weil …, weil es den Menschen an Verstand mangelte, weil sie nicht recht begriffen, was die menschliche Natur erheischt, weil sie die Bedingungen für die Verwirklichung einer derartigen vernünftigen Ordnung nicht zu finden verstanden. Es ist klar, dass Marx’ Grundgedanke, der Gedanke eines naturgeschichtlichen Entwicklungsprozesses der ökonomischen Gesellschaftsformationen diese kindische, auf die Bezeichnung Soziologie Anspruch erhebende Moral von Grund aus zerstört. Wie hat nun Marx diesen Grundgedanken herausgearbeitet? In der Weise, dass er das ökonomische Gebiet aus den verschiedenen Gebieten des sozialen Lebens heraushob, dass er die „Produktionsverhältnisse“ als die grundlegenden, ursprünglichen, alle übrigen Verhältnisse bestimmenden aus der Gesamtheit aller gesellschaftlichen Verhältnisse heraus sonderte. Marx selbst schilderte den Gang seiner Betrachtungen in dieser Frage folgendermaßen:

Die erste Arbeit, unternommen zur Lösung der Zweifel, die mich bestürmten, war eine kritische Revision der Hegelschen Rechtsphilosophie … Meine Untersuchung mündete in dem Ergebnis, dass Rechtsverhältnisse wie Staatsformen weder aus sich selbst zu begreifen sind, noch aus der sogenannten allgemeinen Entwicklung des menschlichen Geistes, sondern vielmehr in den materiellen Lebensverhältnissen wurzeln, deren Gesamtheit Hegel, nach dem Vorgang der Engländer und Franzosen des XVIII Jahrhunderts, unter dem Namen ,bürgerliche Gesellschaft' zusammenfasst, dass aber die Anatomie der bürgerlichen Gesellschaft in der politischen Ökonomie zu suchen sei Das allgemeine Resultat, das sich mir“ (aus der Erforschung der politischen Ökonomie) „ergab, kann kurz so formuliert werden: In der gesellschaftlichen Produktion ihres Lebens gehen die Menschen bestimmte, notwendige, von ihrem Willen unabhängige Verhältnisse ein, Produktionsverhältnisse, die einer bestimmten Entwicklungsstufe ihrer materiellen Produktivkräfte entsprechen. Die Gesamtheit dieser Produktionsverhältnisse bildet die ökonomische Struktur der Gesellschaft, die reale Basis, worauf sich ein juristischer und politischer Überbau erhebt, und welcher bestimmte gesellschaftliche Bewusstseinsformen entsprechen. Die Produktionsweise des materiellen Lebens bedingt den sozialen, politischen und geistigen Lebensprozess überhaupt. Es ist nicht das Bewusstsein der Menschen, das ihr Sein, sondern umgekehrt ihr gesellschaftliches Sein, das ihr Bewusstsein bestimmt. Auf einer gewissen Stufe ihrer Entwicklung geraten die materiellen Produktivkräfte der Gesellschaft in Widerspruch mit den vorhandenen Produktionsverhältnissen, oder was nur ein juristischer Ausdruck dafür ist, mit den Eigentumsverhältnissen, innerhalb deren sie sich bisher bewegt hatten. Aus Entwicklungsformen der Produktivkräfte schlagen diese Verhältnisse in Fesseln derselben um. Es tritt dann eine Epoche sozialer Revolution ein. Mit der Veränderung der ökonomischen Grundlage wälzt sich der ganze ungeheure Überbau langsamer oder rascher um. In der Betrachtung solcher Umwälzungen muss man stets unterscheiden zwischen der materiellen naturwissenschaftlich treu zu konstatierenden Umwälzung in den ökonomischen Produktionsbedingungen und den juristischen, politischen, religiösen, künstlerischen oder philosophischen, kurz ideologischen Formen, worin sich die Menschen dieses Konflikts bewusst werden und ihn ausfechten. So wenig man das, was ein Individuum ist, nach dem beurteilt, was es sich selbst dünkt, ebenso wenig kann man eine solche Umwälzungsepoche aus ihrem Bewusstsein beurteilen, sondern muss vielmehr dies Bewusstsein aus den Widersprüchen des materiellen Lebens, aus dem vorhandenen Konflikt zwischen gesellschaftlichen Produktivkräften und Produktionsverhältnissen erklären … In großen Umrissen können asiatische, antike, feudale und modern bürgerliche Produktionsweisen als progressive Epochen der ökonomischen Gesellschaftsformation bezeichnet werden.“

Schon diese bloße Idee eines Materialismus in der Soziologie war eine geniale Idee. „Einstweilen“ war es natürlich nur eine Hypothese, jedoch eine Hypothese, die zum ersten Mal die Möglichkeit einer streng wissenschaftlichen Stellung zu den geschichtlichen und sozialen Fragen schuf. Bisher wandten sich die Soziologen, unfähig, zu den einfachsten und ursprünglichen Beziehungen, wie es die Produktionsverhältnisse sind, vorzudringen, unmittelbar der Untersuchung und dem Studium der politisch-juristischen Formen zu, stießen auf die Tatsache der Entstehung dieser Formen aus diesen oder jenen Ideen der Menschheit in der gegebenen Zeit – und blieben dabei stehen; es ergab sich der Anschein, als würden die gesellschaftlichen Verhältnisse von den Menschen bewusst geschaffen. Allein dieser Schluss, der seinen vollen Ausdruck in der Idee des Contrat Social3 fand (deren Spuren in allen Systemen des utopischen Sozialismus stark bemerkbar sind), widersprach durchaus allen geschichtlichen Beobachtungen. Es ist niemals so gewesen, noch ist es jetzt so, dass sich die einzelnen Glieder der Gesellschaft die Gesamtheit der gesellschaftlichen Verhältnisse, unter denen sie leben, als etwas Bestimmtes, Einheitliches, von einem Grundprinzip Durchdrungenes vorstellen; im Gegenteil, die Masse passt sich unbewusst diesen Verhältnissen an und entbehrt einer Vorstellung von ihnen als besonderen geschichtlichen sozialen Verhältnissen in einem Maße, dass z. B. die Erklärung der Austauschverhältnisse, unter denen die Menschen viele Jahrhunderte hindurch gelebt haben, erst in der allerletzten Zeit gegeben worden ist. Der Materialismus hat diesen Widerspruch dadurch beseitigt, dass er die Analyse vertieft, sie bis zum Ursprung dieser sozialen Ideen des Menschen fortgesetzt hat; und einzig und allein seine Schlussfolgerung über die Abhängigkeit der Entwicklung der Ideen von der Entwicklung der Dinge lässt sich mit der wissenschaftlichen Psychologie in Einklang bringen. Ferner: auch von einer anderen Seite her erhob diese Hypothese die Soziologie zum ersten Mal zu einer Wissenschaft. Bisher fiel es den Soziologen schwer, in dem komplizierten Netz der sozialen Erscheinungen zwischen wichtigen und unwichtigen Erscheinungen zu unterscheiden (hierin liegt die Wurzel des Subjektivismus in der Soziologie), und sie konnten kein objektives Kriterium für eine solche Unterscheidung finden. Der Materialismus gab ein völlig objektives Kriterium, da er die „Produktionsverhältnisse“ als die Struktur der Gesellschaft hervorhob und die Möglichkeit bot, auf diese Verhältnisse jenes allgemein-wissenschaftliche Kriterium der Wiederholung anzuwenden, dessen Anwendbarkeit in der Soziologie die Subjektivisten bestritten. Solange sie sich auf die ideologischen gesellschaftlichen Verhältnisse beschränkten (d. h. auf Verhältnisse, die vor ihrem Zustandekommen durch das Bewusstsein – selbstverständlich handelt es sich hier stets um das Bewusstsein, das „gesellschaftliche Verhältnisse“, nicht aber andere betrifft – der Menschen hindurchgegangen sind), vermochten sie eine Wiederholung und Regelmäßigkeit in den gesellschaftlichen Erscheinungen der verschiedenen Länder nicht zu entdecken, und ihre Wissenschaft war bestenfalls eine bloße Beschreibung dieser Erscheinungen, eine Zusammenstellung von Rohmaterial. Die Analyse der materiellen gesellschaftlichen Verhältnisse (d. h. derjenigen, die entstehen, ohne durch das Bewusstsein der Menschen hindurchgegangen zu sein: indem die Menschen ihre Produkte austauschen, gehen sie Produktionsverhältnisse ein, sogar ohne sich dessen bewusst zu werden, dass es sich dabei um ein gesellschaftliches Produktionsverhältnis handelt) –, die Analyse der materiellen gesellschaftlichen Verhältnisse bot sofort die Möglichkeit, eine Wiederholung und eine Regelmäßigkeit festzustellen und die Zustände in den verschiedenen Ländern in dem Grundbegriff der „Gesellschaftsformation“ zu verallgemeinern. Erst eine solche Verallgemeinerung gab denn auch die Möglichkeit, von der Beschreibung (und Bewertung vom Standpunkt des Ideals) der sozialen Erscheinungen zu ihrer streng wissenschaftlichen Analyse überzugehen, die beispielsweise dasjenige hervorhebt, „was“ ein kapitalistisches Land von einem anderen unterscheidet, und das untersucht, „was“ ihnen allen gemeinsam ist.

Drittens endlich ergab sich aus dieser Hypothese zum ersten Mal die Möglichkeit einer „wissenschaftlichen“ Soziologie auch noch darum, weil allein eine Zurückführung der gesellschaftlichen Verhältnisse auf die Produktionsverhältnisse und dieser auf den Stand der Produktivkräfte eine feste Grundlage für eine Darstellung der Entwicklung der Gesellschaftsformationen als eines naturgeschichtlichen Prozesses darbot. Und ohne eine solche Betrachtungsweise kann es selbstverständlich auch keine Gesellschaftswissenschaft geben. (Die Subjektivisten z. B., die das Bestehen einer Gesetzmäßigkeit der historischen Erscheinungen zugaben, waren dessen ungeachtet außerstande, ihre Evolution als einen naturgeschichtlichen Prozess zu erfassen – und zwar gerade darum, weil sie bei den gesellschaftlichen Ideen und Zielen des Menschen haltmachten und es nicht verstanden, diese Ideen und Ziele auf die materiellen gesellschaftlichen Verhältnisse zurückzuführen.)

Da wendet sich Marx, der diese Hypothese in den vierziger Jahren ausgesprochen, dem faktischen (dies nota bene4) Studium des Materials zu. Er nimmt sich eine der ökonomischen Gesellschaftsformationen vor – das System der Warenwirtschaft – und gibt auf Grund einer ungeheuren Fülle von Material (das er nicht weniger als 25 Jahre hindurch studiert hat) die detaillierteste Analyse der Gesetze, nach denen diese Formation funktioniert und sich entwickelt. Diese Analyse beschränkt sich lediglich auf die Produktionsverhältnisse zwischen den Mitgliedern der Gesellschaft: ohne je zur Erklärung der Dinge andere, außerhalb dieser Produktionsverhältnisse liegende Momente heranzuziehen, lässt Marx erkennen, wie sich die Warenorganisation der gesellschaftlichen Wirtschaft entwickelt, wie sie zu einer kapitalistischen wird und die (bereits im Rahmen der Produktionsverhältnisse) antagonistischen Klassen, Bourgeoisie und Proletariat, erzeugt, wie sie die Produktivität der gesellschaftlichen Arbeit entwickelt und damit ein Element hinein trägt, das zu den Grundlagen dieser kapitalistischen Organisation selbst in einen unversöhnlichen Widerspruch gerät.

Das ist das „Gerippe“ des „Kapital“. Entscheidend nun aber ist, dass Marx sich mit diesem Gerippe nicht begnügt, sich nicht auf die „ökonomische Theorie“ im üblichen Sinne beschränkt hat, sondern, obwohl er die Struktur und die Entwicklung der gegebenen Gesellschaftsformation „ausschließlich“ aus den Produktionsverhältnissen heraus „erklärte“, dennoch überall und immer wieder dem diesen Produktionsverhältnissen entsprechenden Überbau nachgegangen ist und so das Gerippe mit Fleisch und Blut versehen hat. Das „Kapital“ hatte ja gerade darum einen so ungeheuren Erfolg, weil dieses Werk „eines deutschen Ökonomen“ dem Leser die ganze kapitalistische Gesellschaftsformation lebendig vor Augen führte – mit ihrer Lebensweise, mit den tatsächlichen sozialen Ausdrucksformen des Klassenantagonismus, der den Produktionsverhältnissen eigen ist, mit dem bürgerlichen politischen Überbau, der die Herrschaft der Kapitalistenklasse schützt, mit den bürgerlichen Ideen der Freiheit, Gleichheit usw., mit den bürgerlichen Familienverhältnissen. Man begreift nun, dass der Vergleich mit Darwin durchaus zutrifft: Das „Kapital“ ist nichts anderes als „eine Anzahl verallgemeinernder, aufs Engste miteinander verknüpfter Ideen, die einen wahren Mont Blanc an Tatsachenmaterial krönen“. Hat es nun jemand bei der Lektüre des „Kapital“ fertiggebracht, diese verallgemeinernden Ideen zu übersehen, so trifft die Schuld daran nicht Marx, der, wie wir gesehen haben, sogar im Vorwort auf diese Ideen hingewiesen hat. Mehr noch: ein solcher Vergleich ist richtig nicht nur äußerlich (was Herrn Michailowski aus unbekannten Gründen besonders interessiert), sondern auch von innen betrachtet. Wie Darwin der Vorstellung ein Ende bereitet hat, als seien Tier- und Pflanzenarten durch nichts miteinander verbunden, zufällig entstanden, „von Gott erschaffen“, unveränderlich, und als erster die Biologie auf eine vollkommen wissenschaftliche Grundlage gestellt hat, indem er die Veränderlichkeit der Arten und die Kontinuität zwischen ihnen feststellte, so hat auch Marx der Vorstellung ein Ende bereitet, als sei die Gesellschaft ein mechanisches Aggregat von Individuen, das jegliche Veränderung gemäß dem Willen der Obrigkeit (oder, was dasselbe ist, der Gesellschaft und der Regierung) über sich ergehen lässt, zufällig entsteht und sich zufällig wandelt, und als erster die Soziologie auf eine wissenschaftliche Grundlage gestellt, indem er den Begriff der ökonomischen Gesellschaftsformation als Gesamtheit der gegebenen Produktionsverhältnisse festlegte und feststellte, dass die Entwicklung solcher Formationen ein naturgeschichtlicher Prozess ist.

Gegenwärtig – seit dem Erscheinen des „Kapital“ – ist die materialistische Geschichtsauffassung schon keine Hypothese mehr, sondern eine wissenschaftlich bewiesene Lehre, und solange kein anderer Versuch vorliegen wird, das Funktionieren und die Entwicklung einer Gesellschaftsformation – wohlgemerkt: einer Gesellschaftsformation, nicht aber der Lebensweise eines Landes oder eines Volkes oder selbst einer Klasse und dgl. – wissenschaftlich zu erklären, ein anderer Versuch, der es vermöchte, genau so, wie es der Materialismus getan hat, die „entsprechenden Tatsachen" zu ordnen und ein lebendiges Bild einer bestimmten Formation bei gleichzeitig streng wissenschaftlicher Erklärung derselben zu entwerfen – solange bleibt die materialistische Geschichtsauffassung ein Synonym für Gesellschaftswissenschaft. Der Materialismus stellt nicht „eine vorwiegend wissenschaftliche Auffassung der Geschichte“ dar, wie Herr Michailowski meint, sondern ihre einzige wissenschaftliche Auffassung.

Kann man sich nun etwas Komischeres denken als die Tatsache, dass sich Leute gefunden haben, die es fertigbrachten, das „Kapital“ zu lesen und darin den Materialismus nicht zu finden? Wo ist er? – fragt, ehrlich erstaunt, Herr Michailowski.

Er hat das „Kommunistische Manifest“ gelesen und nicht bemerkt, dass es die modernen Zustände – die rechtlichen wie die politischen, die Familienzustände wie die religiösen und die philosophischen – materialistisch erklärt, dass selbst die Kritik der sozialistischen und kommunistischen Theorien die Wurzeln dieser Theorien in bestimmten Produktionsverhältnissen sucht und findet.

Er hat das „Elend der Philosophie“ gelesen und nicht bemerkt, dass dort die Analyse der Proudhonschen Soziologie vom materialistischen Standpunkt aus vorgenommen ward, dass die Kritik jener Lösung verschiedenster historischer Fragen, die Proudhon vorschlug, von den Prinzipien des Materialismus ausgeht, dass die eigenen Hinweise des Verfassers darauf, wo Anhaltspunkte für die Lösung dieser Fragen zu suchen seien, durchwegs auf Hinweise auf Produktionsverhältnisse hinauslaufen.

Er hat das „Kapital“ gelesen und nicht bemerkt, dass er ein Muster wissenschaftlicher Analyse einer – überdies der kompliziertesten – Gesellschaftsformation nach der materialistischen Methode, ein allgemein anerkanntes und von niemand übertroffenes Muster vor sich hat. Nun sitzt er da und brütet über dem tiefsinnigen Problem: „In welchem Werk hat Marx seine materialistische Geschichtsauffassung niedergelegt?“

Jeder, der mit Marx vertraut ist, würde ihm darauf mit der Gegenfrage antworten: In welchem Werk hat Marx seine materialistische Geschichtsauffassung nicht dargelegt? Allein Herr Michailowski wird offenbar erst dann etwas von Marx’ materialistischen Untersuchungen erfahren, wenn sie unter entsprechenden Nummern in irgendeiner historiosophischen Arbeit irgendeines Karejew unter der Rubrik „Ökonomischer Materialismus“ verzeichnet sein werden.

Das Kurioseste jedoch ist die Tatsache, dass Herr Michailowski Marx vorwirft, er habe „nicht alle bekannten Theorien des historischen Prozesses revidiert (sic!)“. Das ist schon ganz drollig. Worin bestanden denn diese Theorien zu neun Zehnteln? In rein aprioristischen, dogmatischen, abstrakten Konstruktionen darüber, was die Gesellschaft, was der Fortschritt sei usw. (Ich wähle absichtlich Beispiele, die dem Geist und dem Gemüt des Herrn Michailowski naheliegen.) Derartige Theorien offenbaren ja doch ihre Unbrauchbarkeit bereits durch den Grund ihrer Existenz, sie sind untauglich wegen ihrer grundlegenden Methoden, wegen ihrer durchgehenden und unverbesserlichen Metaphysik. Mit den Fragen beginnen, was die Gesellschaft, was der Fortschritt sei, heißt doch mit dem Ende beginnen. Woher soll der Begriff der Gesellschaft und des Fortschritts im Allgemeinen genommen werden, wenn noch keine Gesellschaftsformation im Besonderen erforscht worden ist, wenn man diesen Begriff nicht einmal festzulegen und an ein ernstes Studium der Tatsachen, an eine objektive Analyse irgendwelcher gesellschaftlichen Verhältnisse heranzutreten verstanden hat? Das ist der greifbarste Zug der Metaphysik, mit der jede Wissenschaft begonnen hat: solange man es nicht verstand, an das Studium der Tatsachen zu gehen, konstruierte man stets a priori allgemeine Theorien, die immer fruchtlos blieben. Der Metaphysiker in der Chemie, der noch unfähig war, die chemischen Prozesse tatsächlich zu erforschen, konstruierte eine Theorie darüber, was für eine Kraft die Affinität5 sei. Der Metaphysiker in der Biologie sprach darüber, was Leben und Lebenskraft seien. Der Metaphysiker in der Psychologie räsonierte darüber, was die Seele sei. Schon das Verfahren selbst war hier absurd. Es geht nicht an, über die Seele zu räsonieren, ohne die psychischen Vorgänge im Besonderen erklärt zu haben: der Fortschritt hat hier gerade darin zu bestehen, dass man die allgemeinen Theorien und philosophischen Konstruktionen über die Frage, was die Seele sei, aufgibt und versteht, das Studium der Tatsachen, die bestimmte psychische Vorgänge kennzeichnen, auf einen wissenschaftlichen Boden zu stellen. Darum ist die Beschuldigung des Herrn Michailowski genau dasselbe, als wenn ein Metaphysiker in der Psychologie, der sich sein Leben lang mit der Abfassung von „Untersuchungen“ über die Frage, was die Seele sei, beschäftigt hat (ohne die genaue Erklärung auch nur einer einzigen, noch so einfachen psychischen Erscheinung zu kennen), dem wissenschaftlichen Psychologen vorwerfen wollte, dieser habe ja nicht alle bekannten Theorien der Seele revidiert. Dieser wissenschaftliche Psychologe hat die philosophischen Theorien der Seele beiseite geworfen, sich unmittelbar an das Studium des materiellen Substrats der psychischen Erscheinungen – der Nervenprozesse – herangemacht und beispielsweise eine Analyse und eine Erklärung eines bestimmten oder bestimmter psychischer Prozesse gegeben. Unser Metaphysiker in der Psychologie liest nun diese Arbeit, lobt sie – die Vorgänge seien gut geschildert und die Tatsachen gut erforscht –, ist jedoch nicht zufriedengestellt Aber bitte – ruft er erregt aus, da er hört, dass allgemein über eine ganz neue Auffassung dieses Gelehrten von der Psychologie, über eine besondere Methode der wissenschaftlichen Psychologie gesprochen wird – aber bitte, ereifert sich der Philosoph, in welcher Schrift ist denn diese Methode dargelegt? Diese Arbeit enthält ja doch „lediglich Tatsachen“? Da findet sich auch nicht die Spur einer Revision „aller bekannten philosophischen Theorien über die Seele!“ Das ist ein keineswegs entsprechendes Werk!

Gleichermaßen ist natürlich das „Kapital“ ein nicht entsprechendes Werk für einen Metaphysiker in der Soziologie, der die Unfruchtbarkeit aprioristischer Betrachtungen darüber, was die Gesellschaft sei, nicht bemerkt, der nicht begreift, dass solche Methoden statt Studium und Erklärung der Gesellschaft lediglich ergeben, dass dem Begriff der Gesellschaft entweder die bürgerlichen Ideen eines englischen Krämers oder die spießbürgerlich-sozialistischen Ideale eines russischen Demokraten unterschoben werden – und nichts weiter. Aus diesem Grund sind denn auch alle diese philosophisch-historischen Theorien wie Seifenblasen entstanden und wie diese auch geplatzt. Bestenfalls waren sie Symptome der gesellschaftlichen Ideen und Verhältnisse ihrer Zeit, ohne das „Verstehen“ auch nur irgendwelcher einzelner, dafür aber wirklicher (nicht aber „der menschlichen Natur entsprechender“) gesellschaftlicher Verhältnisse durch den Menschen im Geringsten zu fördern. Der Riesenschritt vorwärts, den Marx in dieser Hinsicht tat, bestand ja gerade darin, dass er alle diese Betrachtungen über Gesellschaft und Fortschritt im allgemeinen verwarf und dafür die „wissenschaftliche“ Analyse „einer“ Gesellschaft und „eines“ Fortschritts, nämlich des kapitalistischen, lieferte. Und Herr Michailowski beschuldigt ihn, mit dem Anfang und nicht mit dem Ende, mit der Analyse der Tatsachen und nicht mit den Schlussfolgerungen, mit dem Studium der konkreten, historisch bestimmten gesellschaftlichen Verhältnisse und nicht mit den allgemeinen Theorien darüber, worin diese gesellschaftlichen Verhältnisse überhaupt bestehen, begonnen zu haben! Und er fragt: Wo bleibt denn das entsprechende Werk? Oh, allweiser subjektiver Soziologe!!

Hätte sich unser subjektiver Philosoph auf das bloße Bedenken über die Frage beschränkt, in welchem Werk der Materialismus begründet worden sei, so wäre das nur halb so schlimm. Aber er beginnt dieser Lehre, obwohl (oder vielleicht gerade deswegen, weil) er nirgends die Begründung, ja nicht einmal eine Darlegung der materialistischen Geschichtsauffassung gefunden hat, Ansprüche zuzuschreiben, die sie nie geltend gemacht hat. Nach Anführung eines Zitats aus Bloß, wonach Marx eine ganz neue „Auffassung“ der Geschichte verkündet habe, stellt er weiter ganz ungeniert die Behauptung auf, diese Theorie erhebe den Anspruch, „der Menschheit ihre Vergangenheit klargemacht“, „die ganze (sic!!?) Vergangenheit der Menschheit“ usw. erklärt zu haben. Das ist doch alles purer Schwindel! Die Theorie erhebt lediglich den Anspruch, eine, die kapitalistische, Gesellschaftsorganisation, keine andere, erklärt zu haben. Hat die Anwendung des Materialismus auf die Analyse und die Erklärung einer Gesellschaftsformation so glänzende Ergebnisse gezeitigt, so ist es durchaus natürlich, dass der Materialismus in der Geschichte keine Hypothese mehr ist, sondern zu einer wissenschaftlich überprüften Theorie wird; es ist durchaus natürlich, dass sich die Notwendigkeit einer solchen Methode auch für die übrigen Gesellschaftsformationen geltend macht, mögen diese einer speziellen faktischen Erforschung und einer eingehenden Analyse auch nicht unterworfen worden sein, genau so wie die an einer ausreichenden Anzahl von Tatsachen bewiesene Idee des Transformismus auf das gesamte Gebiet der Biologie ausgedehnt wird, obwohl für einzelne Tier- und Pflanzenarten die Transformation noch nicht mit Sicherheit festgestellt werden konnte. Und genau so wie der Transformismus keineswegs den Anspruch erhebt, die „gesamte“ Geschichte der Entstehung der Arten zu erklären, sondern nur den, die Methoden dieser Erklärung auf eine wissenschaftliche Höhe zu bringen, hat auch der Materialismus in der Geschichte nie den Anspruch erhoben, alles erklären zu wollen, sondern nur den, auf die nach einem Ausdruck von Marx („Kapital“) „einzig wissenschaftliche“ Methode der Erklärung der Geschichte hinzuweisen. Danach kann man beurteilen, welcher geistreichen, ernsten und anständigen Methoden der Polemik sich Herr Michailowski bedient. Zuerst gibt er Marx falsch wieder, indem er dem Materialismus in der Geschichte die sinnlosen Ansprüche unterstellt, „alles erklären“ zu wollen, „den Schlüssel zu allen historischen Schlössern“ gefunden zu haben (einen Anspruch, den Marx in seinem „Brief“ anlässlich der Artikel Michailowskis natürlich sofort und in sehr bissiger Form zurückwies). Dann hält er sich über diese von ihm selbst erfundenen Ansprüche auf, und schließlich – nach genauer (genauer deshalb, weil nunmehr zitiert, nicht aber nacherzählt wird) Wiedergabe des Engelsschen Gedankenganges, dass die politische Ökonomie, wie die Materialisten sie auffassen, „erst noch geschaffen werden“ müsse, dass alles, „was wir von der ökonomischen Wissenschaft bisher erhalten“, sich auf die Geschichte der kapitalistischen Gesellschaft beschränke, zieht er den Schluss, dass „durch diese Worte der Wirkungsbereich des ökonomischen Materialismus überaus eingeengt wird“! Welch grenzenlose Naivität oder grenzenlosen Eigendünkel muss ein Mensch haben, um darauf zu rechnen, solche Tricks würden unbemerkt bleiben! Erst fälschte er Marx, darauf hielt er sich über seine eigenen Lügen auf, dann führte er den genauen Gedankengang an, und nun hat er noch die Stirn, zu behaupten, dieser Gedankengang enge den Wirkungsbereich des ökonomischen Materialismus ein! Die Sorte und Qualität dieses Getues Michailowskis ist aus dem folgenden Beispiel zu ersehen. „Marx begründet sie nirgends“, d. h. die Grundlagen der Theorie des ökonomischen Materialismus, meint Herr Michailowski. Allerdings beabsichtigte Marx, gemeinsam mit Engels ein Werk philosophisch-historischen und historisch-philosophischen Charakters zu schreiben, und er hat es sogar geschrieben (1845–1847), doch ist es nie gedruckt worden. Engels sagt:

Der fertige Teil besteht in einer Darlegung der materialistischen Geschichtsauffassung, die nur beweist, wie unvollständig unsere damaligen Kenntnisse der ökonomischen Geschichte noch waren.“

Somit – schließt Herr Michailowski – sind die Hauptpunkte des „wissenschaftlichen Sozialismus“ und der „Theorie des ökonomischen Materialismus“ zu einer Zeit entdeckt und darauf im ,Manifest“ auch dargestellt worden, wo nach dem eigenen Geständnis eines der Verfasser „die für ein derartiges Unternehmen notwendigen Kenntnisse bei ihnen noch schwach waren“.

Fürwahr, eine nette Kritik! Engels erklärt, ihre Kenntnisse auf dem Gebiet der ökonomischen „Geschichte“ seien schwach gewesen, weswegen sie ihr Werk „allgemeinen“ geschichtsphilosophischen Charakters auch nicht veröffentlicht hätten. Herr Michailowski deutet das in dem Sinne um, als seien ihre Kenntnisse zu schwach gewesen „für ein derartiges Unternehmen“ wie die Ausarbeitung „der Hauptpunkte des wissenschaftlichen Sozialismus“, d. h. der wissenschaftlichen Kritik der „bürgerlichen“ Ordnung, die bereits im „Manifest“ gegeben worden ist. Eins von beiden: entweder ist Herr Michailowski unfähig, den Unterschied zu begreifen zwischen dem Versuch, die ganze Philosophie der Geschichte zu erfassen, und dem Versuch, die bürgerliche Ordnung wissenschaftlich zu erklären, oder aber er nimmt an, dass Marx und Engels nicht über genügende Kenntnisse zu einer Kritik der politischen Ökonomie verfügten. Im zweiten Falle ist es sehr grausam von ihm, dass er uns nicht in seine Erwägungen über diese Unzulänglichkeit, in seine Korrekturen und Ergänzungen einweiht. Der Entschluss von Marx und Engels, die geschichtsphilosophische Arbeit nicht zu veröffentlichen und alle Kräfte auf die wissenschaftliche Analyse einer gesellschaftlichen Organisation zu konzentrieren, kennzeichnet lediglich ein Höchstmaß an wissenschaftlicher Gewissenhaftigkeit. Der Entschluss des Herrn Michailowski, sich darüber aufzuhalten durch den netten Zusatz, Marx und Engels hätten ihre Ansichten dargelegt, obwohl sie selbst die Unzulänglichkeit ihrer hierzu erforderlichen Kenntnisse zugegeben hätten, kennzeichnet lediglich polemische Methoden, die weder von Geist noch von Anstandsgefühl zeugen.

Für die Begründung des ökonomischen Materialismus als historischer Theorie hat Marx’ alter ego6, Engels, mehr getan“ – sagt Herr Michailowski –. „Wir finden bei ihm ein historisches Spezialwerk, betitelt ,Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats im Anschluss an Morgans Forschungen’.“

Dieser „Anschluss“ sei außerordentlich bemerkenswert. Das Buch des Amerikaners Morgan sei viele Jahre nach der Verkündung der Grundlagen des ökonomischen Materialismus durch Marx und Engels und ganz unabhängig von dieser Lehre erschienen. Und nun hätten sich „die ökonomischen Materialisten diesem Buch angeschlossen“ und dabei, da es in der prähistorischen Zeit keinen Klassenkampf gegeben hat, die Formel der materialistischen Geschichtsauffassung dahin „korrigiert“, dass das bestimmende Moment neben der Produktion materieller Werte die Produktion des Menschen selbst sei, d. h. die Kindererzeugung, die in der Urzeit, als die Arbeit ihrer Produktivität nach noch allzu unentwickelt war, die dominierende Rolle gespielt habe.

Es ist das große Verdienst Morgans“ – sagt Engels – … „in den Geschlechtsverbänden der nordamerikanischen Indianer den Schlüssel gefunden zu haben, der uns die wichtigsten, bisher unlösbaren Rätsel der ältesten griechischen, römischen und deutschen Geschichte erschließt.“

Hierzu gibt Herr Michailowski folgendes von sich;

So wurde zu Ende der vierziger Jahre eine gänzlich neue, materialistische und wahrhaft wissenschaftliche Geschichtsauffassung entdeckt und verkündet, die für die Geschichtswissenschaft dasselbe geleistet hat, was die Theorie Darwins für die moderne Naturwissenschaft.“

Allein diese Geschichtsauffassung, wiederholt darauf erneut Herr Michailowski, ist nie wissenschaftlich begründet worden.

Sie wurde nicht nur nicht überprüft an Hand umfassenden und mannigfaltigen Tatsachenmaterials (,Das Kapital' sei ein ,nicht entsprechendes' Werk, enthalte es doch bloß Tatsachen und Detailanalysen!), sondern nicht einmal genügend begründet, sei es auch nur an Hand einer Kritik und eines Ausschlusses anderer philosophisch-historischer Systeme,“

Engels’ Buch „Herrn Eugen Dührings Umwälzung der Wissenschaft“ enthalte „lediglich geistreiche, beiläufig geäußerte Anläufe“, und Herr Michailowski hält es daher für angebracht, eine Menge wesentlicher Fragen, die in diesem Werk berührt werden, gänzlich zu umgehen, obwohl diese „geistreichen Anläufe“ sehr geistreich die Inhaltslosigkeit jener Soziologien, die „mit der Utopie beginnen“, nachweisen und obwohl in diesem Werk eine eingehende Kritik jener „Gewalttheorie“ geboten wird, der zufolge die politisch-rechtlichen Zustände die ökonomischen bestimmen und die von den Herren Publizisten des „Russkoje Bogatstwo“ eifrig propagiert wird. Freilich ist es viel leichter, über ein Werk ein paar nichtssagende Phrasen hinzuwerfen, als auch nur eine darin materialistisch gelöste Frage ernst zu behandeln; zumal dies auch ungefährlich ist, da die Zensur die Übersetzung dieses Buches wohl nie durchgehen lassen wird, so dass Herr Michailowski es ohne Angst um seine subjektive Philosophie geistreich nennen darf.

Noch bezeichnender und lehrreicher (als Illustration dafür, dass dem Menschen die Sprache gegeben ist, damit er seine Gedanken verberge – oder der Gedankenleere die Form eines Gedankens verleihe) ist die Äußerung über Marx’ „Kapital“:

Das ,Kapital' enthält glänzende Seiten historischen Inhalts, aber" (dieses wunderbare ,Aber'! Das ist sogar kein bloßes ,aber', sondern jenes berühmte ,mais‘, das in russischer Übersetzung bedeutet: „Die Ohren wachsen nicht über die Stirn hinaus".) sie sind allein schon dem Zweck des Buches entsprechend auf eine bestimmte geschichtliche Periode zugeschnitten und bieten eigentlich keine Begründung der Grundsätze des ökonomischen Materialismus, sondern berühren einfach die ökonomische Seite einer bestimmten Gruppe historischer Erscheinungen.“

Mit anderen Worten: das „Kapital“, das ja nur dem Studium gerade der kapitalistischen Gesellschaft gewidmet ist, bietet uns eine materialistische Analyse dieser Gesellschaft und ihres Überbaus, „aber“ Herr Michailowski zieht es vor, diese Analyse zu umgehen; handle es sich hier doch nur um „eine“ Periode, während er, Herr Michailowski, alle Perioden erfassen will, und zwar so erfassen, dass im Einzelnen von keiner einzigen gesprochen wird. Es ist klar, dass es zur Erreichung dieses Zieles, d. h. um alle Perioden zu umfassen, ohne eine einzige sachlich zu berühren, nur einen Weg gibt: den Weg der Gemeinplätze und der „glänzenden“ und leeren Phrasen. Niemand aber vermag sich mit Herrn Michailowski in der Kunst, über Dinge mit Phrasen hinwegzugehen, zu messen. Es stellt sich heraus, dass es nicht lohnt, auf Marx’ Untersuchungen (im Einzelnen) sachlich einzugehen, da er, Marx, „eigentlich keine Begründung der Grundsätze des ökonomischen Materialismus bietet, sondern einfach die ökonomische Seite einer bestimmten Gruppe historischer Erscheinungen berührt“. Welcher Tiefsinn! „Begründet nicht“, sondern „berührt einfach“! Wie leicht doch jede Frage durch eine Phrase vertuscht werden kann! Was bedeutet es z. B„ wenn Marx vielfach zeigt, auf welche Weise der staatsbürgerlichen Gleichberechtigung, dem freien Vertrag und ähnlichen Grundlagen des Rechtsstaates Verhältnisse von Warenproduzenten zugrunde liegen? Begründet er damit den Materialismus oder berührt er ihn „einfach“? Mit der ihm eigenen Bescheidenheit verzichtet unser Philosoph auf eine sachliche Antwort und zieht unmittelbare Schlussfolgerungen aus seinen „geistreichen Anläufen“, glänzend zu reden und nichts zu sagen.

Kein Wunder“ – lautet diese Schlussfolgerung –, „dass für die Theorie, die den Anspruch erhob, die Weltgeschichte zu beleuchten, 40 Jahre nach ihrer Verkündung die Geschichte der alten Griechen, Römer und Germanen ein Rätsel geblieben ist. Der Schlüssel zu diesem Rätsel wurde geliefert 1. von einem der Theorie des ökonomischen Materialismus völlig fern stehenden, mit ihr gänzlich unbekannten Menschen und 2. dank einem nicht ökonomischen Faktor. Einigermaßen amüsant wirkt der Ausdruck „Erzeugung des Menschen selbst“, d. h. Kindererzeugung, ein Ausdruck, an den sich Engels klammert, um wenigstens den terminologischen Zusammenhang mit der Grundformel des ökonomischen Materialismus zu bewahren. Doch muss er zugeben, dass das Leben der Menschheit sich lange Zeit nicht nach dieser Formel gestaltete.“

Ihre Polemik, Herr Michailowski, ist in der Tat „kein Wunder“! Die Theorie bestand darin, dass man zur „Beleuchtung“ der Geschichte die Grundlagen nicht in den ideologischen, sondern in den materiellen gesellschaftlichen Verhältnissen zu suchen habe. Der Mangel an Tatsachenmaterial verhinderte die Anwendung dieses Verfahrens bei der Analyse gewisser höchst wichtiger Erscheinungen der ältesten Geschichte Europas, z, B. der Gentilorganisation, die eben infolgedessen ein Rätsel blieb. (Herr Michailowski lässt es sich auch hier nicht nehmen, sich darüber aufzuhalten: Wie ist das möglich? Eine wissenschaftliche Geschichtsauffassung, bei der die Geschichte des Altertums ein Rätsel bleibt! Sie können, Herr Michailowski, aus jedem Lehrbuch erfahren, dass die Frage der Gentilorganisation zu den schwierigsten gehört, zu den Fragen, die eine Unmenge Theorien zu ihrer Erklärung ins Leben gerufen haben.) Da erhält in Amerika Morgan, durch das reiche Material, das er gesammelt hat, die Möglichkeit, das Wesen der Gentilorganisation zu analysieren, und er gelangt zu dem Schluss, dass deren Erklärung nicht in den ideologischen (z. B. rechtlichen oder religiösen), sondern in den materiellen Verhältnissen zu suchen sei. Es ist offensichtlich, dass diese Tatsache die materialistische Methode glänzend bestätigt – weiter nichts. Wenn nun Herr Michailowski dieser Lehre „vorwirft“, dass erstens ein der Theorie des ökonomischen Materialismus „völlig fern stehender“ Mensch den Schlüssel zu den schwierigsten historischen Rätseln gefunden habe, so muss man nur staunen über die Unfähigkeit der Menschen, zwischen dem, was zu ihren Gunsten spricht, und dem, was sie aufs Entschiedenste widerlegt, zu unterscheiden. Zweitens, meint unser Philosoph, sei die Kindererzeugung kein ökonomischer Faktor. Wo haben Sie aber bei Marx oder Engels gelesen, dass sie unbedingt von ökonomischem Materialismus sprechen? Zur Charakterisierung ihrer Weltanschauung bezeichneten sie sie einfach als Materialismus. Ihr Grundgedanke (der z.B. in dem angeführten Zitat aus Marx ganz eindeutig formuliert ist) war der, dass die gesellschaftlichen Verhältnisse in materielle und ideologische zerfallen. Diese bilden lediglich einen Überbau über jenen, die sich unabhängig vom Willen und Bewusstsein des Menschen gestalten, als die Form (das Ergebnis) der auf den Lebensunterhalt gerichteten Tätigkeit des Menschen. Die Erklärung der politisch-juristischen Formen, sagt Marx an der angeführten Stelle, sei in den „materiellen Lebensverhältnissen“ zu suchen. Glaubt etwa Herr Michailowski am Ende, die zur Kindererzeugung notwendigen Verhältnisse gehörten zu den ideologischen? Die Erörterungen des Herrn Michailowski sind hier so charakteristisch, dass es lohnt, bei ihnen zu verweilen.

Was immer man mit der ,Kindererzeugung' anstellen mag“ – sagt Herr Michailowski –, „in dem Bestreben, einen, sei es auch nur sprachlichen Zusammenhang zwischen ihr und dem ökonomischen Materialismus herzustellen, und wie sehr sie sich auch in dem verwickelten Netz der Erscheinungen des gesellschaftlichen Lebens mit anderen, darunter auch ökonomischen Erscheinungen verflechten mag, sie hat ihre eigenen, physiologischen und psychischen Wurzeln.“ (Meinen Sie etwa, Herr Michailowski, dass Sie es mit Säuglingen zu tun haben, dass Sie uns erzählen, die Kindererzeugung habe physiologische Wurzeln? Wen wollen Sie da beschwatzen?) „Und das erinnert uns daran, dass die Theoretiker des ökonomischen Materialismus nicht nur mit der Geschichte, sondern auch mit der Psychologie nicht ins Reine gekommen sind. Es unterliegt keinem Zweifel, dass die Stammesbeziehungen in der Geschichte der zivilisierten Länder ihre Bedeutung verloren haben, doch von den unmittelbaren Geschlechts- und Familienbeziehungen kann man das wohl kaum mit derselben Entschiedenheit behaupten. Gewiss machten diese unter dem Druck des sich immer verwickelter gestaltenden Lebens überhaupt starke Wandlungen durch, allein bei einer gewissen dialektischen Geschicklichkeit ließe sich nachweisen, dass nicht nur die juristischen, sondern auch die ökonomischen Verhältnisse selbst einen ,Überbau' über den Geschlechts- und Familienverhältnissen bilden. Wir wollen uns damit nicht weiter befassen, verweisen aber immerhin auf die Institution der Erbschaft.“

Endlich ist es unserem Philosophen geglückt, aus dem Gebiet der leeren Phrasen herauszukommen (in der Tat, wie soll man ein solches Verfahren anders nennen, bei dem den Materialisten vorgeworfen wird, sie seien mit der Geschichte nicht ins Reine gekommen, dabei aber nicht versucht wird, „auch nur eine einzige“ der zahlreichen, von den Materialisten gelieferten materialistischen Erklärungen verschiedener historischer Fragen zu analysieren? oder wenn erklärt wird, man könnte es wohl nachweisen, aber man wolle sich damit nicht befassen?) und sich Tatsachen zuzuwenden, bestimmten Tatsachen, die geprüft werden können und es nicht gestatten, sich so leicht um das Wesen der Dinge herumzudrücken. Sehen wir nun zu, wie unser Marxkritiker den Beweis führt, dass die Institution der Erbschaft ein Überbau über den Geschlechts- und Familienverhältnissen sei.

Als Erbschaft werden – räsoniert Herr Michailowski – Produkte der ökonomischen Produktion übertragen“ („Produkte der Ökonomischen Produktion“!! Wie gebildet! Wie wohlklingend! und welch elegante Sprache!), „und die Institution der Erbschaft selbst ist bis zu einem gewissen Grade durch die Tatsache der wirtschaftlichen Konkurrenz bedingt. Allein, erstens werden auch nicht-materielle Werte vererbt, was in der Sorge um die Erziehung der Kinder im Sinne der Väter zum Ausdruck kommt.“

Die Erziehung der Kinder gehört somit zur Institution der Erbschaft! Die russischen Zivilgesetze z. B. enthalten einen Paragraphen, wonach „die Eltern danach streben müssen, durch häusliche Erziehung deren (der Kinder) Sitten vorzubereiten und die Absichten der Regierung zu fördern“. Sollte unser Philosoph etwa dies unter der Institution der Erbschaft verstehen? –

Zweitens aber: selbst wenn man sich ausschließlich auf das ökonomische Gebiet beschränkt – ist die Institution der Erbschaft ohne die Produkte der Produktion, die vererbt werden, undenkbar, dann ist sie gleichermaßen undenkbar ohne die Produkte der ,Kindererzeugung', ohne diese Produkte und die sich an sie unmittelbar anschließende verwickelte und angespannte Psyche.“ (Man beachte doch die Sprache: die verwickelte Psyche „schließt sich an“ an die Produkte der Kindererzeugung! Das ist doch reizend!)

Die Erbschaftsinstitution ist demnach darum ein Überbau über den Familien- und Geschlechtsverhältnissen, weil Erbschaft ohne Kindererzeugung undenkbar ist! Das ist ja eine wahre Entdeckung Amerikas! Bisher nahm man allgemein an, dass die Kindererzeugung ebenso wenig die Erbschaftsinstitution erklären könne, wie die Notwendigkeit, Nahrung zu sich zu nehmen, die Institution des Eigentums erklären kann. Bisher glaubte man allgemein, dass z. B. die Erklärung dafür, dass in Russland in der Blütezeit des Lehnswesens das Land nicht vererbt werden konnte (das nur als bedingtes Eigentum galt), in der Eigenart der damaligen Gesellschaftsorganisation zu suchen sei. Herr Michailowski ist offenbar der Meinung, dass sieh die Sache einfach daraus erkläre, dass die Psyche, die sich den Produkten der Kindererzeugung des damaligen Gutsherrn anschloss, nicht genügend verwickelt gewesen sei.

Man kratze den „Volksgeist“, können wir, einen bekannten Ausspruch paraphrasierend, sagen, und der Bourgeois kommt zum Vorschein. In der Tat, welchen anderen Sinn können diese Betrachtungen des Herrn Michailowski über den Zusammenhang zwischen der Institution der Erbschaft und der Erziehung der Kinder, der seelischen Seite der Kindererzeugung usw. haben, als den, dass die Erbschaftsinstitution ebenso ewig, ebenso notwendig und heilig sei wie die Erziehung der Kinder! Allerdings ist Herr Michailowski darauf bedacht gewesen, sich ein Hintertürchen offenzulassen, denn er hat erklärt, dass die „Institution der Erbschaft bis zu einem gewissen Grade durch die Tatsache der wirtschaftlichen Konkurrenz bedingt“ sei. Allein das bedeutet doch nichts anderes als den Versuch, einer unzweideutigen Beantwortung der Frage auszuweichen, überdies einen Versuch mit untauglichen Mitteln. Wie können wir diese Bemerkung zur Kenntnis nehmen, wenn man uns kein Wort darüber gesagt hat, bis zu welchem „gewissen Grade“ denn die Erbschaft von der Konkurrenz abhängt, wenn in keiner Weise, klargemacht worden ist, worauf denn eigentlich dieser Zusammenhang zwischen Konkurrenz und Erhschaftsinstitution zurückzuführen sei? In Wirklichkeit setzt die Erbschaftsinstitution bereits das Privateigentum voraus, dieses entsteht aber erst mit dem Aufkommen des Tauschverkehrs. Seine Grundlage bildet die bereits im Entstehen begriffene Spezialisierung der gesellschaftlichen Arbeit und die Veräußerung der Produkte auf dem Markt. Solange z B. alle Mitglieder der ursprünglichen Indianergemeinde sämtliche für sie notwendigen Produkte gemeinsam erzeugten, war auch ein Privateigentum unmöglich. Als dann aber in die Gemeinde die Arbeitsteilung eindrang und sich ihre Mitglieder jedes für sich mit der Herstellung eines bestimmten Produktes zu beschäftigen und es auf dem Markt zu verkaufen begannen, fand diese materielle Absonderung der Warenproduzenten ihren Ausdruck in der Institution des Privateigentums. Privateigentum wie Erbschaft sind Kategorien einer Gesellschaftsordnung, wo sich bereits abgesonderte, kleine (monogame) Familien herausgebildet haben und die Entwicklung des Tauschverkehrs eingesetzt hat. Das Beispiel des Herrn Michailowski beweist gerade das Gegenteil davon, was er beweisen wollte.

Wir finden bei Herrn Michailowski noch einen Hinweis auf Tatsachen, wiederum in seiner Art eine Perle!

Die Gentilverbände – fährt er fort, den Materialismus zu korrigieren – verblassten in der Geschichte der zivilisierten Völker zum Teil tatsächlich in den Strahlen des Einflusses der Produktionsformen“ (wiederum eine Ausflucht, und zwar eine noch offensichtlichere. Welcher Produktionsformen denn? Eine teere Phrase!), „zum Teil aber gingen sie in ihrer eigenen Fortsetzung und Verallgemeinerung, in den nationalen Verbänden auf.“

Die nationalen Verbände wären somit eine Fortsetzung und eine Verallgemeinerung der Gentilverbände! Herr Michailowski scheint seine Vorstellungen über die Geschichte der Gesellschaft, offenbar jenen Kindermärchen zu entnehmen, die man Gymnasiasten vorsetzt. Die Geschichte der Gesellschaft besteht, dieser Schulweisheit gemäß, darin, dass zuerst die Familie, diese Zelle einer jeden Gesellschaft, bestanden habe (eine rein bürgerliche Idee: die zersplitterten, kleinen Familien wurden erst unter der bürgerlichen Ordnung vorherrschend; in prähistorischer Zeit fehlten sie gänzlich. Nichts ist so bezeichnend für den Bourgeois wie die Übertragung der Züge gegenwärtiger Zustände auf alle Zeiten und Völker), worauf sich die Familie zum Stamm, der Stamm aber zum Staat entwickelt habe. Wenn nun Herr Michailowski mit wichtiger Miene diesen kindischen Unsinn wiederholt, so beweist das – abgesehen von allem anderen – nur, dass er nicht die geringste Vorstellung vom Verlauf sei es auch nur der russischen Geschichte besitzt. Erschien es noch angebracht, von einem Gentilwesen im alten Russland zu sprechen, so steht fest, dass bereits im Mittelalter, in der Epoche des. Moskowitischen Reichs, keine Gentilverbände mehr bestanden, d. h. dass der Staat keineswegs auf Gentilverbänden, sondern auf örtlichen Verbänden aufgebaut war: die Gutsherren und die Klöster nahmen Bauern verschiedener Gegenden auf, und die so entstandenen Gemeinden bildeten reine Territorialverbände. Von nationalen Verbänden im eigentlichen Sinne des Wortes konnte indessen in der damaligen Zeit kaum die Rede sein: der Staat.zerfiel in einzelne Länder, teilweise sogar Fürstentümer, die lebendige Spuren ihrer einstigen Autonomie, Eigentümlichkeiten der Verwaltung, zuweilen eigene Heere (die einzelnen Bojaren pflegten mit eigenen Truppen in den Krieg zu ziehen), besondere Zollschranken usw. beibehalten hatten. Erst für die Neuzeit der russischen Geschichte (etwa seit dem XVII. Jahrhundert) ist ein tatsächlicher Zusammenschluss all dieser Gebiete, Länder und Fürstentümer zu einem Ganzen kennzeichnend. Dieser Zusammenschluss, sehr ehrenwerter Herr Michailowski, wurde indessen nicht durch die Gentilverbände, auch nicht einmal durch ihre Fortsetzung und Verallgemeinerung hervorgerufen: er wurde hervorgerufen durch den zunehmenden Austausch zwischen den einzelnen Gebieten, den allmählich wachsenden Warenverkehr, die Konzentration der kleinen Lokalmärkte zu einem gesamtrussischen Markt. Da die Leiter und Herren dieses Prozesses kapitalistische Kaufleute waren, war die Bildung dieser nationalen Verbände nichts anderes als eine Bildung bürgerlicher Verbände. Durch seine beiden Hinweise auf Tatsachen hat Herr Michailowski lediglich sich selbst geschlagen und uns nichts gegeben, außer Musterbeispielen bürgerlicher Plattheiten – „Plattheiten“ deshalb, weil er die Erbschaftsinstitution durch die Kindererzeugung und durch ihre seelische Seite und die Nationalität durch die Gentilverbände zu erklären suchte; „bürgerlicher“ deshalb, weil er die Kategorien und den Überbau einer historisch bestimmten Gesellschaftsformation (der auf dem Tauschverkehr begründeten) als ebenso allgemeine und ewige betrachtete wie die Kindererziehung und die „unmittelbar“ geschlechtlichen Beziehungen.

Im höchsten Grade bezeichnend ist hier der Umstand, dass sich unser subjektiver Philosoph, sobald er versuchte, von Phrasen zu konkreten faktischen Hinweisen überzugehen, sofort in die Pfütze setzte. Und offenbar fühlt er sich in dieser nicht sehr sauberen Lage ganz wohl: er sitzt da, macht sich schön, und spritzt den Schmutz um sich herum. Er will z. B. den Satz widerlegen, dass die Geschichte eine Reihe von Klassenkampfepisoden darstellt; nachdem er das mit tiefsinniger Miene als ein „Extrem“ bezeichnet hat, erklärt er:

Die von Marx begründete Internationale Arbeiterassoziation, zum Zweck des Klassenkampfes organisiert, hinderte die französischen und die deutschen Arbeiter nicht, sich gegenseitig abzuschlachten und zugrunde zu richten“, womit angeblich bewiesen werde, dass der Materialismus seine Rechnung „ohne den Dämon der nationalen Eigenliebe und des nationalen Hasses“ gemacht habe.

Diese Behauptung beweist auf Seiten des Kritikers gröblichstes Nichtverstehen der Tatsache, dass die Hauptgrundlage dieses Hasses die sehr realen Interessen der Handels- und Industriebourgeoisie bilden und dass es nur eine Vertuschung des Wesens der Dinge ist, wenn man vom Nationalgefühl als selbständigem Faktor redet. Übrigens haben wir ja die tiefsinnige Vorstellung unseres Philosophen von der Nationalität bereits kennengelernt. Herr Michailowski vermag .die Internationale nicht anders zu behandeln als mit rein Bureninscher Ironie:

Marx ist das Haupt der Internationalen Arbeiterassoziation, die zwar zerfallen ist, jedoch wieder auferstehen soll.“

Freilich, wenn man das nec plus ultra7 internationaler Solidarität im System eines „gerechten“ Austausches erblickt, wie dies mit spießerhafter Banalität vom Inlandschronisten in Nr. 2 des „Russkoje Bogatstwo“ breitgetreten wird, und wenn man nicht begreift, dass Austausch, gerechter wie ungerechter, stets die Herrschaft der Bourgeoisie voraussetzt und einschließt und dass ohne die Vernichtung der auf dem Austausch beruhenden Wirtschaftsorganisation das Aufhören der internationalen Zusammenstöße unmöglich ist, dann ist es verständlich, dass man für die Internationale nur Spöttelei übrig hat. Dann ist es verständlich, dass Herr Michailowski die einfache Wahrheit schlechterdings nicht erfassen kann, dass es kein anderes Mittel zur Bekämpfung des nationalen Hasses gibt als die Organisation und den Zusammenschluss der Klasse der Unterdrückten zum Kampf gegen die Klasse der Unterdrücker in jedem einzelnen Lande und die Vereinigung dieser nationalen Arbeiterorganisationen zu einer internationalen Arbeiterarmee für den Kampf gegen das internationale Kapital, Was aber die Behauptung betrifft, dass die Internationale die Arbeiter nicht gehindert habe, sich gegenseitig abzuschlachten, so genügt es, Herrn Michailowski an die Ereignisse der Kommune zu erinnern, die das wahre Verhältnis des organisierten Proletariats zu den herrschenden Klassen gezeigt haben, die den Krieg führten.

Was an dieser ganzen Polemik des Herrn Michailowski besonders empörend wirkt, sind gerade seine Methoden. Ist er mit der Taktik der Internationale unzufrieden, teilt er die Ideen, in deren Namen sich die europäischen Arbeiter organisieren, nicht, so sollte er sie doch mindestens direkt und offen kritisieren und seine Vorstellungen von einer zweckmäßigeren Taktik und richtigeren Anschauungen darlegen. Er bringt aber keinerlei bestimmte, klare Einwände vor und versieht seinen Phrasenschwall nur ab und zu mit unsinnigen höhnischen Ausfällen. Wie soll man denn das nicht als Schmutz bezeichnen, besonders wenn man in Betracht zieht, dass eine legale Verteidigung der Ideen und der Taktik der Internationale in Russland nicht gestattet ist? Die Methoden des Herrn Michailowski sind dieselben, wenn er gegen die russischen Marxisten polemisiert: statt sich die Mühe zu nehmen, diese oder jene Thesen dieser Marxisten gewissenhaft und exakt zu formulieren, um sie darauf einer offenen und unzweideutigen Kritik zu unterwerfen, zieht er es vor, sich an gelegentlich aufgefangene Bruchstücke marxistischer Beweisführung zu klammern und diese zu verfälschen. Man urteile selbst:

Marx war zu klug und zu gelehrt, um anzunehmen, gerade er habe die Idee der historischen Notwendigkeit und Gesetzmäßigkeit der sozialen Erscheinungen entdeckt… Auf den unteren Stufen (der marxistischen Leiter)* weiß man das nicht (dass „die Idee der historischen Notwendigkeit nicht eine von Marx erfundene oder von ihm entdeckte Neuigkeit, sondern eine längst feststehende Wahrheit ist“) oder besitzt bestenfalls nur eine dunkle Ahnung von dem sich über Jahrhunderte erstreckenden Aufwand an geistiger Kraft und Energie, dessen es zur Feststellung dieser Wahrheit bedurfte.“

Derartige Behauptungen können gewiss auf ein Publikum, das zum ersten Mal vom Marxismus hört, in der Tat Eindruck machen, und bei ihm kann der Kritiker sein Ziel, zu entstellen, zu spotten und zu „siegen" (so, man sagt es, werden die Artikel des Herrn Michailowski von den Mitarbeitern des „Russkoje Bogatstwo“ beurteilt), leicht erreichen. Jeder, der auch nur einigermaßen mit Marx vertraut ist, wird sofort die ganze Verlogenheit und Fälschlichkeit solcher Methoden erkennen. Man mag Marx nicht zustimmen, aber es geht nicht an, zu bestreiten, dass er mit völliger Bestimmtheit diejenigen seiner Anschauungen formuliert hat, die, verglichen mit denen der früheren Sozialisten, „Neues“ darstellten. Das Neue bestand im folgenden: Die früheren Sozialisten begnügten sich bei der Begründung ihrer Anschauungen damit, die Unterdrückung der Massen unter der gegenwärtigen Ordnung aufzudecken, die Vorzüge einer Ordnung, bei der jeder erhält, was er selbst erarbeitet, aufzuzeigen, die Übereinstimmung dieser idealen Ordnung mit der „menschlichen Natur“, dem Begriff eines sittlich-vernünftigen Lebens usw. nachzuweisen. Marx hielt es nicht für möglich, sich mit einem solchen Sozialismus zufrieden zu geben. Er beschränkte sich nicht auf eine bloße Kennzeichnung der modernen Gesellschaftsordnung, auf ihre Bewertung und Verurteilung, sondern erklärte sie wissenschaftlich, indem er diese moderne, in den verschiedenen europäischen und nichteuropäischen Staaten verschiedenartige Gesellschaftsordnung auf eine allgemeine Grundlage zurückführte, nämlich auf die kapitalistische Gesellschaftsformation, deren Daseins- und Entwicklungsgesetze er einer objektiven Analyse unterwarf (er zeigte die „Notwendigkeit“ der Ausbeutung unter dieser Ordnung auf). Ebenso wenig hielt er es für möglich, sich mit der Behauptung zu begnügen, dass nur die sozialistische Gesellschaftsordnung der menschlichen Natur entspreche, wie die großen utopischen Sozialisten und ihre armseligen Epigonen, die subjektiven Soziologen, zu sagen pflegten. Mit Hilfe derselben „objektiven“ Analyse der kapitalistischen .Gesellschaftsordnung wies er die „Notwendigkeit“ ihrer Umwandlung in die sozialistische nach. (Auf die Frage, wie er das nachgewiesen und was Herr Michailowski darauf entgegnet hat, werden wir noch zurückzukommen haben.) Das ist die Quelle jener Berufung auf die Notwendigkeit, die man bei Marxisten oft antrifft. Die Entstellung, die diese Frage durch Herrn Michailowski erfahren hat, liegt auf der Hand: er unterschlug den ganzen sachlichen Inhalt der Theorie, ihr eigentliches Wesen und stellte die Sache so dar, als liefe die ganze Theorie auf das Wort „Notwendigkeit“ hinaus („auf sie allein darf man sich in verwickelten praktischen Dingen nicht berufen“), als bestände die „Beweisführung“ dieser Theorie in der Berufung darauf, dass es sich um eine Forderung der historischen Notwendigkeit handle. Mit anderen Worten: er klammerte sich lediglich an den Namen der Doktrin, deren Inhalt er verschwieg, und jetzt beginnt er von neuem, über jenen „einfachen platten Kreis“ sich aufzuhalten, in den er selbst die Marxsche Lehre zu verwandeln sich bemüht hat: Wir werden natürlich diese Mätzchen nicht weiter verfolgen, da sie uns nunmehr genügend bekannt sind. Mag er zum Gaudium und zur Genugtuung des Herrn Burenin (der nicht ohne Grund Herrn Michailowski in „Nowoje Wremja“ gelobt hat) den Hanswurst spielen, mag er, nachdem er Marx seine Reverenz erwiesen, ihn aus verborgenem Winkel ankläffen: „Seine Polemik gegen Utopisten und Idealisten ist ja ohnehin eine einseitige“, d. h. auch ohne die Wiederholung ihrer (der Polemik) Argumente durch die Marxisten. Wir fühlen uns außerstande, solche Ausfälle anders denn als Gekläff zu bezeichnen, da er buchstäblich „auch nicht ein einziges“ faktisches, bestimmtes, überprüfbares Argument gegen diese Polemik vorgebracht hat, so dass wir – so gern wir uns über dieses Thema auch unterhalten möchten, da wir diese Polemik zur Lösung der russischen sozialistischen Fragen für außerordentlich wichtig halten – völlig außerstande sind, auf ein Gekläff zu antworten, und nur mit den Achseln zucken können;

Ei schau doch, was das Möpschen kann:

Es bellt den Elefanten an!8

Nicht uninteressant ist die darauf folgende Betrachtung des Herrn Michailowski über die historische Notwendigkeit, denn sie zeigt uns wenigstens zum Teil die wahre geistige Ausrüstung „unseres bekannten Soziologen“ (diesen Ruf genießt Herr Michailowski gleich Herrn W. W. bei den liberalen Vertretern unserer „kultivierten Gesellschaft“). Er spricht von einem „Konflikt zwischen der Idee der historischen Notwendigkeit und der Bedeutung der persönlichen Tätigkeit“: die sich in der Öffentlichkeit Betätigenden irren, wenn sie Handelnde zu sein glauben, da sie „Behandelte“ seien, „Marionetten, die aus geheimnisvollem Hintergrund durch die immanenten Gesetze der historischen Notwendigkeit in Bewegung gesetzt werden“. Eine solche Schlussfolgerung ergebe sich aus dieser Idee, die denn auch als „fruchtlos“ und „verschwommen“ bezeichnet wird. Nicht jedem Leser dürfte klar sein, wo Herr Michailowski diesen ganzen Unsinn, die Marionetten und dgl., her hat. Nun, es handelt sich hier um ein beliebtes Steckenpferd des subjektiven Philosophen, nämlich um die Idee des Konflikts zwischen Determinismus und Sittlichkeit, zwischen der historischen .Notwendigkeit und der Bedeutung der Persönlichkeit. Er hat darüber einen ganzen Berg Papier zusammengeschrieben und eine Unmenge sentimental-spießerhaften Unsinn zusammen geschwatzt, um diesen Konflikt zugunsten der Sittlichkeit und der Rolle der Persönlichkeit zu lösen. In Wirklichkeit besteht hier gar kein Konflikt: Herr Michailowski hat ihn sich ausgedacht aus (nicht unbegründeter) Angst, der Determinismus könnte seiner ihm so am Herzen liegenden Spießermoral den Boden entziehen. Die Idee des Determinismus, die die Notwendigkeit der menschlichen Handlungen behauptet und das unsinnige Märchen von der Willensfreiheit zurückweist, beseitigt weder die Vernunft noch das Gewissen des Menschen noch die Bewertung seiner Handlungen auch nur im Mindesten. Ganz im Gegenteil, die deterministische Auffassung allein gestattet eine strenge und richtige Bewertung statt der Abwälzung aller beliebigen Dinge auf den freien Wällen. Desgleichen schmälert auch die Idee der historischen Notwendigkeit nicht im mindesten die Rolle der Persönlichkeit in der Geschichte: die gesamte Geschichte setzt sich eben aus Handlungen von Persönlichkeiten zusammen, die zweifellos Handelnde sind. Die wirkliche Frage, die bei der Bewertung der öffentlichen Tätigkeit einer Persönlichkeit entsteht, lautet: Unter welchen Bedingungen ist dieser Tätigkeit ein Erfolg gesichert? Worin besteht die Garantie dafür, dass diese Tätigkeit kein vereinzelter Akt bleibt, der in einem Meer entgegengesetzter Akte untergeht? Hierin besteht auch die Frage, die die Sozialdemokraten und die übrigen russischen Sozialisten verschieden lösen: Auf welche Weise soll die auf die Verwirklichung der sozialistischen Ordnung gerichtete Tätigkeit die Massen heranziehen, damit sie ernste Ergebnisse zeitige? Es ist offenkundig, dass die Lösung dieser Frage direkt und unmittelbar abhängt von der Vorstellung über die Gruppierung der gesellschaftlichen Kräfte in Russland, über den Klassenkampf, der die russische Wirklichkeit ausmacht. Und wiederum ist Herr Michailowski nur um die Frage herumgegangen, ohne auch nur den Versuch gemacht zu haben, sie präzis zu stellen und eine Lösung zu geben. Die sozialdemokratische Lösung der Frage beruht bekanntlich auf der Ansicht, dass die russischen ökonomischen Zustände eine bürgerliche Gesellschaft darstellen, aus der es nur einen, aus dem Wesen der bürgerlichen Gesellschaftsordnung selbst sich notwendigerweise ergebenden Ausweg geben kann, nämlich den Klassenkampf des Proletariats gegen die Bourgeoisie. Es ist offenkundig, dass eine ernste Kritik sich entweder gegen die Ansicht, dass unsere Ordnung eine bürgerliche sei, oder aber gegen die Vorstellung vom Wesen dieser Ordnung und den Gesetzen ihrer Entwicklung hätte richten müssen. Allein Herr Michailowski denkt gar nicht daran, ernste Fragen zu berühren. Er zieht es vor, sich mit inhaltslosen Phrasen, wie z. B., dass die Notwendigkeit eine zu allgemeine Klammer sei und dgl. mehr, darüber hinwegzusetzen. Aber jede Idee wird doch zu einer zu allgemeinen Klammer, Herr Michailowski, wenn man, wie bei einem geräucherten Fisch, zunächst den ganzen Inhalt entfernt und sich dann mit der übrigbleibenden Haut abgibt! Diese Haut, die wirklich ernste, brennende Fragen der Gegenwart verdeckt, bildet das Lieblingsobjekt des Herrn Michailowski. Mit besonderem Stolz hebt er beispielsweise hervor, dass „der ökonomische Materialismus das Problem von Held und Menge ignoriert oder falsch beleuchtet“. Die Frage, aus dem Kampf welcher Klassen und auf welcher Grundlage sich die gegenwärtige russische Wirklichkeit gestaltet, erscheint Herrn Michailowski sicher wohl als eine zu allgemeine Frage und – er umgeht sie daher. Außerordentlich interessiert ihn dagegen die Frage, welche Beziehungen zwischen dem Helden und der Menge bestehen, mag es sich nun um eine aus Arbeitern, Bauern, Fabrikanten oder Gutsbesitzern bestehende Menge handeln. Vielleicht sind das auch „interessante“ Fragen, allein den Materialisten daraus einen Vorwurf machen, dass sie ihre gesamten Anstrengungen auf die Lösung solcher Fragen richten, die in unmittelbarem Zusammenhang mit der Befreiung der arbeitenden Klasse stehen, heißt, Liebhaber einer Philisterwissenschaft sein und nichts weiter. Als Abschluss seiner „Kritik“ (?) am Materialismus macht Herr Michailowski einen weiteren Versuch, die Tatsachen falsch darzustellen, und erlaubt sich eine weitere Unterstellung. Nachdem er seinem Zweifel an der Richtigkeit der Engelsschen Meinung Ausdruck verliehen hat, dass das „Kapital“ von den zünftigen Ökonomen totgeschwiegen worden sei (wobei als Begründung der sonderbare Hinweis verwandt wird, es gebe doch in Deutschland zahlreiche Universitäten!), sagt Herr Michailowski:

Marx hatte keineswegs gerade diesen Kreis von Lesern (Arbeiter) im Auge, sondern erwartete auch einiges von den Männern der Wissenschaft.“

Das ist absolut falsch: Marx wusste ausgezeichnet, wie wenig mit einer Unvoreingenommenheit und einer wissenschaftlichen Kritik der bürgerlichen Vertreter der Wissenschaft zu rechnen war. Im Nachwort zur zweiten Auflage des „Kapital“ äußerte er sich darüber ganz unzweideutig. Es heißt da:

Das Verständnis, welches ,Das Kapital' rasch in weiten Kreisen der deutschen Arbeiterklasse fand, ist der beste Lohn meiner Arbeit. Ein Mann, ökonomisch auf dem Bourgeoisstandpunkt, Herr Meyer, Wiener Fabrikant, tat in einer während des deutsch-französischen Krieges veröffentlichten Broschüre treffend dar, dass der große theoretische Sinn, der als deutsches Erbgut galt, den sogenannten gebildeten Klassen Deutschlands durchaus abhanden gekommen ist, dagegen in seiner Arbeiterklasse neu auflebt.“

Die Unterschiebung betrifft wiederum den Materialismus und ist ganz nach der ersten Schablone aufgebaut.

Die Theorie [des Materialismus) wurde nie wissenschaftlich begründet und geprüft.“

So lautet die These. Beweis:

Einzelne gute Seiten historischen Inhalts in den Werken von Engels, Kautsky, und auch einigen anderen (wie auch in der beachtenswerten Arbeit von Bloß) konnten ohne die Etikette des ökonomischen Materialismus auskommen, da“ (man beachte dieses „da“) „in ihnen in Wirklichkeit“ (sic!) „die Gesamtheit des sozialen Lebens berücksichtigt wird, mag auch die ökonomische Saite in diesem Akkord stärker anklingen."

Schlussfolgerung … : „In der Wissenschaft hat sich der ökonomische Materialismus nicht bewährt.“

Ein bekannter Trick! Um zu beweisen, dass die Theorie unbegründet ist, entstellt Herr Michailowski sie zunächst in der Weise, dass er ihr die sinnlose Absicht unterschiebt, nicht die Gesamtheit des sozialen Lebens zu berücksichtigen – während doch gerade umgekehrt die Materialisten (Marxisten) die ersten Sozialisten waren, die die Frage der Notwendigkeit einer Analyse nicht nur der ökonomischen, sondern aller Seiten des sozialen Lebens aufwarfen** –, darauf stellt er fest, dass die Materialisten „in der Tat“ die Gesamtheit des sozialen Lebens durch die Ökonomie „gut“ erklärt hätten (eine Tatsache, die offensichtlich den Verfasser widerlegt), um schließlich zu dem Ergebnis zu gelangen, dass der Materialismus sich nicht bewährt habe. Ihre Unterschiebungen dagegen, Herr Michailowski, haben sich glänzend bewährt! Das ist alles, was Herr Michailowski zur „Widerlegung“ des Materialismus vorbringt. Ich wiederhole: hier liegt keinerlei Kritik vor, sondern lediglich leeres, anmaßendes Geschwätz. Man frage wen immer: Was hat Herr Michailowski gegen die Ansicht vorgebracht, dass die Produktionsverhältnisse allen anderen Verhältnissen zugrunde liegen? Womit hat er die Richtigkeit des von Marx mit Hilfe der materialistischen Methode gewonnenen Begriffs der Gesellschaftsformation und des naturgeschichtlichen Prozesses der Entwicklung dieser Formationen widerlegt? Wie hat er die Unrichtigkeit zumindest derjenigen materialistischen Erklärungen verschiedener historischer Fragen bewiesen, die durch die von ihm selbst zitierten Schriftsteller gegeben worden sind? Jeder wird darauf antworten müssen: Nichts hat er vorgebracht, durch nichts hat er etwas widerlegt, keinerlei Unrichtigkeiten hat er nachgewiesen. Er ist lediglich in der Nähe um die Fragen herumgegangen, hat das Wesen der Dinge durch Phrasen zu verwischen getrachtet und im Vorbeigehen verschiedene nichtssagende Ausflüchte erfunden.

Man kann von einem solchen Kritiker schwerlich etwas Ernstes erwarten, wenn er im zweiten Heft des „Russkoje Bogatstwo“ den Marxismus zu widerlegen fortfährt. Der ganze Unterschied besteht darin, dass seine Erfindergabe für Unterschiebungen bereits erschöpft ist, und er sich der Unterschiebungen anderer zu bedienen beginnt.

Zunächst orakelt er über die „Kompliziertheit“ des sozialen Lebens: der Galvanismus etwa stehe auch in Verbindung mit dem ökonomischen Materialismus, da Galvanis Versuche auch auf Hegel einen „Eindruck gemacht“ hätten. Erstaunlich geistreich! Mit dem gleichen Erfolg könnte Herr Michailowski mit dem Kaiser von China in Verbindung gebracht werden! Was folgt daraus anderes, als dass es Menschen gibt, denen es Vergnügen macht, Unsinn zu reden?! Das Wesen des historischen Laufes der Dinge – fährt Herr Michailowski fort –, das überhaupt nicht fassbar sei, sei auch von der Lehre des ökonomischen Materialismus nicht erfasst worden, obwohl sie sich offenbar auf zwei Pfeiler stütze: auf die Entdeckung der alles bestimmenden Bedeutung der Produktions- und Austauschformen und auf die „Unanfechtbarkeit des dialektischen Prozesses“.

Die Materialisten stützen sich demnach auf die „Unanfechtbarkeit“ des dialektischen Prozesses! Das heißt, sie begründen ihre soziologischen Theorien auf den Triaden Hegels. Wir haben es hier mit jener schablonenmäßigen Beschuldigung zu tun, die dem Marxismus Hegelsche Dialektik vorwirft und die von den bürgerlichen Marxkritikern doch wohl schon zur Genüge abgedroschen worden ist. Da sie nicht imstande waren, irgend etwas Sachliches gegen die Lehre vorzubringen, klammerten sich diese Herren an Marx’ Ausdrucksweise, griffen sie den Ursprung der Theorie an, in der Hoffnung, damit ihren Wesensinhalt zu untergraben. Auch Herr Michailowski geniert sich nicht, zu dergleichen Mitteln zu greifen. Den Anlass dazu bot ihm ein Kapitel in Engels’ Buch gegen Dühring. In der Erwiderung an Dühring, der die Marxsche Dialektik angriff, führt Engels aus, dass Marx nie im Sinne gehabt habe, etwas mit Hilfe Hegelscher Triaden zu „beweisen“, dass Marx bloß den tatsächlichen Prozess studiert und erforscht, und dass ihm als einziges Kriterium der Richtigkeit der Theorie ihre Übereinstimmung mit der Wirklichkeit gegolten habe. Habe sich aber daher zuweilen ergeben, dass die Entwicklung einer sozialen Erscheinung unter das Hegelsche Schema fiel: These – Negation – Negation der Negation, so sei das nicht weiter verwunderlich, da dies in der Natur überhaupt keine Seltenheit sei. Und Engels beginnt das durch Beispiele aus dem Gebiet der Naturgeschichte (Entwicklung des Gerstenkorns) und der Gesellschaft zu belegen, beispielsweise durch den Hinweis, dass zunächst der Urkommunismus bestand, dann das Privateigentum und dann die kapitalistische Vergesellschaftung der Arbeit; oder: zunächst der primitive Materialismus, darauf der Idealismus und schließlich der wissenschaftliche Materialismus und dgl. mehr. Es ist für jeden offensichtlich, dass das Schwergewicht der Engelsschen Beweisführung darauf ruht, dass es Aufgabe der Materialisten ist, den wirklichen historischen Prozess richtig und exakt darzustellen, dass das Festhalten an der Dialektik, ein Auswählen von Beispielen, die die Richtigkeit der Triade bestätigen sollen, nichts anderes sind als Überbleibsel jenes Hegelianertums, aus dem der wissenschaftliche Sozialismus hervorgewachsen ist, Überbleibsel seiner Ausdrucksweise. In der Tat, wenn kategorisch erklärt worden ist, dass es unsinnig sei, irgend etwas mit Hilfe von Triaden „beweisen“ zu wollen, und dass dies auch niemand beabsichtigt habe, welche Bedeutung können Beispiele „dialektischer“ Prozesse haben? Ist es etwa nicht klar, dass das ein Hinweis auf den Ursprung der Lehre ist und nichts mehr. Herr Michailowski empfindet das selbst, bemerkt er doch, man dürfe einer Theorie nicht ihre Herkunft vorwerfen. Wollte man aber in den Ausführungen von Engels mehr sehen als den Ursprung der Theorie, so müsste man wohl nachweisen, dass auch nur eine einzige historische „Frage“ von den Materialisten nicht auf Grund der entsprechenden Tatsachen, sondern mittels Triaden gelöst worden sei. Hat Herr Michailowski den Versuch gemacht, das zu beweisen? Nicht im geringsten. Im Gegenteil, er selbst sah sich genötigt, anzuerkennen, dass „Marx das leere dialektische Schema derart mit faktischem Inhalt gefüllt hat“, dass „man es von diesem Inhalt abheben kann wie den Deckel von der Schüssel, ohne daran etwas zu ändern“ (von der Ausnahme, die Herr Michailowski hier macht – sie betrifft die Zukunft –, wird weiter unten die Rede sein). Wenn aber dem so ist, warum beschäftigt sich dann Herr Michailowski so eifrig mit diesem doch nichts ändernden Deckel? Wozu dann das Gerede, die Materialisten „stützten“ sich auf die Unanfechtbarkeit des dialektischen Prozesses? Warum erklärt er dann, während er diesen Deckel bekämpft, dass er gegen einen der „Pfeiler“ des wissenschaftlichen Sozialismus kämpfe, was doch eine offenkundige Unwahrheit ist?

Selbstverständlich verzichte ich darauf, die Art und Weise, in der Herr Michailowski die Beispiele der Triaden analysiert, zu verfolgen, da das, wie gesagt, weder mit dem wissenschaftlichen Materialismus noch mit dem russischen Marxismus etwas zu tun hat. Die Frage ist jedoch von Interesse: Was für Gründe veranlassten denn immerhin Herrn Michailowski, das Verhältnis der Marxisten zur Dialektik dermaßen zu entstellen? Der Gründe gab es zwei: 1. Herr Michailowski hat wohl etwas läuten gehört, er weiß aber nicht, woher das Geläute kommt; 2. Herr Michailowski hat eine weitere Unterschiebung vorgenommen (oder vielmehr sich von Dühring angeeignet).

Ad 1.9 Beim Lesen marxistischer Literatur stieß Herr Michailowski immer wieder auf die „dialektische Methode“ in der Gesellschaftswissenschaft, auf das „dialektische Denken“, und zwar wiederum in der Sphäre sozialer Fragen, „von der allein die Rede ist“ und dgl. mehr. In der Einfalt seines Herzens (ist es bloß Einfalt, so mag es noch hingehen) nahm er an, diese Methode bestehe in der Lösung aller soziologischen Fragen nach den Gesetzen der Hegelschen Triade. Hätte er die Sache auch nur ein klein wenig aufmerksamer behandelt, so hätte er sich von der Sinnlosigkeit dieser Vorstellung überzeugen müssen. Als dialektische Methode bezeichneten Marx und Engels – im Gegensatz zur metaphysischen – nichts anderes als die wissenschaftliche Methode in der Soziologie, die darin besteht, dass die Gesellschaft als ein lebendiger, in ständiger Entwicklung begriffener Organismus betrachtet wird (nicht aber als etwas mechanisch Verknüpftes, das infolgedessen eine beliebige willkürliche Kombination der einzelnen sozialen Elemente zulässt), dessen Studium eine objektive Analyse der die gegebene Gesellschaftsformation bildenden Produktionsverhältnisse und die Erforschung der Gesetze des Funktionierens und der Entwicklung dieser Formation erfordert. Das Verhältnis der dialektischen Methode zur metaphysischen (unter diesen Begriff fällt ohne Zweifel auch die subjektive Methode in der Soziologie) wollen wir weiter unten an den Ausführungen des Herrn Michailowski selbst illustrieren. Hier sei lediglich festgestellt, dass jeder, der die Definition und Darstellung der dialektischen Methode sei es bei Engels (in seiner Polemik gegen Dühring; russisch in „Die Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft“) oder bei Marx (verschiedene Anmerkungen im „Kapital“ und im „Nachwort zur zweiten Auflage“; „Elend der Philosophie“) gelesen hat, sehen muss, dass von den Hegelschen Triaden keine Rede ist, sondern dass alles darauf hinausläuft, die soziale Evolution als einen naturgeschichtlichen Entwicklungsprozess ökonomischer Gesellschaftsformationen zu betrachten. Zum Beweis führe ich in extenso10 die Beschreibung der dialektischen Methode an, die die Zeitschrift „Wjestnik Jewropy“ in Heft 5 des Jahrgangs 1872 (Notiz: „Der Standpunkt der politisch-ökonomischen Kritik von K. Marx“) gegeben hat und die Marx im „Nachwort“ zur zweiten Auflage des „Kapital“ zitiert. Marx sagt hier, dass die von ihm im „Kapital“ angewandte Methode schlecht verstanden worden sei. „Die deutschen Rezensenten schreien natürlich über Hegelsche Sophistik.“ Um nun seine Methode klarer darzulegen, führt Marx ihre Darstellung in der genannten Notiz an:

Für Marx ist nur eins wichtig“ – heißt es da – „: das Gesetz der Phänomene zu finden, mit deren Untersuchung er sich beschäftigt … Für ihn ist noch vor allem wichtig das Gesetz ihrer Veränderung, ihrer Entwicklung, d. h. der Übergang aus einer Form in die andre, aus einer Ordnung des Zusammenhangs in eine andere … Demzufolge bemüht sich Marx nur um eins: durch genaue wissenschaftliche Untersuchung die Notwendigkeit bestimmter Ordnungen der gesellschaftlichen Verhältnisse nachzuweisen und soviel als möglich untadelhaft die Tatsachen zu konstatieren, die ihm zu Ausgangs- und Stützpunkten dienen. Hierzu ist vollständig hinreichend, wenn er mit der Notwendigkeit der gegenwärtigen Ordnung zugleich die Notwendigkeit einer andern Ordnung nachweist, worin die erste unvermeidlich übergehen muss, ganz gleichgültig, ob die Menschen das glauben oder nicht glauben, ob sie sich dessen bewusst oder nicht bewusst sind. Marx betrachtet die gesellschaftliche Bewegung als einen naturgeschichtlichen Prozess, den Gesetze lenken, die nicht nur von dem Willen, dem Bewusstsein und der Absicht der Menschen unabhängig sind, sondern vielmehr umgekehrt deren Wollen, Bewusstsein und Absichten bestimmen.“ (Den Herren Subjektivisten, die die soziale Evolution aus der naturgeschichtlichen gerade darum aussonderten, weil der Mensch sich bewusste „Ziele“ setze, sich durch bestimmte Ideale leiten lasse, zur Kenntnis.) „… Wenn das bewusste Element in der Kulturgeschichte eine so untergeordnete Rolle spielt, dann versteht es sich von selbst, dass die Kritik, deren Gegenstand die Kultur selbst ist, weniger als irgend etwas anderes, irgend eine Form oder irgend ein Resultat des Bewusstseins zur Grundlage haben kann. Das heißt, nicht die Idee, sondern nur die äußere Erscheinung kann ihr als Ausgangspunkt dienen. Die Kritik wird sich beschränken auf die Vergleichung und Konfrontierung einer Tatsache, nicht mit der Idee, sondern mit der anderen Tatsache. Für sie ist es nur wichtig, dass beide Tatsachen möglichst genau untersucht werden und wirklich die eine gegenüber der andern verschiedene Entwicklungsmomente bilden, vor allem aber wichtig, dass nicht minder genau die Serie der Ordnungen erforscht wird, die Aufeinanderfolge und Verbindung, worin die Entwicklungsstufen erscheinen. Aber, wird man sagen, die allgemeinen Gesetze des ökonomischen Lebens sind ein und dieselben; ganz gleichgültig, ob man sie auf Gegenwart oder Vergangenheit anwendet. Grade das leugnet Marx. Nach ihm existieren solche abstrakte Gesetze nicht … Nach seiner Meinung besitzt im Gegenteil jede historische Periode ihre eignen Gesetze … das ökonomische Leben bietet uns eine der Entwicklungsgeschichte auf andren Gebieten der Biologie analoge Erscheinung … Die alten Ökonomen verkannten die Natur ökonomischer Gesetze, als sie dieselben mit den Gesetzen der Physik und Chemie verglichen … Eine tiefere Analyse der Erscheinungen bewies, dass soziale Organismen sich von einander ebenso gründlich unterscheiden wie Pflanzen- und Tierorganismen … Indem sich Marx das Ziel stellt, von diesem Gesichtspunkt aus die kapitalistische Wirtschaftsordnung zu erforschen und zu erklären, formuliert er nur streng wissenschaftlich das Ziel, welches jede genaue Untersuchung des ökonomischen Lebens haben muss … Der wissenschaftliche Wert solcher Forschung liegt in der Aufklärung der besonderen Gesetze, welche Entstehung, Existenz, Entwicklung, Tod eines gegebenen gesellschaftlichen Organismus und seinen Ersatz durch einen andren, höheren regeln.“

Hier haben wir eine Darstellung der dialektischen Methode, die Marx aus einer Unmenge von Zeitungs- und Zeitschriftennotizen über das „Kapital“ herausgefischt und ins Deutsche übertragen hat, weil, wie er selbst sagt, diese Charakteristik der Methode so treffend ist. Nun fragen wir: Wo findet sich hier auch nur ein Wort über Triaden und Trichotomien, über die Unanfechtbarkeit des dialektischen Prozesses (der Methode) und ähnlichen Unsinn, gegen den Herr Michailowski so ritterlich ankämpft? Und unmittelbar nach dieser Darstellung erklärt Marx ausdrücklich, dass seine Methode das „direkte Gegenteil“ der Hegelschen sei. Nach Hegel bestimmt die Entwicklung der Idee, entsprechend den dialektischen Gesetzen der Triade, die Entwicklung der Wirklichkeit. Nur in diesem Falle natürlich kann von einer Bedeutung der Triaden, von der Unanfechtbarkeit des dialektischen Prozesses die Rede sein. „Bei mir ist umgekehrt“, sagt Marx, „das Ideelle nichts anderes als das im Menschenkopf umgesetzte und übersetzte Materielle.“ Und so läuft denn alles „auf das positive Verhältnis des Bestehenden und seiner notwendigen Entwicklung“ hinaus: für die Triaden bleibt nur die Rolle des Deckels und der Haut übrig („ich kokettierte mit der Hegel eigentümlichen Ausdrucksweise“, sagt Marx in demselben Nachwort), für die nur Philister Interesse aufbringen können. Wie, fragt es sich nun, sollen wir einen Menschen beurteilen, der einen der „Grundpfeiler“ des wissenschaftlichen Materialismus, d. h. die Dialektik, zu kritisieren wünschte und von allem möglichen sprach, sogar von Fröschen und Napoleon, nur nicht davon, worin diese Dialektik besteht, ob die Entwicklung der Gesellschaft tatsächlich ein naturgeschichtlicher Prozess ist, ob die materialistische Auffassung der ökonomischen Gesellschaftsformationen als besonderer sozialer Organismen richtig ist, ob die Methoden der objektiven Analyse dieser Formationen richtig sind, ob wirklich die gesellschaftlichen Ideen die gesellschaftliche Entwicklung nicht bestimmen, sondern vielmehr selbst von dieser bestimmt werden usw.? Kann man in einem solchen Fall annehmen, dass lediglich Unverständnis vorliegt?

Ad 2. Nach dieser „Kritik“ der Dialektik unterstellt Herr Michailowski Marx diese Methoden der Beweisführung „mittels“ der Hegelschen Triade und bekämpft sie natürlich siegreich.

Was die Zukunft betrifft“ – sagt er –, „so werden die immanenten Gesetze der Gesellschaft ausschließlich dialektisch gefasst.“ (Darin besieht denn auch die obenerwähnte Ausnahme.)

Die Ausführungen von Marx über die Unvermeidlichkeit der Expropriation der Expropriateure infolge der Entwicklungsgesetze des Kapitalismus trügen einen „ausschließlich dialektischen Charakter“. Das Marxsche „Ideal“ von Gemeineigentum an Boden und Kapital „beruhe, im Sinne der Unvermeidlichkeit und der Gewissheit, ausschließlich auf dem Schlussglied der Hegelschen dreigliedrigen Kette“.

Dieses Argument ist Dühring „wörtlich entnommen“, der es in seiner „Kritischen Geschichte der Nationalökonomie und des Sozialismus“ (3. Auflage, 1879, S. 486–487) gebrauchte. Dabei erwähnt Herr Michailowski Dühring mit keinem Wort. Oder sollte er vielleicht selbständig auf diese Entstellung von Marx gekommen sein?

Eine ausgezeichnete Antwort erhielt Dühring von Engels, und da dieser auch die Dühringsche Kritik zitiert, so begnügen wir uns mit dieser Antwort von Engels. Der Leser wird erkennen, dass sie vollauf auch für Herrn Michailowski zutrifft.

Diese historische Skizze (der Genesis der sogenannten ursprünglichen Kapitalakkumulation in England) ist noch das verhältnismäßig beste in dem Marxschen Buch und würde noch besser sein, wenn sie sich außer auf der gelehrten nicht auch noch auf der dialektischen Krücke fortgeholfen hätte. Die Hegelsche Negation der Negation muss hier nämlich in Ermangelung besserer und klarerer Mittel den Hebammendienst leisten, durch welchen die Zukunft aus dem Schoß der Vergangenheit entbunden wird. Die Aufhebung des individuellen Eigentums, die sich in der angedeuteten Weise seit dem XVI. Jahrhundert vollzogen hat, ist die erste Verneinung. Ihr wird eine zweite folgen, die sich als Verneinung der Verneinung und mithin als Wiederherstellung des ,individuellen Eigentums', aber in einer höheren, auf Gemeinbesitz des Bodens und der Arbeitsmittel gegründeten Form, charakterisiert. Wenn dieses neue ,individuelle Eigentum' bei Herrn Marx auch zugleich ,gesellschaftliches Eigentum' genannt worden ist, so zeigt sich ja hierin die Hegelsche höhere Einheit, in welcher der Widerspruch aufgehoben“ (ein speziell Hegelscher Ausdruck), „nämlich der Wortspielerei gemäß sowohl überwunden als aufbewahrt sein soll… Die Enteignung der Enteigner ist hiernach das gleichsam automatische Ergebnis der geschichtlichen Wirklichkeit in ihren materiell äußerlichen Verhältnissen … Auf den Kredit Hegelscher Flausen, wie die Negation der Negation eine ist, möchte sich schwerlich ein besonnener Mann von der Notwendigkeit der Boden- und Kapitalkommunität überzeugen lassen … Die nebelhafte Zwittergestalt der Marxschen Vorstellungen wird übrigens den nicht befremden, der da weiß, was mit der Hegel-Dialektik als wissenschaftlicher Grundlage gereimt werden kann oder vielmehr an Ungereimtheiten herauskommen muss. Für den Nichtkenner dieser Künste ist ausdrücklich zu bemerken, dass die erste Negation bei Hegel der Katechismusbegriff des Sündenfalls, und die zweite derjenige einer zur Erlösung hinführenden höheren Einheit ist. Auf diese Analogieschnurre hin, die dem Gebiet der Religion entlehnt ist, möchte nun wohl die Logik der Tatsachen nicht zu gründen sein … Herr Marx bleibt getrost in der Nebelwelt seines zugleich individuellen und gesellschaftlichen Eigentums und überlässt es seinen Adepten, sich das tiefsinnige dialektische Rätsel selber zu lösen.“

Soweit Herr Dühring.

Also“ – schließt daraus Engels –, „Marx kann die Notwendigkeit der sozialen Revolution, der Herstellung einer auf Gemeineigentum der Erde und der durch Arbeit erzeugten Produktionsmittel nicht anders beweisen als dadurch, dass er sich auf die Hegelsche Negation der Negation beruft; und indem er seine sozialistische Theorie auf diese der Religion entlehnte Analogieschnurre gründet, kommt er zu dem Resultat, dass in der künftigen Gesellschaft ein zugleich individuelles und gesellschaftliches Eigentum als Hegelsche höhere Einheit des aufgehobenen Widerspruchs herrschen wird.“

(Dass diese Formulierung der Anschauungen Dührings vollkommen auch für jene des Herrn Michailowski gilt, beweist auch noch nachfolgende Stelle in seinem Artikel: „K. Marx vor dem Richterstuhl des Herrn J. Schukowski“. Herr Michailowski tritt Schukowski entgegen, der behauptet hatte, Marx sei ein Verteidiger des Privateigentums. Dabei weist Herr Michailowski auf dieses Marxsche Schema hin und erläutert es folgendermaßen:

In sein Schema hat Marx zwei allgemein bekannte Taschenspielerkunststücke Hegelscher Dialektik eingeordnet: erstens ist das Schema aufgebaut entsprechend dem Gesetz der Hegelschen Triade; zweitens beruht die Synthese auf der Identität der Gegensätze: des individuellen und des gesellschaftlichen Eigentums. Hier besitzt somit das Wort ,individuell' die spezifische, rein bedingte Bedeutung eines Gliedes des dialektischen Prozesses, und darauf kann rein nichts gegründet werden.“

Das sagt ein Mann mit den besten Absichten, der vor dem russischen Publikum den „Sanguiniker“ Marx gegen den Bourgeois Schukowski in Schutz nahm. Und mit diesen besten Absichten erläutert er Marx in der Weise, als gründe dieser seine Vorstellung vom Prozess auf „Taschenspielerkunststücke“! Herr Michailowski mag dem die für ihn nicht nutzlose Moral entnehmen, dass gute Absichten allein nicht ganz genügen, worum es sich auch immer handeln mag.)

Lassen wir zunächst die Negation der Negation auf sich beruhen und besehen wir uns das ,zugleich individuelle und gesellschaftliche Eigentum'. Dies wird von Herrn Dühring als eine ,Nebelwelt' bezeichnet, und er hat darin merkwürdigerweise wirklich recht. Es ist aber leider nicht Marx, der sich in dieser Nebelwelt befindet, sondern wiederum Herr Dühring selbst …, so kann er auch hier ohne große Mühe Marx nach Hegel berichtigen, indem er ihm die höhere Einheit eines Eigentums unterschiebt, von der Marx kein Wort gesagt hat.

Bei Marx heißt es: ,Es ist Negation der Negation. Diese stellt das individuelle Eigentum wieder her, aber auf Grundlage der Errungenschaften der kapitalistischen Ära, der Kooperation freier Arbeiter, und ihrem Gemeineigentum an der Erde und den durch die Arbeit selbst produzierten Produktionsmitteln. Die Verwandlung des auf eigener Arbeit beruhenden, zersplitterten Privateigentums der Individuen in kapitalistisches ist natürlich ein Prozess, ungleich mehr langwierig, hart und schwierig als die Verwandlung des faktisch bereits auf gesellschaftlichem Produktionsbetrieb beruhenden kapitalistischen Privateigentums in gesellschaftliches Eigentum.' Das ist alles. Der durch die Enteignung der Enteigner hergestellte Zustand wird also bezeichnet als die Wiederherstellung des individuellen Eigentums aber auf Grundlage des gesellschaftlichen Eigentums an der Erde und den durch die Arbeit selbst produzierten Produktionsmitteln. Für jeden, der deutsch versteht“ (und auch russisch, Herr Michailowski, denn die Übersetzung ist völlig korrekt), „heißt dies, dass das gesellschaftliche Eigentum sich auf die Erde und die andern Produktionsmittel erstreckt und das individuelle Eigentum auf die Produkte, also auf die Verbrauchsgegenstände. Und damit die Sache auch für Kinder von sechs Jahren fasslich werde, unterstellt Marx auf Seite 56 einen ,Verein freier Menschen, die mit gemeinschaftlichen Produktionsmitteln arbeiten und ihre individuellen Arbeitskräfte selbstbewusst als eine gesellschaftliche Arbeitskraft verausgaben', also einen sozialistisch organisierten Verein, und sagt: ,Das Gesamtprodukt des Vereins ist ein gesellschaftliches Produkt. Ein Teil dieses Produkts dient wieder als Produktionsmittel. Er bleibt gesellschaftlich. Aber ein andrer Teil wird als Lebensmittel von den Vereinsmitgliedern verzehrt. Er muss daher unter sie verteilt werden.' Und das ist doch wohl klar genug, selbst für den verhegelten Kopf des Herrn Dühring.

Das zugleich individuelle und gesellschaftliche Eigentum, diese konfuse Zwittergestalt, diese bei der Hegeldialektik herauskommen müssende Ungereimtheit, diese Nebelwelt, dies tiefsinnige dialektische Rätsel, das Marx seinen Adepten zu lösen überlässt – es ist abermals eine freie Schöpfung und Imagination des Herrn Dühring…“

Welche Rolle“ – fährt Engels fort – „spielt nun bei Marx die Negation der Negation? Auf Seite 791 u. ff. stellt er die Schlussergebnisse der auf den vorhergehenden fünfzig Seiten durchgeführten ökonomischen und geschichtlichen Untersuchung über die sogenannte ursprüngliche Akkumulation des Kapitals zusammen. Vor der kapitalistischen Ära fand, wenigstens in England, Kleinbetrieb statt, auf Grundlage des Privateigentums des Arbeiters an seinen Produktionsmitteln. Die sogenannte ursprüngliche Akkumulation des Kapitals bestand hier in der Expropriation dieser unmittelbaren Produzenten, d. h. in der Auflösung des auf eigener Arbeit beruhenden Privateigentums. Dies wurde möglich, weil der obige Kleinbetrieb nur verträglich ist mit engen, naturwüchsigen Schranken der Produktion und der Gesellschaft, und auf einem gewissen Höhegrad daher die materiellen Mittel seiner eignen Vernichtung zur Welt bringt. Diese Vernichtung, die Verwandlung der individuellen und zersplitterten Produktionsmittel in gesellschaftlich konzentrierte, bildet die Vorgeschichte des Kapitals. Sobald die Arbeiter in Proletarier, ihre Arbeitsbedingungen in Kapital verwandelt sind, sobald die kapitalistische Produktionsweise auf eignen Füßen steht, gewinnt die weitere Vergesellschaftung der Arbeit und weitere Verwandlung der Erde und andern Produktionsmittel, daher die weitere Expropriation der Privateigentümer, eine neue Form. ,Was jetzt zu expropriieren, ist nicht länger der selbst wirtschaftende Arbeiter, sondern der viele Arbeiter exploitierende Kapitalist, Diese Expropriation vollzieht sich durch das Spiel der immanenten Gesetze der kapitalistischen Produktion selbst, durch die Konzentration der Kapitale. Je ein Kapitalist schlägt viele tot. Hand in Hand mit dieser Konzentration oder der Expropriation vieler Kapitalisten durch wenige entwickelt sich die kooperative Form des Arbeitsprozesses auf stets wachsender Stufenleiter, die bewusste technologische Anwendung der Wissenschaft, die planmäßig gemeinsame Ausbeutung der Erde, die Verwandlung der Arbeitsmittel in nur gemeinsam verwendbare Arbeitsmittel und die Ökonomisierung aller Produktionsmittel durch ihren Gebrauch als gemeinsame Produktionsmittel kombinierter gesellschaftlicher Arbeit. Mit der beständig abnehmenden Zahl der Kapitalmagnaten, welche alle Vorteile dieses Umwandlungsprozesses usurpieren und monopolisieren, wächst die Masse des Elends, des Drucks, der Knechtung, der Degradation, der Ausbeutung, aber auch der Empörung der stets anschwellenden und durch den Mechanismus des kapitalistischen Produktionsprozesses selbst geschulten, vereinten und organisierten Arbeiterklasse. Das Kapital wird zur Fessel der Produktionsweise, die mit und unter ihm aufgeblüht ist. Die Konzentration der Produktionsmittel und die Vergesellschaftung der Arbeit erreichen einen Punkt, wo sie unverträglich werden mit ihrer kapitalistischen Hülle, Sie wird gesprengt. Die Stunde des kapitalistischen Privateigentums schlägt. Die Expropriateure werden expropriiert.'

Und nun frage ich den Leser: Wo sind die dialektisch krausen Verschlingungen und Vorstellungsarabesken, wo die Misch- und Missvorstellung, derzufolge schließlich alles eins ist, wo die dialektischen Wunder für die Gläubigen, wo der dialektische Geheimniskram und die Verschlingungen nach Maßgabe der Hegelschen Logoslehre, ohne die Marx, nach Herrn Dühring, seine Entwicklung nicht zustande bringen kann? Marx weist einfach historisch nach, und fasst hier kurz zusammen, dass gerade, wie einst der Kleinbetrieb durch seine eigne Entwicklung die Bedingungen seiner Vernichtung, d. h. der Enteignung der kleinen Eigentümer, mit Notwendigkeit erzeugte, so jetzt die kapitalistische Produktionsweise ebenfalls die materiellen Bedingungen selbst erzeugt hat, an denen sie zugrunde gehen muss. Der Prozess ist ein geschichtlicher, und wenn er zugleich ein dialektischer ist, so ist das nicht die Schuld von Marx, so fatal es Herrn Dühring sein mag.

Erst jetzt, nachdem Marx mit seinem historisch-ökonomischen Beweis fertig ist, fährt er fort: ,Die kapitalistische Produktions- und Aneignungsweise, daher das kapitalistische Privateigentum, ist die erste Negation des individuellen, auf eigne Arbeit gegründeten Privateigentums. Die Negation der kapitalistischen Produktion wird durch sie selbst, mit der Notwendigkeit eines Naturprozesses, produziert. Es ist Negation der Negation' usw. (wie vorher zitiert).

Indem Marx also den Vorgang als Negation der Negation bezeichnet, denkt er nicht daran, ihn dadurch beweisen zu wollen als einen geschichtlich notwendigen. Im Gegenteil: Nachdem er geschichtlich bewiesen hat, dass der Vorgang in der Tat teils sich ereignet hat, teils noch sich ereignen muss, bezeichnet er ihn zudem als einen Vorgang, der sich nach einem bestimmten dialektischen Gesetz vollzieht. Das ist alles. Es ist also wieder eine reine Unterschiebung des Herrn Dühring, wenn er behauptet, die Negation der Negation müsse hier die Hebammendienste leisten, durch welche die Zukunft aus dem Schoß der Vergangenheit entbunden wird, oder dass Marx verlange, man solle auf den Kredit der Negation der Negation fein sich von der Notwendigkeit der Boden- und Kapitalkommunität… überzeugen lassen.“ (S. 125.)

Wie der Leser sieht, trifft diese ganze glänzende Abfertigung Dührings durch Engels ganz und gar auch für Herrn Michailowski zu, der genau so behauptet, die Zukunft beruhe bei Marx ausschließlich auf dem Schlussglied der Hegelschen Kette und die Überzeugung von ihrer Unvermeidlichkeit könne allein auf dem Glauben (eruhen. (Bei dieser Gelegenheit dürfte es nicht überflüssig sein, festzustellen, dass alle diese Ausführungen von Engels in demselben Kapitel stehen, in dem er vom Gerstenkorn, von der Lehre Rousseaus und anderen Beispielen des dialektischen Prozesses spricht. Man sollte meinen, die bloße Konfrontierung dieser Beispiele mit den klaren und kategorischen Erklärungen von Engels – und Marx, dem das Manuskript dieses Werkes vorher vorgelesen wurde –, wonach keine Rede davon sein könne, irgend etwas mit Triaden „beweisen“ zu wollen oder der Darstellung des wirklichen Prozesses die „bedingten Glieder“ dieser Triaden zu unterschieben, genügte vollauf, um zu begreifen, wie sinnlos es ist, dem Marxismus Hegelsche Dialektik vorzuwerfen.)

Der ganze Unterschied zwischen Dühring und Herrn Michailowski reduziert sich auf die folgenden beiden geringfügigen Punkte:

1. Dühring hielt es, obwohl er von Marx nur mit Schaum vor dem Munde zu sprechen vermochte, nichtsdestoweniger für notwendig, im nächsten Paragraphen seiner „Geschichte“ zu erwähnen, dass Marx in seinem Nachwort den Vorwurf des Hegelianertums kategorisch zurückweist. Herr Michailowski dagegen hat diese (oben angeführten) bestimmten und klaren Ausführungen von Marx darüber, was er unter dialektischer Methode verstehe, verschwiegen.

2. Die zweite Originalität des Herrn Michailowski besteht darin, dass er die ganze Aufmerksamkeit auf die Verwendung von Zeitformen der Zeitwörter konzentriert hat. Warum gebraucht Marx, wenn er von der Zukunft spricht, die Gegenwartsform? – fragt mit siegreicher Miene unser Philosoph. Darüber können Sie in jeder Grammatik nachschlagen, verehrter Kritiker: Sie werden daraus erfahren, dass man die Gegenwart statt der Zukunft setzt, wenn die Zukunft als unausweichlich und unzweifelhaft erscheint. Aber wieso denn das? Wieso ist sie denn unzweifelhaft? – beunruhigt sich Herr Michailowski, wobei er eine so starke Erregung mimt, dass sie sogar eine Unterschiebung rechtfertigen soll. Auch darauf hat Marx eine ganz bestimmte Antwort gegeben. Man mag sie für ungenügend oder falsch halten, hat dann aber auch zu zeigen, „worin“ und „weshalb“ sie falsch ist, nicht aber Unsinn von Hegelianertum zu reden.

Es gab eine Zeit, da Herr Michailowski nicht nur selbst wusste, worin diese Antwort besteht, sondern auch andere darüber belehrte. Herr Schukowski konnte, so schrieb er im Jahre 1877, Marx’ Konstruktion über die Zukunft mit gutem Recht für ein Rätselraten halten, allein er „besaß kein moralisches Recht“, die Frage der Vergesellschaftung der Arbeit zu umgehen, „der Marx eine gewaltige Bedeutung beimisst“. Natürlich! Schukowski besaß 1877 kein moralisches Recht, die Frage zu umgehen, Herr Michailowski dagegen besitzt 1894 ein solches moralisches Recht! Sollte hier etwa gelten: Quod licet Jovi, non licet bovi?!11

Ich kann nicht umhin, hier eines Kuriosums in der Auffassung dieser Vergesellschaftung zu gedenken, das sich einst die „Otjetschestwennyje Sapiski“ geleistet haben. In Heft 7 des Jahrgangs 1883 brachte die Zeitschrift eine „Zuschrift an die Redaktion“ von einem gewissen Herrn Postoronnij12, der ganz wie Herr Michailowski die Marxsche „Konstruktion“ über die Zukunft für ein Rätselraten hielt.

Im Wesen der Sache“ – räsoniert dieser Herr – „läuft die gesellschaftliche Form der Arbeit unter der Herrschaft des Kapitalismus darauf hinaus, dass etliche Hunderte oder Tausende von Arbeitern in einem Raum schleifen, schlagen, drehen, auf- und unterlegen, ziehen und zahlreiche andere Operationen verrichten. Den allgemeinen Charakter dieser Ordnung aber gibt ausgezeichnet das Sprichwort wieder: ,Jeder für sich, Gott für alle,“ Was hat das mit gesellschaftlicher Arbeitsform’ zu tun?“

Man sieht doch sofort, dass der Mann verstanden hat, worum es sich handelt! „Die gesellschaftliche Arbeitsform“ „läuft hinaus“ auf „die Arbeit in einem Raum“!! Und nach solchen hanebüchenen Gedanken in einer Zeitschrift, die noch zu den besten in Russland gehört, will man uns weismachen, dass der theoretische Teil des „Kapital“ von der Wissenschaft allgemein anerkannt sei. Allerdings, unfähig, gegen das „Kapital“ etwas auch nur einigermaßen Ernsthaftes vorzubringen, begann „die allgemein anerkannte Wissenschaft“ vor ihm ihre Verbeugungen zu machen und dabei fortgesetzt die elementarste Unwissenheit zu bekunden und alte Plattheiten der Schulökonomie zu wiederholen. Wir sehen uns genötigt, bei dieser Frage etwas zu verweilen, um Herrn Michailowski zu zeigen, worin das Wesen der Sache besteht, das er, seiner ständigen Gewohnheit treu, vollkommen umgangen hat.

Die Vergesellschaftung der Arbeit durch die kapitalistische Produktion besteht durchaus nicht darin, dass die Menschen in einem Raum arbeiten (das ist nur ein kleiner Teil des Prozesses), sondern darin, dass die Konzentration des Kapitals von der Spezialisierung der gesellschaftlichen Arbeit, einer Abnahme der Zahl der Kapitalisten in jedem gegebenen Industriezweig und einer Zunahme der Zahl besonderer Industriezweige begleitet ist; darin, dass viele zersplitterte Produktionsprozesse zu einem gesellschaftlichen Produktionsprozess verschmelzen. Wenn z. B. zur Zeit der Heimweberei die kleinen Produzenten selbst das Garn spannen und daraus Stoff herstellen, so hatten wir es mit wenigen Industriezweigen zu tun (Spinnerei und Weberei waren miteinander verschmolzen). Bei der Vergesellschaftung der Produktion durch den Kapitalismus dagegen steigt die Zahl der besonderen Industriezweige: es wird gesondert Baumwolle gesponnen, gesondert gewebt; diese Spezialisierung und Konzentration der Produktion bedingen ihrerseits ein Entstehen neuer Zweige: der Maschinenerzeugung, Kohlengewinnung usw. In jedem, nunmehr spezialisierter gewordenen Industriezweig nimmt die Zahl der Kapitalisten nach und nach ab. Das bedeutet, dass der gesellschaftliche Zusammenhang zwischen den Produzenten sich immer mehr und mehr festigt, die Produzenten sich zu einem Ganzen zusammenschließen. Die zersplitterten Kleinproduzenten führten jeder gleichzeitig mehrere Operationen aus und waren daher relativ unabhängig voneinander: wenn z. B. der Hausweber selbst Flachs anbaute, selbst spann und webte, war er nahezu unabhängig von den anderen. Für dieses Regime kleiner, zersplitterter Warenproduzenten (und nur für dieses) bestand zu Recht das Sprichwort „Jeder für sich, Gott für alle“ – das war die Anarchie der Marktschwankungen, Ganz anders verhält es sich, wenn dank dem Kapitalismus die Vergesellschaftung der Arbeit erreicht ist. Der Stofffabrikant hängt vom Besitzer der Baumwollspinnerei ab, dieser vom kapitalistischen Plantagenbesitzer, der die Baumwolle gepflanzt hat, vom Besitzer der Maschinenfabrik, des Kohlenbergwerks usw. usw. Das Ergebnis ist, dass kein Kapitalist ohne die anderen auskommen kann. Es ist klar, dass das Sprichwort „Jeder für sich“ für diese Regime nicht mehr gilt: hier arbeiten bereits jeder für alle und alle für jeden (und für Gott, ob nun als Wolkenphantasie oder als irdisches „goldenes Kalb“, bleibt kein Platz mehr übrig). Der Charakter des Regimes ändert sich von Grund auf. Wurde zur Zeit des Bestehens kleiner, zersplitterter Unternehmen in einem von ihnen die Arbeit eingestellt, so zog das nur eine kleine Zahl von Mitgliedern der Gesellschaft in Mitleidenschaft, führte nicht zur allgemeinen Verwirrung und lenkte daher nicht allgemeine Aufmerksamkeit auf. sich und veranlage kein gesellschaftliches Eingreifen. Stockt dagegen die Arbeit in einem Großbetrieb, der einem schon sehr spezialisierten Industriezweig angehört und daher nahezu für die gesamte Gesellschaft arbeitet und selbst wieder von der gesamten Gesellschaft abhängig ist (ich nehme der Einfachheit halber einen Fall an, wo die Vergesellschaftung bereits ihren Höhepunkt erreicht hat), so muss auch in allen übrigen Betrieben der Gesellschaft die Arbeit stocken, da sie die von ihnen benötigten Produkte nur von diesem Betrieb erhalten, alle ihre Wirren nur realisieren können, wenn seine Waren vorhanden sind. Alle Produktionen verschmelzen so zu einem gesellschaftlichen Produktionsprozess, und doch wird jede Produktion geleitet von einem einzelnen Kapitalisten, dessen Willkür sie ausgeliefert ist und der die gesellschaftlichen Produkte als Privateigentum erhält. Ist es da nicht klar, dass die Produktionsform in einen unversöhnlichen Widerspruch zur Aneignungsform gerät? Ist es da nicht offensichtlich, dass diese nicht umhin kann, sich jener anzupassen und ebenfalls eine gesellschaftliche d. h. eine sozialistische zu werden? Der geistreiche Philister aus den „Otjetschestwennyje Sapiski“ hingegen lässt alles auf die Arbeit in einem gemeinsamen Raum hinauslaufen! Das heißt doch in der Tat mit der Stange im Nebel herumfahren! (Ich habe nur den materiellen Prozess, nur die Veränderung der Produktionsverhältnisse geschildert und die soziale Seite des Prozesses, die Zusammenfassung, den Zusammenschluss und die Organisation der Arbeiter als abgeleitete, sekundäre Erscheinung unberücksichtigt gelassen.)

Dass man den russischen „Demokraten“ solche Binsenwahrheiten erklären muss, hat seinen Grund darin, dass sie dermaßen bis über die Ohren in kleinbürgerlichen Gedankengängen stecken, dass ihnen eine andere Gesellschaftsordnung als die kleinbürgerliche schlechthin undenkbar erscheint.

Kehren wir jedoch zu Herrn Michailowski zurück. Was hat er auf die Tatsachen und Argumente erwidert, mit denen Marx die Schlussfolgerung von der Unvermeidlichkeit einer sozialistischen Gesellschaftsordnung kraft der Entwicklungsgesetze des Kapitalismus selbst begründete? Hat er etwa nachgewiesen, dass in Wirklichkeit – bei der Warenorganisation der gesellschaftlichen Wirtschaft – keine Zunahme der Spezialisierung des gesellschaftlichen Arbeitsprozesses, keine Konzentration der Kapitalien und der Unternehmungen, keine Vergesellschaftung des gesamten Arbeitsprozesses erfolgt? Nein, er hat kein einziges Argument zur Widerlegung dieser Tatsachen vorgebracht. Hat er etwa die These erschüttert, wonach der kapitalistischen Gesellschaft eine Anarchie eigen ist, die mit einer Vergesellschaftung der Arbeit unvereinbar ist? Nichts hat er darüber gesagt. Hat er etwa bewiesen, dass sich die Zusammenfassung des Arbeitsprozesses aller Kapitalisten zu einem gesellschaftlichen Arbeitsprozess mit dem Fortbestand des Privateigentums verträgt, dass ein anderer als der von Marx aufgezeigte Ausweg aus dem Widerspruch möglich und denkbar ist? Nein, kein Wort hat er darüber gesagt.

Worauf stützt sich dann aber seine Kritik? Auf Fälschungen, Unterschiebungen und einen Phrasenschwall, der auf bloßes Schellengeklingel hinausläuft.

Wie anders könnte man in der Tat solche Methoden bezeichnen, wo der Kritiker – nachdem er zuvor reichlichen Unsinn über den Drei-Stufen-Ablauf in der Geschichte verzapft – mit ernster Miene an Marx mit der Frage herantritt: „Und was weiter?“ d. h. wie wird die Geschichte nach dem Erreichen des von ihm dargestellten Endstadiums des Prozesses weitergehen? Man beachte: Marx hat seit Beginn seiner literarischen und revolutionären Betätigung mit absoluter Bestimmtheit an eine soziologische Theorie die Forderung gestellt, den wirklichen Prozess präzis wiederzugeben, nichts weiter (man vergleiche z. B. das „Kommunistische Manifest“ über das Kriterium der Theorie der Kommunisten). In seinem „Kapital“ hat er dieser Forderung in vollstem Maße Genüge geleistet: da er sich die wissenschaftliche Analyse der kapitalistischen Gesellschaftsformation zur Aufgabe gemacht hat, machte er Schluss, nachdem er nachgewiesen hatte, dass die sich vor unseren Augen tatsächlich abspielende Entwicklung dieser Organisation diese und diese Tendenz offenbart, dass sie unvermeidlich zugrunde gehen und sich in eine andere, höhere Organisation verwandeln muss. Herr Michailowski aber, der das ganze Wesen der Marxschen Doktrin umgangen hat, stellt die höchst einfältige Frage: „Und was weiter?“ Und fügt dem tiefsinnig hinzu: „Ich muss offen gestehen, dass ich mir die Antwort Engels’ nicht ganz klar vorstelle.“ Dafür müssen wir, Herr Michailowski, gestehen, dass wir uns den Geist und die Methoden einer derartigen „Kritik“ ganz klar vorstellen!

Oder eine solche Betrachtung:

Im Mittelalter war das Marxsche individuelle, auf persönlicher Arbeit beruhende Eigentum weder ein allgemeiner noch ein vorwiegender Faktor, nicht einmal auf dem Gebiet der ökonomischen Beziehungen. Daneben bestand noch mancherlei anderes, worauf indessen die dialektische Methode in der Marxschen Interpretation“ (und nicht in der Entstellung des Herrn Michailowski?) „zurückzukommen nicht vorschlägt … Alle diese Schemata bieten offenbar kein Bild der historischen Wirklichkeit oder auch nur ihrer Proportionen, sondern dienen lediglich der Befriedigung des Bedürfnisses des menschlichen Verstandes; sich jeden Gegenstand im Zustand der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft zu denken.“

Sogar die Methoden Ihrer Unterschiebungen, Herr Michailowski, sind von einer Eintönigkeit, dass einem übel wird! Zuerst unterschiebt er dem Marxschen Schema, das lediglich den wirklichen Entwicklungsprozess des Kapitalismus und nichts weiter zu formulieren beansprucht (darum sind ja die übrigen Merkmale der ökonomischen Zustände des Mittelalters weggelassen worden, gehörten sie doch der feudalen Gesellschaftsformation an, während Marx nur die „kapitalistische“ untersucht; in reiner Form begann der Kapitalismus in der Tat – z. B. in England – sich aus dem Regime der kleinen, zersplitterten Warenproduzenten und aus ihrem individuellen Arbeitseigentum zu entwickeln) – zuerst unterschiebt er die Absicht, alles mit Hilfe von Triaden beweisen zu wollen. Darauf stellt er fest, dass das Marxsche Schema diesem, ihm von Herrn Michailowski aufgezwungenen Plan nicht entspreche (das dritte Stadium stelle nur „eine“ Seite des ersten Stadiums wieder her und lasse alle übrigen beiseite), um schließlich in der unverfrorensten Weise den Schluss zu ziehen, dass „das Schema offenbar kein Bild der historischen Wirklichkeit bietet“!

Ist es denkbar, ernstlich gegen einen Menschen zu polemisieren, der (um einen Ausdruck von Engels über Dühring zu gebrauchen) gänzlich unfähig ist, auch nur ausnahmsweise richtig zu zitieren? Lässt sich denn da etwas „erwidern“, wenn dem Publikum versichert wird, dass das Schema „offenbar“ nicht der Wirklichkeit entspreche, ohne auch nur den Versuch gemacht zu haben, irgendwelche Unrichtigkeit in ihm nachzuweisen? Statt den wirklichen Inhalt der marxistischen Auffassungen zu kritisieren, übt Herr Michailowski seinen Scharfsinn an den Kategorien der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Engels bemerkt zum Beispiel, auf die „ewigen Wahrheiten“ des Herrn Dühring erwidernd;

Welche Moral wird uns heute gepredigt? Da ist zuerst die christlich feudale… Daneben figuriert die modern-bürgerliche und neben dieser wieder die proletarische Zukunftsmoral, so dass Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft… drei große Gruppen gleichzeitig und nebeneinander geltender Moraltheorien liefern.“

Darüber lässt sich Herr Michailowski folgendermaßen aus:

Mich dünkt, dass allen Dreiteilungen der Geschichte in Perioden gerade die Kategorien Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zugrunde liegen.“

Welcher Tiefsinn! Wer weiß denn nicht, dass jede beliebige soziale Erscheinung, im Prozess ihrer Entwicklung betrachtet, stets Überreste der Vergangenheit, die Grundlagen der Gegenwart und Keime der Zukunft offenbart? Allein, war es denn Engels z. B. eingefallen zu behaupten, die Geschichte der Moral (er sprach doch nur von der „Gegenwart“) beschränke sich auf die drei genannten Momente, und der feudalen Moral sei nicht z. B. eine Sklavenmoral, dieser nicht eine Moral der urkommunistischen Gemeinde vorangegangen? Statt Engels’ Versuch, sich über die gegenwärtigen Strömungen der Moralideen auf Grund einer materialistischen Erklärung Klarheit zu verschaffen, ernstlich zu kritisieren, tischt uns Herr Michailowski die hohlsten Phrasen auf!

Im Zusammenhang mit diesen Methoden der „Kritik“ des Herrn Michailowski, die mit der Erklärung einsetzte, er wisse nicht, in welchem Werk die materialistische Geschichtsauffassung dargelegt sei, dürfte es vielleicht nicht unnütz sein, daran zu erinnern, dass es eine Zeit gegeben hat, in der der Verfasser eines dieser Werke kannte und es richtiger einzuschätzen verstand. Im Jahre 1877 äußerte sich Herr Michailowski folgendermaßen über das „Kapital“:

Entfernt man vom ,Kapital“ den schweren, plumpen und unnötigen Deckel der Hegelschen Dialektik“ (Merkwürdig! Warum war denn die „Hegelsche Dialektik“ im Jahre 1877 „unnötig“, wo wir doch im Jahre 1894 erfahren, dass sich der Materialismus, auf die „Unanfechtbarkeit des dialektischen Prozesses“ stütze?), „so findet man darin, neben seinen andern Vorzügen, ein ausgezeichnet verarbeitetes Material zur Lösung der allgemeinen Frage des Verhältnisses der Formen zu den materiellen Bedingungen ihrer Existenz und eine vorzügliche Stellung dieser Frage für ein bestimmtes Gebiet.“

Das Verhältnis der Formen zu den materiellen Bedingungen ihrer Existenz“, das ist doch gerade jene Frage nach dem Wechselverhältnis der verschiedenen Seiten des gesellschaftlichen Lebens, nach dem Überbau der ideologischen gesellschaftlichen Verhältnisse über den materiellen, deren bekannte Lösung eben die materialistische Doktrin ausmacht. Gehen wir weiter.

Genau genommen, ist das ganze ,Kapital'“ (von mir gesperrt) „der Erforschung dessen gewidmet, wie eine einmal entstandene gesellschaftliche Form sich fortentwickelt, ihre typischen Merkmale verstärkt und sich Entdeckungen, Erfindungen, Verbesserungen der Produktionsverfahren, neue Märkte und die Wissenschaft selbst unterwirft und anpasst, indem sie sie zwingt, für sie zu arbeiten, und wie schließlich die gegebene Form weitere Veränderungen der materiellen Bedingungen nicht mehr ertragen kann.“

Ein erstaunlicher Vorfall! 1877 wurde erklärt, das ganze „Kapital“ sei der materialistischen Erforschung der gegebenen Gesellschaftsform gewidmet (worin besteht denn der Materialismus sonst als in der Erklärung der Gesellschaftsformen durch die materiellen Bedingungen?), 1894 dagegen heißt es plötzlich, man wisse nicht einmal, wo, in welchem Werk eine Darstellung dieses Materialismus zu suchen seil

1877 enthielt das „Kapital“ die „Erforschung“ des Umstandes, dass die „gegebene Form“ (d. h. doch wohl die kapitalistische, nicht wahr?) „weitere Veränderungen der materiellen Bedingungen nicht ertragen“ kann (man beachte das) – 1894 dagegen stellt sich heraus, dass überhaupt keine Erforschung vorliegt und dass die Überzeugung, wonach die kapitalistische Form eine weitere Entwicklung der Produktivkräfte nicht ertragen könne, „ausschließlich auf dem Schlussglied der Hegelschen Triade“ beruht! 1877 schrieb Herr Michailowski, dass „die Analyse der Beziehungen der gegebenen Gesellschaftsform zu ihren materiellen Existenzbedingungen für immer“ (von mir gesperrt) „ein Denkmal der logischen Kraft und der außerordentlichen Gelehrsamkeit des Verfassers bleiben wird“ – 1894 dagegen erklärt er, die Doktrin des Materialismus sei nie und nirgends wissenschaftlich überprüft und begründet worden!

Ein erstaunlicher Vorfall! Was bedeutet das in der Tat? Was ist geschehen?

Zweierlei ist geschehen: 1. der „russische“, der Bauernsozialismus der siebziger Jahre, der auf die Freiheit wegen ihrer Bürgerlichkeit „pfiff“, die „Liberalen mit offener Stirn“, die den Antagonismus des russischen Lebens mit aller Macht zu vertuschen trachteten, bekämpfte und vom einer Bauernrevolution träumte, hat sich vollkommen zersetzt und hat jenen ordinärem, spießbürgerlichen Liberalismus geboren, der in den fortschrittlichen Tendenzen der Bauernwirtschaft „aufmunternde Eindrücke“ entdeckt und dabei vergisst, dass diese Tendenzen von einer Massenenteignung der Bauernschaft begleitet (und durch sie bedingt) sind. 2. 1877 war Herr Michailowski von seiner Aufgabe, den „Sanguiniker“ (d. h. den revolutionären Sozialisten) Marx gegen die liberalen Kritiker in Schutz zu nehmen, dermaßen hingerissen dass er die Unvereinbarkeit der Methode von Marx mit seiner eigenen nicht bemerkte. Nun aber ist ihm der unversöhnliche Gegensatz zwischen dem dialektischen Materialismus und der subjektiven Soziologie klargemacht worden – klargemacht durch die Artikel und Bücher von Engels, klargemacht durch die russischen Sozialdemokraten (bei Plechanow finden wir zahlreiche sehr treffende Bemerkungen über Herrn Michailowski), Statt sich nun einer ernsten Überprüfung der Frage zuzuwenden, bekommt Herr Michailowski einen Koller. Statt Marx zu begrüßen (wie er es 1872 und 1877 getan), kläfft er ihn nunmehr an, verschanzt hinter Lobsprüchen zweifelhafter Qualität, und lärmt und geifert gegen die russischen Marxisten, die sich nicht mit einem „Schutz des ökonomisch Schwächeren“, mit Warenlagern und Verbesserungen auf dem Dorfe, mit Museen und Artels für die Hausgewerbetreibenden und ähnlichen wohlgemeinten kleinbürgerlichen Fortschritten begnügen, sondern „Sanguiniker“, Anhänger der sozialen Revolution bleiben und die wahrhaft revolutionären gesellschaftlichen Elemente schulen, führen und organisieren wollen.

Nach dieser kleinen Abschweifung in eine längst vergangene Zeit dürfen wir die Analyse der „Kritik“, die Herr Michailowski an der Marxschen Theorie übt, wohl abschließen. Versuchen wir nun, das Fazit zu ziehen und die „Argumente“ des Kritikers zusammenzufassen.

Die Doktrin, die zu zerstören er sich vorgenommen hat, stützt sich 1) auf die materialistische Geschichtsauffassung und 2) auf die dialektische Methode.

Zur erstgenannten erklärte der Kritiker vor allem, dass er nicht wisse, in welchem Werk der Materialismus dargelegt sei. Da er diese Darlegung nirgends fand, ging er daran, selbst auszuhecken, was der Materialismus sei. Damit man sich von den maßlosen Ansprüchen dieses Materialismus einen Begriff machen könne, erdichtete er die Behauptung, die Materialisten erhöben den Anspruch, die ganze Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der Menschheit erklärt zu haben. Als sich aber dann nach einem Vergleich mit der authentischen Erklärung der Marxisten herausstellte, dass sie lediglich eine Gesellschaftsformation als erklärt betrachten, entschied der Kritiker, dass die Materialisten den Wirkungsbereich des Materialismus einengen und sich damit angeblich selbst schlügen. Um einen Begriff von den bei der Ausarbeitung dieses Materialismus angewandten Methoden zu geben, erfand er die Legende, die Materialisten hätten angeblich selbst zugegeben, dass ihre Kenntnisse für ein Unternehmen, wie es die Ausarbeitung des wissenschaftlichen Sozialismus ist, zu schwach seien, obwohl Marx und Engels (in den Jahren 1845–1847) von der Unzulänglichkeit ihrer Kenntnisse nur in der ökonomischen Geschichte überhaupt gesprochen und obwohl sie dieses, die Unzulänglichkeit ihrer Kenntnisse beweisende Werk nie veröffentlicht haben. Nach solchen Präludien bescherte man uns auch mit der Kritik: das „Kapital“ wurde durch den Hinweis darauf vernichtet, dass es sich lediglich auf eine einzige Periode beziehe, während der Kritiker aller Perioden bedürfe, sowie darauf, dass es den ökonomischen Materialismus nicht begründe, sondern ihn einfach berühre – lauter Argumente offenbar so schwerwiegender und ernster Natur, dass zugegeben werden musste, der Materialismus sei nie wissenschaftlich begründet worden. Ferner wurde gegen den Materialismus die Tatsache vorgebracht, dass ein dieser Doktrin völlig fern stehender Mann, der die prähistorische Zeit in einem ganz anderen Lande studierte, ebenfalls zu materialistischen Ergebnissen gelangte. Um weiter zu zeigen, dass die Kindererzeugung ganz unrichtigerweise mit dem Materialismus in Verbindung gebracht worden sei, dass es sich hierbei um eine bloße Wortklauberei handle, begann der Kritiker nachzuweisen, dass die ökonomischen Verhältnisse einen Überbau über den Geschlechts- und Familienbeziehungen darstellen, Die Hinweise, die der ernste Kritiker dabei zur Belehrung der Materialisten erteilte, haben uns um die tiefe Wahrheit bereichert, dass Erbschaft ohne Kindererzeugung unmöglich sei, dass sich an die Produkte dieser Kindererzeugung ein komplizierter Seelenzustand „anschließe“ und dass die Kinder im Geiste ihrer Väter erzogen werden. Auch erfuhren wir beiläufig, dass die nationalen Verbände eine Fortsetzung und Verallgemeinerung der Gentilverbände seien.

Im weiteren Verlauf seiner theoretischen Untersuchungen über den Materialismus bemerkte der Kritiker, der Inhalt vieler Argumente der Marxisten bestehe darin, dass Unterdrückung und Ausbeutung der Massen unter dem bürgerlichen Regime „notwendig“ seien und dieses Regime sich „unausbleiblich“ in ein sozialistisches verwandeln müsse. Und da beeilte er sich zu erklären, die Notwendigkeit stelle eine zu allgemeine Klammer dar (sofern man nicht sage, was die Menschen denn eigentlich für notwendig halten) und die Marxisten seien daher Mystiker und Metaphysiker. Der Kritiker erklärte auch, Marx’ Polemik gegen die Idealisten sei „einseitig“, wobei er über das Verhältnis der Anschauungen dieser Idealisten zur subjektiven Methode und über das Verhältnis des dialektischen Materialismus von Marx zu ihnen kein Wort verlor.

Gegenüber dem zweiten Grundpfeiler des Marxismus, der dialektischen Methode, genügte ein einziger Stoß des kühnen Kritikers, um diesen Grundpfeiler umzuwerfen. Und der Stoß wurde sehr geschickt geführt: unter Aufwand ungeheurer Anstrengungen mühte und quälte sich der Kritiker mit der Widerlegung der Behauptung ab, dass man durch Triaden irgend etwas beweisen könne, und verschwieg dabei, dass die dialektische Methode durchaus nicht in den Triaden besteht, dass sie gerade in der Ablehnung der Methoden des Idealismus und des Subjektivismus in der Soziologie besteht. Ein zweiter Stoß richtete sich speziell gegen Marx: mit Hilfe des wackeren Herrn Dühring unterschob der Kritiker Marx den unglaublichen Unsinn, dieser habe die Notwendigkeit des Unterganges des Kapitalismus mit Triaden beweisen wollen, und er führte gegen diesen Unsinn einen siegreichen Krieg.

Das ist die Heldensage von den glänzenden „Siegen" „unseres bekannten Soziologen“! Ist der Anblick dieser Siege nicht „lehrreich“ (Burenin)?

Noch ein weiterer Umstand muss hier berührt werden, der zwar nicht unmittelbar mit der Kritik der Marxschen Doktrin zusammenhängt, jedoch für die Ideale des Kritikers und für seine Auffassung der Wirklichkeit äußerst bezeichnend ist. Es handelt sich um sein Verhältnis zur Arbeiterbewegung im Westen.

Weiter oben wurde die Erklärung des Herrn Michailowski angeführt, der Materialismus habe sich in der „Wissenschaft“ (etwa in der Wissenschaft der deutschen „Volksfreunde“?) nicht bewährt. Allein dieser Materialismus, führt Herr Michailowski aus, „verbreitet sich in der Tat sehr rasch in der Arbeiterklasse“. Wie erklärt nun Herr Michailowski diese Tatsache?

Was den Erfolg – sagt er –, dessen sich der ökonomische Materialismus bei seiner Entwicklung sozusagen in die Breite erfreut, seine große Verbreitung in kritisch nicht geprüfter Form betrifft, so liegt der Schwerpunkt dieses Erfolges nicht in der Wissenschaft, sondern in der Alltagspraxis, die durch Zukunftsaussichten bestimmt wird.“

Welchen anderen Sinn kann dieser plumpe Satz von der Praxis, die durch Zukunftsaussichten „bestimmt“ werde, haben als den, dass der Materialismus nicht darum Verbreitung findet, weil er die Wirklichkeit richtig erklärt, sondern weil er sich von dieser Wirklichkeit abgewandt und den Aussichten zugewandt hat? Und weiter heißt es:

Diese Aussichten erfordern von der deutschen Arbeiterklasse, die sich dieselben zu eigen macht, und von denen, die an ihrem Schicksal den wärmsten Anteil nehmen, weder Kenntnisse noch kritische Gedankenarbeit. Sie erfordern lediglich Glauben.“

Mit anderen Worten: die weite Verbreitung des Materialismus und des wissenschaftlichen Sozialismus hängt damit zusammen, dass diese Lehre den Arbeitern eine bessere Zukunft verheißt! Allein, die elementarste Bekanntschaft mit der Geschichte des Sozialismus und der Arbeiterbewegung im Westen genügt, um den ganzen Unsinn und die ganze Verlogenheit dieser Erklärung zu offenbaren. Jedermann weiß, dass der wissenschaftliche Sozialismus eigentliche Zukunftsaussichten nie ausgemalt hat; er hat sich auf die Analyse der modernen, bürgerlichen Gesellschaftsordnung beschränkt, auf das Studium der Entwicklungstendenzen der kapitalistischen Gesellschaftsorganisation – nichts weiter. Marx schrieb bereits im Jahre 1843, und er hat dieses Programm streng eingehalten:

Wir sagen ihr“ (der Welt) „nicht: lass ab von deinen Kämpfen, sie sind dummes Zeug; wir wollen dir die wahre Parole des Kampfes zuschreien. Wir zeigen ihr nur, warum sie eigentlich kämpft, und das Bewusstsein ist eine Sache, die sie sich aneignen muss, wenn sie auch nicht will.“

Jedermann weiß, dass sich z. B. das „Kapital“, dieses grundlegende Hauptwerk, das den wissenschaftlichen Sozialismus darlegt, gegenüber der Zukunft auf ganz allgemeine Andeutungen beschränkt und nur denjenigen bereits vorhandenen Elementen nachspürt, aus denen die künftige Ordnung hervorwächst. Jedermann weiß, dass an Zukunftsaussichten die früheren Sozialisten unvergleichlich mehr boten, die die zukünftige Gesellschaft in allen Einzelheiten ausmalten, um die Menschheit für das Bild einer Ordnung zu begeistern, in der die Menschen ohne Kampf auskommen, in der ihre gesellschaftlichen Verhältnisse nicht auf der Ausbeutung, sondern auf den wahren, den Bedingungen der menschlichen Natur entsprechenden Grundsätzen des Fortschritts beruhen. Trotz einer ganzen Phalanx höchst talentvoller Männer, die diese Ideen auseinandersetzten, und überzeugtester Sozialisten blieben jedoch ihre Theorien abseits vom Leben, ihre Programme abseits von den politischen Volksbewegungen, so lange nicht die maschinelle Großindustrie die Massen des Proletariats in den Trubel des politischen Lebens hineingezogen hatte und nicht die wahre Losung für seinen Kampf gefunden war. Diese Losung fand Marx, der kein „Utopist, sondern ein strenger, mitunter sogar trockener Gelehrter“ war (wie sich Herr Michailowski in längst vergangener Zeit – 1872 – ausgedrückt hat). Er fand sie keineswegs mit Hilfe irgendwelcher Aussichten, sondern durch eine wissenschaftliche Analyse der modernen bürgerlichen Gesellschaftsordnung, durch die Aufdeckung der „Notwendigkeit“ der Ausbeutung bei dieser Ordnung und durch Untersuchung der Gesetze ihrer Entwicklung. Herr Michailowski mag natürlich den Lesern des „Russkoje Bogatstwo“ versichern, dass die Aneignung dieser Analyse weder Kenntnisse noch Gedankenarbeit erfordere, allein wir sahen bereits bei ihm selbst (und werden es nicht minder bei seinem Mitarbeiter für ökonomische Fragen sehen) ein derartiges Missverstehen elementarer, durch diese Analyse festgestellter Wahrheiten, dass eine solche Erklärung selbstredend nur ein Lächeln auszulösen vermag. Es bleibt somit als unbestreitbare Tatsache bestehen, dass die Arbeiterbewegung sich gerade da und gerade insoweit verbreitet und entwickelt, wo und inwieweit sich die kapitalistische maschinelle Großindustrie entwickelt, und dass sieh ein Erfolg der sozialistischen Lehre gerade dann einstellt, wenn sie alles Räsonieren über die der menschlichen Natur entsprechenden gesellschaftlichen Bedingungen aufgibt und an die materialistische Analyse der gegenwärtigen gesellschaftlichen Verhältnisse, an die Klarlegung der Unvermeidlichkeit des gegenwärtigen Regimes der Ausbeutung geht.

Nach dem Versuch, die wahren Gründe des Erfolges des Materialismus in der Arbeiterschaft mit Hilfe einer der Wahrheit geradezu zuwiderlaufenden Charakteristik des Verhältnisses dieser Doktrin zu den Aussichten zu umgehen, beginnt nunmehr Herr Michailowski, die Ideen und die Taktik der westeuropäischen Arbeiterbewegung in der trivialsten, spießbürgerlichsten Weise zu verspotten. Wie wir gesehen haben, hat er buchstäblich kein einziges Argument gegen die Marxschen Beweise der Unausbleiblichkeit der Umwandlung der kapitalistischen Ordnung in die sozialistische infolge der Vergesellschaftung der Arbeit vorgebracht. Nichtsdestoweniger ironisiert er in der hemmungslosesten Weise darüber, dass die „Armee der Proletarier“ angeblich die Enteignung der Kapitalisten vorbereite, „worauf jeder Klassenkampf schon aufhört und Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen herrschen werden“. Er, Herr Michailowski, weiß viel einfachere und sicherere Wege zur Verwirklichung des Sozialismus als diesen: die „Volksfreunde“ brauchen nur die „klaren und unfehlbaren“ Bahnen der „ersehnten ökonomischen Evolution“ eingehender aufzuzeigen, und dann werden diese Volksfreunde Zweifellos „berufen“ werden, die „praktischen ökonomischen Probleme zu lösen“ (siehe den Artikel des Herrn Juschakow: „Fragen der Ökonomischen Entwicklung Russlands“, Heft 10 des „Russkoje Bogatstwo“). Bis dahin aber… bis dahin sollen die Arbeiter abwarten und sich auf die Volksfreunde verlassen, nicht aber, gestützt auf ein „unbegründetes Selbstvertrauen“, einen selbständigen Kampf gegen die Ausbeuter beginnen. Von dem Wunsche beseelt, dieses „unbegründete Selbstvertrauen“ endgültig zu vernichten, wettert unser Verfasser pathetisch gegen „diese Wissenschaft, die nahezu in einem Taschenwörterbuch Platz findet“. Wie schrecklich, in der Tat: Wissenschaft und sozialdemokratische Broschüren, die nur Groschen kosten und in der Tasche Platz finden!! Ist es da nicht klar, wie unbegründet das Selbstbewusstsein jener Leute ist, die die Wissenschaft eben nur in dem Maße schätzen, als sie die Ausgebeuteten den selbständigen Kampf für ihre Befreiung lehrt, sie lehrt, allen Volksfreunden, die den Klassenantagonismus vertuschen und die ganze Sache in ihre Hände nehmen wollen, aus dem Wege zu gehen, und die daher diese Wissenschaft in Groschenbroschüren darlegen, die den Philistern so auf die Nerven gehen. Wie anders lägen die Dinge, wenn die Arbeiter ihr Schicksal den Volksfreunden anvertrauten; die würden ihnen die wahre, vielbändige Universitäts- und Philisterwissenschaft präsentieren, würden sie eingehend mit der der menschlichen Natur entsprechenden Gesellschaftsorganisation bekannt machen, wenn nur … die Arbeiter abwarten wollten und nicht mit so unbegründetem Selbstvertrauen selbst den Kampf begönnen!

Bevor wir uns dem zweiten, nicht mehr gegen die Marxsche Theorie im allgemeinen, sondern speziell gegen die russischen Sozialdemokraten gerichteten Teil der „Kritik“ des Herrn Michailowski zuwenden, müssen wir eine Abschweifung einschalten. Es handelt sich darum, dass Herr Michailowski – genau so, wie er in seiner Kritik an Marx es nicht nur völlig unterließ, dessen Theorie exakt darzulegen, sondern sie geradezu entstellte, genau ebenso, nun schon ganz hemmungslos, die Ideen der russischen Sozialdemokraten umlügt. Da muss die Wahrheit wiederhergestellt werden. Das geschieht am bequemsten durch eine Konfrontierung der Ideen der früheren russischen Sozialisten mit denen der Sozialdemokraten. Die Darstellung der erstgenannten entnehme ich einem in der Zeitschrift „Russkaja Mysl“, Jahrgang 1892, Nr. 6, erschienenen Artikel des Herrn Michailowski, in dem er ebenfalls vom Marxismus sprach (und zwar, das muss ihm vorgehalten werden, in einem anständigen Ton, ohne Fragen zu berühren, die man in der zensurierten Presse nur nach Bureninscher Art behandeln kann, d. h. ohne die Marxisten mit allerhand Unrat in einen Topf zu werfen) und gegen ihn – oder, wenn nicht gegen ihn, so zumindest parallel mit ihm – seine eigenen Ansichten auseinandersetzte. Ich möchte natürlich nicht im geringsten Herrn Michailowski kränken, d. h. ihn den Sozialisten zuzählen, oder die russischen Sozialisten dadurch kränken, dass ich Herrn Michailowski ihnen gleichstelle. Ich glaube lediglich, dass die „Beweisführung" bei jenem wie bei diesen im Grunde die gleiche ist und der Unterschied lediglich in dem Grad der Sicherheit, der Aufrichtigkeit und der Folgerichtigkeit der Überzeugungen besteht.

Bei der Darlegung der Ideen der „Otjetschestwennyje Sapiski“ schrieb Herr Michailowski:

Zum Bereich der sittlich-politischen Ideale zählten wir, dass der Boden dem Ackerbauern und die Arbeitsmittel dem Produzenten gehören sollen."

Der Ausgangspunkt ist, wie man sieht, sehr wohlgemeint und zeugt von den allerbesten Wünschen…

Die bei uns noch bestehenden mittelalterlichen Arbeitsformen" („unter mittelalterlichen Arbeitsformen – erläuterte der Verfasser an einer anderen Stelle – sind nicht nur die Bodengemeinschaft, die Hausindustrie und die Artelorganisation zu verstehen. Alles dies sind gewiss mittelalterliche Formen, doch müssen ihnen alle jene Formen zugezählt werden, bei denen der Boden oder die Produktionsmittel den Arbeitenden gehören“) „sind stark erschüttert, allein wir sahen keinen Grund, irgendwelchen liberalen oder nicht-liberalen Doktrinen zuliebe mit ihnen ganz Schluss zu machen.“

Eine sonderbare Überlegung! Jedwede „Arbeitsformen“ können doch nur erschüttert sein, weil sie durch irgendwelche andere Formen ersetzt werden; indessen sehen wir bei unserem Verfasser nicht einmal den Versuch (und würden ihn auch bei keinem seiner Gesinnungsgenossen sehen), diese neuen Formen zu analysieren und zu erklären oder die Ursachen der Verdrängung der alten Formen durch diese neuen festzustellen. Noch sonderbarer ist der zweite Teil der Tirade:

Wir sahen keinen Grund, Doktrinen zuliebe mit diesen Formen Schluss zu machen.“

Über welche Mittel verfügen denn wir (d. h. die Sozialisten – siehe den oben gemachten Vorbehalt), um mit Arbeitsformen „Schluss zu machen“, d. h. um die gegebenen Produktionsverhältnisse zwischen den Mitgliedern der Gesellschaft umzubilden? Ist denn nicht der Gedanke einer Umbildung dieser Verhältnisse auf Grund einer Doktrin unsinnig? Hören wir "weiter:

Unsere Aufgabe besteht nicht darin, unbedingt eine ,bodenständige' Zivilisation aus eigenem nationalem Schoße hervorzubringen, ebenso wenig aber darin, die westliche Zivilisation vollständig, mit allen sie zerfleischenden Widersprüchen, auf unseren Boden zu verpflanzen: man muss das Gute nehmen, wo man es bekommt; ob es eigenes oder fremdes Gut ist, ist bereits eine Frage nicht des Prinzips, sondern der praktischen Zweckdienlichkeit. Das ist doch offenbar so einfach, klar und einleuchtend, dass darüber gar nicht zu reden ist.“

In der Tat, wie ist das einfach! Von überall das Gute „nehmen“, und die Sache ist erledigt! Von den mittelalterlichen Formen „nimmt“ man den Umstand, dass die Produktionsmittel dem Arbeitenden gehören, von den neuen (d. h. kapitalistischen) Formen dagegen „nimmt“ man Freiheit, Gleichheit, Bildung und Kultur, Was gibt es da noch zu reden! Die subjektive Methode in der Soziologie zeigt sich hier wie auf dem Präsentierteller: die Soziologie beginnt mit einer Utopie – dem Bodenbesitz des Arbeitenden – und zeigt die Bedingungen, unter denen das Erstrebte verwirklicht werden könne: Das Gute von hier und auch von dort zu „nehmen“. Dieser Philosoph betrachtet die gesellschaftlichen Verhältnisse rein metaphysisch, als ein einfaches mechanisches Aggregat dieser oder jener Institutionen, eine einfache mechanische Zusammenkoppelung dieser oder jener Erscheinungen. Er greift eine dieser Erscheinungen heraus – den Bodenbesitz des Ackerbauers in den mittelalterlichen Formen – und glaubt, man könne sie ebenso in beliebige andere Formen versetzen, wie man Ziegelsteine von dem einen Gebäude für ein anderes verwendet. Das bedeutet aber doch nicht, die gesellschaftlichen Verhältnisse zu studieren, sondern das Material, das studiert werden soll, zu verhunzen: denn die Wirklichkeit kennt keinen Bodenbesitz des Ackerbauers, der isoliert und für sich besteht, wie Sie sich Ihn denken. Es handelt sich hierbei lediglich um eines der Glieder der damaligen Produktionsverhältnisse. die darin bestanden, dass das Land unter die Großgrundbesitzer, die Gutsherren aufgeteilt war und dass die Gutsherren den Bauern diesen Boden zuteilten, um sie auszubeuten, so dass der Boden eine Art Naturalllohn war: er lieferte dem Bauern die notwendigen Produkte, damit dieser für den Gutsherrn das Mehrprodukt erzeugen konnte, er war die Grundlage für die Abgabenleistung der Bauern an die Gutsherren, Warum verfolgte der Verfasser dieses System der Produktionsverhältnisse nicht weiter, warum beschränkte er sich darauf, eine einzige Erscheinung herauszugreifen und sie auf diese Weise in einem gänzlich falschen Licht erscheinen zu lassen? Weil es der Verfasser nicht versteht, gesellschaftliche Fragen zu behandeln: er (ich wiederhole, dass ich die Betrachtungen des Herrn Michailowski nur als Beispiel für die Kritik des „gesamten“ russischen Sozialismus benütze) setzt sich gar nicht einmal das Ziel, die damaligen „Arbeitsformen“ zu erklären, sie als ein bestimmtes System der Produktionsverhältnisse, als eine bestimmte Gesellschaftsformation darzustellen. Ihm ist fremd, um in der Sprache von Marx zu reden, die dialektische Methode, die verlangt, dass die Gesellschaft als ein lebendiger Organismus in seinem Funktionieren und seiner Entwicklung betrachtet werde.

Da sich der Verfasser um die Gründe der Verdrängung der alten Arbeitsformen durch neue überhaupt nicht kümmert, begeht er in seinen Ausführungen über diese neuen Formen einen genau solchen Fehler. Er begnügt sich damit, festzustellen, dass diese Formen den Bodenbesitz der Ackerbauern „erschüttern“, d. h., allgemeiner gesagt, in der Trennung des Produzenten von den Produktionsmitteln zum Ausdruck kommen, und dies als dem Ideal nicht entsprechend zu verurteilen. Und wiederum ist sein Gedankengang ganz unsinnig: er greift eine Erscheinung heraus (die Landlosmachung), ohne auch nur den Versuch zu machen, sie als Glied bereits eines anderen Systems der Produktionsverhältnisse darzustellen, das auf der „Warenwirtschaft“ beruht, die unvermeidlich die Konkurrenz unter den Warenproduzenten, die Ungleichheit, den Ruin der einen und die Bereicherung der anderen erzeugt. Er hat eine Erscheinung, die Verelendung der Masse, festgestellt, die andere dagegen, die Bereicherung der Minderheit, beiseite geschoben und sich dadurch der Möglichkeit beraubt, auch nur eine von beiden zu verstehen.

Dabei nennt er derartige Methoden noch „Antworten suchen auf Fragen des Lebens in ihrer Form von Fleisch und Blut“ („Russkoje Bogatstwo“, Heft 1, 1894), während er, gerade im Gegenteil – da er weder versteht noch gewillt ist, die Wirklichkeit zu erklären, ihr offen ins Auge zu schauen –, vor diesen Fragen des Lebens mit seinem Kampf des Besitzenden gegen den Besitzlosen schmählicherweise ins Reich der harmlosen Utopien flüchtet; das nennt er „Antworten suchen auf die Fragen des Lebens in idealer Erfassung ihrer akuten und komplizierten realen Wirklichkeit“ („Russkoje Bogatstwo“, Heft 1), während er in Wirklichkeit eine Analyse und Erklärung dieser realen Wirklichkeit nicht einmal versucht hat.

Statt dessen hat er uns eine Utopie geboten, konstruiert durch sinnlosestes Herausreißen einzelner Elemente aus verschiedenen Gesellschaftsformationen –, aus der mittelalterlichen hat er das, aus der „neuen“ jenes genommen usw. Es ist begreiflich, dass eine so begründete Theorie abseits von der wirklichen gesellschaftlichen Evolution bleiben musste, aus dem einfachen Grunde, weil unsere Utopisten nicht in jenen gesellschaftlichen Verhältnissen zu leben und zu handeln hatten, die aus da und dort herausgegriffenen Elementen zusammengesetzt werden, sondern in jenen, die durch die Beziehungen des Bauern zum Kulaken (wirtschaftlich starken Bauern), des Hausgewerbetreibenden zum Aufkäufer, des Arbeiters zum Fabrikbesitzer bestimmt werden und die von ihnen absolut nicht verstanden wurden. Ihre Versuche und Anstrengungen, diese von ihnen nicht verstandenen Verhältnisse nach ihrem eigenen Ideal umzugestalten, mussten zwangsläufig scheitern.

Dies in ganz allgemeinen Zügen der Stand der Frage des Sozialismus in Russland zu der Zeit, da „die russischen Marxisten aufkamen“.

Diese begannen gerade mit der Kritik der subjektiven Methoden der früheren Sozialisten; sie begnügten sich nicht mit der Feststellung der Ausbeutung und ihrer Verurteilung, sondern wollten sie „erklären“. Da sie sahen, dass die ganze Geschichte Russlands nach der Reform13 in der Ruinierung der Masse und der Bereicherung einer Minderheit besteht; da sie die gigantische Enteignung der Kleinproduzenten beobachteten, die zugleich mit dem allgemeinen technischen Fortschritt erfolgte; da sie feststellten. dass diese entgegengesetzten Tendenzen dort entstehen, wo die Warenwirtschaft sich entwickelt, und sich in dem Maße verstärken, wie sich die Warenwirtschaft verstärkt –, so müssen sie daraus schließen, dass sie es mit einer bürgerlichen (kapitalistischen) Organisation der gesellschaftlichen Wirtschaft zu tun haben, die „zwangsläufig“ die Enteignung und Unterdrückung der Massen erzeugt. Ihr praktisches Programm wurde bereits unmittelbar durch diese Überzeugung bestimmt: es lief darauf hinaus, sich diesem Kampf des Proletariats gegen die Bourgeoisie, dem Kampf der besitzlosen Klassen gegen die Besitzenden anzuschließen. der den Hauptinhalt der ökonomischen Wirklichkeit Russlands vom entlegensten Dorf bis zur modernsten, vollendetsten Fabrik bildet. Wie sich anschließen? Auf die Antwort brachte sie wiederum die Wirklichkeit selbst. Der Kapitalismus hob die wichtigsten Industriezweige auf die Stufe der maschinellen Großindustrie; nachdem er auf diese Weise die Produktion vergesellschaftet hatte, schuf er die materiellen Bedingungen einer neuen Ordnung und schuf gleichzeitig eine neue soziale Kraft: die Klasse der Fabrikarbeiter, des städtischen Proletariats. Derselben bürgerlichen Ausbeutung unterworfen, wie es ihrem ökonomischen Wesen nach die Ausbeutung der gesamten werktätigen Bevölkerung Russlands ist, befindet sich diese Klasse in Bezug auf ihre Befreiung doch in einer besonders vorteilhaften Lage: sie ist bereits durch nichts mehr mit der alten, gänzlich auf Ausbeutung begründeten Gesellschaft verbunden; allein schon die Arbeits- und Lebensverhältnisse dieser Klasse organisieren sie, zwingen sie zum Denken, bieten ihr die Möglichkeit, die Arena des politischen Kampfes zu betreten. Es ist natürlich, dass die Sozialdemokraten dieser Klasse ihre ganze Aufmerksamkeit zuwandten und auf sie alle ihre Hoffnungen setzten, dass sie als ihr Programm die Entwicklung des Klassenbewusstseins dieser Klasse bezeichnen und ihre ganze Tätigkeit darauf richteten, dieser Klasse zu helfen, sich zum offenen politischen Kampf gegen das gegenwärtige Regime zu erheben und das gesamte russische Proletariat in diesen Kampf einzubeziehen.

Sehen wir uns nun an, wie Herr Michailowski die Sozialdemokraten befehdet. Was führt er zur Widerlegung ihrer theoretischen Ansichten ins Feld? Was hat er gegen ihre politische sozialistische Tätigkeit einzuwenden?

Die theoretischen Ansichten der Marxisten stellt der Kritiker folgendermaßen dar:

Die Wahrheit besteht“ – angeblich nach Behauptung der Marxisten – „darin, dass Russland kraft der immanenten Gesetze der historischen Notwendigkeit seine eigene kapitalistische Produktion samt allen ihren inneren Widersprüchen, samt dem Verschlingen der kleinen Kapitalien durch die großen entwickeln werde, währenddessen der von der Scholle losgerissene Bauer zum Proletarier werde, sich zusammenschließen, ,sich vergesellschaften' werde, womit das Ziel erreicht sein und der also beglückten Menschheit nur noch zu präsentieren sein werde.“

Da schaue man: die Marxisten unterscheiden sich also keineswegs von den Volksfreunden in der Auffassung der Wirklichkeit, sondern lediglich in der Vorstellung, die sie sich von der Zukunft machen: sie befassen sich wohl überhaupt nicht mit der Gegenwart, sondern lediglich mit „Aussichten“. Dass das gerade der Gedanke des Herrn Michailowski ist, kann keinem Zweifel unterliegen. Die Marxisten, meint er, „sind vollkommen überzeugt, dass ihr Voraussehen der Zukunft nichts Utopisches enthalte, sondern alles gemäß den Vorschriften strenger Wissenschaft abgewogen und abgemessen sei“; und schließlich noch klarer ausgedrückt: die Marxisten „glauben und bekennen die Unwandelbarkeit eines abstrakten historischen Schemas“.

Mit einem Wort, wir haben es hier mit jener banalsten und plattesten Beschuldigung gegen die Marxisten zu tun, auf der seit jeher alle jene herumreiten, die in der Sache selbst gegen die Ansichten der Marxisten nichts vorzubringen vermögen.

Die Marxisten bekennen die Unwandelbarkeit eines abstrakten historischen Schemas!!“

Das ist doch nichts als Lüge und Erfindung!

Kein Marxist hat sich irgendwo je des Arguments bedient, dass in Russland der Kapitalismus „sein muss“, „weil“ er im Westen war usw. Kein Marxist hat je in der Marxschen Theorie so etwas wie ein allgemein verbindliches philosophisch-historisches Schema gesehen, irgend etwas mehr als die Erklärung einer bestimmten ökonomischen Gesellschaftsformation. Einzig und allein der subjektive Philosoph Herr Michailowski hat es fertiggebracht, Marx so gründlich misszuverstehen, dass er bei ihm eine allgemein-philosophische Theorie zu finden glaubt, worauf ihn denn auch Marx in ganz bestimmter Weise darüber aufklärte, dass er sich in der Adresse geirrt habe. Nie hat auch nur ein Marxist seine sozialdemokratischen Ansichten auf etwas anderem begründet als auf der Übereinstimmung der Theorie mit der Wirklichkeit und der Geschichte der gegebenen, d. h. der russischen sozial-ökonomischen Verhältnisse. Es konnte sie auch keiner auf etwas anderem begründen, da diese Anforderung an die Theorie vom Begründer des „Marxismus“, von Marx selbst, vollkommen klar und bestimmt aufgestellt und zum Eckpfeiler seiner ganzen Lehre gemacht worden ist.

Herr Michailowski kann natürlich diese Erklärungen, soviel er will, mit dem Einwand widerlegen, er habe doch „mit eigenen Ohren“ das Bekenntnis zum abstrakten historischen Schema gehört. Was geht aber uns Sozialdemokraten oder sonst jemanden der Umstand an, dass Herr Michailowski allerhand absurden Unsinn seiner Gesprächspartner anhören musste? Beweist das nicht nur das eine, dass er bei der Wahl seiner Gesprächspartner eine glückliche Hand hat, sonst nichts? Gewiss, es ist durchaus möglich, dass sich diese geistreichen Gesprächspartner des geistreichen Philosophen Marxisten, Sozialdemokraten und dgl. nannten, allein wer wüsste denn nicht, dass heutzutage (wie längst bemerkt worden ist) jeder Lump gern in „rotem“ Gewand paradiert? (All das ist unter der Voraussetzung geschrieben, dass Herr Michailowski tatsächlich Bekenntnisse zu abstrakten historischen Schemata gehört und dass er nichts verballhornt hat. Immerhin halte ich es für unbedingt notwendig, hier den Vorbehalt zu machen: wofür ich gekauft, dafür verkaufe ich auch.14 Und wenn nun Herr Michailowski so scharfsichtig ist, dass er solche „Vermummte“ nicht von Marxisten zu unterscheiden vermag, oder wenn er Marx so gründlich verstanden hat, dass er dieses von ihm auf das nachdrücklichste betonte Kriterium seiner ganzen Lehre (die Formulierung „dessen, was vor unseren Augen geschieht“) nicht bemerkt hat, so beweist das wiederum nur, dass Herr Michailowski nicht klug ist, und nichts weiter.

Auf jeden Fall hätte er, wenn er in der Presse eine Polemik gegen „Sozialdemokraten“ begann, jene Gruppe von Sozialisten im Auge haben müssen, die diesen Namen seit langem, und zwar allein trägt, so dass keine anderen mit ihr verwechselt werden können, und die ihre literarischen Vertreter hat: Plechanow und seinen Zirkel. Und hätte er das getan – was doch jeder halbwegs anständige Mensch hätte tun müssen – und sich beispielsweise an die erste15 sozialdemokratische Schrift gehalten, an das Buch Plechanows „Unsere Differenzen“, so hätte er da gleich auf den ersten Seiten die folgende, im Namen aller Mitglieder des Zirkels abgegebene kategorische Erklärung des Verfassers lesen können:

Wir wollen unser Programm keinesfalls durch die Autorität eines großen Namens“ (d. h. die Autorität von Marx) „decken“.

Verstehen Sie russisch, Herr Michailowski? Begreifen Sie den Unterschied zwischen dem Bekenntnis zu abstrakten Schemata und dem Verzicht auf jede Autorität von Marx bei Erörterung russischer Angelegenheiten?

Begreifen Sie, dass Sie unehrlich handelten, als Sie das erstbeste Urteil, mit dem Sie von Ihren Gesprächspartnern beglückt wurden, für marxistisch ausgaben, hingegen die im Namen der ganzen Gruppe abgegebene gedruckte Erklärung eines der hervorragenden Mitglieder der Sozialdemokratie unbeachtet ließen?

Weiter lautet die Erklärung noch bestimmter:

Ich wiederhole“ – schreibt Plechanow – „: unter den konsequentesten Marxisten ist eine Meinungsverschiedenheit in der Beurteilung der heutigen russischen Wirklichkeit möglich“; unsere Doktrin ist „der erste Versuch, die vorliegende wissenschaftliche Theorie auf die Analyse überaus verwickelter und verworrener gesellschaftlicher Verhältnisse anzuwenden.“

Es scheint, man könnte schwerlich klarer sprechen: die Marxisten entlehnen der Marxschen Theorie bedingungslos nur die wertvollen Methoden, ohne die eine Aufhellung der gesellschaftlichen Verhältnisse unmöglich ist, und sehen folglich das Kriterium ihrer Beurteilung dieser Verhältnisse keineswegs in abstrakten Schemata und ähnlichem Unsinn, sondern darin, ob diese Beurteilung wahrheitsgetreu ist und mit der Wirklichkeit übereinstimmt.

Oder glauben Sie etwa, der Verfasser hätte, während er derlei Erklärungen abgab, in Wirklichkeit sich etwas anderes gedacht? Das stimmt aber nicht. Die Frage, die ihn beschäftigte, lautete: „Muss Russland die kapitalistische Phase der Entwicklung durchmachen?“ Diese Frage war folglich ganz und gar nicht marxistisch, sondern nach den subjektiven Methoden verschiedener vaterländischer Philosophen formuliert, die das Kriterium dieses Müssens, man wird nicht klug daraus, in der Politik der Obrigkeit, in der Tätigkeit der „Öffentlichkeit“, im Ideal einer Gesellschaft, „die der menschlichen Natur entspricht“ und in ähnlichem dummen Zeug erblicken. Es fragt sich jetzt: wie hätte jemand, der sich zu abstrakten Schemata bekennt, auf diese Frage antworten müssen? Offenbar hätte er von der Unanfechtbarkeit des dialektischen Prozesses, von der allgemeinen philosophischen Bedeutung der Marxschen Theorie, von der Notwendigkeit für jedes Land, die Phase des … durchzumachen usw. usf. gesprochen,

Und wie antwortete Plechanow?

So, wie es von einem Marxisten anders nicht zu erwarten war:

Er ließ die Frage des Müssens, als eine müßige und lediglich Subjektivisten interessierende Frage, beiseite und sprach dauernd nur von den wirklichen gesellschaftlich-ökonomischen Verhältnissen, von ihrer wirklichen Evolution. Darum gab er auch keine direkte Antwort auf die falsch gestellte Frage, sondern entgegnete statt dessen: „Russland hat den kapitalistischen Weg beschritten.“

Herr Michailowski orakelt dagegen mit Kennermiene über das Bekenntnis zum abstrakten historischen Schema, über die immanenten Gesetze der Notwendigkeit und ähnlichen unglaublichen Unsinn! Und nennt das „Polemik gegen die Sozialdemokraten“!!

Das verstehe, wer will! Wenn das ein Polemiker sein soll, was ist dann ein bloßer Kläffer?!

Zu den oben angeführten Ausführungen des Herrn Michailowski muss noch vermerkt werden, dass er die Ansichten der Sozialdemokraten in der Weise darlegt, als werde „Russland seine eigene kapitalistische Produktion ,entwickeln'.“ Nach der Meinung dieses Philosophen besitzt Russland offenbar keine „eigene“ kapitalistische Produktion. Der Verfasser scheint die Auffassung zu teilen, derzufolge sich der russische Kapitalismus auf die 1,5 Millionen Arbeiter beschränkt. Wir werden dieser kindischen Idee unserer „Volksfreunde“, die die gesamte übrige Ausbeutung der freien Arbeit unbekannt wohin verweisen, noch weiter unten begegnen.

Russland wird seine eigene kapitalistische Produktion mit allen ihren inneren Widersprüchen entwickeln, währenddessen der von der Scholle losgerissene Bauer zum Proletarier werden wird.“

Je tiefer in den Wald, desto mehr Holz! Russland kennt somit keine „inneren Widersprüche“, d. h. geradeheraus gesprochen, keine Ausbeutung der Volksmasse durch eine Handvoll Kapitalisten, keine Ruinierung der gewaltigen Mehrheit der Bevölkerung und keine Bereicherung einer Handvoll Personen? Der Bauer soll wohl erst von der Scholle losgerissen werden? Worin besteht denn aber die ganze Geschichte Russlands nach der Reform sonst als in einer in dieser Intensität nirgends gesehenen Massenenteignung der Bauernschaft? Es gehört reichlich viel Mut dazu, derlei Dinge offen zu verkünden. Und Herr Michailowski verfügt über diesen Mut:

Marx hatte es mit einem fertigen Proletariat und einem fertigen Kapitalismus zu tun, wir dagegen müssen sie uns erst schaffen.“

Russland muss sein Proletariat erst noch schaffen?! In Russland, in dem allein man ein dermaßen trostloses Elend der Massen, eine dermaßen dreiste Ausbeutung des Werktätigen finden kann, dass man es (und mit Recht) in der Lage seiner armen Volksschichten mit England verglichen hat; in Russland, wo das Hungern von Millionenmassen des Volkes bei z. B. gleichzeitig immer zunehmendem Getreideexport eine ständige Erscheinung ist – in Russland gibt es kein Proletariat!!

Ich glaube, für diese klassischen Worte sollte man Herrn Michailowski noch bei Lebzeiten ein Denkmal errichten!

(Vielleicht würde sich Herr Michailowski übrigens auch hier herauszuwinden versuchen, durch den Einwand: Ich habe ja gar nicht sagen wollen, dass es in Russland überhaupt kein Proletariat gibt, sondern nur, dass es dort kein kapitalistisches Proletariat gibt. Ja?" Warum haben Sie das dann nicht gesagt? Die „ganze Frage" besteht ja darin, ob das russische Proletariat ein Proletariat ist, wie es der bürgerlichen Organisation der gesellschaftlichen Wirtschaft eigen ist oder irgendein anderes. Wer kann was dafür, dass Sie in ganzen zwei Artikeln „kein Wort“ über diese einzig ernste und wichtige Frage verloren, sondern es vorgezogen haben, allerhand Unsinn zu schwatzen, und sich dabei ins Absurde verlieren?)

Übrigens werden wir weiter unten noch sehen, dass es nun einmal die ständige und überaus konsequente Taktik der „Volksfreunde“ ist, gegenüber der unerträglichen Lage der Werktätigen in Russland pharisäisch die Augen zu schließen und sie bloß als „erschüttert“ hinzustellen, so dass Anstrengungen der „gebildeten Gesellschaft“ und der Regierung genügen, alles ins rechte Geleise zu bringen. Diese Ritter glauben, dass, wenn sie vor der Tatsache die Augen schließen, dass die Lage der werktätigen Masse nicht darum schlecht ist, weil sie „erschüttert“ ist, sondern weil diese Masse in schamlosester Weise von einer Handvoll Ausbeutern ausgeplündert wird, dass, wenn sie gleich dem Vogel Strauß die Köpfe in den Sand stecken, um diese Ausbeuter nicht zu sehen –, diese Ausbeuter verschwinden werden. Und wenn ihnen die Sozialdemokraten erwidern, dass es schmachvolle Feigheit ist, sich zu fürchten, der Wirklichkeit ins Auge zu schauen; wenn die Sozialdemokraten diese Tatsache der Ausbeutung zum Ausgangspunkt nehmen und sagen, dass ihre einzig mögliche Erklärung in der bürgerlichen Organisation der russischen Gesellschaft, die die Masse des Volkes in Proletariat und Bourgeoisie spaltet, sowie im Klassencharakter des russischen Staates zu suchen sei, der nichts anderes als das Organ der Herrschaft dieser Bourgeoisie darstellt, dass deshalb der „einzige Ausweg“ im Klassenkampf des Proletariats gegen die Bourgeoisie bestehe – dann erheben diese „Volksfreunde“ ein Geschrei, dass die Sozialdemokraten dem Volk den Grund und Boden nehmen, dass sie unsere volkstümliche Wirtschaftsorganisation zerstören wollen!!

Wir kommen nun zu der empörendsten Stelle dieser ganzen, gelinde ausgedrückt, unanständigen „Polemik“, nämlich zu der „Kritik“ (?) des Herrn Michailowski an der politischen Tätigkeit der Sozialdemokraten. Jedermann versteht, dass die Tätigkeit der Sozialisten und der Agitatoren unter den Arbeitern in unserer legalen Presse keiner ehrlichen Erörterung unterzogen werden kann und dass das einzige, was da eine der Zensur unterworfene anständige Presse zu tun vermag, ein „taktvolles Schweigen“ ist.

Herr Michailowski hat diese ganz elementare Regel vergessen, und er macht sich kein Gewissen daraus, sich seines Monopols, zum lesenden Publikum zu sprechen, zu bedienen, um die Sozialisten mit Schmutz zu bewerfen!

Es werden sich jedoch auch außerhalb der legalen Presse noch Mittel zur Bekämpfung dieses unverfrorenen Kritikers finden.

Soweit ich es verstehe“ – tut Herr Michailowski naiv –, „lassen sich die russischen Marxisten in drei Kategorien einteilen: beobachtende Marxisten (unbeteiligte Beobachter des Prozesses), passive Marxisten (die lediglich ,die Geburtswehen erleichtern'; diese ,interessieren sich nicht für das Volk, das auf der Scholle sitzt, sondern richten ihre Aufmerksamkeit und setzen ihre Hoffnung auf diejenigen, die bereits von den Produktionsmitteln getrennt sind') und aktive Marxisten (die offen auf dem weiteren Ruin des Dorfes bestehen).“

Was heißt das?! Der Herr Kritiker muss doch wissen, dass die russischen Marxisten Sozialisten sind, die von der Ansicht ausgehen. dass die Wirklichkeit eine kapitalistische Gesellschaft darstellt und dass es nur einen Ausweg aus dieser gibt: den Klassenkampf des Proletariats gegen die Bourgeoisie? Wieso und wozu vermengt er ihre Ansichten mit irgendwelcher sinnlosen Plattheit? Welches (natürlich moralische) Recht hat er, die Bezeichnung Marxisten auf Leute auszudehnen, die offenbar die elementarsten und grundlegenden Sätze des Marxismus nicht anerkennen, auf Leute, die nie und nirgends als eine besondere Gruppe aufgetreten sind, nie und nirgends irgendein eigenes, besonderes Programm aufgestellt haben ?

Herr Michailowski hat sich eine ganze Reihe von Hintertürchen offengelassen, um derartige empörende Methoden zu rechtfertigen.

Vielleicht“ – witzelt er mit der Grazie eines Gecken – „sind es gar keine wirklichen Marxisten, allein sie betrachten und bezeichnen sich als solche.“

Wo und wann haben sie sich als solche bezeichnet? In den Petersburger liberalen und radikalen Salons? In Privatbriefen? Mag sein. So unterhalten Sie sich auch gefälligst mit ihnen in Ihren Salons und in Ihrer Korrespondenz! Aber Sie treten ja öffentlich in der Presse gegen Leute auf, die (unter dem Banner des Marxismus) nie und nirgends öffentlich aufgetreten sind. Und dabei wagen Sie es noch, zu erklären, dass Sie gegen „Sozialdemokraten“ polemisieren, obwohl Sie wissen, dass diesen Namen nur „eine einzige“ Gruppe revolutionärer Sozialisten trägt und dass mit ihr sonst niemand verwechselt werden darf!

(Ich will bei dem einen bei Herrn Michailowski Vorkommenden Hinweis auf, „Tatsachen“ verweilen. Jeder, der seinen Artikel gelesen hat, wird zugeben müssen, dass er auch Herrn Skworzow – den Verfasser der „Ökonomischen Ursachen der Hungersnöte" – zu den „Marxisten“ zählt. Dabei bezeichnet sich dieser Herr selbst nicht als solchen, und die elementarste Vertrautheit mit den Schriften der Sozialdemokraten genügt, um zu erkennen, dass er von deren Standpunkt aus ein ganz ordinärer Bourgeois ist und nichts weiter. Was ist das für ein Marxist, der nicht begreift, dass jenes soziale Milieu, für das er seine Fortschrittsrezepte zusammenstellt, ein bürgerliches Milieu ist, und dass daher aller „Kulturfortschritt“. der tatsächlich selbst in der Bauernwirtschaft zu beobachten ist, ein bürgerlicher Fortschritt ist, der die Lage einer Minderheit verbessert, die Massen hingegen proletarisiert! Was ist das für ein Marxist, der nicht begreift, dass der Staat, an den er sich mit seinen Rezepten wendet, ein Klassenstaat ist, der lediglich einer Unterstützung der Bourgeoisie und einer Unterdrückung des Proletariats fähig ist!) Herr Michailowski windet sich und dreht sich wie ein ertappter Gymnasiast: mich trifft doch hierbei keinerlei Schuld – bemüht er sich dem Leser zu beweisen –, ich habe es „mit eigenen Ohren gehört und eigenen Augen gesehen“. Schon gut! Wir glauben Ihnen gern, dass Sie nur fade Kerle und Lumpen zu Gesicht bekommen, aber was in aller Welt hat das mit uns Sozialdemokraten zu tun? Wer weiß denn nicht, dass „gegenwärtig, wo“ nicht nur eine sozialistische, sondern jede halbwegs selbständige und ehrliche öffentliche Tätigkeit politische Verfolgungen zur Folge hat, auf jeden, der sich unter diesem oder jenem Banner – sei es nun das des „Volkswillens“, des Marxismus oder selbst, sagen wir, des Konstitutionalismus – tatsächlich betätigt, etliche Dutzende Phrasendrescher entfallen, die mit diesem Namen ihre liberale Feigheit verdecken, überdies vielleicht auch noch einige ausgekochte Schufte, die dabei ihre eigenen Geschäfte besorgen? Ist es nicht klar, dass nur allerniedrigste Plattheit irgendeiner dieser Richtungen die Tatsache vorzuwerfen vermag, dass ihr Banner (und dabei nicht öffentlich und offen) von allerlei Halunken beschmutzt wird? Die ganze Darlegung des Herrn Michailowski ist nichts als eine Kette von Verdrehungen, Entstellungen und Unterschiebungen. Wir sahen oben, dass er diejenigen „Wahrheiten“, von denen die Sozialdemokraten ausgehen, vollkommen verdreht und so dargestellt hat, wie kein Marxist sie je dargestellt hat oder darstellen konnte. Und hätte er die wahre Auffassung der Sozialdemokraten von der russischen Wirklichkeit dargestellt, so hätte er nicht umhin können, zu sehen, dass man „nur in einer Weise“ mit diesen Ansichten „in Übereinstimmung gelangen“ kann: dadurch, dass man die Entwicklung des Klassenbewusstseins des Proletariats fördert, das Proletariat zum politischen Kampf gegen die gegenwärtige Ordnung organisiert und zusammenfasst. Übrigens ist ihm doch ein Kniff geblieben. Die gekränkte Unschuld spielend, wendet er seine Blicke pharisäisch gen Himmel und spricht mit süßlicher Stimme:

Es freut mich sehr, das zu hören, allein ich verstehe nicht, wogegen ihr protestiert?“ (so heißt es wörtlich in Heft 2 des „Russkoje Bogatstwo“). „Lest doch aufmerksam, was ich über die passiven Marxisten sage, und ihr werdet sehen, dass ich erkläre: vom ethischen Standpunkt lässt sich nichts einwenden.“

Das ist natürlich nichts anderes als ein Wiederkäuen der früheren, kläglichen Ausflüchte.

Sagen Sie gefälligst: wie würde man die Handlungsweise eines Menschen bezeichnen, der erklärte, er kritisiere das sozialrevolutionäre Narodnikitum (ein anderes ist noch gar nicht hervorgetreten – ich nehme eine solche Periode), und der etwa folgende Dinge vorzubringen begänne:

Soweit ich es verstehe, lassen sich die Narodniki in drei Kategorien einteilen: konsequente Narodniki, die die Ideen des Bauern ganz akzeptieren und in voller Übereinstimmung mit seinen Wünschen die Ruten und das Prügeln der Frauen verallgemeinern und überhaupt jene niederträchtigste Politik der Regierung der Peitsche und des Stockes gutheißen, die ja als Volkspolitik bezeichnet wurde; sodann feige Narodniki, die sich für die Ansichten des Bauern nicht interessieren und lediglich versuchen, durch Assoziationen und dgl., nach Russland eine ihm fremde revolutionäre Bewegung zu verpflanzen, wogegen sich übrigens vom Standpunkt der Ethik aus nichts einwenden ließe, wäre der Weg nicht allzu schlüpfrig, so dass der feige Narodnik sich leicht in einen konsequenten oder kühnen Narodnik verwandeln kann; endlich kühne Narodniki, die die volksnahen Ideale des wirtschaftlich starken Bauern uneingeschränkt zu verwirklichen suchen und sich daher auf der Scholle niederlassen, um als wirkliche Kulaken zu wirtschaften?“ Alle anständigen Menschen würden das natürlich eine niederträchtige und platte Verhöhnung nennen. Und könnten dabei die Narodniki dem Manne, der solche Dinge schriebe, in derselben Presse nicht entgegentreten, wären zudem die Ideen der Narodniki bis dahin nur illegal vertreten worden, so dass viele Menschen von ihnen gar keine genaue Vorstellung hätten und leicht alles glauben könnten, was ihnen über die Narodniki erzählt wird –, dann wären sich doch wohl alle einig darüber, dass ein solcher Mann ein …

Übrigens hat vielleicht Herr Michailowski selbst noch nicht ganz das Wort vergessen, das hier einzusetzen wäre.

Jedoch genug! Man findet bei Herrn Michailowski noch eine Fülle ähnlicher Verleumdungen, ich kenne aber keine ermüdendere, undankbarere, schmutzigere Beschäftigung als das Herumwühlen in diesem Dreck, das Herausfischen hier und da verstreuter Andeutungen, ihre Konfrontierung und das Suchen sei es auch nur nach einem ernsten Einwand.

Genug!

April 1894

1„Volksfreunde" nannten sich zuweilen die Narodniki in den neunziger Jahren des vorigen Jahrhunderts in der legalen Literatur. D. Red.

2 Epigramm von Lessing. D. Red.

3 Gesellschaftsvertrag D. Red.

4 wohl zu beachten. d. Red.

5 Affinität – Verwandtschaft, d. Red.

6 Zweites Ich. D. Red.

7 das Äußerste, die höchste Stufe. D. Red.

* Zu diesem sinnlosen Ausdruck muss bemerkt werden, dass Herr Michailowski Marx besonders hervorhebt (als einen zu klugen und zu gelehrten Mann, als dass unser Kritiker diesen oder jenen seiner Sätze direkt oder offen kritisieren könnte), dann folgen bei ihm Engels („kein so schöpferischer Geist“), sodann mehr oder minder selbständige Köpfe, wie Kautsky, und schließlich die übrigen Marxisten. Nun, welche ernsthafte Bedeutung kann diese Klassifikation haben? Ist der Kritiker mit den Marxpopularisatoren unzufrieden, wer hindert ihn denn, sie nach Marx zu korrigieren? Er tut nichts dergleichen. Offenbar wollte er versuchen, geistreich zu sein, es kam aber nur eine Banalität heraus.

8 Aus der Fabel: „Der Elefant und der Mops“ des russischen Fabeldichters Krylow. D. Red.

** Das ist ganz klar im „Kapital“ und in der Taktik der Sozialdemokraten, verglichen mit jener der früheren Sozialisten, zum Ausdruck gekommen. Marx stellte direkt die Forderung auf, sich nicht auf die ökonomische Seite zu beschränken. Im Jahre 1843 schrieb Marx in Verbindung mit der Skizzierung des Programms einer geplanten Zeitschrift an Ruge: „Und das ganze sozialistische Prinzip ist wieder nur die eine Seite … Wir haben uns eben sowohl um die andere Seite, um die theoretische Existenz des Menschen zu kümmern, als Religion, Wissenschaft etc. zum Gegenstand unserer Kritik zu machen … Wie die Religion das Inhaltsverzeichnis von den theoretischen Kämpfen der Menschheit, so ist es der politische Staat von ihren praktischen. Der politische Staat drückt also innerhalb seiner Form sub specie rei publicae (unter politischem Gesichtswinkel) alle sozialen Kämpfe, Bedürfnisse, Wahrheiten aus. Es ist also durchaus nicht unter der hauteur des principes (Höhe der Prinzipien. D. Red.), die speziellste politische Krage – etwa den Unterschied von ständischem und repräsentativem System – zum Gegenstand der Kritik zu machen. Denn diese Frage drückt nur auf politische Weise den Unterschied von der Herrschaft des Menschen und der Herrschaft des Privateigentums aus. Der Kritiker kann also nicht nur, er muss in diese politischen Fragen (die nach der Ansicht der krassen Sozialisten unter aller Würde sind) eingehen “

9 Zum ersten Punkt. D. Red.

10 Vollständig, im ganzen Umfang. D. Red.

11 Was Jupiter erlaubt ist, ist dem Ochsen nicht erlaubt. D. Red.

12 Deutsch: Unbeteiligter, Beiseite stehender – Pseudonym N. K. Michailowskis. D. Red.

13 Die Agrarreform (Aufhebung der Leibeigenschaft) im Jahre 1861, D. Red.

14 Russische Redensart mit dem Sinne: ich gebe es weiter, wie ich es gehört, ohne nachzuprüfen. D. Red.

15d. h. die erste russische. D. Red.

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