Lenin‎ > ‎1904‎ > ‎

Wladimir I. Lenin 19041200 Brief an M. M. Litwinow

Wladimir I. Lenin: Brief an M. M. Litwinow1

[Geschrieben im Dezember 1904 Zum ersten Mal veröffentlicht 1926 im „Lenin-Sammelbuch" Nr. 5. Nach Nach Sämtliche Werke, Band 7, 1929, S. 31-33]

Lieber Freund! Ich beeile mich, Ihren Brief zu beantworten, der mir sehr, sehr gefallen hat. Sie haben tausendmal recht, dass man entschieden, revolutionär handeln und das Eisen schmieden muss, so lange es heiß ist. Ich bin auch damit einverstanden, dass man gerade die Komitees der Mehrheit vereinigen muss. Die Notwendigkeit eines Zentrums in Russland und eines Organs hier leuchtet uns jetzt allen ein. Für letzteres haben wir bereits alles getan, was wir tun konnten. Rjadowoi bietet alles auf, er hat Mitarbeiter gewonnen, widmet sich selbst ganz der Sache und ist mit allen Kräften auf der Suche nach einem Millionär, mit nicht geringen Aussichten auf Erfolg. Schließlich haben Sie auch tausendmal Recht, dass man offen handeln muss. Die strittige Frage zwischen uns betrifft lediglich eine Einzelheit, und diese muss man kaltblütig überlegen, nämlich: Konferenz der Komitees oder direkte Bildung eines „Büros der Komitees der Mehrheit" (diese Bezeichnung sagt uns besser zu als Organisationskomitee, obwohl es natürlich auf den Namen nicht ankommt), derart, dass dieses Büro zunächst von einigen und später erst von allen Komitees anerkannt wird. Sie sind für das erste, wir für das zweite. Wäre eine Konferenz im Auslande möglich, so wäre ich durchaus dafür. In Russland jedoch wäre so etwas verteufelt gefährlich, langwierig und wenig produktiv. Inzwischen haben Odessa + Nikolajew + Jekatorinoslaw sich bereits verständigt und die „22" beauftragt, „ein Organisationskomitee zu ernennen". In unserer Antwort haben wir den Namen „Büro der Komitees der Mehrheit" und sieben Kandidaten vorgeschlagen (Russalka, Felix, Semljatschka, Pawlowitsch, Gussew, Alexejew, Baron). Wir schreiben darüber nach Odessa und St. Petersburg. Alexejew ist bereits zu Ihnen abgereist. Wäre es nicht besser, die Wahl der Kandidaten durch Riga, St. Petersburg und Moskau vornehmen zu lassen, dies sofort öffentlich bekanntzugeben (den Entwurf eines Kommuniqués senden wir anbei), dann zum Nordkomitee, nach dem Kaukasus, nach Saratow, Nishni usw. hinzufahren und sie zu ersuchen, sich dem Büro anzuschließen und dieses in möglichst liberaler Weise durch ein paar ihrer Kandidaten zu ergänzen (obwohl es nicht sehr wahrscheinlich ist, dass die sich anschließenden Komitees große Ergänzungen in der Zusammensetzung des Büros verlangen werden). Ich kann mir absolut nicht vorstellen, dass wir wegen der Zusammensetzung des Büros Schwierigkeiten haben sollten.

Die Vorteile eines solchen Verfahrens sind: Schnelligkeit, Wohlfeilheit, Gefahrlosigkeit. Diese Vorteile sind sehr wichtig, denn alles kommt jetzt auf Schnelligkeit an. Das Büro wird das offizielle Organ der Vereinigung der Komitees sein und im Falle einer Spaltung faktisch das ZK durchaus ersetzen können. Die Zusammensetzung der literarischen Gruppe für unser künftiges ZO2 ist ebenfalls bereits vorgemerkt (fünf oder sechs: Rjadowoi, Galerka, ich, Schwarz plus Lunatscharski, dazu vielleicht Basarow). Den Transport müssen Sie in die Hand nehmen, und zwar so energisch wie möglich. Wir haben hier einen ehemaligen Bundisten gewonnen, der an zwei Grenzen recht viel gearbeitet hat; er verspricht, für 200 bis 300 Rubel monatlich die Sache zu deichseln. Wir warten nur auf das Geld und dann werden wir ihn mit Ihnen zusammenbringen.

Der Nachteil Ihres Verfahrens ist die Verzögerung. Ich halte es für völlig nutzlos, dem ZK und dem Parteirat Ultimatums zu stellen. Das ZK heuchelt; ich zweifle jetzt keinen Augenblick mehr daran, dass sie sich der Minderheit vollständig verkauft haben, und dass sie durchaus und unbedingt auf eine Fälschung des Parteitages ausgehen. Man soll sich keine Illusionen machen. Jetzt, wo alle Zentralinstanzen in ihren Händen sind, haben sie tausenderlei Mittel, den Parteitag zu fälschen und sie haben damit bereits begonnen. Wir werden in der Presse den Nachweis dafür erbringen durch eine Analyse der Beschlüsse des Parteirats („Iskra" Nr. 73/74, Beilage). Wir treten natürlich für einen Parteitag ein und werden es auch weiter tun, aber man muss überall hinausposaunen, dass sie den Parteitag bereits fälschen und dass wir die Fälschung entlarven werden. Faktisch jedoch stelle ich jetzt den Parteitag an die neunte Stelle und an die erste – das Organ und das russische Zentrum. Von Illoyalität zu sprechen, ist lächerlich, wo sie uns doch direkt dazu gedrängt haben, indem sie mit der Minderheit ein Übereinkommen trafen. Es ist Schwindel, dass die geheime Organisation der Minderheit aufgelöst sei; nein, drei Mitglieder des ZK sind in diese geheime Organisation eingetreten, das ist alles. Alle drei Zentralinstanzen bilden jetzt eine geheime Organisation gegen die Partei. Nur Narren sehen das nicht. Wir müssen mit einer offenen Organisation antworten und ihre Verschwörung entlarven.

Bitte, stärken Sie bei allen den Glauben an unsere Organisation und an das künftige Organ. Nur muss man sich noch etwas gedulden, bis Rjadowoi seine Sache zu Ende führt. Sammeln Sie und senden Sie uns Korrespondenzen (stets mit der Aufschrift: an Lenin) und Materialien, besonders von Arbeitern. Wir stimmen nur über eine Einzelheit mit Ihnen nicht überein, da ich mich über eine Konferenz natürlich nur gefreut hätte. Aber wahrhaftig, es lohnt sich nicht. Es ist viel besser, wir rücken sofort und ungesäumt mit dem Kommuniqué eines Büros heraus, denn über dessen persönliche Zusammensetzung werden wir uns leicht verständigen, und Konflikte auf diesem Boden sind unwahrscheinlich. Sobald aber das Büro seine Existenz bekannt gibt, wird es rasch anerkannt werden und es wird dann beginnen, im Namen aller Komitees zu sprechen. Lassen Sie es sich noch einmal gründlich durch den Kopf gehen und antworten Sie so schnell wie möglich.

1 Der Brief hatte die Überschrift: „An Papachen von Lenin". Papachen war der Parteideckname M. M. Litwinows, der schon damals ein prominenter Bolschewik war. L. war formell Beauftragter des ZK für das Nordwestgebiet, gleichzeitig war er als Mitglied des Rigaer Parteikomitees tätig und verwaltete den Grenzverkehr.

Kommentare