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Wladimir I. Lenin 19090200 Auf den richtigen Weg

Wladimir I. Lenin: Auf den richtigen Weg1

[Nach Ausgewählte Werke, Band 4, Wien 1933, S. 3-12]

Ein Jahr des Zerfalls, ein Jahr der ideologisch-politischen Auflösung, ein Jahr der Weglosigkeit für die Partei liegt hinter uns. Die Parteiorganisationen haben alle an Mitgliedern eingebüßt, einige — und zwar jene, deren Bestand am wenigsten Proletarier aufwies — sind eingegangen. Die durch die Revolution geschaffenen halblegalen Parteiinstitutionen sind eine nach der anderen aufgeflogen. Es ist so weit gekommen, dass es für einige, dem Einfluss des Zerfalls unterlegene Elemente innerhalb der Partei fraglich geworden ist, ob die bisherige sozialdemokratische Partei aufrechterhalten bleiben, ob ihre Sache fortgeführt werden, ob man erneut in die Illegalität untertauchen und wie man das anstellen soll — und auf diese Frage haben die äußersten Rechten eine Antwort im Sinne der Legalisierung um jeden Preis, sogar um den Preis des offenkundigen Verzichts auf Programm, Taktik und Organisation der Partei erteilt (die sogenannte liquidatorische Strömung). Die Krise war unzweifelhaft nicht nur eine organisatorische, sondern auch eine ideologisch-politische.

Die vor kurzem abgehaltene Reichskonferenz der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Russlands bringt die Partei wieder auf den Weg und stellt unverkennbar einen Wendepunkt in der Entwicklung der russischen Arbeiterbewegung nach dem Siege der Konterrevolution dar. Die Beschlüsse der Konferenz, die in dem besonderen, vom Zentralkomitee unserer Partei herausgegebenen Mitteilungsblatt“ erschienen sind, sind vom ZK bestätigt und stellen infolgedessen bis zum nächsten Parteitag Beschlüsse der Gesamtpartei dar. In diesen Beschlüssen ist auf die Frage der Ursache und der Bedeutung der Krise ebenso wie der Mittel des Herauskommens aus ihr eine durchaus bestimmte Antwort gegeben. Unsere Organisationen werden, wenn sie im Geiste der Resolutionen der Konferenz arbeiten und es ihnen gelingt, alle Parteifunktionäre zu einem klaren und vollen Verständnis der gegenwärtigen Aufgaben der Partei zu bringen, imstande sein, ihre Kräfte zu festigen und zu einer einmütigen und lebendigen revolutionären sozialdemokratischen Arbeit zusammenzufassen.

Der Hauptgrund der Krise der Partei wird in der Begründung der organisatorischen Resolution aufgezeigt. Dieser Hauptgrund besteht in der Säuberung der Arbeiterpartei von den schwankenden intellektuellen und kleinbürgerlichen Elementen, die sich der Arbeiterbewegung in der Hauptsache in der Hoffnung auf einen nahen Triumph der bürgerlich-demokratischen Revolution angeschlossen haben und die in der Periode der Reaktion nicht standzuhalten vermochten. Die mangelnde Standhaftigkeit zeigte sich sowohl auf dem Gebiete der Theorie („Abrücken vom revolutionären Marxismus“: Resolution zur augenblicklichen Lage) als auch auf dem Gebiete der Taktik („Beschneiden der Losungen“) und auf dem Gebiete der organisatorischen Politik der Partei. Die klassenbewussten Arbeiter widersetzten sich dieser Unbeständigkeit, machten energisch gegen das Liquidatorentum Front und begannen die Leitung der Geschäfte der Parteiorganisationen sowie ihre Führung selbst in die Hand zu nehmen. Wenn dieser grundlegende Kern unserer Partei die Elemente der Auflösung und der Krise nicht gleich zu bannen vermochte, so nicht nur deshalb, weil die Aufgabe angesichts des Triumphes der Konterrevolution groß und schwer war, sondern auch deshalb, weil sich eine gewisse Gleichgültigkeit gegenüber der Partei unter denjenigen Arbeitern geltend machte, die revolutionär gesinnt waren, aber über kein genügendes sozialistisches Bewusstsein verfügten. Gerade an die klassenbewussten Arbeiter Russlands richteten sich denn auch in erster Linie die Beschlüsse der Konferenz, die die Meinung der Sozialdemokratie über die Mittel zur Bekämpfung der Auflösung und der Schwankungen ausdrücken.

Marxistische Analyse der gegenwärtigen Wechselbeziehungen zwischen den Klassen und der neuen Politik des Zarismus; Aufzeigung des nächstliegenden Kampfziels, das sich unsere Partei nach wie vor stellt; Würdigung der Lehren der Revolution für die Frage der Richtigkeit der revolutionär-sozialdemokratischen Taktik; Aufhellung der Ursachen der Parteikrise und Aufzeigung der Rolle des proletarischen Elements der Partei im Kampfe gegen sie; Entscheidung der Frage des Verhältnisses zwischen illegaler und legaler Organisation; Anerkennung der Notwendigkeit der Ausnützung der Dumatribüne und der Ausarbeitung genauer Richtlinien für unsere Dumafraktion im Zusammenhang mit der direkten Kritik ihrer Fehler — das ist der Hauptinhalt der Beschlüsse der Konferenz, die eine erschöpfende Antwort auf die Frage des durch die Partei der Arbeiterklasse in der jetzigen schweren Zeit einzuschlagenden festen Weges erteilen. Betrachten wir uns diese Antwort etwas aufmerksamer.

Das gegenseitige Verhältnis der Klassen in ihrer politischen Gruppierung bleibt dasselbe, wie es für die hinter uns liegende Periode des direkten revolutionären Kampfes der Massen charakteristisch war. Die ungeheure Mehrheit der Bauernschaft kann nicht umhin, eine Agrarumwälzung anzustreben, die den halbfronherrlichen Bodenbesitz abschafft und die ohne Sturz der zaristischen Herrschaft undenkbar ist. Der Triumph der Reaktion lastete besonders drückend auf den demokratischen Elementen der Bauernschaft, die zu einer festen Organisation unfähig ist, aber ungeachtet aller Unterdrückung, ungeachtet der erzreaktionären Duma, ungeachtet der äußersten Unbeständigkeit der Trudowiki ist der revolutionäre Geist der Bauernmassen aus den Debatten der dritten Duma klar ersichtlich. Die grundlegende Haltung des Proletariats zu den Aufgaben der bürgerlich-demokratischen Revolution in Russland bleibt unverändert: die demokratische Bauernschaft zu führen, sie dem Einfluss der liberalen Bourgeois, der Partei der Kadetten zu entziehen, die sich trotz geringfügiger, teilweiser Streitigkeiten mit den Oktobristen diesen auch weiterhin nähert und in der allerletzten Zeit bestrebt ist, einen Nationalliberalismus ins Leben zu rufen und den Zarismus sowie die Reaktion durch eine chauvinistische Agitation zu unterstützen. Der Kampf wird nach wie vor heißt es in der Resolution — für die völlige Beseitigung der Monarchie und die Eroberung der politischen Macht durch das Proletariat und die revolutionäre Bauernschaft geführt.

Der Absolutismus steht nach wie vor als der Hauptfeind des Proletariats und der ganzen Demokratie da. Es wäre jedoch falsch, anzunehmen, dass er derselbe bleibt. Die Stolypinsche „Verfassung“ und die Stolypinsche Agrarpolitik bedeuten eine neue Etappe in der Zersetzung des alten halb patriarchalischen, halb fronherrlichen Zarismus, einen neuen Schnitt auf dem Wege seiner Verwandlung in eine bürgerliche Monarchie, Die Delegierten des Kaukasus, die eine solche Charakteristik der augenblicklichen Lage entweder überhaupt unterlassen haben oder „plutokratisch“ an die Stelle von„bürgerlich“ setzen wollten, standen auf einem falschen Standpunkt. Plutokratisch war der Absolutismus schon längst, bürgerlich wird er auf Grund seiner Agrarpolitik und des direkten, im Umfange des gesamten Landes organisierten Bündnisses mit bestimmten Schichten der Bourgeoisie — erst nach der ersten Etappe der Revolution, unter dem Einfluss der von ihr geführten Schläge. Der Absolutismus hat von jeher die Bourgeoisie aufgepäppelt, die Bourgeoisie hat sich von jeher durch den Rubel sowohl Zutritt zu den „Spitzen“ als auch Einfluss auf Gesetzgebung und Verwaltung sowie Plätze neben dem Hochadel verschafft; aber die Eigenartigkeit der gegenwärtigen Lage besteht darin, dass der Absolutismus eine Vertretungskörperschaft für bestimmte Schichten der Bourgeoisie schaffen, zwischen ihnen und den Fronherren ein gewisses Gleichgewicht halten, das Bündnis dieser Schichten in der Duma organisieren, der ganzen Hoffnung auf die patriarchale Art des Bauern entsagen und bei den die Dorfgemeinschaft zugrunde richtenden Reichen des Dorfes einen Rückhalt gegen die ländlichen Massen suchen musste.

Der Absolutismus hüllt sich dem Scheine nach in den Deckmantel der Verfassungsinstitutionen, gleichzeitig aber ergibt sich in Wirklichkeit eine noch nicht dagewesene Entlarvung seines Klassencharakters, dank dem Bündnis des Zaren mit den Purischkjewitsch und Gutschkow, und nur mit diesen. Der Absolutismus ist bemüht, die Lösung der objektiv notwendigen Aufgaben der bürgerlichen Revolution — die Schaffung einer Volksvertretung, die wirklich die Geschäfte der bürgerlichen Gesellschaft leitet, und die Säuberung der mittelalterlichen verworrenen und überlebten Agrarverhältnisse auf dem flachen Lande — auf sich zu nehmen; aber gerade das praktische Resultat der neuen Schritte des Absolutismus erweist sich bis jetzt gleich Null, und das zeigt nur noch anschaulicher die Notwendigkeit anderer Kräfte und anderer Mittel zur Lösung der geschichtlichen Aufgabe. Der Absolutismus wurde bis jetzt im Bewusstsein der Millionen der in der Politik nicht bewanderten Massen als ein Gegensatz zur Volksvertretung überhaupt aufgefasst; nunmehr setzt sich der Kampf ein engeres Ziel, bestimmt er seine Aufgaben konkreter als Kampf um die Macht im Staat, der den Charakter und die Bedeutung der Volksvertretung selbst bestimmt. Darum bedeutet die III. Duma eine besondere Etappe in der Zersetzung des alten Zarismus, in der Steigerung des Abenteuerlichen seiner Politik, in der Vertiefung der alten revolutionären Aufgaben, in der Erweiterung der Arena des Kampfes (sowie der Zahl der Kampfteilnehmer) uni diese Aufgaben.

Diese Etappe muss überwunden werden; die neuen Verhältnisse der augenblicklichen Lage erfordern neue Formen des Kampfes; die Ausnützung der Dumatribüne ist eine unbedingte Notwendigkeit; die langwierige Arbeit der Erziehung und Organisierung der Massen des Proletariats rückt in den Vordergrund; die Kombinierung der illegalen und legalen Organisation stellt der Partei besondere Aufgaben; die Popularisierung und Erläuterung der Erfahrung der von den Liberalen und den liquidatorischen Intellektuellen diskreditierten Revolution ist sowohl zu theoretischen als auch zu praktischen Zwecken notwendig. Aber die taktische Linie der Partei, die es verstehen muss, in den Methoden und in den Mitteln des Kampfes den neuen Verhältnissen Rechnung zu tragen, bleibt unverändert. Die Richtigkeit der revolutionär-sozialdemokratischen Taktik heißt es in einer der Resolutionen der Konferenz ist durch die Erfahrung des Massenkampfes der Jahre 1905-1907 bestätigt worden. Die Niederlage der Revolution im Ergebnis dieser ersten Kampagne hat nicht die Unrichtigkeit der Aufgaben, nicht das „Utopische“ der nächsten Ziele, nicht die Falschheit der Mittel und Methoden, sondern das ungenügende Vorbereitetsein der Kräfte, die unzulängliche Tiefe und Ausdehnung der revolutionären Krise aufgezeigt, an deren Vertiefung und Ausdehnung aber die Stolypin und Konsorten mit dem lobenswertesten Eifer arbeiten! Mögen die Liberalen und die kopflos gewordenen Intellektuellen nach der ersten wirklichen Massenschlacht um die Freiheit den Mut sinken lassen und feig ihr Sprüchlein aufsagen; Geht nicht dorthin, wo ihr einmal geschlagen worden seid, betretet nicht wiederum diesen verhängnisvollen Weg! Das klassenbewusste Proletariat wird ihnen antworten: Die großen Kriege der Geschichte konnten nur deshalb ausgetragen und die großen Aufgaben der Revolutionen nur deshalb gelöst werden, weil die fortgeschrittenen Klassen zu wiederholten Malen vorstießen und, durch die Erfahrung der Niederlagen belehrt, den Sieg errangen. Geschlagene Armeen lernen gut. Die revolutionären Klassen Russlands sind im ersten Waffengang geschlagen worden, aber die revolutionäre Lage bleibt. In neuen Formen und auf neuem Wege manchmal weit langsamer, als wir es wünschen zieht die revolutionäre Krise zum zweiten Male herauf, reift sie erneut heran. Eine langwierige Arbeit der Vorbereitung breiterer Massen auf sie, eine ernsthaftere Vorbereitung, die die höheren und konkreten Aufgaben berücksichtigt, muss von uns geleistet werden; und je erfolgreicher sie geleistet werden wird, um so sicherer wird der Sieg im neuen Kampfe sein. Das russische Proletariat kann stolz darauf sein, dass sich 1905 unter seiner Führung eine Nation von Sklaven zum ersten Male in eine den Zarismus angreifende Heerschar von Millionen, in eine Armee der Revolution verwandelt hat. Und dasselbe Proletariat wird es jetzt verstehen, die Arbeit der Erziehung und Ausbildung von neuen Kadern einer mächtigeren revolutionären Kraft ausdauernd, zäh und geduldig zu leisten.

Die Ausnützung der Dumatribüne gehört, wie wir bereits ausgeführt haben, als notwendiger Bestandteil zu dieser Erziehungs- und Vorbereitungsarbeit. Die Resolution der Konferenz über die Dumafraktion weist unserer Partei jenen Weg, der — wenn man nach Beispielen in der Geschichte suchen will — der Erfahrung der deutschen Sozialdemokraten unter dem Ausnahmegesetz am nächsten kommt. Die illegale Partei muss es verstehen, sie muss lernen, die legale Duma-Fraktion auszunützen, sie muss diese zu einer auf der Höhe ihrer Aufgabe stehenden Parteiorganisation erziehen. Eine Taktik irrigster Art und die bedauernswerteste Abweichung von der durch die Erfordernisse der augenblicklichen Lage gebotenen ausdauernden proletarischen Arbeit wäre es, die Frage der Abberufung der Fraktion zu stellen (auf der Konferenz gab es zweiOtsowisten“, die diese Frage nicht direkt stellten), oder auf die direkte und offene Kritik ihrer Fehler, auf ihre Aufzählung in der Resolution zu verzichten (auf der Konferenz traten mehrere Delegierte dafür ein). Die Resolution gibt vollkommen zu, dass die Fraktion auch solche Fehler aufzuweisen hatte, für die sie nicht allein verantwortlich ist und die mit den unvermeidlichen Fehlern aller unserer Parteiorganisationen durchaus übereinstimmen. Es liegen jedoch noch andere Fehler vor: Abweichungen von der politischen Linie der Partei. Da diese Abweichungen nun einmal vorgekommen und von einer Organisation begangen worden sind, die offen im Namen der ganzen Partei auf tritt, war die Partei verpflichtet, klipp und klar zu sagen, dass dies Abweichungen waren. In der Geschichte der westeuropäischen sozialistischen Parteien sind Beispiele anormaler Beziehungen der Parlamentsfraktionen zur Partei mehr als einmal vorgekommen; bis heute sind in den romanischen Ländern3 diese Beziehungen überaus häufig anormale, die Fraktionen zeigen nicht genügend Parteigeist. Wir müssen an die Schaffung eines sozialdemokratischen Parlamentarismus in Russland gleich von vornherein anders herangehen, müssen uns gleich von vornherein geschlossen an eine kameradschaftliche Arbeit auf diesem Gebiete machen, damit jeder sozialdemokratische Abgeordnete auch wirklich fühle, dass die Partei hinter ihm steht, seine Fehler schmerzvoll empfindet, bemüht ist, ihm den Weg zu weisen — und damit jeder Parteifunktionär an der allgemeinen Arbeit der Partei in der Duma teilnehme, an einer sachlichen marxistischen Kritik ihrer Schritte lerne, sich seiner Verpflichtung, ihr zu helfen, bewusst sei und auf die Unterordnung der speziellen Arbeit der Fraktion unter die gesamte propagandistische und agitatorische Tätigkeit der Partei hinwirke.

Die Konferenz war die erste maßgebende Tagung der Delegierten der bedeutendsten Organisationen der Partei, die zur Tätigkeit der sozialdemokratischen Dumafraktion während einer ganzen Sessionsdauer Stellung nahm. Und der Beschluss der Konferenz zeigt klar, wie unsere Partei ihre Arbeit in der Duma anfassen, welche strenge Anforderungen sie auf diesem Gebiete an sich selbst sowie an die Fraktion stellen wird, wie unverrückbar und ausdauernd sie an der Herausarbeitung eines wirklich sozialdemokratischen Parlamentarismus zu arbeiten entschlossen ist.

Die Frage des Verhältnisses zur Dumafraktion besitzt eine taktische und eine organisatorische Seite. In organisatorischer Hinsicht ist die Resolution über die Dumafraktion lediglich eine erneute Anwendung der allgemeinen, von der Konferenz in der Resolution über die Richtlinien zur Organisationsfrage festgelegten Prinzipien der Organisationspolitik auf einen besonderen Fall. Von der Konferenz wurden in dieser Frage zwei Hauptströmungen in der SDAPR konstatiert: eine, die das Schwergewicht auf die illegale Parteiorganisation legt, und eine, die mehr oder minder dem Liquidatorentum verwandt ist und das Schwergewicht auf die legalen und halblegalen Organisationen legt. Die Dinge liegen so, dass die gegenwärtige Lage, wie wir bereits aufgezeigt haben, durch den Austritt einer gewissen Zahl von Parteifunktionären, besonders von Intellektuellen, über teilweise auch von Arbeitern, aus der Partei charakterisiert wird. Die liquidatorische Strömung stellt die Frage, ob die besten, die aktivsten Elemente die Partei verlassen und die legalen Organisationen zum Schauplatz ihrer Tätigkeit wählen, oder ob aus der Partei „die schwankenden Intellektuellen und kleinbürgerlichen Elemente“ austreten. Es braucht nicht erst gesagt zu werden, dass die Konferenz, die das Liquidatorentum energisch zurückwies und verurteilte, im Sinne der zweiten Annahme geantwortet hat. Die am meisten proletarischen Elemente der Partei, die prinzipiell standhaftesten und am meisten sozialdemokratischen Elemente der Intelligenz sind der SDAPR treu geblieben. Die Austritte aus der Partei sind eine Reinigung derselben, sind ihre Befreiung von den unbeständigsten, von den unzuverlässigen Freunden, den „Mitläufern“, die stets nur eine Zeitlang mit dem Proletariat gingen und sich aus dem Kleinbürgertum oder aus der Zahl der „Deklassierten“, d, h. jener Leute rekrutieren, die als Angehörige dieser oder jener bestimmten Klasse aus dem Geleise geschleudert worden sind.

Aus dieser Beurteilung des parteiorganisatorischen Prinzips ergibt sich von selbst auch die von der Konferenz eingeschlagene Linie der organisatorischen Politik. Festigung der illegalen Parteiorganisation, Bildung von Parteizellen auf allen Arbeitsgebieten. Errichtung in erster Linie von „nur aus Parteimitgliedern bestehenden, wenn auch wenig zahlreichen Arbeiterkomitees in jedem Industrieunternehmen“, Konzentration der leitenden Funktionen in den Händen von Führern der sozialdemokratischen Bewegung aus den Kreisen der Arbeiter selbst — das ist die Aufgabe des Tages. Und selbstverständlich hat die Aufgabe dieser Zellen und Komitees in der Ausnützung aller halblegalen und, nach Möglichkeit, legalen Organisationen, in der Aufrechterhaltung einer „engen Verbindung mit den Massen“ sowie darin zu bestehen, die Arbeit so zu leiten, dass die Sozialdemokratie sich alle Forderungen der Massen zu eigen mache. Jede Zelle und jedes aus Arbeitern bestehende Parteikomitee muss zu einem „Stützpunkt für die agitatorische, propagandistische und praktisch-organisatorische Arbeit unter den Massen“ werden, d. h. muss unbedingt dorthin gehen, wohin die Masse geht, und auf Schritt und Tritt bestrebt sein, ihrem Bewusstsein die Richtung zum Sozialismus zu geben, jede einzelne Frage mit den allgemeinen Aufgaben des Proletariats zu verknüpfen, jedes organisatorische Beginnen in eine Sache des klassenmäßigen Zusammenschlusses zu verwandeln, sich durch eigene Energie, durch eigenen ideologischen Einfluss (nicht aber, selbstverständlich, auf Grund von Titel und Amt) die führende Rolle in allen proletarischen legalen Organisationen zu erringen. Mögen auch manchmal diese Zellen und Komitees zahlenmäßig recht schwach sein, so wird es doch dafür zwischen ihnen die Bindung der Parteitradition und der Parteiorganisation geben und wird ein bestimmtes Klassenprogramm da sein; zwei bis drei parteitreue Sozialdemokraten werden somit nicht Gefahr laufen, in einer formlosen legalen Organisation aufzugehen, sondern werden unter allen Umständen, wie sich die Verhältnisse auch gestalten und in jeder nur denkbaren Lage ihre Parteilinie verfolgen, auf ihre Umgebung im Sinne der Gesamtpartei einwirken und sich nicht vom Milieu unterkriegen lassen.

Massenorganisationen der einen oder der anderen Art kann man auflösen, legale Gewerkschaftsverbände kann man durch Verfolgungen vernichten, durch polizeiliche Repressalien kann man unter einem Regime der Konterrevolution jegliches öffentliche Beginnen der Arbeiter vereiteln, jedoch keine Kraft der Welt wird den Massenzusammenschluss der Arbeiter in einem kapitalistischen Lande hintan zu halten vermögen; ein solches Land aber ist Russland bereits geworden. Auf diese oder jene Weise, legal oder halblegal, offen oder versteckt, wird die Arbeiterklasse diese oder jene Möglichkeit des Zusammenschlusses finden — allerorts und stets werden die klassenbewussten, parteitreuen Sozialdemokraten den Massen vorangehen, allerorts und stets werden sie sich untereinander zusammenschließen, um auf die Massen im Geiste der Partei einzuwirken. Und die Sozialdemokratie, die in der offenen Revolution bewiesen hat, dass sie eine Klassenpartei ist, die es fertig gebracht hat, im Jahre 1905 Millionen sowohl zum Streik als auch zum Aufstand und in den Jahren 1906-1907 zu den Wahlen zu führen, wird auch jetzt die Partei der Klasse, die Partei der Massen, die Avantgarde zu bleiben verstehen, die in den allerschwierigsten Zeiten die Fühlung mit der gesamten Armee nicht verliert, die ihr zu helfen versteht, diese schweren Zeiten zu überwinden, ihre Reihen erneut zusammenzuschweißen und neue und immer wieder neue Kämpfer hervorzubringen.

Mag das Schwarze Hundert der Stockreaktionäre in der Duma und außerhalb derselben, in der Hauptstadt und in den verlorenen Winkeln des Landes triumphieren und heulen, mag die Reaktion wüten — der neunmalweise Herr Stolypin wird keinen einzigen Schritt zu unternehmen vermögen, ohne den um sein Gleichgewicht ringenden Absolutismus dem Sturz näher zu bringen, ohne einen neuen Knoten politischer Unmöglichkeiten und Widersinnigkeiten zu schürzen, ohne den Reihen des Proletariats, den Reihen der revolutionären Elemente der Bauernmassen neue und frische Kräfte zuzuführen. Die Partei, die es verstehen wird, zur zielbewussten Arbeit in Verbindung mit den Massen noch fester Fuß zu fassen, die Partei der fortgeschrittenen Klasse, die es verstehen wird, deren Vorhut zu organisieren, die ihre Kräfte so lenken wird, dass sie jede Lebensäußerung des Proletariats im sozialdemokratischen Geiste beeinflussen wird — diese Partei wird siegen, koste es, was es wolle.

Februar (Januar) 1909

1 Der Artikel „Auf dem richtigen Weg“, der in Nummer 2 des Zentralorgans der Partei, des „Sozialdemokrat“, vom 10. Februar (28. Januar) 1909 abgedruckt wurde, wurde von Lenin unmittelbar nach der Pariser Reichskonferenz der SDAPR im Januar 1909 (Dezember 1908) geschrieben.

3 Italien, Frankreich, Spanien, Portugal und Rumänien. D. Red.

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