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Wladimir I. Lenin 19151100 Brief an die Liga für Sozialistische Propaganda in Amerika

Wladimir I. Lenin: Brief an die Liga für Sozialistische Propaganda in Amerika1

[Geschrieben im November 1915. Zum ersten Mal veröffentlicht im russischen „Lenin-Sammelbuch“ Nr. 2. Nach Sämtliche Werke, Band 18, Wien-Berlin 1929, S. 434-437]

die Opportunisten, die aus der Partei ausgeschlossen werden sollten, besonders jetzt, nach ihrem verräterischen Verhalten in der Zeit des Kriegs. Wenn in jeder gegebenen Krise eine kleine Gruppe (gegenwärtig stellt unser ZK eine kleine Gruppe dar) handeln und die Massen zur Revolution drängen könnte, so wäre dies sehr schön. In allen Krisen sind die Massen außerstande, unmittelbar in Aktion zu treten, die Massen bedürfen der Unterstützung durch die kleinen Gruppen der zentralen Organe unserer Partei. Unmittelbar seit Kriegsbeginn, seit dem September 1914, schärfte unser ZK den Massen ein, dass sie der Lüge vom „Verteidigungskrieg“ kein Gehör schenken dürfen, dass sie brechen müssen mit den Kompromisslern und den sogenannten „Jingo-Sozialisten“2 (so nennen wir die „Sozialisten“, die gegenwärtig für den „Verteidigungskrieg“ eintreten). Wir denken, dass diese zentralistischen Maßnahmen unseres Zentralkomitees nützlich und notwendig waren.

Wir sind mit euch darin einig, dass wir gegen die Fachverbände und für die Industrieverbände, d. h. für große zentralisierte Trade Unions und für die aktivste Teilnahme aller Parteimitglieder am ökonomischen Kampf und an allen gewerkschaftlichen und genossenschaftlichen Organisationen der Arbeiterklasse sein müssen. Leute aber, wie Herr Legien in Deutschland und Herr Gompers in den Vereinigten Staaten von Amerika, halten wir für Bourgeois, und ihre Politik ist in unseren Augen keine sozialistische, sondern eine nationalistische Politik der Mittelklasse. Die Herren Legien, Gompers und ihresgleichen vertreten nicht die Arbeiterklasse: sie vertreten lediglich die Aristokratie und Bürokratie der Arbeiterklasse.

Eure Forderung nach massenhaftem „Auf-den-Plan-treten“ der Arbeiter hat unsere volle Sympathie. Die deutschen Revolutionäre und Internationalisten-Sozialisten stellen gleichfalls diese Forderung. In unserer Presse suchen wir ausführlicher zu bestimmen, was man eigentlich unter „politischer Massenaktion“ zu verstehen hat, – wie z. B. der (in Russland sehr gewöhnliche) politische Streik, die Straßendemonstration und der Bürgerkrieg, der durch den gegenwärtigen imperialistischen Weltkrieg vorbereitet wird.

Wir predigen nicht das Bündnis mit den gegenwärtigen sozialistischen Parteien (die in der II. Internationale das Übergewicht haben). Im Gegenteil, wir bestehen auf den Bruch mit den Kompromisslern. Der Krieg ist der beste Anschauungsunterricht. In allen Ländern sind die Kompromisspolitiker, ihre Leaders, ihre einflussreichsten Zeitungen und Zeitschriften für den Krieg, mit anderen Worten, sie haben in Wirklichkeit mit „ihrer“ nationalen Bourgeoisie (Mittelklasse, Kapitalisten) ein Bündnis geschlossen gegen die proletarischen Massen. Ihr sagt, dass es auch in Amerika Sozialisten gibt, die sich zugunsten des Verteidigungskriegs aussprechen. Wir haben die Überzeugung, dass ein Bündnis mit diesen Leuten ein Verbrechen ist. Das bedeutet das Bündnis mit der nationalen Mittelklasse und mit den Kapitalisten und den Bruch mit der internationalen revolutionären Arbeiterklasse. Wir aber sind für den Bruch mit den nationalistischen Kompromisspolitikern und für das Bündnis mit den internationalen revolutionären Marxisten und Parteien der Arbeiterklasse.

Wir haben in unserer Presse niemals Einwände erhoben gegen eine Vereinigung der Sozialistischen Partei und der Sozialistischen Arbeiterpartei (SP und SLP) in Amerika. Wir haben uns immer auf Marxens und Engels' Briefe (besonders auf die an Sorge, der ein aktiver Teilnehmer an der amerikanischen sozialistischen Bewegung war), berufen, in denen sie beide den Sektencharakter der Sozialistischen Arbeiterpartei (SLP.) verurteilen.3

Wir sind mit Eurer Kritik an der alten Internationale vollkommen einverstanden. Wir beteiligten uns an der Zimmerwalder Konferenz (in der Schweiz, 5.-8. September 1915). Wir bildeten dort einen linken Flügel und legten unsere eigene Resolution und einen Manifestentwurf vor. Wir haben eben in Deutschland diese Dokumente veröffentlicht, und ich übersende sie Euch (samt der deutschen Übersetzung unserer kleinen Broschüre „Sozialismus und Krieg“), in der Hoffnung, dass es in Eurer Liga mit der deutschen Sprache vertraute Genossen gibt. Wenn Ihr uns bei der Herausgabe dieser Sachen in englischer Sprache (das ist nur in Amerika möglich, wir würden sie dann nach England schicken) behilflich sein könntet, würden wir Eure Hilfe gern annehmen.

In unserem Kampfe für den wahren Internationalismus gegen die „Jingo-Sozialisten“ verweisen wir in unserer Presse stets auf die Führer der Kompromisspolitik in Amerika (in der SP), die für die Beschränkung der Einwanderung chinesischer und japanischer Arbeiter sind (insbesondere nach dem Stuttgarter Kongress von 1907, im Gegensatz zu dessen Beschlüssen). Wir denken, dass niemand Internationalist sein und gleichzeitig für derartige Beschränkungen eintreten kann. Wir behaupten: wenn, von allem anderen abgesehen, amerikanische und insbesondere englische Sozialisten, einer herrschenden und unterdrückenden Nation angehörig, sich nicht gegen Einwanderungsbeschränkungen jedweder Art und gegen die Besitzergreifung von Kolonien (Hawaii-Inseln) wenden, wenn sie nicht für die volle Unabhängigkeit der letzteren eintreten, so sind solche Sozialisten in Wirklichkeit „Jingos“.

Zum Schluss wiederhole ich noch einmal die besten Grüße und Wünsche für Eure Liga. Wir wären sehr froh, von Euch noch weiterhin Informationen erhalten und unseren Kampf gegen die Kompromisspolitiker und für den wahren Internationalismus mit Euch gemeinsam führen zu können.

Euer

N. Lenin

In Russland gibt es zwei sozialdemokratische Parteien. Unsere Partei (Zentral-Komitee) ist gegen die Kompromisspolitiker. Die zweite Partei (Organisationskomitee) ist opportunistisch. Wir sind gegen ein Bündnis mit ihr.

Ihr könnt uns an unsere offizielle Adresse schreiben (Russische Bibliothek; für das ZK – 7, rue Hugo de Senger, Genf, Schweiz). Doch schreibt Ihr besser an meine persönliche Adresse: Wladimir Uljanow, Seidenweg 4a III, Bern, Schweiz.

1 Mitte November 1915 erhielt Lenin ein Flugblatt der amerikanischen Liga für Sozialistische Propaganda, dessen Inhalt von dem internationalistischen Kurs der Liga zeugte. Als Antwort darauf schickte Lenin an die Liga einen umfangreichen Brief, dem er die „Internationalen Flugblätter“ der Zimmerwalder Linken und die Broschüre „Sozialismus und Krieg“ beilegte. Der von uns veröffentlichte Text ist nur ein Teil des Leninschen Briefes; der Anfang ist nicht erhalten.

2 „Jingo-Sozialisten“: englische Benennung der Sozial-Imperialisten.

3 Von besonderer Wichtigkeit sind die Briefe von Engels an Sorge vom 29. April und 29. November 1886, an Mrs. Wischnewetzky vom 28. Dezember 1886 und 9. Februar 1887, an Sorge vom 7. Dezember 1889, an Schlüter vom 11. Januar 1890 (siehe Briefe von Engels, Marx u. a. an Sorge, S. 217-221, 237-240, 242-247, 250-253, 323-326, 326-328).

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