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Wladimir I. Lenin und Grigori Sinowjew 19150800 Sozialismus und Krieg

Wladimir I. Lenin und Grigori Sinowjew: Sozialismus und Krieg

(Stellung der SDAPR. zum Krieg)

von G. Sinowjew und N. Lenin1

[Geschrieben im August 1915. Zum ersten Mal, als Broschüre, erschienen im Verlag der Redaktion des Sozialdemokrat in Genf, 1915. Nach Sämtliche Werke, Band 18, Wien-Berlin 1929, S. 243-296]

Vorwort zur ersten (im Ausland erschienenen) Ausgabe

Der Krieg dauert schon ein Jahr. Unsere Partei fixierte ihre Stellung zu ihm noch in den ersten Kriegsmonaten im Manifest des Zentral-Komitees, das im September des Jahres 1914 verfasst und am 1. November 1914 in Nr. 33 des Zentralorgans unserer Partei, des „Sozialdemokrat“*, veröffentlicht wurde (nachdem es an die Mitglieder des Zentral-Komitees und an die verantwortlichen Vertreter unserer Partei in Russland gesandt worden war und ihre Zustimmung gefunden hatte). Dann brachte der „Sozialdemokrat“ in Nr. 40 vom 29. März 1915 die Beschlüsse unserer Berner Konferenz, die eine noch exaktere Darstellung unserer Grundsätze und unserer Taktik geben.

In der letzten Zeit wächst in Russland in den Volksmassen offenkundig die revolutionäre Stimmung. Symptome derselben Erscheinungen machen sich in allen anderen Ländern bemerkbar, trotz Unterdrückung der revolutionären Bestrebungen des Proletariats durch die Mehrheit der offiziellen sozialdemokratischen Parteien, die sich auf die Seite ihrer Regierungen und ihrer Bourgeoisie gestellt haben. Eine solche Lage der Dinge erfordert besonders gebieterisch die Herausgabe einer Broschüre, die die Bilanz der sozialdemokratischen Taktik gegenüber dem Kriege zieht. Wir drucken die früher genannten Parteidokumente vollständig ab und versehen sie mit kurzen Erläuterungen, bestrebt, auf alle die wichtigsten Argumente einzugehen, die zugunsten der bürgerlichen wie der proletarischen Taktik in der Literatur und in den Parteiversammlungen angeführt werden.

G. Sinowjew

N. Lenin

Vorwort zur zweiten Ausgabe

Die vorliegende Broschüre ist im Sommer 1915 unmittelbar vor der Zimmerwalder Konferenz geschrieben. Sie erschien auch in deutscher und französischer Sprache und wurde in norwegischer Sprache im Organ der norwegischen sozialdemokratischen Jugend vollständig abgedruckt. Die deutsche Ausgabe der Broschüre wurde illegal nach Deutschland befördert – nach Berlin, Leipzig, Bremen und in andere Städte, wo sie von Anhängern der Zimmerwalder Linken und der Gruppe Karl Liebknechts illegal verbreitet wurde. Die französische Ausgabe wurde illegal in Paris gedruckt und dort von französischen Zimmerwaldern verbreitet. Die russische Ausgabe kam in sehr beschränkter Anzahl nach Russland und wurde in Moskau von Arbeitern mit der Hand abgeschrieben.

Wir veröffentlichen diese Broschüre nunmehr erneut, als Dokument, im ganzen Umfang. Der Leser möge nie außer acht lassen, dass die Broschüre im August 1915 geschrieben ist. Dies ist insbesondere an den Stellen im Auge zu behalten, wo von Russland die Rede ist: Russland war zu jener Zeit noch das zaristische, das Romanowsche Russland …

Zum ersten Mal veröffentlicht im Jahre 1918 in der (russischen) Broschüre: G. Sinowjew und N. Lenin, „Sozialismus und Krieg“, Verlag des Petrograder Arbeiter- und Rotarmistendeputiertenrats

I. Kapitel Die Grundsätze des Sozialismus und der Krieg vom Jahre 1914/15

Verhalten der Sozialisten zu den Kriegen

Die Sozialisten haben die Kriege unter den Völkern stets als eine barbarische und tierische Sache verurteilt. Aber unsere Stellungnahme zum Kriege ist grundsätzlich anders als die der bürgerlichen Pazifisten (Friedensfreunde und Friedensprediger) und der Anarchisten. Von den ersteren unterscheiden wir uns durch unsere Einsicht in den unabänderlichen Zusammenhang der Kriege mit dem Kampfe der Klassen innerhalb eines Landes, durch die Erkenntnis der Unmöglichkeit, den Kriegen ohne die Aufhebung der Klassen und den Sieg des Sozialismus ein Ende zu bereiten; wir unterscheiden uns von ihnen ferner dadurch, dass wir die Berechtigung, den fortschrittlichen Charakter, die Notwendigkeit der Bürgerkriege voll und ganz anerkennen, d. h. der Kriege der unterdrückten Klasse gegen die unterdrückende, der Sklaven gegen die Sklavenhalter, der leibeigenen Bauern gegen die Gutsbesitzer, der Lohnarbeiter gegen die Bourgeoisie. Von den Pazifisten wie von den Anarchisten unterscheiden wir Marxisten uns weiter dadurch, dass wir die Notwendigkeit der historischen Analyse eines jeden Kriegs in seiner Besonderheit („historisch“ vom Standpunkt des Marxschen dialektischen Materialismus) vertreten. Es gab in der Geschichte manches Mal Kriege, die trotz all der Gräuel, all der viehischen Dinge, trotz all des Elends und all der Qualen, die mit jedem Kriege unweigerlich verknüpft sind, fortschrittlich, d. h. der Entwicklung der Menschheit von Nutzen waren, indem sie halfen, besonders schädliche und reaktionäre Einrichtungen (wie den Absolutismus und die Leibeigenschaft), die barbarischsten Despotien Europas (die türkische und die russische) abzuschaffen. Man muss daher die historischen Besonderheiten eben dieses gegenwärtigen Kriegs in Augenschein nehmen.

Die historischen Kriegstypen der Neuzeit

Die Große Französische Revolution eröffnete eine neue Epoche in der Geschichte der Menschheit. Von dieser Zeit bis zur Pariser Kommune, von 1789-1871, stellten die bürgerlich-fortschrittlichen nationalen Befreiungskriege einen besonderen Kriegstypus dar. Mit anderen Worten: der hauptsächlichste Inhalt und die historische Bedeutung dieser Kriege bestand in der Beseitigung des Absolutismus und des Feudalismus, in ihrer Unterminierung, in der Beseitigung fremd-nationaler Unterdrückung. Es waren dies daher fortschrittliche Kriege, und alle ehrlichen, revolutionären Demokraten, desgleichen aber auch alle Sozialisten standen bei Kriegen dieses Charakters mit ihren Sympathien stets auf der Seite desjenigen Landes, d. h. derjenigen Bourgeoisie, die an der Beseitigung oder Unterminierung der gefährlichsten Stützen des Feudalismus, des Absolutismus und der Unterjochung fremder Völker arbeitete. In den Revolutionskriegen Frankreichs z. B. war das Element der Plünderung und Eroberung fremder Territorien durch die Franzosen auch enthalten, aber das ändert durchaus nichts an der grundlegenden historischen Bedeutung dieser Kriege, die den Feudalismus und Absolutismus im ganzen in die Fesseln der Leibeigenschaft geschlagenen alten Europa zerstörten und erschütterten. Im französisch-preußischen Krieg wurde Frankreich durch Deutschland beraubt, aber dies ändert nicht die grundlegende historische Bedeutung dieses Kriegs, der viele Millionen Deutsche von der feudalen Zersplitterung und von der Unterdrückung durch zwei Despoten, den russischen Zaren und Napoleon III., befreite.

Der Unterschied zwischen Angriffskrieg und Verteidigungskrieg

Die Epoche 1789-1871 hinterließ tiefe Spuren und revolutionäre Erinnerungen. Vor der Beseitigung des Feudalismus, des Absolutismus und der Fremdherrschaft konnte von einer Entwicklung des proletarischen Kampfs um den Sozialismus nicht die Rede sein. Wenn die Sozialisten in Hinsicht auf die Kriege einer solchen Epoche von der Berechtigung des „Verteidigungskriegs“ sprachen, so hatten sie stets gerade diese Ziele, d. h. die dem Revolutionskampf gegen Mittelalter und Leibeigenschaftsregime geltenden Zwecke im Auge. Die Sozialisten verstanden unter einem „Verteidigungskrieg“ stets einen in diesem Sinne „gerechten“ Krieg (wie sich Wilhelm Liebknecht einmal ausdrückte2). Nur diesen Sinn hat es, wenn die Sozialisten die Berechtigung, den fortschrittlichen und gerechten Charakter der „Vaterlandsverteidigung“ oder des „Abwehrkriegs“ anerkannt haben und auch heute anerkennen. Wenn z. B. morgen Marokko an Frankreich, Indien an England, Persien oder China an Russland usw. den Krieg erklären würde, so wären dies „gerechte“ Kriege, „Verteidigungskriege“, unabhängig davon, wer der angreifende Teil wäre, und jeder Sozialist würde mit dem Sieg der unterdrückten, abhängigen, nicht gleichberechtigten Staaten über die Unterdrücker, die Sklavenhalter, die Räuber – über die „Großmächte“ – sympathisieren.

Aber stellen wir uns einmal vor, dass ein Sklavenhalter, Besitzer von 100 Sklaven, mit einem anderen Sklavenhalter, Besitzer von 200 Sklaven, um die „gerechtere“ Neuaufteilung der Sklaven im Krieg läge. Es ist klar, die Anwendung der Begriffe „Abwehrkrieg“ oder „Vaterlandsverteidigung“ auf einen solchen Fall wäre historisch falsch und praktisch ein bloßer Betrug, ausgeübt von pfiffigen Sklavenhaltern am einfachen Volk, an den Spießbürgern, an der unaufgeklärten Masse. In genau dieser Weise nun werden im gegenwärtigen, der Aufrechterhaltung und Verschärfung der Sklaverei geltenden Krieg zwischen den Sklavenhaltern die Völker von der heutigen imperialistischen Bourgeoisie betrogen vermittelst der „nationalen“ Ideologie und des Begriffs der Vaterlandsverteidigung.

Der gegenwärtige Krieg ist ein imperialistischer Krieg

Fast allgemein wird der heutige Krieg als imperialistischer Krieg anerkannt, aber zumeist verfälscht man diesen Begriff oder wendet ihn jeweils nur auf eine Seite an oder unterschiebt schließlich trotzdem die Möglichkeit, dass dieser Krieg die Bedeutung eines bürgerlich-fortschrittlichen, eines nationalen Emanzipationskampfs haben könne. Der Imperialismus stellt die erst im 20. Jahrhundert erreichte höchste Entwicklungsstufe des Kapitalismus dar. Dem Kapitalismus ist es zu enge geworden in den alten Nationalstaaten, ohne deren Bildung er den Feudalismus nicht stürzen konnte. Der Kapitalismus hat die Konzentration bis zu solchem Grade entwickelt, dass ganze Industriezweige von Syndikaten, Trusts, kapitalistischen Milliardärverbänden erfasst sind und dass nahezu der ganze Erdball unter diese „Kapitalgewaltigen“ aufgeteilt ist, sei es in Form von Kolonien, sei es durch die unmittelbare Umstrickung der fremden Länder mit den tausendfachen Fäden finanzieller Ausbeutung. Der Freihandel und die freie Konkurrenz sind ersetzt durch das Streben nach Monopolen, nach Eroberung von Gebieten für Kapitalanlage, Rohstoffausfuhr usw. Aus einem Befreier der Nationen, was er in der Zeit des Ringens mit dem Feudalismus gewesen war, wurde der Kapitalismus der imperialistischen Epoche zum größten Unterdrücker der Nationen. Früher fortschrittlich, ist der Kapitalismus jetzt konservativ geworden, er hat die Produktivkräfte soweit entwickelt, dass der Menschheit entweder der Übergang zum Sozialismus bevorsteht oder aber der jahre- und selbst jahrzehntelange bewaffnete Kampf der „Großmächte“ um die künstliche Aufrechterhaltung des Kapitalismus vermittelst der Kolonien, Monopole, Privilegien und jeder Art von nationaler Unterdrückung.

Der Krieg zwischen den größten Sklavenhaltern um die Aufrechterhaltung und Festigung der Sklaverei

Zur Erläuterung der Bedeutung des Imperialismus seien hier exakte Angaben über die Verteilung der Welt unter die sogenannten „großen“ (d. h. in der Räuberei großen Stils erfolgreichen) Mächte angeführt.

Verteilung der Welt unter die „großen“ Sklavenhaltermächte


Kolonien

Mutterländer

Insgesamt


1876

1914

1914

1914

Die „Großmächte“

qkm

in Mill.

Einw.

in Mill.

qkm

in Mill.

Einw.

in Mill.

qkm

in Mill.

Einw. in Mill.

qkm

in Mill.

Einw. in Mill.

England

22,5

251,9

33,5

393,5

0,3

46,5

33,8

440,0

Russland

17,0

15,9

17,4

33,2

5,4

136,2

22,8

169,4

Frankreich

0,9

6,0

10,6

55,5

0,5

39,9

11.1

95,1

Deutschland

-

-

2,9

12,3

0,5

64,9

3,4

77,2

Japan

-

-

0,3

19,2

0,4

53,0

0,7

72,2

Ver. Staaten v. Nordam.

-

-

0,3

9,7

9,4

97,0

9,7

106,7

6 Großmächte

40,4

273,8

65

523,4

16,5

437,2

81,5

960,6

Kolonien, die nicht den Großmächten (sondern Belgien, Holland u. Anderen Staaten) gehören

9,9

45,3

9,9

45,3

Drei halbkoloniale Länder (Türkei, China und Persien)

14,5

361,2

Insgesamt:

105,9

1367,1

Übrige Staaten und Länder

28,0

289,9

Der Erdball insgesamt (ohne Polargebiete):

133,9

1657,0

Hieraus wird ersichtlich, wie die Völker, die in der Zeit von 1789-1871 im Kampfe um die Freiheit zum größten Teil an der Spitze der übrigen Völker gestanden hatten, sich nunmehr, nach 1876, auf Grundlage des hochentwickelten und „überreifen“ Kapitalismus in Unterdrücker und Herren über die Mehrheit aller Erdbewohner und aller Nationen der Welt verwandelt haben. Von 1876-1914 haben die sechs „Großmächte“ 25 Millionen Quadratkilometer an sich gerissen, d. h. ein Gebiet, zweieinhalb mal größer als ganz Europa! Sechs Mächte halten mehr als eine halbe Milliarde (523 Millionen) Bewohner der Kolonien unter ihrem Joch. Auf je vier Einwohner der „Großmächte“ kommen fünf in den ihnen „gehörenden“ Kolonien. Und jeder weiß, dass die Kolonien mit Feuer und Schwert erobert worden sind, dass die Kolonialbevölkerung wie das Vieh behandelt wird, dass sie mit tausenderlei Methoden ausgebeutet wird (vermittelst Kapitalexport, Konzessionen usw., vermittelst des Betrugs beim Warenverkauf, durch Unterwerfung unter die Machtorgane der „herrschenden“ Nation und so weiter und so fort). Die englische und französische Bourgeoisie betrügt das Volk, indem sie behauptet, sie führe den Krieg für die Freiheit der Völker und Belgiens: in Wirklichkeit führt sie ihn zur Festhaltung der durch sie im größten Stil zusammengeraubten Kolonien. Die deutschen Imperialisten würden Belgien usw. sofort freigeben, wenn die Engländer und Franzosen ihre Kolonien mit ihnen „brüderlich“ teilen würden, – das Eigenartige der Lage besteht darin, dass in diesem Krieg die Geschicke der Kolonien durch den Krieg auf dem Kontinent entschieden werden. Vom Standpunkt der bürgerlichen Gerechtigkeit und nationalen Freiheit (oder des Existenzrechts der Nationen) wäre Deutschland unbedingt im Recht gegen England und Frankreich, weil es bei der Teilung der Kolonien „übervorteilt“ ist, weil seine Feinde unvergleichlich viel mehr Nationen unter ihrer Botmäßigkeit haben als es, Deutschland, und weil im Reiche seines Verbündeten, in Österreich, die unterdrückten Slawen unzweifelhaft größere Freiheit genießen als im zaristischen Russland, diesem wirklichen „Zuchthaus der Völker“. Aber Deutschland kämpft selbst nicht für die Befreiung, sondern für die Unterdrückung der Nationen. Es ist nicht Sache der Sozialisten, dem jüngeren und kräftigeren Räuber (Deutschland) bei der Ausplünderung der älteren, mehr als satt gefressenen Räuber zu helfen. Die Sozialisten haben den Kampf zwischen den Räubern auszunützen, um sie alle zu beseitigen. Zu diesem Zwecke müssen die Sozialisten in erster Linie dem Volk die Wahrheit sagen, nämlich: dass dieser Krieg in dreifachem Sinne ein Krieg der Sklavenhalter zum Zwecke der Festigung des Sklavereisystems ist. Er wird geführt erstens zur Festigung der Kolonialherrschaft vermittelst „gerechterer“ Aufteilung und weiterer, mehr „solidarischer“ Ausbeutung der Kolonien; zweitens zu verstärkter Unterdrückung der fremden Nationalitäten auf dem Boden der „Großmächte“ selbst, da Österreich ebenso wie Russland (Russland in viel höherem und schlimmerem Maße als Österreich) sich nur vermittelst dieser Unterdrückung halten, indem sie sie durch den Krieg verschärfen; drittens zur Festigung und Fortsetzung des Systems der Lohnsklaverei, da das Proletariat gespalten und niedergehalten ist, die Kapitalisten aber den Nutzen davon haben, indem sie aus dem Krieg Profite ziehen, die nationalen Vorurteile schüren und die Reaktion stärken, die in allen, selbst in den freiesten und am ehesten republikanischen Ländern ihr Haupt erhoben hat.

Der Krieg ist die Fortsetzung der Politik mit anderen“ (nämlich: gewaltsamen) „Mitteln"34

Dieser berühmte Ausspruch stammt von einem der geistvollsten Militärschriftsteller, von Clausewitz. Die Marxisten haben diesen Satz mit vollem Recht stets als die theoretische Grundlage für die Auffassungen von der Bedeutung eines jeden in Frage stehenden Kriegs angesehen. Marx und Engels haben die verschiedenen Kriege stets von eben diesem Standpunkt ins Auge gefasst.

Man wende diese Anschauung nun auf den gegenwärtigen Krieg an. Man wird sehen, dass die Regierungen und die herrschenden Klassen in England, Frankreich, Deutschland, Italien, Österreich, Russland im Laufe von Jahrzehnten, nahezu ein halbes Jahrhundert hindurch, die Politik des Kolonialraubs, der Unterjochung fremder Nationen, der Niederhaltung der Arbeiterbewegung betrieben haben. Genau diese Politik und nur diese findet im gegenwärtigen Krieg ihre Fortsetzung. Insbesondere in Österreich, desgleichen in Russland hat die Politik der Friedens- wie der Kriegszeit zum Inhalt die Versklavung der Nationen, nicht ihre Befreiung. Umgekehrt haben wir in China, Persien, Indien und in anderen abhängigen Ländern im Laufe der letzten Jahrzehnte das Bild einer Politik, die sich charakterisiert als Erwachen von Dutzenden und Hunderten von Millionen Menschen zum nationalen Leben, als Befreiung dieser Massen vom Joch der reaktionären „Großmächte“. Auf solcher historischen Basis kann der Krieg auch heutzutage ein bürgerlich-fortschrittlicher, nationaler Emanzipationskrieg sein.

Wirft man unter diesem Gesichtswinkel, d. h. von der Auffassung ausgehend, dass es sich bei dem gegenwärtigen Krieg um die Fortsetzung der Politik der „Großmächte“ und der in ihnen entscheidenden Klassen handelt, auch nur einen kurzen Blick auf diesen Krieg, so wird man alsbald ohne weiteres den ganzen krass antihistorischen, verlogenen und heuchlerischen Charakter der Ansicht ermessen, dass die Idee der „Vaterlandsverteidigung“ in diesem Kriege gerechtfertigt werden könne.

Das belgische Beispiel

Die Sozialchauvinisten der Triple-Entente (jetzt des Vierverbandes), in Russland Plechanow und Co., berufen sich mit Vorliebe auf das Beispiel Belgiens. Aber dieses Beispiel spricht gegen sie. Die deutschen Imperialisten haben die Neutralität Belgiens schamlos gebrochen, wie es noch immer und überall die kriegführenden Staaten gemacht haben, wenn sie im Bedarfsfälle alle Verträge und eingegangenen Verpflichtungen brachen. Angenommen, es würden alle an der Einhaltung der internationalen Verträge interessierten Staaten Deutschland den Krieg erklären mit der Forderung: Befreiung und Entschädigung Belgiens. In diesem Falle wäre die Sympathie der Sozialisten natürlich auf Seite der Feinde Deutschlands. Aber die Sache ist gerade die, dass der „Drei“- (und Vier-) Verband den Krieg nicht um Belgiens willen führt: das ist jedermann sehr wohl bekannt und nur Heuchler suchen das zu vertuschen. England will die deutschen Kolonien und die Türkei, – Russland Galizien plündern, Frankreich will Elsass-Lothringen und selbst das linke Rheinufer haben; mit Italien ist ein Vertrag geschlossen über die Teilung der Beute (Albanien, Kleinasien); mit Bulgarien und Rumänien wird gleichfalls über die Beuteteilung geschachert. Auf Basis des gegenwärtigen Kriegs zwischen den gegenwärtigen Regierungen kann es keine andere Möglichkeit geben, Belgien zu helfen, als durch Hilfeleistung bei der Erdrosselung Österreichs oder der Türkei usw.!! Was hat das mit „Vaterlandsverteidigung“ zu tun?? Darin liegt doch gerade das Besondere an dem imperialistischen Krieg, an dem Krieg zwischen reaktionär-bürgerlichen, historisch überlebten Staatsmächten, einem Krieg, der der Unterdrückung anderer Nationen gilt. Wer die Teilnahme an diesem Kriege gutheißt, der verewigt die imperialistische Unterdrückung der Nationen. Wer die Ausnützung der schwierigen Lage, in der sich zur Zeit die Regierungen befinden, für den Kampf um die sozialistische Revolution propagiert, der verteidigt die nur unter der Herrschaft des Sozialismus realisierbare wirkliche Freiheit wirklich aller Völker.

Wofür kämpft Russland?

In Russland fand der kapitalistische Imperialismus modernsten Typs seinen vollendeten Ausdruck in der Politik des Zarismus gegenüber Persien, der Mandschurei, der Mongolei, aber im großen Ganzen hat in Russland der Militär- und Feudal-Imperialismus das Übergewicht. Nirgends in der Welt gibt es eine solche Unterdrückung der Mehrheit der gesamten Landesbevölkerung wie in Russland: die Großrussen machen nur 43 Prozent der Bevölkerung aus, das heißt weniger als die Hälfte, alle anderen aber sind rechtlos als „Fremdstämmige“. Von 170 Millionen der russischen Bevölkerung sind rund 100 Millionen unterdrückt und rechtlos. Der Zarismus führt den Krieg zum Zwecke der Eroberung Galiziens und der endgültigen Erwürgung der Freiheit der Ukrainer, zum Zwecke der Eroberung Armeniens, Konstantinopels usw. Der Zarismus sieht im Kriege ein Mittel, um die Aufmerksamkeit von der wachsenden Unzufriedenheit im Innern des Landes abzulenken und die anschwellende revolutionäre Bewegung zu unterdrücken. Gegenwärtig entfallen auf zwei Großrussen in Russland zwei bis drei rechtlose „Fremdstämmige“: vermittelst des Kriegs sucht der Zarismus die Anzahl der durch Russland unterdrückten Nationen zu erhöhen, ihre Niederhaltung zu sichern und damit auch den Freiheitskampf der Großrussen zu lähmen. Die Möglichkeit, fremde Völker zu unterjochen und auszusaugen, verstärkt den ökonomischen Stillstand, denn statt der Entwicklung der Produktivkräfte erscheint als Profitquelle nicht selten die halb feudale Ausbeutung der „Fremdstämmigen“. Auf Seite Russlands trägt also der Krieg ausgesprochen reaktionären und gegen die Freiheit gerichteten Charakter.

Was ist Sozialchauvinismus?5

Sozialchauvinismus ist Eintreten für die Idee der „Vaterlandsverteidigung“ in diesem Kriege. Aus dieser Idee ergibt sich des Weiteren der Verzicht auf den Klassenkampf während des Kriegs, die Bewilligung der Kriegskredite usw. In Wirklichkeit betreiben die Sozialchauvinisten eine antiproletarische, bürgerliche Politik, denn was sie verfechten, ist in Wirklichkeit nicht die „Verteidigung des Vaterlands“ im Sinne des Kampfs gegen eine Fremdherrschaft, sondern das „Recht“ dieser oder jener „Großmächte“ auf Plünderung von Kolonien und Unterdrückung fremder Völker. Die Sozialchauvinisten machen sich den bürgerlichen Volksbetrug zu eigen, als ob der Krieg der Verteidigung der nationalen Freiheit und Existenz gelte, und damit treten sie auf die Seite der Bourgeoisie über und wenden sich gegen das Proletariat.

Zu den Sozialchauvinisten gehören ebenso die Leute, die die Regierungen und die Bourgeoisie einer von den kriegführenden Mächtegruppen in Schutz nehmen und ein schönes Mäntelchen über sie hängen, wie die, die wie Kautsky den Sozialisten aller kriegführenden Mächte gleichermaßen das Recht auf Vaterlandsverteidigung zuerkennen. Indem der Sozialchauvinismus in Wirklichkeit eine Schutzmauer abgibt für die Privilegien, Vormachtstellungen, Raubzüge und Gewalttaten der „eigenen“ (oder überhaupt einer jeden) imperialistischen Bourgeoisie, stellt er den vollkommenen Verrat an allen sozialistischen Grundsätzen und an dem Beschluss des Internationalen Sozialisten-Kongresses in Basel dar.

Das Baseler Manifest

Das in Basel im Jahre 1912 einstimmig angenommene Manifest über den Krieg hatte genau den Krieg zwischen Deutschland und England, samt ihren jetzigen Verbündeten, im Auge, der im Jahre 1914 dann auch ausbrach. Das Manifest erklärt direkt, dass kein Volksinteresse einen solchen Krieg rechtfertigen kann, der „zum Vorteile des Profits der Kapitalisten“ und „des Ehrgeizes der Dynastien“ auf Basis der imperialistischen, räuberischen Großmächtepolitik geführt wird. Das Manifest erklärt direkt, dass der Krieg „für die Regierungen“ allesamt, ohne Ausnahme, gefährlich ist, es verweist auf ihre Furcht „vor der proletarischen Revolution“ und zeigt mit aller präzisen Bestimmtheit auf das Beispiel der Kommune von 1871 und des Oktober-Dezember 1905, d. h. auf das Beispiel der Revolution und des Bürgerkriegs. Das Baseler Manifest fixiert somit gerade für den jetzigen Krieg die Taktik des revolutionären Kampfes der Arbeiterklasse auf internationaler Plattform gegen die eigenen Regierungen, die Taktik der proletarischen Revolution. Das Baseler Manifest wiederholt die Worte der Stuttgarter Resolution: dass im Falle des Kriegsausbruchs die Sozialisten verpflichtet sind, die durch den Krieg hervorgerufene „ökonomische und politische Krise“ zum Zwecke „beschleunigter Beseitigung der kapitalistischen Klassenherrschaft“ auszunützen, d. h. die durch den Krieg verursachte schwierige Lage der Regierungen und die Massenempörung für die sozialistische Revolution auszunützen.

Die Politik der Sozialchauvinisten, ihre Rechtfertigung des Kriegs mit bürgerlich-freiheitlichen Argumenten, ihre Akzeptierung der „Vaterlandsverteidigung“, ihr Votieren für die Kredite, ihr Eintritt in die Ministerien usw., – das alles ist direkter Verrat am Sozialismus, ein Verrat, der sich, wie wir noch sehen werden, nur durch den Sieg des Opportunismus und der national-liberalen Arbeiterpolitik innerhalb der Mehrheit der europäischen Parteien erklären lässt.

Die falschen Berufungen auf Marx und Engels

Die russischen Sozialchauvinisten (mit Plechanow an der Spitze) berufen sich auf die Taktik von Marx im Kriege von 1870; – die deutschen Sozialchauvinisten (vom Schlage der Lensch, David und Co.) auf die Erklärungen von Engels im Jahre 1891, in denen er von der Pflicht der deutschen Sozialisten spricht, im Falle eines Kriegs mit Russland und Frankreich zugleich das Vaterland zu verteidigen; – die Sozialchauvinisten vom Kautskyschen Schlage endlich, die dem internationalen Chauvinismus Versöhnung und Legitimität verschaffen möchten, berufen sich darauf, dass Marx und Engels bei aller Verurteilung des Kriegs gleichwohl von 1854/55 bis 1870/71 und 1876/77 sich stets auf die Seite des einen oder des anderen kriegführenden Staates gestellt hätten, sobald der Krieg einmal ausgebrochen war.

Alle diese Berufungen stellen eine empörende Fälschung der Auffassungen von Marx und Engels zugunsten der Bourgeoisie und des Opportunismus dar, genau so wie die Schreibereien der Anarchisten Guillaume und Co. die Auffassungen von Marx und Engels zum Zweck der Rechtfertigung des Anarchismus fälschen. Der Krieg von 1870/71 war historisch progressiv auf Seiten Deutschlands, solange Napoleon III. nicht besiegt war, denn dieser hatte zusammen mit dem Zaren lange Jahre hindurch Deutschland bedrückt durch Unterstützung der feudalen Zersplitterung Deutschlands. Sobald dann der Krieg sich in die Beraubung Frankreichs verwandelte (Annexion von Elsass-Lothringen), traten Marx und Engels mit rücksichtsloser Verurteilung gegen die Deutschen auf. Aber auch schon zu Beginn dieses Kriegs billigten Marx und Engels die Bebelsche und Liebknechtsche Verweigerung der Kriegskredite und rieten der Sozialdemokratie, sich mit der Bourgeoisie nicht zu vereinigen, sondern die selbständigen Klasseninteressen des Proletariats zu verfechten. Die Übertragung dieser Würdigung eines bürgerlich-progressiven, nationalen Befreiungskriegs auf den jetzigen imperialistischen Krieg ist eine Vergewaltigung der Wahrheit. Dasselbe gilt in noch viel höherem Grade von dem Krieg des Jahres 1854/55 und von allen anderen Kriegen des 19. Jahrhunderts, d. h. einer Periode, in der weder der moderne Imperialismus existierte noch zur Reife gediehene objektive Bedingungen für den Sozialismus noch sozialistische Massenparteien in allen kriegführenden Ländern bereits vorhanden waren, d. h. gerade die Bedingungen noch fehlten, aus denen das Baseler Manifest die Taktik der „proletarischen Revolution“ im Zusammenhang mit einem Krieg zwischen den Großmächten entwickelte.

Wer sich jetzt auf Marxens Stellungnahme zu den Kriegen in der Epoche der fortschrittlichen Bourgeoisie beruft und Marxens Worte: „Die Arbeiter haben kein Vaterland“, vergisst, – diese Worte, die sich gerade auf die Epoche der reaktionären, überlebten Bourgeoisie beziehen, auf die Epoche der sozialen Revolution, der fälscht Marx schamlos und ersetzt die sozialistische Auffassung durch die bürgerliche.

Der Zusammenbruch der II. Internationale

Die Sozialisten aller Länder erklärten feierlich im Jahre 1912 zu Basel, dass sie den kommenden europäischen Krieg als das „verbrecherische“ und erzreaktionäre Werk sämtlicher Regierungen ansähen, als eine Sache, die den Zusammenbruch des Kapitalismus beschleunigen müsse, indem sie unweigerlich die Revolution gegen ihn auf den Plan rufe. Der Krieg kam, die Krise brach aus. An Stelle der revolutionären Taktik schlug die Mehrheit der sozialdemokratischen Parteien eine reaktionäre Taktik ein, indem sie sich auf die Seite der eigenen Regierungen und der eigenen Bourgeoisie stellte. Dieser Verrat am Sozialismus bedeutet den Zusammenbruch der II. Internationale (1889-1914), und wir müssen uns Rechenschaft ablegen über die Dinge, die diesen Zusammenbruch verursacht, die den Sozialchauvinismus erzeugt, die ihm Stärke verliehen haben.

Der Sozialchauvinismus ist der vollendete Opportunismus

Im ganzen Verlauf der Epoche der II. Internationale spielte sich überall in den sozialdemokratischen Parteien ein Kampf zwischen dem revolutionären und dem opportunistischen Flügel ab. In einer Reihe von Ländern kam es darüber zur Spaltung (England, Italien, Holland, Bulgarien). Kein einziger Marxist zweifelte daran, dass der Opportunismus die bürgerliche Politik in der Arbeiterbewegung ausdrückt, dass er den Interessen des Kleinbürgertums und dem Bündnis einer kleinen Minderheit von verbürgerlichten Arbeitern mit „ihrer“ Bourgeoisie Ausdruck verleiht, einem Bündnis, das sich gegen die Interessen der Proletariermassen, der Masse der Unterdrückten wendet.

Die objektiven Verhältnisse vom Ende des 19. Jahrhunderts brachten dem Opportunismus einen besonderen Kraftzuwachs, und zwar dadurch, dass sie die Ausnützung der bürgerlichen Legalität in einen Kniefall vor ihr verwandelten, dass sie eine kleine Schicht von Bürokraten und Aristokraten der Arbeiterklasse auf den Plan treten und in die Reihen der sozialdemokratischen Parteien viele kleinbürgerliche „Mitläufer“ eindringen ließen.

Der Krieg beschleunigte die Entwicklung, indem er den Opportunismus in den Sozialchauvinismus, das geheime Bündnis der Opportunisten mit der Bourgeoisie in ein offenes verwandelte. Dazu kam noch, dass überall die Militärbehörden den Kriegszustand verhängten und der Arbeiterklasse den Maulkorb anlegten, während die alten Führer der Arbeiterklasse fast vollzählig ins Lager der Bourgeoisie überliefen.

Die ökonomische Grundlage des Opportunismus und des Sozialchauvinismus ist ein und dieselbe: die Interessen einer ganz geringen Schicht von privilegierten Arbeitern und Kleinbürgern, die ihre privilegierte Stellung, ihr „Recht“ auf Brocken vom Tische der Bourgeoisie verteidigen, auf Brocken von den Profiten, die „ihre“ nationale Bourgeoisie aus der Aussaugung fremder Nationen, aus der Nutznießung ihrer Großmachtstellung usw. einstreicht.

Der ideell-politische Inhalt des Opportunismus und des Sozialchauvinismus ist ein und derselbe: Arbeitsgemeinschaft der Klassen statt des Klassenkampfs, Verzicht auf die revolutionären Kampfmittel, Unterstützung der „eigenen“ Regierung in ihrer schwierigen Lage an Stelle der Ausnutzung dieser Schwierigkeiten für die Revolution. Nimmt man alle europäischen Länder zusammen, fasst man nicht einzelne (wenn auch noch so autoritative) Personen ins Auge, so wird sich zeigen, dass nichts anderes als die opportunistische Strömung zur wichtigsten Grundlage des Sozialchauvinismus geworden ist, während im Lager der Revolutionäre fast überall ein mehr oder minder folgerichtiger Protest gegen den Sozialchauvinismus erhoben wird. Nimmt man z. B. die Gruppierung der Richtungen auf dem Stuttgarter Internationalen Sozialisten-Kongress von 1907, so wird man sehen, dass der internationale Marxismus gegen den Imperialismus, der internationale Opportunismus aber schon damals für den Imperialismus eintrat.

Einheit mit den Opportunisten heißt Bündnis der Arbeiterschaft mit der „eigenen" nationalen Bourgeoisie und Spaltung der internationalen revolutionären Arbeiterklasse

In der abgelaufenen Vorkriegsepoche galt der Opportunismus häufig, wenn schon als ein „Abweichen vom Normalen“, als etwas „Extremes“, so doch als legitimer Bestandteil der sozialdemokratischen Partei. Der Krieg zeigte, dass das für die Zukunft unmöglich ist. Der Opportunismus ist „ausgereift“, er hat seine Rolle als Emissär der Bourgeoisie in der Arbeiterbewegung bis zu Ende geführt. Die Einheit mit den Opportunisten ist zur vollkommenen Heuchelei geworden, wie das Beispiel der deutschen Sozialdemokratie zeigt. In allen wichtigen Fällen (z. B. bei der Abstimmung vom 4. August) treten die Opportunisten mit ihrem Ultimatum auf, das sie dann mit Hilfe ihrer weitverzweigten Beziehungen zur Bourgeoisie, ihrer Mehrheit in den Gewerkschaftsleitungen usw. durchsetzen. Einheit mit den Opportunisten bedeutet jetzt in Wirklichkeit Unterwerfung der Arbeiterklasse unter die „eigene“ Bourgeoisie, Bündnis mit dieser Bourgeoisie zur Unterdrückung fremder Nationen und zum Kampfe für die Großmachtprivilegien, – also Spaltung des revolutionären Proletariats aller Länder.

Wie schwer auch in den einzelnen Fällen der Kampf mit den in vielen Organisationen herrschenden Opportunisten sein mag, in welch eigentümlichen Formen in den einzelnen Ländern der Prozess der Reinigung der Arbeiterparteien von den Opportunisten vor sich gehen mag, – dieser Prozess ist unvermeidlich und fruchtbar. Der reformistische Sozialismus stirbt ab; der wiedererstehende Sozialismus „wird revolutionär, intransigent, insurrektionell sein“, nach dem richtigen Ausdruck des französischen Sozialisten Paul Golay6.

Das „Kautskyanertum"

Kautsky, die größte Autorität der II. Internationale, repräsentiert als außerordentlich typisches und illustratives Beispiel die Art und Weise, wie die Anerkennung des Marxismus in Worten in der Tat zu seiner Verwandlung in den „Struvismus“ oder „Brentanismus“ geführt hat. Wir sehen dies auch am Beispiel Plechanows. Mittels offenkundiger Sophismen wird der Marxismus seiner revolutionären lebendigen Seele beraubt, man akzeptiert vom Marxismus alles, nur nicht die revolutionären Kampfmittel, die Propagierung und Vorbereitung dieser Kampfmethoden, die Erziehung der Massen gerade in dieser Richtung. Kautsky sucht ganz ideenlos den Grundgedanken des Sozialchauvinismus, die Anerkennung der Vaterlandsverteidigung in diesem Kriege, zu „versöhnen“ mit einer diplomatischen Paradekonzession an die Linke in Gestalt der Stimmenthaltung bei der Votierung der Kredite, in Gestalt phrasenhafter Betonung des eigenen oppositionellen Charakters usw. Kautsky, der im Jahre 1909 ein ganzes Buch über die herannahende Epoche der Revolutionen und über den Zusammenhang von Krieg und Revolution schrieb, – Kautsky, der im Jahre 1912 das Baseler Manifest über die revolutionäre Ausnutzung des kommenden Kriegs unterzeichnete, scheut jetzt kein Mittel, um den Sozialchauvinismus reinzuwaschen und zu beschönigen, und vereinigt sich, gleich Plechanow, mit der Bourgeoisie im Hohnlachen über jeden Gedanken an die Revolution, über alle Schritte zum unmittelbar revolutionären Kampf.

Die Arbeiterklasse kann ihre revolutionäre Weltmission nicht erfüllen ohne den rücksichtslosen Kampf mit diesem Renegatentum, mit dieser Charakterlosigkeit, mit dieser Lakaienhaltung gegenüber dem Opportunismus und mit dieser beispiellosen theoretischen Verflachung des Marxismus. Das Kautskyanertum ist nichts Zufälliges, sondern soziales Produkt der in der II. Internationale herrschenden Gegensätze, der Tatsache, dass man dem Marxismus in Worten seine Ergebenheit beweist und gleichzeitig sich in der Tat dem Opportunismus unterwirft.

    7In den verschiedenen Ländern tritt diese grundlegende Verlogenheit des Kautskyanertums in verschiedenen Formen in Erscheinung. In Holland verficht Roland-Holst, unter Ablehnung der Idee der Vaterlandsverteidigung, die Einheit mit der Opportunistenpartei. In Russland ist es Trotzki, der, ebenfalls unter Ablehnung dieser Idee, gleicherweise die Einheit mit der opportunistischen und chauvinistischen Gruppe von „Nascha Sarja vertritt. In Rumänien haben wir Rakowski, der dem Opportunismus, als dem am Zusammenbruch der Internationale Schuldigen, den Krieg erklärt, gleichzeitig aber die Berechtigung der Idee der Vaterlandsverteidigung anzuerkennen bereit ist. Dies alles sind nur Erscheinungsweisen jenes Übels, das die holländischen Marxisten (Gorter, Pannekoek) als „passiven Radikalismus“ bezeichnet haben und das auf nicht anderes hinausläuft als auf Ersetzung des revolutionären Marxismus durch den Eklektizismus in der Theorie und auf sklavische Unterwürfigkeit oder Ohnmacht vor dem Opportunismus in der Praxis.

Die Losung der Marxisten ist die der revolutionären Sozialdemokratie

Der Krieg hat zweifellos eine Krise schwerster Art hervorgerufen und die Leiden der Massen ungeheuerlich verschärft. Der reaktionäre Charakter dieses Kriegs, die unverschämte Lüge der Bourgeoisie aller Länder, die ihre Raubziele unter dem Mäntelchen der „nationalen“ Ideologie versteckt, – all dies wird auf Basis der objektiv revolutionären Situation unweigerlich revolutionäre Stimmungen in den Massen hervorrufen. Es ist unsere Pflicht, daran zu arbeiten, dass diese Stimmungen bewussten Charakter erhalten, vertieft werden und Gestalt annehmen. Diese Aufgabe findet ihren richtigen Ausdruck nur in der Losung: Umwandlung des imperialistischen Kriegs in den Bürgerkrieg, und jede Art von konsequentem Klassenkampf während des Kriegs, jede ernsthaft durchgeführte Taktik der „Massenaktionen“ muss unvermeidlich dazu führen. Man kann nicht wissen, ob eine starke revolutionäre Bewegung im Zusammenhang mit dem ersten oder mit dem zweiten imperialistischen Krieg der Großmächte, ob sie während des Kriegs oder nach dem Kriege aufflammen wird, jedenfalls aber ist es unsere unbedingte Pflicht, in eben dieser Richtung systematisch und unentwegt zu wirken.

Das Baseler Manifest beruft sich ausdrücklich auf das Beispiel der Pariser Kommune, d. h. auf das Vorbild einer Umwandlung des Kriegs der Regierungen in den Bürgerkrieg. Vor einem halben Jahrhundert war das Proletariat noch zu schwach, die objektiven Voraussetzungen für den Sozialismus waren zu dieser Zeit noch nicht herangereift, an ein Zusammenstimmen und Zusammenwirken der revolutionären Bewegungen in allen kriegführenden Ländern war noch nicht zu denken, die teilweise Begeisterung der Pariser Arbeiter für die „nationale Ideologie“ (für die Tradition von 1792) war die von Marx schon damals vermerkte kleinbürgerliche Schwäche, an der sie litten, und eine von den Ursachen des Zusammenbruchs der Kommune. Ein halbes Jahrhundert später sind die Verhältnisse, die die damalige Revolution schwächten, in Wegfall gekommen, und heutzutage wäre es bei einem Sozialisten eine unverzeihliche Sache, wollte er sich zu einem Verzicht auf das Handeln eben im Geiste der Pariser Kommunarden einlassen.

Das Beispiel der Verbrüderung in den Schützengräben

Bürgerliche Zeitungen aller kriegführenden Länder haben Beispiele gebracht für die Verbrüderung von Soldaten der kriegführenden Nationen sogar in den Schützengräben. Drakonische Verbote, wie sie von den Militärbehörden (in Deutschland, in England) gegen solche Verbrüderungen erlassen wurden, bewiesen, dass die Regierungen und die Bourgeoisie dieser Erscheinung ernsthafte Bedeutung zumaßen. Wenn bei aller vollkommenen Herrschaft des Opportunismus in den leitenden Kreisen der sozialdemokratischen Parteien Westeuropas und bei aller Unterstützung des Sozialchauvinismus durch die gesamte sozialdemokratische Presse, durch sämtliche Autoritäten der II. Internationale, trotzdem diese Fälle von Verbrüderung möglich waren, so beweist uns das, wie sehr man den heutigen verbrecherischen, reaktionären Sklavenhalterkrieg verkürzen und eine revolutionäre internationale Bewegung organisieren könnte, gäbe es ein systematisches Wirken auf dies Ziel hin, und sei es auch nur bei den linken Sozialisten aller kriegführenden Länder.

Die Bedeutung der illegalen Organisation

Die prominentesten Anarchisten der ganzen Welt haben sich nicht weniger als die Opportunisten mit dem Sozialchauvinismus (im Geiste Plechanows und Kautskys) in diesem Krieg beschmutzt. Eines von den nützlichen Resultaten dieses Kriegs wird unzweifelhaft darin bestehen, dass er den Opportunismus ebenso wie den Anarchismus vernichten wird.

In keinem Falle und unter keinen Umständen dürfen die sozialdemokratischen Parteien auf die Ausnützung selbst der geringsten legalen Möglichkeit zur Organisierung der Massen und zur Propagierung des Sozialismus Verzicht leisten, aber sie müssen gleichzeitig brechen mit der sklavischen Unterwerfung unter die Gesetzlichkeit. „Schießen Sie zuerst, meine Herren Bourgeois,“ schrieb Engels, indem er auf den Bürgerkrieg anspielte und auf die Notwendigkeit, dass wir die Gesetzlichkeit durchbrechen, nachdem sie einmal durch die Bourgeoisie durchbrochen ist. Die Krise hat gezeigt, dass das Bürgertum in allen, selbst den freiheitlichsten Ländern, die Gesetzlichkeit durchbricht, und dass es unmöglich ist, die Massen zur Revolution zu führen, ohne eine illegale Organisation zu schaffen für die Propagierung, Erörterung, Einschätzung, Vorbereitung der revolutionären Kampfmittel. In Deutschland z. B. wird, was an Ehrlichem von den Sozialisten unternommen wird, alles nur gegen den niederträchtigen Opportunismus und gegen das heuchlerische Kautskyanertum und nicht anders als illegal gemacht. In England wird man für gedruckte Aufrufe gegen die Rekrutierung ins Zuchthaus geschickt.

Die Ablehnung der illegalen Propagandamethoden und ihre Verhöhnung in der legalen Presse als vereinbar mit der Zugehörigkeit zur sozialdemokratischen Partei zu betrachten, ist Verrat am Sozialismus.

Über die Niederlage der „eigenen" Regierung im imperialistischen Kriege

Die Verfechter des Sieges der eigenen Regierung in dem gegenwärtigen Kriege und die Anhänger der Losung „Weder Sieg noch Niederlage“ stehen gleicherweise auf dem Standpunkt des Sozialchauvinismus. Die revolutionäre Klasse kann in einem reaktionären Kriege nicht umhin, die Niederlage der eigenen Regierung zu wünschen, sie kann den Zusammenhang zwischen militärischen Misserfolgen der Regierung und der Erleichterung ihrer Niederringung nicht übersehen. Nur ein Bourgeois, der in dem Glauben lebt, dass der von den Regierungen angezettelte Krieg unweigerlich auch als ein Krieg der Regierungen enden werde, und der auch nichts anderes haben will, betrachtet die Idee als „lächerlich“ oder „widersinnig“, dass die Sozialisten aller kriegführenden Länder mit dem Wunsch nach Niederlage aller „ihrer eigenen“ Regierungen auftreten sollen. Gerade ein solches Auftreten wäre im Gegenteil das, was den geheimen Gedanken jedes klassenbewussten Arbeiters entsprechen und in der Linie unseres Handelns liegen würde, die auf Umwandlung des imperialistischen Kriegs in den Bürgerkrieg hinzielt.

Unzweifelhaft hat die von einem Teil der englischen, deutschen, russischen Sozialisten betriebene ernsthafte Agitation gegen den Krieg die „militärische Kampfkraft“ der betreffenden Regierungen „geschwächt“, aber diese Agitation war ein Verdienst jener Sozialisten. Die Sozialisten müssen den Massen klarmachen, dass es für sie kein Heil gibt außer der revolutionären Niederwerfung der „eigenen“ Regierungen, und dass es die schwierige Lage dieser Regierungen im gegenwärtigen Krieg gerade auszunützen gilt.

Über den Pazifismus und über die Friedenslosung

Friedensfreundliche Stimmung in den Massen ist häufig der Ausdruck für den Entstehungsprozess des Protestes, der Empörung und der Einsicht in den reaktionären Charakter des Kriegs. Diese Stimmung auszunützen ist Pflicht aller Sozialdemokraten. Sie werden sich an jeder Bewegung und an jeder Demonstration, die auf diesem Grunde erwächst, aufs Lebhafteste beteiligen, aber sie werden das Volk nicht betrügen durch Zulassung des Gedankens, dass bei Fehlen einer revolutionären Bewegung ein Friede ohne Annexionen, ohne Unterjochung von Nationen, ohne Raub, ohne den Keim neuer Kriege zwischen den jetzigen Regierungen und herrschenden Klassen möglich sei. Ein solcher Volksbetrug käme nur der Geheimdiplomatie der kriegführenden Regierungen und ihren konterrevolutionären Plänen zugute. Wer einen dauerhaften und demokratischen Frieden will, der muss für den Bürgerkrieg gegen Regierungen und Bourgeoisie sein.

Vom Selbstbestimmungsrecht der Nationen

Das verbreitetste Mittel der Bourgeoisie zum Betrügen des Volkes im gegenwärtigen Krieg ist die Verschleierung der räuberischen Kriegsziele vermittelst der Ideologie der „Völkerbefreiung". Die Engländer versprechen Belgien, die Deutschen Polen die Befreiung usw. In Wirklichkeit ist dies, wie wir gesehen haben, ein Krieg der Unterdrücker, die die Mehrzahl der Nationen der Welt unter ihr Joch zwingen, zum Zwecke der Befestigung und Ausdehnung dieser Unterdrückung.

Die Sozialisten können ihr großes Ziel nicht erreichen, ohne gegen jede Art von nationaler Unterdrückung zu kämpfen. Sie müssen daher unbedingt fordern, dass die sozialdemokratischen Parteien der unterdrückenden Länder (insbesondere der sogenannten „Großmächte“) das Selbstbestimmungsrecht der unterdrückten Nationen anerkennen und verfechten, und zwar ausdrücklich im politischen Sinne des Wortes, d. h. als Recht auf politische Lostrennung. Der Sozialist, der einer großstaatlichen oder Kolonien beherrschenden Nation angehört und dieses Recht nicht verteidigt, ist ein Chauvinist.

Die Verteidigung dieses Rechts ist nicht nur nicht Ansporn zur Bildung von Kleinstaaten, sie führt im Gegenteil zu weit freierer und furchtloserer und darum breiterer und allgemeinerer Bildung von Großstaaten und Staatenbünden, die für die Masse von größerem Nutzen sind und der ökonomischen Entwicklung besser entsprechen.

Die Sozialisten der unterdrückten Nationen müssen ihrerseits unbedingt für den vollkommenen (unter anderem auch organisatorischen) Zusammenschluss der Arbeiter der unterdrückten und der unterdrückenden Nationen kämpfen. Die Idee der rechtlichen Absonderung der Nationen von einander (die sogenannte „nationale Kulturautonomie“ Bauers und Renners) ist eine reaktionäre Idee.

Der Imperialismus ist die Epoche der fortschreitenden Unterdrückung der Nationen der ganzen Welt durch eine Handvoll „Großmächte“, und darum ist der Kampf für die sozialistische internationale Revolution gegen den Imperialismus unmöglich ohne Anerkennung des Selbstbestimmungsrechts der Nationen. „Ein Volk, das andere unterdrückt, kann sich nicht selbst emanzipieren“ (Marx und Engels).* Das Proletariat kann nicht sozialistisch sein, das sich mit einem wenn auch noch so geringfügigen Gewaltakt „seiner“ Nation gegen andere Nationen abfindet.

II. Kapitel. Klassen und Parteien in Russland

Die Bourgeoisie und der Krieg

In einer Beziehung ist die russische Regierung hinter ihren europäischen Ebenbildern nicht zurückgeblieben: genau wie diese wusste sie die Düpierung „ihres“ Volkes in grandiosem Ausmaß durchzuführen. Ein gewaltiger, ein ungeheuerlicher Apparat von Lügen und Fabelgeschwätz wurde auch in Russland in Bewegung gesetzt, zu dem Zwecke, die Massen mit Chauvinismus zu verseuchen und die Vorstellung zu wecken, dass die Zarenregierung einen „gerechten“ Krieg führe, uneigennützig die „slawischen Brüder“ verteidige usw.

Die Gutsbesitzerklasse und die Oberschichten der Handels- und Industriebourgeoisie unterstützten eifrig die kriegerische Politik der Zarenregierung. Ganz zu Recht erwarten sie für sich gewaltige materielle Vorteile und Privilegien aus der Teilung der türkischen und österreichischen Erbschaft. Eine ganze Reihe von Kongressen dieser Herrschaften genießt schon den bloßen Vorgeschmack der Profite, die bei einem Sieg der Zarenarmee in ihre Taschen fließen würden. Dazu kommt noch, dass die Reaktionäre sehr gut begreifen: wenn etwas den Sturz der Romanowschen Monarchie noch aufzuschieben und die neue Revolution in Russland noch zu verzögern imstande ist, so nur ein für den Zaren siegreich endender auswärtiger Krieg.

Die breiten Schichten der städtischen „mittleren“ Bourgeoisie, der bürgerlichen Intelligenz, der freien Berufe usw. waren – wenigstens zu Anfang des Kriegs – gleichfalls vom Chauvinismus angesteckt. Die Partei der russischen liberalen Bourgeoisie – die Kadetten – ging mit der Zarenregierung durch dick und dünn. Im Bereich der auswärtigen Politik sind die Kadetten schon längst eine Regierungspartei. Der Panslawismus, der der Zarendiplomatie schon manches Mal als Mittel zu ihren grandiosen politischen Schwindeleien gedient hatte, wurde zur offiziellen Ideologie der Kadetten. Der russische Liberalismus artete zum National-Liberalismus aus. Er wetteifert in „Patriotismus“ mit den Schwarzhundertlern, stimmt stets mit Freuden für den Militarismus, Marinismus usw. Im Lager des russischen Liberalismus ist so ziemlich dieselbe Erscheinung zu beobachten, wie in den siebziger Jahren in Deutschland, als der „freisinnige“ Liberalismus in Zersetzung geriet und die nationalliberale Partei aus sich absonderte. Die russische liberale Bourgeoisie betrat endgültig den Weg der Konterrevolution. Die Auffassung der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Russlands in dieser Frage bestätigte sich voll und ganz. Die Ansicht unserer Opportunisten, dass der russische Liberalismus noch als treibende Kraft der Revolution in Russland zu gelten habe, wurde durch die praktische Erfahrung erledigt.

In der Bauernschaft gelang es der herrschenden Clique mit Hilfe der bürgerlichen Presse, der Geistlichkeit usw. gleichfalls, eine chauvinistische Stimmung hervorzurufen. Aber im selben Maße, wie die Soldaten vom Schauplatz des Gemetzels zurückkehren werden, wird auch die Stimmung auf dem Lande zweifellos zu Ungunsten der Zarenmonarchie umschlagen. Die mit der Bauernschaft in Berührung stehenden bürgerlich-demokratischen Parteien wussten der chauvinistischen Welle nicht standzuhalten. Die Partei der Trudowiki8 in der Reichsduma verweigerte die Votierung der Kriegskredite. Aber durch den Mund ihres Führers Kerenski ließ sie eine „patriotische“ Erklärung vortragen, die der Monarchie äußerst gelegen kam. Die gesamte legale Presse der Narodniki richtete sich im Großen und Ganzen nach den Liberalen. Sogar der linke Flügel der bürgerlichen Demokratie – die sogenannte Partei der Sozialrevolutionäre, die dem Internationalen Sozialistischen Büro angeschlossen ist – steuerte im selben Fahrwasser. Der Vertreter dieser Partei im Internationalen Sozialistischen Büro, Herr Rubanowitsch, tritt als offener Sozialchauvinist auf. Die Hälfte der Delegierten dieser Partei auf der Londoner Konferenz der „Entente“-Sozialisten stimmte für die chauvinistische Resolution (bei Stimmenthaltung der zweiten Hälfte). In der illegalen Presse der Sozialrevolutionäre (das Blatt „Nowosti“ u. a.) haben die Chauvinisten das Übergewicht. Die Revolutionäre „aus dem bürgerlichen Milieu“, d. h. bürgerliche Revolutionäre, die ohne Verbindung mit der Arbeiterklasse sind, erlitten in diesem Kriege vernichtenden Schiffbruch. Das klägliche Los der Kropotkin, Burzew, Rubanowitsch ist ungemein charakteristisch.

Die Arbeiterklasse und der Krieg

Die einzige Klasse in Russland, der man die chauvinistische Seuche nicht einzuimpfen vermochte, ist das Proletariat. Vereinzelte Exzesse zu Anfang des Kriegs berührten nur die unwissendsten Schichten der Arbeiterklasse. Die Beteiligung von Arbeitern an den Moskauer deutschfeindlichen Krawallen wurde stark übertrieben. Im Großen und Ganzen erwies sich die Arbeiterklasse Russlands als völlig gefeit gegen den Chauvinismus.

Dies erklärt sich aus der revolutionären Lage im Lande und aus den allgemeinen Lebensbedingungen des russischen Proletariats. Die Jahre 1912-1914 bezeichneten den Anfang eines neuen grandiosen revolutionären Aufschwungs in Russland. Wir wurden aufs Neue Zeugen einer gewaltigen Streikbewegung, wie sie die Welt noch nicht gesehen hatte. Der revolutionäre Massenstreik im Jahre 1913 zählte nach den minimalsten Berechnungen eineinhalb Millionen Teilnehmer, im Jahre 1914 überstieg die Ziffer dann schon zwei Millionen und näherte sich dem Niveau von 1905. Am Vorabend des Kriegs kam es in Petersburg schon zu den ersten Barrikadenkämpfen.

Die illegale Sozialdemokratische Arbeiterpartei Russlands erfüllte ihre Pflicht gegenüber der Internationale. Die Fahne des Internationalismus wankte nicht in ihrer Hand. Unsere Partei hat längst den organisatorischen Bruch mit den opportunistischen Gruppen und Elementen vollzogen. Das Bleigewicht des Opportunismus und des „Legalismus um jeden Preis“ hing unserer Partei nicht an den Füßen. Und dieser Umstand half ihr bei der Erfüllung ihrer revolutionären Pflicht, – ebenso wie den italienischen Genossen der Bruch mit der opportunistischen Bissolati-Partei half.

Die allgemeine Lage in unserem Lande begünstigt keineswegs das Aufblühen des „sozialistischen“ Opportunismus in den Arbeitermassen. Wir sehen in Russland eine ganze Reihe von Schattierungen des Opportunismus und Reformismus unter den Intellektuellen, im Kleinbürgertum usw. Er ist aber in verschwindender Minderheit in den politisch aktiven Arbeiterschichten. Die Schicht der privilegierten Arbeiter und Angestellten ist bei uns sehr schwach. Der Legalitätsfetisch konnte bei uns nicht entstehen. Die Liquidatoren (die von Axelrod, Potressow, Tscherewanin, Maslow u. a. geführte Opportunistenpartei) hatten vor dem Kriege keinerlei ernst zu nehmende Stützpunkte in den Arbeitermassen. Die Wahlen zur IV. Reichsduma erbrachten sämtliche sechs Arbeiterabgeordnete aus dem Lager der Gegner des Liquidatorentums. Die Auflageziffern und die Geldsammlungen der legalen Arbeiterpresse in Petrograd und Moskau zeigten unwiderleglich, dass vier Fünftel der klassenbewussten Arbeiter gegen den Opportunismus und das Liquidatorentum marschieren.

Mit Kriegsausbruch verhaftete und verbannte die Zarenregierung Tausende und Abertausende von führenden Arbeitern, Mitgliedern unserer illegalen SDAPR. Dieser Umstand samt der Verhängung des Kriegszustands über das Land, der Unterdrückung unserer Zeitungen usw., hemmte die Bewegung. Aber die illegale revolutionäre Tätigkeit unserer Partei wurde trotzdem fortgesetzt. In Petrograd gibt das Komitee unserer Partei ein illegales Blatt, „Proletarski Golos“, heraus.9

Die Artikel aus dem im Ausland erscheinenden Zentralorgan „Sozialdemokrat“ werden in Petrograd abgedruckt und in die Provinz versandt. Es erscheinen illegale Proklamationen, die auch in den Kasernen verbreitet werden. Vor der Stadt draußen, in verschiedenen abgelegenen Winkeln, werden illegale Arbeiterversammlungen abgehalten. In letzter Zeit haben in Petrograd mächtige Metallarbeiterstreiks eingesetzt. Im Zusammenhang mit diesen Streiks erließ unser Petrograder Komitee mehrere Aufrufe an die Arbeiterschaft10.

Die Russische Sozialdemokratische Arbeiter-Fraktion in der Reichsduma und der Krieg

Im Jahre 1913 vollzog sich unter den sozialdemokratischen Abgeordneten der Reichsduma eine Spaltung. Auf der einen Seite standen die sieben Anhänger des Opportunismus, unter Führung von Tschcheïdse. Sie waren gewählt von sieben nichtproletarischen Gouvernements, in denen 214.000 Arbeiter gezählt wurden. Auf der anderen Seite – sechs Abgeordnete, allesamt von der Arbeiterkurie, gewählt von den eigentlichen industriellen Zentren Russlands, in denen 1.008.000 Arbeiter gezählt wurden.

Der hauptsächliche Differenzpunkt hieß: Taktik des revolutionären Marxismus oder Taktik des opportunistischen Reformismus. Praktisch offenbarten sich die Differenzen vor allem in dem Bereich der außerparlamentarischen Massenarbeit. Diese Arbeit musste in Russland illegal geleistet werden, wollten ihre Vollbringer auf revolutionärem Boden bleiben. Die Fraktion Tschcheïdse blieb die treueste Bundesgenossin der Liquidatoren, die die illegale Tätigkeit verwarfen, und verteidigte dies in allen Unterredungen mit den Arbeitern, in allen Versammlungen. Es kam darüber zur Spaltung. Die sechs Abgeordneten bildeten die RSDA-Fraktion. Ein Jahr Tätigkeit zeigte unwiderleglich, dass die erdrückende Mehrheit der russischen Arbeiter zu ihr steht.

Zu Kriegsbeginn trat die Differenz mit außerordentlicher Anschaulichkeit hervor. Die Fraktion Tschcheïdse beschränkte sich auf den parlamentarischen Boden. Sie stimmte nicht für die Kredite, weil sie sonst unter den Arbeitern einen Sturm der Empörung gegen sich hervorgerufen hätte. (Wir haben gesehen, dass in Russland sogar die kleinbürgerlichen Trudowiki die Kredite nicht bewilligten.) Aber sie trat auch mit keinem Protest gegen den Sozialchauvinismus hervor.

Ganz anders verhielt sich die RSDA-Fraktion, die die politische Linie unserer Partei zum Ausdruck brachte. Sie ging mit dem Protest gegen den Krieg in die tiefsten Tiefen der Arbeiterklasse, sie brachte die antiimperialistische Propaganda in die breiten Massen der russischen Proletarier.

Und sie fand den Widerhall warmer Sympathie bei den Arbeitern, – eine Tatsache, die der Regierung Schrecken einjagte und sie veranlasste, unter offenem Bruch ihrer eigenen Gesetze unsere Genossen Abgeordneten zu verhaften und zu lebenslänglicher Verbannung zur Ansiedlung in Sibirien zu verurteilen. Gleich in der ersten offiziellen Mitteilung über die Verhaftung unserer Genossen erklärte die Zarenregierung:

Eine ganz besondere Stellung nahmen in dieser Beziehung einige Mitglieder der sozialdemokratischen Gesellschaften ein, die es sich zum Ziel ihrer Tätigkeit setzten, die Kriegsmacht Russlands zu unterwühlen durch Agitation gegen den Krieg, vermittelst unterirdischer Manifeste und mündlicher Propaganda.“

Auf den bekannten Aufruf Vanderveldes, den Kampf gegen den Zarismus „zeitweilig“ einzustellen – es ist jetzt aus den Angaben des zaristischen Gesandten in Belgien, des Fürsten Kudaschew, bekannt geworden, dass Vandervelde diesen Aufruf nicht allein, sondern unter Mitwirkung des genannten zaristischen Gesandten verfasste –, erteilte einzig und allein unsere Partei, in Gestalt ihres Zentralkomitees, eine ablehnende Antwort. Das führende Zentrum der Liquidatoren stimmte Vandervelde zu und erklärte offiziell in der Presse, dass es „in seiner Tätigkeit dem Krieg nicht entgegenwirkt“.

Die Zarenregierung klagte unsere Genossen Abgeordneten vor allem dessen an, dass sie unter den Arbeitern diese ablehnende Antwort an Vandervelde propagiert hatten.

Der zaristische Staatsanwalt, Herr Nenarokomow, hielt vor Gericht unseren Genossen die deutschen und französischen Sozialisten als Vorbild vor.

Die deutschen Sozialdemokraten“ – sprach er – „bewilligten die Kriegskredite und erwiesen sich als Freunde der Regierung. So handelten die deutschen Sozialdemokraten, aber nicht so handelten die traurigen Ritter der russischen Sozialdemokratie … Die Sozialisten Belgiens und Frankreichs vergaßen einmütig ihre Auseinandersetzungen mit den anderen Klassen, stellten den Parteihader beiseite und traten ohne Zaudern unter die Fahnen.“

Aber die Mitglieder der RSDA-Fraktion, den Direktiven des Zentralkomitees der Partei folgend, handelten nicht so …

Die Gerichtsverhandlungen rollten ein imposantes Bild von der breiten illegalen Agitation gegen den Krieg auf, die von unserer Partei unter den Massen des Proletariats getrieben wurde. Dem Zarengericht gelang selbstverständlich bei weitem nicht, die ganze Tätigkeit unserer Genossen auf diesem Gebiet zu „enthüllen“. Aber auch das, was enthüllt wurde, zeigte, wie viel getan wurde im Verlauf der kurzen Zeit von ein paar Monaten.

Es wurden vor Gericht illegale Aufrufe unserer Gruppen und Komitees gegen den Krieg und für die internationalistische Taktik verlesen. Von den klassenbewussten Arbeitern von ganz Russland zogen sich Fäden zu den Mitgliedern der RSDA-Fraktion, und sie bemühte sich nach dem Maß ihrer Kräfte, den Arbeitern zu helfen, dass sie den Krieg vom Standpunkt des Marxismus zu beurteilen lernten.

Genosse Muranow, der Abgeordnete der Arbeiter des Gouvernements Charkow, sprach vor dem Gericht:

Da ich verstand, dass ich nicht dazu vom Volk in die Reichsduma geschickt worden war, um das Dumafauteuil zu wärmen, reiste ich in der Provinz herum, um die Stimmungen der Arbeiterklasse kennenzulernen.“

Er gab vor dem Gericht auch zu, dass er die Funktionen eines illegalen Agitators unserer Partei übernommen hatte, dass er im Ural das Arbeiterkomitee in den Werchni-Isseter Werken und an anderen Orten organisierte. Der Prozess zeigte, dass die Mitglieder der RSDA-Fraktion nach Kriegsausbruch zu Propagandazwecken fast ganz Russland bereisten, dass Muranow, Petrowski, Badajew u. a. zahlreiche Arbeiterversammlungen veranstalteten, in denen Beschlüsse gegen den Krieg gefasst wurden usw.

Die Zarenregierung bedrohte die Angeklagten mit Todesstrafe. Im Zusammenhang damit traten sie vor dem Gericht nicht alle so tapfer auf wie Genosse Muranow. Sie suchten den zaristischen Staatsanwälten ihre Verurteilung zu erschweren. Das nützen jetzt russische Sozialchauvinisten unwürdig aus, um den Kern der Frage zu vertuschen: was für einen Parlamentarismus die Arbeiterklasse braucht?

Den Parlamentarismus anerkennen die Südekum und Heine, die Sembat und Vaillant, die Bissolati und Mussolini, die Tschcheïdse und Plechanow. Den Parlamentarismus anerkennen auch unsere Genossen von der RSDA-Fraktion, es tun dies auch die bulgarischen, die italienischen Genossen, die mit den Chauvinisten gebrochen haben. Parlamentarismus und Parlamentarismus sind zwei verschiedene Dinge. Die einen benützen die Parlamentsarena, um sich bei ihren Regierungen anzubiedern oder im besten Falle ihre Hände in Unschuld zu waschen, wie es die Fraktion Tschcheïdse macht. Die anderen nützen den Parlamentarismus aus, um auf dem revolutionären Posten auszuharren bis zum Ende, um ihre Pflicht als Sozialisten und Internationalisten auch unter den schlimmsten Verhältnissen zu erfüllen. Die einen befördert die parlamentarische Tätigkeit auf die Ministersessel, die anderen – ins Gefängnis, in die Verbannung, ins Zuchthaus. Die einen dienen der Bourgeoisie, die anderen dem Proletariat. Die einen sind Sozialimperialisten, die anderen revolutionäre Marxisten.

III. Kapitel. Der Wiederaufbau der Internationale

Wie ist die Internationale wieder aufzubauen? Zuvor aber einige Worte darüber, wie die Internationale nicht wieder aufgerichtet werden darf.

Die Methode der Sozialchauvinisten und des „Zentrums"

Oh, die Sozialchauvinisten aller Länder sind große „Internationalisten“! Sie sind schon seit Kriegsausbruch von der Sorge um die Internationale fast zu Boden gedrückt! Einerseits versichern sie, dass alles Gerede von einem Zusammenbruch der Internationale bloße „Übertreibung“ sei. In Wirklichkeit sei nichts Besonderes geschehen. Man höre Kautsky: Die Internationale ist einfach ein „Instrument der Friedenszeit“, – was Wunder, wenn dies Instrument in der Kriegszeit sich als nicht so ganz brauchbar erwies. Anderseits haben die Sozialchauvinisten aller Länder ein sehr einfaches – und, was das wichtigste dabei, zugleich internationales – Mittelchen ausgeheckt, um aus dieser Klemme zu kommen. Ein gar nicht kompliziertes Mittelchen: man muss nur das Ende des Kriegs abwarten, bis zum Kriegsende haben die Sozialisten eines jeglichen Landes ihr „Vaterland“ zu verteidigen und „ihre“ Regierung zu unterstützen, nach Kriegsende aber wird man sich gegenseitig „amnestieren“ müssen und anerkennen: alle sind im Recht gewesen, in Friedenszeiten leben wir als Brüder, aber in Kriegszeiten fordern wir – auf präziser Grundlage dieser oder jener Resolutionen – die deutschen Arbeiter auf, ihre französischen Brüder zu morden, und umgekehrt.

Auf dieser Basis treffen sich gleicherweise Kautsky wie Plechanow, Viktor Adler wie Heine. Viktor Adler schreibt:

Wenn wir diese Zeit der Ungeheuerlichkeiten überstanden haben werden, wird es erste Pflicht sein, einander nicht beim Wort zu nehmen.11

Kautsky behauptet, dass von keiner Seite bis dahin Stimmen von ernstzunehmenden Sozialisten laut geworden seien, die das Schicksal der Internationale in Frage gestellt hätten. Plechanow sagt:

Es wird unangenehm sein, die Hände der deutschen Sozialdemokraten zu schütteln, die noch vom Blute der unschuldig Hingemordeten triefen.“

Aber sofort plädiert er für „Amnestie“:

Hier“ – schreibt er – „wird die Unterordnung des Herzens unter die Vernunft voll am Platze sein. Um ihrer großen Sache willen wird die Internationale sogar verspätete Reue berücksichtigen müssen.“

Heine attestiert in den „Sozialistischen Monatsheften dem Vandervelde eine „männliche und stolze“ Handlungsweise und hält ihn der deutschen Linken als Beispiel vor.12

Mit einem Wort, wenn der Krieg zu Ende ist, ernenne man nur eine Kommission, bestehend aus Kautsky, Plechanow, Vandervelde und Adler, im Handumdrehen wird dann eine „einstimmige“, im Geiste der gegenseitigen Amnestie gehaltene Resolution fertig vorliegen. Und der ganze Streit ist damit glücklich vertuscht. Statt den Arbeitern zu helfen, dass sie über das Geschehene ins Reine kommen, wird man sie mit der Schaustellung einer papierenen „Einheit“ betrügen wollen. Und die Vereinigung der Sozialchauvinisten und Heuchler aller Länder wird man Wiederherstellung der Internationale nennen.

Man darf sich nicht verhehlen: die Gefahr einer solchen „Wiederherstellung“ ist sehr groß. Die Sozialchauvinisten aller Länder haben ein gleiches Interesse daran. Sie wünschen alle gleichermaßen nicht, dass die Arbeitermassen ihres Landes sich selbst Klarheit verschaffen über die Frage: Sozialismus oder Nationalismus. Sie sind alle gleichermaßen daran interessiert, ihre Sünden gegenseitig zu verdecken. Sie alle können nichts anderes vorschlagen, als was der Virtuose der „internationalen“ Heuchelei, Kautsky, vorschlägt.

Indessen gibt man sich wenig Rechenschaft von dieser Gefahr. Wir haben im Laufe eines Kriegsjahres eine Reihe von Versuchen erlebt, die internationalen Beziehungen wiederherzustellen. Wir wollen nicht reden von den Konferenzen in London und in Wien, auf denen ausgesprochene Chauvinisten zusammenkamen, um den Generalstäben und der Bourgeoisie ihrer bezüglichen „Vaterländer“ hilfreich beizustehen. Was wir im Auge haben, sind die Konferenzen in Lugano, in Kopenhagen, die internationale Frauen- und die internationale Jugendkonferenz. Diese Zusammenkünfte waren von den besten Wünschen beseelt. Aber sie sahen durchaus nicht die Gefahr, von der wir sprachen. Sie unterließen es, die Kampflinie der Internationalisten zu präzisieren. Sie verwiesen das Proletariat nicht auf die Gefahr, die ihm von dem sozialchauvinistischen Verfahren der „Wiederherstellung“ der Internationale droht. Sie beschränkten sich im besten Falle auf die Neubestätigung alter Resolutionen, ohne das Proletariat darauf aufmerksam zu machen, dass die Sache des Sozialismus ohne den Kampf gegen die Sozialchauvinisten eine hoffnungslose Sache ist. Sie waren im besten Falle ein Auf-der-Stelle-Treten.

Die Lage der Dinge bei der Opposition

Es besteht kein Zweifel daran, dass für alle Internationalisten die Lage der Dinge bei der deutschen sozialdemokratischen Opposition von allergrößtem Interesse ist. Die offizielle deutsche Sozialdemokratie, die die stärkste und die führende Partei in der II. Internationale war, versetzte der internationalen Arbeiterorganisation auch den empfindlichsten Schlag. Zugleich damit aber regte sich in der deutschen Sozialdemokratie auch die stärkste Opposition. Unter den großen europäischen Parteien erhoben in der deutschen zuerst diejenigen Genossen, die der Fahne des Sozialismus treu geblieben waren, die laute Stimme des Protests. Mit Freuden lasen wir Zeitschriften, wie die „Lichtstrahlen und „Die Internationale. Mit noch größerer Freude erfuhren wir von der Verbreitung illegaler revolutionärer Proklamationen in Deutschland, z. B. des Aufrufs „Der Hauptfeind steht im eigenen Land“. Das zeugte davon, dass unter den deutschen Arbeitern der Geist des Sozialismus noch lebt, dass es in Deutschland noch Männer und Frauen gibt, fähig, den revolutionären Marxismus zu verteidigen.

Im Schoße der deutschen Sozialdemokratie offenbarte sich am anschaulichsten die Spaltung im heutigen Sozialismus. Wir sehen dort mit aller Deutlichkeit drei Strömungen: die Opportunisten-Chauvinisten, die nirgend sonst auf eine so tiefe Stufe des Verfalls und des Renegatentums gelangt sind, wie gerade in Deutschland; das Kautskysche „Zentrum“, das sich hier als ganz unfähig zu jeder anderen Rolle erwies, als zu der, den Opportunisten Helferdienste zu leisten; schließlich die Linke, die einzig und allein die wirkliche Sozialdemokratie in Deutschland repräsentiert.

Vor allem interessiert uns natürlich die Lage der Dinge bei der deutschen Linken. In ihr erblicken wir unsere Genossen, die Hoffnung aller internationalistischen Elemente.

Wie liegen nun hier die Dinge?

Die Zeitschrift „Die Internationale“ hatte vollkommen recht, als sie erklärte, dass die deutsche Linke noch einen Gärungsprozess durchmacht, dass noch große Umgruppierungen bevorstehen und dass sich in ihren Reihen mehr und minder entschlossene Elemente befinden.

Wir russische Internationalisten maßen uns selbstverständlich nicht im Geringsten an, uns in die inneren Angelegenheiten unserer Genossen vom deutschen linken Flügel einmischen zu wollen. Wir begreifen, dass nur sie allein ganz kompetent sind, ihre Kampfmethoden gegen die Opportunisten entsprechend den Bedingungen von Ort und Zeit zu bestimmen. Wir betrachten es lediglich als unser Recht und als unsere Pflicht, offen unsere Meinung über die Lage auszusprechen.

Wir sind überzeugt, dass der Verfasser des Leitartikels in der „Internationale“ voll und ganz im Recht war, als er erklärte, dass das Kautskysche „Zentrum“ der Sache des Marxismus größeren Schaden zufügt als der offenherzige Sozialchauvinismus. Wer jetzt die Gegensätze vertuscht, wer unter der Maske eines angeblichen Marxismus den Arbeitern jetzt dasselbe predigt, wie das Kautskyanertum, der schläfert die Arbeiter ein, der ist schädlicher als die Südekum und Heine, die die Frage hart auf hart stellen und die Arbeiter zu klarer Auseinandersetzung zwingen.

Die Fronde gegen die „Parteiinstanzen“, die sich Kautsky und Haase in letzter Zeit erlauben, darf niemand in die Irre führen. Die Meinungsverschiedenheiten zwischen ihnen und den Scheidemännern sind keine prinzipiellen. Die einen glauben, dass Hindenburg und Mackensen schon gesiegt haben, und dass man sich den Luxus eines Protests gegen Annexionen bereits erlauben darf. Die anderen sind der Meinung, dass Hindenburg und Mackensen noch nicht gesiegt haben und dass man infolgedessen „bis zum Ende durchhalten“ muss.

Das Kautskyanertum führt gegen die „Instanzen“ nur einen Scheinkrieg – und zwar zu keinem anderen Zweck, als um dann nach dem Krieg vor den Arbeitern den prinzipiellen Streit zu vertuschen und die Sache zu verkleistern mit einer geschwollenen, unbestimmt „links“ gehaltenen Resolution Nr. 1001, worin ja die Diplomaten der II. Internationale solche Meister sind.

Es versteht sich durchaus, dass die deutsche Opposition in ihrem schweren Kampf gegen die „Instanzen“ auch diese nicht-prinzipielle Fronde der Kautskyaner ausnutzen muss. Aber den Prüfstein für jeden Internationalisten muss nach wie vor die ablehnende Haltung gegenüber dem Neu-Kautskyanertum darstellen. Nur der ist wahrhaft ein Internationalist, der gegen das Kautskyanertum kämpft und der begreift, dass das „Zentrum“, auch nach der scheinbaren Schwenkung seiner Führer, in Prinzipienfragen der Verbündete der Chauvinisten und Opportunisten bleibt.

Von gewaltiger Bedeutung ist unser Verhalten zu den schwankenden Elementen in der Internationale überhaupt. Solche Elemente – vorzüglich Sozialisten von pazifistischer Färbung – gibt es ebenso in den neutralen wie in einigen kriegführenden Ländern (in England z. B. die Unabhängige Arbeiterpartei). Diese Elemente können zu Mitläufern für uns werden. Ein Zusammengehen mit ihnen gegen die Sozialchauvinisten ist geboten. Man darf aber nicht vergessen, dass sie nur Mitläufer sind, dass im Wichtigsten und Wesentlichen bei der Wiederaufrichtung der Internationale diese Elemente nicht mit uns, sondern gegen uns marschieren werden, dass sie mit Kautsky, Scheidemann, Vandervelde, Sembat zusammengehen werden. Auf internationalen Konferenzen darf man sein Programm nicht auf das beschränken, was für diese Elemente annehmbar ist. Sonst werden wir selbst in die Gefangenschaft dieser schwankenden Pazifisten geraten. So war es z. B. auf der internationalen Frauenkonferenz in Bern. Die deutsche Delegation, die die Auffassungen der Genossin Clara Zetkin unterstützte, spielte auf dieser Konferenz faktisch die Rolle des „Zentrums“. Die Frauenkonferenz sagte nur das, was annehmbar war für die Delegierten aus der opportunistischen holländischen Partei Troelstras und für die Delegierten aus der ILP. (Unabhängige Arbeiterpartei), die – nicht zu vergessen – auf der Londoner Konferenz der „Entente“-Chauvinisten für die Resolution Vandervelde gestimmt hat. Wir bezeugen der ILP. unsere größte Hochachtung für den mannhaften Kampf, den sie während des Kriegs gegen die englische Regierung führt. Wir wissen aber, dass diese Partei nie auf dem Boden des Marxismus gestanden hat und auch jetzt nicht steht. Und wir halten dafür, dass es die Hauptaufgabe der sozialdemokratischen Opposition im gegenwärtigen Moment ist, die Fahne des revolutionären Marxismus zu erheben, den Arbeitern unsere Auffassung von den imperialistischen Kriegen fest und bestimmt zu sagen, die Parole revolutionärer Massenaktionen auszugeben, das heißt aber: Überleitung der Epoche der imperialistischen Kriege in den Beginn einer Bürgerkriegsepoche.

Revolutionär-sozialdemokratische Elemente existieren trotz alledem in vielen Ländern. Sie sind in Deutschland vorhanden, in Russland, in Skandinavien (eine einflussreiche Richtung, deren Vertreter Genosse Höglund ist), auf dem Balkan (die bulgarische Partei der „Engherzigen), in Italien, in England (ein Teil der Britischen Sozialistischen Partei), in Frankreich (Vaillant selbst hat in der „Humanité eingestanden, Protestbriefe von Internationalisten erhalten zu haben, obgleich er keinen einzigen davon vollständig veröffentlicht hat), in Holland (die Tribunisten) usw. Diese marxistischen Elemente, – und sollten sie zu Anfang numerisch auch noch so schwach sein – zusammenzuschließen, in ihrem Namen an die heute in Vergessenheit geratenen Lehren des revolutionären Sozialismus zu erinnern, an die Arbeiter aller Länder die Aufforderung zu richten, dass sie mit den Chauvinisten brechen und sich wieder unter dem alten Banner des Marxismus scharen, – dies ist die Aufgabe des Tags.

Alle Konferenzen mit sogenannten „Aktions“-Programmen haben es bisher nur dazu gebracht, dass auf ihnen mit mehr oder minder großer Vollständigkeit das Programm des simplen Pazifismus proklamiert wurde. Marxismus ist nicht Pazifismus. Für schnellste Beendigung des Kriegs zu kämpfen ist notwendig. Aber nur bei gleichzeitigem Aufruf zu revolutionärem Kampf erhält die „Friedens“-Forderung proletarischen Sinn. Ohne eine Reihe von Revolutionen ist der sogenannte demokratische Friede eine spießbürgerliche Utopie. Wirkliches Aktionsprogramm wäre nur ein marxistisches Programm, das den Massen volle und klare Auskunft über das Geschehene gäbe, das sie über das Wesen des Imperialismus und über den Kampf mit ihm aufklären würde, das offen erklären würde, dass der Zusammenbruch der II. Internationale durch den Opportunismus herbeigeführt worden ist, das offen zur Errichtung einer marxistischen Internationale ohne und gegen die Opportunisten aufrufen würde. Nur ein solches Programm, das bezeugen würde, dass wir weder den Glauben an uns selbst noch den Glauben an den Marxismus verloren haben, dass wir dem Opportunismus den Kampf auf Leben und Tod ansagen, würde uns früher oder später die Sympathie der wirklichen proletarischen Massen verschaffen.

Die Sozialdemokratische Arbeiterpartei Russlands und die III. Internationale

Die SDAPR hat sich schon seit langem von ihren Opportunisten geschieden. Die russischen Opportunisten sind jetzt auch noch Chauvinisten geworden. Das kann uns nur noch bestärken in der Meinung, dass der Bruch mit ihnen im Interesse des Sozialismus geboten ist. Wir sind überzeugt, dass die gegenwärtigen Differenzen zwischen Sozialdemokraten und Sozialchauvinisten absolut nicht geringer sind, als sie zwischen den Sozialisten und Anarchisten waren, zu der Zeit, als die Sozialdemokraten die Trennung von diesen letzteren durchführten. Der Opportunist Monitor hat in den „Preußischen Jahrbüchern ganz richtig gesagt, dass für die Opportunisten und für die Bourgeoisie die jetzige „Einheit“ vorteilhaft ist, weil sie die linken Elemente sich den Chauvinisten unterzuordnen zwingt und die Arbeiter hindert, sich in den Streitfragen zu orientieren und ihre wahrhaft proletarische, wahrhaft sozialistische Partei zu schaffen. Wir sind aufs Tiefste überzeugt, dass bei der heutigen Lage der Dinge die Lostrennung von den Opportunisten und Chauvinisten als die erste Pflicht des Revolutionärs gelten muss – genau so wie die Lostrennung von den Gelben, den Antisemiten, den liberalen Arbeiterverbänden usw. geboten war, und zwar eben im Interesse beschleunigter Aufklärung der zurückgebliebenen Arbeiter und ihrer Einreihung in die sozialdemokratische Partei.

Die III. Internationale müsste nach unserer Ansicht gerade auf solcher revolutionärer Basis geschaffen werden. Eine Frage der Zweckmäßigkeit des Bruchs mit den Sozialchauvinisten gibt es für unsere Partei nicht. Sie ist für die Partei unwiderruflich gelöst. Als Frage existiert für sie nur die Vollziehbarkeit dieses Bruchs im internationalen Maßstab in nächster Zeit.

Es ist vollkommen klar, dass für die Verwirklichung einer internationalen marxistischen Organisation die Bereitschaft zur Schaffung von selbständigen marxistischen Parteien in verschiedenen Ländern wirklich vorhanden sein muss. Deutschland als das Land der ältesten und stärksten Arbeiterbewegung ist von entscheidender Bedeutung. Die nächste Zukunft wird lehren, ob die Bedingungen für die Schaffung einer neuen marxistischen Internationale bereits herangereift sind. Wenn ja, so wird unsere Partei mit Freuden in eine solche vom Opportunismus und Chauvinismus gesäuberte III. Internationale eintreten. Wenn nicht, so wird das nur beweisen, dass zu einer solchen Säuberung noch eine mehr oder minder lange Evolution erforderlich ist. Und dann wird unsere Partei innerhalb der alten Internationale den äußersten oppositionellen Flügel bilden – solange nicht in den verschiedenen Ländern die Basis für eine auf dem Boden des revolutionären Marxismus stehende internationale Arbeiter-Assoziation geschaffen sein wird.

Wir wissen nicht und können es nicht wissen, wie die Entwicklung in den nächsten Jahren auf der internationalen Arena weitergehen wird. Was wir aber sicher wissen und wovon wir unerschütterlich überzeugt sind, ist dies, dass unsere Partei in unserem Lande unter unserem Proletariat unermüdlich in der vorgezeichneten Richtung tätig sein und in ihrem täglichen Handeln daran arbeiten wird, die russische Sektion einer marxistischen Internationale zu schaffen.

Auch wir in Russland haben keinen Mangel an offenherzigen Sozialchauvinisten und „Zentrums“-Gruppen. Diese Leute werden gegen die Schaffung einer marxistischen Internationale ankämpfen. Wir wissen, dass Plechanow auf einer und derselben prinzipiellen Basis steht mit Südekum und diesem schon jetzt die Hand entgegenhält. Wir wissen, dass das von Axelrod geleitete „Organisationskomitee“ das Kautskyanertum auf russischem Boden predigt. Unter dem Namen der Einheit der Arbeiterklasse predigen diese Leute die Einheit mit den Opportunisten und durch sie mit der Bourgeoisie. Aber alles, was wir über den gegenwärtigen Stand der Arbeiterbewegung in Russland wissen, gibt uns volle Bürgschaft dafür, dass das klassenbewusste Proletariat Russlands wie bisher auf Seiten unserer Partei bleiben wird.

IV. Kapitel. Die Geschichte der Spaltung und die heutige Lage der Sozialdemokratie in Russland

Die oben dargelegte Taktik der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Russlands gegenüber dem Krieg stellt das unvermeidliche Resultat einer dreißigjährigen Entwicklung der Sozialdemokratie in Russland dar. Man kann diese Taktik ebenso wie die heutige Lage der Sozialdemokratie in unserem Lande unmöglich richtig begreifen, wenn man sich nicht in die Geschichte unserer Partei vertieft. Darum müssen wir die Grundtatsachen dieser Geschichte dem Leser auch hier in Erinnerung bringen.

Als Geistesströmung entstand die Sozialdemokratie im Jahre 1883, als zum ersten Mal durch die Gruppe „Oswoboschdenije Truda“ im Ausland die sozialdemokratischen Anschauungen in ihrer Anwendung auf Russland systematisch dargestellt wurden. Bis zu Beginn der neunziger Jahre blieb die Sozialdemokratie eine Geistesströmung, ohne Verbindung mit einer Massenbewegung der russischen Arbeiterschaft. Zu Anfang der neunziger Jahre machte der gesellschaftliche Aufschwung, die Gärung und die Streikbewegung unter den Arbeitern die Sozialdemokratie zu einer aktiven politischen Kraft, unzertrennbar verbunden mit dem (ökonomischen wie politischen) Kampf der Arbeiterklasse. Und von dieser Zeit an beginnt auch die Spaltung der Sozialdemokratie in „Ökonomisten und „Iskra-Leute“.

Die „Ökonomisten" und die alte „Iskra“ (1894-1903)

Der „Ökonomismus“ war eine opportunistische Strömung in der russischen Sozialdemokratie. Sein politisches Wesen gipfelte in dem Programmsatz: „Die Arbeiter müssen den ökonomischen, die Liberalen den politischen Kampf führen.“ Seine theoretische Hauptstütze war der sogenannte „legale Marxismus oder „Struvismus“, der sich zu einem von jedem revolutionären Charakter gereinigten und den Bedürfnissen der liberalen Bourgeoisie angepassten „Marxismus“ „bekannte“. Sich auf die Unentwickeltheit der Arbeitermassen in Russland berufend und in dem Wunsche, „mit der Masse zu gehen“, wollten die „Ökonomisten“ die Aufgaben und den Elan der Arbeiterbewegung auf den ökonomischen Kampf und auf die politische Unterstützung des Liberalismus einschränken, ohne sich selbständige politische oder überhaupt revolutionäre Aufgaben zu stellen.

Die alte „Iskra“ (1900-1903) führte im Namen der Prinzipien der revolutionären Sozialdemokratie den Kampf mit dem „Ökonomismus“ siegreich durch. Die ganze Elite des klassenbewussten Proletariats stellte sich auf die Seite der „Iskra“. Einige Jahre vor der Revolution trat die Sozialdemokratie mit dem konsequentesten und unversöhnlichsten Programm hervor. Und der Kampf der Klassen, das Auftreten der Massen in der Revolution von 1905 bestätigte die Richtigkeit dieses Programms. Die „Ökonomisten“ passten sich der Zurückgebliebenheit der Massen an. Die „Iskra“ war bestrebt, eine Avantgarde der Arbeiter heran zu schulen, die befähigt wäre, die Massen vorwärts zu führen. Die heutigen Argumente der Sozialchauvinisten (Notwendigkeit, mit der Masse zu rechnen; fortschrittlicher Charakter des Imperialismus; „Illusionen“ der Revolutionäre usw.) sind alle schon von den Ökonomisten vorgebracht worden. Die opportunistische Verdrehung des Marxismus in den „Struvismus“ hat das sozialdemokratische Russland schon vor 20 Jahren kennengelernt.

Menschewismus und Bolschewismus (1903-1908)

Die Epoche der bürgerlich-demokratischen Revolution erzeugte einen neuen Kampf der Strömungen innerhalb der Sozialdemokratie, der eine gerade Fortsetzung des vorhergegangenen war. Der „Ökonomismus“ wandelte sich in den „Menschewismus“. Das Einstehen für die revolutionäre Taktik der alten „Iskra“ schuf den „Bolschewismus“.

In den Sturmjahren 1905-1907 war der Menschewismus eine opportunistische Strömung, die von den liberalen Bourgeois unterstützt wurde und die liberal-bürgerlichen Tendenzen in der Arbeiterbewegung durchzuführen suchte. Anpassung des Kampfes der Arbeiterklasse an den Liberalismus, – das war das Wesen dieser Richtung. Was dagegen der Bolschewismus als die Aufgabe der sozialdemokratischen Arbeiter vertrat, war dies: die demokratische Bauernschaft den Schwankungen und Verrätereien des Liberalismus zum Trotz in den revolutionären Kampf zu bringen. Und die Arbeitermassen gingen, wie dies die Menschewiki selbst wiederholt zugestanden haben, während der Revolution in allen großen Aktionen mit den Bolschewiki.

Die Revolution von 1905 hat an die unversöhnlich revolutionäre sozialdemokratische Taktik in Russland den Prüfstein angelegt, sie gestärkt, vertieft und gestählt. Das offene Auftreten der Klassen und Parteien hat den Zusammenhang des sozialdemokratischen Opportunismus (des „Menschewismus“) mit dem Liberalismus zu wiederholten Malen an den Tag gebracht.

Marxismus und Liquidatorentum (1908-1914)

Die konterrevolutionäre Epoche stellte wiederum – diesmal aber in ganz neuer Form – das Problem der opportunistischen und der revolutionären Taktik der Sozialdemokratie auf die Tagesordnung. Die Hauptgruppe des Menschewismus brachte den Protesten vieler seiner besten Vertreter zum Trotz die Strömung des Liquidatorentums hervor – Absage an den Kampf für eine neue Revolution in Russland, Absage an die illegale Organisation und Tätigkeit, verächtliches Gespött über „das Kellerloch“, über die Losung Republik usw. In Gestalt der legalen Literatengruppe der Zeitschrift „Nascha Sarja“ (die Herren Potressow, Tscherewanin usw.) bildete sich ein von der alten sozialdemokratischen Partei unabhängiger Kern, den die liberale russische Bourgeoisie auf tausenderlei Art unterstützte, reklamierte und hätschelte, beseelt von dem Wunsche, den Arbeitern den revolutionären Kampf abzugewöhnen.

Die Januarkonferenz der SDAPR im Jahre 1912, die trotz heftigsten Widerstandes einer ganzen Reihe von Auslandsgruppen und -grüppchen die Partei wiederherstellte, schloss diese Gruppe der Opportunisten aus der Partei aus. Mehr als zwei Jahre (von Anfang 1912 bis Mitte 1914) ging ein hartnäckiger Kampf zwischen zwei sozialdemokratischen Parteien vor sich: zwischen dem auf der Januarkonferenz 1912 gewählten Zentral-Komitee und dem „Organisationskomitee“, das die Januarkonferenz nicht anerkannte und die Partei in anderer Form, unter Aufrechterhaltung der Einheit mit der Gruppe „Nascha Sarja“, rekonstruieren wollte. Ein hartnäckiger Kampf wurde zwischen den beiden als Tagesblätter erscheinenden Arbeiterzeitungen („Prawda“ und „Lutsch“ samt ihren Nachfolgern) ausgefochten, ebenso zwischen den beiden sozialdemokratischen Fraktionen der IV. Reichsduma („RSDA-Fraktion“ der „Prawdisten“ oder Marxisten und „sozialdemokratische Fraktion“ der Liquidatoren mit Tschcheïdse an der Spitze).

Während die „Prawdisten“, den revolutionären Geboten der Partei Treue haltend, den (besonders nach dem Frühjahr 1912) beginnenden Aufschwung der Arbeiterbewegung unterstützten und, die legale Organisation, Presse und Agitation mit der illegalen vereinigend, die erdrückende Mehrheit der klassenbewussten Arbeiterschaft um sich gruppierten, stützten sich die Liquidatoren – als politische Kraft einzig durch die Gruppe „Nascha Sarja“ aktiv vertreten – auf die allseitige Unterstützung der liberalen bürgerlichen Elemente.

Die öffentlichen Geldbeiträge der Arbeitergruppen an die Blätter beider Parteien – in jener Epoche die an die russischen Verhältnisse angepasste (und legal allein zulässige, von jedermann frei kontrollierbare) Form von sozialdemokratischen Mitgliedsbeiträgen – erwiesen mit aller Anschaulichkeit, dass die Kraft und der Einfluss der „Prawdisten“ (Marxisten) proletarischen Ursprungs waren, während die Liquidatoren (und ihr „OK) aus bürgerlich-liberalen Quellen gespeist wurden. Im Folgenden über diese Geldbeiträge einige wenige Angaben, wie sie ausführlich in dem Buche „Marxismus und Liquidatorentum“, gekürzt in der deutschen sozialdemokratischen „Leipziger Volkszeitung“ am 21. Juni 1914 veröffentlicht worden sind.

Anzahl und Summe der Beiträge für die Petersburger Tageszeitungen der Marxisten (Prawdisten) und der Liquidatoren, vom 1. Januar bis zum 13. Mai 1914:


Prawdisten

Liquidatoren


Anzahl der Beiträge

Summe in Rubel

Anzahl der Beiträge

Summe in Rubel

von Arbeitergruppen

2873

18934

671

5296

nicht von „

713

2650

423

6760

Unsere Partei vereinigte also im Jahre 1914 vier Fünftel der klassenbewussten Arbeiterschaft Russlands um die revolutionäre sozialdemokratische Taktik. Für das ganze Jahr 1913 war die Anzahl der von Arbeitergruppen geleisteten Beiträge 2181 bei den Prawdisten, 661 bei den Liquidatoren. Für die Zeit vom 1. Januar 1913 bis zum 13. Mai 1914 erhalten wir folgende Gesamtzahl: 5054 Beiträge von Arbeitergruppen für die „Prawdisten“ (d. h. für unsere Partei) und 1332, d. h. 20,8%, für die Liquidatoren.

Marxismus und Sozialchauvinismus (1914-1915)

Der große europäische Krieg von 1914/15 gab allen westeuropäischen, ebenso auch den russischen Sozialdemokraten die Möglichkeit, ihre Taktik an einer Krisis von Weltausmaß zu prüfen.

Dieser reaktionäre und räuberische Sklavenhalterkrieg offenbart diesen seinen Charakter auf Seite des Zarismus noch anschaulicher als auf Seite der andern Regierungen. Nichtsdestoweniger schwenkte die Hauptgruppe der Liquidatoren zum Sozialchauvinismus ab (sie, die einzige, die, abgesehen von unserer Partei, ernst zu nehmenden Einfluss in Russland besitzt, dank ihren Verbindungen mit dem Liberalismus)! Da sie, die Gruppe „Nascha Sarja“, ziemlich lange Zeit das Monopol der Legalität besaß, konnte sie unter den Massen Propaganda treiben und tat dies in folgendem Sinne: „Kein Widerstand gegen den Krieg“, der Sieg des Drei- (jetzt Vier-) Verbands ist wünschenswert, der deutsche Imperialismus macht sich „über die Norm hinausgehender Sünden“ schuldig, usf. Plechanow, der seit 1903 zu wiederholten Malen Beispiele äußerster politischer Charakterlosigkeit gegeben hatte und wiederholt zu den Opportunisten übergegangen war, nahm, von der ganzen bürgerlichen Presse Russlands mit Lob überschüttet, die gleiche Haltung in noch ausgeprägterer Form ein. Plechanow ging selbst so weit, dass er den vom Zarismus geführten Krieg für einen gerechten Krieg erklärte und in der italienischen Regierungspresse ein Interview veröffentlichte, in dem er sich für den Eintritt Italiens in den Krieg einsetzte!

Die Richtigkeit unserer Einschätzung des Liquidatorentums und des Ausschlusses der Hauptgruppe der Liquidatoren aus unserer Partei war somit voll und ganz bekräftigt. Das reale Programm der Liquidatoren und die reale Bedeutung ihrer Richtung besteht heute nicht mehr nur im Opportunismus überhaupt, sondern auch darin, dass sie nunmehr die Großmacht-Privilegien und Machtpositionen der großrussischen Gutsbesitzer und Bourgeois verteidigen. Das ist die Richtung einer national-liberalen Arbeiterpolitik. Das ist das Bündnis eines Teils von radikalen Kleinbürgern und eines verschwindend geringen Teils von privilegierten Arbeitern mit „ihrer“ nationalen Bourgeoisie gegen die Masse des Proletariats.

Die gegenwärtige Lage der Dinge in der russischen Sozialdemokratie

Wie schon erwähnt, haben die Liquidatoren, ebenso eine ganze Reihe von Auslandsgruppen (die von Plechanow, Alexinski, Trotzki u. a.) und die sogenannten „nationalen“ (d. h. nicht großrussischen) Sozialdemokraten unsere Januarkonferenz von 1912 nicht anerkannt. Unter den unzähligen Schmähungen, mit denen man uns bedachte, hörte man am häufigsten die Beschuldigung des „Usurpatorentums“ und der „Spalterei“. Unsere Antwort darauf bestand in der Anführung von genauen, eine objektive Nachprüfung erlaubenden Zahlen, die bewiesen, dass unsere Partei vier Fünftel der klassenbewussten Arbeiterschaft Russlands um sich vereinigt hat. Das ist nicht wenig, angesichts all der Schwierigkeiten, die der illegalen Arbeit in einer konterrevolutionären Epoche entgegenstehen.

Wenn die „Einheit“ in Russland auf Grund der sozialdemokratischen Taktik ohne Ausschluss der Gruppe „Nascha Sarja“ möglich wäre, warum haben denn unsere zahlreichen Gegner sie nicht einmal unter sich verwirklicht? Seit Januar 1912 sind volle dreieinhalb Jahre verflossen, und während dieser ganzen Zeit haben es unsere Gegner bei allem guten Willen nicht fertiggebracht, eine sozialdemokratische Partei gegen uns zu schaffen. Diese Tatsache ist die beste Verteidigung unserer Partei.

Die ganze Geschichte der gegen unsere Partei kämpfenden sozialdemokratischen Gruppen ist eine Geschichte der Zersetzung und des Zerfalls. Im März 1912 vereinigten sie sich alle ohne Ausnahme in der Fehde gegen uns. Aber schon im August 1912, als der sogenannte „Augustblock gegen uns ins Leben gerufen wurde, begann bei ihnen der Zerfall. Ein Teil der Gruppen fällt von ihnen ab. Sie vermögen keine Partei und kein Zentral-Komitee zu schaffen. Sie schaffen nur ein Organisationskomitee „zur Wiederherstellung der Einheit“. Aber in Wirklichkeit erwies sich dieses OK als vergeblicher Schutzschirm für die Liquidatorengruppe in Russland. Während der ganzen Periode gewaltigen Aufschwungs der Arbeiterbewegung in Russland und der Massenstreiks in den Jahren 1912-1914 bleibt vom ganzen Augustblock als einzige unter den Massen wirkende Gruppe die Gruppe „Nascha Sarja“ übrig, die ihre Kraft aus ihren Beziehungen zum Liberalismus schöpft. Zu Anfang des Jahres 1914 treten die lettischen Sozialdemokraten formell aus dem Augustblock aus (die polnischen Sozialdemokraten waren ihm überhaupt nicht beigetreten), und Trotzki, einer der Führer des Blocks, schied aus dem Block nicht-formell aus und schuf erneut seine eigene Gruppe. Im Juli 1914 wurde auf der Brüsseler Konferenz unter Beteiligung des Exekutivkomitees des Internationalen Sozialistischen Büros, Kautskys und Vanderveldes, der sogenannte „Brüsseler Block“ gegen uns gebildet, dem die Letten nicht beitraten und aus dem die polnische sozialdemokratische Opposition sofort ausschied. Nach Kriegsausbruch geht dieser Block in Trümmer. „Nascha Sarja“, Plechanow, Alexinski, der kaukasische Sozialdemokrat An, werden zu offenen Sozialchauvinisten, die die Niederlage Deutschlands als wünschenswertes Ziel predigen. Das OK. und der „Bund“ verteidigen die Sozialchauvinisten und die Grundlagen des Sozialchauvinismus. Die Fraktion Tschcheïdse, obgleich sie gegen die Kriegskredite gestimmt hatte (in Russland stimmten sogar bürgerliche Demokraten, die Trudowiki, gegen die Kriegskredite), bleibt treuer Verbündeter von „Nascha Sarja“. Unsere extremen Sozialchauvinisten, Plechanow, Alexinski und Co. sind mit der Fraktion Tschcheïdse vollkommen zufrieden. In Paris wird das Blatt „Nasche Slowo (früher Golos) gegründet unter Beteiligung hauptsächlich von Martow und Trotzki, die gerne die platonische Verteidigung des Internationalismus vereinigen möchten mit der unbedingten Forderung der Einheit mit „Nascha Sarja“, dem OK oder der Fraktion Tschcheïdse. Nach Erscheinen von 250 Nummern sieht sich dieses Blatt genötigt, seinen Zerfall selbst einzugestehen: ein Teil der Redaktion neigt zu unserer Partei; Martow will dem OK treu bleiben, das öffentlich das Blatt „Nasche Slowo“ des „Anarchismus“ bezichtigt (ebenso wie die Opportunisten in Deutschland, David und Co., die „Internationale Korrespondenz“, Legien und Co. den Genossen Liebknecht des Anarchismus beschuldigen); Trotzki verkündet seinen Bruch mit dem OK, wünscht aber mit der Fraktion Tschcheïdse zusammenzugehen. Hier das taktische Programm der Fraktion Tschcheïdse, wie es von einem ihrer Führer dargestellt wird. In Nr. 5 des „Sowremenny Mir (1915), einer Revue, die den Standpunkt Alexinskis und Plechanows vertritt, schreibt Tschchenkeli:

Die Behauptung, die deutsche Sozialdemokratie sei imstande gewesen, das kriegerische Auftreten ihres Landes zu verhindern, habe das aber nicht getan, würde entweder den stillen Wunsch bedeuten, sie solle nicht nur ihren eigenen Untergang, sondern auch den ihres Vaterlandes finden, oder aber es würde bedeuten, dass man vor der Nase liegende Gegenstände durch ein anarchistisches Teleskop betrachtet.“13**

In diesen paar Zeilen ist das ganze Wesen des Sozialchauvinismus ausgedrückt: ebenso die prinzipielle Rechtfertigung der Idee der „Vaterlandsverteidigung“ im gegenwärtigen Krieg wie – mit gefälliger Erlaubnis der Militärzensoren – der Hohn über die Propagierung und Vorbereitung der Revolution. Es kommt doch gar nicht darauf an, ob die deutsche Sozialdemokratie den Krieg zu verhindern imstande war, auch nicht darauf, ob Revolutionäre überhaupt die Garantie für den Sieg der Revolution übernehmen können. Es handelt sich darum, ob man sich als Sozialist verhält oder buchstäblich in den Umarmungen der imperialistischen Bourgeoisie seinen „Untergang findet“.

Die Aufgaben unserer Partei

Die russische Sozialdemokratie entstand vor der bürgerlich-demokratischen Revolution (1905) in unserem Lande und erstarkte während der Revolution und der Konterrevolution. Die Zurückgebliebenheit Russlands erklärt die außergewöhnliche Fülle von Richtungen und Nuancen des kleinbürgerlichen Opportunismus bei uns, während der Einfluss des Marxismus in Europa und die Solidität der legalen sozialdemokratischen Parteien vor dem Krieg unsere Muster-Liberalen beinahe zu Anhängern einer „vernünftigen“, „europäischen“ („nicht revolutionären“), „nicht illegalen“ „marxistischen“ Theorie und Sozialdemokratie machte. Die russische Arbeiterklasse konnte ihre Partei nicht anders als in einem entschlossenen dreißigjährigen Kampf mit allen Spielarten des Opportunismus aufbauen. Die Erfahrung des Weltkriegs, der den schimpflichen Zusammenbruch des europäischen Opportunismus herbeiführte und das Bündnis unserer National-Liberalen mit dem sozialchauvinistischen Liquidatorentum stärkte, bestärkt uns noch weit mehr in der Überzeugung, dass unsere Partei auch fernerhin eben diesen konsequent revolutionären Weg gehen muss.

1 Die Broschüre „Sozialismus und Krieg“ wurde von Lenin in Zusammenarbeit mit Sinowjew im August 1915 geschrieben. Sie sollte zur Zimmerwalder Konferenz herauskommen, doch verzögerte sich ihr Erscheinen aus technischen Gründen bis nach der Konferenz. Nach der Oktoberrevolution wurde sie 1918 in Petrograd und 1924 zum zehnten Jahrestag des imperialistischen Kriegs vom Verlag „Krasnaja Nowj“ mit einem Vorwort von Sinowjew neu herausgegeben; in diesem Vorwort verweist G. Sinowjew darauf, dass das erste Kapitel und einige Teile des dritten und vierten Kapitels aus der Feder von Lenin stammen. Ebenso lag in Lenins Händen die allgemeine Redaktion der Broschüre.

2 Lenin meint hier die Rede Wilhelm Liebknechts auf dem Erfurter Parteitag der deutschen Sozialdemokratie 1891; sie ist im Protokoll des Parteitags, herausgegeben 1891, auf S. 206 u. 207 wiedergegeben.

3 Zitat aus dem in den dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts erschienenen Werk von Clausewitz: „Vom Krieg“ (während des Weltkriegs neu herausgegeben).

4 Dieser ganze Abschnitt fehlte in der deutschen Ausgabe der Broschüre. Die Red.

5 In der deutschen Ausgabe der Broschüre ist durchgängig statt „Sozialchauvinismus“ – „Sozialpatriotismus“ („sozialpatriotisch“ usw.) gesagt. Die Red.

6 Die Broschüre von Paul Golay: „Le socialisme qui meurt et le socialisme qui doit renaître“ („Der Sozialismus, der stirbt, und der Sozialismus, der wiedererstehen soll“) erschien in Lausanne 1915.

7 Dieser Absatz fehlte in der deutschen Ausgabe der Broschüre vollständig. Die Red.

* Engels im „Volksstaat, 1874, Nr. 69.

8 Im Text der deutschen Ausgabe der Broschüre ist in Klammern erläuternd hinzugefügt: „bäuerliche Demokratie“. Die Red.

9 Nr. 1 des „Proletarski Golos“ („Proletarische Stimme“) erschien im Februar 1915.

10 Die letzten zwei Sätze dieses Abschnitts fehlten in der deutschen Ausgabe der Broschüre. Die Red.

11 Viktor Adler in seinem Artikel: „Hoffnungsschimmer“, in Nr. 45 der Wiener „Arbeiter-Zeitung vom 14. Februar 1915.

12 Lenin meint hier den Artikel von W. Heine in den „Sozialistischen Monatsheften vom 8. Juli 1915, Heft 13.

13 Die Zeitschrift „Sowremenny Mir („Moderne Welt“) veröffentlichte in Nr. 3 Tschchenkelis Aufsatz: „Fünf Wochen in Berlin.“

**Sowremenny Mir, 15, Nr. 5, S. 148. Trotzki erklärte unlängst, er betrachte es als seine Aufgabe, die Autorität der Fraktion Tschcheïdse in der Internationale zu erhöhen. Zweifellos wird Tschchenkeli seinerseits ebenso energisch bestrebt sein, die Autorität Trotzkis in der Internationale zu erhöhen. … [Trotzki schrieb in einem in „Nasche Slowo“ am 4. Juni 1915 (Nr. 105) abgedruckten offenen Brief an die Redaktion der Zeitschrift „Kommunist“: „Ich bin stolz auf das Verhalten unserer Abgeordneten (Fraktion Tschcheïdse), sehe in ihnen ein sehr wichtiges Organ für die internationalistische Erziehung des russischen Proletariats und halte es eben darum für die Pflicht jedes revolutionären Sozialdemokraten, sie in jeder Weise zu unterstützen und ihre Autorität in der Internationale zu festigen.]

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