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Wladimir I. Lenin 19170100 Offener Brief an Charles Naine, Mitglied der Internationalen Sozialistischen Kommission in Bern

Wladimir I. Lenin: Offener Brief an Charles Naine, Mitglied der Internationalen Sozialistischen Kommission in Bern

[Geschrieben im Januar 1917 Erstmalig veröffentlicht im Jahre 1924 in der Zeitschrift „Proletarskaja Revoluzija" Nr. 4 (27). Nach Sämtliche Werke, Band 19, 1930, S. 500-509]

Werter Genosse! Das Auftreten des Herrn Nationalrats Robert Grimm in der Parteivorstandssitzung vom 7. Januar d. J. zusammen mit allen Sozialnationalisten, und in hohem Maße an deren Spitze, für die Resolution über die Verschiebung des Parteitages macht das Maß unserer Geduld voll und entlarvt endgültig den Herrn Nationalrat R. Grimm.

Der Vorsitzende der in Zimmerwald gewählten Internationalen Sozialistischen Kommission, der Vorsitzende der Zimmerwalder und der Kienthaler Konferenz, der „autoritativste“ Vertreter der gesamten Zimmerwalder Vereinigung vor der ganzen Welt macht zusammen mit Sozialpatrioten, ja an ihrer Spitze, als offener Verräter an Zimmerwald den Vorschlag, den Parteitag zu verhindern, der schon lange gerade dazu festgesetzt wurde, um in dem freiesten und den örtlichen und zeitlichen Bedingungen nach international einflussreichsten Lande Europas – über die Frage der Vaterlandsverteidigung im imperialistischen Krieg zu entscheiden!!

Können wir da schweigen? Kann man Ruhe bewahren angesichts einer derartigen Tatsache, die für immer die ganze Zimmerwalder Bewegung schänden, sie für immer in eine Komödie verwandeln würde, wenn man nicht Herrn Nationalrat Grimm die Maske vom Gesicht risse?

Die sozialistische Partei der Schweiz ist die einzige der europäischen sozialistischen Parteien, die direkt und offiziell auf einem legalen Kongress, ohne Behinderung durch Militärzensur und Militärbehörden, den Anschluss an Zimmerwald vollzog, es unterstützte und zwei Mitglieder in die Internationale Sozialistische Kommission entsandte, vor der ganzen Welt als wichtigste Repräsentantin der Zimmerwalder Bewegung auftrat, wenn man von der italienischen Partei absehen will, die dank dem Kriegszustände unter unvergleichlich schwierigeren Bedingungen arbeitet. Und da finden sich in der schweizerischen sozialistischen Partei, die auf ihrem Parteitag in Zürich vom 4. und 5. November 1916 – nach wiederholten Verzögerungen, die unter anderem durch den Kampf gegen die erst im Herbst 1916 von der Partei in einem besonderen Grütliverein abgespaltenen offenen Sozialpatrioten hervorgerufen worden war – endgültig beschloss, zur Entscheidung der Militärfrage und der Frage der Vaterlandsverteidigung einen außerordentlichen Parteitag für den Februar 1917 nach Bern einzuberufen, – in dieser Partei finden sich Leute, die sich dazu entschließen, diesen Parteitag zu hintertreiben, ihn zu verhindern, nicht zuzulassen, dass die Arbeiter selbst, und dabei eben während des Krieges, die Frage der Stellung zu den Militärs und zur Vaterlandsverteidigung diskutieren und entscheiden.

Und an der Spitze dieser Leute, deren Politik der ganzen Zimmerwalder Bewegung ins Gesicht schlägt, erwies sich der Vorsitzende der Internationalen Sozialistischen Kommission!

Ist das etwa kein ausgesprochener Verrat an Zimmerwald? Heißt das nicht auf alle Zimmerwalder Beschlüsse pfeifen?

Man braucht sich nur einige von den Motiven näher anzusehen, mit denen offiziell die Vertagung des Parteitages begründet wird, um die ganze Bedeutung dieser Maßnahme zu verstehen.

Ja, sehen Sie, die Arbeiter sind noch nicht dazu vorbereitet“, diese Frage zu entscheiden!

In allen Manifesten und Resolutionen von Zimmerwald und Kienthal ist viele, viele Male die Rede davon, dass die Vaterlandsverteidigung im imperialistischen Krieg, in einem Krieg zwischen zwei imperialistischen Koalitionen, einem Krieg um den Raub der Kolonien und die Unterdrückung schwacher Nationen, Verrat am Sozialismus ist, ganz gleich, ob sich diese auf die „Großmächte“ bezieht oder auf kleine Nationen, die bis jetzt ihre Neutralität bewahrt haben. In allen Tonarten wird dieser Gedanke in allen offiziellen Dokumenten von Zimmerwald und Kienthal wiederholt. In hunderten Artikeln und Notizen in allen sozialistischen Zeitungen der Schweiz und besonders in der vom Herrn Nationalrat R. Grimm redigierten „Berner Tagwacht“ wurde dieser Gedanke immer von neuem wiedergekäut. In Sympathieerklärungen für K. Liebknecht, Höglund, Maclean wurde hunderte Male die allen Zimmerwaldern gemeinsame Überzeugung unterstrichen, dass diese Männer die Lage und die Interessen der Masse richtig verstanden haben, dass die Sympathie gerade der Masse, d. h. der Mehrheit der Unterdrückten und Ausgebeuteten, auf ihrer Seite ist, dass die Proletarier aus ihrem Klasseninstinkt heraus – überall, sowohl in dem „großen“ kriegführenden Deutschland als auch in dem kleinen neutralen Schweden – jene Wahrheit begreifen, dass die Vaterlandsverteidigung im imperialistischen Krieg Verrat am Sozialismus ist.

Und nun tritt der Vorsitzende der Internationalen Sozialistischen Kommission unter begeisterter Zustimmung und mit wärmster Unterstützung aller ausgesprochenen Vertreter des Sozialpatriotismus in der schweizerischen sozialistischen Partei, der H. Greulich, Huber, P. Pflüger, Manz-Schäppi usw. usw., mit dem heuchlerischen und verlogenen Argument auf den Plan, der Kongress werde verschoben, weil die „Arbeiter nicht vorbereitet“ seien.

Das ist empörende, unerträgliche Heuchelei und Lüge. Jedermann weiß – und die Zeitung „Der Grütlianer“ spricht diese bittere Wahrheit offen aus1 –, dass der Parteitag deshalb verschoben wird, weil die genannten Sozialpatrioten sich vor den Arbeitern fürchten, weil sie sich fürchten vor einer Entscheidung der Arbeiter gegen die Vaterlandsverteidigung, weil sie für den Fall, dass ein Beschluss über die Ablehnung der Vaterlandsverteidigung gefasst wird, mit der Niederlegung ihrer Nationalratsmandate drohen. Die sozialpatriotischen „Führer“ der schweizerischen sozialistischen Partei, die auch jetzt noch, zweieinhalb Jahre nach Beginn des Krieges, für die „Vaterlandsverteidigung“, d. h. für die Verteidigung der imperialistischen Bourgeoisie dieser oder jener Koalition sind, diese Führer haben beschlossen, den Parteitag zu hintertreiben, die Willensäußerung der schweizerischen sozialistischen Arbeiter zu hintertreiben, ihnen nicht zu gestatten, während des Krieges ihre Stellung zum Krieg und zu den „Vaterlandsverteidigern“, d. h. den Lakaien der imperialistischen Bourgeoisie, zu diskutieren und festzulegen.

Das ist der wahre, allen wohlbekannte Grund für die Verschiebung des Parteitages, das ist der Verrat, den der Vorsitzende der Internationalen Sozialistischen Kommission, der auf die Seite der Sozialpatrioten in der schweizerischen sozialistischen Partei gegen die schweizerischen klassenbewussten Arbeiter übergelaufen ist, an Zimmerwald begangen hat!

Das ist die bittere Wahrheit, die der offen sozialpatriotische „Grütlianer“ – der übrigens immer bestens informiert ist über das, was die grütlianischen Führer innerhalb der sozialistischen Partei, die Greulich, Pflüger, Huber, Manz-Schäppi und Co., denken und tun – zum Ausdruck brachte, als er drei Tage vor der Sitzung vom 7. Januar 1917 u. a. schrieb2:

Ein zweites „offizielles“ Motiv für die Verschiebung des Parteitages: die im Dezember oder sogar im November 1916 zur Ausarbeitung von Resolutionen zur Militärfrage gewählte spezielle Kommission sei „nicht zu einer Übereinstimmung gelangt“!!

Als ob die Grimm und Co. nicht vorher gewusst hätten, dass eine Einstimmigkeit in einer derartigen Frage in der schweizerischen sozialistischen Partei unmöglich ist, wenn in ihr solche „Führer“, wie Greulich, Pflüger, G. Müller, Huber, Manz-Schäppi, Otto Lang und andere bleiben, ohne zur sozialpatriotischen Grütli-Partei überzugehen, obwohl sie restlos den sozialpatriotischen Standpunkt des „Grütlivereins“ teilen und die sozialistischen Arbeiter durch ihr Verbleiben in einer sozialistischen Partei nur betrügen!

Als ob die Grimm und Co. im Sommer 1916 nicht klar gesehen hätten, dass eine Einstimmigkeit in der Frage der Vaterlandsverteidigung nicht vorhanden ist und nicht vorhanden sein kann, denn im Sommer 1916 wurden die sozialpatriotischen Thesen von Pflüger, G. Müller und anderen3 veröffentlicht, und Grimm musste selbstverständlich tausende Male im Nationalrat die sozialpatriotischen Auffassungen von Greulich und Co., wenn nicht der Mehrheit der Mitglieder der sozialdemokratischen Nationalratsfraktion kennenlernen!

Die Grimm und Co. wollen die sozialistischen Arbeiter der Schweiz betrügen. Deshalb haben sie bei der Einsetzung der Kommission die Namen ihrer Mitglieder nicht veröffentlicht. Der „Grütlianer“ indes sagte die Wahrheit, als er diese Namen veröffentlichte und, als selbstverständlich, die jedermann bekannte Wahrheit hinzufügte, dass eine derartige Kommission keinen einstimmigen Beschluss fassen könne!

Um die Arbeiter zu betrügen, verzichteten Grimm und Co. auf einen Beschluss, die Resolutionen der Kommission sofort zu veröffentlichen, und verheimlichen so den Arbeitern die Wahrheit. Die Resolutionen sind indes schon lange fertig und sogar schon vertraulich gedruckt!!

Wie zu erwarten, findet man die Namen Huber, Pflüger, Klöti, G. Müller unter einer Resolution, die die „Vaterlandsverteidigung“ anerkennt, d. h. den Verrat am Sozialismus während des Krieges rechtfertigt, dessen imperialistischer Charakter schon Tausende Male enthüllt worden ist!! Die Namen Nobs, Affolter, Schneider, Naine, Gräber findet man unter einer Resolution, die die Vaterlandsverteidigung ablehnt.

Man schaue sich an, welch schamloses, gewissenloses Spiel Grimm und die Sozialpatrioten mit den sozialistischen Arbeitern treiben:

Sie schreien, dass die Arbeiter nicht vorbereitet seien, und tun das zu einer Zeit, wo diese Führer selbst den Arbeitern zwei bereits ausgearbeitete Resolutionen vorenthalten, die den Arbeitern mit aller Deutlichkeit zwei Ideenkreise, zwei unversöhnliche Wege der Politik aufzeigen, die sozialpatriotische und die Zimmerwalder Politik!!

Grimm und die Sozialpatrioten sind gewissenlose Arbeiterbetrüger, denn sie gerade haben beschlossen, den Parteitag zu hintertreiben, die Resolutionen nicht zu veröffentlichen und den Arbeitern es unmöglich zu machen, offen beide Wege der Politik abzuwägen und über sie zu beraten, und gerade sie schreien über das „Unvorbereitetsein“ der Arbeiter!

Weitere „offizielle“ Argumente für die Verschiebung des Parteitages: man müsse gegen die Teuerung kämpfen, man müsse die Wahlkampagne durchführen usw.

Diese Argumente bedeuten einfach eine Verhöhnung der Arbeiter. Wer weiß denn nicht, dass wir Sozialdemokraten nicht gegen den Kampf für Reformen sind, allerdings, zum Unterschied von den Sozialpatrioten, zum Unterschied von den Opportunisten und Reformisten, uns nicht auf den Kampf für Reformen beschränken, sondern ihn dem Kampf für die Revolution unterordnen? Wer weiß nicht, dass gerade diese Politik mehrfach in den Manifesten von Zimmerwald und Kienthal dargelegt ist? Wir sind nicht gegen Wahlen und Reformen zur Milderung der Teuerung, aber an erste Stelle setzen wir die offene Aufklärung der Massen über die Wahrheit, nämlich, dass er unmöglich ist, die Teuerung anders zu überwinden als durch die Expropriierung der Banken und Großbetriebe, d. h. durch die soziale Revolution.

Und zu was ruft jedes Manifest der Zimmerwalder Vereinigung als Antwort auf den Krieg, in Verbindung mit dem Krieg auf?

Zum revolutionären Massenkampf, dazu, die Waffen gegen den Feind im eigenen Lande zu kehren (siehe den letzten Aufruf der Internationalen Sozialistischen Kommission „An die Arbeiterklasse“, von Ende Dezember 1916), d. h. die Waffen zu kehren gegen die eigene Bourgeoisie, gegen die eigene Regierung.

Geht daraus nicht für jeden, nur einigermaßen des Denkens fähigen Menschen klar hervor, dass gerade die Politik der Ablehnung der Vaterlandsverteidigung verbunden ist mit einem wirklich revolutionären, wirklich sozialistischen Kampfe gegen die Teuerung, mit einer wirklich sozialistischen und nicht bürgerlich-reformistischen Ausnützung der Wahlkampagne?

Ist es nicht klar, dass gerade die sozialpatriotische Politik, die Politik der „Vaterlandsverteidigung“ im imperialistischen Krieg, die Politik des Reformismus ist, d. h. des bürgerlich-reformistischen und nicht des sozialistischen Kampfes gegen die Teuerung, des Kampfes während einer Wahlkampagne?

Wie kann man einen Parteitag, der die Frage der „Vaterlandsverteidigung“ (d. h. der Wahl zwischen sozialpatriotischer und sozialistischer Politik) entscheiden soll, „unter dem Vorwand“ des Kampfes gegen die Teuerung usw. „aufschieben“?? Mit diesem falschen, verlogenen Argument wollen Grimm und die Sozialpatrioten vor den Arbeitern die Wahrheit vertuschen, dass sie sowohl den Kampf gegen die Teuerung als auch die Wahlen usw. im bürgerlich-reformistischen und nicht im Zimmerwalder Geiste durchführen wollen.

Am 6. August 1916 sprach in Zürich Grimm vor 115 Arbeitervertrauensleuten aus der ganzen Schweiz4 und entwickelte vor ihnen gerade den bürgerlich-reformistischen und nur den reformistischen Kampf gegen die Teuerung!5 Grimm geht „festen Schrittes“ auf sein Ziel los: die Annäherung an die Sozialpatrioten gegen die sozialistischen Arbeiter, gegen Zimmerwald.

Und besonders widerwärtig ist daran, dass Grimm seinen Übergang auf die Seite der Sozialpatrioten mit verstärktem Geschimpfe auf nicht-schweizerische Sozialpatrioten bemäntelt. Hier haben wir eine der tiefsten Wurzeln des Verrats von Grimm, eine der tiefsten Quellen der ganzen Politik des Betruges, die der 7. Januar 1917 enthüllte.

Man sehe sich die „Berner Tagwacht“ an: wie viele Schimpfworte verschwendete nicht diese Zeitung an die Adresse der russischen, französischen, englischen, deutschen, österreichischen Sozialpatrioten – mit einem Wort an alle … , außer den schweizerischen! Grimm ist so weit gegangen, dass er den deutschen Sozialpatrioten Ebert, ein Mitglied des Parteivorstandes der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, „einen Rausschmeißer in einem Bordell“6 genannt hat („Berner Tagwacht“ Nr. … vom …7).

Nicht wahr, was für ein mutiger Kerl dieser Grimm ist! Was für ein ritterlicher Kämpe, dieser Grimm! Wie mannhaft er von Bern aus auf die Sozialpatrioten … in Berlin losgeht! Wie großmütig schweigt dieser Ritter über die Sozialpatrioten … in Bern und Zürich!

Aber worin unterscheidet sich Ebert in Berlin von Greulich, Manz-Schäppi und Pflüger in Zürich, von Gustav Müller, Schneeberger, Dürr in Bern? Entschieden in nichts. Sie sind alle Sozialpatrioten. Sie alle nehmen einen prinzipiell völlig gleichen Standpunkt ein. Sie alle tragen in die Massen nicht sozialistische, sondern „grütlianische“, d. h. nationalistische, bürgerliche Ideen.

Als Grimm im Sommer 1916 seine Thesen zur Militärfrage8 abfasste und sie absichtlich weitschweifig und unklar abfasste, in der Hoffnung, sowohl die Linken wie die Rechten zu betrügen, auf die Differenzen der einen wie der anderen „spekulieren“ zu können, schloss er diese Thesen mit folgendem Satz:

Die Organe der Partei und der Gewerkschaften sollen miteinander Vereinbarungen treffen“ (nämlich im Falle eines drohenden Krieges und der Notwendigkeit revolutionärer Massenaktionen).

Wer steht denn aber an der Spitze der Gewerkschaften der Schweiz? Unter anderen gerade Schneeberger und Dürr, die beide im Sommer 1916 für die „Schweizerische Metallarbeiterzeitung“ verantwortlich zeichneten, diese Zeitung in reaktionärem, reformistischem, sozialpatriotischem Geist leiteten und offen erklärten, dass sie für die „Vaterlandsverteidigung“ seien, offen gegen die gesamte Politik von Zimmerwald auftraten.

Und an der Spitze der schweizerischen sozialistischen Partei stehen, wie der 7. Januar 1917 erneut bewies, die Sozialpatrioten Greulich, Pflüger, Manz-Schäppi, Huber usw. usf.

Was ergibt sich also?

Es ergibt sich, dass Grimm in seinen Thesen der Partei vorschlug, die Führung revolutionärer Massenaktionen gegen den Krieg gerade den Sozialpatrioten, den Schneeberger, Dürr, Greulich, Pflüger und Konsorten zu übertragen! Gerade den Gegnern solcher Aktionen, gerade den Reformisten!!

Jetzt, nach dem 7. Januar 1917, ist die ganze „Taktik“ Grimms restlos entlarvt.

Er möchte als Führer der Linken, als Vorsitzender der Internationalen Sozialistischen Kommission, als Repräsentant und Führer der Zimmerwalder gelten; er betrügt die Arbeiter durch alle möglichen „revolutionären“ Phrasen, durch die er in der Tat die alte, sozialpatriotische, bürgerlich-reformistische Praxis der Partei bemäntelt.

Er schwört und beteuert, dass er mit K. Liebknecht, Höglund usw. sympathisiere, dass er ihr Anhänger sei, dass er ihre Politik durchführe.

Aber K. Liebknecht in Deutschland und Höglund in dem kleinen neutralen Schweden haben nicht gegen die fremden, sondern gegen ihre eigenen Sozialpatrioten gekämpft, sie haben die Reformisten und Nationalisten zu Hause, in Berlin, in Stockholm, und nicht in fremden Ländern angegriffen. Sie haben sich durch ihre schonungslose Entlarvung der Sozialpatrioten den ehrenden Hass der Berliner und Stockholmer Greulich, Pflüger, Schneeberger, Dürr zugezogen.

Ist es denn so schwer zu verstehen, dass, wenn die französischen Chauvinisten den Deutschen Liebknecht loben und die deutschen Chauvinisten den Engländer Maclean, sie als Schwindler handeln, die durch „internationalistische“ Phrasen des Lobes für fremden Internationalismus ihren eigenen Nationalismus verhüllen wollen? Ist es schwer zu begreifen, dass Grimm genau so vorgeht, wenn er die Sozialpatrioten aller Länder außer denen der Schweiz beschimpft und dies eben zu dem Zweck tut, um seinen Übergang auf die Seite der schweizerischen Sozialpatrioten zu bemänteln?

Grimm hat den deutschen Sozialpatrioten Ebert einen „Rausschmeißer in einem Bordell“ geschimpft, dafür, dass er den deutschen Arbeitern den „Vorwärts gestohlen hat, dafür, dass er zwar über Spaltung zetert, aber die Linken aus der Partei hinausgeworfen hat und noch hinauswirft.

Und was tut Grimm bei sich zu Hause, in der Schweiz, zusammen mit den traurigen Helden des traurigen 7. Januar 1917?

Hat Grimm etwa nicht den schweizerischen Arbeitern den feierlich zugesicherten außerordentlichen Parteitag zur Frage der Vaterlandsverteidigung gestohlen? Und bereitet nicht Grimm, über Spaltung zeternd, den Ausschluss der Zimmerwalder aus der Partei vor?

Seien wir doch nicht kindlich naiv, sehen wir der Wahrheit offen ins Gesicht!

In der Sitzung von 7. Januar 1917 zeterten die neuen Freunde und Gönner Grimms, die Sozialpatrioten, zusammen mit ihm gegen die Spaltung, wobei sie besonders die Jugendorganisation der Spalterarbeit beschuldigten, und einer rief dem Parteisekretär Platten zu, „er sei kein Parteisekretär, er sei Parteiverräter“9.

Kann man schweigen, wenn derartige Dinge gesagt werden und die „Führer“ sie vor der Partei verheimlichen wollen? Werden wirklich die sozialistischen Arbeiter der Schweiz sich nicht über derartige Methoden entrüsten?

Worin liegt die Schuld des Jugendverbandes und Plattens? Nur darin, dass sie aufrichtige Anhänger Zimmerwalds, aufrichtige Zimmerwalder und keine Streber sind. Nur darin, dass sie gegen die Verschiebung des Parteitages sind. Und wenn die Klatschweiber schreien, dass gegen die Verschiebung des Parteitages und überhaupt „gegen Seine Majestät Grimm“ nur die Zimmerwalder Linken als besondere Fraktion auftreten – hat denn nicht der 7. Januar 1917 erwiesen, dass das Klatsch ist? Sind nicht Sie, Genosse Ch. Naine, gegen Grimm aufgetreten, der Sie niemals weder direkt noch indirekt, weder formell noch faktisch der Zimmerwalder Linken angehört haben?

Die Beschuldigung der Spaltung! Wahrlich, eine abgeleierte Beschuldigung, derer sich jetzt gerade die Sozialpatrioten aller Länder bedienen, tun damit zu bemänteln, dass sie die Liebknecht und Höglund aus der Partei hinauswerfen.

1 Gemeint ist die „Baselland“ überschriebene Notiz im „Grütlianer“ Nr. 2 vom 4. Januar 1917.

2 Hier weist das Manuskript eine Auslassung auf. Die Red.

3 Die „Thesen zur Militärfrage“ von P. Pflüger sind abgedruckt im „Volksrecht“, Zürich, Nr. 210 vom 8. September 1916.

4 „Arbeitervertrauensleute aus der ganzen Schweiz“ bei Lenin deutsch. Die Red.

5 Gemeint ist die Konferenz von 115 Arbeitervertrauensleuten in Zürich am 6. August 1916, die die Lage der Arbeiter im Zusammenhang mit der wachsenden Teuerung behandelte. Auf der Konferenz hielt R. Grimm einen Vortrag über dieses Thema.

Ein kurzer Bericht und die Resolution der Konferenz sind unter dem Titel „Die schweizerische Arbeiterschaft und die Teuerung“ in Nr. 183 des „Volksrecht“ vom 8. August 1916 abgedruckt. Die Adresse an den Nationalrat, die auf dieser Konferenz beschlossen wurde, ist unter dem Titel „Maßnahmen gegen die Teuerung“ in Nr. 185 des „Volksrecht“ vom 10. August 1916 abgedruckt.

6 „Einen Rausschmeißer in einem Bordell“ bei Lenin deutsch. Die Red.

7 Die Charakteristik Eberts durch Grimm, die Lenin hier zitiert, findet sich in der Berner Tagwacht nicht. Sie wurde von Grimm in einer Rede gegen die Verfolgungen der Sozialisten in Deutschland im Sommer 1916 gebraucht. Lenin war wahrscheinlich in der Versammlung anwesend und nahm an, dass die Rede Grimms, wie üblich, in der „Berner Tagwacht“ erscheinen wird. Der Ausspruch Grimms wird auch von andern erwähnt und zitiert.

8 Die Thesen Robert Grimms sind in der „Berner Tagwacht“ Nr. 163 und im „Volksrecht“ Nr. 162, beide vom 14. Juli 1916, unter dem Titel „Die Militärfrage in den Kleinstaaten“ mit dem Untertitel „Thesen zur Militärfrage“ abgedruckt.

9 „Er sei kein Parteisekretär, er sei Parteiverräter“ bei Lenin deutsch. Die Red.

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