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Rosa Luxemburg 19010305 Brief an Clara Zetkin

Rosa Luxemburg: Brief an Clara Zetkin

[Nach Rosa Luxemburg, Briefe, Band 1, Berlin 1982, S. 515-518]

[Friedenau,] 5. März 1901

Meine geliebte Clarisse!

Heute habe ich Geburtstag, und ich feiere ihn, indem ich Ihnen einen Brief schreibe. Wie bin ich froh, dass ich meine Serie über die Krise in Frankreich abgeschlossen habe!

Das war vielleicht eine Arbeit, und ich würde sie nicht noch einmal machen. Aber ich denke schließlich doch, dass sie ein wenig von Nutzen sein wird. Nächste Woche habe ich hier in Berlin eine Konferenz zum gleichen Thema.

Was sagen Sie nun über unseren Freund Fendrich und dessen Freund Dreesbach! Das ist ja eine Neuauflage des Falles Vollmar vom Jahre 1894! Nur: Ojerum, о quae mutatio rerum!1 Damals ging August wie ein rasender Roland auf die Bayern los und hetzte in Berlin und anderswo eine ganze Meute auf. Heute hüllt sich der gute August in tiefes Schweigen, er ist wie eine Sardine in der Dose, und mein lieber Charles versucht mich davon zu überzeugen, dass der Fall gar nicht so wichtig sei, wie ich glaube.

Auf jeden Fall will ich nicht schweigen. Ich warte nur noch auf die Unterlagen, die ich mir von dort schicken lasse.

Und Mehring sieht darin nur die Unannehmlichkeit, ins Präsidium des Landtages zu kommen! … Wie dem auch sei, wir müssen diese Frage in Lübeck anschneiden, nicht wahr? Ist die Debatte einmal eröffnet, hoffe ich, dass die Geschichte für die Badener schlecht ausgehen wird, zumal ja der Kongress im Norden stattfinden wird. Und August selbst wird nicht schweigen können, wenn wir die Diskussion begonnen haben; es wird dann wie in Stuttgart sein. Was halten Sie davon?

Jetzt habe ich eine Neuigkeit, aber Diskretion: Ich habe erfahren, dass es sich in Breslau die opportunistische Clique der »Volkswacht« zum Ziel gesetzt hat, Schoenlank im Parlament auszubooten, um ihn durch – Bernstein zu ersetzen.

Als Vorwand benutzen sie diese ärgerliche Geschichte der Drucker in Leipzig gegen Bruno, der natürlich nichts dafür konnte und nichts davon wusste.

Das muss ja eine opportunistische Demonstration in reinster Form sein. Ich habe jedenfalls August gewarnt, damit er aufpasst. Das beste Mittel, um mit den possibilistischen Intrigen und Machenschaften in Breslau kurzen Prozess zu machen, wäre, Bruhns, der weggeht, durch einen geeigneten Redakteur wie z. B. Ledebour zu ersetzen.

Wenn Sie in diesem Sinne August schreiben würden, um ihn anzuspornen, in dieser Angelegenheit etwas energisch vorzugehen, wäre dies sehr gut. Denken Sie daran, Bernstein in Breslau wäre der erste possibilistische Abgeordnete im Norden, der bis jetzt eine relative Prinzipientreue bewahrt hat.

Gleich noch eine interessante Neuigkeit. Als kürzlich der Bürgerliche Philips (Herausgeber des verstorbenen »Neuland«, Sie wissen schon) bei Wolfgang Heine war (um mit ihm über die Angelegenheit Leuß zu sprechen), sagte dieser dazu: »O dieser Beschützer von Leuß und diese ganze radikale Bande, mit diesen Leuten muss man Schluss machen; wir warten nur noch darauf, dass Bebel und einige Alte weggehen, um gründlich aufzuräumen!«… Darum, Claire, packen Sie Ihre Koffer in Erwartung der großen Säuberungsaktion der Augiasställe!

Und Bebel, der Heine als guten Kameraden empfängt und ihn wiederbesucht! … Man hat ihm schon diese interessanten Worte in Erinnerung gebracht, wir werden ja Wirkung sehen. –

Leben Sie wohl, schreiben Sie bald!

Viele herzliche Grüße

ganz Ihre Rosa

Mit dem »jungen Mann« werde ich bald Schluss machen. О dieser Unmensch, Ihr schöner Arthur! Er ist es, der mir immer wieder verspricht, diese Sache zu beenden, und dann wochenlang verschwindet!

PS: Im Ernst, Clärchen, ich kann nicht mehr, als Sie bitten, wenn Ihnen die Löbliche noch weiter zusetzt, uns einfach abzumelden. Ich kann den jungen Mann nicht zwingen, jetzt nach Stuttgart zu reisen, und ich will Ihnen nicht mehr Unannehmlichkeiten bereiten. In die Leitung der Sache durch Stadt habe ich nunmehr kein großes Vertrauen, er ist doch ein Windbeutel.

Sobald Ihnen also die Polizei wieder auf den Hals kommt, melden Sie uns ab und damit ist Schluss. Ich werde dann vielleicht in München etwas ausrichten können.

1 Ojerum, о welche Veränderung der Dinge!

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