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Karl Radek 19200729 Redebeitrag in der Debatte über die Bedingungen der Aufnahme in die Komintern

Karl Radek: Redebeitrag in der Debatte über die Bedingungen der Aufnahme

in die Kommunistische Internationale

8. Sitzung des zweiten Weltkongresses der Komintern, 29. Juli, morgens

[Der zweite Kongress der Kommunistischen Internationale. Hamburg 1921, S. 256-261]

Nach der Sitzung der Kommission, die über die Bedingungen des Eintritts in die Kommunistische Internationale verhandelt hat, nachdem die französischen und deutschen Genossen ihre Zustimmung zu diesen Bedingungen ausgesprochen haben, haben wir, die in der Kommission anwesend waren, uns fast einstimmig die Worte in Erinnerung gerufen, die Bela Kun nach der Einigung mit der ungarischen Sozialdemokratie gesprochen hat. Er sagte, er habe den Eindruck, dass die Sache zu leicht gegangen sei. Dieses Gefühl hatten wir auch in diesem Augenblick, das kann niemand loswerden.

Wer die französische Partei und die USPD nicht nur auf einige Artikel in ihrer Presse hin beurteilt, der wird verstehen, wenn ich mich nicht auf den Standpunkt stellen kann: was vergangen ist, ist vergangen, sondern, dass ich hier auf dem Kongress der deutschen Arbeiterschaft wieder einmal ins Bewusstsein bringen will, wie wir die Entwicklung der USP ansehen. Es ist unmöglich, dass eine Partei durch die Unterzeichnung eines Stückes Papier, durch Unterzeichnung von Bedingungen, von einem Tag zum andern ihren Charakter ändern kann. Wir haben zwei Tatsachen zu berücksichtigen. Die eine Tatsache ist die dauernde Radikalisierung der deutschen Arbeiterklasse, eine Tatsache, die uns nötigt und zwingt und zur Pflicht macht, mit den unabhängigen Arbeitern Fühlung zu suchen und in ihnen unsere Kampfgenossen zu sehen. Die unabhängigen Arbeiter haben nach den ersten Monaten der Ebert-Scheidemann-Regierung den Kampf gegen diese Regierung aufgenommen. Als ich nach Deutschland kam, war mein erster Eindruck der, dass neun Zehntel der Arbeiter am Kampf gegen die Regierung teilnahmen. Bei den Kämpfen im Januar und März standen die unabhängigen Arbeiter Schulter an Schulter mit den kommunistischen Arbeitern und kämpften mit ihnen, wo es nötig war, mit den Waffen in der Hand. In allen Gefängnissen, wo unsere Genossen saßen, waren sie mit unabhängigen Arbeitern zusammen. Gleichzeitig sehen wir aber, dass die Mehrheit der Führer der USP, diese Führer, die nach außen hin als der ausschlaggebende Faktor der Partei auftreten, nicht nur kein vorwärtsstrebender Faktor in dieser Entwicklung waren, sondern ein zurückhaltender Faktor, dass sie nur vorwärts gingen, weil sie von der eigenen Arbeiterschaft gestoßen wurden, und dass sie bei jedem Schritt vorwärts die Arbeiter zu verwirren suchten. Von Sinowjew wurden schon ein paar Momente aus dem Antwortschreiben der USP zitiert. Ich will in kürzester Weise einige Feststellungen vornehmen. Das Antwortschreiben negiert die Tatsache, dass die USP die Solidarität mit Sowjetrussland gebrochen hat, dass sie für den Abbruch der diplomatischen Beziehungen, der in der Ausweisung der russischen Botschaft zum Ausdruck kam, mit verantwortlich ist. Die Scheidemann-Regierung unter Prinz Max von Baden hätte zuerst den Bruch vollzogen. Aber die USP war schon in der Regierung, als sich die russische Gesandtschaft in Borissow unter dem Schutz der deutschen Maschinengewehre befand, und trotz der zahlreichen Telegramme der Gesandtschaft und trotz der Verhandlungen mit ihren Vertretern haben sie nicht einen Finger gerührt. Sie haben gesagt, Joffe solle nach Russland zurückkehren, erst müsse man prüfen, ob er Seine Majestät den Thronsessel nicht beleidigt habe, und dann könne man über die Wiederaufnahme der Beziehungen sprechen. Ich brauche nur folgendes zu zitieren: Hier ist das Protokoll der Sitzung des Rats der Volksbeauftragten vom 19. November 1918. In diesem Protokoll heißt es: Fortsetzung der Besprechung über das Verhältnis Deutschlands zur Sowjetrepublik. Haase rät, dilatorisch vorzugehen … Kautsky schließt sich Haase an; die Entscheidung müsse hinausgeschoben werden. Die Sowjetregierung würde sich nicht mehr lange halten, sondern in einigen Wochen erledigt sein ....

Das ist ein offizielles Protokoll der Sitzung der Regierung, und dieses Protokoll wird bestätigt durch einen Unabhängigen, der zusammen mit Haase und Dittmann in der Regierung saß, durch Barth in seinen Erinnerungen. Wenn wir den Unabhängigen vorwerfen, dass sie die deutsche Revolution in das Fahrwasser der Entente zu leiten mitgewirkt haben, so wird das durch folgende Tatsache bestätigt: Als die Sowjetregierung den symbolischen Akt beging und die damaligen Volksbeauftragten benachrichtigte, sie sende zwei Züge Getreide, womit wir nicht behaupten wollten, dass wir jeden Tag zwei Züge Getreide senden können, sondern dass es notwendig ist, die Geschicke der beiden Völker zu verbinden, da lief die Antwort Haases ein, in der er sagte, die amerikanische Regierung habe sich verpflichtet, Getreide an Deutschland zu liefern; er danke sehr für die Zusendung, sie möge zur Stillung des Hungers der leidenden Bevölkerung Russlands gebraucht werden. Als wir am Fernapparat standen und dieses Antwortschreiben erhielten, da fühlten wir, dass damit das Band, das trotz der Kritik von Zimmerwald und Stockholm bestanden hatte, schneidend zerrissen wurde. Man gab uns zu verstehen: „Ihr seid Hungerleider; wir setzen unsere Hoffnung deshalb auf den Mächtigen der Welt, auf den amerikanischen Kapitalismus". Wir werden mit den deutschen unabhängigen Arbeitern zusammenkommen. Es gibt indessen Dinge in der Geschichte einer Arbeiterpartei, die man nicht vergisst. Mit den Führern, die zusammen mit Haase für die Politik des November 1918 verantwortlich sind, wollen wir nichts zu tun haben. Es gibt Dinge, die ein Revolutionär, und mag er noch so sehr irregeführt sein, nicht tut, und dazu gehört der Bruch der Solidarität mit einer Arbeiterklasse, die ihre Hilfe anbietet. Wenn die USP sagt: wir sind gegen den Völkerbund, so sagen wir: heute ist es keine große Kunst, gegen den Völkerbund zu sein. Nach dem Frieden von Versailles, als Hilferding, Dittmann und Longuet in Luzern zusammenkamen, haben sie sogar eine Revision der Verträge vorgeschlagen. Was bedeutet das? Man schreit nach der Weltrevolution und gibt dabei doch niemals die Hoffnung auf, dass Wilson, Lloyd George und Clemenceau mit sich reden lassen werden. In diesen Tagen trat der Charakter der USP sehr scharf zutage. Wir dürfen nicht vergessen, dass nach der Niederwerfung der Genossen in Berlin im März, während noch die Kanonen von Noskes Gnaden dröhnten, die USP die Erkämpfung der Diktatur in ihr Programm aufnahm. Und wo die Arbeiter für die Diktatur eintraten, stellte sich die USP vor sie, um sie zu verwirren. Wir haben die Pflicht, vorsichtig zu sein und den Arbeitern der USP zuzurufen: Seid immer in Bereitschaft, seid immer vorsichtig, denn in eurer Partei stehen Leute an der Leitung, die im entscheidenden Moment den Zug auf falsches Geleise bringen können, die fähig sind, das Vertrauen aus Mangel an revolutionärer Einsicht oder aus Mangel an revolutionärem Willen zu täuschen.

Es wurde die Frage gestellt: Warum gingen die Genossen nicht zur Kommunistischen Internationale, nachdem sie aus der Regierung ausgetreten und eine revolutionäre Partei geworden sind? Ich habe die Debatten aus der Reichskonferenz der USP vom 10. September 1919, laut Nummer der „Freiheit" vom 11. September 1919 vor mir. In dieser Beratung sagte Hilferding, von dem keiner sagen kann, er sei tot für die Partei wie Kautsky, denn er ist der Spiritus rector, der geistige Leiter der Partei: Bei der Frage des Anschlusses an die Moskauer Internationale muss damit gerechnet werden, dass wir vielleicht unseren Nachen an ein sinkendes Schiff ketten; denn der russische Bolschewismus ist die Kommunistische Internationale. – In dem Moment, wo die Heere der Gegenrevolution, besonders die von Denikin und Koltschak, ihren Zug gegen Sowjetrussland unternahmen, wo es für jeden Arbeiter, der mit seinen Gefühlen, mit seiner Seele bei der Revolution stand, klar war, dass man in der gegenwärtigen Stunde Sowjetrussland mit allen Mitteln zu Hilfe eilen müsse, in diesem Moment steht der Mann, der die USP leitet, auf und sagt: Dieses Schiff wird von Stürmen umdroht, ketten wir um Gottes willen nicht unseren Nachen daran, wir könnten untergehen. Der Kongress hat sich nicht verpflichtet, eine Liste der Genossen aufzustellen, deren Ausschluss wir fordern. Er hat sich aber verpflichtet, von den Arbeitern zu fordern, dass sie als Führer nicht einen Schieber der Revolution haben dürfen, der es wagt, den deutschen Arbeitern zu sagen: Schließt euch nicht an die russischen Arbeiter an, denn sie sind in Gefahr. Wir sagen den deutschen Arbeitern: Wenn ihr euch auf die geschriebenen Bedingungen verlasst und an die Spitze Leute setzt, die in der Stunde der Gefahr so handeln, dann seid ihr verkauft und verraten. Wann die Stunde der Gefahr schlagen wird, wissen wir nicht, aber wir wissen sehr gut, wie diese Schieber der Revolution handeln werden. Wir rechnen jedoch noch mit dem Selbständigkeitsgefühl der Partei. Sie soll selbst das Haus reinmachen. Reinigt das Haus, aber nicht mit einem Besen, reinigt es mit glühendem Eisen, denn es handelt sich nicht darum, nur Hilferding aus der Partei auszuschließen, es handelt sich darum, den kleinmütigen Geist, den schwachen revolutionären Willen mit glühendem Eisen aus der Partei zu vertreiben! Wenn die USP das nicht tut, so wird der Anschluss nur eine Geste sein; dann haben wir tote Seelen für die Kommunistische Internationale gewonnen. Ich habe das feste Vertrauen, dass die Arbeiter der USP und der linke Flügel anders vorgehen werden, als sie bisher vorgegangen sind. Wir müssen offen sagen, die Sache steht nicht so: auf der einen Seite die rechte USP und auf der anderen Seite die kampferprobte Masse. Wenn die Linke bisher vermieden hat, vor aller Öffentlichkeit ihr Recht zu erkämpfen, so deshalb, weil sie damit gerechnet hat, durch irgendwelche Operationen die rechte USP aus der Partei hinaus zu drücken. Wenn Ihr nicht Schulter an Schulter mit den Kommunisten kämpft gegen die Vergangenheit der Partei, die darin besteht, dass man die Revolution fordert und doch an sie nicht glaubt, dass man sagt, jetzt ist sie da, ebenso wie etwas, was einem auf den Kopf fällt, – wenn Ihr diese Vergangenheit der Partei nicht bekämpft, so wird Euer Eintritt in die Kommunistische Internationale nur ein Lippenbekenntnis bleiben. Es handelt sich nicht darum, dass Stöcker theoretisch für die Kommunistische Internationale ist, dass Däumig Artikel über die Rätediktatur schreibt, sondern es gilt, eine eigene Politik zu treiben gegen die Führer, wenn die Führer die Partei zurückhalten wollen. Die Führer der USP haben sich in der Kommission bedingungslos für den Anschluss an die Kommunistische Internationale ausgesprochen. Crispien hat aber in der zweiten Ausgabe seiner Broschüre erklärt, „dass die Gründung der Kommunistischen Internationale ein verfrühter Versuch sei“. Und weiter: „Wie leicht erscheint manchem die Lösung der Frage der Kommunistischen Internationale: „Nach Moskau! Gehen wir nach Moskau!“ Aber der Weg führt uns nicht zur Lösung, wenn wir nicht als revolutionäre, sozialistische Partei Selbstmord verüben wollen". (Seite 36.) Es gibt viele lebendige Leichen in der Internationale. Crispien ist unser Gast, und wir freuen uns sehr, ihn hier lebendig zu sehen. Dass er hierher kam, ist ein Resultat des Druckes der Arbeiter. Crispien hat auf dem Parteitag weiter erklärt: „Den Weg nach Moskau haben die Moskauer selbst durch ihre Beschlüsse und durch ihre Basis gegen die Unabhängigen für uns gesperrt. Auf Grund dieser Beschlüsse könnten wir nur in den Kreml gelangen, wenn wir uns blindlings den Kommunisten unterordnen und in die internationale kommunistisch-syndikalistische Organisation aufgehen würden.“ (Crispien: Die Internationale. Seite 39.) Die USP war unter dem Druck der Arbeiter gezwungen, nach Moskau zu gehen. Sie kam zu uns, ohne etwas an unserem Programm und unserer Taktik auszusetzen, nachdem sie erfahren hatte, dass die französischen Delegierten schon hierher gesandt worden waren. Daraus sollen die Arbeiter ihre Schlüsse ziehen und die Zustände, die bei ihnen bestehen, ändern; denn es handelt sich bei den Vertretern der USP nicht um die durch uns, sondern um die durch die revolutionären Arbeiter geschlagenen Führer als die schlechten Führer der deutschen Arbeiterschaft. Wir sehen in der USP eine gute revolutionäre Partei, insoweit es sich um ihre Arbeitermassen handelt. Die Aufgabe der deutschen Arbeiter ist es, das Werk zu Ende zu führen und die USP zu einer revolutionären Partei zu machen, die ihre Grundsätze nicht auf dem Papier stehen lässt, sondern sie auch in der Praxis jeden Tag erfüllt und durchführt.

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