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Karl Radek 19210626 Redebeitrag in der Diskussion über Sinowjews Bericht des Exekutivkomitees der Komintern

Karl Radek: Redebeitrag in der Diskussion über Sinowjews Bericht

des Exekutivkomitees der Komintern

auf dem Dritten Kominternkongress, fünfte Sitzung, 26. Juni 1921

[Protokoll des III. Kongresses der Kommunistischen Internationale (Moskau, 22. Juni bis 12. Juli 1921). Hamburg 1921, S. 254-259]

Parteigenossen! Als Mitglied der Exekutive höre ich die Debatte über den Bericht mit wach­sendem Erstaunen und mit einer gewissen Herzerleichterung. Nach alledem, was ich über das unheilvolle Wirken der Exe­kutive gelesen habe, erwartete ich, dass einer nach dem anderen von den Genossen aus Westeuropa, Mitteleuropa und anderen mit Westeuropa verbundenen Ländern, wenn auch Orient­ländern (Heiterkeit) auftreten werden, und dass sie die Sün­den der Exekutive aufzählen und alle von uns gemachten Fehler hier vor dem Kongress Revue passieren lassen werden, um zu erklären, mit diesem Scheusal, mit dieser Wolfsschlucht wollen wir nichts zu tun haben. (Heiterkeit.) Statt dessen, Parteigenossen, sehen wir, dass die Debatte einstweilen herumplätschert, um die schlechten Buben von der KAPD, die uns vorwerfen, wir seien schlecht und die sich gegen unsere Schläge wehren. Es sprachen hier zwei Genossen von der VKPD, die auf eine besondere Forderung der Opposition in der VKPD hierherkamen und hier mit den Sünden des Exekutivkomitees abrechnen sollten; primo: dass es Putsche in Westeuropa anzettelt, secondo: dass es eine unerhörte Diktatur übt und nichts anderes als eine Tschereswütchaika, eine außerordentliche Kommission ist, um die Worte unseres früheren Gen. Levi zu gebrauchen.

Von allen diesen Anklagen habe ich nichts gehört. Gen. Neumann befindet sich in der irrtümlichen Überzeugung, dass er von seinen Mandatgebern nach Moskau gesandt worden ist, um über die KAPD zu diskutieren, und Gen. Mal­zahn erklärt, er habe recht gehandelt, als er nach dem „bakunistischen" Putsch gesagt hat: Ihr habt unrecht gehabt. In dieser Situation müssen wir euch sagen, es gibt ein russisches Sprichwort: „diese Nummer wird so ohne Weiteres nicht vorübergehen". Wenn Ihr nicht kritisiert, so werden wir Fragen stellen. Ich werde die Genossen Neumann und Malzahn fragen, die hier auf dem internationalen Kongress auftreten, nachdem sie 'zusammen mit Levi behauptet haben, dass es ein bakunistischer Putsch gewesen sei, ja wir fragen sie jetzt: war es ein bakunistischer Putsch oder war es ein Klassen­kampf nicht von einer halben Million, so doch von 200.000 Ar­beitern; diese Ziffer hörten wir heute. Über die Ziffer möge die deutsche Delegation mit ihnen streiten. Ich frage nur: war es ein bakunistischer Putsch oder nicht, und wenn es kein bakunistischer Putsch war, was haben sie dann getan, als, mit ihrem Namen gedeckt, Levi den Bannfluch gegen die deutsche Partei schleuderte, als er das Ansehen der Exeku­tive vor den westeuropäischen Arbeitern mit Füßen trat, als er die Exekutive als eine Handvoll gewissenloser Abenteurer darstellte. Nicht um die Exekutive handelt es sich. Die Vorwürfe eines Levi, der für die proletarische Revolution noch in keinem Schützengraben gelegen ist, reichen nicht au die Exekutive heran. Aber Ihr, Genossen, Ihr seid Proletarier, Ihr wollt Mitglieder der Kommunistischen Partei bleiben, und da sage ich Euch: so leicht macht man sich die Sache nicht. Man geht nicht Monate lang solidarisch mit Levi in einem derartigen Kampf gegen die Internationale und die eigene Partei durch dick und dünn und kommt dann später hierher, um mit uns freundschaftlich zu sprechen: In der KAP-Frage habt ihr Unrecht gehabt, und es waren nur 200.000 Arbeiter. So geht es nicht. So geht es nicht, Gen. Malzahn! (Lebhafter Beifall.)

Malzahn: In 10 Minuten habe ich nicht über alle Fragen sprechen können.

Radek: Gen. Malzahn! Ihre erste Pflicht wäre es ge­wesen, zu sagen: wir haben einen politischen Fehler be­gangen, als wir uns mit Levi solidarisch erklärt haben. Das wäre Ihre erste Pflicht gewesen. (Beifall.) Gen. Malzahn sagte, ja, Sinowjew selbst habe die Offensivtheorie als dumm bezeichnet. Das sagte die Exekutive den blutenden deut­schen Arbeitern, die nicht in einer Offensive geschlagen wor­den sind, sondern in der Verteidigung ihrer Haut, als sie von Hörsing überfallen worden sind. Wir hatten damals die Pflicht zu sagen, die Offensivtheorie ist falsch. Aber, werter Genosse Malzahn! Ich habe hier die Resolution, die Gen. Clara Zetkin in der Zentralausschusssitzung – einen Monat nach den Kämpfen – am 7. April vorgelegt hat, und was sagt sie über die Offensive? Sie sagt folgendes: „Die Notwendig­keit einer gesteigerten Aktivität der VKPD, ihrer Offen­sive und Aktion war in der wirtschaftlichen, der innen- und außenpolitischen Lage gegeben. Auch die Möglichkeit da­für war vorhanden."

Nun, Parteigenossen, das ist es. Da hätten Sie, Gen. Malzahn, die Gelegenheit gehabt, darüber zu sprechen. Einst­weilen stelle ich die Tatsache fest, dass die Genossin Zetkin, wenn es eine Sünde, ein Fehler war, auf dem Boden der Offen­sive zu stehen, auf dem ich keinen einzigen Tag gestanden habe, mitgesündigt hat. Wenn Ihr uns, die wir die Offensive nicht gemacht haben, vorwerft, dass wir die deutsche Zen­trale nicht gerügt haben, so sagen wir: Wir müssen auch andere Genossen rügen. Wenn jetzt nicht nur die Genossen, die aus der Zentrale ausgetreten sind, sondern auch die Gen. Zetkin der Meinung sind, dass die Offensivtaktik überhaupt nicht bindend sein könne, so darf uns das nicht freuen. Gen. Malzahn, der im Namen der erwähnten Richtung hier auf­tritt, soll daher nicht nur auf den Genossen Thalheimer und Frölich herumhacken, dass sie die „Teufel" der Offensiv­theorie sind. Diese Theorie wurde von Euch allen ange­nommen.

Wir werden über diese Dinge bei der Debatte über die Taktik sachlich sprechen. Aber dann müssen wir reinen Tisch machen, dann müssen wir hier von Euch hören, was Ihr darüber sagt, dass der Bericht der Exekutive den Aus­schluss Levis gutheißt. Wie stellt Ihr Euch dazu? Denn Levi hatte vollkommen recht, als er in seiner Rede im Zen­tralausschuss sagte:

Genosse Pieck sagte, sachlich wollen wir über die März­aktion nicht sprechen. Es handelt sich einzig und allein um den ,Disziplinbruch'. Und ich sage, es handelt sich allein um die Frage, ist die Märzaktion richtig? Dann gehöre ich herausgeworfen. Oder aber ist die Märzaktion ein Fehler, wie ich und viele meiner Freunde glauben, dann gehören die anderen heraus." Jetzt wird von Eurer Seite schon kein Wort über den bakunistischen Putsch gesagt. Bitte schön, verehrte Genossen, das geht nicht. Führt jetzt eine klare Sprache. Es soll ja hier über den Bericht der Exeku­tive entschieden werden, die den Ausschluss Levis gebilligt hat oder nicht. Genossen! Wir haben bei der Verhandlung des Berichtes verschiedene Fragen zu erörtern. Es wird eine Anzahl Genossen sprechen, und ich werde sie bitten, dass sie konkret Stellung nehmen zur italienischen Frage. Wir haben hier die Vertretung der Sozialistischen Partei Italiens. Es ist von großer Bedeutung, dass sie auch von uns hören wird, was wir darüber denken. Hier, bei der italienischen Frage, fällt die Entscheidung über die ganze Taktik, die wir im vo­rigen Jahre eingeschlagen haben.

Sinowjew hat in seiner Rede gezeigt: die Richtung ist auf die Massen eingestellt, aber gleichzeitig haben wir in Livorno gesagt, wir wollen nicht Massenparteien unter allen Umständen. Die Scheidemannpartei ist doch auch eine Massenpartei und die Labour Party in England ist auch eine Massenpartei. Wir wollen revolutionäre Massenparteien.

Und die Genossen, die gesagt haben, in Livorno habe – unter dieser Losung sind fünf Genossen aus der Zentrale der deut­schen Partei ausgetreten – die Exekutive bewiesen, dass sie den Weg zur Sekte betreten hat, diese Genossen haben jetzt die Pflicht, nach all dem Material, das über die Serratipartei, über ihre Taktik, über ihre Entwicklung von Moskau nach Amsterdam vorgebracht wurde, hier zu sagen, welche sektenhafte Politik wir der italienischen Partei gegenüber getrieben haben. Entweder mit uns oder mit Turati! Haben wir in Li­vorno nicht im Einklang mit den Beschlüssen des Zweiten Kongresses gehandelt, der uns den Weg gezeigt hat zu der revolutionären Massenpartei, haben wir in Livorno schlecht gehandelt, dann auch in Halle. (Lebhafte Zustimmung.) Dann hätten wir in Halle die Pflicht gehabt, auch Hilferding und Dittmann aufzunehmen, hinter denen noch größere Massen stehen als hinter Serrati und seiner Gruppe.

Genossen, eine Fülle von Fragen steht vor uns, die noch gar nicht berührt worden sind, die Frage der Politik der fran­zösischen Komm. Partei, die Lage auf dem Balkan und der dortigen Parteien. Die Exekutive und das Präsidium haben mit Absicht die Diskussion über den Bericht der Exekutive abgesondert von der Diskussion über die Taktik, damit es nicht den Anschein erwecken soll, dass wir irgend welche Ver­antwortung fürchten, der Kritik aus dem Wege gehen wollen. Was die Exekutive getan hat, war das Minimum dessen, was wir tun wollten. Wir hatten zu schlechte Verbindungen mit den einzelnen Parteien, aber darüber, was die Exekutive getan hat, sollt Ihr hier diskutieren, nicht im Allgemeinen, sondern konkret Punkt um Punkt. Entweder Ihr gebt uns Eure Zustimmung oder nicht. Denn der Weg, den die Exe­kutive in Zukunft zu gehen gedenkt, ist derselbe, wie bis­her und er bedeutet: Kampf gegen alle zentristischen und halbzentristischen Tendenzen in der Internationale, Diszipli­nierung der Komm. Parteien zu einheitlichen Kampfparteien und gleichzeitig Kampf gegen jeden Versuch, die Komm. Massenparteien auf Kosten ihres Massencharakters zu ver­frühtem Losschlagen zu veranlassen. (Lebh. Beifall.) Der Kongress muss Stellung nehmen zu all diesen Fragen.

Zum Schluss noch ein paar Worte über die KAPD, die in unseren Debatten unproportionell viel Platz eingenommen hat. Wir haben hier ein sehr lustiges Schauspiel gesehen. Ge­nossin Roland-Holst, die von der KAP in einer Nummer des „Proletarier", betitelt „Holländische Schule", präsentiert worden ist, verzichtet auf den Titel, und sie plädiert für die Gründer dieser Schule, Pannekoek und Gorter. Sie sagt, unser Land ist klein und wir haben keine große Revolution, und da ist es kein Wunder, dass die Genossen mal etwas schreiben, was sonderbar klingt. Genossen, wir könnten noch andere Gründe anführen. Der eine ist Astronom, guckt nur nach den Sternen, sieht nie einen lebenden Arbeiter, der andere ist Philosoph und Dichter dazu. (Heiterkeit.) Und wenn Gen. Ceton auftritt, und im Namen der holländischen Partei eine Erklärung loslässt gegen die holländische Schule, so fühle ich auch mit ihm. Und die Genossen von der KAP hier auf­treten zu sehen mit der ganzen Sektiererwut, die nur die Fragen ihrer Sekte sieht, um zu zeigen, welch großen Scha­den so ein holländischer Produzent in den Köpfen der Ge­nossen anrichtet! Und wenn eine ganze Anzahl Redner hier auftritt, gegen die wir polemisieren werden, so handelt es sich darum, dass sich in dieser holländischen Schule eine Rich­tung herauskristallisiert, die überall, wo Anfänge der kom­munistischen Bewegung sind, auftreten wird.

Diese Schlacht muss hier, auf diesem Boden, in diesem Saale ausgefochten werden: ob die Kommunistische Inter­nationale Recht hatte, wenn sie den Weg gegangen ist, den sie im vorigen Jahre ging, und wenn sie jetzt, nach einer Ka­renzzeit sagt, jetzt hört der Spaß auf, jetzt habt Ihr zu wählen zwischen holländischer Schule und der Kommunistischen In­ternationale. Genossen, die Entscheidung über den Bericht der Exekutive ist eine Entscheidung über alle anderen Punkte. Wenn hier die Entscheidung so ausfällt, wie sie aus­fallen muss, dann werden wir bei den anderen Punkten nur sozusagen noch zu feilen haben. Denn unsere vergangene Arbeit bewegte sich in diesem Milieu, auf dem bezeichneten Wege. Und dieser Weg ist: zu den Massen und mit den Massen in den revolutionären Kampf hinein. (Stürmischer Beifall und Applaus.)

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