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Leo Trotzki 19180220 An die werktätige Bevölkerung ganz Russlands

Leo Trotzki: An die werktätige Bevölkerung ganz Russlands

(Appell)

[„Iswestija WZIK" vom 8./21. Februar 1918. Eigene Übersetzung nach Л. Троцкий. Сочинения. Том 17, часть 1. Москва-Ленинград, 1926, S. 117-120]

Arbeiter, Soldaten, Bauern!

Die Sowjetmacht wurde vom Volk unter dem Banner des Kampfes für den Frieden errichtet. Wir, der Rat der Volkskommissare, haben uns mit dem Vorschlag allgemeiner Friedensverhandlungen an alle kriegführenden Länder gewandt. Die alliierten Regierungen lehnten unseren Vorschlag ab und unterstützten Duchonin, Kaledin, Alexejew, die Kiewer Rada und die rumänische Regierung gegen uns, um unseren Kampf für den Frieden zu vereiteln. Die deutsche und die österreichische Regierung haben Verhandlungen aufgenommen. Aber der Friede, den sie uns anboten, entpuppte sich als Raub und Gewalt. Die Arbeiterklasse in Deutschland und Österreich, die bereits von der russischen Revolution geweckt wurde, hat es jedoch noch nicht geschafft, mit ihren Imperialisten fertig zu werden.

Wir, der Rat der Volkskommissare, glaubten, dass das revolutionäre Russland die Last eines neuen Krieges nicht auf seinen wunden Schultern tragen kann. Ohne den Annexionsfriedensvertrag zu unterzeichnen, haben wir dennoch erklärt, dass wir unsere Armee demobilisieren und dass der Kriegszustand mit Deutschland für beendet erklärt wird. Das bedeutete, dass dem deutschen Volk von unserer Seite keine Gefahr mehr drohte. Eine deutsche Offensive war unter diesen Bedingungen nichts weniger als ein offener und offenkundiger Raubzug. Dies hielt die deutsche Macht jedoch nicht auf. Die Truppen der Regierungen der Hohenzollern und Habsburger warteten auf die Entwicklung unserer Demobilisierung und ohne, wie es die Waffenstillstandsbedingungen vorsahen, sieben Tage vorher vorzuwarnen, nahmen sie eine Offensive gegen das revolutionäre Russland auf. Die zersprengten Reste unserer Truppen zogen sich fast ohne Widerstand vor dem organisierten Ansturm des Feindes zurück. Die feindlichen Truppen, die Dwinsk, Wenden, Lutsk besetzen, rücken vor und drohen, die wichtigsten Verbindungswege abzuschneiden und die wichtigsten Zentren der Revolution mit Hunger zu erdrosseln.

In Anbetracht der Stimmung unserer ausgemergelten Armee sowie des Zustandes des ganzen Landes und besonders seiner Nahrungs- und Transportmittel, unternahm der Rat der Volkskommissare einen neuen Versuch, die Offensive der Soldaten der Hohenzollern aufzuhalten und erklärte die Zustimmung zur Unterzeichnung der Friedensbedingungen, die uns präsentiert wurden.

Soldaten, Arbeiter, Bauern! Wir haben diesen für uns schwierigsten Schritt gemacht, und zwar um den Preis der größten Zugeständnisse, um das Land vor der endgültigen Erschöpfung und der Revolution vor der Zerstörung zu bewahren. Bürgerliche Gruppen freuen sich auf der einen Seite im Voraus auf die Ankunft der deutschen Generale für ein Massaker an der Revolution und auf der anderen Seite entfalten sie eine wütende Hetze gegen die Sowjetmacht.

In demselben Sinne schreiben die Zeitungen der Versöhnlerparteien. Sie stellen den Fall so dar, als ob wir uns freiwillig vor dem Banner der Hohenzollern beugten. Aber ihr, Genossen Arbeiter, Soldaten und Bauern, kennt die Lage des Landes und der Front genauso gut wie wir!

Da die deutsche Arbeiterklasse zu dieser schrecklichen Stunde noch nicht entschieden und stark genug war, um die kriminelle Hand ihres eigenen Militarismus aufzuhalten, hatten wir keine andere Wahl, als die Bedingungen des deutschen Imperialismus zu akzeptieren – bis die europäische Revolution sie ändert und aufhebt.

Jetzt wissen wir noch nicht, wie die deutsche Regierung reagieren wird. Sie beeilt sich nicht, eine Antwort zu geben, anscheinend, um so viele neue wichtige Stellungen wie möglich in unserem Territorium einzunehmen. Wir sind immer noch zutiefst davon überzeugt, dass sich die deutsche Arbeiterklasse gegen den Versuch ihrer herrschenden Klassen erheben wird, die Revolution zu erdrosseln. Aber wir können nicht mit Sicherheit vorhersehen, wann dies geschieht. Wir warten auf die Erfüllung der deutschen Bedingungen und sind bereit zu den größten Opfern, um unserem erschöpften Volk die Möglichkeit zu geben, mit den schrecklichen Folgen des Krieges fertig zu werden und den Weg der sozialistischen Entwicklung zu gehen.

Aber gleichzeitig halten wir es für notwendig, euch, Arbeiter, Bauern und Soldaten, zu warnen, dass die deutschen Imperialisten in ihrem Verlangen, die Sowjetmacht zu brechen, das Land den Bauern zu nehmen, die Macht der Grundbesitzer, Bankiers und Monarchie wiederherzustellen, vor nichts haltmachen können. Wir wollen Frieden, wir sind bereit, einen schmerzhaften Frieden zu akzeptieren, aber wir müssen zum Widerstand bereit sein, wenn die deutschen Konterrevolutionäre versuchen, uns endgültig die Schlinge um den Hals zu ziehen.

Der Rat der Volkskommissare ruft alle Sowjets und Armeeorganisationen dazu auf, alles zu unternehmen, um die Armee wieder aufzubauen. Alle verfaulten Elemente, Hooligans, Plünderer, Feiglinge müssen erbarmungslos aus den Reihen der Armee vertrieben werden, und wenn sie Widerstand leisten wollen – müssen sie vom Angesicht der Erde vertilgt werden. Alle von produktiver Tätigkeit freien Arbeiter und Bauern und bewussten und mutigen Kämpfer der Revolution müssen sofort in die Reihen der Roten Armee aufgenommen werden. Es müssen alle Anstrengungen unternommen werden, um den Transport zu regulieren und die Lebensmittelversorgung zu verbessern. Die Bourgeoisie, die sich unter dem Zaren und unter Kerenski vor den Mühsalen des Krieges drückte und an seinen Katastrophen verdiente, muss durch entschlossenste und rücksichtslose Maßnahmen zur Erfüllung ihrer Pflicht gebracht werden.

Es ist notwendig, strenge Disziplin in den Reihen der Armee und im ganzen Land zu etablieren. In Petrograd wie in allen anderen Zentren der Revolution ist es notwendig, die Ordnung mit eiserner Hand aufrechtzuerhalten.

Arbeiter, Bauern, Soldaten! Lasst unsere Feinde im Äußern und Innern wissen, dass wir bereit sind, die Errungenschaften der Revolution bis zum letzten Blutstropfen zu verteidigen.

Rat der Volkskommissare

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