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Vorgeschichte der 2. Phase der Friedensverhandlungen in Brest-Litowsk

Die zweite Phase der Friedensverhandlungen begann am 9. Januar 1918 (27. Dezember 1917). Um das Verständnis für den Fortschritt der Verhandlungen und deren Inhalt während dieser Zeit zu erleichtern, werden wir uns ausführlicher mit den Ereignissen befassen, die ihr vorangingen.

Die Sowjetregierung begann unmittelbar nach der Oktoberrevolution den Kampf für den Frieden. Am nächsten Tag nach dem Sieg des Proletariats – am 8. November (26. Oktober 1917) – verabschiedete der Zweite Sowjetkongress auf Vorschlag Lenins das berühmte Friedensdekret, in dem vorgeschlagen wurde, „unverzüglich Verhandlungen über einen gerechten demokratischen Frieden aufzunehmen“. Nach der Erklärung, was mit einem gerechten Frieden gemeint ist, schlug das Dekret vor, sofort einen Waffenstillstand für mindestens drei Monate zu schließen, um in dieser Zeit die Bedingungen für die Herstellung eines endgültigen allgemeinen Friedens vorzubereiten.

Von allen kriegführenden Ländern reagierten nur die Mächte des Vierbundes (Deutschland, Österreich-Ungarn, Bulgarien und die Türkei) nach einer Weile auf diesen Vorschlag, die schon vor langer Zeit, unter dem Zarismus, einen Separatfrieden mit Russland anstrebten, um ihre Hände an der Ostfront frei zu bekommen und Truppen nach dem Westen zu schicken. Die Entente-Staaten wollten trotz wiederholter Appelle keine Verhandlungen mit der Sowjetregierung aufnehmen. So sandte am 8./21. November Genosse Trotzki eine Note an die Botschafter der verbündeten Länder mit einem Vorschlag, das Friedensdekret „als einen formellen Vorschlag für einen sofortigen Waffenstillstand an allen Fronten und eine sofortige Eröffnung von Friedensverhandlungen zu betrachten". Am 10./23. November wurde eine Note an die Botschafter der neutralen Mächte geschickt mit der Bitte, die Öffentlichkeit ihrer Völker über die von der Sowjetregierung unternommenen Schritte bezüglich des Friedensschlusses und dem Vorschlag die Regierungen der kriegführenden Länder im entsprechenden Sinne zu beeinflussen.

Zur gleichen Zeit begann unser Oberkommando direkte Verhandlungen mit den Deutschen entlang der Frontlinien. Am 13./26. November schickte Genosse Krylenko Parlamentäre mit dem Vorschlag, Verhandlungen zu beginnen, zu den Deutschen. Am nächsten Tag, am 14./ 27. November, wurde Einvernehmen mit dem deutschen Kommando erzielt, worüber Genosse Krylenko in einem Befehl benachrichtigte. Das nächste Treffen der Bevollmächtigten fand am 19. November/2. Dezember statt.

Am selben Tag, am 14./27. November, wurde im Namen des Rates der Volkskommissare ein Aufruf an die Regierungen und Völker der Entente-Länder gerichtet mit der Ankündigung der Zustimmung Deutschlands zum Beginn der Verhandlungen und mit dem Vorschlag, sich ihnen anzuschließen. Es gab keine Antwort auf diesen Aufruf. Endlich, am 17./30. November sandte Genosse Trotzki erneut eine Note an die diplomatischen Vertreter der verbündeten Länder mit der Botschaft, dass die Vorgespräche am 19. November/2. Dezember beginnen und mit der Bitte um Antwort, ob sie daran teilnehmen wollen. Die Verbündeten reagierten auf all diese wiederholten Vorschläge nur einmal mit einem Protest an General Duchonin, der bereits aus dem Amt des Oberbefehlshabers entlassen worden war, weil er sich geweigert hatte, dem Befehl des Rates der Volkskommissare zu gehorchen und durch Genossen Krylenko ersetzt worden war.

In der Zwischenzeit gingen Meldungen aus Deutschland und Österreich-Ungarn ein, in denen vereinbart wurde, Verhandlungen auf der Grundlage der Vorschläge der Sowjetregierung aufzunehmen (siehe den Text der Antwortnote von Österreich-Ungarn).

Am 20. November/3. Dezember 1917 fand in Brest-Litowsk das erste Treffen der Sowjetdelegation mit Vertretern des Vierbundes statt. Die deutschen Vollmachten waren von Hindenburg und Holzendorf unterzeichnet. Die Verhandlungen wurden vom Oberbefehlshaber der Ostfront, Leopold von Bayern, genehmigt, der seine Befugnisse seinem Generalstabschef General Hoffmann anvertraute. Zusätzlich zu den letzteren gab es Vertreter der österreichisch-ungarischen, bulgarischen und türkischen Armeen.

Zu Beginn der Verhandlungen verkündete die Sowjetdelegation eine Erklärung, nach der das Ziel der Gespräche war, „einen allgemeinen Frieden ohne Annexionen und Kontributionen zu erreichen mit der Garantie des Rechts auf nationale Selbstbestimmung", und es wurde vorgeschlagen an alle anderen kriegführenden Länder zu appellieren, „an den laufenden Verhandlungen teilzunehmen".

In den folgenden Verhandlungen stellte die Sowjetdelegation folgende Bedingungen auf: 1) Die Delegationen des Vierbundes sollten erklären, dass die Verhandlungen auf der Grundlage des Friedensdekrets des Zweiten Sowjetkongresses den allgemeinen Frieden zum Ziel haben, und appellieren an alle kriegführenden Länder mit einem Vorschlag, an den Verhandlungen teilzunehmen; 2) ein Waffenstillstand sollte nicht dazu verwendet werden, Truppen von einer Front an eine andere zu verlegen; 3) Die von Deutschland in der Ostsee besetzten Moonsund-Inseln (Ösel, Moon und Dagö) müssen geräumt werden, und die ungehinderte Einfuhr revolutionärer Literatur nach Deutschland und durch Deutschland in andere kriegführende Länder sollte erlaubt sein. Die Deutschen, die auf ihre fehlenden Befugnisse verwiesen, gaben zu allen Punkte mit Ausnahme des zweiten ausweichende oder negative Antworten und schlugen einen Separat-Waffenstillstand vom Schwarzen Meer zur Ostsee vor. Auf der Grundlage des einzigen von den Deutschen angenommenen Artikels über die Aussetzung von Truppenverschiebungen wurde am 22. November/5. Dezember ein Abkommen zur Aussetzung von Kampfhandlungen für eine Dauer von einer Woche unterzeichnet. Die Sowjetdelegation hat die Unterzeichnung eines formellen Waffenstillstandes absichtlich verzögert, 1) damit die russischen Bedingungen Zeit haben, möglichst weite Verbreitung zu erlangen und 2) um erneut zu versuchen, die Verbündeten in die Verhandlungen einzubeziehen. Um letzteren zu erreichen sandte Genossen Trotzki am 24. November/7. Dezember erneut eine Note an die alliierten Vertreter mit der Ankündigung einer Vereinbarung am 5. Dezember und mit einem Vorschlag, „ihre Haltung zu den Friedensverhandlungen zu bestimmen, d. h. ihre Bereitschaft oder Weigerung, an den Waffenstillstands- und Friedensverhandlungen teilzunehmen, und – im Falle der Weigerung – offen im Angesicht der ganzen Menschheit, klar, genau und bestimmt anzugeben, zu welchen Zwecken die Völker Europas im vierten Kriegsjahr bluten müssen.“ Die Antwort war nur Andeutungen in der Presse und die Anschuldigungen des Verrats und der Bestechlichkeit an die Bolschewiki.

Am 2./15. Dezember wurde für einen Zeitraum von 28 Tagen – vom 17. Dezember bis 14. Januar – ein Waffenstillstand mit den Vierbundmächten unterzeichnet. Der Zweck des Waffenstillstands war die „Herbeiführung eines dauerhaften, für alle Teile ehrenvollen Friedens." Die Bedingungen betrafen rein militärische Angelegenheiten und verboten Truppenverschiebungen. Auf der Grundlage dieses Waffenstillstands wurde der 9./22. Dezember auch für Friedensverhandlungen eingeleitet.

In dieser Zeit der Friedensverhandlungen, die nur sechs Tage dauerte (22. bis 28. Dezember 1917), zählte die Sowjetdelegation A. Joffe (Vorsitzender), L. Kamenew, A. Bizenko, M. N. Pokrowski, L. Karachan (Sekretär), M. Pawlowitsch-Weltman (Berater) und als Militärberater: Konteradmiral W. Altfater, General A. Samoilo, Hauptmann W. Lipski, Hauptmann I. Seplit. Die deutschen und österreichisch-ungarischen Delegationen wurden von Kühlmann und Czernin geleitet. Schon zu dieser Zeit stellte sich heraus, dass trotz der äußerlich freundlichen Art der Verhandlungen die Vierbundmächte natürlich nicht im Geringsten den Prinzipien des Friedensdekrets folgten. Vielleicht aber glaubten sie, wie Genosse Trotzki in seinen Reden immer wieder sagte, dass die Verkündung dieser Prinzipien seitens der Bolschewiki eine leere Komödie sei, dass sie nachgeben und alles unterschreiben würden, was ihnen befohlen wurde.

Indessen bestand die Aufgabe der Sowjetdelegation darin, die Verhandlungen so lange wie möglich hinauszuzögern, um die Friedenskonferenz zu einer Plattform zu machen, die die von der Sowjetregierung verkündeten Prinzipien zur Aufmerksamkeit der breiten Massen aller Länder bringen würde. Dies erklärt unter anderem die Beharrlichkeit, mit der die Sowjetdelegation in dieser und der Folgezeit auf der Verlegung des Verhandlungsortes von der Brester Festung in ein neutrales Land, auf die Verpflichtung, detaillierte Protokolle der Sitzungen zu führen, und auf dem Recht der Parteien bestanden, sie vollständig zu veröffentlichen, (siehe dazu Anmerkung 2).

Bei der ersten Sitzung (22. Dezember) verlas die Sowjetdelegation eine Erklärung, in der die Grundprinzipien dargelegt sind, die die Grundlage des Friedens bilden sollten. In ihrer Antworterklärung vom 25. Dezember versuchten die Delegationen des Vierbundes, die diese Grundsätze formell angenommen hatten, eine Reihe von einschränkenden Änderungen vorzunehmen, allerdings in einer sehr vorsichtigen Art und Weise. Die Bewertung der alliierten Erklärung erfolgte in der Antworterklärung der Sowjetdelegation, die vom Genosse Joffe in derselben Sitzung vom 25. Dezember verkündet wurde. In der Tat war das in dieser Phase der Verhandlungen für die Sowjetdelegation genug. Die Grundsätze des Friedens wurden verkündet, eine mehr oder weniger große Garantie wurde erreicht, dass sie das Wissen und Bewusstsein der breiten Massen erreichen und ihre Wirkung entfalten würden; andererseits war es notwendig abzuwarten, was dies für die Entente-Länder bedeuten würde. Daher schlug die Sowjetdelegation die Aussetzung der Verhandlungen bis zum 4. Januar 1918 vor. Für Deutschland war es jedoch wichtig, die Verhandlungen nicht zu unterbrechen. Also schlug sie vor, weiter über einzelne Themen zu diskutieren. Die Sowjetdelegation hielt es nicht für möglich, das abzulehnen, um 1) keine Anlass zu liefern für den Abbruch der Verhandlungen, und 2) um die Vorschläge der Gegenseite zu hören, die Forderungen Deutschlands und seiner Verbündeten zu präzisieren. Bei diesem Prozess der Präzisierung stellte sich heraus, was übrigens zu erwarten war, dass die Zustimmung der Delegation des Vierbundes zu den Prinzipien des von der Sowjetregierung ausgerufenen demokratischen Friedens nur rein formal war und ihre wahren imperialistischen Begierden vertuschen musste. Am 28. Dezember (15) schlugen sie Friedensbedingungen vor, in denen die Forderung nach Zustimmung der Sowjetregierung zur Annexion von Polen, Litauen, Kurland und Teilen von Estland und Livland durch Deutschland eindeutig gemacht wurde, wenn auch unter dem Deckmantel der selben Prinzipien eines demokratischen Friedens. Die Sowjetdelegation ging nicht auf diese Bedingungen ein und ging nach Petrograd, wo sie eine Pause bis zum 4. Januar ankündigte.

Um den deutschen Imperialismus zu entlarven, begann die Sowjetdelegation erneut mit dem Kampf, den Ort der Verhandlungen in ein neutrales Land zu verlegen. Alle Vorschläge zu diesem Thema wurden abgelehnt, und die Sowjetdelegation wurde eingeladen, nach Brest zu kommen. Am 4. Januar kündigte die Sowjetdelegation ihre Abreise an. Aber schon vor ihrer Abreise, am 5. Januar, ging ein Telegramm vom Delegationsvorsitzenden des Vierbunds ein, aus dem hervorging, dass Deutschland sogar eine Unterstützung der von der Sowjetdelegation vorgelegten Prinzipien aus der Erklärung vom 25. Dezember in Worten verweigere. Dieses Telegramm lautete wie folgt:

An den Vorsitzenden der russischen Delegation, Herr Joffe, St. Petersburg.

In ihrer Antwort auf die Vorschläge der russischen Friedensdelegation haben die Delegationen des Vierbundes am 25. Dezember einige leitende Prinzipien für den sofortigen Abschluss eines allgemeinen Friedens aufgestellt. Um einseitige Interpretationen zu vermeiden, haben sie die Verpflichtung zu diesen Prinzipien eindeutig davon abhängig gemacht, ob alle derzeit im Krieg stehenden Kräfte verpflichtet werden, diese für alle Völker gleichermaßen verbindlichen Bedingungen vorbehaltlos und streng einzuhalten. Im Einvernehmen mit den Vierbundmächten legte die russische Delegation eine zehntägige Pause ein, in der die verbliebenen Kriegführenden sich mit den in Brest-Litowsk festgelegten Grundsätzen des unmittelbaren Friedens vertraut machen und über ihre Teilnahme an den Friedensverhandlungen entscheiden sollten.

Die Delegationen des Vierbundes stellen fest, dass die Zeit der zehntägigen Pause am 4. Januar 1918 abgelaufen ist, und sie von keine der anderen kriegführenden Mächte Erklärungen über den Beitritt zu den Friedensverhandlungen erhielten.

Vorsitzende der alliierten Delegationen:

F. Kühlmann – für Deutschland.

Graf Czernin – für Österreich-Ungarn.

Popow – für Bulgarien.

Nesimi Bey – für die Türkei."

Unter diesen Bedingungen begann die zweite Phase der Friedensverhandlungen. Während dieser Zeit gehörten zur Sowjetdelegation: L. D. Trotzki (Vorsitzender), A. Joffe, L. Kamenew, M. N. Pokrowski, A. Bizenko, V. Karelin, L. Karachan (Sekretär); als Militärberater: Konteradmiral W. Altfater, Hauptmann W. Lipski, General A. Samoilo; als Berater in nationalen Angelegenheiten: K. Radek, P. Stutschka, S. Bobinski, V. Mickevičius-Kapsukas, sowie die später eintreffenden Vertreter des ukrainischen ZEK W. Schachrai und I. Medwedew. [Trotzki, Sotschinenija 17.1]

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