Leo Trotzki‎ > ‎1925‎ > ‎

Leo Trotzki: Wohin treibt England?

Leo Trotzki: Wohin treibt England?

[Erschienen bei Deutsche Verlagsgesellschaft für Politik und Geschichte m. b. H. in Berlin 1925]

England steht jetzt an einem Wendepunkt, vielleicht mehr als irgendein anderes kapitalistisches Land. Und der Wendepunkt Englands ist in hohem Maße zugleich der Wendepunkt der vier Weltteile und mindestens der Beginn des Wendepunkts des fünften Erdteils, jetzt des mächtigsten – Amerikas. Dabei eignen der politischen Entwicklung Englands sehr starke Züge, die aufs Tiefste in seiner Vergangenheit wurzeln und ihm große Hindernisse auf seinem Zukunftswege bereiten. Ohne die Darstellung durch Zahlen und Tatsachen zu beschweren, die der Leser mühelos in Nachschlagebüchern und Spezialabhandlungen über die ökonomische Lage Englands finden wird, haben wir uns zum Ziel gesetzt, die historischen Begebenheiten und Faktoren herauszuschälen und zu charakterisieren, welche die Entwicklung Englands in der kommenden Epoche bestimmen müssen.

Wir sprechen über England, nicht über Großbritannien, über die Metropole, nicht über Kolonien und Dominions. Sie gehen ihre eigenen Entwicklungswege, die immer mehr von den Wegen der Metropole abweichen.

Unsere Abhandlung ist in ihrem Hauptteil kritisch und polemisch. In der Geschichte haben wir es mit Menschen zu tun. Die Schätzung der lebendigen Kräfte, welche die Geschichte unserer Zeit gestalten, muss aktiv sein. Um zu verstehen, wofür Klassen, Parteien und ihre Führer kämpfen, und was sie morgen erwartet, muss man sich durch das Dickicht politischer Bedingtheiten, Lügen und Heucheleien und des alles durchdringenden parlamentarischen CantsA durcharbeiten Polemik wird in diesem Falle zur notwendigen Methode der politischen Analyse. Aber die Frage, die wir uns stellen, und die wir zu beantworten versuchen, trägt einen objektiven Charakter: „Wohin treibt England?"

I. Der Niedergang Englands

II. Mr. Baldwin und die Gradation

III. Gewisse „Eigenarten" englischer Arbeiterführer

IV. Die fabische „Theorie" des Sozialismus

V. Die Frage der revolutionären Gewalt

VI. Zwei Traditionen: Die Revolution des XVII. Jahrhunderts und des Chartismus

VII. Die Trade Unions und der Bolschewismus

VIII. Perspektiven

A Cant ist eine spezifische Abart der bedingten Lüge, die von allen schweigen anerkannt wird, aus Erwägungen gesellschaftlicher Heuchelei. Nach Carlyle ist Cant die Kunst, Erscheinungen im eigensten Interesse eine Gestalt zu verleihen, die sie in Wirklichkeit nicht besitzen. Im parlamentarisch-protestantischen England ist diese Kunst bis zu einer außerordentlichen Höhe (oder Tiefe) entwickelt