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politische Bedingungen des proletarischen Umsturzes

Der Artikel „Die Wahlen in die Konstituierende Versammlung und die Diktatur des Proletariats“ und die im Anschluss an ihn abgedruckten Arbeiten „Rede über den Jahrestag der Revolution“ vom 6. November 1918, „Zum vierten Jahrestag der Oktoberrevolution“ und „Über unsere Revolution“ wurden in den Jahren 1919-1923 niedergeschrieben. Trotzdem werden sie im vorliegenden Bande, abgedruckt, da sie alle dem Oktoberumsturz, der Taktik der Partei in der Zeit dieses Umsturzes, dem Kräfteverhältnis jener Tage, dem Charakter und den Folgen dieses Umsturzes gewidmet sind. Außerdem werden in diesen Arbeiten aus der Erfahrung des Oktoberumsturzes eine Reihe allgemeiner Schlussfolgerungen gezogen, die als wichtigste Bestandteile in die gesamte Leninsche Theorie der proletarischen Revolution eingegangen sind.

Man kann sagen, dass diese Arbeiten zusammen mit den Arbeiten „Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus“, „Über die zwei Linien der Revolution“, „Über die Losung der vereinigten Staaten von Europa“, „Über eine Karikatur auf den Marxismus und über den ,imperialistischen Ökonomismus' “ (Kapitel 5), „Ergebnisse der Diskussion über die Selbstbestimmung“ (Kapitel 10), und zusammen mit den im vorliegenden Band abgedruckten Arbeiten „Über die Aufgaben des Proletariats in der gegenwärtigen Revolution“, „Die Aufgaben des Proletariats in unserer Revolution“, „Briefe über Taktik“, „Werden die Bolschewiki die Staatsmacht behaupten?“ – dass alle diese Arbeiten zusammengenommen ein abgeschlossenes Bild der Leninschen Theorie des proletarischen Umsturzes und damit eine abgeschlossene theoretische Beleuchtung des Oktoberumsturzes in Russland geben.

Der Artikel „Die Wahlen in die Konstituierende Versammlung und die Diktatur des Proletariats“ wurde für die Zeitschrift „Kommunistische Internationale“ geschrieben und in Nummer 7-8 dieser Zeitschrift (November-Dezember 1919) zu einer Zeit abgedruckt, als die Hauptfronten des Bürgerkrieges (gegen Denikin und Koltschak) bereits liquidiert wurden. Darum werden die Fragen der Eroberung der Macht durch das Proletariat, der Aufrichtung seiner Diktatur in diesem Artikel in engster Weise mit den Fragen des Sieges an diesen Hauptfronten des Bürgerkrieges und der damit erfolgten Stärkung der proletarischen Diktatur verknüpft. Dabei wird das Hauptthema dieses Artikels, das der politischen Bedingungen des proletarischen Umsturzes, als Frage der Bedingungen seiner Festigkeit gestellt. Da dieser Artikel für die „Kommunistische Internationale“ bestimmt war, war er so wie alle oben aufgezählten Artikel mit seiner kritischen Schärfe gegen die opportunistische Auffassung dieser Bedingungen gerichtet. Lenin entlarvt in diesem Artikel besonders jenen Betrug am Proletariat, den die Opportunisten aller Länder begehen, wenn sie in ihrer Propaganda die Dinge so hinstellen, wie wenn die politische Herrschaft des Proletariats durch die einfache Eroberung der Mehrheit in den bürgerlichen Vertretungskörperschaften (Konstituante, Parlament usw.) erobert werden könnte und wie wenn die Feststellung der auf der Seite des Proletariats und seiner Partei stehenden Kräfte, die für die Eroberung der Macht in Betracht kommen, nur auf dem Wege der Abstimmungen bei den Wahlen in diese Körperschaften erfolgen könnte. Alle vorhergegangenen (oben aufgezählten) Arbeiten stellen mit der notwendigen Genauigkeit klar, welche Bedingungen in der Epoche des Imperialismus die revolutionäre Krise oder, wie es in dem Artikel „Der Zusammenbruch der II. Internationale“ heißt, die revolutionäre Situation herbeiführen und was die proletarische Partei tun muss, um diese revolutionäre Situation in eine Revolution zu verwandeln. In den Arbeiten, die der Oktoberrevolution unmittelbar vorangingen (siehe besonders die Artikel „Die Krise ist herangereift“ und „Werden die Bolschewiki die Staatsmacht behaupten?"), zeigte Lenin, dass die für den proletarischen Umsturz notwendige revolutionäre Situation bereits vorhanden ist und dass es von der Partei, von ihrer richtigen marxistischen Taktik abhängt, diese Situation in einen wirklichen und dabei sicheren proletarischen Umsturz zu verwandeln. Im vorliegenden Artikel zeigt er, wie und dank welchen Bedingungen diese Umwandlung sich in der Wirklichkeit vollzieht. „Was man nicht zu Fall bringt, fällt nicht“, sagt Lenin im Zusammenhang mit der Frage der revolutionären Situation in seiner Arbeit aus dem Jahre 1920, „Der ,Radikalismus', die Kinderkrankheit des Kommunismus“. Im vorliegenden Artikel zeigt Lenin auf Grund der Erfahrung der Oktoberrevolution, wie das Proletariat die Bourgeoisie „zu Fall bringen“ kann, wenn eine revolutionäre Situation vorhanden und die revolutionäre Krise herangereift ist. Die Losreißung der Mehrheit des Proletariats von den kleinbürgerlichen Parteien durch die revolutionäre proletarische Partei, die Umwandlung dieser Mehrheit in den wichtigsten Industriezentren des Landes (im gegebenen Falle in den beiden „Hauptstädten“ Russlands) in „mächtige Stoßtrupps“, die Schaffung eines „politischen Stoßtrupps in der Armee“ und der rückhaltlos kühne Ansturm gegen die Bourgeoisie im richtig gewählten Augenblick der Verschärfung der revolutionären Krise – das sind die Bedingungen, durch deren Schaffung bei Vorhandensein einer revolutionären Situation der Sieg des Proletariats gesichert wird. [...] Die Losreißung der halbproletarischen und nichtproletarischen werktätigen Massen von den kleinbürgerlichen Parteien, die Gewinnung der Sympathien und der Unterstützung zunächst der kleinbäuerlichen Massen und dann auch der Mittelbauern für das Proletariat gegen die sich widersetzende Bourgeoisie, die Gewinnung der Sympathien und der Unterstützung der werktätigen Massen der unterdrückten Völker durch eine richtige [...] Politik – das sind ihrerseits die Bedingungen der Festigung des Sieges des Proletariats und seiner Diktatur, die Lenin im vorliegenden Artikel mit derselben Klarheit auf Grund der Erfahrung der Oktoberrevolution zeichnet  [...]. Die Möglichkeit der Gewinnung der Sympathien und der Unterstützung der übrigen werktätigen und ausgebeuteten Massen durch das Proletariat wird durch dieselbe objektive Lage geschaffen, durch die auch die revolutionäre Situation entsteht. Aber auch hier hängt es vom Proletariat selbst und von der es führenden Partei ab, diese Möglichkeit in eine wirkliche Sympathie und eine wirkliche Unterstützung zu verwandeln. In dem etwas früher abgefassten Artikel „Die große Initiative“ schreibt Lenin: „Die übergroße Mehrheit der Bevölkerung in jedem kapitalistischen Lande, auch in Russland – vor allem der werktätigen Bevölkerung – hat den Druck des Kapitals, seine Räubereien, seine Beschimpfungen aller Art tausendfach am eigenen Leibe und an den ihr Nahestehenden erfahren. Der imperialistische Krieg – d. h. die Ermordung von 10 Millionen Menschen, um die Frage zu entscheiden, ob dem englischen oder dem deutschen Kapital der Vorrang bei der Ausplünderung der ganzen Welt zufallen soll – hat diese Prüfungen außerordentlich verschärft, erweitert, vertieft und die Menschen gezwungen, sich ihrer bewusst zu werden. Daher die unausbleibliche Sympathie der ungeheuren Mehrheit der Bevölkerung und besonders der Masse der Werktätigen für das Proletariat, weil es mit heroischer Kühnheit, mit revolutionärer Rücksichtslosigkeit das Joch des Kapitals niederwirft, die Ausbeuter stürzt, ihren Widerstand unterdrückt, mit seinem Blut den Weg zur Schaffung einer neuen Gesellschaft bahnt, in der es keinen Platz für Ausbeuter geben wird.“ Die „heroische Kühnheit“ beim revolutionären Ansturm auf die Bourgeoisie, die rückhaltlos kühne Initiative des Proletariats und in erster Linie seines Vortrupps, seiner Partei, der Sturz der Bourgeoisie durch das Proletariat, die Aufrichtung der proletarischen Diktatur und die Durchführung ihrer entschiedenen revolutionären Maßnahmen, die auf die Befreiung aller Werktätigen von jedwedem Joche, darunter auch vom Joche der Gutsbesitzer auf dem flachen Lande und vom nationalen Joche, gerichtet sind – das alles erscheint in dem vorliegenden Artikel Lenins („Die Wahlen in die Konstituierende Versammlung und die Diktatur des Proletariats“) als das Entscheidende in der Frage der Gewinnung der Sympathien der Mehrheit der Werktätigen und Ausgebeuteten, der endgültigen, festen Angliederung der Landarbeiter und der Dorfarmut an das Industrieproletariat und der Schaffung eines Bündnisses des Proletariats und der Dorfarmut mit der Mittelbauernschaft in der Übergangsperiode.

In seinen Thesen zur Agrarfrage, die Lenin 1920 für den II. Kongress der Kommunistischen Internationale abfasste, schrieb er: „ … dass eine entschiedene Unterstützung des revolutionären Proletariats durch die ungeheuer verängstigte, zersplitterte, niedergedrückte, in allen, selbst den fortgeschrittensten Ländern zu halb barbarischer Lebenshaltung verurteilte Landbevölkerung aller drei erwähnten Kategorien (Landproletariat, Parzellenbauer, d. h. die Dorfarmut und die ihr nahestehenden Kleinbauern. D. Red.), die wirtschaftlich, sozial und kulturell am Siege des Sozialismus interessiert sind, möglich ist, erst nach der Eroberung der politischen Macht durch das Proletariat, erst nach dessen entschiedener Abrechnung mit den Großgrundbesitzern und Kapitalisten, erst nachdem diese Leute in der Praxis sehen, dass sie einen organisierten Führer und Verteidiger haben, der genügend Stärke und Festigkeit besitzt, ihnen zu helfen, sie zu führen und ihnen den richtigen Weg zu zeigen“ (siehe Punkt 3 dieser Thesen). Lenin sagt dort auch, dass dies eine „durch den theoretischen Marxismus vollkommen nachgewiesene und durch die Erfahrung der proletarischen Revolution in Russland vollständig bestätigte Wahrheit ist“. Im vorliegenden Artikel („Die Wahlen in die Konstituante und die Diktatur des Proletariats“) zeigt und beweist Lenin, der sich hier ebenfalls an die kommunistischen Parteien in den kapitalistischen Ländern wendet, eben an der Hand der „Erfahrung der proletarischen Revolution in Russland“ gerade diese Wahrheit, wenn er vom „Verhältnis des Proletariats zu den nichtproletarischen Massen“ spricht. Wie schon erwähnt wurde, bedeutet diese Wahrheit übrigens nicht, dass die Dorfarmut die Machtergreifung des Proletariats zur Zeit der Oktoberrevolution nicht unterstützte. Ohne diese Unterstützung, ohne innigsten Bund zwischen Proletariat und Dorfarmut unter der Führung unserer Partei wäre der Oktoberumsturz unmöglich gewesen. Bereits das Vorhandensein jener politischen Stoßtruppe in der Armee, von der Lenin in diesem Artikel als von einer der Hauptbedingungen für den Oktobersieg spricht, brachte den Bund zwischen Proletariat und Dorfarmut zum Ausdruck. Und wenn Lenin trotzdem im vorliegenden Artikel, sowie in den Thesen zur Agrarfrage zum II. Kongress der Komintern unter Berufung auf die Erfahrungen unserer Revolution sagt, dass eine entschiedene Unterstützung aller weiter oben aufgezählten Schichten der Landbevölkerung und somit auch der Dorfarmut erst unter der Diktatur des Proletariats gesichert werden kann, so hat er dabei bereits den endgültigen Fortbestand dieser Unterstützung des revolutionären Proletariats durch die Dorfarmut, die Verwandlung dieser Dorfarmut in eine ständige Stütze des Proletariats im Dorfe und die Schaffung eines ständigen Bündnisses zwischen dem auf die Dorfarmut gestützten Proletariat, und der Mittelbauernschaft im Auge. Die Tatsache, dass sich die Dorfarmut im Oktober dem Proletariat anschloss, sicherte damals dank der Leninschen Politik der Partei in der Agrar- und Bauernfrage auch die wohlwollende Neutralität der Mittelbauernschaft in der Frage der Ergreifung der Macht durch das Proletariat. Nicht genug damit, sicherte sie dank derselben Politik der Partei auch die Unterstützung des Proletariats und seiner bolschewistischen Partei „durch die gesamte Bauernschaft während und nach dem Oktober“ – natürlich „nur insofern, als wir die bürgerliche Revolution zu Ende führten“. [...] [Lenin, Ausgewählte Werke, Band 6, Anm. 165]

Das alles muss beim Studium des Leninschen Artikels „Die Wahlen in die Konstituante und die Diktatur des Proletariats“ im Auge behalten werden. Dieser Artikel ist von kolossaler theoretischer und praktischer Bedeutung.  [...] [Lenin, Ausgewählte Werke, Band 6, Anm. 165]

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