Lenin‎ > ‎1916‎ > ‎

Wladimir I. Lenin 19161200 Die Aufgaben der linken Zimmerwalder in der sozialdemokratischen Partei der Schweiz

Wladimir I. Lenin: Die Aufgaben der linken Zimmerwalder in der

Sozialdemokratischen Partei der Schweiz1

[Geschrieben im Dezember 1916. Erstmalig veröffentlicht in französischer Sprache als besondere Flugschrift im Jahre 1918, in russischer Sprache im Jahre 1924 in der Zeitschrift „Proletarskaja Revoluzija" Nr. 4 (27). Nach Sämtliche Werke, Band 19, 1930, S. 421-434]

Der Züricher Parteitag der sozialdemokratischen Partei der Schweiz (4. und 5. November 1916) hat endgültig bewiesen, dass die Beschlüsse dieser Partei über den Beitritt zu Zimmerwalder und die Anerkennung des revolutionären Massenkampfes (Resolution des Parteitags von Aarau 1915) nur auf dem Papier bleiben und dass innerhalb der Partei sich ein „Zentrum“ vollständig herausgebildet hat, d. h. eine Richtung, die der Richtung Kautsky-Haase und der „Arbeitsgemeinschaft“ in Deutschland, Longuet-Pressemane und Co. in Frankreich entspricht. Dieses „Zentrum“, an dessen Spitze, wie es sich herausstellt, R. Grimm steht, vereinigt „linke“ Erklärungen mit einer „rechten“, d. h. opportunistischen Taktik.

Deshalb ist die Aufgabe der linken Zimmerwalder in der schweizerischen Sozialdemokratie, unverzüglich und unbedingt ihre Kräfte zusammenzuschließen zur systematischen Einwirkung auf die Partei in dem Geiste, dass die Beschlüsse des Aarauer Parteitages nicht toter Buchstabe bleiben. Ein solcher Zusammenschluss der Kräfte der linken Zimmerwalder ist um so dringender notwendig, als sowohl der Aarauer als auch der Züricher Parteitag nicht den Schatten eines Zweifels in die revolutionären und internationalistischen Sympathien des schweizerischen Proletariats übrig lassen. Es genügt nicht, Sympathieresolutionen für Liebknecht anzunehmen; man muss mit seiner Losung, dass die sozialdemokratischen Parteien von heute einer Regeneration bedürfen, Ernst machen.

Die Plattform der linken Zimmerwalder in der schweizerischen sozialdemokratischen Partei sollte ungefähr folgende sein:

I. Die Stellung zum Krieg und zur bürgerlichen Regierung überhaupt

1. Die „Vaterlandsverteidigung“ seitens der Schweiz sowohl im gegenwärtigen imperialistischen Kriege als auch in den sich vorbereitenden neuen imperialistischen Kriegen ist nichts anderes als bürgerlicher Volksbetrug, da in Wirklichkeit die Teilnahme der Schweiz am gegenwärtigen Kriege und an anderen ähnlichen Kriegen nur die Teilnahme an einem räuberischen und reaktionären Kriege als Bundesgenosse an der Seite einer der imperialistischen Koalitionen sein würde und keineswegs ein Krieg für „Freiheit“, „Demokratie“, „Unabhängigkeit“ usw.

2. Die Haltung der sozialdemokratischen Partei der Schweiz gegenüber der bürgerlichen Regierung und allen bürgerlichen Parteien der Schweiz muss von ausgesprochenem Misstrauen erfüllt sein. Denn diese Regierung befindet sich a) in engster ökonomischer und finanzieller Verbindung mit der Bourgeoisie der „großen“ imperialistischen Mächte und in voller Abhängigkeit von dieser; b) sie hat sich schon lange und auf der ganzen Linie den Kurs auf politische Reaktion in internationalen wie inneren Angelegenheiten genommen (politische Polizei; Kriecherei vor der europäischen Reaktion und den europäischen Monarchien usw.); c) sie hat durch ihre ganze Politik in einer Reihe von Jahren (Heeresreform von 1907 usw., die Fälle Egli, de Loys usw. usf.) bewiesen, dass sie immer mehr und mehr zu einer Marionette der erzreaktionären schweizerischen Militärpartei und der Militärclique wird.

3. Infolgedessen ist es die dringendste Aufgabe der sozialdemokratischen Partei in der Schweiz, den wahren Charakter der vor der imperialistischen Bourgeoisie und der Militärclique auf dem Bauche liegenden Regierung zu entlarven, den Volksbetrug, den diese durch Phrasen über Demokratie usw. verübt, aufzudecken, die volle Möglichkeit darzulegen, dass diese Regierung (mit Zustimmung der ganzen in der Schweiz regierenden Bourgeoisie) die Interessen des schweizerischen Volkes der einen oder der anderen imperialistischen Koalition verkaufen wird.

4. Deshalb ist es im Falle der Einbeziehung der Schweiz in diesen Krieg die Pflicht jedes Sozialdemokraten, bedingungslos die „Vaterlandsverteidigung“ abzulehnen und den Betrug, der mit dieser Losung am Volke verübt wird, zu entlarven. Nicht für die eigenen Interessen und nicht für die Demokratie, sondern für die Interessen der imperialistischen Bourgeoisie würden die Arbeiter und Bauern in einem solchen Kriege fallen. Die Sozialisten der Schweiz wie auch anderer vorgeschrittener Länder können und müssen die militärische Verteidigung des Vaterlandes nur dann anerkennen, wenn dieses Vaterland sozialistisch umgestaltet sein wird, d. h. sie können und müssen nur die Verteidigung der proletarischen, sozialistischen Revolution gegen die Bourgeoisie anerkennen.

5. Weder in Friedens- noch in Kriegszeiten können die sozialdemokratische Partei und ihre Abgeordneten in irgendeiner Weise für Kriegskredite stimmen, mit welchen trügerischen Reden über die „Verteidigung der Neutralität“ usw. auch eine solche Abstimmung gerechtfertigt werden möge.

6. Das Proletariat muss auf den Krieg antworten mit der Propaganda, der Vorbereitung und der Durchführung revolutionärer Massenaktionen mit dem Ziele, die Herrschaft der Bourgeoisie zu stürzen, die politische Macht zu erkämpfen und die sozialistische Ordnung zu verwirklichen, die allein die Menschheit von den Kriegen befreien wird und deren Errichtung mit nie gekannter Schnelligkeit zu einem immer festeren Entschluss der Arbeiter aller Länder wird.

7. Zu den revolutionären Aktionen müssen Demonstrationen und Massenstreiks gehören, aber in keinem Falle die Verweigerung des Kriegsdienstes. Im Gegenteil, nicht die Weigerung, die Waffen in die Hand zu nehmen, sondern nur, dass man diese Waffen gegen die eigene Bourgeoisie kehrt, kann den Aufgaben des Proletariats entsprechen und mit den Losungen der besten Vertreter des Internationalismus, z. B. denen K. Liebknechts, übereinstimmen.

8. Selbst die kleinsten Schritte der Regierung zur Aufhebung bzw. Einschränkung der politischen Freiheiten vor einem Kriege oder während eines Krieges müssen dazu führen, dass die sozialdemokratischen Arbeiter illegale Organisationen bilden, mit dem Ziele systematischer, beharrlicher, vor keinen Opfern zurückscheuender Massenpropaganda der Losung: Krieg dem Kriege und der Aufklärung der Massen über den wahren Charakter des Krieges.

II. Die Teuerung und die unerträgliche wirtschaftliche Lage der Massen

9. Nicht nur in den kriegführenden Ländern, sondern auch in der Schweiz hat der Krieg zu einer unerhörten, skandalösen Bereicherung einer Handvoll Reicher und zur unglaublichen Not der Massen infolge der Teuerung und des Mangels an Lebensmittelvorräten geführt. Die Hauptaufgabe der sozialdemokratischen Partei soll nicht ein reformistischer, sondern ein revolutionärer Kampf gegen dieses Elend sein, eine systematische und beharrliche, vor unvermeidlichen zeitweiligen Schwierigkeiten und Niederlagen nicht Halt machende Propaganda und die Vorbereitung dieses Kampfes.

10. Als Antwort auf die zahlreichen bürgerlichen Finanzreformpläne muss die Hauptaufgabe der sozialdemokratischen Partei die Entlarvung der Versuche der Bourgeoisie sein, die Lasten der Mobilisierung und des Krieges auf die Arbeiter und armen Bauern abzuwälzen.

In keinem Falle und unter keinem Vorwände können die Sozialdemokraten indirekten Steuern zustimmen. Sowohl die Beschlüsse des Aarauer Parteitages (1915) als auch die Resolution Huber-Grimm auf dem Züricher Parteitag (1916), die die Zustimmung der Sozialdemokraten zu indirekten Steuern zulassen, müssen aufgehoben werden. Alle sozialdemokratischen Organisationen müssen sofort die energischsten Vorbereitungen zum Parteitag im Februar 1917 in Bern treffen und nur solche Delegierte zum Parteitag wählen, die dieser Aufhebung zustimmen.

Es ist Aufgabe liberaler Beamter, aber keineswegs der revolutionären Sozialdemokratie, der bürgerlichen Regierung zu helfen, sich aus den gegenwärtigen Schwierigkeiten bei Aufrechterhaltung des kapitalistischen Systems, d. h. bei Verewigung des Massenelends, herauszuwinden.

11. Die Sozialdemokraten müssen vor den Massen so breit als möglich die dringende Notwendigkeit einer einheitlichen Bundes-Vermögens- und -einkommensteuer mit hohen progressiven Steuersätzen, nicht niedriger als folgende, propagieren:

Vermögen

Einkommen

Prozent der Steuer

20.000 Frank

5.000 Frank

Steuerfrei

50.000 „

10.000 „

10,00%

100.000 „

25.000 „

40,00%

200.000 „

60.000 „

60 % usw.

Steuer für Rentenbezieher:

bis 4 Frank pro Tag

Steuerfrei

Von 5 Frank pro Tag

1,00%

Von 10 Frank pro Tag

20,00%

Von 25 Frank pro Tag

25 % usw.

12. Die Sozialdemokraten müssen schonungslos die bürgerliche Lüge bekämpfen, die auch viele Opportunisten innerhalb der sozialdemokratischen Partei verbreiten und die besagt, es sei „unpraktisch“, revolutionär hohe Vermögens- und Einkommensteuersätze zu propagieren. Im Gegenteil, das ist die allein praktische und allein sozialdemokratische Politik, denn erstens sollen wir uns nicht danach richten, was für die Reichen „annehmbar“ ist, sondern an die breiten Massen der Armen und Besitzlosen appellieren, die der sozialdemokratischen Partei gerade wegen ihres reformistischen und opportunistischen Charakters gleichgültig oder mit Misstrauen gegenüberstehen. Zweitens besteht die einzige Methode, Zugeständnisse von der Bourgeoisie zu erzwingen, nicht in einer „Vereinbarung“ mit ihr, nicht in der „Anpassung“ an ihre Interessen oder ihre Vorurteile, sondern in der Sammlung der revolutionären Kräfte der Massen gegen sie. Je größer der Teil des Volkes ist, den wir von der Berechtigung revolutionär hoher Steuersätze und von der Notwendigkeit überzeugen, sie im Kampfe zu erringen, um so rascher wird die Bourgeoisie zu Zugeständnissen bereit sein, und wir werden jedes, selbst das kleinste dieser Zugeständnisse ausnützen für den unentwegten Kampf für die vollständige Expropriation der Bourgeoisie.

13. Festsetzung einer Höchstgrenze für die Gehälter ausnahmslos aller Angestellten und Beamten, Bundesräte usw. in Höhe von 5-6000 Frank jährlich, je nach der Zahl der Familienangehörigen. Verbot jeglicher Kumulierung anderer Einkommen unter Androhung von Gefängnisstrafe und Konfiskation dieser Einkommen.

14. Zwangsweise Enteignung von Fabriken und Betrieben – in erster Linie von für die Versorgung der Bevölkerung lebenswichtigen Betrieben – sowie aller landwirtschaftlicher Betriebe mit mehr als 15 ha (mehr als 40 Jucharten) Boden (die Zahl dieser Betriebe in der Schweiz beträgt 22.000 von 252.000, d. h. weniger als ein Zehntel der Gesamtzahl der landwirtschaftlichen Betriebe). Auf Grundlage dieser Umgestaltungen systematische Maßnahmen zur Erhöhung der Produktion von Lebensmitteln und zur Versorgung des Volkes mit billigen Produkten.

15. Sofortige zwangsweise Enteignung aller Wasserkräfte der Schweiz zugunsten des Staates unter Anwendung (wie auch bei anderen Enteignungen) der oben angegebenen Vermögens- und Einkommenssteuersätze.

III. Besonders dringende demokratische Maßnahmen und die Ausnützung des politischen Kampfes und des Parlamentarismus

16. Ausnützung der Parlamentstribüne und des Rechts auf Volksbegehren und Volksentscheid nicht im reformistischen Sinne, d. h. nicht zur Verfechtung von Reformen, die für die Bourgeoisie „annehmbar“ und deshalb nicht geeignet sind, die wichtigsten und grundlegenden Nöte der Massen zu beseitigen, sondern zur Propaganda einer sozialistischen Umgestaltung der Schweiz, die ökonomisch durchaus zu verwirklichen ist und die immer aktueller und notwendiger wird, sowohl infolge der unerträglichen Teuerung und des Druckes des Finanzkapitals als auch infolge der sich aus dem Kriege ergebenden, das Proletariat ganz Europas auf den Weg der Revolution drängenden internationalen Beziehungen.

17. Aufhebung ausnahmslos aller Einschränkungen der politischen Rechte der Frauen im Vergleich zu denen der Männer. Aufklärung der Massen über die besondere Dringlichkeit dieser Umgestaltung in einer Zeit, da Krieg und Teuerung breite Volksmassen erregen und besonders das Interesse und die Aufmerksamkeit der Frauen für Politik wecken.

18. Einführung kostenloser Zwangseinbürgerung von Ausländern. Jeder Ausländer wird nach dreimonatigem Aufenthalt in der Schweiz schweizerischer Staatsangehöriger, es sei denn, dass er wegen besonders wichtiger Gründe einen Aufschub von höchstens drei Monaten beantragt. Aufklärung der Massen über die besondere Dringlichkeit einer solchen Reform für die Schweiz, nicht nur unter allgemein demokratischem Gesichtspunkt, sondern auch angesichts der Tatsache, dass die Stellung der Schweiz im Imperialismus sie zu dem Staate mit dem größten Prozentsatz von Ausländern in ganz Europa gemacht hat. Neun Zehntel dieser Ausländer sprechen eine der drei Sprachen der Schweiz. Die politische Rechtlosigkeit der ausländischen Arbeiter und ihre Entfremdung verstärkt die ohnedies wachsende politische Reaktion und schwächt die internationale Solidarität des Proletariats.

19. Sofortiger Beginn der Agitation dafür, dass die Kandidaten der sozialdemokratischen Partei für die Nationalratswahlen 1917 nur auf Grund vorhergehender allseitiger Behandlung der politischen Plattform vor den Wählern aufgestellt werden, besonders der Frage der Stellung zum Kriege und zur Vaterlandsverteidigung und der Frage: reformistischer oder revolutionärer Kampf gegen die Teuerung.

IV. Die nächsten propagandistischen, agitatorischen und organisatorischen Aufgaben der Partei

20. Die wirkliche Durchführung des Aarauer Beschlusses über den revolutionären Massenkampf ist unmöglich ohne systematische und beharrliche Arbeit an der Verbreiterung des sozialdemokratischen Einflusses in den Massen, ohne Einbeziehung neuer Schichten der werktätigen und ausgebeuteten Masse in die Bewegung. Die Propaganda und die Agitation für die soziale Revolution müssen konkreter, anschaulicher, unmittelbarer, praktischer betrieben werden, damit sie nicht nur für die organisierten Arbeiter begreiflich sind, die im Kapitalismus immer die Minderheit des Proletariats und der unterdrückten Klassen überhaupt bleiben werden, sondern auch für die infolge des furchtbaren Druckes des Kapitalismus zur systematischen Organisierung unfähige Mehrheit der Ausgebeuteten.

21. Zur Beeinflussung breiterer Massen muss die Partei zu einer mehr systematischen Herausgabe von gratis zur Verteilung kommenden Flugblättern übergehen, die den Massen auseinandersetzen, dass das revolutionäre Proletariat für die sozialistische Umgestaltung der Schweiz kämpft, die für neun Zehntel der Bevölkerung notwendig ist und in deren Interesse liegt. Organisierung eines öffentlichen Wettbewerbs aller Sektionen der Partei und besonders der Jugendorganisationen bei der Verteilung solcher Flugblätter, bei der Agitation in Straßen, Häusern und Wohnungen; verstärkte Aufmerksamkeit und Energie bei der Agitation unter den Landarbeitern, Knechten und Tagelöhnern sowie unter dem ärmeren Teil der Bauernschaft, der keine Lohnarbeiter ausbeutet und sich nicht an der Teuerung bereichert, sondern unter ihr leidet. Forderung an die parlamentarischen Vertreter der Partei (National-, Kantons-, Groß- und sonstige Räte), ihre besonders günstige politische Situation nicht für reformistisches Geschwätz im Parlament auszunützen, das mit vollem Recht Langeweile und Misstrauen unter den Arbeitern hervorruft, sondern für die Propaganda der sozialistischen Revolution unter den rückständigsten Schichten des Proletariats und des Halbproletariats in den Städten und besonders auf dem Lande.

22. Entschiedener Bruch mit der Theorie der „Neutralität“ der wirtschaftlichen Organisationen der Arbeiterklasse, der Angestellten usw. Aufklärung der Massen über die Wahrheit, die der Krieg besonders anschaulich bestätigt hat, nämlich, dass die sogenannte „Neutralität“ ein bürgerlicher Betrug oder Heuchelei ist, dass sie faktisch passive Unterwerfung unter die Bourgeoisie und ihre besonders schändlichen Unternehmungen, wie den imperialistischen Krieg, bedeutet. Verstärkung der sozialdemokratischen Arbeit in allen und jeden Organisationen der Arbeiterklasse und der ärmsten Schichten des Kleinbürgertums oder der Angestellten, Bildung besonderer Gruppen der Sozialdemokraten in allen diesen Organisationen, systematisches Hinarbeiten auf einen Zustand, wo in allen diesen Organisationen die revolutionäre Sozialdemokratie die Mehrheit bildet und die Vorstände in ihren Händen hat. Aufklärung der Massen über die besondere Bedeutung dieser Vorbedingung für den Erfolg des revolutionären Kampfes.

23. Verbreiterung und Verstärkung der sozialdemokratischen Arbeit im Heere, sowohl vor der Einberufung der Jugend als auch während der Dienstzeit. Bildung sozialdemokratischer Gruppen in allen Truppenteilen. Erläuterung der historischen Notwendigkeit und der sich vom sozialistischen Standpunkt aus ergebenden Berechtigung des Waffengebrauchs in dem einzig gerechten Krieg, nämlich dem Krieg des Proletariats gegen die Bourgeoisie für die Befreiung der Menschheit aus der Lohnsklaverei. Propaganda gegen isolierte Attentate im Interesse der Verbindung des Kampfes des revolutionären Teiles der Armee mit der breiten Bewegung des Proletariats und des ausgebeuteten Teiles der Bevölkerung überhaupt. Verstärkte Propagierung jenes Teiles des Beschlusses von Olten2, der den Soldaten die Gehorsamsverweigerung im Falle der Einsetzung von Militär gegen Streikende empfiehlt, sowie der Notwendigkeit, sich nicht auf die passive Gehorsamsverweigerung zu beschränken.

24. Aufklärung der Massen über den unlöslichen Zusammenhang zwischen der praktischen Arbeit in dem oben dargelegten konsequenten revolutionär-sozialdemokratischen Sinne und dem systematischen prinzipiellen Kampf zwischen den drei hauptsächlichen Richtungen in der Arbeiterbewegung der Gegenwart, die sich in allen zivilisierten Ländern herausgebildet haben und auch in der Schweiz (besonders auf dem Züricher Parteitag 1916) in Erscheinung getreten sind. Diese drei Richtungen sind: 1. die Sozialpatrioten, d. h. diejenigen, die sich offen zur „Vaterlandsverteidigung“ in diesem, im imperialistischen Kriege von 1914-1916 bekennen. Dies ist die opportunistische Richtung der Agenten der Bourgeoisie in der Arbeiterbewegung; 2. die linken Zimmerwalder, die prinzipiell die „Vaterlandsverteidigung“ im imperialistischen Kriege ablehnen, die für den Bruch mit den Sozialpatrioten als den Agenten der Bourgeoisie und für den revolutionären Kampf der Massen in Verbindung mit einer vollständigen Umstellung der sozialdemokratischen Taktik entsprechend der Propaganda und der Vorbereitung eines solchen Kampfes sind; 3. das sogenannte „Zentrum“ (Kautsky-Haase, die „Arbeitsgemeinschaft“ in Deutschland; Longuet-Pressemane in Frankreich)*, das für die Einheit der ersten und der zweiten Richtung ist. Eine „Einheit“ dieser Art bindet nur der revolutionären Sozialdemokratie die Hände, da sie ihr die Entfaltung ihrer Arbeit unmöglich macht und die Massen durch das Fehlen einer unzertrennlichen restlosen Verbindung zwischen den Grundsätzen der Partei und ihrer Praxis demoralisiert.

[Aufklärung der Massen über den Sinn der Reden von Greulich, Naine und Platten auf dem Züricher Parteitag von 1916, die zwar darin übereinstimmten, dass es zwei Hauptrichtungen gäbe, aber an deren Einschätzung von verschiedenen Seiten herangingen und nicht alle Konsequenzen zogen3.]

Auf dem Parteitag der schweizerischen sozialdemokratischen Partei in Zürich 1916 kam in drei Reden zur Frage der Nationalratsfraktion, und zwar in den Reden von Platten, Naine und Greulich, besonders klar die Anerkennung des Umstandes zum Ausdruck, dass der Kampf verschiedener Richtungen der sozialdemokratischen Politik innerhalb der sozialdemokratischen Partei der Schweiz schon lange zur Tatsache geworden ist. Die Sympathien der Mehrheit der Delegierten waren offensichtlich auf Seiten Plattens, als er über die Notwendigkeit sprach, konsequent für die Arbeit im Geiste der revolutionären Sozialdemokratie einzutreten. Naine erklärte offen, präzis, bestimmt, dass innerhalb der Nationalratsfraktion ständig zwei Richtungen kämpfen und dass die Arbeiterorganisationen selbst dafür sorgen müssen, wirklich miteinander solidarische Anhänger der revolutionären Richtung in den Nationalrat zu entsenden. Als Greulich davon sprach, dass die Partei ihre alten „Lieblinge“ habe fallen lassen und neue „Lieblinge“ erkoren habe, gab er die gleiche Tatsache zu, dass es verschiedene Richtungen gibt und dass sie sich gegenseitig bekämpfen. Der „Theorie der Lieblinge“ wird aber kein klassenbewusster und denkender Arbeiter zustimmen. Gerade weil der unvermeidliche und notwendige Richtungskampf nicht in einen Wettkampf der „Lieblinge“, in persönliche Konflikte, kleinliche Verdächtigungen, kleine Skandale ausarten darf, gerade darum sind alle Mitglieder der sozialdemokratischen Partei verpflichtet, dafür zu sorgen, dass ein offener prinzipieller Kampf der verschiedenen Richtungen der sozialdemokratischen Politik ausgetragen werde.

25. Verstärkter grundsätzlicher Kampf gegen den Grütliverein als den anschaulichen Ausdruck der Tendenzen zur bürgerlichen Arbeiterpolitik auf schweizerischem Boden, nämlich als den Ausdruck des Opportunismus, Reformismus, Sozialpatriotismus, der Demoralisierung der Massen durch bürgerlich-demokratische Illusionen. Aufklärung der Massen über die ganze Fehlerhaftigkeit und die ganze Schädlichkeit der Politik des Sozialpatriotismus und des „Zentrums“ am Beispiel der konkreten Tätigkeit des Grütlivereins.

26. Sofortiger Beginn der Vorbereitung der Wahlen zum Berner Parteitag (Februar 1917), damit diese Wahlen nur auf Grund der Diskussion prinzipieller und konkret politischer Plattformen in allen Parteiorganisationen vor sich gehen. Eine solche Plattform der konsequent-revolutionären internationalistischen Sozialdemokraten soll die vorliegende sein. Wahl der Funktionäre für alle leitenden Posten der Partei, in die Presskommission, in alle Repräsentativkörperschaften, in alle Vorstände usw. ebenfalls nur auf Grundlage einer solchen Diskussion von Plattformen.

Aufmerksame Kontrolle jeder Organisation über das lokale Presseorgan der Partei, damit nicht allein die Auffassungen und die Taktik der Sozialdemokratie im allgemeinen vertreten werden, sondern eben eine genau festgelegte Plattform der sozialdemokratischen Politik.

    V. Die internationalen Aufgaben der schweizerischen Sozialdemokraten

27. Damit die Anerkennung des Internationalismus durch die schweizerischen Sozialdemokraten nicht ein leeres, zu nichts verpflichtendes Wort bleibe – ein ebenso leeres Wort wie die Worte, mit denen sich immer die Anhänger des „Zentrums“ und überhaupt die Sozialdemokraten der Epoche der II. Internationale begnügen –, dazu ist es notwendig, erstens konsequent und beharrlich für die organisatorische Annäherung und für die Verschmelzung der ausländischen und der schweizerischen Arbeiter in ein und denselben Verbänden sowie für ihre volle (staatsbürgerliche und politische) Gleichberechtigung zu kämpfen. Die spezifische Eigenart des Imperialismus in der Schweiz ist gerade die steigende Ausbeutung der rechtlosen ausländischen Arbeiter durch die schweizerische Bourgeoisie, die ihre Hoffnungen auf die Entfremdung dieser zwei Kategorien von Arbeitern setzt.

Zweitens müssen alle Kräfte angespannt werden, um unter den deutschen, französischen und italienischen Arbeitern der Schweiz eine einheitliche, in der Tat, in der ganzen Praxis der Arbeiterbewegung einheitliche internationalistische Richtung herauszubilden, die mit gleicher Entschiedenheit und mit der gleichen prinzipiellen Klarheit sowohl den französischen (in der romanischen Schweiz) als auch den deutschen und den italienischen Sozialpatriotismus bekämpft. Die vorliegende Plattform soll als Grundlage für eine gemeinsame und einheitliche Plattform aller drei in der Schweiz vertretenen Hauptnationen oder Sprachgruppen dienen. Ohne eine derartige Verschmelzung der zu der revolutionären Sozialdemokratie stehenden Arbeiter ist der Internationalismus in allen Nationen der Schweiz ein leeres Wort.

Zwecks leichterer Durchführung dieser Verschmelzung muss die Herausgabe von Beilagen (wenn auch nur von wöchentlichen [monatlichen] und zunächst in einem Umfang von zwei Seiten) zu allen sozialdemokratischen Zeitungen (und zu allen Organen der wirtschaftlichen Verbände der Arbeiter, Angestellten usw.) der Schweiz durchgesetzt werden, die in den drei Sprachen gedruckt werden und die vorliegende Plattform in Verbindung mit den politischen Tagesfragen darlegen.

28. Die schweizerischen Sozialdemokraten sollen nur revolutionär-internationalistische, auf dem Boden der Zimmerwalder Linken stehende Elemente aller anderen sozialistischen Parteien unterstützen, wobei diese Unterstützung keine platonische bleiben darf. Besonders wichtig ist, dass die in Deutschland, Frankreich, Italien illegal hergestellten, gegen die Regierung gerichteten Aufrufe in der Schweiz nachgedruckt, in die drei Sprachen übersetzt und sowohl unter dem schweizerischen Proletariat als auch unter dem Proletariat aller Nachbarländer verbreitet werden.

29. Die sozialdemokratische Partei der Schweiz muss auf dem Berner Parteitag (Februar 1917) nicht nur ihre Zustimmung, und zwar eine vorbehaltlose Zustimmung zu den Beschlüssen der Kienthaler Konferenz erklären, sondern auch ihrerseits den unmittelbaren, vollkommenen organisatorischen Bruch mit dem ISB in Den Haag fordern, das der Stützpunkt des Opportunismus und des Sozialpatriotismus, der unversöhnlichen Feinde der Interessen des Sozialismus, ist.

30. Die sozialdemokratische Partei der Schweiz, die über besonders günstige Voraussetzungen verfügt, um sich über die Vorgänge in der Arbeiterbewegung der vorgeschrittenen Länder Europas zu informieren und die revolutionären Elemente dieser Arbeiterbewegung zusammenzuschließen, darf nicht passiv die Entwicklung des inneren Kampfes in dieser Bewegung abwarten, sondern muss in diesem Kampfe an die Spitze treten. Und zwar: sie muss den Weg der Zimmerwalder Linken gehen, dessen Richtigkeit durch den Verlauf der Ereignisse im Sozialismus Deutschlands, Frankreichs, Englands, der Vereinigten Staaten und aller zivilisierten Länder überhaupt mit jedem Tag immer anschaulicher aufgezeigt wird.

1 Die Thesen Lenins über „Die Aufgaben der linken Zimmerwalder in der Sozialdemokratischen Partei der Schweiz wurden in der ersten Hälfte des Dezember 1916 den schweizerischen Linken zur Begutachtung übersandt. Erstmalig wurden sie 1918 in Genf in französischer Sprache veröffentlicht.

2 Gemeint ist der Beschluss des Parteivorstandes der Sozialdemokratischen Partei der Schweiz über die Stellung zum Kriege, der in einer Sitzung desselben am 28. März 1915 in Olten gefasst wurde. Näheres siehe „Jahrbuch der Sozialdemokratischen Partei der Schweiz pro 1915“.

* In der deutschen sozialdemokratischen Presse wird das „Zentrum“ mitunter – und mit vollem Recht – dem rechten Flügel der „Zimmerwalder gleichgesetzt.

3 Die in eckige Klammer gesetzten Zeilen sind von Lenin im Manuskript gestrichen. Die Red.

Kommentare