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Wladimir I. Lenin 19170908 Die Stockholmer Konferenz

Wladimir I. Lenin: Die Stockholmer Konferenz

[„Rabotschij", Nr. 2, 8. September (26. August) 1917. Gezeichnet: N. K-ow. Nach Sämtliche Werke, Wien-Berlin 1931, S. 124-133]

Viele Leute interessieren sich jetzt wieder für die Stockholmer Konferenz. Ihre Bedeutung wurde von den Zeitungen lebhaft erörtert. Diese Frage ist schon mit der Beurteilung der Grundlagen des ganzen modernen Sozialismus unlösbar verknüpft, besonders in seinem Verhältnis zum imperialistischen Krieg. Darum muss man ausführlicher bei der Stockholmer Konferenz verweilen.

Die revolutionären Sozialdemokraten, d. h. die Bolschewiki, waren von Anfang an gegen die Teilnahme an dieser Konferenz. Sie gingen dabei von prinzipiellen Erwägungen aus. Jeder weiß, dass die Sozialisten in der ganzen Welt, in allen Ländern, in den kriegführenden wie in den neutralen, sich in der Frage der Stellung zum Krieg in zwei große, grundsätzlich verschiedene Teile gespalten haben. Die einen ergriffen die Partei ihrer Regierung, ihrer Bourgeoisie. Wir nennen sie Sozialchauvinisten, d. h. Sozialisten in Worten, Chauvinisten in Taten. Einen Chauvinisten nennt man den, der hinter dem Begriff „Vaterlandsverteidigung" die Verteidigung der räuberischen Interessen der herrschenden Klassen „seines" Landes verbirgt. Im gegenwärtigen Kriege verfolgt die Bourgeoisie beider kriegführenden Koalitionen räuberische Ziele: Die deutsche Bourgeoisie kämpft um die Beraubung Belgiens, Serbiens usw., die englische und französische um den Raub der deutschen Kolonien usw., Russland um die Beraubung Österreichs (Lemberg), der Türkei (Armenien, Konstantinopel).

Deshalb haben die Sozialisten, die sich in diesem Kriege auf den Standpunkt ihrer Bourgeoisie gestellt haben, aufgehört Sozialisten zu sein. Sie haben die Arbeiterklasse verraten, sind faktisch in das Lager der Bourgeoisie übergegangen. Sie sind Klassenfeinde des Proletariats geworden. Die Geschichte des europäischen und amerikanischen Sozialismus, besonders in der Epoche der II. Internationale, d. h. von 1889 bis 1914, zeigt uns, dass dieses Überlaufen eines Teiles der Sozialisten, besonders der meisten Führer und Parlamentarier, auf die Seite der Bourgeoisie kein Zufall war. In allen Ländern stellte gerade der opportunistische Flügel des Sozialismus das Hauptkontingent der Sozialchauvinisten. Der Sozialchauvinismus ist, wenn man ihn wissenschaftlich betrachtet, d. h. nicht Einzelpersonen herausgreift, sondern die ganze internationale Richtung in ihrer Entwicklung, in der Gesamtheit ihrer sozialen Beziehungen nimmt, ein zu seinem logischen Ende geführter Opportunismus.

Überall sieht man in den proletarischen Massen in mehr oder weniger klarer und scharfer Form die Erkenntnis des Verrats der Sozialchauvinisten am Sozialismus, den Hass und die Verachtung gegen die prominentesten Sozialchauvinisten, wie Plechanow in Russland, Scheidemann in Deutschland, Guesde, Renaudel u. Co. in Frankreich, Hyndman usw. in England, zutage treten.

In allen Ländern entstand während des Krieges die Richtung des revolutionären Internationalismus, so verzweifelt auch die Bourgeoisie sie verfolgte, so sehr sie sich auch bemühte, sie mundtot zu machen. Diese Richtung blieb dem Sozialismus treu. Sie erlag nicht dem Chauvinismus, duldete es nicht, dass dieser sich hinter den verlogenen Phrasen der Vaterlandsverteidigung versteckte, sie entlarvte vielmehr die ganze Verlogenheit dieser Phrasen und das ganze Verbrechen des Krieges, den die Bourgeoisie beider Koalitionen um räuberischer Ziele willen führte. Zu dieser Richtung gehören z. B. Maclean in England, der wegen seines Kampfes gegen die räuberische englische Bourgeoisie zu anderthalb Jahren Zuchthaus verurteilt wurde, Karl Liebknecht in Deutschland, den die deutschen imperialistischen Räuber ebenfalls ins Zuchthaus steckten, weil er das „Verbrechen" beging, in Deutschland zur Revolution aufzufordern und den räuberischen Charakter des Krieges auf deutscher Seite zu entlarven. Zur selben Richtung gehören die Bolschewiki in Russland, die von den Agenten des russischen republikanisch-demokratischen Imperialismus wegen des gleichen „Verbrechens", wie Maclean und Karl Liebknecht, verfolgt werden.

Diese Richtung allein ist dem Sozialismus treu geblieben. Diese Richtung ist die einzige, die die feierliche Proklamierung ihrer Überzeugungen, jenes feierliche Gelöbnis, das die Sozialisten der ganzen Welt, aller Länder ohne Ausnahme im Baseler Manifest vom November 1912 geschlossen unterschrieben hatten, nicht verraten hat. Dieses Manifest spricht nicht vom Krieg im Allgemeinen, denn es gibt ja verschiedene Kriege; es spricht gerade von dem Kriege, der im Jahre 1912 vor den Augen der ganzen Welt vorbereitet und im Jahre 1914 entfesselt wurde, von dem Krieg um die Weltherrschaft zwischen England und Deutschland samt ihren Verbündeten. Angesichts dieses kommenden Krieges spricht das Baseler Manifest mit keinem Wort von einer Pflicht oder einem Recht der Sozialisten, „das Vaterland zu verteidigen" (d. h., ihre Teilnahme am Kriege rechtfertigen); es spricht vielmehr mit voller Bestimmtheit davon, dass ein solcher Krieg „zur proletarischen Revolution führen muss". Der Verrat der Sozialchauvinisten aller Länder am Sozialismus ist daraus besonders anschaulich ersichtlich, dass sie, feige, wie der Dieb die Stelle, wo er gestohlen, jene Stelle des Baseler Manifestes umgehen, die den Zusammenhang gerade zwischen dem jetzigen Krieg und der proletarischen Revolution behandelt.

Man versteht, welche unüberbrückbare Kluft die Sozialisten, die dem Baseler Manifest treu geblieben sind und den Krieg mit der Propagierung und Vorbereitung der proletarischen Revolution „beantworten", von den Sozialchauvinisten trennt, die den Krieg mit der Unterstützung „ihrer" nationalen Bourgeoisie beantworten. Man versteht, wie hilflos, naiv und heuchlerisch alle Versuche sind, die beiden Richtungen miteinander „auszusöhnen" oder „zu vereinigen".

Gerade solche Anstrengungen in all ihrer Kläglichkeit macht die dritte Strömung im Weltsozialismus, das sog. „Zentrum" oder Kautskyanertum (so benannt nach Karl Kautsky, ihrem prominentesten Vertreter). In den drei Kriegsjahren hat diese Strömung in allen Ländern ihre völlige Gedankenarmut und Hilflosigkeit offenbart. In Deutschland z. B. hat der Gang der Ereignisse die Kautskyaner gezwungen, sich von den deutschen Plechanows zu trennen und ihre eigene, die sog. „Unabhängige Sozialdemokratische Partei" zu gründen; trotzdem scheut sich diese Partei, die notwendigen Konsequenzen zu ziehen; sie predigt „Einigkeit" mit den Sozialchauvinisten im internationalen Maßstabe, betrügt nach wie vor die Arbeitermassen mit der Hoffnung auf die Herstellung einer solchen Einigkeit in Deutschland, bremst die einzig richtige proletarische Taktik des revolutionären Kampfes gegen die „eigene" Regierung, des Kampfes auch während des Krieges, des Kampfes, der zwar seine Formen andern kann und soll, aber niemals verzögert, hinausgeschoben werden darf.

So stehen die Dinge im internationalen Sozialismus. Ohne klare Erkenntnis dieser Lage, ohne prinzipielle Stellungnahme zu allen Strömungen des internationalen Sozialismus kann man an eine Frage praktischer Art, wie z. B. die Frage der Stockholmer Konferenz, nicht einmal herantreten. Indessen hat einzig und allein die bolschewistische Partei in einer ausführlichen, auf der Konferenz vom 24. bis 29. April 1917 angenommenen und vom 6. Parteitag im August bestätigten Resolution eine prinzipielle Wertung aller Richtungen des internationalen Sozialismus gegeben. Diese prinzipielle Stellungnahme außer acht lassen, von der Stockholmer Konferenz sprechen, ohne sie zu berücksichtigen, heißt sich auf den Boden völliger Prinzipienlosigkeit stellen.

Als Musterbeispiel dieser Prinzipienlosigkeit, wie sie bei allen kleinbürgerlichen Demokraten, Sozialrevolutionären und Menschewiki vorherrscht, wollen wir einen Artikel in der „Nowaja Schisn" vom 10. August anführen. Der Artikel verdient deshalb besondere. Aufmerksamkeit, weil er in einer Zeitung, die auf der äußersten Linken der kleinbürgerlichen Demokraten steht, alle mit Stockholm zusammenhängenden, meistverbreiteten Irrtümer, Vorurteile und Gedankenarmut zusammengefasst enthält.

Man kann der Stockholmer Konferenz", so heißt es im Leitartikel der „Nowaja Schisn“, „aus diesen oder jenen Gründen ablehnend gegenüberstehen; man kann prinzipiell die Verständigungsversuche der ,sozialpatriotischen Mehrheiten' verurteilen. Wozu aber etwas leugnen, was ganz augenfällig ist? Hat doch die Konferenz nach dem bekannten Beschluss der englischen Arbeiter, der eine politische Krise im Lande hervorrief und die erste tiefe Bresche in die ,nationale Einheitsfront' Großbritanniens schlug, eine Bedeutung erlangt, die ihr bis dahin nicht zukam."1

Dieser Gedankengang ist ein Muster von Prinzipienlosigkeit. Denn wirklich, wie kann man aus der fruchtlosen Tatsache, dass aus Anlass der Stockholmer Konferenz eine tiefe Bresche in der „nationalen Einigkeit" Englands entstand, die Konsequenz ziehen, dass wir diese Bresche verkleistern sollen, statt sie zu erweitern? Prinzipiell steht die Frage so und nur so: entweder Bruch mit den Vaterlandsverteidigern (den Sozialchauvinisten) oder Verständigung mit ihnen. Die Stockholmer Konferenz war einer der vielen Verständigungsversuche. Er ist misslungen. Dieser Misserfolg rührt daher, dass die englisch-französischen Imperialisten keine Friedensverhandlungen führen wollen, während die deutschen Imperialisten sie wünschen. Die englischen Arbeiter haben deutlicher den Betrug zu spüren bekommen, den die englische imperialistische Bourgeoisie an ihnen verübt.

Die Frage ist nun, wie man dies ausnutzen muss? Wir, die revolutionären Internationalisten, sagen: Das muss ausgenutzt werden zur Vertiefung des Bruchs zwischen den proletarischen Massen und den eigenen Sozialchauvinisten. Zur Vollendung dieses Bruchs, zur Überwindung aller und jeglicher Hindernisse in der Entwicklung des revolutionären Kampfs der Massen gegen die eigene Regierung, gegen die eigene Bourgeoisie. Durch ein solches Vorgehen vertiefen gerade wir und nur wir den Riss und entwickeln ihn bis zum Bruch.

Was werden diejenigen praktisch erreichen, die jetzt, wo das Leben dieses Unternehmen schon „erledigt" hat, nach Stockholm gehen oder vielmehr den Massen die Notwendigkeit predigen, hinzugehen? Weiter nichts, als dass sie den Riss verkleistern; denn die Stockholmer Konferenz wird offenkundig von Leuten einberufen und unterstützt, die ihre eigenen Regierungen unterstützen, von den Ministerialisten, den Tschernow und Zereteli, den Stauning, Branting, Troelstra, von den Scheidemann ganz zu schweigen.

Das ist es, was „mit aller Klarheit in die Augen fällt"; was die Opportunisten von der „Nowaja Schisn" vergessen oder vertuschen, wenn sie ganz prinzipienlos urteilen, ohne zum Sozialchauvinismus als Strömung allgemein Stellung zu nehmen. Die Stockholmer Konferenz ist eine Aussprache zwischen Ministern, die in den imperialistischen Regierungen sitzen. So sehr die „Nowaja Schisn" sich auch bemüht, diese Tatsachen zu umgehen, sie kommt nicht um sie herum. Die Arbeiter auffordern, nach Stockholm zu gehen, auf Stockholm zu warten, von Stockholm irgend etwas zu erhoffen, heißt so viel, wie den Massen sagen: Ihr dürft, ihr müsst Gutes erwarten von der Verständigung zwischen den kleinbürgerlichen Parteien und den in imperialistischen Regierungen sitzenden, imperialistische Regierungen unterstützenden Ministern.

Gerade eine solche prinzipienlose, schädliche Propaganda treibt die „Nowaja Schisn", ohne es selbst zu bemerken.

Über den Konflikt zwischen den englisch-französischen Sozialchauvinisten und ihren Regierungen vergisst die „Nowaja Schisn", dass die Tschernow, Skobelew, Zereteli, Awksentjew, Branting, Stauning, Scheidemann nach wie vor genau dieselben Sozialchauvinisten, die ihre Regierungen unterstützen, bleiben. Ist das nicht Prinzipienlosigkeit?

Statt den Arbeitern zu sagen: Seht, die englisch-französischen Imperialisten dulden nicht einmal, dass die Sozialchauvinisten ihrer Länder sich mit den deutschen Sozialchauvinisten besprechen; der Krieg ist also auch von Seiten Englands und Frankreichs ein räuberischer Krieg; es gibt also keine andere Rettung als den endgültigen Bruch mit allen Regierungen, mit allen Sozialchauvinisten – statt dessen tröstet die „Nowaja Schisn" die Arbeiter mit Illusionen.

Man will in Stockholm", so schreibt sie, „zu einer Einigung über den Frieden kommen; man will dort gemeinsam einen allgemeinen Kampfplan ausarbeiten: Kreditverweigerung, Schluss mit dem Burgfrieden, Abberufung der Minister aus den Regierungen usw."

Die ganze Beweiskraft dieser durch und durch verlogenen Phrase beschränkt sich darauf, dass in ihr das Wort „Kampf" fett gedruckt ist. Ein schöner Beweis, das muss man sagen!

Nach drei Jahren Krieg füttert man die Arbeiter noch immer mit leeren Versprechungen: „Man beabsichtigt in Stockholm" Schluss mit dem Burgfrieden zu machen …

Wer beabsichtigt das? Etwa die Scheidemänner, Tschernow, Skobelew, Awksentjew, Zereteli Stauning, Branting usw., d. h. dieselben Leute (und Parteien), von denen manche schon jahrelang, manche seit vielen Monaten die Politik des Burgfriedens treiben. Wie aufrichtig auch der Glaube der „Nowaja Schisn" an ein solches Wunder sein mag, wie ehrlich sie sich auch zu dieser Überzeugung bekennen mag, so müssen wir doch sagen, dass die „Nowaja Schisn" den gewaltigsten Betrug unter den Arbeitern verbreitet.

Die „Nowaja Schisn" betrügt die Arbeiter, indem sie ihnen Vertrauen zu den Sozialchauvinisten einflößt. Nach ihr haben zwar die Sozialchauvinisten bisher in den Regierungen gesessen und eine Burgfriedenspolitik betrieben, in Stockholm aber werden sie sich in allernächster Zeit miteinander aussprechen, verständigen, einig werden und aufhören, so zu handeln. Sie werden beginnen, für den Frieden zu kämpfen, die Kredite verweigern usw. usw.…

Das ist alles ein einziger großer Betrug. Dies alles sind reaktionäre Vertröstungen und Beschwichtigungen der Arbeiter, Versuche, ihnen Vertrauen zu den Sozialchauvinisten einzuflößen. Denn jene Sozialisten, die „für den Frieden kämpfen", nicht nur in Worten, nicht nur um sich selber und die Arbeiter zu täuschen, haben doch schon längst diesen Kampf begonnen, ohne irgendwelche internationale Konferenzen abzuwarten; sie begannen den Kampf gerade damit, dass sie den Burgfrieden durchbrachen, wie Maclean in England, Karl Liebknecht in Deutschland, die Bolschewiki in Russland.

Wir verstehen vollkommen", so schreibt die „Nowaja Schisn", „den berechtigten und gesunden Skeptizismus der Bolschewiki gegenüber den Renaudel und Scheidemann; doch wollen die Publizisten aus dem ,Rabotschij i Soldat' in doktrinärer Weise vor lauter Bäumen den Wald nicht sehen; sie berücksichtigen nicht den Stimmungsumschwung in den Massen, auf die sich die Renaudel und Scheidemann stützen."

Es handelt sich hier nicht um Skeptizismus, Herrschaften, bei euch ist die vorherrschende Stimmung ein Intellektuellen-Skeptizismus, der Prinzipienlosigkeit verdeckt und zum Ausdruck bringt. Wir sind Renaudel und Scheidemann gegenüber keine Skeptiker, wir sind ihre Feinde. Das ist ein gewaltiger Unterschied. Wir haben mit ihnen gebrochen und fordern die Massen auf, mit ihnen zu brechen. Gerade wir und wir allein „berücksichtigen den Stimmungsumschwung in den Massen", aber auch noch etwas anderes, was viel wichtiger ist und tiefer geht als Stimmungen und ihr Umschwung: die Grundinteressen der Massen und die Unvereinbarkeit dieser Interessen mit der sozialchauvinistischen Politik, deren Vertreter die Renaudel und Scheidemann sind. In Stockholm werden die Herren von der „Nowaja Schisn" und die Minister der russischen imperialistischen Regierung gerade mit den Scheidemann und Renaudel zusammentreffen (denn Stauning und Troelstra, geschweige denn Awksentjew und Skobelew, unterscheiden sich in keiner Weise von den Renaudels). Wir aber wenden uns ab von dieser Stockholmer Komödie, gespielt von Sozialchauvinisten für Sozialchauvinisten; wir wenden uns von ihr ab, um den Massen die Augen zu öffnen, um ihren Interessen Ausdruck zu geben, um sie zur Revolution aufzurufen; nicht um ihren Stimmungsumschwung für die prinzipienlose Anpassung an diese Stimmung auszunützen, sondern um einen prinzipiellen Kampf für den völligen Bruch mit dem Sozialchauvinismus zu führen.

„ … Die Bolschewiki", so schreibt die „Nowaja Schisn", „werfen mit Vorliebe den Internationalisten, die nach Stockholm gehen, ihre kompromisslerische Taktik gegenüber den Scheidemann und Henderson vor, ohne ,zu merken', dass sie selbst – natürlich aus ganz anderen Ursachen – in der Frage der Konferenz mit den Plechanow, Guesde und Hyndman zusammengehen."

Es ist nicht wahr, dass wir in der Frage der Konferenz mit den Plechanows zusammengehen. Das ist offensichtlicher Unsinn: Wir stimmen mit Plechanow nur darin überein, dass wir, wie er, keine Konferenz der Halbheiten mit einem Teil der Sozialchauvinisten wünschen. Unsere Stellung jedoch zur Konferenz ist prinzipiell wie praktisch eine ganz andere als die Stellung Plechanows. Ihr aber, die ihr euch Internationalisten nennt, geht wirklich mit den Scheidemann, Stauning, Branting zusammen zu einer Konferenz, ihr paktiert wirklich mit ihnen. Das ist eine Tatsache. Die kleine, erbärmliche, in hohem Maße intrigante, von den Imperialisten einer der Koalitionen abhängende Sache der Vereinigung der Sozialchauvinisten nennt ihr „das große Werk der Einigung des internationalen Proletariats". Das ist eine Tatsache.

Ihr Pseudo-Internationalisten könnt den Massen die Teilnahme an Stockholm nicht predigen (wahrscheinlich wird es bei der bloßen Predigt bleiben, denn die Konferenz wird nicht stattfinden; aber die ideelle Bedeutung eurer Predigt wird bleiben), ihr könnt den Massen die Teilnahme an Stockholm nicht predigen, ohne einen Haufen Unwahrheiten zu sagen, ohne Illusionen zu wecken, ohne die Sozialchauvinisten besser zu machen, als sie sind, ohne den Massen die Hoffnung einzuflößen, die Stauning, Branting, Skobelew und Awksentjew wären imstande, ernstlich mit der Burgfriedenspolitik zu brechen.

Wir aber, die Bolschewiki, sagen in unserer Propaganda gegen Stockholm den Massen die volle Wahrheit, wir entlarven nach wie vor die Sozialchauvinisten und die Politik der Verständigung mit ihnen und führen die Massen zum völligen Bruch mit ihnen. Wenn die Dinge so stehen, dass der deutsche Imperialismus den gegenwärtigen Augenblick für die Beteiligung an Stockholm für geeignet hält, und seine Agenten, die Scheidemänner, dorthin schickt, während der englische Imperialismus den Augenblick für ungeeignet hält und jetzt vom Frieden nicht einmal sprechen will, so entlarven wir den englischen Imperialismus und benutzen seinen Konflikt mit den englischen Proletariermassen zur Vertiefung des Klassenbewusstseins dieser Massen, zur verstärkten Propaganda des Internationalismus, zur Aufklärung dieser Massen über die Notwendigkeit eines völligen Bruchs mit dem Sozialchauvinismus.

Die Pseudo-Internationalisten der „Nowaja Schisn" handeln wie intellektuelle Impressionisten, d. h. wie Leute, die charakterlos jeder Augenblickstimmung unterliegen und die Grundprinzipien des Internationalismus vergessen. Die Leute aus der „Nowaja Schisn" urteilen so: da der englische Imperialismus gegen die Stockholmer Konferenz ist, so müssen wir dafür sein. Das heißt, dass die Konferenz eine Bedeutung erlangt hat, die sie bisher nicht hatte.

So urteilen, heißt praktisch, in Prinzipienlosigkeit verfallen; denn der deutsche Imperialismus ist doch jetzt aus selbstsüchtigen und räuberischen imperialistischen Interessen für die Stockholmer Konferenz. Was ist der „Internationalismus" solcher „Internationalisten" wert, die sich fürchten, diese unbestreitbare und offenkundige Tatsache offen zuzugeben, die gezwungen sind, sich vor ihr zu verstecken? Wo sind denn eure Garantien, Herrschaften, dass ihr, wenn ihr mit den Scheidemann, Stauning und Co. zusammen an der Stockholmer Konferenz teilnehmen, nicht in Wirklichkeit ein Spielzeug, ein Werkzeug in den Händen der Geheimdiplomaten des deutschen Imperialismus sein werdet? Solche Garantien könnt ihr nicht haben, denn es gibt sie nicht. Wenn die Stockholmer Konferenz dennoch stattfindet, was sehr unwahrscheinlich ist, so wird sie bloß ein Versuch der deutschen Imperialisten sein, den Boden zu sondieren hinsichtlich der Möglichkeit eines gewissen Austausches der Annexionen. Das wird der reale, wirkliche Sinn der schönen Reden der Scheidemann, Skobelew und Co. sein. Und wenn diese Konferenz nicht stattfindet, so wird von realer Bedeutung eure Propaganda unter den Massen sein, die in ihnen trügerische Hoffnungen auf die Sozialchauvinisten, auf deren bevorstehende mögliche, wahrscheinliche „Besserung" weckt.

In beiden Fällen werdet ihr, die ihr Internationalisten sein wollt, in Wirklichkeit Helfershelfer der Sozialchauvinisten bald der einen Koalition bald beider Koalitionen sein.

Wir aber berücksichtigen alle Wendungen und Einzelheiten der Politik und bleiben dabei konsequente Internationalisten die den brüderlichen Bund aller Arbeiter, den Bruch mit den Sozialchauvinisten, die Arbeit für die proletarische Revolution propagieren.

1 Lenin zitiert den Leitartikel aus der „Nowaja Schisn", Nr. 97 vom 23. (10.) August 1917 unter dem Titel „Die Bolschewiki und Stockholm".

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