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Wladimir I. Lenin 19161106 Ganze zehn „sozialistische" Minister

Wladimir I. Lenin: Ganze zehn „sozialistische" Minister

[Sozialdemokrat" Nr. 56 vom 6. November 1916. Nach Sämtliche Werke, Band 19, 1930, S. 361-363]

Der Sekretär des internationalen sozialchauvinistischen Büros, Huysmans, hat dem dänischen Minister ohne Portefeuille Stauning, dem Führer der dänischen angeblich „sozialdemokratischen“ Partei, folgendes Begrüßungstelegramm gesandt:

Ich sehe in den Zeitungen, dass Sie zum Minister ernannt worden sind. Meine herzlichsten Glückwünsche. Wir haben also jetzt zehn sozialistische Minister auf der Welt. Es geht vorwärts! Die besten Grüße!“

Es geht vorwärts, darüber lässt sich nicht streiten. Die II. Internationale geht rasch der völligen Verschmelzung mit der nationalliberalen Politik entgegen. Das Kampforgan der deutschen extremen Opportunisten und Sozialchauvinisten, die Chemnitzer „Volksstimme, führt dieses Telegramm an und bemerkt dazu nicht ohne Giftigkeit:

Der Sekretär des Internationalen Sozialistischen Büros gratuliert jetzt ohne Vorbehalt zur Annahme eines Ministerpostens durch einen Sozialdemokraten. Dabei hatten sich bis kurz vor dem Krieg alle Parteitage und internationalen Kongresse scharf dagegen erklärt! Zeiten und Anschauungen haben sich auch hierin gewandelt.“

Die Heilmann, David, Südekum haben das volle Recht, den Huysmans, Plechanow, Vandervelde verächtlich auf die Schulter zu klopfen …

Stauning hat vor kurzem seinen Brief an Vandervelde veröffentlicht, der viel beißenden Spott eines deutschfreundlichen Sozialchauvinisten gegen den französischen Sozialchauvinisten enthält. Stauning brüstet sich in diesem Brief unter anderem damit, dass „wir (die dänische Partei) scharf und bestimmt Abstand genommen haben von der organisationsschädlichen Zersplitterungsarbeit, welche auf Veranlassung der italienischen und schweizerischen Parteien unter dem Namen ,Zimmerwaldbewegung' in Szene gesetzt worden ist“. Buchstäblich so!

Die Bildung des nationalen Staates fällt in Dänemark in das 16. Jahrhundert. Die Massen des dänischen Volkes haben die bürgerliche Befreiungsbewegung längst hinter sich. In Dänemark besteht die Bevölkerung zu mehr als 96 Prozent aus in Dänemark geborenen Dänen. In Deutschland gibt es keine 200.000 Dänen. (Die Bevölkerung Dänemarks zählt 2,9 Millionen.) Daraus kann man ersehen, welch grober bürgerlicher Schwindel das Gerede der dänischen Bourgeoisie über den „selbständigen nationalen Staat“ als Aufgabe des Tages ist! Das sagen im 20. Jahrhundert die Bourgeois und Monarchisten Dänemarks, die über Kolonien verfügen, deren Bevölkerungszahl fast der Zahl der in Deutschland lebenden Dänen gleich ist und die jetzt Handelsobjekt der dänischen Regierung sind.

Wer hat gesagt, dass man heutzutage keinen Menschenhandel treibt? Man treibt mit ihnen einen sehr schwungvollen Handel. Dänemark verkauft an Amerika für soundso viel Millionen (man ist noch nicht handelseinig) drei Inseln – die natürlich alle bevölkert sind.

Ein spezifischer Zug des dänischen Imperialismus ist außerdem das Einheimsen von Überprofiten als Folge seiner monopolistisch-vorteilhaften Stellung auf dem Milch- und Fleischproduktenmarkt: Absatz der Waren auf dem billigsten Seewege nach London, dem größten Markte der Welt. Infolgedessen haben sich die dänische Bourgeoisie und die dänischen reichen Bauern (Bourgeois reinsten Wassers, trotz des Geredes der russischen Narodniki) in „florierende“ Schmarotzer der englischen imperialistischen Bourgeoisie verwandelt, in Teilhaber an deren besonders bequemen und besonders fetten Profiten.

Dieser internationalen Situation hat sich die dänische „sozialdemokratische“ Partei vollkommen angepasst, die unentwegt für den rechten Flügel, für die Opportunisten in der deutschen Sozialdemokratie eintrat und eintritt. Die dänischen Sozialdemokraten haben für die Kredite der bürgerlich-monarchistischen Regierung gestimmt – „zum Schutz der Neutralität“, wie es so schön heißt. Auf dem Kongress vom 30. September 19161 hat sich eine Neunzehntelmehrheit für die Teilnahme an der Regierung, für einen Pakt mit der Regierung ausgesprochen! Der Korrespondent der Berner sozialistischen Zeitung teilt mit, dass Gerson Trier und der Redakteur I. P. Sundbo in Dänemark die Opposition gegen den Ministerialismus vertreten haben. Trier verteidigte in einer glänzenden Rede die revolutionär-marxistischen Ansichten und trat aus dem Zentralkomitee und aus der Partei aus, als die Partei beschloss, an der Regierung teilzunehmen, wobei er erklärte, dass er nicht Mitglied einer bürgerlichen Partei sein wolle. In den letzten Jahren habe sich die dänische „sozialdemokratische“ Partei durch nichts von den bürgerlichen Radikalen unterschieden.

Unseren Gruß dem Genossen G. Trier! „Es geht vorwärts“, Huysmans hat recht – vorwärts zur reinlichen, klaren, politisch ehrlichen, sozialistisch notwendigen Scheidung zwischen den revolutionären Marxisten, den Vertretern der Massen des revolutionären Proletariats, und den Plechanow-Potressow-Huysmansschen Verbündeten und Agenten der imperialistischen Bourgeoisie, die wohl die Mehrheit der „Führer“ hinter sich haben, aber nicht die Interessen der unterdrückten Massen vertreten, sondern eine Minderheit von privilegierten Arbeitern, die auf die Seite der Bourgeoisie übergehen.

Werden die russischen klassenbewussten Arbeiter, jene Arbeiter, die die nach Sibirien verbannten Abgeordneten gewählt, die gegen den Eintritt in die Kriegsindustriekomitees zur Unterstützung des imperialistischen Krieges gestimmt haben, werden sie zu der „Internationale“ der zehn Minister gehören wollen? Zur Internationale der Stauning? Zur Internationale, aus der die Trier austreten?

1 Lenin meint weiter einen „Die dänische Sozialdemokratie und der Ministersozialismus“ betitelten Brief aus Kopenhagen (Berner Tagwacht Nr. 248 vom 21. Oktober 1916).

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