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Millerandismus

Millerandismus. Millerand war als Sozialist in das französische bürgerliche Ministerium eingetreten, was der Pariser Sozialistenkongress von 1900 verurteilte. [Lenin, Sämtliche Werke, Band 18, Anm. 49]

Hier ist der sogenannte „Ministerialismus“ der Opportunisten aus der II. Internationale gemeint, die die Teilnahme von Sozialisten an bürgerlichen Regierungen rechtfertigten. Als erster trat der französische Sozialist Millerand im Jahre 1899 unter dem Vorwand, dass es die Republik gegen die monarchistische Bewegung zu verteidigen gelte, gemeinsam mit General Gallifet, dem berüchtigten Henker der Pariser Kommune, in die Regierung ein.

Die Frage, ob die Teilnahme von Sozialisten an bürgerlichen Regierungen zulässig sei, wurde im Jahre 1900 auf dem V. Internationalen Sozialistenkongress in Paris erörtert. Guesde, der Vertreter des linken Flügels der französischen Sozialisten, brachte einen Resolutionsentwurf ein, der „jede Teilnahme der Sozialisten an bürgerlichen Regierungen, denen gegenüber die Sozialisten auf dem Standpunkt unbeugsamer Opposition stehen bleiben müssen“, untersagte. Für diese Resolution stimmte nur eine Minderheit der Delegierten. Der Kongress nahm die zentristische Kautschukresolution Kautskys an, in der es heißt: „Der Eintritt eines einzelnen Sozialisten in ein bürgerliches Ministerium ist nicht als der normale Beginn der Eroberung der politischen Macht zu betrachten, sondern kann stets nur ein vorübergehender und ausnahmsweiser Notbehelf in einer Zwangslage sein“ („Internationaler Sozialisten-Kongress zu Paris 1900“, Verlag: Buchh. Vorwärts, Berlin 1900, S 17 ff.). Ob in einem Einzelfall diese Zwangslage vorliege, das sei eine Frage der Taktik und nicht des Prinzips. Die Resolution machte die Teilnahme eines Sozialisten an einer bürgerlichen Regierung vom Einverständnis und von der Kontrolle der Partei abhängig. Somit erhielt der Eintritt eines Sozialisten in eine bürgerliche Regierung im Grunde die bedingte Billigung und Rechtfertigung des Kongresses, wenn auch der Schritt Millerands, der ohne Einwilligung der Partei in die Regierung eingetreten war, formell verurteilt wurde.

Nach dem Fall Millerand kam es auch in anderen Ländern zum Eintritt von Sozialisten in bürgerliche Regierungen. Einen epidemieartigen Charakter nahm diese Erscheinung während des imperialistischen Krieges an, als die Mehrheit sämtlicher sozialistischen Parteien Westeuropas sozialchauvinistisch wurde. Auch der französische Sozialist Guesde, der im Jahre 1900 gegen die Teilnahme von Sozialisten an bürgerlichen Regierungen protestiert hatte, wurde Minister der Regierung der französischen Bourgeoisie. Gegenwärtig hat sich die Teilnahme von „Sozialisten“ [...] an bürgerlichen Regierungen in ein System verwandelt und bildet eine der Formen der Dienste, die die Sozialfaschisten der Bourgeoisie in ihrem Kampf gegen das revolutionäre Proletariat erweisen. [Lenin, Ausgewählte Werke, Band 7, Anm. 8]

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