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Rosa Luxemburg 19170331 „Die Schicksalsstunde der Partei“

Rosa Luxemburg: „Die Schicksalsstunde der Partei“

31. März 1917

[Nach Der Kampf (Duisburg), Nr. 43, 31. März 1917, Beilage, S. 1-4. Laut Rosa Luxemburg, Gesammelte Werke, Band 7.2 stammt der Artikel von Rosa Luxemburg]

* Die durch den Parteivorstand herbeigeführte formelle Spaltung der Partei ist nur ein neues Stadium des naturgemäßen Zersetzungs- und Zerfallsprozesses, dem die Sozialdemokratie seit dem Ausbruch des Krieges anheimgefallen ist. Die „Schicksalsstunde der Partei“ ist nicht der Entschluss der Parteiinstanzen zur Hinausdrängung der Opposition, sondern die „Schicksalsstunde“ der deutschen Sozialdemokratie wie des internationalen Sozialismus war der 4. August 1914. Das völlige Versagen in der wichtigsten geschichtlichen Probe hat die Zwecklosigkeit der deutschen Sozialdemokratie wie der Internationale in ihrer bisherigen Gestaltung und Beschaffenheit aufgezeigt. Nachdem sich die Existenz der Sozialdemokratie als einer revolutionären Klassenpartei des Proletariats geschichtlich als Scheinexistenz erwiesen hat, ergab sich ihre fortschreitende politische Zersetzung und damit auch ihr organisatorischer Zerfall als unvermeidlicher Vorgang, der mit der ehernen Logik eines Naturprozesses im Laufe des Krieges einsetzen musste

Die Generalliquidierung dieses Prozesses musste ebenso naturgemäß auf drei Ziele gerichtet werden: 1.) Beseitigung der Herrschaft der bürgerlich-imperialistischen Elemente, die in der Partei am Ruder sitzen, 2.) Sammlung der proletarisch-sozialistischen Elemente, die heute durch die Herrschaft jener Schicht in der Partei lahmgelegt, erdrosselt oder abgestoßen sind, 3.) Gründliche Umbildung der Gesamtbewegung in organisatorischer und taktischer Beziehung, um sie ihren wirklichen historischen Aufgaben anzupassen und die Wiederholung des Bankrotts bei der nächsten geschichtlichen Probe zu vermeiden. Diese Ziele lassen sich nach wie vor nur unter aktiver Teilnahme breiter Volksmassen erreichen. Nur wenn die Massen auf den Plan treten, um gegen den Imperialismus zu kämpfen, können auch der Imperialismus und seine Schildknappen innerhalb der Sozialdemokratie wirksam bekämpft werden. Man kann nicht die Handlanger und Klienten der herrschenden Faktoren: die Scheidemann und Gen. niederzwingen und überwinden, wenn die imperialistische Politik dieser Gewalten gar keinen Widerstand in den Volksmassen findet. Die Wiedergeburt einer sozialdemokratischen Partei in neuer Gestalt, von neuem Geist erfüllt und den großen historischen Aufgaben gewachsen, kann gleichfalls nur das Werk einer Massenbewegung des Proletariats, die Frucht einer geistigen Wiedergeburt der Volksmassen und ihres Erwachens aus der gegenwärtigen starren Passivität sein.

Es lag deshalb im dringenden Interesse obiger Ziele, die Generalauseinandersetzung mit der ausschlaggebenden bürgerlich-imperialistischen Schicht der Partei möglichst hinauszuschieben und durch Mobilmachung der Massen zum aktiven politischen Leben vorzubereiten, um sie zur großen historischen Angelegenheit der proletarischen Klassenbewegung zu gestalten. Umgekehrt lag es im Interesse des bürgerlichen Imperialismus, den nunmehr offensichtlich unvermeidlichen organisatorischen Zerfall der Partei möglichst zu beschleunigen, um die Generalauseinandersetzung größten Stils zu vermeiden, um den organisatorischen Zusammenbruch der Sozialdemokratie der Mitwirkung und Einwirkung der Massen zu entziehen, um ihn auf einen möglichst kleinen Maßstab zu reduzieren und aus einer großen Klassenangelegenheit des aufbrausenden Proletariats zur internen „Spaltungs“-Angelegenheit der Parteikonventikel zu machen.

Die jetzt herbeigeführte und erzwungene Spaltung der Partei durch den Parteivorstand und seine Anhänger ist ein neuer Beweis, dass die bürgerlich-imperialistischen Elemente in der Partei unbeschränkt herrschen, dass sie ihre Politik ungehindert durchsetzen, dass sie eine aktive zielbewusste Angriffspolitik führen, während die Arbeitsgemeinschaft und ihre Anhänger konsequent und hartnäckig der Taktik der Passivität und Defensive treu bleiben. Indem sie die gerade zur Aufrüttelung der Massen dringend notwendige Spaltung der Reichstagsfraktion möglichst hinausgeschoben hatten, bis sie ihnen auch hier von der Rechten aufgezwungen wurde; indem sie alle Gelegenheiten zu einem offenen schroffen Kampf gegen die Rechte und zu ihrer Entlarvung vor den Massen im Reichstag, in den Organisationen ungenutzt ließen; indem sie der Aufrüttelung der Massen zur Selbstbetätigung tunlichst aus dem Wege gingen; indem sie die Auseinandersetzung mit dem Parteivorstand in allen Stadien aus einer großen politischen Angelegenheit der Massen zu statutarischen Kompetenzstreitigkeiten, juristischen Feststellungen und ohnmächtigen Deklarationen der Instanzen degradiert haben, – haben die Anhänger der Arbeitsgemeinschaft zur Stärkung der Position der Rechten nach Kräften beigetragen und es ihr so ermöglicht, heute den Zeitpunkt der Spaltung nach eigenem Gutdünken und in eigenem Interesse zu wählen und sie hinter dem Rücken der Massen durchzuführen.

Die organisatorische Spaltung der deutschen Sozialdemokratie, die nunmehr als das Werk der planmäßigen aktiven Politik der bürgerlich-imperialistischen Schicht der Partei durchgeführt wird, stellt die Opposition vor ein Problem, mit dem sie sich von ihren allgemeinen politischen Gesichtspunkten aus abfinden muss Dieses Problem erscheint wiederum vor jeder der drei Richtungen in der Partei in verschiedener Gestalt.

Das Bestehen der drei Richtungen: der bürgerlich-imperialistischen, der äußersten Linken und dazwischen der breiten Mitte, die von Bebel als der Sumpf bezeichnet worden ist, ist kein Produkt des Weltkrieges und des jüngsten Zersetzungsprozesses der Partei, sondern datiert umgekehrt aus dem letzten Jahrzehnt vor dem Kriege und ist eine der wichtigsten Erklärungen für die Schicksale der Partei seit Ausbruch des Krieges. Aus dem Bestehen dieser drei Hauptstränge der bisherigen Bewegung folgt aber durchaus nicht gegenwärtig die Notwendigkeit und die objektive Basis zur Bildung von drei Parteien.

Die bürgerlich-imperialistische Richtung ist freilich von vornherein Fremdkörper in der proletarischen Klassenorganisation und es fragte sich nur, zu welchem Zeitpunkt und in welcher Weise ihre Ausscheidung aus der Partei erfolgen sollte. Sie war in der Lage, für sich den günstigsten Zeitpunkt zu wählen und eine Absonderung der proletarischen Elemente vorläufig zu verhindern.

Zwischen den beiden Richtungen der Opposition hingegen: der Richtung der Internationale und der Arbeitsgemeinschaft, handelt es sich nicht um zwei ihrem Wesen nach verschiedene Parteien und deren reinliche Scheidung, sondern um verschiedene historische Tendenzen der modernen Arbeiterbewegung im ganzen.

Welche Tendenz Oberhand gewinnt, hängt vom jeweiligen Verhalten der Massen und dieses von dem Gang der Ereignisse und der weiteren Entwicklung der Dinge, nicht aber davon ab, unter welchem der beiden Banner heute mehr Mitglieder organisiert sind.

Die Bedeutung der Parteiorganisation für das politische Leben und für die Zukunft des Sozialismus darf in dem gegenwärtigen Stadium überhaupt nicht überschätzt werden; denn die sozialistische Partei führt gegenwärtig mehr oder minder eine Scheinexistenz. Das ist sowohl bei den Scheidemännern wie bei der Opposition der Fall. Und zwar deshalb, weil die Massen im eigentlichen Sinne dem Parteileben fernbleiben, seinen Kämpfen passiv und gleichgültig zuschauen. Die Parteiorganisation: Wahlvereine, Versammlungen, Wahlen der Funktionäre, Beiträge, Abonnement der Parteizeitung, Berichterstattungen, Resolutionen, all dies ist bloß Apparat, Mittel zum Zweck: sozialistische Klassenpolitik zu führen. In demselben Augenblick, wo der Siegeslauf des Imperialismus die Verschärfung der Kriegsmethoden und die Kriegsvorbereitungen der amerikanischen Union den völligen Bankrott des Sozialismus und des internationalen Proletariats als eines Machtfaktors besiegelt hat, wo somit die sozialistische Politik gar nicht mitzählt, ist sozialistische Organisation in gewissem Sinne leere Schale. Die Partei ist jetzt ihrem Charakter nach Konventikel und ihre internen Richtungskämpfe ein Froschmäusekrieg, solange die wirklichen Massen die Schicksale des Sozialismus ein paar Hunderten von Parteimitgliedern überlassen und ihrerseits keine aktive Politik gegen den Imperialismus treiben. Der Belagerungszustand, der als äußeres Hindernis für das Verhalten einer Handvoll aktiver Parteimitglieder maßgebend sein mag, ist zur Erklärung des Verhaltens der Massen um so weniger tauglich, als sein Fortbestehen umgekehrt selbst ein Resultat der Passivität der Volksmassen ist.

Die Opposition der Arbeitsgemeinschaft, die auch hier die Gebrechen der offiziellen Partei wie sie vor dem Kriege war, getreu fortleben lässt, verwechselt Mittel mit Zweck, pflegt das Organisationsleben als Selbstzweck, betrachtet demgemäß die ausgefahrenen Geleise der Versammlungen von ein paar hundert Mitgliedern und die Annahme von Resolutionen, die der Rechten oder der Opposition zustimmen, als Parteileben im eigentlichen Sinne und glaubt auf dem Fundament solcher Zustimmungsresolutionen eine lebensfähige Partei errichten zu können. Die Arbeitsgemeinschaft merkt nicht, dass sie, indem sie auch hier einfach die Methoden, wie sie vor dem Kriege maßgebend waren, mechanisch fortsetzt, den ganzen welthistorischen Unterschied der Situation aus dem Auge lässt Nicht aus den heute errichteten Organisationssplittern wird die Sozialdemokratie der Zukunft erstehen. Die Zukunft der deutschen Sozialdemokratie wie der Internationale kann nur durch den Gang der Ereignisse und das Verhalten der breiten Massen entschieden werden. Folgt nach dem Kriege eine Periode der Stille und des Kompromisses, einer „Verständigung“ des Imperialismus, wie sie die Losung der KautskyHaaseLedebour ist, dann wird der Sumpf in der deutschen Arbeiterbewegung wie in der Internationale die ausschlaggebende Richtung sein und die Liquidation der Kriegsperiode wird auch im Lager des Proletariats mit einem Kompromiss enden. Die entschiedene Linke wird dann für längere Zeit eine praktisch wenig einflussreiche Gruppe bleiben und vorwiegend auf die Funktion der Kritik angewiesen sein, wie vor 1914, wenn auch dieses saure Amt mit aller Kraft weiter verrichtet werden muss. Folgt hingegen dem Kriege eine Periode stürmischer Entwicklung unter Beteiligung der Massen, dann ist die äußerste Linke die natürliche Führerin der Gesamtbewegung. Da den kapitalistischen Staaten nach dem Weltkriege finanzielle Schwierigkeiten schier unüberwindlicher Natur bevorstehen, und die Verschärfung der ökonomischen Gegensätze durch den rasenden Fortschritt der Kapitalakkumulation im Kriege sowie der militaristische Druck den äußersten Grad erreichen wird, so ist aller Wahrscheinlichkeit nach eine lange Periode stürmischer Entwicklung nur eine Frage der Zeit, wobei die Politik der äußersten Linken naturgemäß zur ausschlaggebenden der ganzen proletarischen Bewegung wird.

Die entschiedene Linke stellt somit der Opposition der Arbeitsgemeinschaft nicht ein anderes Programm und eine in ihren Grundlagen ganz verschiedene Taktik entgegen, die jederzeit und als ständige Einrichtung die Basis für eine gesonderte Parteiexistenz abgeben können, sondern sie ist nur eine andere historische Tendenz der Gesamtbewegung des Proletariats, aus der sich allerdings ein verschiedenes Verhalten fast in allen Fragen der Taktik und der Organisation ergibt. Die Meinung jedoch, dass daraus die Notwendigkeit oder auch nur objektive Möglichkeit folgt, die Arbeiter heute in verschiedene sorgfältig getrennte Parteikäfige, entsprechend den beiden Richtungen der Opposition einzupferchen, beruht auf einer Konventikelauffassung der Partei. Es gilt vielmehr die Politik, entsprechend der Auffassung der entschiedenen Opposition, konsequent und tatkräftig auf Schritt und Tritt zu vertreten. Das innere Wesen und die Art der Politik und nicht die äußere Organisationsschranke ist heute maßgebend und entscheidend. Die um die Arbeitsgemeinschaft gruppierte Opposition, die sich einbildet, sich Dank dem Hinauswurf endlich von den Scheidemännern reinlich geschieden zu haben, kann es in Wirklichkeit durch ihre Politik heute so wenig wie sie es gestern konnte. Ihre Parlamentsreden ganz im alten Stil der Friedenszeiten, der Organisationskretinismus und ihre Passivität im Ganzen lassen eine grundsätzliche politische Schranke zwischen ihr und der Scheidemann-Richtung, ob in gemeinsamer oder getrennter Organisation, vermissen. Was die besondere politische Auflassung der entschiedenen Opposition (der Richtung der „Internationale“) betrifft, so kann sie ihrem Wesen nach nicht in einem beliebigen Organisationspferch, Konventikel oder Blättchen mit „linksradikalen“ Tüfteleien zur lebendigen Kraft werden. Sie kann nur in Sturm und Drang der historischen Ereignisse Leben erhalten und ihre ganze Kraft entfalten. Denn was die entschiedene Opposition vertritt, ist nichts anderes als einfach sozialistische Klassenpolitik des Proletariats, Was für diese gilt, gilt auch für unsere Richtung innerhalb der Bewegung.

Daraus ergibt sich nicht etwa, dass die entschiedene Opposition auf die Ereignisse zu warten hätte, wie es im besten Falle die Anhänger der Arbeitsgemeinschaft wollen, indem sie für die Gegenwart nur das Wiederkäuen der überwundenen und bankrotten Methoden der Partei aus den Zeiten vor dem Weltkriege für angebracht halten. Aber es folgt ebenso wenig, dass wir in der Lage sind, im Westentaschenformat heute alles vormachen zu können, „wie’s gemacht werden soll“.

Die entschiedene Opposition hat, wie die revolutionäre sozialistische Politik des Proletariats selbst von Natur zweierlei Amt 1) in der Periode der Stagnation des Klassenkampfes in erster Linie die Kritik, die Opposition, um die Gesamtbewegung vorwärtszudrängen und sie bis zu der jeweilig erreichbaren äußersten Grenze der radikalen Politik voranzutreiben, das Gewissen der Bewegung zu sein; 2) in der Sturmperiode die natürliche politische Führung an der Spitze der Gesamtbewegung des Proletariats.

Von diesen beiden Gesichtspunkten ist unsere Rolle der Scheidemann-Richtung und der Sumpf-Opposition gegenüber wesentlich verschieden. Die Tatsache, dass die Arbeitsgemeinschaft sich grundsätzlich in ihrer Politik und in der ganzen Auffassung von den Scheidemann-Leuten nicht zu unterscheiden und abzugrenzen vermag, führt nicht dazu, dass wir uns von beiden Richtungen in gleicher Weise absperren müssten Eine solche Schlussfolgerung ist formalistischer, platter Scheinradikalismus. Die Scheidemann-Richtung stellt ein rein bürgerliches Element, eine Hilfstruppe der imperialistischen Herrschaft, also einen Fremdkörper in der proletarischen Bewegung dar. Ihr gegenüber ist unsere Aufgabe: ihre gegenwärtige Organisationsherrschaft über die proletarische Masse zu sprengen, gegen sie, wie gegen jede Form und Vertretung der bürgerlichen Ideologie den schärfsten … Kampf ja führen, was die Opposition des Sumpfes weder kann noch zu tun entschlossen ist. Hier steht uns die Neuauflage der großen geschichtlichen Aufgabe vor, die Marx-Engels theoretisch, Lassalle praktisch bereits einmal vollzogen hatten: die Loslösung des Proletariats von den Banden der geistigen und politischen Herrschaft der Bourgeoisie eine Neuauflage unter ganz eigenartigen historischen Bedingungen, die teils viel leichter, weil gerade nach dem von den Altmeistern des Sozialismus vollbrachten Riesenwerk und auf ihm fußend, teils aber unendlich schwieriger, weil unvergleichlich komplizierter sind.

Die Richtung der Arbeitsgemeinschaft hingegen ist der Sozialismus der Kompromissperiode, des Parlaments- und Reformsozialismus, wie er der politischen Stagnation des Klassenkampfes entspricht. Er ist die Anpassung, der Opportunismus der Arbeiterbewegung in Person, woraus sich auch seine Ohnmacht gegenüber den bürgerlichen Einflüssen in der Arbeiterbewegung erklärt: siehe seinen 20-jährigen Guerillakampf gegen den Revisionismus vor dem Kriege und seine Defensive gegenüber der Scheidemann-Richtung seit dem Kriege. Aber gerade als Opportunismus schillert diese Opposition naturgemäß in allen Farben. Wie sie ihrer Zusammensetzung nach alle Schattierungen der Bewegung umfasst, woraus sich z. T. eben ihre Ohnmacht und Aktionsunfähigkeit erklärt, so schwankt sie auch in der Zeit je nach den Umständen, die diesen oder jenen ihrer Bestandteile das Übergewicht geben, hin und her. Sie war bis zum Ausbruch des Weltkrieges Handlangerin der Rechten, der heutigen Scheidemann-Richtung, indem sie sich in allen entscheidenden Momenten mit ihr gegen die äußerste Linke verband und somit den Kladderadatsch des 4. August mit hat vorbereiten helfen. Sie war gestern und so lange wie möglich nach Ausbruch des Krieges Gefangene der Scheidemänner, deren Fußtritte allein sie zur Trennung bewogen haben. Morgen, wenn stürmische Ereignisse eintreten und die Massen aus ihrem Scheintod auferstehen, wird diese Richtung in wildem Heroismus vorwärtsstürmen. Nie von selbst einer klaren und entschlossenen Politik fähig, folgt sie stets der jeweiligen Stimmung der Massen, statt sie zu führen. Daraus ergibt sich aber, dass dieser von Bebel sogenannte Sumpf von Natur ein wandelbares, ein plastisches Element ist, aus dem die Entwicklung alles Mögliche formen kann. Und es ist das geschichtliche Amt der entschiedenen Linken, als der Hammer zu fungieren, der unermüdlich auf dieses Klastolin einhaut, um es zu der jeweilig erreichbaren äußersten Politik voranzutreiben. Beide: die Opposition der Arbeitsgemeinschaft wie die Richtung der „Internationale“ stellen zusammengehörige Erbstücke der deutschen wie der internationalen Sozialdemokratie dar. Die Arbeitsgemeinschaft ist die Erbschaft der Partei und der Internationalen wie sie ihrer Praxis, ihren Taten, ihrem Organisationsleben nach war, wie sie also logisch zum Bankrott des 4. August geführt hatte. In der Richtung der „Internationale“ ist die Erbschaft der Partei vertreten, wie sie ihrem Programm, ihren Worten, und ihrer Theorie, ihrer historischen Aufgabe nach war und wie sie sich den weiteren historischen Proben gegenüber allein gewachsen zeigen kann. Daher der schroffe Gegensatz der beiden Richtungen, der zugleich den inneren tragischen Konflikt und das eigentliche politische Problem der heutigen Bewegung des Proletariats im ganzen darstellt. Dieses Problem und dieser Konflikt können aber nicht in der mechanischen Weise einer reinlichen organisatorischen Scheidung, sie können nur durch systematischen politischen Kampf, durch offene und ständige Auseinandersetzung der beiden Richtungen innerhalb derselben Bewegung und Partei ausgetragen und schließlich durch die Einwirkung objektiver historischer Bedingungen entschieden werden.

Das Verbleiben mit dem sogen. Sumpf in einer gemeinsamen Partei birgt gewiss große Gefahren in sich. Manche Elemente der entschiedenen Opposition sind naturgemäß selbst noch im Fluss ihrer politischen Entwicklung begriffen, können daher bis zu einem gewissen Grade der verzögernden und einschläfernden Einwirkung des Sumpfes unterliegen. Bei wichtigen Aktionen und Beschlüssen droht der entschiedenen Opposition in den meisten Fällen die Majorisierung durch die Anhänger der Arbeitsgemeinschaft. Die Partei der Arbeitsgemeinschaft wird aller Voraussicht nach gegen die entschiedene Opposition, gegen deren Kritik und selbständiges Vorgehen vielfach dieselben Bekämpfungsmethoden anwenden wollen, die von der Rechten angewendet worden sind ihr gegenüber. Aber seit jeher war es viel bequemer, ein unbeflecktes Fähnlein im geschlossenen Kreis fester Anhänger als im bunten Gemisch diverser Elemente zu bewahren. Die Geschichte macht es eben dem revolutionären Sozialismus leider nicht bequem in keiner Beziehung. Überhaupt ist es das Schicksal der entschiedenen Opposition, dass ihre Arbeit, ihre aufrüttelnde Wirkung, ihre früheste und schärfste Fahnenauflehnung gegen die Herrschaft des Sozialimperialismus dem Sumpfe zugute kommt. Nachdem wir in die Mauern der Rechten Bresche geschlagen haben, zieht die Arbeitsgemeinschaft ein und erntet die Früchte unseres Wirkens. Auch fernerhin wird unsere Kritik und aufrüttelnde Arbeit in hohem Maße Wasser auf die Mühlen der Arbeitsgemeinschaft treiben, indem sie dieser den Rücken steift und ihre Anziehungskraft auf mittlere und schwankende Elemente steigert. Trotzdem muss in voller Erkenntnis all dieser Schattenseiten, unsere Aufgabe mit aller Energie ausgeführt werden, den Blick fest auf den weiteren Gang der Entwicklung gerichtet, der letzten Endes unserer Politik die führende Rolle sichert und so die Früchte der heutigen Mühen, die scheinbar zum Teil in fremde Scheunen fallen, wieder uns wird zugute kommen lassen. Denn unsere Aufgaben und unsere Schicksale sind identisch mit den Aufgaben und Schicksalen des Sozialismus überhaupt.

Aus der Notwendigkeit, gemeinsam mit der Opposition der Mitte eine Partei zu gründen folgt nicht, dass die entschiedene Opposition etwa ihre Kritik der Arbeitsgemeinschaft gegenüber nunmehr zurückzustellen oder zu mildern hätte, sondern es ist umgekehrt jetzt erst recht die eigentliche Aufgabe der Richtung der „Internationale“ neben dem unermüdlichen Kampf gegen die Herrschaft der Scheidemänner den ebenso unermüdlichen Kampf gegen die Schwächlichkeit, Halbheit und die schablonenhafte Routine der Arbeitsgemeinschaft zu fuhren. Die rücksichtslose Kritik der Arbeitsgemeinschaft ist von nun an um so wichtiger und dringender als für viele geistig bequemen und kurzsichtigen Elemente die rein äußere organisatorische Trennung von den Scheidemann-Leuten der Arbeitsgemeinschaft den radikalen Schein einer inneren Trennung — im politischen grundsätzlichen Sinne verleihe und so den Prozess der fortschreitenden Klärung und Aufrüttelung der Massen noch mehr verwirrt und erschwert.

Um diesen Aufgaben des Kampfes gegen die Scheidemann-Partei, wie der vorantreibenden Kritik gegenüber der Arbeitsgemeinschaft und der Initiative in der Aufrüttelung der Massen zum aktiven politischen Leben gerecht zu werden, ist der feste organisatorische Zusammenhang der entschiedenen Opposition innerhalb der gemeinsamen Partei mit der Arbeitsgemeinschaft und die Wahrung der freien Hand in der Kritik und Aktion unerlässliche und selbstverständliche Bedingung.

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