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Leo Trotzki 19161006 Imperialismus und Sozialismus

Leo Trotzki: Imperialismus und Sozialismus

[„Natschalo", Nr. 6, 15, 21, 6., 18. und 24. Oktober 1916, eigene Übersetzung nach dem russischen Text, Л. Троцкий: Война и революция. Крушение второго интернационала и подготовка третьего. Том II. Петроград 1922, стр. 272-284, verglichen mit der französischen Übersetzung]

Die letzte Rede Scheidemanns bezeugt das, woran vorher kein Zweifel bestehen konnte: Die herrschende Mehrheit der deutschen Sozialdemokratie beabsichtigt nicht, sich mit dem Wetzen republikanischer1 Messer gegen die Hohenzollernmonarchie zu beschäftigen. Umgekehrt, der von Scheidemann als Beweis für die wohltuenden Folgen des 4. August für das weitere Schicksal des deutschen Sozialismus vorgetragene Grundgedanke besteht darin, dass gerade die Zusammenarbeit der Sozialdemokratie mit der Staatsmacht, also mit der Hohenzollernmonarchie2, die „Vorurteile" der breiten Masse über den „antipatriotischen" Charakter der sozialistischen Partei zerschlagen und damit sofort ihre Stärke und ihren Einfluss erhöhen muss.

Es stimmt, diese Einschätzung der Politik des 4. August und der sich aus ihr ergebenden Perspektiven, muss einfach jeden, der die politische Geschichte Deutschlands und insbesondere die Geschichte seiner Arbeiterpartei kennt, durch ihre ungeheure innere Falschheit beeindrucken. Gerade diese Politik der Sozialdemokratie, die gegen sie Vorwürfe und „Vorurteile" hinsichtlich ihrer Antistaatlichkeit und ihres Antipatriotismus hervorrief, versammelte über vier Millionen Wähler unter dem Banner dieser Partei, und Parteiorganisationen mussten immer wieder beklagen, dass das Wachstum der sozialistischen Armee und der Zuhörerschaft3 die Propagandaarbeit der Partei übersteige. Wenn weiter die Politik des 4. August die Sozialisten für neue patriotische Bevölkerungsgruppen öffnen sollte, bleibt es eine Tatsache, dass die gleiche Politik bereits jetzt etwa die Hälfte der organisierten Arbeiter in Opposition gegen das „patriotische" Parteizentrum gedrängt hat. Es kann keine zwei Meinungen über den Wert dieser neuen Politik geben, die bei der Jagd nach immer noch problematischen Kadern neuer Anhänger mit der Desorganisation der alten Parteigrundlagen beginnt, die durch die Bemühungen von zwei sozialistischen Generationen vereint wurden. Es besteht kein Zweifel, dass Haase und Käte Duncker in ihren Reden, die uns noch nicht erreicht haben, auf die verwirrende politische Lüge von Scheidemanns Optimismus hingewiesen haben.

Es wäre jedoch falsch zu glauben, dass Scheidemann selbst den tatsächlichen Stand der Dinge überhaupt nicht sieht. Aber er selbst ist Vertreter oder Sklave einer bestimmten historischen Tendenz, einer der beiden Haupttendenzen, mit denen der Krieg die Arbeiterklasse direkt konfrontiert hat.

Wenn die deutsche Sozialdemokratie als Partei der sozialen Revolution in die politische Arena eintrat; wenn sie prinzipiell immer Trägerin der sozialrevolutionären „Idee des vierten Standes" blieb4 – und damit in hohem Maße gerade die Partei der proletarischen Massen wurde –, dann ging ihre parlamentarische, gewerkschaftliche, kommunale und genossenschaftliche Praxis faktisch nicht über die Grenzen der Reformarbeit an den kapitalistischen Grundlagen unter den staatlich-rechtlichen Verhältnissen der Junker-Monarchie5 hinaus und passte sich am anderen Ende zusätzlich an die kapitalistische Entwicklung an. Der Widerspruch zwischen der reformistisch-possibilistischen Praxis, national beschränkt in all ihren Methoden, und ihrer sozialrevolutionären Konzeption war somit durch alle Bedingungen ihrer Entstehung und Entwicklung in der Sozialdemokratie angelegt. Der Imperialismus verlieh dem Widerspruch extreme Gespanntheit und Schärfe.

Der Imperialismus drückt das historisch unvermeidliche Streben des „nationalen" Kapitals aus, aus dem erlebten Rahmen des Nationalstaates auszubrechen und sich die ganze Welt zu unterwerfen. Insofern sich die tägliche Arbeit der Sozialdemokratie in allen Bereichen dem nationalen Kapital als ihrer natürlichen Grundlage anpasste, erwies sich die Sozialdemokratie durch die Logik ihrer Lage gezwungen, zusammen mit dem nationalen Kapital den Weg der imperialistischen Gewalt zu beschreiten oder – eine weitere Anpassung an den kapitalistischen Staat abzulehnen, ihm den Krieg nicht auf Leben, sondern auf Tod6 zu erklären.

Durch die vorangegangene Entwicklung auf die Notwendigkeit der Weltschlacht vorbereitet, wandte sich der Moloch des imperialistischen Staats mit der folgenden Rede an Scheidemann: „Wenn Sie Ihre Aktivitäten in Richtung günstigerer Sozialgesetze und Tarifverträge7 weiterentwickeln wollen, müssen Sie mir helfen, für das nationale Kapital, unsere gemeinsame Grundlage, für eine solche Weltlage zu sorgen, die die notwendige Grundlage für Ihre eigene reformistische Arbeit schaffen würde!“ Sozialistischer Reformismus verwandelte sich in dieser Gestalt in sozialistischen Imperialismus. Durch die Ablehnung der Methoden revolutionärer Gewalt8 gegen den kapitalistischen Staat war die offizielle Sozialdemokratie gezwungen, die Methoden imperialistischer Gewalt9 des kapitalistischen Staates anzuerkennen und zu sanktionieren. Das ist genau die Idee des imperialistisch-zahmen10 „vierten Standes", die auch Scheidemann ausdrückt. Die neuen „Schichten", denen er sich dank seiner so lebendigen Entdeckung seiner staatlich-patriotischen Natur nähern will, stehen nicht unten, sondern oben: Die neue Ära des Wohlstands will Scheidemann durch eine unter-oppositionelle Zusammenarbeit mit den regierenden Kräften des imperialistischen Deutschlands erreichen. Der Weg liegt in der Arbeit der entsprechenden Umerziehung der Arbeitermassen: Hier prallt Scheidemann von Angesicht zu Angesicht mit der Opposition aufeinander.

Unter diesen Bedingungen kann die Aufgabe dieser letzteren nicht auf den Schutz der traditionellen Taktik der Sozialdemokratie mit ihrem sich nun endlich entfaltenden inneren Widerspruch hinauslaufen. Mit anderen Worten: Die Aufgabe der wirklichen Opposition kann nicht in der Rettung der „Ehre" des revolutionären Konzepts auf der Grundlage des11 bis auf den Grund erschöpften reformistischen Posibilismus bestehen; die Frage stellt sich historisch scharf: entweder vor der imperialistischen Gewalt kapitulieren oder ihr revolutionäre Gewalt entgegenstellen. Das, was in der vergangenen Epoche das prinzipielle Banner der ganzen Partei war, ist jetzt die spezielle Aufgabe der Opposition: der Kampf um die Macht.

Ein Verbündeter – kein Gesinnungsgenosse12

Zeitgleich mit der Veröffentlichung der Reden Haases auf der sozialdemokratischen Konferenz in der „Humanitéveröffentlichen die Pariser Zeitungen den Text eines Briefes, den Liebknecht während seines Prozesses an das Militärgericht gerichtet hat. Dieses Zusammentreffen kann man nicht als unglücklich bezeichnen, da er eine weitere Möglichkeit bietet, die beiden Hauptströmungen in der deutschen Opposition zu vergleichen.

Haase weigert sich, Kriegskrediten zuzustimmen, da er dem Kanzler sein Vertrauen nicht geben will. „Unterstützt man die Politik der bürgerlichen Parteien", erklärte er der Mehrheit, „teilt man die Verantwortung für sie." „Aber neben dem Kanzler und den bürgerlichen Parteien“, antwortete man ihm, „gibt es das Land, das in Gefahr ist.“ „In diesem Fall hätten man vorher für alle Kredite stimmen sollen, die in die Verteidigung das Land gehen." In diesem Dialog gibt es auf beiden Seiten schwache und starke Stellen. Haase hat absolut recht, wenn er behauptet, dass die aktive Teilnahme der Sozialdemokratie an der nationalen Verteidigung zusammen mit der Regierung des Landes bedeutet, die alte Taktik der Ablehnung der Militärkredite zu verurteilen und eine Abkehr von dieser Taktik für die Zukunft vorauszusetzen. Die abenteuerliche Feuer-Philosophie13 („Das Haus brennt, man muss retten“) eignet sich nirgends. Denn um ein Feuer zu löschen, braucht es neben dem guten Willen auch Fässer und Schläuche. Wer sich also im Falle eines Feuers sich mit dem Löschen befassen will, muss sich im Voraus um die Ausrüstung des Löschfahrzeuges kümmern. Mit anderen Worten, diese Politik bedeutet, wenn wir die Enden verknüpfen, die prinzipielle Opposition gegen den Militarismus aufzugeben. Das ist genau das, was David fordert. Wenn Scheidemann nicht zustimmt, ihm zu folgen, dann nur, weil er sich weigert, die Enden zu verknüpfen.

Aber auf der anderen Seite haben Scheidemann und David Recht, wenn sie Haase darauf hinweisen, dass die Sache sich nicht nur im Ausdrücken von „Vertrauen" oder „Misstrauen" gegenüber dem Kanzler erschöpft: der Krieg ist eine Gefahr für Deutschland, und die Partei muss ihre Haltung zu eben dieser Frage bestimmen. Aber hier gibt Haase keine Antwort. Er bestimmt seine Haltung gegenüber dem Kanzler, nicht aber gegenüber „Deutschland", d. h. er weicht einer direkten Antwort auf die Frage der nationalen Verteidigung aus. Sein Ausweichen in den grundlegenden Fragen der Krise, die der Sozialismus durchmacht, gehen Hand in Hand mit dem passiv-abwartenden Charakter seiner Taktik. „Ich will keine Verantwortung für die nationale Verteidigung übernehmen, wie sie der Kanzler versteht und durchführt“ – das ist der Kern seiner Position. Auf den ersten Blick mag es scheinen, dass dies ausreicht, zumindest für den heutigen Tag. Liebknecht vermerkt für sich selbst die „Pflicht" der nationalen Verteidigung im Prinzip, Haase lehnt die Verantwortung für deren praktische Umsetzung ab, aber er verweigert wie der andere der Regierung Kredite und Vertrauen, und da dies praktisch das Wesentlichste ist, neigen einige Genossen dazu, den Unterschied zwischen den Positionen von Haase und Liebknecht völlig zu leugnen oder zumindest herunterzuspielen.

Es besteht kein Zweifel, dass der „Kautskyaner" Haase, der gegen die Kredite stimmt, Liebknecht unvergleichlich näher steht als der „Kautskyaner" Hoch und seine Freunde, die sich der Stimme enthalten (wir reden nicht über solche Vertreter der „oppositionellen" Fauna, die für Kriegskredite stimmen, da in Deutschland eine solche Rasse nicht existiert). Zweifellos sind Haase, Ledebour und andere nun politische Verbündete für Liebknecht, zumal die Haase-Ledebour-Gruppe aus der alten Fraktion ausgetreten ist und sich ihr entgegenstellt, während die Hoch-Gruppe Teil der Fraktion von Scheidemann-David bleibt.

Aber Verbündete bedeutet nicht Gesinnungsgenossen. Indem sie ihre Aktionen mit den Aktionen der Haase-Gruppe abstimmen, soweit sie sich direkt gegen die Herrschenden Deutschlands oder die Parteimehrheit richten, behalten die Freunde von Liebknecht und Rosa Luxemburg ihre eigenständige Position im Angesicht der Massen und kritisieren unermüdlich die Formlosigkeit der prinzipiellen Grundlagen14 der Politik ihrer Verbündeten und den passiv-abwartenden Charakter ihrer Taktik. Gleichzeitig decken revolutionäre Internationalisten, wenn nötig, auch die offenen Flanken der Haase-Gruppe auf, die die Parteimehrheit angreift.

Ihr vertraut dem Kanzler nicht und verweigern ihm die Kredite? Als Anfang ist das natürlich gut, aber es ist völlig unzureichend. Man sagt euch von rechts, dass es nicht um den Kanzler geht, sondern um den Schutz dessen, was wir „Deutschland" nannten: seine geographischen Grenzen, seine Stellung auf dem Weltmarkt (die Mehrheit verschweigt, dass man gleichzeitig alles schützt, was die gesellschaftlich-politische Struktur des heutigen Deutschlands ausmacht: seine Monarchie, Polizei, Agrarier-Kapitalisten-Herrschaft15 usw.) Wie ist eure Position in der Frage der Verteidigung Deutschlands?“

Dieses Thema hat keineswegs „akademische" Bedeutung. Die sozialistische Gruppe, die in der heutigen Epoche der Welterschütterung ihre Aufgabe darin sieht, die alte Taktik – das heißt auch alle ihre possibilistische (anpasslerische) und nationale Begrenztheit – beizubehalten, kann sich letzten Endes nicht weigern, die territoriale und wirtschaftliche Basis dieser Taktik zu verteidigen, d.h. Deutschland zu verteidigen.

Die Sozialdemokratie stimmte als Minderheit im Reichstag gegen Militärkredite in Friedenszeiten, doch sie behinderte nicht im Geringsten direkt ihre Regierung dabei16, einen Apparat des Militarismus zu schaffen und zu entwickeln. Indem die Sozialdemokraten gegen Kriegskredite sprechen, „riskieren" sie, die „Moral" der Arbeiter-Soldaten zu untergraben und dadurch die Verteidigung direkt zu schwächen und sogar zu desorganisieren. Eben vor dieser Perspektive ist die Mehrheit der sozialdemokratischen Fraktion des Reichstags zurückgeschreckt.

Sehen Sie", sagt David Scheidemann, „unsere rein oppositionelle Taktik im Frieden hat sich als unhaltbar erwiesen, und in einem Moment der ernsthaften Bewährungsprobe waren Sie selbst gezwungen, sie im Stich zu lassen. Nach dem Krieg müssen wir für die für die Landesverteidigung notwendigen Kredite stimmen.“

Nein", antwortet ihm Scheidemann, „unsere derzeitige Taktik hat einen Ausnahmecharakter. Nach dem Krieg werden wir wieder gegen den Militärhaushalt stimmen.“

Aber das ist unlogisch!“

Aber es ist praktisch: Wenn wir die Oppositionstaktik aufgeben, verlieren wir den Einfluss auf die Massen.“

Also fangen Sie wieder von vorne an?"

Ich will wenigstens … es versuchen."

In diesem beispielhaften Dialog erscheint David vor uns als Doktrinär des Opportunismus, während Scheidemann sein Recht verteidigt, Opportunist im Opportunismus selbst zu sein.

Haase hat formal völlig Recht, wenn er wie David fordert, dass die Taktik des Krieges mit der Taktik der Friedensära koordiniert wird: David fordert Ausrichtung am Krieg, Haase am Frieden.

Was ist passiert?" rief Haase in seiner Rede auf der Konferenz, „Warum haben Sie die Opposition gegen den Kanzler aufgegeben?

Nichts Besonderes", antwortete es ironisch von rechts, „abgesehen natürlich von einem Krieg, der die Existenz Deutschlands17 bedroht."

Der Bericht zeigt nicht, wie Haase auf diese Bemerkung reagierte. Anscheinend hat er nichts gesagt: Er hat keine Antwort auf diese Frage. Das besagt seine ganze Rede, die ganz auf die formelle Verteidigung der „traditionellen“ Taktik der deutschen Sozialdemokratie beschränkt ist.18 Haase will nicht sehen, dass die gesamte Krise des Sozialismus darin besteht, mit einer Tradition zu brechen, die zwei Ziele hat: ein Possibilistisches und ein Revolutionäres. Erneut verbinden kann sie keine Macht der Welt.

Die Zukunft für die Spartakisten19

David fordert, dass die Sozialdemokraten ihre Reformbemühungen innerhalb des Landes ergänzen, indem sie zu seiner militärischen Macht beitragen. Diese Position, der äußere20 Logik nicht abgesprochen werden kann, ist gleichbedeutend mit einer völligen Abkehr des Proletariats von jeder unabhängigen, auch reformistischen, Politik. Bismarck hat einmal zugegeben, dass die deutsche Sozialgesetzgebung das Ergebnis der Angst der herrschenden Klassen vor der Sozialdemokratie ist. Und das ist sicher: Solange die Macht in den Händen der besitzenden Klassen liegt, sind Reformen zugunsten der ausgebeuteten Massen im Allgemeinen die Frucht der Angst vor ihrer Klassenempörung21. Die oppositionell-drohende Haltung der Sozialdemokraten gegenüber dem Klassenstaat, insbesondere in den sensibelsten Fragen des Militarismus, war eine notwendige Voraussetzung für Reformen von oben. Hätte die Kapitalisten-Junker-Regierung Deutschlands im Voraus die Garantie, dass die Sozialdemokratie in der Minute der Gefahr ihr Gewehr schultern22 würde, würde das deutsche Proletariat bis heute vergeblich auf soziale Reformen warten. Aber genau diese „Garantien" geben die Sozialdemokraten nun den herrschenden Klassen mit all ihrem Verhalten, und David will diese Garantien sogar in das Programm aufnehmen und dieses zu einer Leibeigenenfibel23 der Arbeiterklasse machen. Das bedeutet: das Ende von Reformen. Nicht nur die Herrschenden werden die Anreize für Reformen verlieren, sondern morgen wird der Staatsmann David selbst zugeben müssen, dass die höheren Bedürfnisse der Landesverteidigung Sparsamkeit im Bereich der öffentlichen Bildung und der Arbeiterversicherung erfordern. Wenn die Praxis des Reformismus zum Sozialpatriotismus führte, untergräbt dieser den Boden selbst unter der Praxis der Reform.

Diese Hoffnungslosigkeit des Sozialreformismus inmitten der größten Umwälzungen der Welt stellt der Arbeiterklasse die Frage nach revolutionären Kampfmethoden.

Die deutsche Sozialdemokratie, die sich auf Millionen von Arbeitern stützt – und das wurde von der Mehrheit verstanden –, kann mit ihrer Weigerung den Krieg führenden Staat zu unterstützen, nicht lange Zeit auf der Ebene einer platonisch-oppositionellen Demonstration bleiben. Man muss zwischen der aktiven Unterstützung des imperialistischen Staates und der Erklärung des revolutionären Krieges gegen ihn wählen. Der Neutralismus, einschließlich des „nicht wohlwollenden" Neutralismus von Haase, ist in den inneren Beziehungen ebenso wenig stabil wie in den äußeren.

Eine Partei, die nicht beabsichtigt, über die Grenzen des parlamentarischen und gewerkschaftlichen Opportunismus hinauszugehen, kann sich nicht selbst untergraben und dem Nationalstaat die Unterstützung verweigern.

Den national-imperialistischen Block zu zerreißen und die „nationale Verteidigung" zu gefährden (und vor dieser Gefahr schließen Liebknecht, Rosa Luxemburg oder Käte Duncker, die auf der sozialdemokratischen Konferenz24 eine treffliche Rede gehalten hat, natürlich nicht die Augen), keine Angst vor der Taktik der Schwächung des eigenen Landes zu haben, kann nur die Partei, die sich in dieser Epoche ständiger nationaler „Gefahren" revolutionäre Aufgaben stellt, die weit über vergängliche strategischen Lagen und25 über Überlegungen des unmittelbaren Weltinteresses des nationalen Kapitals weit hinausragen, nur eine sozialrevolutionäre Partei, die um die Macht kämpft, kann sich dem „nationalen" Unternehmen (Krieg) wirklich widersetzen und all seine Wechselfälle, Erfolge und Misserfolge für ihre eigenen Zwecke nutzen, die in ihrem Wesen viel weiter gefasst sind als die Frage nach den geographischen Grenzen Deutschlands. Das ist die Position Liebknechts. In einer Zeit, in der Haase der Regierung abwartend das Vertrauen verweigert, verkünden Liebknecht und seine Freunde dieser Regierung den offenen Kampf. Es genügt, Liebknechts Brief an das Militärgericht oder die gerade erwähnte Rede von K. Duncker zu lesen, um zu verstehen, wie tief der Unterschied zwischen diesen beiden Strömungen ist....

Die berühmte Formel von Raffin-Dugens: „Ich stimme gegen die Kredite, aber wenn ihr Schicksal von meiner Stimme abhinge, würde ich für die Kredite stimmen“ – drückt zweifellos, wenn nicht das Denken, so doch das politische Befinden der meisten führenden Politiker des „Zentrums" (Haase-Kautsky-Bernstein) aus. Diese Formel des kontemplativen und im Wesentlichen fiktiven Internationalismus ist nicht so karikiert, wie es auf den ersten Blick scheint. Die negative Abstimmung ist hier eine traditionelle Manifestation des prinzipiellen Misstrauens gegenüber der Klassenregierung und keineswegs ein einleitender Akt der Mobilisierung der Massen für den revolutionären Kampf. Der Hauptvorwurf Liebknechts gegen die Politiker des Zentrums bestand gerade darin, dass sie sich weigern, die Losung der offenen revolutionären Aktionen gegen den Krieg und die Herrschenden Deutschlands in die Massen zu werfen.

Es besteht kein Zweifel – und dieser Gedanke wurde mehr als einmal geäußert –, dass das sozialdemokratische Zentrum nur eine Etappe auf dem Weg der politischen Ernüchterung und des revolutionären Erwachens der arbeitenden Massen ist. Aber die wichtigste Garantie dafür, dass die Massen in dieser Etappe nicht zu lange festhängen, ist die unermüdliche Arbeit der revolutionären Internationalisten – die, wie K. Duncker in Übereinstimmung mit der Stuttgarter Resolution sagte, „die vom Krieg erzeugte Krise nutzen wollen, um die Zerstörung des kapitalistischen Staates zu erreichen". Nur eine resolute, nicht bei zweitrangigen Überlegungen der innerparteilichen Strategie Halt machende Kritik der theoretischen Zweideutigkeit und politischen Passivität des „Zentrums", kann die Stunde des revolutionären Ansturm der Massen auf den imperialistischen Staat näher bringen. Deshalb betrachten wir die Gruppe „Internationale" – Spartakus – trotz der geringen Zahl von Delegierten dieses Flügels auf der Konferenz* als einen erstrangigen Faktor für die Zukunft Deutschlands.

Für die Republik oder für den Sozialismus?

Homo greift jede Phrase auf, die aus dem Munde von Vertretern der deutschen Opposition kommt und sich der Frage der Verantwortung für den Krieg widmet, um die entscheidende Bedeutung dieses Themas für die sozialistische Politik in der Epoche des Krieges zu beweisen. Russische sozial-patriotische Homunkuli (Menschen26) tun dasselbe, nur unwissend27, weil sie weder den deutschen Sozialismus noch die deutsche Sprache kennen.

Die Frage der „Verantwortung" spielt zweifellos eine riesige Rolle in der gesamten Agitation der deutschen Opposition, der pazifistischen wie der revolutionären. Das ist absolut unvermeidlich, wenn man bedenkt, dass die politische Bearbeitung der Arbeitermassen durch die herrschenden Klassen und ihre sozialpatriotischen Agenten gerade auf der Grundlage der Frage der Verantwortung für den Krieg erfolgte.

Die besitzenden und herrschenden Klassen selbst legten sich vollkommen Rechenschaft darüber ab, dass dieser Krieg nicht die Aufgabe hat, den Nationalstaat zu schützen, der für die Entwicklung der Produktivkräfte und für die kapitalistische Akkumulation zu eng geworden ist, sondern im Gegenteil die Erweiterung seiner Grenzen, seine Umwandlung vom National- in dem Weltstaat. Diese imperialistische Tendenz hat nichts „Persönliches" in sich und ist mächtiger als alle politischen Formen. Aber um das Gewissen der werktätigen Massen einzufangen, war es zunächst notwendig, den Krieg darzustellen, als sei er Deutschland durch den bösen Willen seiner Feinde und Neider auferlegt. Der nationale Idealismus der herrschenden Klassen nährte sich vom Imperialismus, d.h. von ihrem Wesen nach übernationalen Zielen, Umgekehrt war die Mobilisierung des Idealismus der ausgebeuteten Klassen unmöglich außer durch Schutz-, Verteidigungsargumente, die Deutschlands Sache als Sache „elementarer Prinzipien von Recht und Gerechtigkeit" darstellen.

Ganz natürlich kam als erstes Wort der sozialistischen Opposition der Beweis dessen, dass die deutsche Regierung als einer der wichtigsten Hebel im Mechanismus der kapitalistischen Welt einen großen Teil der Verantwortung für die aktuellen Ereignisse trägt. Aber aus der bloßen Aufdeckung des kriminellen Charakters der internationalen Politik der Hohenzollern und Habsburger konnte in keinem Fall die Pflicht einer Anti-Verteidigungspolitik für das deutsche Proletariat folgen. Wenn es stimmt, dass sozialpatriotische Politik die Verteidigung des Vaterlandes (und nicht der Obrigkeit) bedeutet, dann müssen wir zu dem Schluss gelangen, dass das deutsche Vaterland seine Bedeutung für die deutschen Arbeiter behält und von ihnen geschützt werden muss – trotz der Tatsache, dass sie im Gegensatz beispielsweise zu den russischen Arbeitern eine unmoralische und räuberische Regierung haben28.

Aber wenn die Entente-Sozialpatrioten aus der extremen Schuld der Hohenzollern am gegenwärtigen Krieg, ohne sich selbst untreu zu werden, nicht das Recht haben, Anti-Verteidigungs-Schlussfolgerungen für die Deutschen zu ziehen, erscheinen ihre republikanischen Schlussfolgerungen auf den ersten Blick viel gerechtfertigter. In der Tat: Wenn die Wurzel des Bösen in den Hohenzollern liegt, dann liegt die Garantie gegen künftige Kriege in der Republik Deutschland. So stellten die Frage in der ersten Epoche die Herren Renaudel, Hervé u.a. Jedoch auch diese republikanische Schlussfolgerung, die logisch gewandter als die Anti-Vaterlandsverteidigung das deutsche Volk für die Sünden Wilhelms bestraft29, zeichnet sich durch extreme politische Oberflächlichkeit aus.

Die Abschaffung der deutschen Monarchie ist eine rein revolutionäre Aufgabe. Mit welchen Kräften und Mitteln sie gelöst werden kann, darauf gibt weder die Frage der Verantwortung noch die bloße republikanische Losung an sich eine Antwort.

Ist eine demokratische Revolution in Deutschland denkbar? Mit anderen Worten: Gibt es in Deutschland solche bürgerlichen Klassen, die an einem republikanischen Umsturz interessiert wären? Steht auf der Tagesordnung die Revolution der deutschen Nation gegen das politische Regime oder die proletarische Revolution gegen die imperialistische Monarchie30, um die sich alle besitzenden Klassen der Nation gruppieren?

Die „evolutionären" Philister (es gibt nicht wenige, die sich untereinander ein marxistisches Etikett auf die Stirn kleben) stellen sich die Sache so vor, dass Deutschland gehörig zuerst seine republikanische Revolution machen müsse, um den Weg für den Kampf des Proletariats um die Staatsmacht frei zu machen. Die Republik erscheint ihnen einfach als eine „natürliche" politische Etappe in der Entwicklung der kapitalistischen Gesellschaft. Indessen sagt uns die materialistische Analyse, dass die Machteroberung des deutschen Proletariats eine notwendige Voraussetzung für die Gründung der deutschen Republik ist.

Nirgendwo in Europa gaben die letzten Jahrzehnte Bilder einer so raschen Klassendifferenzierung und eines so entschiedenen wirtschaftlichen Zerfalls der Zwischenklassen wie in Deutschland. Jetzt vollendet der Krieg diese Arbeit und fegt Hunderttausende von kleinen Kapitalisten und Bauern vom Erdboden weg. Wenn diese neue Reservearmee auch rechtzeitig oder nach dem Krieg Material für revolutionäre Ausbrüche liefern kann, so kann sich eine ernsthafte revolutionäre Bewegung in Deutschland nur als Bewegung des Proletariats entfalten. Und wenn diese Bewegung, die den mächtigen Widerstand der konzentrierten imperialistischen Monarchie überwinden muss, siegen soll, dann wird sie die Partei des Proletariats an die Macht bringen – jene neue Partei, die sich aus den Elementen der gegenwärtigen Opposition und der neuen revolutionären Generation im Feuer des Kampfes gegen die imperialistischen Klassen und ihre Monarchie bilden wird. Die Frage der Republik verschmilzt für das deutsche Proletariat mit der Frage des Machtkampfes: Die Republik in Deutschland ist nur als politische Hülle der proletarischen Diktatur realisierbar. Aber es ist ganz offensichtlich, dass die Partei des Proletariats, die durch eine siegreiche Revolution an die Macht gekommen ist, gezwungen sein wird, sofort mit der Arbeit der sozialistischen Umgestaltung der Gesellschaft zu beginnen. Die historische Aufgabe des deutschen Proletariats kommt zum Ausdruck also nicht in der rein politischen Antithese: Monarchie – Republik, sondern in einer anderen viel tieferen Antithese: Imperialismus – Sozialismus.

Für die bürgerlich-republikanische Agitation (und dafür gibt es in Deutschland weniger Boden als anderswo) könnte moralische und rechtliche Erforschung31 der persönlichen „Verantwortung" genügen. Aber für den revolutionären und Klassenkampf muss das Proletariat32 eine klare Vorstellung von der Verantwortung des imperialistischen Regimes als Ganzes haben.

1In der französischen Übersetzung fehlt: „republikanischen“

2 In der französischen Übersetzung: „und der Macht“

3 In der französischen Übersetzung fehlt: „und der Zuhörerschaft“

4 In der französischen Übersetzung fehlt: „wenn sie prinzipiell immer Trägerin der sozialrevolutionären „Idee des vierten Standes" blieb“

5 In der französischen Übersetzung fehlt: „unter den staatlich-rechtlichen Verhältnissen der Junker-Monarchie“

6 In der französischen Übersetzung: „den unversöhnlichen Krieg“

7 In der französischen Übersetzung: „Zolltarife“

8 In der französischen Übersetzung: „Methoden“

9 In der französischen Übersetzung: „imperialistischen Methoden“

10 In der französischen Übersetzung fehlt: „imperialistisch-zahmen“

11 In der französischen Übersetzung „eines“ statt „auf der Grundlage des“

12 In der französischen Übersetzung: „Der Verbündete hat nicht immer dieselbe Idee“

13 In der französischen Übersetzung: „abenteuerliche und entflammende Philosophie“ … aber es geht um das Löschen, nicht um das Entflammen von Feuer.

14 In der französischen Übersetzung „Grundlagen“ statt „Formlosigkeit der prinzipiellen Grundlagen“

15 In der französischen Übersetzung „kapitalistische Herrschaft“

16 In der französischen Übersetzung: „konnte nie die Regierung davon abhalten“

17 In der französischen Übersetzung: „des Reiches“

18 Der Satz fehlt in der französischen Übersetzung

19 Der Artikel ist stark von der Zensur gekürzt [Anmerkung der russischen Herausgeber]

20 In der französischen Übersetzung: „eine gewisse“

21 In der französischen Übersetzung: „Volksbewegungen“

22 In der französischen Übersetzung: „von der Schulter nehmen“

23 In der französischen Übersetzung: „versiegelten Brief [des Königs]“

24 In der französischen Übersetzung fehlt: „auf der sozialdemokratischen Konferenz“

25 In der französischen Übersetzung: „Man braucht eine Partei, die revolutionäre Probleme über Überlegungen … stellt“ statt „kann nur die Partei, die sich in diese Epoche ständiger nationaler „Gefahren" revolutionäre Aufgaben stellt, die weit über vergängliche strategischen Lagen und“

* Homo berichtet, dass es 10 linke Delegierte auf der Konferenz gab. Man sollte nicht vergessen: 1) dass an manchen Orten die revolutionären Internationalisten die Konferenz boykottiert haben, 2) dass es für sie in jeder Hinsicht viel schwieriger ist, auf Parteiversammlungen zu sprechen als für ihre Gegner, 3) dass viele revolutionäre Internationalisten in den Hohenzollern-Gefängnissen sitzen, darunter alle prominenten Führer: Liebknecht, Mehring, Luxemburg, E. Meyer….

26 In der französischen Übersetzung: „kleine Menschen“

27 In der französischen Übersetzung: „als Analphabeten“

28 In der französischen Übersetzung: „(trotz der Tatsache, dass sie eine heuchlerische und ungläubige Regierung haben), im Gegensatz beispielsweise zu den russischen Arbeitern“ [der französische Übersetzer hat offenbar Trotzkis Sarkasmus nicht verstanden]

29 In der französischen Übersetzung: „dieses Argument, das Deutschland nicht für die Sünden seines Kaisers verantwortlich macht“

30 In der französischen Übersetzung fehlt der Rest des Satzes

31 In der französischen Übersetzung: „bürgerlich-republikanische Propaganda kann Erforschung“

32 In der französischen Übersetzung: „Das Proletariat muss“

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