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Leo Trotzki 19170806 Protokoll der Voruntersuchung zum Fall des 3. - 5. Juli

Leo Trotzki: Protokoll der Voruntersuchung zum Fall des 3. - 5. Juli1

[„Voruntersuchung bezüglich eines bewaffneten Auftretens am 3.-5. Juli 1917 in Petrograd gegen die Staatsmacht." S. 144, eigene Übersetzung nach Л. Троцкий. Сочинения. Том 3, часть 1. Москва-Ленинград, 1924. Die Übersetzung der Einleitungssätze ist problematisch.]

24. Juli 1917, im Petrograder Einzelhaftgefängnis (Kresty), befragte der gerichtliche Ermittler des 24. Bezirks der Stadt Petrograd2 den nach Artikeln 51, 100 und 108 Beschuldigten, nachdem zuvor auf der Grundlage von Art. 403 des Strafgesetzes3 seine Identität festgestellt worden war, zu den Anklagen gegen ihn, die in der Entscheidung, vom 21. Juli (L. D. 18 - 35) Anklage gegen ihn zu ergeben, aufgeführt sind, bekundete der Angeklagte:

Ich, Lew Dawidowitsch Trotzki, 37 Jahre alt, staatenlos, verlor unter dem alten Regime durch das Urteil der Petrograder Strafkammer im Jahre 1907 als Angeklagter nach Artikel 100 des Strafgesetzbuchs die zivilen und militärischen Rechte. Von Beruf Schriftsteller zu gesellschaftlichen und sozialen Fragen, verdiene ich meinen Lebensunterhalt mit literarischer Arbeit, ich habe keine besonderen Kennzeichen. Anlässlich der mir vorgelegten „Beschuldigungen" habe ich folgendes zu sagen:

1. Meine Position im Ausland während des Krieges

Der Krieg überraschte mich mit meiner Familie als Emigrant in Wien, das ich gezwungen war, innerhalb von drei Stunden am 3. August (neuen Stils) 1914 zu verlassen und meine Wohnung, Möbel, Bibliothek usw. der Gnade des Schicksals zu überlassen.

In Zürich, wohin ich mit meiner Familie gezogen bin, veröffentlichte ich die deutsche Broschüre Der Krieg und die Internationale, gegen den Imperialismus der herrschenden Klassen Deutschlands und die Politik der deutschen Sozialdemokratie unter der Leitung von Scheidemann und anderen. Diese Broschüre, die im November 1914 erschien, wurde von revolutionären Schweizer und deutsche Sozialisten („Liebknechtianern") illegal nach Deutschland gebracht, wo sie Ursache einer Reihe von Verhaftungen und infolgedessen einer Verhandlung war, in der ich in Abwesenheit zu einer achtmonatigen Haftstrafe verurteilt wurde.

Auf den telegraphischen Vorschlag der Redaktion des „Kijewskaja Mysl" hin, zog ich im November 1914 nach Frankreich als Korrespondent für diese Zeitung. Gleichzeitig mit dieser Arbeit nahm ich an der Redaktion der sozialdemokratischen Tageszeitung „Nasche Slowo" (auf Russisch) teil, sowie an der französischen internationalistischen Bewegung (den Zimmerwaldisten, wie sie später genannt wurde). Gemeinsam mit zwei französischen Delegierten4 brach ich im August 1915 von Paris in die Schweiz auf, wo ich mich aktiv an der Zimmerwalder Konferenz beteiligte.

Obwohl „Nasche Slowo" eine zensierte Zeitung war, wurde sie doch zweimal (mit mir) von den französischen Behörden geschlossen – auf Beharren der russischen Botschaft, wie die Parlamentarier und der Zensor selbst uns erzählten. Die Zeitung „Nasche Slowo" war kein Organ der Bolschewiki, sondern von „nicht-fraktionellen Internationalisten"; sie stand unter dem Banner von Zimmerwald.

Der Innenminister von Frankreich, Malvi, wies mich Ende September 1916 aus Frankreich aus, ohne die Gründe zu erklären, aber klar wegen der Propaganda im Geiste der Ideen von Zimmerwald. Da ich mich weigerte, freiwillig Frankreich zu verlassen und bestimmte Anklagen gegen mich verlangte, brachten mich zwei Polizeiinspektoren an die spanische Grenze. Nach einigen Tagen in Madrid wurde ich auf der Grundlage von Geheimdienstinformationen aus Paris verhaftet. Ich wurde drei Tage später, nach einer Interpellation im Parlament, freigelassen, und wurde gebeten, nach Amerika zu gehen. Mitte Januar (neuen Stils) 1917 landete ich mit meiner Familie in New York. Zweieinhalb Monate lang betrieb ich die Propaganda von Zimmerwalder Ideen in russischer und in deutscher Sprache unter den in Amerika organisierten deutschen Arbeiter, von denen die Mehrheit auf Liebknechts Standpunkt steht.

Nachdem die russische Revolution ausbrach, fuhr ich mit dem ersten auslaufenden Dampfschiff mit meiner Familie nach Europa über Skandinavien (Ende März dieses Jahres). In Halifax, Kanada, hielt die britische Militärpolizei mich und weitere fünf Passagiere, russische Emigranten, auf der Grundlage von „schwarzen" Listen fest, die von russischen Sicherheitsleuten und Diplomaten zusammengestellt wurden. Nach einem Monat Gefängnis in Kanada, wurde ich auf Antrag der Provisorischen Regierung freigelassen und kam über Christiania-Stockholm in den ersten Mai-Tagen alten Stils in Petrograd an.

2. Meine politische Arbeit in Russland

In Petrograd trat ich sofort der Organisation der Vereinten Sozialdemokraten-Internationalisten bei („Interbezirkskomitee"). Das Verhältnis dieser Organisation, die einen völlig unabhängigen Charakter hatte, zur Sozialdemokratischen Partei (Bolschewiki) waren sehr freundlich. Ich glaubte, dass die grundlegenden Unterschiede, die uns von den Bolschewiki vorher getrennt hatten, beseitigt seien und beharrten deshalb auf der Notwendigkeit einer frühen Vereinigung. Diese Vereinigung ist bis heute noch nicht erreicht worden.

Die politische Linie unseres Verhaltens war jedoch im Allgemeinen die gleiche wie die der Bolschewiki. Ich persönlich sprach in meinen Artikeln in der Zeitschrift Wperjod und in meinen Reden für die Übertragung aller Macht an den Sowjet der Arbeiter-, Soldaten- und Bauerndeputierten. Es versteht sich von selbst, dass ein solcher Übergang nicht am Rat vorbei durchgeführt werden kann, noch viel weniger gegen den Rat. Folglich war unsere wichtigste politische Aufgabe, die Mehrheit der Arbeiter, Soldaten und Bauern auf die Seite dieser Losung zu gewinnen. Dem Wesen der Sache nach konnte es nicht darum gehen, der Mehrheit die Macht durch den bewaffneten Aufstand der Minderheit aufzuzwingen. In diesem Geist sprach ich Dutzende Male bei Treffen. In all den Fällen, in denen ich verantwortliche Bolschewiki zu hören bekam, drückten sie sich in demselben Sinne aus.

In Bezug auf den Krieg glaubte und glaube ich, dass keine Offensive auf beiden Seiten in der Lage ist, einen Ausweg aus der Sackgasse zu schaffen, in die alle kriegführenden Nationen gefallen sind. Nur die revolutionäre Bewegung der Massen in allen Ländern und vor allem in Deutschland gegen den Krieg ist in der Lage, die Stunde des Friedens näher zu bringen und diesem Frieden einen demokratischen Charakter zu sichern. Ich behauptete, dass nur eine echt demokratische Volksregierung des Sowjets den deutschen Arbeitern zeigen könne, dass Russland im Falle ihrer Revolution nicht nur nicht eilen werde, Deutschland zu besiegen, sondern im Gegenteil die Hand des Friedens dem deutschen Volk entgegenstrecken werde, das seine Regierung stürzte. Eine grobe Verleumdung ist die Behauptung, dass ich jemanden angerufen habe, irgendwo irgendwann, die Front zu verlassen oder die Ausführung militärischer Befehle oder den Abmarsch von Kompanien zu verweigern. Am 2. Juli habe ich bei einem Treffen von Delegierten aus 57 separaten Frontabschnitten einen Bericht über diese Fragen gehalten.

In Nr. 111 der Iswestija wurde ein kurzer Bericht über dieses Treffen veröffentlicht, unterzeichnet von Dr. Postew ( Iswestija SR und SD, Nr. 111, S. 4).

Hier ist sein Inhalt

Nachdem sie bei der Begegnung die Reden der Ideologen und eines der besten Kämpfer für die Freiheit gehört hatten – des bolschewistischen Genossen Trotzki – kamen die Delegierten zu der Überzeugung, dass die ideologischen Menschen sich von den Deserteuren distanziert haben und nichts mit den Leuten gemein haben, die sich weigern an die Front zu gehen."

Ich behauptete, dass nur die Schaffung der „Sowjetregierung" und ihre revolutionäre, nationale und internationale Politik (die sofortige Abschaffung des Großgrundbesitzers, die Beschlagnahme militärischer Superprofite, die staatliche Kontrolle über die Produktion, die ultimative Forderung an die Verbündeten zum Verzicht auf Annexionen) in der Lage sei, die russische Armee durch einheitliche Ziele und Stimmungen zusammen zu schweißen und sie nicht nur zu defensiven, sondern auch zu offensiven Handlungen zu befähigen. Ich habe argumentiert, dass unsere Strömung in den Sowjets vorherrschend werden muss, damit diese Politik möglich werde. Während wir in der Minderheit sind, sind wir gezwungen, einer Politik zu gehorchen, die sich auf die Mehrheit stützt, und folglich auf die Politik der Offensive, während wir gleichzeitig für unsere Ideen agitieren.

3. Der sogenannte „bewaffnete Aufstand vom 3. bis 4. Juli"

Die Ereignisse vom 3. bis 4. Juli unter dem Konzept des bewaffneten Aufstandes zusammenzufassen bedeutet, den Beweisen zu widersprechen. Der bewaffnete Aufstand setzte eine organisierte Demonstration voraus, um bestimmte politische Aufgaben mit Hilfe von Waffen auszuführen. Da die Losung der Demonstration war: „Alle Macht den Sowjets!", konnte es nicht darum gehen, ihnen diese Macht gewaltsam aufzuzwingen. Nicht eine einzige politische Organisation trat für diese sinnlose Handlungsweise ein. Ich habe nicht aufgerufen. Vom Aufruf des Maschinengewehr-Regiments selbst und seinem Appell an andere Militäreinheiten und Fabriken erfuhr ich zum ersten Mal im Gebäude des Taurischen Palastes am 3. Juli während der gemeinsamen Sitzung der Exekutivausschüsse der Arbeiter-, Soldaten- und Bauerndeputierten. Diese telefonisch verbreitete Nachricht überraschte mich, die Genossen Sinowjew und Kamenew und so weiter nicht weniger als die Vertreter aller anderen Parteien. Die Genossen Sinowjew und Kamenew berichteten sofort, dass ihr Zentralkomitee sofort alle Maßnahmen ergreife, um die Massen von der Demonstration, vor allem von einer bewaffneten, abzuhalten. Alle Agitatoren, die von Parteizentralen geschickt wurden, handelten im Allgemeinen in diesem Sinne. Trotzdem hat die Demonstration stattgefunden, wie Sie wissen.

Die Aussage, dass ich persönlich am Vorabend, also am 2. Juli, bei einer Versammlung des Maschinengewehrregiments zur Ablehnung der Offensive und einer bewaffneten Aktion gegen die Macht aufrief, ist völlig falsch. Am 2. Juli fand im Volkshaus ein offenes und bezahltes „Konzerttreffen" statt, wo viel zufälliges, kleinbürgerliches Publikum erschien. Bei einer solchen Kundgebung konnte ich offensichtlich keine bewaffnete Demonstration fordern, auch wenn ich es für nötig gehalten hätte, einen solchen Appell zu machen. Ich ging direkt von dem Treffen der Frontdelegierten, von dem ich oben gesprochen habe, in das Volkshaus. Ich habe nicht nur das Treffen vorgewarnt, dass ich zu einer vom Maschinengewehr-Regiment organisierten Versammlung gehe, sondern ging von der Versammlung zurück zum Treffen. In meiner Rede im Volkshaus5 umriss ich meine Antwort auf Fragen über Nachschub, Desertion usw., die mir von Front-Delegierten gestellt wurden. Schon diese Umstände, die sehr leicht überprüft werden können, schließen jede Möglichkeit aus, dass ich bei der Versammlung im Volkshaus einen Aufstand und die Verweigerung des Abmarschierens forderte. Meine Rede lief auf Propaganda der oben entwickelten Ansichten über Macht und Krieg hinaus. Rufe „Tod dem Kerenski!" gab es nicht.

Am Abend des 3. Juli sprach ich immer wieder vor dem Gebäude des Taurischen Palastes, wo bewaffnete Massen von Soldaten und Arbeiter standen. Das Schema meiner Reden war wie folgt: „Ihr verlangt die Übertragung aller Macht an den Sowjet. Dies ist die richtige Forderung Heute hat die Arbeitersektion des Rates zum ersten Mal für diesen Losung gestimmt. Daher haben wir keinen Grund zum Verzweifeln. Die Zeit arbeitet für uns. Wenn ihr mit Waffen hierher gekommen seid, dann natürlich nicht, um Gewalt gegen jemanden auszuüben, sondern selbstverständlich, um uns vor möglicher Gewalt zu schützen. Ich fordere euch dringend auf, sofort, ruhig und friedlich in euren Militäreinheiten zurückzukehren, damit morgen unsere Klassenfeinde es nicht wagen, euch der Gewalt zu beschuldigen.“ Viele der Offiziere, die ihre Einheiten begleiteten, baten mich, die gleiche Rede auch vor ihren Soldaten zu halten, um es ihnen zu erleichtern, die Soldaten friedlich in die Kaserne zu führen.

Im Taurischen Palast blieb ich ununterbrochen vom 3. Juli um 12 Uhr mittags bis zum 4. Juli morgens. Im Palast der Kschessinskaja war ich weder in dieser Nacht noch im Allgemeinen während der ersten Julitage und konnte daher an keinem Versammlungen teilnehmen. Im Allgemeinen war ich nur zweimal im Haus der Kschessinskaja; das erste Mal am 10. oder 11. Juni. Das zweite Mal, am zwanzigsten Juni, wurde ich zum Kschessinskaja-Palast gebracht, zuerst in den Hof, und dann in einen der Räume. Mehrere Zuhörer meines Vortrags im Zirkus Modern brachten mich hin, um mir eine Chance zu geben, mich auszuruhen und zu warten, bis die Menge nach meinem Vortrag sich verstreute, die mich daran hinderte, nach Hause zu gehen.

Ich hatte nichts mit der Kschesin-Militärorganisation zu tun, die sich im Palast befand, ich war nicht Teil von ihr, ich habe nicht an irgendwelchen ihrer Versammlungen teilgenommen, und ihre Zusammensetzung ist mir entschieden nicht bekannt. Von der Politik der Bolschewiki, wie ich sie aus der Prawda und von Aussagen des ZK kenne, glaube ich, dass ihre Militärorganisation in demselben Geiste handelte. An der Prawda habe ich nicht mitgearbeitet, weil unsere Organisationen sich noch nicht vereinigt haben. Ende Juni oder Anfang Juli veröffentlichte ich eine kurze Notiz in die Prawda mit meiner Unterschrift und forderte die Vereinigung beider Organisationen.

Ein Versuch, Tschernow zu verhaften, wurde am 4. Juli von einem Dutzend Subjekten, halben Kriminellen, halben Provokateuren, vor dem Taurischen Palast gemacht. Dieser Versuch wurde hinter dem Rücken der Masse gemacht. Zuerst beschloss ich, die Menge zusammen mit Tschernow und diejenigen, die ihn mit dem Auto verhaften wollten, zu verlassen, um Konflikte und Panik in der Menge zu vermeiden. Aber Iljin-Raskolnikow, der sehr aufgeregt war, rief: „Es ist unmöglich, es ist eine Schande! Wenn Sie mit Tschernow weggehen, wird man morgen sagen, dass die Kronstädter ihn verhaften wollten!“ Sobald der Hornist die Menge zum Schweigen rief und mir die Gelegenheit gab, eine kurze Rede zu halten, die mit der Frage endete: „Wer für Gewalt ist, soll seine Hand heben?" bekam Tschernow sofort die Gelegenheit, ungehindert zum Palast zurückzukehren.

Zur Frage nach der Zusammensetzung des Exekutivkomitees des Sowjets der Arbeiter- und Soldatendeputierten kann ich den Ermittlungsbehörden nur empfehlen, dass sie den Vorsitzenden N. Tschcheïdse oder die Genossen des Vorsitzenden, Kerenski und Skobelew um Auskunft ersuchen.

Ins Exekutivkomitee des Petrograder Sowjets der Arbeiter- und Soldatendeputierten wurde ich vom Exekutivkomitee selbst als ehemaliger Vorsitzender des Petrograder Sowjets der Arbeiterdeputierten im Jahre 1905 eingeladen (mit beratender Stimme). Ich trat dem All- Russischen Exekutivkomitee auf dem Allrussischen Kongress der Sowjets für die Fraktion der Vereinten Sozialdemokraten-Internationalisten bei.

Zusätzlich zu dem, was oben über die organisatorischen Beziehungen zwischen den Vereinigten Sozialdemokraten und den Bolschewiki gesagt wurde. kann ich zu der entsprechenden Frage des Ermittlers hinzufügen, dass unsere Organisation nicht im Palast von Kschessinskaja, sondern in der Sadowaja Nr. 50 („Gesellschaft für Seenotrettung") sitzt und ein eigenes unabhängiges Organ hatte, den Wperjod.

Über meine Einstellung zu Parvus, mit dem ich in den Jahren 1904-1909 durch eine gemeinsame revolutionäre Stellung und Arbeit verbunden war, kann ich folgendes berichten: Sobald der Telegraph zu Beginn des Krieges nach Paris über die germanophilen Reden von Parvus auf der Balkanhalbinsel berichtete, trat ich in „Nasche Slowo“ mit einem Artikel auf, der die Lakaienrolle von Parvus gegenüber dem germanischen Imperialismus anprangerte und Parvus für die Sache des Sozialismus für tot erklärte. Gleichzeitig rief ich zweimal alle Genossen auf, jeder Art von öffentliches Unternehmen von Parvus die Unterstützung zu verweigern. Alle NN7 Zeitungen mit diesen Artikeln kann ich jederzeit vorlegen, ebenso wie die oben erwähnte deutsche Broschüre. Mit dem Genosse Kamenew (Lew Borisowitsch Rosenfeld) kam ich näher als mit anderen Personen in Kontakt, weil er der Ehemann meiner Schwester ist und die Sitzungen des Exekutivkomitees häufiger besuchte als die anderen Bolschewiki.

Die Beschuldigung Kamenews, er habe zu einem bewaffneten Aufstand aufgerufen, widerspricht grundsätzlich allen seinen Verhaltensweisen während der kritischen Tage vom 3. bis 5. Juli sowie seiner ganzen Position.

Mit Hanecki (Fürstenberg) traf ich mehrmals in verschiedenen Perioden meines Lebens im Ausland auf Kongressen oder Versammlungen zusammen. Ich habe noch nie eine Beziehung zu ihm gehabt, weder persönlich noch politisch. Ich stand nie in Korrespondenz mit ihm. Über seine Handelsoperationen und Verbindungen mit Parvus erfuhr ich zum ersten Mal aus den Darstellungen der Presse; Ich weiß nicht, wie zuverlässig diese Enthüllungen sind.

Ich hatte noch nie von Frau Sumenson gehört, bevor ihr Name in der russischen Presse zuerst erwähnt wurde. Ich hatte entschieden weder direkte noch indirekte, weder politische noch geschäftliche noch persönliche Beziehungen während des ganzen Krieges weder mit Sumenson noch mit Hanecki, noch mit Parvus, noch mit Koslowski. Ich habe ihn das letzte Mal bei Sitzungen des Petrograder Exekutivkomitees gesehen. Mit mir hat Herr Koslowski nie gesprochen. Ich habe keine Informationen über seine Vergangenheit.

Die Anklage, dass ich mit der deutschen Regierung oder ihren Agenten in Berührung stünde, Geld von ihnen erhielte und auf Kosten Deutschlands und in seinem Interesse tätig sei, erscheint ungeheuerlich, als im Gegensatz zu meiner ganzen Vergangenheit und meiner ganzen Position. Ebenso halte ich für absolut unwahrscheinlich dass Lenin, Sinowjew, Kamenew, Kollontai solcher Verbrechen fähig sein sollen. Ich kenne sie als alte, erfahrene und selbstlose Revolutionäre, die nicht fähig sind, ihr Gewissen aus Söldnermotiven zu verkaufen, und noch viel weniger Verbrechen im Interesse des deutschen Despotismus zu begehen. Wenn ich meine unerschütterliche Überzeugung ausdrücke, dass der weitere Verlauf der Untersuchung die Konstruktion der Staatsanwaltschaft restlos zerstören werde, so halte ich es für notwendig, gleichzeitig darauf hinzuweisen, dass die Presseveröffentlichungen der Staatsanwaltschaft mit unbestätigten und im Wesentlichen widersprüchlichen Mitteilungen in keiner Weise der Notwendigkeit einer objektiven Untersuchung entsprechen, sondern ein vergiftetes Werkzeug des politischen Kampfes sind. Alle Proteste gegen das Nicht-Auftreten von Lenin und Sinowjew verlieren ihre Überzeugungskraft angesichts der Schikanen gegen diese Personen durch Hinweise der Staatsanwaltschaft.

Aus allem, was oben gesagt worden ist, folgt, dass ich mich im Wesentlichen der gegen mich vorgebrachten Anklagen nicht schuldig bekenne.“

1 Wie bereits oben erwähnt, begannen sofort nach den Juli-Tagen Verhaftungen unter den Bolschewiki. In der Frage, ob sie sich verhaften lassen sollten oder nicht, hat das Zentralkomitee der Partei keine endgültige Entscheidung getroffen. Wie bekannt ist, hat der VI. Kongress der Partei offiziell das Verhalten des Genossen Lenin und anderer, die sich nicht in die Hände der Konterrevolution auslieferten, gebilligt. Genosse Trotzki war bis zum 23. Juli noch frei. Als Teil der höchsten Regierungskombinationen wurde er in der Nacht vom 23. Juli gleichzeitig mit dem Genossen Lunatscharski verhaftet. Wir bringen den Bericht über die Tatsache der Verhaftung aus der Zeitung „Djen":

Verhaftung von Lunatscharski und Trotzki.

In der Nacht vom 23. Juli wurden Trotzki und Lunatscharski gemäß dem Haftbefehl des Staatsanwalts der Petrograder Justizkammer N. Karinski verhaftet. Der Assistent des Chefs der Kriminalpolizei Ignatjew zusammen mit Unterinspektoren der Kriminalpolizei und zwei Offizieren der Gegenspionage kamen mit einer Militäreinheit in die Lachtinskaja-Straße Nr. 25, wo Lunatscharski wohnte. Letzterer war noch im Bett. Lunatscharski wurde sofort zur Einzelhaft, ins „Kresty" verschickt, und die Militäreinheit, die von Polizeibeamten geführt wurde, ging in die Wohnung des Mitglieds des Exekutivkomitees des Arbeitersowjets und Sozialdemokraten Lurje, wo Trotzki wohnte. Letzterer war zu Hause und wurde auch verhaftet und sofort ins „Kresty" verschickt. Die Verhafteten Trotzki und Lunatscharski wurden am 24. Juli von einem gerichtlichen Ermittler für besonders wichtige Fälle verhört. Ihr Verhör dauerte mehrere Stunden. Der gerichtliche Ermittler sagte ihnen, dass sie nach Art. 51, 100 und 108 des Strafgesetzbuchs beschuldigt würden. Vom „Kresty" wurden sie unter verstärkter militärischer Begleitung zum Gerichtssaal, Fontanka Nr. 16 gebracht. Die Fälle von Trotzki und Lunatscharski werden eröffnet und werden in das allgemeine Verfahren über die Ereignisse vom 3. bis 5. Juli einbezogen.“ („Djen“ N 118, 25. Juli 1917).

Das ein oder zwei Tage später erscheinende Organ der Meschrajonzy „Wperjod" reagierte auf diese Verhaftungen mit folgendem Appell:

Auf Befehl des Staatsanwalts der Gerichtskammer wurden am 23. Juli die Genossen Trotzki und Lunatscharski verhaftet und ins „Kresty" gebracht. Wir bitten den Genossen Arbeiter dringend, jede Art von aktiven Handlungen im Zusammenhang mit den unaufhörlichen Verhaftungen revolutionärer Sozialdemokraten zu unterlassen, und sich nur auf Protestresolutionen und Grüße zu beschränken. Wir haben keinen Zweifel, dass der von Herrn Kerenski mit Hilfe der Ermittler des alten Regimes und der Verleumder Burzew und Alexinski fabrizierte Prozess wie die Beilis-Prozesse der vorrevolutionären Periode nur die Ideen stärken und kräftigen werden deren beste Propagandisten nun verhaftete Genossen sind.“

Im Zusammenhang mit der Verhaftung von Trotzki und Lunatscharski kam es bei einer Sitzung des ZEK und der gemeinsamen Sitzung des ZEK und des Exekutivkomitees der Sowjets der Bauerndeputierten, die nach diesem eröffnet wurde, zu größeren Zwischenfällen. In der Sitzung des ZEK sprach Rjasanow, nachdem das Präsidium vorgeschlagen hatte, verschiedene organisatorische Fragen zu diskutieren, über die „Anomalie", über organisatorische Fragen in dieser Zusammensetzung zu diskutieren:

Das Präsidium hielt es nicht für notwendig, uns darüber zu informieren, wo unsere beiden Genossen sind, die in diesem Segment abwesend sind (zeigt auf die Seite der Bolschewiki), Trotzki und Lunatscharski. Ich halte es für unnatürlich, die Fragen zu besprechen, bevor das Präsidium uns mitteilt, warum Trotzki und Lunatscharski verhaftet wurden, welche Maßnahmen ergriffen wurden, um sie freizulassen, und was die ZEK unternahm, um den Genossen Kamenew freizulassen, der nach unserer Information ohne Grund von einem Ort zum anderen geworfen wird.“

Nach der Rede einer Reihe von Menschewiki und Sozialrevolutionären wurde Rjasanows Vorschlag abgelehnt. Nach einer Weile ergriff Rjasanow wieder das Wort, aber der Vorsitzende unterbrach ihn, und als Ergebnis entzog die Versammlung Rjasanow das Wort. Letzterer verließ die Versammlung zusammen mit den Bolschewiken.

In seiner Rede in einer gemeinsamen Sitzung des Zentralen Exekutivkomitees und des Exekutivkomitees der Bauerndeputierten berührte Genosse Rjasanow erneut diese Frage:

Heute habe ich versucht, in der Plenarsitzung des Zentralen Exekutivkomitees über die Verhaftung der Genossen Trotzki und Lunatscharski zu sprechen. Es wurde mir verboten, darüber zu sprechen, weil diese Frage zusammen mit der Frage der Krise der Macht auf einer gemeinsamen Sitzung diskutiert werde. Ich möchte Sie auf die unverantwortlichen Aktivitäten einiger Vertreter des Justizministeriums aufmerksam machen.“

Martow berührte auch dieses Thema und stellte folgendes fest:

Nach Artikel 108 konnten Sie Nikolaus II. und Alexandra Feodorowna nicht belangen und jetzt wird die ganzen Partei belangt.“

2 Im Original „судебный следователь 24 уч. гор. Петрограда”. Da ich besser marxistisch als juristisch spreche und wegen der unklaren Abkürzungen ist diese Übersetzung recht spekulativ. [WK]

3 … oder was auch immer die Abkürzung „уст. уг. суд.“ bedeuten mag [WK]

4 Gemeint sind die französischen Gewerkschafter Merrheim und Bourderon. Beide hatten sich während des Krieges gemäßigt internationalistischen Strömungen angeschlossen. Später versöhnten sich beide wieder mit Jouhaux und Co. Merrheim wurde geistig krank und trat von der Bühne ab.

5 Wir geben ausführliche Aussagen über diese Rede wider, die von einer Anzahl von Teilnehmern an diesem Treffen vor dem Ermittler im Fall L. D Trotzkis gemacht wurden:

Iwan Aleksejewitsch Popow:

Ich erschien freiwillig und wollte im Fall des Genossen Trotzki aussagen.

Ich war bei der letzten Rede im Volkshaus am 2. Juli dieses Jahres anwesend und ich bestätige, dass in der Rede von Trotzki keine Forderungen nach einer bewaffneten Intervention zum Ergreifen der Macht gestellt wurden. Ich erinnere mich nicht an all die Details und Einzelheiten von Trotzkis Rede, aber ihr Wesen lief darauf hinaus, dass Trotzki keine bewaffnete Demonstration forderte, und bei bestimmten Fragen zum Thema ,Was tun' antwortete: ,Wenn wir keine Mehrheit haben, dann können wir nicht die Macht übernehmen, es ist unsere Pflicht, zu agitieren und die Position zu klären, dass die Macht jetzt nicht in den Händen revolutionärer Organe ist', dass ,mit einer solchen Agitation endlich ein Moment kommen wird wo die Mehrheit auf unsere Seite übergehen wird, und wir dann die Sowjets der Arbeiter- und Soldatendeputierten haben werden'. Nur unter dieser Bedingung ist es nach Trotzki möglich, für den Frieden auf internationaler Ebene und seine rasche Einführung zu kämpfen. Schließlich warnte, so weit ich mich erinnere, Trotzki am Ende seiner Rede, vor allen Demonstrationen und wies darauf hin, dass Demonstrationen mit dem Ziel provoziert wurden, die Arbeiter zu zertrümmern.“

Wikenti Wikentiewitsch Milos:

Ich habe mich freiwillig gemeldet, im Fall des Genossen Trotzki eine Aussage zu machen, dessen Rede im Volkshaus am 2. Juli dieses Jahres ich hörte. Im Gegenteil, Trotzki warnte vor der Demonstration und stellte fest, dass diese nur zum Nachteil der Arbeiter, zum Nutzen der Konterrevolution sei, dass die Macht an die Sowjets der Arbeiter- und Soldatendeputierten nur dann gehen könne, wenn es eine Mehrheit für diese Losung gebe, und dass in der Tat die Aufgabe des Augenblicks ausschließlich die Organisation des Volks und der Arbeiter in diesem Sinne sei. Gleichzeitig berührte Trotzki in seiner Rede auch die Offensive an der Front und deutete darauf hin, dass diese von der Seite der Provisorischen Regierung nicht vorbereitet sei, dass sie unmöglich den Krieg beenden könne, und sein (des Krieges) Ende nur möglich sei unter der Bedingung, dass seine Schädlichkeit nicht von dem russischen, sondern auch von dem europäischen Proletariat verstanden werde; Über Deutschland sagte Trotzki, dass Wilhelm ein „gekrönter Räuber" sei, dass der Krieg tatsächlich nur zwischen Deutschland und England stattfinde und die anderen Teilnehmer, vor allem Russland, nur zweitrangig seien.

Meiner Meinung nach berührte Trotzki in seiner Rede im Volkshaus am 2. Juli Lwows Rücktritt aus dem Kabinett und wies darauf hin, dass dieser Rücktritt durch die Opposition von Lwow, als Vertreter der Klasse der Bourgeoisie und Kapitalisten, gegen das Tragen von schweren Abgabenlasten verursacht sei. Er sagte, dass die Bourgeoisie über Patriotismus schreie, aber wenn es um Opfer gehe, laufe sie davon. Die Bourgeoisie, sowohl die russische als auch die europäische, sei durch gemeinsame Interessen verbunden, haben den gleichen Patriotismus, aber ,Wir brauchen keinen solchen Patriotismus, Verdammt sei ein solcher Patriotismus.'“

Emilia Antonowna Milos:

Ich meldete mich freiwillig um über Trotzkis Rede im Volkshaus am 2. Juli dieses Jahres auszusagen, wo ich anwesend war, und ich bestätige, dass Trotzki die Arbeiter nicht aufrief, mit Waffengewalt alle Macht an die Sowjets der Arbeiter- und Soldatendeputierten zu übertragen. Er sprach vielmehr gegen eine solche Demonstration und wies darauf hin, dass die Aufgabe des gegenwärtigen Augenblicks ausschließlich die Organisierung der Arbeiter sei, dass im Allgemeinen beim Fehlen einer Mehrheit keineswegs die Zeit für die Sowjets sei, die ganze Macht zu übernehmen, und dass die Sowjets sie nur dann übernehmen könnten, wenn dies die Losung die Mehrheit sei. Übrigens sprach Trotzki auch vom Krieg und stellte fest, dass der Krieg nicht beendet werden kann indem man die „Bajonetten in den Boden steckt", dass sein Ende nach dem Willen des Volkes stattfinden werde, wenn eine Revolution überall auftaucht. Ich erinnere mich nicht mehr an die Details von Trotzkis Rede, bei anderen Reden von Trotzki war ich nicht anwesend und ich kann nichts anderes bezeugen.“

Maksim Kornilowitsch Sudajew:

Ich bin ein Arbeiter in der Fabrik „Nowij Lessner" auf der Wyborger Seite und ich möchte über die Rede Trotzkis bei einer Versammlung im Volkshaus am 2. Juli dieses Jahres, die ich besucht habe, aussagen. Ich erinnere mich jetzt nach so langer Zeit nicht an alle Details von Trotzkis Rede, aber ich bestätige kategorisch, dass Trotzki zu überhaupt keiner Demonstration aufrief, geschweige denn zu einer bewaffneten mit dem Ziel, die provisorische Regierung zu beseitigen und alle Macht den Sowjets der Arbeiter- und Soldatendeputierten zu übergeben. Trotzki sprach vor allem von der Notwendigkeit einer organisatorischen Arbeit im Arbeitsumfeld. Ich habe nichts mehr zu bezeugen.“

7Im Original „NN“ in lateinischen Buchstaben [WK]

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