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Wladimir I. Lenin 19030900 Bericht über den 2. Parteitag der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Russlands

Wladimir I. Lenin: Bericht über den 2. Parteitag der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Russlands1

[Geschrieben in der ersten Septemberhälfte 1903. Zum ersten Mal veröffentlicht im Jahre 1927 im „Leninskij Sbornik" („Lenin-Archiv") Nr. 6. Nach Sämtliche Werke, Wien-Berlin 1930, Band 6, S. 51-71]

Dieser Bericht ist nur für persönliche Bekannte bestimmt, und darum entspricht es dem Lesen eines fremden Briefes, wenn man ihn ohne Einverständnis des Verfassers (Lenins) liest

Um das Weitere verständlich zu machen, will ich vor allem von der Zusammensetzung des Parteitages sprechen, obgleich das zum Teil bedeutet, den Dingen voraus zu greifen. Beschließende Stimmen gab es auf dem Parteitag 51 (33 Delegierte mit einer Stimme und 9 mit zwei Stimmen, 9 „zweihändige"). Die Zahl der beratenden Stimmen betrug, wenn ich nicht irre, 10, im Ganzen also waren es 52 Teilnehmer. Die politische Gruppierung dieser Stimmen, wie sie im Verlaufe des ganzen Parteitages in Erscheinung trat, war folgende: beschließende Stimmen – 5 Bundisten, 3 Delegierte von der Gruppe „Rabotscheje Djelo" (2 vom Auslandsbund der Russischen Sozialdemokraten und 1 vom Petersburger Kampfbund), 4 Anhänger des „Juschny Rabotschij" (2 von der Gruppe „Juschny Rabotschij" und 2 vom Charkower Komitee, das mit dem „Juschny Rabotschij" solidarisch ist), 6 Unentschlossene, Schwankende (der „Sumpf", wie sie alle Iskristen – scherzweise natürlich – nannten), dann gegen 33 Iskristen, die in ihrem iskristischen Standpunkt mehr oder weniger entschieden und konsequent waren. Diese 33 Iskristen, die, wenn sie einig auftraten, stets das Schicksal jeder Frage auf dem Parteitag entschieden, waren wiederum in zwei Untergruppen gespalten, doch spalteten sie sich endgültig erst am Ende des Parteitages: eine Untergruppe, die etwa 9 Stimmen zählte, nämlich die der Iskristen von der „weichen" oder richtiger der „Zickzack"-Linie (oder von der weiblichen Linie, wie verschiedene Witzbolde nicht ohne Grund scherzweise sagten) der Iskristen, die (wie weiter unten ersichtlich) für die Gerechtigkeit, für den Mittelweg usw. eintraten; und etwa 24 Stimmen der Iskristen von der festen Linie, die sowohl in der Taktik als auch in der Frage der persönlichen Zusammensetzung der zentralen Parteikörperschaften den konsequenten Iskrismus vertraten.

Ich wiederhole, erst post factum2 kam diese Gruppierung zustande, erst gegen Ende des Parteitages (der bis 40 Sitzungen zählte) trat sie vollständig klar zutage, und ich eile den Dingen voraus, wenn ich diese Gruppierung am Anfang schildere. Ich muss auch den Vorbehalt machen, dass diese Gruppierung lediglich die annähernde Zahl der Stimmen gibt, denn in einzelnen kleinen Fragen (einmal auch in der Frage der „Gleichberechtigung der Sprachen" – hierüber weiter unten – und aus wichtigem Anlass) zerschlugen sich oft die Stimmen, ein Teil enthielt sich der Abstimmung, die Gruppierungen wurden durcheinander geworfen usw.

Die Zusammensetzung des Parteitags war vom Organisationskomitee, das auf Grund des Parteistatuts das Recht hatte, wen es für notwendig hielt, mit beratender Stimme zum Parteitag einzuladen, vorausbestimmt worden. Auf dem Parteitag wurde gleich zu Beginn eine Kommission zur Prüfung der Mandate gewählt, in deren (der Kommission) Kompetenz alles überging, was sich auf die Zusammensetzung des Parteitages bezog. (Nebenbei bemerkt, gehörte auch dieser Kommission ein Bundist an, der den übrigen Mitgliedern der Kommission gegenüber die Ermattungsstrategie anwandte, er hielt sie bis 3 Uhr nachts fest und blieb doch in jeder Frage bei seiner „besonderen Meinung".)

Der Parteitag begann bei friedlicher und einmütiger Zusammenarbeit aller Iskristen, unter denen es natürlich stets verschiedene Schattierungen in den Meinungen gegeben hat, aber nach außen hin traten diese Schattierungen nicht als politische Differenzen hervor. Nebenbei wollen wir im Voraus bemerken, dass die Spaltung der Iskristen eines der wichtigsten politischen Ergebnisse des Parteitages gewesen ist, und wer die Sache näher studieren will, der muss seine besondere Aufmerksamkeit auf alle Episoden lenken, die, wenn auch nur entfernt, mit dieser Spaltung zusammenhängen.

Ein ziemlich wichtiger Vorgang gleich zu Beginn des Parteitages war die Wahl des Büros oder Präsidiums. Martow trat für die Wahl von 9 Genossen ein, die für jede Sitzung 3 Genossen ins Büro zu wählen hätten, wobei er unter diesen 9 Genossen auch einen Bundisten haben wollte. Ich trat für die Wahl von nur drei Mitgliedern für die gesamte Dauer des Parteitages ein, und zwar von drei, die ein „strenges Regime" zu führen hätten. Gewählt wurden Plechanow, ich und Genosse T. (von ihm wird weiter unten noch viel die Rede sein – ein Iskrist von der festen Linie, Mitglied des Organisationskomitees). Genosse T. ist übrigens nur mit geringer Stimmenmehrheit gegen einen Genossen von der Gruppe des „Juschny Rabotschij" (ebenfalls Mitglied des Organisationskomitees) gewählt worden. Die Meinungsverschiedenheiten zwischen mir und Martow in der Frage des Büros (eine Meinungsverschiedenheit, die vom Standpunkt alles Weiteren kennzeichnend ist) hat jedoch zu keiner Spaltung und zu keinem Konflikt geführt: die Sache wurde sozusagen friedlich, ganz von selbst, „innerhalb der Familie" beigelegt, wie überhaupt meistenteils die Angelegenheiten in der Organisation der „Iskra" und in der Redaktion der „Iskra" beigelegt wurden.

Zu Beginn des Parteitages fand auch eine (natürlich geheime und nicht offizielle) Sitzung der „Iskra"-Organisation statt, in der die Frage ihrer Mandate auf dem Parteitag erörtert wurde. Die Sitzung gelangte ebenfalls zu einer friedlichen „gütlichen" Lösung der Frage. Ich hebe diese Sitzung nur darum hervor, weil ich zweierlei für kennzeichnend halte: erstens die einmütige Arbeit der Iskristen zu Beginn des Parteitages, zweitens – ihren Beschluss, sich in zweifelhaften und strittigen Fragen an die Autorität der „Iskra"-Organisation zu wenden (oder vielmehr an die Mitglieder der „Iskra"-Organisation, die auf dem Parteitag anwesend waren), wobei natürlich die Abstimmungen in diesen Versammlungen keine bindende Bedeutung hatten; denn die Regel: „alle gebundenen Mandate sind aufgehoben", jeder hat das Recht und die Pflicht, nach seiner persönlichen, freien Überzeugung auf dem Parteitag abzustimmen, ohne sich irgendeiner Organisation unterordnen zu müssen – diese Regel, sage ich, wurde von allen Iskristen anerkannt und zu Beginn fast jeder Sitzung der „Iskra" vom Vorsitzenden laut verkündet.

Weiter. Der erste Konflikt auf dem Parteitag, der aufdeckte, dass bei den Iskristen nicht alles in Ordnung war, und als Auftakt zum Enddrama (oder zu der Tragikomödie?) diente, war der viel genannte „Konflikt mit dem Organisationskomitee". Auf diesen Zwischenfall muss näher eingegangen werden. Er spielte sich noch zu einer Zeit ab, wo der Parteitag mit seiner eigenen Konstituierung beschäftigt war, wo noch die Geschäftsordnung des Parteitages erörtert wurde (was, nebenbei gesagt, eine Unmenge Zeit in Anspruch nahm infolge der Obstruktion der Bundisten, die keine Gelegenheit vorbeigehen ließen, ohne – wo sie nur konnten und womit sie nur konnten – absichtlich und unabsichtlich den Parteitag aufzuhalten). Das Wesen des Konflikts mit dem Organisationskomitee bestand darin, dass das Organisationskomitee einerseits noch vor dem Parteitag den Protest der „Borjba" (der Gruppe „Borjba") abgelehnt hatte, die die Zulassung zum Parteitag verlangte, und diese Ablehnung in der Mandatsprüfungskommission unterstützte, dass aber anderseits dasselbe Organisationskomitee auf dem Parteitag plötzlich erklärte, Rjasanow mit beratender Stimme einladen zu wollen. Dieser Konflikt spielte sich folgendermaßen ab.

Noch vor Beginn der Parteitagssitzungen teilte mir Martow vertraulich mit, dass ein Mitglied der „Iskra"-Organisation und des Organisationskomitees (bezeichnen wir diesen Genossen mit dem Buchstaben N) beschlossen habe, im Organisationskomitee darauf zu bestehen, dass ein Genosse mit beratender Stimme zum Parteitag eingeladen werde, den Martow selber nicht anders charakterisieren konnte als durch die Bezeichnung „Überläufer"3. (Dieser Genosse neigte tatsächlich eine Zeitlang zur „Iskra", um dann später, und zwar schon nach wenigen Wochen, zum „Rabotscheje Djelo" überzugehen, obgleich dieses sich schon zu jener Zeit im Stadium des vollständigen Niederganges befand.) Martow und ich sprachen darüber, wir waren beide empört, dass ein Mitglied der „Iskra"-Organisation einen solchen Schritt unternahm, obgleich er sich natürlich dessen bewusst sein musste (denn Martow hatte Genossen N gewarnt), dass dieser Schritt geradezu einen Schlag ins Gesicht der „Iskra" bedeute, und dass er es trotzdem nicht für notwendig hielt, sich mit der Organisation zu beraten. N brachte tatsächlich seinen Antrag im Organisationskomitee ein, aber dank dem heftigen Einspruch des Genossen T, der die ganze schwankende politische Gestalt des „Überläufers" schilderte, wurde dieser Antrag abgelehnt. Es ist bezeichnend, dass Martow, wie er sagte, schon damals mit N, trotz ihrer früheren guten persönlichen Beziehungen, nicht einmal mehr sprechen konnte: so sehr hatte ihn dieser Schritt in Staunen versetzt. Das Bestreben des N, der „Iskra" Knüppel zwischen die Beine zu werfen, kam auch noch in dem von ihm unterstützten Verweis für die „Iskra"-Redaktion zum Ausdruck, den das Organisationskomitee angenommen hatte, einen Verweis, der allerdings nur einen ganz geringfügigen Fall betraf, aber trotzdem die tiefste Empörung Martows hervorrief. Die Nachrichten aus Russland, die mir ebenfalls Martow übermittelte, wiesen überdies auf die Tendenz des N hin, Gerüchte über Uneinigkeiten zwischen den russischen und den im Auslande lebenden Iskristen zu verbreiten. All das machte die Iskristen in höchstem Maße misstrauisch gegen N, und da kam plötzlich noch folgende Tatsache hinzu. Das Organisationskomitee lehnte den Einspruch der Gruppe „Borjba" ab, die Mitglieder des Organisationskomitees (T und N), die in die Mandatsprüfungskommission geladen waren, traten beide (darunter auch N!!!) auf das entschiedenste gegen die Gruppe „Borjba" auf. Trotzdem veranstaltete das Organisationskomitee ganz unerwartet, während der Pause in einer Morgensitzung des Parteitages eine kleine Besprechung und beschloss in dieser Besprechung, Rjasanow mit beratender Stimme einzuladen! N trat für die Einladung ein. T war natürlich unbedingt dagegen, er erklärte außerdem, ein solcher Beschluss des Organisationskomitees sei, nachdem die Frage der Zusammensetzung des Parteitages bereits einer besonderen, vom Parteitag gewählten Mandatsprüfungskommission überwiesen war, gesetzwidrig. Natürlich wurde Genosse T von den „Juschny Rabotschi"-Mitgliedern des Organisationskomitees + dem Bundisten + N überstimmt, und der Beschluss des Organisationskomitees kam zustande.

T benachrichtigte von diesem Beschluss die Redaktion der „Iskra", die (nicht in vollständiger Zusammensetzung, aber mit Teilnahme Martows und der Sassulitsch) natürlich einstimmig beschloss, den Kampf gegen das Organisationskomitee auf dem Parteitag aufzunehmen, denn viele Iskristen hatten schon auf dem Parteitag offen gegen die „Borjba" Stellung genommen, und es war unmöglich, in dieser Frage einen Rückzug anzutreten.

Als das Organisationskomitee (in der Nachmittagssitzung) dem Parteitag von seinem Beschluss Mitteilung machte, teilte Genosse T seinerseits mit, dass er dagegen Einspruch erhoben hatte. Ein „Juschny Rabotschij"-Mitglied des Organisationskomitees fiel daraufhin über T her und warf ihm vor, die Disziplin verletzt zu haben (!), denn das Organisationskomitee hätte beschlossen, das auf dem Parteitag nicht vorzubringen (sic!). Natürlich fielen wir (Plechanow, Martow und ich) daraufhin mit aller Entschiedenheit über das Organisationskomitee her, dem wir vorwarfen, die gebundenen Mandate wieder einführen zu wollen, die Souveränität des Parteitages verletzt zu haben usw. Der Parteitag stellte sich auf unsere Seite, das Organisationskomitee wurde geschlagen, und es wurde eine Resolution angenommen, die dem Organisationskomitee als Kollegium das Recht nahm, die Zusammensetzung des Parteitages zu beeinflussen.

Das war der „Konflikt mit dem Organisationskomitee". Erstens hat er das politische Vertrauen vieler Iskristen zu N endgültig untergraben (und das Vertrauen zu T gestärkt), zweitens hat er nicht nur bewiesen, sondern anschaulich gezeigt, auf wie schwankendem Boden die iskristische Richtung selbst in einer so zentralen, angeblich so erz-iskristischen Körperschaft, wie das Organisationskomitee, noch ist. Es trat klar zutage, dass im Organisationskomitee außer dem Bundisten noch 1. die „Juschny-Rabotschij"-Leute mit ihrer besonderen Politik sitzen; 2. „Iskristen, die sich schämen, Iskristen zu sein", und nur zum Teil 3. Iskristen, die sich dessen nicht schämen. Als die Leute vom „Juschny Rabotschij" den Wunsch äußerten, sich aus Anlass dieses traurigen Zwischenfalles mit der Redaktion der „Iskra" (natürlich privatim) auszusprechen – Genosse N, es ist sehr wichtig, das festzustellen, hat damals kein Verlangen nach einer Aussprache geäußert da hat die Redaktion sich mit ihnen ausgesprochen, wobei ich den Genossen vom „Juschny Rabotschij" offen sagte, dass der Parteitag folgende wichtige politische Tatsache endgültig aufgezeigt habe: das Vorhandensein vieler Iskristen in der Partei, die sich schämen, Iskristen zu sein, und die imstande sind, einfach der „Iskra" zum Trotz einen solchen Streich, wie die Einladung Rjasanows, zu spielen. Dieser Streich des N, der in der Kommission gegen die Gruppe „Borjba" gesprochen hatte, hat mich so sehr empört, dass ich auf dem Parteitag öffentlich erklärte: „Genossen, die auf internationalen Kongressen gewesen sind, wissen, welch einen Sturm der Entrüstung dort stets Leute hervorrufen, die in Kommissionen eins und in den Kongresssitzungen etwas anderes sagen". „Iskristen", die die bundistischen „Vorwürfe", sie seien „Agenten der ,Iskra'", fürchten und nur aus diesem Grunde der „Iskra" politische Streiche spielen, konnten natürlich kein Vertrauen wecken.

Das allgemeine Misstrauen der „Iskra"-Leute gegen N stieg in ungeheurem Maße, als der Versuch Martows, sich mit N auseinanderzusetzen, zu der Erklärung des N führte, dass er, N.. aus der „Iskra"-Organisatio austrete!! Von diesem Augenblick an wird die „Angelegenheit" N der „Iskra"-Organisation übergeben, deren Mitglieder über einen solchen Austritt empört waren; die Organisation hatte 4 Sitzungen, die sich mit dieser Frage befassten. Diese Sitzungen, besonders die letzte, sind außerordentlich wichtig, denn in ihnen hat die Spaltung innerhalb der Iskristen, hauptsächlich in der Frage der Zusammensetzung des Zentralkomitees, endgültig eine feste Form angenommen.

Aber bevor ich dazu übergehe, von diesen (privaten und nicht offiziellen, ich wiederhole es noch einmal) Sitzungen der „Iskra"-Organisation zu erzählen, will ich von der Arbeit des Parteitages sprechen. Diese Arbeit wurde indessen einmütig durchgeführt, und zwar im Sinne eines einheitlichen Auftretens aller Iskristen sowohl beim ersten Punkt der Tagesordnung (die Stellung des „Bund" in der Partei) als auch beim zweiten (das Programm) und beim dritten Punkt (Bestätigung des Zentralorgans der Partei). Die Einmütigkeit der „Iskra"-Leute gewährleistete eine starke, fest zusammenhaltende Mehrheit auf dem Parteitag (eine kompakte Mehrheit, wie sich die Bundisten betrübt ausdrückten!), wobei die „Unentschlossenen" (oder der „Sumpf") und die Leute vom „Juschny Rabotschij" auch hier mehrfach in Kleinigkeiten ihren ganzen Mangel an Standfestigkeit offenbarten. Die politische Gruppierung der nicht vollkommen iskristischen Parteitagsdelegierten trat immer klarer zutage.

Ich kehre zu den Sitzungen der „Iskra"-Organisation zurück. In der ersten Sitzung wurde beschlossen, von N eine Erklärung zu verlangen und ihm vorher anheimzustellen, in welcher Zusammensetzung er, N, sich mit der „Iskra"-Organisation auseinandersetzen wolle. Ich erhob entschiedenen Einspruch gegen eine solche Art der Fragestellung und verlangte die Trennung der politischen Frage (des Misstrauens der Iskristen gegen N auf diesem Parteitag in politischer Hinsicht) von der persönlichen Frage (der Ernennung einer Kommission, die die Ursachen des merkwürdigen Verhaltens N's zu prüfen hätte). In der zweiten Sitzung wurde mitgeteilt, N wünsche eine Auseinandersetzung ohne T, obgleich N nicht die Absicht habe, von T persönlich zu sprechen. Ich erhob wiederum Einspruch und lehnte die Teilnahme an einer Auseinandersetzung ab, von der ein Nichtmitglied, wenn auch nur für einen Augenblick, ein Mitglied ausschließt, von dem er jedoch nicht zu sprechen beabsichtigt; ich sah darin ein unwürdiges Spiel und eine Ohrfeige, die N der Organisation verabreichte: N hegt ein solches Misstrauen gegen die Organisation, dass er ihr nicht einmal überlässt, die Bedingungen der Auseinandersetzung festzusetzen! In der dritten Sitzung gab N seine „Erklärung" ab, eine Erklärung, die die Mehrheit der Genossen, die an der Auseinandersetzung teilnahmen, nicht befriedigte. An der vierten Sitzung nahmen sämtliche Iskristen vollzählig teil, aber dieser Sitzung ging eine Anzahl wichtiger Zwischenfälle auf dem Parteitag voraus.

Erstens muss der Konflikt wegen der „Gleichberechtigung der Sprachen" vermerkt werden. Es handelte sich um die Annahme des Programms, um die Formulierung der Forderung der Gleichheit und Gleichberechtigung der Sprachen. (Jeder Punkt des Programms wurde getrennt erörtert und angenommen, die Bundisten veranstalteten hier eine wilde Obstruktion, und fast zwei Drittel der Dauer des Parteitags mussten aufs Programm verwendet werden!) Den Bundisten ist es hier gelungen, die Reihen der Iskristen zu erschüttern, indem sie einem Teil von ihnen den Gedanken einflößten, die „Iskra" wolle keine „Gleichberechtigung der Sprachen", – während in Wirklichkeit die Redaktion der „Iskra" nur diese ihrer Meinung nach analphabetische, unsinnige und überflüssige Formulierung nicht haben wollte. Es entstand ein verzweifelter Kampf, der Parteitag teilte sich in zwei gleiche Teile (einzelne enthielten sich der Abstimmung): auf Seiten der „Iskra" (und der „Iskra"-Redaktion) waren 23 Stimmen (möglicherweise 23–25, ich erinnere mich nicht genau) und ebenso viel waren gegen sie. Die Frage musste vertagt, an eine Kommission überwiesen werden, die eine vom ganzen Parteitag einstimmig angenommene Fassung fand. Der Konflikt wegen der Gleichberechtigung der Sprachen ist darum wichtig, weil er zum soundsovielten Male die Unbeständigkeit der Iskristen aufgedeckt und endgültig gezeigt hat, wie unbeständig und unentschieden auch die „Juschny Rabotschij"-Leute sind, die sich alle gegen die „Iskra" wandten (und gerade zu der Zeit, wenn ich nicht irre, und gerade von den Iskristen Martowschen Schlages selber Sumpf genannt wurden!). Die Leidenschaften entbrannten heftig, und die Iskristen, besonders die Martowleute, warfen den Leuten vom „Juschny Rabotschij" scharfe Worte ohne Zahl an den Kopf. Ein „leader" der Martowleute hätte es mit den „Juschny-Rabotschij"-Leuten während einer Pause fast zu einem Skandal gebracht, und ich beeilte mich (auf Bestehen Plechanows, der eine Schlägerei befürchtete), die Sitzung wiederzueröffnen. Es ist wichtig, festzustellen, dass auch unter diesen standhaftesten 23 Iskristen die Martowanhänger (d. h. die Iskristen, die später Martow Gefolgschaft leisteten) in der Minderheit waren.

Zu einem zweiten Konflikt führte der Kampf um den § 1 des „Parteistatuts". Das war schon Punkt 5 der Tagesordnung4, ziemlich am Ende des Parteitages. (Angenommen wurde zu Punkt 1 eine Resolution gegen den Föderalismus; zu Punkt 2 – das Programm; zu Punkt 3 die Anerkennung der „Iskra" als Zentralorgan der Partei*); zu Punkt 4 wurden „Delegiertenberichte" entgegengenommen, d. h. ein Teil von ihnen, der Rest musste einer Kommission übergeben werden, denn es stellte sich heraus, dass der Parteitag keine Zeit mehr hatte (die Geldmittel und die körperlichen Kräfte der Teilnehmer waren erschöpft).

Punkt 1 des Statuts definierte den Begriff „Parteimitglied". In meinem Entwurf lautete diese Definition folgendermaßen: „Als Mitglied der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Russlands gilt jeder, der ihr Programm anerkennt und die Partei sowohl mit materiellen Mitteln als auch durch die persönliche Teilnahme an der Arbeit einer der Pаrteiоrganisatiоnen unterstützt." Martow schlug vor, an Stelle der unterstrichenen Worte zu sagen: durch die Arbeit unter der Kontrolle und Leitung einer der Parteiorganisationen. Für meine Fassung trat Plechanow ein, für die Martowsche – die übrigen Mitglieder der Redaktion (für sie sprach auf dem Parteitag Axelrod). Wir bemühten uns zu beweisen, dass man den Begriff des Parteimitgliedes einengen müsste, um die Arbeitenden von den Schwätzern zu trennen, um das Organisationsdurcheinander zu beseitigen, um dem unerhörten und sinnlosen Zustand ein Ende zu machen, der es zuließ, dass aus Parteimitgliedern bestehende Organisationen keine Parteiorganisationen waren usw. Martow trat für die Erweiterung der Partei ein und sprach von der breiten Klassenbewegung, die eine breite – lose Organisation erfordere usw. Merkwürdigerweise beriefen sich fast alle Anhänger Martows zur Verteidigung ihrer Ansichten auf „Was tun?"! Plechanow wandte sich sehr heftig gegen Martow. Er wies darauf hin, dass die jaurèsistische Fassung Martows den Opportunisten Tür und Tor öffne, die gerade eine solche Lage in der Partei und außerhalb der Organisation herbeiwünschen. „Unter der Kontrolle und Leitung" – sagte ich – heißt in Wirklichkeit nicht mehr und nicht weniger als: Ohne jede Kontrolle und ohne jede Leitung. Martow hat hier einen Sieg davongetragen: seine Fassung wurde angenommen (mit einer Mehrheit von etwa 28 Stimmen gegen 23 – oder so ähnlich, ich erinnere mich nicht genau), und zwar dank dem „Bund", der natürlich sofort erfasst hatte, wo eine kleine Spalte offen war, und mit all seinen fünf Stimmen das „kleinere Übel" durchsetzte (der Delegierte des „Rabotscheje Djelo" begründete eben auf diese Weise seine Abstimmung für Martow!). Die heftigen Kämpfe um den § 1 des Statuts und die Abstimmung haben noch einmal die politische Gruppierung auf dem Parteitag klar hervortreten lassen und anschaulich gezeigt, dass der „Bund" + die Gruppe „Rabotscheje Djelo" über das Schicksal jedes beliebigen Beschlusses entscheiden können, wenn sie die Minderheit der „Iskra"-Leute gegen die Mehrheit unterstützen.

Nach dem Kampf und der Abstimmung über § 1 des Statuts fand die letzte (die vierte) Sitzung der „Iskra"-Organisation statt. Die Meinungsverschiedenheit der Iskristen über die persönliche Zusammensetzung des Zentralkomitees trat bereits vollkommen klar zutage und rief eine Spaltung in ihren Reihen hervor: die einen traten für ein iskristisches Zentralkomitee ein (angesichts der Auflösung der „Iskra"-Organisation und der Gruppe „Befreiung der Arbeit" und der Notwendigkeit, die Sache der „Iskra" zu Ende zu führen), die anderen – für die Zulassung auch der Leute vom „Juschny Rabotschij" und für das Überwiegen der Iskristen vom „Zickzack-Kurs". Die einen waren unbedingt gegen die Kandidatur des N, die andern dafür. Um den letzten Versuch einer Verständigung zu machen, wurde diese Versammlung der Sechzehn (Mitglieder der „Iskra"-Organisation, wobei, ich wiederhole es, auch die beratenden Stimmen mitgerechnet wurden) einberufen. Die Abstimmung ergab folgendes Resultat: gegen N – 9 Stimmen, für ihn – 4 Stimmen, die übrigen enthielten sich der Stimme. Die Mehrheit, die jedoch keinen Krieg gegen die Minderheit wünschte, schlug dann eine Liste der Versöhnung vor, und zwar aus 5 Mitgliedern; davon war ein (der Minderheit angenehmes) Mitglied Anhänger der „Juschny-Rabotschij"-Gruppe, ein zweites Mitglied – ein kampflustiger Anhänger der Minderheit, die übrigen – entschiedene Iskristen (von denen – das ist wichtig – einer erst am Schluss des Parteitages an dem Streit beteiligt und im Grunde genommen unparteiisch war, während die zwei anderen an den Debatten überhaupt nicht teilgenommen hatten und in der persönlichen Frage ganz unparteiisch waren)5. Für diese Liste stimmten 10 (später kam noch einer hinzu und es wurden 11), dagegen – nur einer (Martow ganz allein!), der Rest enthielt sich der Stimme! Die Versöhnungsliste fiel also dank Martow durch. Nachher wurden noch zwei „Kampf-Listen von der einen und der andern Seite zur Abstimmung gebracht, aber beide erhielten nur eine Minderheit der Stimmen.

In der letzten Versammlung der „Iskra"-Organisation waren also die Martowleute in beiden Fragen in der Minderheit geblieben, und trotzdem erklärten sie den Krieg, als ein Mitglied der Mehrheit (ein Unparteiischer oder der Vorsitzende) nach der Sitzung zu ihnen ging, um den letzten Versuch einer Verständigung zu machen.

Die Überlegung der Martowleute war klar und richtig: die Bundisten und die Leute vom „Rabotscheje Djelo" würden zweifellos die Liste des Zickzackkurses unterstützen, denn im Verlaufe des Parteitagsmonats waren alle Fragen so klar geworden, jeder einzelne Teilnehmer war so scharf umrissen hervorgetreten, dass es keinem einzigen Parteitagsdelegierten schwer gefallen wäre, zu entscheiden, was besser oder welches Übel das kleinere ist. Für den „Bund" + das „Rabotscheje Djelo" waren selbstverständlich die Zickzack-Iskristen das kleinere Übel und werden es stets sein.

Nach der Versammlung der 16, als die Iskristen sich endgültig voneinander trennten und der Krieg zwischen ihnen erklärt war, begannen die Versammlungen der beiden Parteien, in die sich der Parteitag gespalten hatte, d. h. private, inoffizielle Zusammenkünfte aller Gleichgesinnten. Von den Iskristen der konsequenten Linie kamen zunächst 9 (9 von 16) in die Sitzungen, dann 15, schließlich 24, wenn man die beschließenden Stimmen und nicht die Zahl der Personen rechnet. Das so rasche Ansteigen erklärte sich daraus, dass die Listen für das Zentralkomitee bereits im Umlauf waren und die Listen der Martowleute, die aus sehr schwachen Leuten bestanden, die übergroße Mehrheit der Iskristen sofort und unwiderruflich abstießen. Die von Martow vorgeschlagenen Kandidaten hatten sich auf dem Parteitag von einer unbedingt negativen Seite gezeigt (Suchen nach Ausflüchten, Inkonsequenz, Taktlosigkeit usw.). Das – erstens; zweitens entschieden sich die „Iskra"-Leute, als man ihnen erzählte, was in der „Iskra"-Organisation vor sich gegangen war, in den meisten Fällen für die Mehrheit, und die Unfähigkeit Martows, eine bestimmte politische Linie folgerichtig durchzuführen, war allen klar geworden. Darum konnten leicht und rasch 24 Stimmen für die konsequente iskristische Taktik, für die Zentralkomitee-Liste, für die Wahl der drei Redaktionsgenossen (an Stelle des alten, arbeitsunfähigen und verschwommenen Sechserkollegiums) gewonnen werden.

Auf dem Parteitag ging indessen die Erörterung des Statuts zu Ende, wobei Martow und Konsorten wieder einmal (und sogar nicht einmal, sondern mehrfach) mit der edlen Unterstützung des „Bund" + des „Rabotscheje Djelo“ über die Mehrheit der Iskristen den Sieg davontrugen. So z. B. in der Frage der Kooptation in die zentralen Körperschaften (diese Frage entschied der Parteitag im Sinne Martows).

Trotz dieser Verschlechterung des Statuts wurde es doch als Ganzes von allen Iskristen und vom ganzen Parteitag angenommen. Aber nach dem allgemeinen Statut ging man zum Statut des „Bund" über, und mit überwältigender Stimmenmehrheit lehnte der Parteitag den Vorschlag des „Bund" ab (den „Bund" als einzigen Vertreter des jüdischen Proletariats in der Partei anzuerkennen). Wie mir scheint, stand hier der „Bund" ganz allein fast gegen die Gesamtheit des Parteitages. Daraufhin verließen die Bundisten den Parteitag und erklärten ihren Austritt aus der Partei. Die Martowleute verloren fünf treue Verbündete! Dann, als die Auslandsliga der russischen revolutionären Sozialdemokratie als einzige Parteiorganisation im Ausland anerkannt worden war, verließen auch die „Rabotscheje Djelo"-Leute den Parteitag. Die Martowleute verloren noch zwei treue Verbündete! Auf dem Parteitag blieben im ganzen 44 (51 – 7) beschließende Stimmen, davon gehörte die Mehrheit (24) den konsequenten Iskristen; die Koalition der Martowleute mit den Anhängern des „Juschny Rabotschij" und mit dem „Sumpf" brachte es insgesamt nur auf 20 Stimmen.

Die Iskristen von der Zickzacklinie hätten sich nun unterordnen müssen, so wie sich auch die Iskristen von der konsequenten Linie ohne ein Wort des Widerspruchs untergeordnet hatten, als Martow im Bündnis mit dem „Bund" gegen sie zu Felde zog und sie schlug. Aber die Martowleute hatten sich schon so weit verrannt, dass sie, anstatt sich unterzuordnen, den Weg des Skandals und der Spaltung wählten.

Ein Skandal war der Vorschlag, die alte Redaktion zu bestätigen, denn die Erklärung auch nur eines Redakteurs hätte genügt, um den Parteitag zu verpflichten, den ganzen Fragenkomplex der Zusammensetzung der Redaktion des Zentralorgans zu prüfen, ohne sich auf die einfache Bestätigung zu beschränken. Ein Schritt zur Spaltung war die Ablehnung der Wahl des Zentralkomitees und der Redaktion des Zentralorgans.

Zunächst die Wahl der Redaktion. Auf der Tagesordnung stand, wie bereits erwähnt, zu Punkt 24: Wahl der zentralen Körperschaften der Partei. In meinen Erläuterungen zur Tagesordnung aber (diese Erläuterungen waren allen Iskristen lange vor dem Parteitag und auch allen Parteitagsdelegierten bekannt) stand am Rand: Wahl von drei Genossen für die Redaktion des Zentralorgans und von drei Genossen für das Zentralkomitee. Es unterliegt also keinem Zweifel, dass die Forderung, ein Dreierkollegium zu wählen, aus dem Innern der Redaktion kam und dass niemand von der Redaktion gegen diese Forderung Einspruch erhoben hatte. Sogar Martow und ein anderes hervorragendes Mitglied der Martowgruppe hatten diese „zwei Dreierkollegien" noch vor dem Parteitag gegenüber einer ganzen Anzahl von Delegierten verteidigt.

Ich persönlich hatte wenige Wochen vor dem Parteitag Starowjer und Martow mitgeteilt, dass ich auf dem Parteitag die Wahl der Redaktion verlangen werde; ich erklärte mich mit der Wahl von zwei Dreierkollegien einverstanden; es bestand die Absicht, vom Redaktions-Dreierkollegium entweder 7 Genossen (oder vielleicht noch mehr) hinzu kooptieren zu lassen oder es so bestehen zu lassen (die letzte Möglichkeit hatte ich besonders erwogen). Starowjer sagte sogar offen, ein Dreierkollegium bedeutete: Plechanow + Martow + Lenin, und ich war mit ihm einverstanden, – so sehr war es allen stets klar gewesen, dass nur diese Genossen zu führenden Funktionären gewählt werden können. Man musste schon sehr erbittert und gekränkt sein und nach dem Kampf auf dem Parteitag vollkommen den Kopf verloren haben, um hinterher gegen die Zweckmäßigkeit und Arbeitsfähigkeit des Dreierkollegiums Sturm zu laufen. Das alte Sechserkollegium war so wenig arbeitsfähig, dass es sich im Verlaufe von drei Jahren kein einziges Mal in voller Zusammensetzung versammeln konnte – das ist unglaublich, aber es ist eine Tatsache. Von den 45 Nummern der „Iskra" ist keine einzige (in redaktions-technischer Hinsicht) von jemand anders zusammengestellt worden als von Martow oder Lenin. Und nie hat außer Plechanow irgend jemand eine wichtige theoretische Frage aufgeworfen. Axelrod hat überhaupt nicht mitgearbeitet (0 = null Artikel in der „Sarja" und 3–4 in allen 54 Nummern der „Iskra"). Sassulitsch und Starowjer beschränkten sich auf schriftstellerische Mitarbeit und Ratschläge, ohne je eine Redaktionsarbeit geleistet zu haben. Welche Genossen als führende politische Funktionäre in die zentrale Körperschaft zu wählen waren – das war nach der einen Monat währenden Arbeit des Parteitages allen seinen Teilnehmern klar geworden.

Der auf dem Parteitag gemachte Vorschlag, die alte Redaktion zu bestätigen, bedeutete die sinnlose Provokation eines Skandals.

Eine sinnlose Provokation – weil sie zwecklos war. Selbst wenn man das Sechserkollegium bestätigt hätte, so würde ein Redaktionsmitglied (ich zum Beispiel) eine Überprüfung der Zusammensetzung des Kollegiums und seiner inneren Beziehungen gefordert haben, und der Parteitag wäre verpflichtet gewesen, die Sache von vorne zu beginnen.

Die Provokation eines Skandals – denn die Nichtbestätigung sollte als Kränkung empfunden werden – während eine Neuwahl an sich nichts Beleidigendes hatte. Das Zentralkomitee wird gewählt – nun so mag auch die Redaktion gewählt werden. Von der Bestätigung des Organisationskomitees ist keine Rede – nun, so mag auch von der Bestätigung der alten Redaktion keine Rede sein.

Es ist aber verständlich, dass die Martowleute, die die Bestätigung forderten, dadurch auf dem Parteitag einen Widerspruch hervorriefen, der Widerspruch wurde als Kränkung, Beleidigung, Hinausschmiss, Beseitigung aufgefasst …

Während der Erörterung der Frage: Wahl oder Bestätigung – hatte die Redaktion den Parteitag verlassen. Nach verzweifelt-leidenschaftlichen Debatten beschloss der Parteitag: die alte Redaktion wird nicht bestätigt.**

Erst nach diesem Beschluss erscheinen die früheren Redaktionsmitglieder im Saal. Darauf erhebt sich Martow und verzichtet für sich und seine Redaktionskollegen auf die Wahl, er spricht furchtbare und klägliche Worte über den „Belagerungszustand in der Partei" (für die nichtgewählten Minister?), über „Ausnahmegesetze gegen einzelne Personen und Gruppen" (zum Beispiel gegen Leute, die ihr im Namen der „Iskra" einen Rjasanow vorsetzen und die in der Kommission eins und auf dem Parteitag etwas anderes sagen?).

Ich antwortete ihm, indem ich auf die unglaubliche Verwirrung der politischen Begriffe hinwies, die zum Widerspruch gegen die Wahlen, gegen die Überprüfung der Kollegien der Parteifunktionäre durch den Parteitag führe.

Die Wahlen ergaben: Plechanow, Martow, Lenin. Martow lehnte wieder ab. Kolzow (der drei Stimmen erhielt) lehnte ebenfalls ab. Der Parteitag nahm daraufhin eine Resolution an, die zwei Mitgliedern der Redaktion des Zentralorgans den Auftrag gab, das dritte Mitglied zu kooptieren, sobald sie einen passenden Genossen gefunden haben würden.

Dann wurden die drei Mitglieder des Zentralkomitees gewählt, von denen der Genosse, der die Zettel zählte, dem Parteitag nur einen nannte – ferner wurde (in geheimer Wahl, durch Zettelabgabe) das fünfte Mitglied des Parteirates gewählt.

Die Martowleute und mit ihnen der ganze „Sumpf" gaben keine Zettel ab und reichten darüber dem Büro eine schriftliche Erklärung ein.

Das war ein offener Schritt zur Spaltung, zur Sprengung des Parteitages, zur Nichtanerkennung der Partei. Als aber ein Genosse vom „Juschny Rabotschij" ganz offen erklärte, er bezweifle (sic!) die Gesetzmäßigkeit der Parteitagsbeschlüsse, da schämte sich Martow und widersprach dem, indem er öffentlich erklärte, dass er an der Gesetzmäßigkeit der Beschlüsse nicht zweifle.

Leider entsprachen diesen guten und loyalen Worten Martows nicht seine (und seiner Anhänger) Handlungen und Taten …

Der Parteitag überwies dann an die „Protokoll-Kommission" die Frage der Veröffentlichung der Protokolle und nahm 11 Resolutionen über taktische Fragen an:

1. über Demonstrationen;

2. „ die Gewerkschaftsbewegung;

3. „ die Arbeit unter den Sektierern;

4. „ die Arbeit unter der studierenden Jugend;

5. „ das Verhalten bei Vernehmungen;

6. „ die Fabrikältesten;

7. „ den Internationalen Kongress 1904 in Amsterdam;

8. „ die Liberalen (Resolution Starowjers);

9. „ die Liberalen (Resolution Plechanows);

10. „ die Sozialrevolutionäre;

11. „ die Parteiliteratur;

Dann wurde der Parteitag – nach einer kurzen Rede, die an die Verbindlichkeit der Parteitagsbeschlüsse erinnerte – vom Vorsitzenden geschlossen.

Wenn ich das Verhalten der Martowleute nach dem Parteitag, ihre Verweigerung der Mitarbeit (um die die Redaktion des Zentralorgans sie offiziell gebeten hatte), ihre Ablehnung der Arbeit für das Zentralkomitee, ihre Boykottpropaganda analysiere – kann ich nur sagen, dass das ein wahnsinniger, eines Parteimitgliedes nicht würdiger Versuch ist, die Partei zu zerreißen … und warum? Nur weil man mit der Zusammensetzung der zentralen Körperschaften unzufrieden ist, denn objektiv war nur das unsere Meinungsverschiedenheit, das subjektive Urteil aber (wie z. B. die Kränkung, die Beleidigung, der Hinausschmiss, die Beseitigung, die Verunglimpfung usw. usw.) ist nur die Frucht der gekränkten Eigenliebe und der krankhaften Phantasie.

Diese krankhafte Phantasie und die gekränkte Eigenliebe führen zu geradezu schändlichen Klatschereien, wobei man, ohne die Tätigkeit der neuen Leitungen zu kennen, ohne sie gesehen zu haben, Gerüchte über ihre „Arbeitsfähigkeit", über die „eiserne Faust" Iwan Iwanowitschs, die „Faust" Iwan Nikiforowitschs usw. verbreitet.

Die „Arbeitsunfähigkeit" der leitenden Stellen nachweisen zu wollen, indem man sie boykottiert, ist eine nie dagewesene und unerhörte Verletzung der Parteipflicht, und keine Sophismen können das verdecken: der Boykott ist ein Schritt zur Spaltung der Partei.

Die russische Sozialdemokratie muss den letzten schwierigen Übergang vollziehen vom Zirkelwesen zur Partei, vom Spießertum zur Erkenntnis der revolutionären Pflicht, von einer Handlungsweise auf Grund von Klatsch und von dem Zirkelwesen entspringender gegenseitiger Beeinflussung zur Disziplin.

Wer die Parteiarbeit und die Tätigkeit für die sozialdemokratische Arbeiterbewegung schätzt, der wird so klägliche Sophismen, wie den „rechtmäßigen" und „loyalen" Boykott der zentralen Körperschaften, nicht zulassen, der wird nicht zulassen, dass die Sache leidet und die Arbeit aufgehalten wird, nur weil ein Dutzend Leute damit unzufrieden sind, dass in die Zentralleitung nicht die Genossen hineingekommen sind, die sie dort haben wollten; der wird nicht zulassen, dass Parteifunktionäre auf privatem und geheimem Wege – durch Androhung der Verweigerung der Mitarbeit, durch Boykott, durch Entziehung der Geldmittel, durch Klatsch und lügenhaftes Geschwätz – beeinflusst werden.

1 Den „Bericht über den 2. Parteitag der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Russlands" hat Lenin geschrieben, um einen verhältnismäßig engen Kreis von im Auslande lebenden Parteigenossen, die Anhänger der Mehrheit waren, über die Umstände zu unterrichten, die die Spaltung auf dem Parteitag hervorgerufen hatten. Das Manuskript wurde abgeschrieben, Kopien wurden angefertigt, und schließlich fand der Bericht in den Kreisen der sozialdemokratischen Emigration eine ziemlich weite Verbreitung. Auch die Menschewiki kannten den Bericht.

2 nach dem Ereignis. Die Red.

3 Anscheinend handelt es sich um J. Steklow, der Ende 1900 bis Anfang 1901 den Iskristen nahe stand, sich dann von ihnen trennte und einige Schritte zur Annäherung an die Gruppe „Rabotscheje Djelo" unternahm (am 20. April 1901 schrieb Plechanow an Lenin: Steklow „hat sich überzeugt, dass es ihm nicht gelingen wird, Redakteur der ,Sarja' (oder des andern Blattes) zu werden. Nachdem er sich davon überzeugt hatte, beschloss er, mit Ihnen zu brechen und im ,Auslandsbund' unterzukommen" („Leninski-Sbornik" III, 1925). Später war J. Steklow Mitglied der Gruppe „Borjba", im Jahre 1905 nahm er eine Stellung ein, die sich dem Bolschewismus näherte, in der Zeit der Reaktion und später des Aufschwunges arbeitete er an bolschewistischen Blättern mit, vor dem Oktober 1917 trat er in die Partei der Bolschewiki ein, nach dem Oktober war er mehrere Jahre Redakteur der „Iswestija", jetzt arbeitet er im Komitee, das die wissenschaftlichen Institutionen der Sowjetunion verwaltet

4 „Tagesordnung" bei Lenin deutsch. Die Red.

* Es ist sehr wichtig, nicht außer acht zu lassen, dass auf der Tagesordnung des Parteitages, die auf Grund meines Berichtes im Organisationskomitee angenommen und vom Parteitag bestätigt wurde, zwei getrennte Punkte standen: Punkt 3 „Gründung eines Zentralorgans der Partei oder Bestätigung eines solchen" und Punkt 24 Wahl der zentralen Körperschaften der Partei". Als ein Anhänger des „Rabotscheje Djelo" fragte (bei Erörterung des 3. Punktes), wen wir bestätigen, ob nur den Titel, die Redaktion kennen wir ja nicht einmal!, da nahm Martow das Wort und erklärte, dass die Richtung der „Iskra" bestätigt werden soll, unabhängig von der Zusammensetzung der Redaktion, dass diese Zusammensetzung dadurch nicht vorausbestimmt werde, denn die Wahlen der zentralen Körperschaften würden bei Behandlung des 24. Punktes der Tagesordnung vorgenommen werden, und alle gebundenen Mandate seien aufgehoben.

Diese Worte Martows (zu Punkt 3, vor der Spaltung der Iskristen) sind von außerordentlicher Wichtigkeit.

Die Erläuterung Martows entsprach vollkommen unserer allgemeinen Auffassung von der Bedeutung der Punkte 3 und 24 der Tagesordnung.

Nach Punkt 3 gebrauchte Martow in seinen Reden auf dem Parteitag sogar mehrfach den Ausdruck: die früheren Mitglieder der „Iskra"-Redaktion.

5 Auf dem Parteitag figurierten folgende offizielle Listen der Kandidaten für das Zentralkomitee: 1. die „versöhnlerische" Liste der Mehrheit: Rosanow (vom „Juschny Rabotschij", der Minderheit genehm), Trotzki („früheres Mitglied der Minderheit"), Noskow (nahm an den Arbeiten des Parteitags und am Kampf auf dem Parteitag teil), Lengnik-Wassiljew und Krschischanowski waren auf dem Parteitag nicht anwesend; 2. eine analoge Liste der Minderheit: Rosanow, Trotzki, Krochmal-Fomin, Noskow, Krschischanowski; 3. eine Kampfliste der Mehrheit: Noskow-Glebow, Krschischanowski-Trawinski, Rosanow-Popow; 4. eine analoge Liste der Minderheit: Noskow-Glebow, Rosanow-Popow, Trotzki. Bei den Wahlen lehnte Rosanow ab, auf der Kampfliste der Mehrheit zu kandidieren, und wurde durch Lengnik ersetzt. In das Zentralkomitee sind im Ganzen in geheimer Abstimmung drei Anhänger der Mehrheit gewählt worden: Noskow, Krschischanowski und Lengnik; nur der Name Noskows ist dem Parteitag bekanntgegeben worden.

** Ein Anhänger Martows hat dabei eine solche Rede gehalten, dass ein Delegierter nach dieser Rede dem Sekretär zurief: anstatt des Punktes setzt eine Träne ins Protokoll! Besonders heiß verteidigt wurde die alte Redaktion von den „Sumpf "-Leuten.

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