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Rosa Luxemburg 19170421 Das Ergebnis der Osterkonferenz

Rosa Luxemburg: Das Ergebnis der Osterkonferenz

21. April 1917

[Der Kampf (Duisburg) Nr. 46, 21. April 1917. Nach Franz Mehring, Gesammelte Schriften, Band 15, S. 717-719. Laut Rosa Luxemburg, Gesammelte Werke, Band 7.2 stammt der Artikel in Wirklichkeit von Rosa Luxemburg]

Die Verhandlungen der Konferenz, die in den Ostertagen von der sozialdemokratischen Opposition in Gotha abgehalten worden ist, haben den organisatorischen Zusammenschluss der Arbeitsgemeinschaft und der Gruppe Internationale zu einer Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei veranlasst. Das heißt mit anderen Worten zu einer Einigung der gesamten Opposition, denn die „Internationalen Sozialisten Deutschlands (ISD) haben, wie in einem Artikel der nächsten Nummer nachgewiesen werden wird, in Wirklichkeit nie existiert, außer in einem oder in einigen wenigen Köpfen, und ein paar einzelne Parteisplitter in Bremen und diesem oder jenem anderen Orte Deutschlands fallen nicht weiter ins Gewicht.

Die Notwendigkeit des organisatorischen Zusammenschlusses zwischen der Gruppe Arbeitsgemeinschaft und der Gruppe Internationale hat Gracchus der Nummer des „Kampf" vom 31. März ausführlich nachgewiesen. Nichts verständlicher, als dass sie manchen braven Genossen unserer Richtung hart angekommen ist, und dies Gefühl des Widerstrebens wird sicherlich noch verschärft, wenn die Arbeitsgemeinschaft sich nach manchen Äußerungen ihrer Vertreter der Einbildung hingibt, als habe die Gruppe Internationale vor ihr kapituliert. Eine Tendenz dieser Art tritt auch in der Wahl des Aktionskomitees und des Beirats hervor, die in Gotha an die Spitze der neuen Partei gestellt worden sind. Von den sieben Mitgliedern des Aktionskomitees gehört keiner, und von den sieben Mitglieder des Beirats nur einer (Schnellbacher-Hanau) der Gruppe Internationale an.

Indessen – das ist kein Unglück. Im Gegenteil! Der Gruppe Internationale wird dadurch die besondere Aufgabe nur erleichtert, die ihr in der neuen Gemeinschaft zufällt, nämlich die Aufgabe einer vorwärts drängenden und treibenden Kritik. Wenn die Vertreter der Arbeitsgemeinschaft in Gotha darüber geklagt haben, dass diese Kritik bisher in gar zu verletzender Form geübt worden sei, so wollen wir darüber nicht lange streiten. Es ist herüber und hinüber geschossen worden, und noch in Gotha selbst hat der brave Eisner, als würdige Ergänzung einer von ihm beantragten Mogelei mit den Scheidemännern, ganz wie Gracchus vorhergesagt hat, gegen die Gruppe Internationale dieselben Bekämpfungsmethoden angewandt, die von den Scheidemännern gegen die Arbeitsgemeinschaft angewandt werden. Er nannte unsere Politik ein Verbrechen, das in die Hände Bethmann Hollwegs spiele, und faselte mit ähnlichen Verdächtigungen noch eine ganze Strecke ins Feld hinein zum Beweise dafür, dass er immer noch in dem „ästhetisch-ethischen" Irrgarten herumjammert, worin sein nunmehriger Freund und Gesinnungsgenosse Kautsky ihn ehedem entdeckt hat.

Doch dies beiläufig. Über den „Ton" unserer Kritik sollen die Genossen von der Arbeitsgemeinschaft sich gewiss nicht mehr zu beschweren haben, wenn wir in gemeinsamen Reihen kämpfen, und wir gönnen ihnen auch gern die roten Hosenstreifen der Stabsoffiziere. Aber von unseren Prinzipien geben wir keinen Deut auf und verzichten auch keineswegs auf die geistige Führung der Opposition, die wir bisher behauptet haben. Es waren Mitglieder unserer Gruppe, die sich zuerst gegen die Scheidemännerei erhoben haben, und es sind just in diesen Tagen zwei Jahre her, seit sich die Gruppe Internationale um die gleichnamige, von Luxemburg und Mehring herausgegebene Zeitschrift zu kristallisieren begann. Wir wollen niemanden kränken und deshalb nicht weiter darauf eingehen, mit welcher sittlichen Entrüstung sehr namhafte Vertreter der Arbeitsgemeinschaft damals über die Herausgeber und Mitarbeiter der genannten Zeitschrift als „Parteiverderber" usw. gescholten haben; wir freuen uns vielmehr aufrichtig darüber, dass diese Genossen heute wohlwollender und, wie wir hoffen, richtiger über unsere bescheidene Tätigkeit denken. Allein wir erinnern daran, um zu erhärten, dass uns solche Erfolge unmöglich veranlassen können, von dem Wege abzuirren, den wir seit dem 4. August 1914 gegangen sind.

Will man den organisatorischen Zusammenschluss der Gruppe Internationale mit der Arbeitsgemeinschaft durch ein militärisches Beispiel erläutern, so haben die brutalen Gewaltmaßregeln der Scheidemänner die Arbeitsgemeinschaft in wilde Flucht geworfen, und wir rücken den Fliehenden aus unseren festen Schanzen eine Strecke entgegen, um sie aufzunehmen und ihren aufgelösten Scharen ein festes Gerüst zu geben. Es wäre ein sehr törichtes Beginnen, in unserem umwallten Lager mit schadenfrohem Lächeln zuzusehen, wie es der permanente Verrat der Scheidemännerei über die Arbeitsgemeinschaft davonträgt. Denn was uns auch sonst von dieser Richtung trennen mag, so sind sie doch unsere Genossen, und wir haben gemeinsame Interessen gegen den gemeinsamen Feind.

Ihr Grundirrtum besteht darin, dass sie den Status quo wiederherstellen wollen, wie er am 4. August 1914 gewesen ist. Sie behaupten dabei, ganz radikal zu denken, bestreiten entschieden, ein Parteizentrum zu bilden, und wollen die legitimen Erben von Marx, Engels und Lassalle sein. Indessen es kommt doch ein wenig darauf an, wie man Marx, Engels und Lassalle liest. Man hat erlauchte Beispiele, dass man dreißig Jahre oder vierzig Jahre über Marxens Werken brüten und jedes Komma darin auf die Goldwaage legen, aber in der Stunde der Entscheidung, wo es wie Marx zu handeln gilt, sich nur wie ein trillernder Wetterhahn um sich selbst drehen kann. Es gibt aber auch Beispiele, dass man in einer entscheidenden Stunde wie Marx handeln kann, ohne etwas oder besonders viel von ihm zu wissen; so kennt Karl Liebknecht natürlich seinen Marx, aber einen Kommentar über ihn hat er nicht geschrieben. Übrigens, selbst wenn man sich auch nur an die Worte von Marx hält, könnten wir Zitate von ihm beibringen, in denen er die Politik des Status quo mit ätzendem Spott überschüttet, doch wollen wir davon lieber absehen.

Die Gruppe Internationale hält diese Politik des Status quo für eine historische Unmöglichkeit; sie hält vielmehr eine gründliche Reform der modernen Arbeiterpolitik an Haupt und Gliedern für eine historische Notwendigkeit. Solche geschichtliche Gegensätze lassen sich aber nur durch den geschichtlichen Verlauf der Dinge selbst entscheiden; sie eignen sich nicht als Grundlagen besonderer Parteibildungen. Der gemeinsame Widerstand gegen den ruchlosesten Verrat, den die Geschichte der Arbeiterklasse kennt, macht den organisatorischen Zusammenschluss zwischen den beiden Gruppen der Opposition notwendig und nützlich, und insofern ist das Ergebnis der Osterkonferenz zu begrüßen. Aber es wäre viel zu teuer erkauft, wenn die Gruppe Internationale damit ihre besonderen Ziele aufgeben würde, sosehr sie natürlich im Kampfe gegen die Scheidemännerei ihren Mann stellen muss und wird.

Ob sie die Zeichen der Zeit richtig erkannt, kann nur die Geschichte selbst entscheiden, aber sie kann sich nicht selbst verblenden gegen das, was ihr seit nunmehr bald drei Jahren jeder neue Tag von neuem bestätigt hat. Das wäre gleichermaßen moralischer und politischer Selbstmord.

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