Statt einer Einleitung

Statt einer Einleitung

Wie einige „Marxisten" im Jahre 1908 und einige Idealisten im Jahre 1710 den Materialismus widerlegten

Wer ein wenig mit der philosophischen Literatur vertraut ist, wird wissen, dass es kaum einen modernen Professor der Philosophie (und auch der Theologie) geben dürfte, der sich nicht direkt oder indirekt mit der Widerlegung des Materialismus befasst hätte. Hundertmal, tausendmal wurde verkündet, dass der Materialismus widerlegt sei, und bis zum heutigen Tag fährt man fort, ihn zum hundertundersten oder zum tausendundersten Male zu widerlegen. Unsere Revisionisten beschäftigen sich alle mit der Widerlegung des Materialismus, indem sie sich dabei den Anschein geben, als bekämpften sie eigentlich nur den Materialisten Plechanow, nicht aber den Materialisten Engels, nicht den Materialisten Feuerbach, nicht die materialistischen Ansichten von J. Dietzgen, und als widerlegten sie den Materialismus vom Standpunkt des „neuesten" und „modernen" Positivismus, der Naturwissenschaft usw. Ohne mich auf Zitate zu berufen, die ein jeder hundertfach in den genannten Büchern finden kann, weise ich nur auf die Argumente hin, mit denen Basarow, Bogdanow, Juschkewitsch, Valentinow, TschernowA und andere Machisten den Materialismus bekämpfen. Ich werde den Ausdruck Machisten als kürzeste und einfachste Bezeichnung, die überdies in der russischen Literatur schon eingebürgert ist, überall als gleichbedeutend mit dem Ausdruck „Empiriokritizisten" anwenden. Dass Ernst Mach gegenwärtig der populärste Vertreter des Empiriokritizismus ist, ist in der philosophischen Literatur allgemein anerkannt.B Bogdanows und Juschkewitschs Abweichungen vom „reinen" Machismus sind, wie ich später zeigen werde, von nebensächlicher Bedeutung.

Die Materialisten, so sagt man uns, erkennen etwas Undenkbares und Unerkennbares an – „Dinge an sich", eine „außerhalb der Erfahrung", außerhalb unserer Erkenntnis liegende Materie. Sie verfallen in einen wahren Mystizismus, indem sie ein jenseitiges, hinter den Grenzen der „Erfahrung" und der Erkenntnis liegendes Etwas annehmen. Indem sie explizieren, dass die Materie durch ihre Einwirkung auf unsere Sinnesorgane die Empfindungen hervorbringe, nehmen die Materialisten als Grundprinzip etwas „Unbekanntes", ein Nichts an, denn sie selbst erklären ja unsere Sinne für die einzige Quelle der Erkenntnis. Die Materialisten verfallen in „Kantianismus" (so Plechanow, der die Existenz von „Dingen an sich", d. h. Dingen außerhalb unseres Bewusstseins zugebe), sie „verdoppeln" die Welt, predigen den „Dualismus", denn hinter den Erscheinungen haben sie noch das Ding an sich, hinter dem unmittelbar Gegebenen der Sinne haben sie noch etwas anderes, irgendeinen Fetisch, ein „Idol", ein Absolutum, eine Quelle der „Metaphysik", einen Doppelgänger der Religion (die „heilige Materie", wie Basarow sagt).

Das sind die Argumente der Machisten gegen den Materialismus, wie sie von den genannten Autoren in den verschiedensten Variationen immer wieder vorgebracht werden.

Um festzustellen, ob diese Argumente neu sind und ob sie wirklich nur gegen einen einzelnen „in den Kantianismus verfallenen" russischen Materialisten gerichtet sind, wollen wir ausführliche Zitate aus dem Werk eines alten Idealisten, George Berkeley, anführen. Diese historische Nachforschung ist in der Einleitung zu unserer Abhandlung um so notwendiger, als wir uns späterhin auf Berkeley und seine Richtung in der Philosophie noch mehrmals werden berufen müssen, da die Machisten sowohl das Verhältnis von Mach zu Berkeley als auch das Wesen der philosophischen Richtung Berkeleys falsch darstellen.

Das Werk des Bischofs George Berkeley, das im Jahre 1710 unter dem Titel „Abhandlung über die Prinzipien der menschlichen Erkenntnis"C erschienen ist, beginnt mit folgender Betrachtung:

Jedem, der einen Blick auf die Gegenstände der menschlichen Erkenntnis wirft, leuchtet ein, dass dieselben teils den Sinnen gegenwärtig eingeprägte Ideen (ideas) sind, teils Ideen, welche durch ein Aufmerken auf das, was die Seele leidet und tut, gewonnen werden, teils endlich Ideen, welche mittels des Gedächtnisses und der Einbildungskraft … gebildet werden. Durch den Gesichtssinn erhalte ich die Licht- und Farbenideen in ihren verschiedenen Abstufungen und qualitativen Modifikationen, durch den Tastsinn perzipiere ich z. B. Härte und Weichheit, Hitze und Kälte, Bewegung und Widerstand … Der Geruchssinn verschafft mir Gerüche, der Geschmackssinn Geschmacksempfindungen, der Sinn des Gehörs führt dem Geiste Schallempfindungen zu … Da nun beobachtet wird, dass einige von diesen Empfindungen einander begleiten, so geschieht es, dass sie mit einem Namen bezeichnet und infolge hiervon als ein Ding betrachtet werden. Ist z. B. beobachtet worden, dass eine gewisse Farbe, Geschmacksempfindung, Geruchsempfindung, Gestalt und Festigkeit vereint auftreten (to go together), so werden sie für ein bestimmtes Ding gehalten, welches durch den Namen Apfel bezeichnet wird. Andere Gruppen von Ideen (collections of ideas) bilden einen Stein, einen Baum, ein Buch und ähnliche sinnliche Dinge …" (§ 1.)

Dies der Inhalt des ersten Paragraphen von Berkeleys Werk.

Halten wir fest, dass er „Härte, Weichheit, Hitze, Kälte, Farben, Geschmack, Gerüche" usw. zur Grundlage seiner Philosophie macht. Für Berkeley sind die Dinge „Gruppen von Ideen", wobei er darunter die obengenannten, sagen wir, Eigenschaften oder Empfindungen versteht, nicht aber abstrakte Gedanken. Berkeley sagt weiter, dass außer diesen „Ideen oder Erkenntnisobjekten" noch etwas existiert, das sie perzipiert: – „Gemüt, Geist, Seele oder das Ich." Es sei evident – folgert der Philosoph –, dass die Ideen nicht anders existieren können, als in einem Geiste, der sie perzipiert. Um sich davon zu überzeugen, genüge es, sich die Bedeutung des Ausdrucks existieren zu überlegen.

Sage ich: der Tisch, an dem ich schreibe, existiert, so heißt das: ich sehe und fühle ihn; wäre ich außerhalb meiner Studierstube, so könnte ich seine Existenz in dem Sinne aussagen, dass ich, wenn ich in meiner Studierstube wäre, ihn perzipieren könnte …"

So spricht Berkeley in Paragraph 3 seines Werkes, und er beginnt sofort gegen die Leute, die er Materialisten nennt (§ 18, 19 u. a.), zu polemisieren. „Denn – sagt er – was von einer absoluten Existenz undenkender Dinge ohne irgendeine Beziehung auf ihr Perzipiertwerden gesagt zu werden pflegt, scheint durchaus unverständlich zu sein. Das Sein solcher Dinge ist Perzipiertwerden" (their esse is percipi, § 3, – ein Berkeleyscher Ausdruck, der in den Lehrbüchern der Philosophie zitiert wird).

Es besteht in der Tat eine auffallend verbreitete Meinung, dass Häuser, Berge, Flüsse, mit einem Wort, alle sinnlichen Objekte, eine natürliche oder reale Existenz haben, welche von ihrem Perzipiertwerden durch den denkenden Geist verschieden sei." (§ 4.)

Diese Meinung bezeichnet Berkeley als „offenbaren Widerspruch".

Denn was sind die vorhin erwähnten Objekte anderes als die sinnlich von uns wahrgenommenen Dinge, und was perzipieren wir anderes als unsere eigenen Ideen oder Sinnesempfindungen (ideas or sensations)? – und ist es nicht ein vollkommener Widerspruch, dass irgendeine solche oder irgendeine Verbindung derselben unwahrgenommen existiere?" (§ 4.)

Hier ersetzt Berkeley den Ausdruck Gruppen von Ideen durch den für ihn gleichbedeutenden Ausdruck Verbindungen von Empfindungen, und die Materialisten werden beschuldigt, dass sie das ganz widersinnige Bestreben haben, noch weiterzugehen und nach irgendeiner Quelle dieses Komplexes, will sagen, dieser Verbindung von Empfindungen, zu suchen. In § 5 wird den Materialisten zur Last gelegt, dass sie sich mit einer Abstraktion abgeben, denn nach Berkeley ist es leere Abstraktion, die Empfindung vom Objekt trennen zu wollen. Am Schlusse des § 5, der in der zweiten Auflage weggelassen ist, sagt er: „In Wahrheit sind Objekt und Empfindung ein und dasselbe (are the same thing), weshalb sie voneinander nicht abstrahiert werden können."

Ihr sagt – schreibt Berkeley –, obschon die Ideen selbst nicht außerhalb des Geistes existieren, so kann es doch ihnen ähnliche Dinge, deren Kopien oder Ebenbilder (resemblances) sie sind, geben, und diese Dinge existieren außerhalb des Geistes in einer nicht denkenden Substanz. Ich antworte: eine Idee kann nur einer Idee ähnlich sein, eine Farbe oder Figur nur einer anderen Farbe oder Figur … Außerdem frage ich, ob diese vorausgesetzten Originale oder äußeren Dinge, deren Abbilder oder Darstellungen unsere Ideen seien, selbst perzipierbar seien oder nicht? Sind sie es, dann sind sie Ideen, und wir haben erreicht, was wir wollen; sagt ihr dagegen, sie seien es nicht, so gebe ich jedem Beliebigen die Entscheidung anheim, ob es einen Sinn habe, zu behaupten, eine Farbe sei ähnlich etwas Unsichtbarem, Härte oder Weichheit ähnlich etwas Untastbarem usw." (§ 8.)

Wie der Leser sieht, unterscheiden sich Basarows „Argumente" gegen Plechanow in der Frage, ob es Dinge gibt, die außerhalb unser, abgesehen von ihrer Wirkung auf uns, existieren können, nicht um ein Haar von den Argumenten Berkeleys gegen die Materialisten, die er nicht beim Namen nennt. Für Berkeley ist der Gedanke an die Existenz von „Materie oder körperlicher Substanz" ein solcher „Widerspruch", etwas so Absurdes, dass es sich nicht lohne, Zeit auf seine Widerlegung zu verschwenden.

Aber –- sagt er – da die Lehre (tenet) von der Existenz der Materie so tiefe Wurzeln in den Geist der Philosophen geschlagen zu haben scheint und so viele böse Folgen nach sich zieht, will ich lieber für langweilig und geschwätzig gehalten werden, als etwas unterlassen, das dazu führen könnte, dieses Vorurteil völlig aufzudecken und auszumerzen." (§ 9.)1

Wir werden gleich sehen, von was für bösen Folgen Berkeley da spricht. Setzen wir uns zuerst mit seinen theoretischen Argumenten gegen die Materialisten auseinander. Indem er die „absolute" Existenz der Objekte, d. h. die Existenz von Dingen außerhalb der menschlichen Erkenntnis leugnet, stellt er die Anschauungen seiner Gegner direkt so dar, dass sie das „Ding an sich" anerkennen. In § 24 heißt es bei ihm in Sperrdruck, dass diese von ihm bestrittene Ansicht die „absolute Existenz sinnlich wahrnehmbarer Objekte an sich (objects in themselves) oder außerhalb des Geistes" anerkenne. Hier sind zwei Grundrichtungen der philosophischen Anschauungen mit der Geradheit, Klarheit und Schärfe gekennzeichnet, die die philosophischen Klassiker von den Verfassern der „neuen" Systeme unserer Zeit unterscheidet. Der Materialismus ist Anerkennung der „Objekte an sich" oder der Objekte außerhalb des Geistes; Ideen und Empfindungen sind nur Kopien oder Ebenbilder dieser Objekte. Die entgegengesetzte Lehre (Idealismus) sagt: die Objekte existieren nicht „außerhalb des Geistes", sie sind „Verbindungen von Empfindungen".

Dies wurde geschrieben 1710, d. h. 14 Jahre vor der Geburt von Immanuel Kant. Unsere Machisten aber machten auf Grund der angeblich „neuesten" Philosophie die Entdeckung, dass das Anerkennen der „Dinge an sich" das Resultat der Ansteckung oder Entstellung des Materialismus durch den Kantianismus seil Die „neuen" Entdeckungen der Machisten sind aber nur das Resultat ihrer erstaunlichen Ignoranz in Bezug auf die Geschichte der grundlegenden philosophischen Richtungen.

Ihr nächster „neuer" Gedanke besteht darin, dass der Begriff „Materie" oder „Substanz" – ein Überbleibsel der alten unkritischen Anschauungen sei. Mach und Avenarius sollen den philosophischen Gedanken weiter entwickelt, die Analyse vertieft und diese „Absoluta", die „unveränderlichen Wesenheiten" beseitigt haben usw. Nehmen wirf um diese Behauptungen aus erster Quelle zu verifizieren, Berkeley, so werden wir sehen, dass sie sich auf eine anspruchsvolle Einbildung reduzieren. Berkeley sagt ganz entschieden, dass die Materie eine „non entity" (ein Nichtseiendes, § 68), dass die Materie nichts sei (§ 80). „Ihr mögt“ – ironisiert Berkeley die Materialisten –, „wenn euch das gut dünkt, das Wort Materie in dem nämlichen Sinne gebrauchen, worin andere das Wort ,nichts' gebrauchen." Zuerst, sagt Berkeley, glaubte man, dass Farben, Gerüche usw. „wirklich existieren" … Später ging man davon ab, da man sich überzeugte, dass sie nur im Zusammenhang mit unseren Empfindungen existieren können. Die Beseitigung der alten irrtümlichen Begriffe geschah aber nicht gründlich genug: etwas ist zurückgeblieben, und zwar der Begriff der „Substanz" (§ 73) auch so ein „Vorurteil", das nun im Jahre 1710 durch Bischof Berkeley endgültig entlarvt wird! Und im Jahre 1908 gibt es bei uns Spaßvögel, die den Avenarius, Petzoldt, Mach u. Co. im Ernst glauben, dass es erst dem „neuesten Positivismus" und der „neuesten Naturwissenschaft" gelungen sei, diese „metaphysischen" Begriffe zu beseitigen.

Dieselben Spaßvögel (unter ihnen Bogdanow) versichern den Lesern, dass gerade die neue Philosophie das Irrtümliche der „Verdoppelung der Welt" in der Lehre der ewig widerlegten Materialisten klarmache, nach denen das Bewusstsein des Menschen die Dinge, die außerhalb seines Bewusstseins existieren, widerspiegele.

Über diese „Verdoppelung" schrieben die genannten Schriftsteller eine Unmenge gefühlvoller Worte. Nur fügten sie aus Vergesslichkeit oder Unwissenheit nicht hinzu, dass diese neuen Entdeckungen schon im Jahre 1710 entdeckt worden sind.

„… Unsere Erkenntnis derselben (der Ideen oder Dinge)“ – schreibt Berkeley – „ist sehr verdunkelt und verwirrt und wir sind zu sehr gefährlichen Irrtümern verleitet worden durch die Voraussetzung einer zweifachen (twofold) Existenz unserer Sinnesobjekte, einer intelligiblen in dem Geiste und einer realen außerhalb des Geistes …" (d. h. außerhalb des Bewusstseins).

Und Berkeley macht sich über diese „ungereimte" Anschauung lustig, da sie die Möglichkeit zulasse, das Undenkbare zu denken! Die Quelle der „Ungereimtheit" ist natürlich die Unterscheidung zwischen „Dingen" und „Ideen" (§ 87), die „Voraussetzung äußerer Objekte". Derselben Quelle entspringt nach der Entdeckung Berkeleys von 1710 und der Neuentdeckung Bogdanows von 1908 auch der Fetischismus und der Götzenglaube.

Die Existenz einer Materie oder unwahrgenommener Körper – sagt Berkeley – ist nicht nur die Hauptstütze der Atheisten und Fatalisten gewesen, sondern auf dem nämlichen Prinzip ruht ebenso auch der Götzendienst in allen seinen mannigfachen Formen." (§ 94.)

Hier kommen wir zu den „bösen" Folgen der „absurden" Lehre von der Existenz der Außenwelt, die den Bischof Berkeley veranlassten, nicht nur theoretisch diese Lehre zu widerlegen, sondern auch deren Anhänger leidenschaftlich als Feinde zu verfolgen.

Aus der Lehre von der Materie oder körperlichen Substanz – sagt er – sind auch alle jene unfrommen Systeme des Atheismus und der Religionsverwerfung hervorgegangen … Wie sehr die materielle Substanz den Atheisten aller Zeiten wert gewesen ist, bedarf nicht der Erwähnung. Alle ihre monströsen Systeme stehen in einer so offenbaren und notwendigen Abhängigkeit von ihr, dass, ist dieser Eckstein einmal weggenommen, das ganze Gebäude notwendig zusammenstürzen muss, so sehr, dass sich nicht länger der Zeitaufwand lohnen wird, eine besondere Betrachtung auf die Absurditäten einer jeden nichtswürdigen Sekte von Atheisten zu richten." (§ 92.)

Ist einmal die Materie aus der Natur ausgetrieben, so nimmt sie mit sich fort so manche skeptische und unfromme Vorstellungen, solch eine unglaubliche Zahl von Streitigkeiten und verwirrenden Fragen" („Prinzip – der Denkökonomie" – Machs Entdeckung in den 70er Jahren! – „Philosophie als Denken der Welt gemäß dem Prinzip des kleinsten Kraftmaßes" – Avenarius 1876! L.), „die sowohl für Theologen als Philosophen Dornen gewesen sind und den Menschen so viele fruchtlose Arbeit gemacht haben, dass, wenn die Gründe, die wir dagegen aufgestellt haben, nicht beweiskräftig gefunden werden (was sie meines Erachtens doch offenbar sind), ich doch dessen gewiss bin, dass alle Freunde der Erkenntnis, des Friedens und der Religion Grund haben, zu wünschen, sie wären es." (§ 96.)

Wie aufrichtig und primitiv solche Betrachtungen des Bischofs Berkeley doch sind! In unseren Zeiten wird derselbe Gedanke von der „ökonomischen" Entfernung der „Materie" aus der Philosophie durch eine „neue" Terminologie in eine viel schlauere und kompliziertere Form gekleidet, um dann von naiven Leuten für „neueste" Philosophie gehalten zu werden.

Indessen war Berkeley hinsichtlich der Tendenzen seiner Philosophie nicht nur aufrichtig, er versuchte ihre idealistische Blöße auch zu bemänteln und sie frei von Widersinnigkeiten und für den „gesunden Menschenverstand" annehmbar darzustellen. Durch unsere Philosophie – sagte er, sich instinktiv gegen den Vorwurf dessen wehrend, was man jetzt subjektiven Idealismus oder Solipsismus nennen würde – werden wir „keines einzigen Naturobjekts verlustig gehen" (§ 34). Die Natur bleibt, und es bleibt auch der Unterschied zwischen Realität und Chimären – „beide jedoch existieren gleichmäßig in dem Geiste".

Ich bestreite nicht die Existenz irgendeines Dinges, das wir durch Sinneswahrnehmung oder durch Reflexion auf unser Inneres zu erkennen vermögen. Dass die Dinge, die ich mit meinen Augen sehe und mit meinen Händen betaste, existieren, wirklich existieren, bezweifle ich nicht im Mindesten. Das einzige, dessen Existenz wir in Abrede stellen, ist das, was die Philosophen (von Berkeley gesperrt) Materie oder körperliche Substanz nennen. Und indem dies geschieht, verlieren die übrigen Menschen nichts, die, wie ich wohl sagen darf, diese Materie nicht vermissen werden. Allerdings werden die Atheisten die anscheinende Stütze verlieren, welche ein leeres Wort ihrer unfrommen Ansicht gewährt…" (§ 35.)

Noch klarer wird dieser Gedanke in § 37 ausgedrückt, in dem Berkeley folgendermaßen auf die Beschuldigung, seine Philosophie hebe die körperliche Substanz auf, antwortet:

„… wenn das Wort Substanz in dem gewöhnlichen (vulgar) Sinne genommen wird, als Bezeichnung einer Verbindung sinnfälliger Eigenschaften, wie Ausdehnung, Solidität, Gewicht und ähnlicher, miteinander, wir nicht beschuldigt werden können, dies zu negieren; wird es aber in einem philosophischen Sinne genommen, worin es den Träger von Akzidenzien oder Eigenschaften außerhalb des Geistes bezeichnen soll, dann erkenne ich in der Tat an, dass wir das hiermit Gemeinte aufheben, wenn anders von jemand gesagt werden kann, dass er etwas aufhebe, was niemals irgendeine Existenz gehabt hat, selbst nicht in der bloßen Vorstellung."

Der englische Philosoph Fraser, ein Idealist und Berkeleyaner, der Berkeleys Werke herausgegeben und kommentiert hat, nennt die Lehre Berkeleys nicht umsonst den „natürlichen Realismus". (Seite X, engl. Ausgabe.) Diese drollige Terminologie muss unbedingt hervorgehoben werden, da sie in der Tat Berkeleys Absicht zum Ausdruck bringt, den Realismus zu imitieren. Wir werden in unseren weiteren Ausführungen noch vielfach auf die „neuesten" „Positivisten" stoßen, die in anderer Form, in anderer Wortverkleidung genau denselben Kniff oder dieselbe Imitation wiederholen. Berkeley bestreitet nicht die Existenz der realen Dinge! Berkeley bricht nicht mit der hergebrachten Meinung der ganzen Menschheit! Berkeley bestreitet „nur" die Lehre der Philosophen, d. h. die Erkenntnistheorie, die ernsthaft und entschieden die Anerkennung der Außenwelt und ihre Widerspiegelung im Bewusstsein zur Grundlage aller ihrer Betrachtungen macht. Berkeley verneint nicht die Naturwissenschaft, die immer (meistens unbewusst) auf diesem Standpunkt, d. h. auf dem der materialistischen Erkenntnistheorie gestanden hat und auch jetzt steht.

Wir können – lesen wir in Paragraph 59 – nach der Erfahrung (Berkeley, Philosophie der ,reinen Erfahrung'D. L.), die wir von dem Lauf und der Aufeinanderfolge unserer Ideen gemacht haben… imstande sein, richtig darüber zu urteilen, was uns erschienen sein würde, im Falle wir in Lagen wären, welche sehr verschieden von denjenigen sind, in welchen wir uns gegenwärtig befinden. Hierin besteht die Naturerkenntnis, die (hört! L.) ihren Nutzen und ihre Gewissheit in sehr guter Übereinstimmung mit dem oben Gesagten behalten kann."

Haltet Außenwelt und Natur für „Verbindungen von Empfindungen", die durch die Gottheit in unserem Geiste hervorgerufen werden. Akzeptiert das und lasst davon ab, außerhalb des Bewusstseins und außerhalb des Menschen die „Grundlagen" dieser Empfindungen zu suchen, und ich werde im Rahmen meiner idealistischen Erkenntnistheorie die ganze Naturwissenschaft, die volle Bedeutung und Gewissheit ihrer Schlüsse anerkennen Ich brauche gerade diesen Rahmen und nur diesen Rahmen für meine Schlüsse zugunsten „des Friedens und der Religion". Dies ist Berkeleys Gedankengang. Diesem Gedankengang, der das Wesen der idealistischen Philosophie und ihre soziale Bedeutung richtig ausdrückt, werden wir noch später begegnen, wenn von dem Verhältnis des Machismus zur Naturwissenschaft die Rede sein wird.

Jetzt wollen wir noch die neueste Entdeckung vermerken, die im XX. Jahrhundert der modernste Positivist und kritische Realist P. Juschkewitsch dem Bischof Berkeley entlehnt hat. Diese Entdeckung ist der „Empiriosymbolismus". „Berkeleys Lieblingstheorie", sagt Fraser, „ist die Theorie des universellen natürlichen Symbolismus' (S. 190 der zit. Ausgabe) oder des ,Natursymbolismus'" (Natural Symbolism). Stünden diese Worte nicht in der Ausgabe von 1871, so könnte man den englischen Philosophen und Fideisten Fraser des Plagiats an dem modernen Mathematiker und Physiker Poincaré und an dem russischen „Marxisten" Juschkewitsch verdächtigen!

Berkeleys Theorie selbst, die Fraser so sehr entzückte, wird von dem Bischof in folgenden Worten dargelegt:

Die Verbindung der Ideen (nicht zu vergessen, dass für Berkeley Ideen und Dinge ein und dasselbe sind. L.) schließt nicht das Verhältnis von Ursache und Wirkung in sich, sondern nur das Verhältnis eines Merkmals oder Zeichens zu dem bezeichneten Objekt." (§ 65.) „Hieraus ist offenbar, dass die Dinge, welche unter dem Begriff (under the notion of a cause) einer mitwirkenden oder zur Hervorbringung von Wirkungen beitragenden Ursache unerklärbar sind und uns in große Ungereimtheiten verwickeln, sehr naturgemäß sich erklären lassen … wenn sie nur als Merkmale oder Zeichen, die zu unserer Belehrung dienen, betrachtet werden." (§ 66.)

Selbstverständlich ist nach der Auffassung Berkeleys und Frasers derjenige, der uns durch diese „Empiriosymbole" belehrt, niemand anders als die Gottheit selbst. Was die erkenntnistheoretische Bedeutung des Symbolismus in Berkeleys Theorie betrifft, so besteht sie darin, dass der Symbolismus die „Lehre", die den Anspruch erhebt, „Vorgänge durch körperliche Ursachen zu erklären" (§ 66), zu ersetzen hat.

Wir haben also zwei philosophische Richtungen in der Frage der Kausalität vor uns. Die eine erhebt den Anspruch, „Dinge durch körperliche Ursachen zu erklären", – und es ist klar, dass sie mit der „absurden", von Bischof Berkeley widerlegten „Lehre von der Materie" zusammenhängt. Die andere Richtung reduziert den „Begriff der Ursache" auf den „Begriff des Merkmals oder Zeichens", der zu unserer „Belehrung" (durch Gott) dient. Diesen beiden Richtungen werden wir in den Verkleidungen des XX. Jahrhunderts bei der Analyse der Stellung des Machismus und des dialektischen Materialismus zu der betreffenden Frage begegnen.

Weiter muss hinsichtlich des Problems der Realität noch bemerkt werden, dass Berkeley, indem er die Existenz der Dinge außerhalb des Bewusstseins bestreitet, ein Kriterium zur Unterscheidung von Realem und Fiktivem sucht. In § 36 sagt er, dass jene „Ideen", die der menschliche Geist nach Belieben hervorbringt,

matt, schwach und unbeständig sind im Vergleich mit anderen, die sie durch die Sinne perzipieren, und die, indem sie diesen nach gewissen Regeln oder Naturgesetzen eingeprägt werden, sich selbst als Wirkungen eines Geistes bekunden, der mächtiger und weiser ist als die menschlichen Geister. Von diesen letzteren Ideen wird gesagt, dass sie mehr Realität in sich tragen als die ersteren, worunter zu verstehen ist, dass sie stärker affizieren, mehr geordnet und bestimmt und nicht willkürliche Gebilde des sie perzipierenden Geistes sind …"

An einer anderen Stelle (§ 84) versucht Berkeley den Begriff des Realen mit der Wahrnehmung derselben Sinnesempfindung bei mehreren Personen zugleich zu verbinden. Zum Beispiel bei der Lösung der Frage, ob die Verwandlung von Wasser in Wein, von der uns erzählt wird, auch wirklich sei:

„…Wenn bei Tisch alle Anwesenden Wein sehen, riechen und schmecken und trinken, und die Wirkungen desselben vorfinden, kann nach mir kein Zweifel an der Realität desselben bestehen …"

Und dazu die Erläuterung Frasers:

Die gleichzeitige Wahrnehmung derselben sinnlichen Ideen durch verschiedene Personen wird hier, im Unterschied zum rein individuellen oder persönlichen Bewusstsein der eingebildeten Objekte und Gefühle, als Beweis der Realität der Ideen der ersten Art genommen."

Daraus wird klar, dass man Berkeleys subjektiven Idealismus nicht so verstehen darf, als ob er den Unterschied zwischen der einzelnen und der kollektiven Wahrnehmung ignoriert hätte.

Im Gegenteil, er versucht das Kriterium der Realität auf diesem Unterschied aufzubauen, Er nähert sich auf diese Weise, indem er die „Ideen" aus der Einwirkung der Gottheit auf den menschlichen Geist ableitet, dem objektiven Idealismus: die Welt erweist sich plötzlich nicht als meine Vorstellung, sondern als das Resultat einer obersten, geistigen Ursache, die sowohl die „Naturgesetze" schafft als auch die Gesetze des Unterschiedes der „Ideen", die „mehr real" sind, von denen, die weniger real sind usw.

In einem andern Werk, „Drei Dialoge zwischen Hylas und Philonous" (1713), in dem er versucht, seine Auffassung besonders populär zu gestalten, stellt Berkeley den Gegensatz zwischen seiner und der materialistischen Doktrin folgendermaßen dar:

Ich behaupte so gut wie du (der Materialist. L.), da wir von außen her erregt werden, so müssen wir Kräfte, die außer uns bestehen, annehmen in einem von uns unterschiedenen Wesen… Aber nun gehen wir bezüglich der Art dieses kraftbegabten Wesens auseinander. Ich will, es solle ein Seelenwesen sein, du Materie oder ich weiß nicht welche (ich könnte hinzufügen, du weißt nicht welche) dritte Natur …"E

Fraser kommentiert:

Dies ist der Kern der ganzen Frage. Nach den Materialisten werden die Sinneserscheinungen durch eine materielle Substanz oder durch eine unbekannte ,dritte Natur' hervorgerufen; nach Berkeley durch einen Rationellen Willen; nach Hume und den Positivisten ist ihr Ursprung absolut unerkennbar und wir können sie bloß als Tatsache, auf induktivem Wege, gemäß der Gewohnheit, verallgemeinern:"

Der englische Berkeleyaner Fraser nähert sich von seinem konsequent idealistischen Standpunkt aus den gleichen „Grundrichtungen" in der Philosophie, die durch den Materialisten Engels so klar charakterisiert werden. Dieser teilt in seiner Schrift „Ludwig Feuerbach" die Philosophen in „zwei große Lager", in Materialisten und Idealisten. Engels, der viel weiter entwickelte, mannigfaltigere und dem Inhalt nach reichere Theorien beider Richtungen in Betracht zieht als Fraser, sieht den Hauptunterschied darin, dass für die Materialisten die Natur das Ursprüngliche ist und der Geist das Sekundäre, für die Idealisten aber umgekehrt. Zwischen diese und jene stellt Engels die Anhänger von Hume und Kant, die die Möglichkeit einer Erkenntnis der Welt oder doch einer erschöpfenden Erkenntnis bestreiten, und er bezeichnet sie als Agnostiker. In seinem „Ludwig Feuerbach" wendet Engels letzteren Terminus nur auf die Anhänger Humes an (dieselben, die Fraser „Positivisten" nennt, und die sich selbst gerne so nennen); in seinem Artikel „Über historischen Materialismus"F aber spricht er geradezu über den Standpunkt des „neukantianischen Agnostikers", indem er den Neukantianismus als eine Spielart des Agnostizismus behandelt.

Wir können uns hier nicht bei dieser erstaunlich richtigen und tiefen Betrachtung von Engels aufhalten, einer Betrachtung, die von den Machisten ganz skrupellos ignoriert wird. Wir werden noch näher darauf eingehen. Vorläufig beschränken wir uns darauf, auf diese marxistische Terminologie hinzuweisen und auf das Zusammentreffen der Extreme: der Auffassung eines konsequenten Materialisten und der eines konsequenten Idealisten über die grundlegenden philosophischen Richtungen. Um diese Richtungen, mit denen wir im Verlauf unserer Darstellung ständig zu tun haben werden, zu beleuchten, wollen wir kurz die Auffassungen der größten Philosophen des XVIII. Jahrhunderts charakterisieren, die einen anderen Weg als Berkeley einschlugen.

Hier Humes Betrachtung in der „Untersuchung über den menschlichen Verstand", im Kapitel 12, das von der skeptischen Philosophie handelt:

Es scheint offenbar, dass die Menschen durch einen natürlichen Instinkt oder eine Voreingenommenheit dazu getrieben werden, Vertrauen in ihre Sinne zu setzen, und dass wir ohne Vernunfttätigkeit, ja selbst fast vor dem Gebrauch der Vernunft, immer schon eine Außenwelt annehmen (external universe), die nicht von unserer Auffassung abhängt, sondern auch existieren würde, wenn wir und jedes bewusste Geschöpf abwesend oder vernichtet wären. Selbst das Tierreich wird von einer gleichen Anschauung beherrscht und bewahrt diesen Glauben an äußere Gegenstände in all seinen Gedanken, Zwecken und Handlungen …

Aber diese allgemeine und ursprüngliche Meinung aller Menschen wird durch den leisesten Anflug (slightest) von Philosophie bald zerstört, die uns lehrt, dass nichts je dem Geiste gegenwärtig sein kann als nur ein Bild oder eine Auffassung, dass die Sinne nur die Einlasspforten (inlets) sind, durch welche diese Bilder übermittelt werden, und dass sie nicht imstande sind, einen unmittelbaren Verkehr (intercourse) zwischen dem Geiste und dem Gegenstand zu bewirken. Der Tisch, den wir sehen, scheint kleiner zu werden, wenn wir uns von ihm entfernen; der wirkliche Tisch dagegen, der unabhängig von uns existiert, erleidet keine Veränderung. Es war daher nur sein Bild (image), das dem Geiste gegenwärtig war. Dies sind die klaren gebieterischen Aussagen der Vernunft, und kein Besonnener hat je daran gezweifelt, dass die Daseinsformen (existences), die wir im Auge haben, wenn wir sagen, dieses Haus und jener Baum, nur Auffassungen in unserem Geiste sind…

Durch welche Begründung lässt sich beweisen, dass die Auffassungen des Geistes durch äußere Gegenstände verursacht sein müssen, die von ihnen ganz verschieden, ihnen doch ähnlich sind (wenn anders das möglich ist), und dass sie nicht aus der Energie des Geistes selbst entspringen könnten, oder aus der Eingebung irgendeines unsichtbaren und unbekannten Geistes oder aus einer uns noch weniger bekannten Ursache sonst? …

Wie soll diese Frage entschieden werden? Sicherlich durch Erfahrung, wie alle anderen Fragen gleicher Art. Aber hier schweigt die Erfahrung völlig und muss es tun. Dem Geiste ist nie etwas anderes gegenwärtig als Auffassungen und er kann unmöglich eine Erfahrung über ihre Verknüpfung mit Gegenständen gewinnen. Daher ist die Annahme einer solchen Verknüpfung ohne jede Grundlage in der Vernunfttätigkeit. Zu der Wahrhaftigkeit des höchsten Wesens seine Zuflucht nehmen, um die Wahrhaftigkeit unserer Sinne zu beweisen, heißt sicherlich einen sehr unerwarteten Kreis beschreiben… Wir wären in Verlegenheit, stellen wir einmal die Außenwelt in Frage, Begründungen zu finden, durch die wir das Dasein dieses Wesens… beweisen könnten."G

Dasselbe sagt Hume in der „Abhandlung über die menschliche Natur", IV. Teil, 2. Abschnitt, „Über den Skeptizismus bezüglich der Sinne": „Unsere Wahrnehmungen sind unsere einzigen Objekte" (S. 281 der französischen Übersetzung von Renouvier und Pillon, Paris 1878). Mit dem Wort Skeptizismus bezeichnet Hume den Verzicht darauf, die Empfindungen durch die Einwirkung der Dinge, des Geistes usw. zu erklären, den Verzicht darauf, die Wahrnehmungen einerseits auf die Außenwelt, andererseits auf die Gottheit oder einen unbekannten Geist zurückzuführen. Und der Verfasser der Einleitung zu der französischen Übersetzung von Humes Werk, F. Pillon, ein Philosoph, der (wie wir weiter sehen werden) einer Mach verwandten Richtung angehört, sagt ganz richtig, dass für Hume sich Subjekt und Objekt auf „Gruppen der verschiedenen Wahrnehmungen", auf „Elemente des Bewusstseins, Eindrücke, Ideen usw." reduzieren; dass nur von „Gruppierung und Kombination dieser Elemente" die Rede sein könne.H Ebenso betont der englische Anhänger Humes, Huxley, der Schöpfer des treffenden und richtigen Ausdrucks „Agnostizismus", in seinem Buch über Hume, dass sich dieser in seiner Annahme der Empfindungen als „primäre, unzerlegbare Bewusstseinszustände" bei der Frage, ob man die Empfindungen durch die Wirkung der Objekte auf den Menschen oder durch die schaffende Kraft des Geistes erklären soll, nicht ganz konsequent verhalte. „Realismus und Idealismus nimmt er (Hume) als gleich wahrscheinliche Hypothesen an."I Hume geht nicht über die Empfindung hinaus:

Die rote und die blaue Farbe, der Duft der Rose sind einfache Eindrücke … Aber die rote Rose gibt uns einen zusammengesetzten Eindruck (complex impression), der in die einfachen Eindrücke von roter Farbe, Rosenduft und vielen anderen zerlegt werden kann." (Ebenda, S. 64 u. 65.)

Hume lässt sowohl eine „materialistische" wie eine „idealistische Stellung" zu. (S. 82.) „Wahrnehmungskomplexe" können sowohl von dem Fichteschen „Ich" stammen als auch eine „Abbildung oder zumindest ein Symbol" von etwas Realem (real something) sein. So wird Hume von Huxley interpretiert.

Was die Materialisten anbetrifft, so sei hier die Ansicht Diderots, des Hauptes der Enzyklopädisten, über Berkeley wiedergegeben:

Idealisten werden die Philosophen genannt, die nur ihre eigene Existenz und die Existenz der Empfindungen, die sich in ihnen abspielen, und nichts anderes anerkennen. Ein extravagantes System, das, wie mir scheint, seine Entstehung nur Blinden verdanken kann! Und dieses System ist zur Schande des menschlichen Geistes und der Philosophie am schwierigsten zu widerlegen, obwohl es am absurdesten ist."J

Und Diderot, der der Auffassung des modernen Materialismus ganz nahe kommt (dass Argumente und Syllogismen allein nicht genügen, um den Idealismus zu widerlegen, und dass es sich hier nicht um theoretische Argumente handelt), hebt die Ähnlichkeit der Prämissen bei dem Idealisten Berkeley und dem Sensualisten Condillac hervor. Condillac sollte sich seiner Meinung nach damit abgeben, Berkeley zu widerlegen, um den absurden Folgerungen vorzubeugen, die aus der Anschauung stammen, dass die Empfindungen die einzige Quelle unserer Erkenntnis sei.

In dem „Gespräch zwischen d'Alembert und Diderot" legt letzterer seine philosophischen Ansichten folgendermaßen dar:

„…Setzen Sie bei einem Klavier die Fähigkeit des Empfindens und des Gedächtnisses voraus und sagen Sie mir, ob es nicht von selbst die Melodien, die Sie auf seinen Tasten hervorgebracht haben, wiederholen würde? Wir sind Instrumente, ausgestattet mit der Fähigkeit der Empfindung und des Gedächtnisses. Unsere Sinne sind ebensolche Tasten, die von der uns umgebenden Natur angeschlagen werden und die öfters von selber anschlagen; das ist meiner Meinung nach alles, was in einem Klavier vorginge, das so wie ich und Sie organisiert wäre."

D'Alembert antwortet, dass ein solches Klavier auch die Fähigkeit haben müsste, sich die Nahrung zu verschaffen, sich fortzupflanzen und kleine lebende Klaviere hervorzubringen. Ohne Zweifel, erwidert Diderot:

Nehmen Sie ein Ei, damit kann man alle Lehren der Theologie und alle Tempel der Erde umstürzen. Was ist dieses Ei? Eine unempfindliche Masse, so lange der Keim noch nicht eingeführt ist; wenn aber dieser Keim in das Ei eingeführt ist, was ist es dann? Eine unempfindliche Masse, da dieser Keim selbst nur eine grobe und träge Flüssigkeit ist. Wie aber geht diese Masse in eine andere Organisation über, zur Fähigkeit der Empfindung, zum Leben? Mittels der Wärme. Was ruft aber die Wärme hervor? Die Bewegung. Ein aus dem Ei gekrochenes Tierchen besitzt alle Ihre Emotionen und handelt so wie Sie. Werden Sie jetzt mit Descartes behaupten, dass dies einfach eine nachahmende Maschine sei? Kleine Kinder werden Sie auslachen, und die Philosophen werden Ihnen antworten, dass, wenn das eine Maschine ist, Sie auch eine sind. Wenn Sie zugeben, dass zwischen dem Tiere und Ihnen nur der Unterschied in der Organisation besteht, offenbaren Sie gesunden Menschenverstand und Besonnenheit; aber man wird gegen Sie folgern, dass man mit einer trägen Materie von bestimmter Organisationsart, die von einer anderen trägen Materie befruchtet wurde, unter dem Einfluss der Wärme und der Bewegung die Fähigkeit der Empfindung, des Lebens, des Gedächtnisses, des Bewusstseins, der Gefühle, des Denkens bekommen wird."

Sie können nur, fährt Diderot fort, eins von beiden wählen: entweder sich „ein verborgenes Element" im Ei vorstellen, das in einem bestimmten Entwicklungsmoment ins Ei eindringt, ein Element, von dem man nicht weiß, ob es räumlich, materiell, oder willkürlich geschaffen ist, was gegen den gesunden Menschenverstand ist und zu Widersprüchen und Absurditäten führt; oder einfach eine „Hypothese aufstellen, die imstande wäre, alles zu erklären, und zwar: dass die Fähigkeit der Empfindung eine allgemeine Eigenschaft der Materie sei oder das Produkt ihrer Organisation." Auf den Einwand d'Alemberts, diese Hypothese sei die Annahme einer Qualität, die ihrem Wesen nach mit der Materie unvereinbar sei, antwortet Diderot:

Woher wissen Sie, dass die Fähigkeit des Empfindens dem Wesen nach mit der Materie unvereinbar ist, wo Sie doch weder das Wesen der Dinge noch das Wesen der Materie noch das Wesen der Empfindung kennen? Verstehen Sie etwa besser die Natur der Bewegung, ihre Existenz in irgendeinem Körper und ihren Übergang von einem Körper zum anderen?"

D'Alembert: „Ohne die Natur der Empfindung noch der Materie zu kennen, sehe ich, dass die Empfindungsfähigkeit eine einfache und unteilbare Eigenschaft ist, die mit einem teilbaren Träger (Suppôt) unvereinbar ist."

Diderot: „Das ist ein metaphysisch-theologischer Galimathias! Können Sie nicht einsehen, dass alle Eigenschaften und alle unserer Empfindung zugänglichen Formen, mit denen die Materie umkleidet ist, ihrem Wesen nach unteilbar sind? Es gibt weder einen höheren noch einen niedrigeren Grad von Undurchdringlichkeit. Es gibt wohl die Hälfte eines runden Körpers, aber nicht die Hälfte einer Rundung … Seien Sie Physiker und geben Sie den sekundären Charakter einer Wirkung zu, wenn Sie sehen, dass diese Wirkung erzielt wurde, obwohl Sie nicht imstande sind, die Verknüpfung der Ursache mit der Wirkung zu erklären. Seien Sie logisch, setzen Sie nicht an die Stelle einer Ursache, die existiert und alles erklärt, irgendeine andere Ursache, die man nicht fassen kann, deren Verknüpfung mit der Wirkung noch weniger zu verstehen ist, und die eine Unmenge von Schwierigkeiten erzeugt, ohne eine einzige davon zu lösen."

D'Alembert: „Nun, und wenn ich von dieser Ursache ausgehe?"

Diderot: „In dem Universum gibt es nur eine einzige Substanz, im Menschen wie im Tiere. Eine Drehorgel ist aus Holz, der Mensch aus Fleisch, ein Zeisig aus Fleisch, ein Musiker aus Fleisch, das anders organisiert ist; doch beide sind gleichen Ursprungs, von gleicher Art, haben die nämlichen Funktionen und das gleiche Ende."

D'Alembert: „Auf welche Weise entsteht die Verständigung der Töne zwischen Ihren beiden Klavieren?"

Diderot: „… das empfindliche Instrument oder Tier vergewisserte sich aus Erfahrung, dass, wenn es einen bestimmten Ton von sich gibt, eine bestimmte Wirkung außerhalb seiner folgt, dass sich ihm andere ihm ähnlich empfindende Instrumente oder andere ihm ähnliche Tiere näherten, entfernten, etwas verlangten oder darboten, es umschmeichelten oder verwundeten. Und alle diese Wirkungen sind in seinem Gedächtnisse und in dem der anderen an diese Töne gebunden; merken Sie sich, dass es im menschlichen Verkehr nichts anderes gibt als Töne und Handlungen. Um aber mein System noch mehr zu bekräftigen, sage ich Ihnen noch, dass sich in ihm die gleiche unüberwindbare Schwierigkeit befindet, die von Berkeley gegen die Existenz der Körper vorgebracht wurde. Es war ein Augenblick des Wahnsinns, als das empfindende Klavier sich einbildete, dass es das einzige auf der Welt sei, und dass die ganze Harmonie des Universums in ihm vor sich gehe."K

Dies ist im Jahre 1769 geschrieben worden. Und damit schließen wir unsere kleine geschichtliche Nachforschung. Dem „wahnsinnigen Klavier" und der Weltharmonie, die in dem Menschen vor sich geht, werden wir bei der Analyse des „neuesten Positivismus" noch öfters begegnen. Vorläufig beschränken wir uns auf die eine Schlussfolgerung: die „modernsten" Machisten haben gegen die Materialisten kein einziges, buchstäblich kein einziges Argument vorgebracht, dessen sich nicht auch schon Bischof Berkeley bedient hätte.

Als Kuriosum bemerken wir noch, dass einer dieser Machisten, Valentinow, in dem unklaren Gefühl, dass seine Stellung falsch sei, die Spuren seiner Verwandtschaft mit Berkeley zu „verwischen" suchte. Und das hat er auf ziemlich amüsante Art getan. Auf Seite 150 seines Buches lesen wir:

„… Wenn es sich um Mach handelt, und man auf Berkeley schielt, so fragen wir, von welchem Berkeley die Rede ist? Ist es der Berkeley, der traditionsmäßig als Solipsist gilt, oder ist es der Berkeley, der die unmittelbare Gegenwart und Vorsehung Gottes verteidigt? Allgemein ausgedrückt (?): ist es Berkeley, der philosophierende Bischof, der den Atheismus vernichtet, oder Berkeley, der tiefe Analytiker? Mit einem Berkeley, der Solipsist und Prediger der religiösen Metaphysik ist, hat Mach wirklich nichts zu tun."

Valentinow verhaspelt sich, da er sich nicht klare Rechenschaft darüber geben kann, warum er genötigt war, den „tiefen Analytiker" und Idealisten Berkeley gegen den Materialisten Diderot zu verteidigen. Diderot hat die beiden philosophischen Grundrichtungen einander deutlich gegenübergestellt. Valentinow bringt sie durcheinander und tröstet uns dabei in recht drolliger Weise:

Wir halten“ – schreibt er – „Machs ,Verwandtschaft' mit der idealistischen Auffassung Berkeleys für kein philosophisches Verbrechen, selbst wenn diese Verwandtschaft wirklich existierte." (S. 149.)

Zwei unversöhnliche Grundrichtungen in der Philosophie durcheinander werfen, warum sollte es ein „Verbrechen" sein? Darauf reduziert sich ja die ganze Weisheit von Mach und Avenarius. Wir kommen nunmehr zur Analyse dieser Weisheit.

A V. Tschernow, „Philosophie und soziologische Studien", Moskau 1907 (russisch). Der Autor ist ein ebensolcher begeisterter Anhänger von Avenarius und Gegner des dialektischen Materialismus, wie Basarow u. Co.

B Siehe z. B. Dr. Richard Hönigswald „Über Humes Lehre von der Realität der Außendinge", Berlin 1904, S. 26.

C George Berkeley „Treatise concerning the principles of human knowledge", vol. I. of Works, ed. by A. C. Fraser, Oxford 1871. (Hier zitiert nach der deutschen Übersetzung von Friedrich Überweg, Phil. Bibliothek, Bd. 20, Verlag Felix Meiner, Leipzig 1920. Die Redaktion.)

1 Diese Stelle aus § 9 ist, wie der Schluss des § 5, in der zweiten Auflage weggelassen. Die neueren englischen Ausgaben der „Prinzipien der menschlichen Erkenntnis" bringen diese Stelle aus der ersten Auflage als Fußnote. In der deutschen Übersetzung dieses Berkeleyschen Werkes von F. Überweg fehlt sie.

D Fraser beharrt in seiner Einleitung darauf, dass Berkeley ebenso wie Locke „sich ausschließlich auf die Erfahrung berufen". (S. 117 der engl. Ausgabe.)

E S. 335 der zitierten englischen Ausgabe (Deutsch von Raoul Richter, 2. Auflage, Leipzig, S. 101. Die Redaktion).

F Friedrich Engels, „Über historischen Materialismus", „Neue Zeit", XI. Jahrgang, Band I (1892/1893), Nr. 1, S. 18. Die deutsche Übersetzung aus dem Englischen stammt von Engels selbst. (Abgedruckt im Anhang zu „Ludwig Feuerbach" von Engels, herausg. von Herm. Duncker, Marxistische Bibliothek, Bd. 3, Verlag für Literatur und Politik, Wien-Berlin 1927, S. 82–104. Die Red.)

G David Hume, „An Enquiry concerning human understanding", Essays and Treatises. Vol. II London 1822, p. 150/153 (Deutsch von Raoul Richter, Philosophische Bibliothek, Leipzig, Verlag Felix Meiner, S. 177/180. Die Redaktion).

H Psychologie de Hume. Traité de la nature humaine etc. Trad. par Ch. Renouvier et F. Pillon, Paris 1878, Introduction, p. X.

I Huxley, „Hume", London 1879, S. 75.

J Œuvres complètes de Diderot. Ed. par H. Assezat, Paris 1875, vol. I, p. 304.

K Ebenda vol. II. p. 114–118.

Kommentare